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ARTEJOURNAL 20. September 2010
Kaukasus: Interview mit Sophie Shihab
Zwei Jahre nach dem Kaukasuskrieg
ist die Situation in Georgien weiterhin angespannt. Wie und warum konnten die
Russen vollkommen ungestraft die georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien
annektieren? Welches Schicksal erleiden die georgischen Flüchtlinge aus
Südossetien? Sind erneute Zusammenstöße mit der russischen Armee vorstellbar?
Warum macht die georgische Opposition gemeinsame Sache mit dem georgischen
Präsidenten Michail Saakaschwili, der doch so unbeliebt ist? Um Antworten auf
diese Fragen zu erhalten, hat sich ARTE Journal an Sophie Shihab gewandt,
Journalistin und Korrespondentin für den Kaukasus und Russland.
Claire Stephan für ARTE Journal: Sie waren während des
Kaukasuskonflikts 2008 in Georgien. Wie hat sich die Situation seitdem
entwickelt? Ist sie immer noch so angespannt?
Sophie Shihab, Journalistin für Russland
und den Kaukasus: „Die Situation ist in der Tat angespannt, denn
während des Krieges gab es Waffenstillstandsvereinbarungen zwischen Sarkozy
und Medwedew, die Russland überhaupt nicht eingehalten hat und immer noch
nicht einhält. Die Russen müssten ihre Truppen in den Zustand zurückversetzen,
in dem sie vor dem Einmarsch in Georgien waren. Aber stattdessen stationiert
Moskau Truppen in den Regionen Abchasien und Südossetien, die es mit diesem
Krieg faktisch annektiert hat.“
ARTE Journal: Eine Annexion, zu der die
internationale Gemeinschaft gesschwiegen hat.
Sophie Shihab: „Ja, ein
Stillschweigen, das umso erstaunlicher ist, als Russland das erste Mal – wie
die UdSSR es früher tat – benachbarte Gebiete besetzt. Und die Reaktion ist
jedesmal schwächer, je öfter Russland seine Bedingungen durchsetzt. Es hat die
Beobachter der UNO vertrieben, der OSZE und die Beobachter der EU, die den
Vereinbarungen zufolge die Normalisierung der Situation und vor allem die
Rückkehr der Flüchtlinge beobachten sollten. Georgien hat noch immer nicht das
Recht zu sehen, was auf der abchasischen und südossetischen Seite vor sich
geht, wo die Russen die Truppen des FSB, des Geheimdiensts, des ehemaligen
KGB, in Stellung haben, die niemanden hinüber lassen. Dort sind, glaube ich,
350 europäische Beobachter, die entlang der Grenze patrouillieren müssen, die
im Übrigen keine Grenze ist, da sich der Verlauf ständig ändert und die Russen
regelmäßig neue Stücke des georgischen Gebietes auf ihre Seite ziehen, was ein
erneutes Aufflammen von Gewalt, neue Zusammenstöße provozieren könnte.“
ARTE Journal: Hüten sich die westlichen
und vor allem europäischen Politiker davor, die Frage anzusprechen, um ihre
Handelsbeziehungen, zum Beispiel im Bereich der Energie, mit Russland nicht zu
gefährden?
Sophie Shihab: „Es gibt eine
ganze Reihe von Gründen. Russland ist reich, es hat Öl, es bestehen
Handelsbeziehungen. Das ist sicher der wesentliche Grund. Und man weiß, dass
Russland sich mit Gewalt durchsetzen kann, ohne dass es scharfe Reaktionen
gibt, daher ist es besser, nicht zu reagieren, wenn man weiterhin von seinem
Öl und anderen Vorkommen profitieren will.“
ARTE Journal: Die beiden Provinzen, die
wir angesprochen haben, Südossetien und Abchasien, sind Teil der kulturellen
Identität Georgiens. Kann man sagen, dass Georgien mit dem Verlust dieser
Gebiete auch einen Teil seiner Seele verloren hat?
Sophie Shihab: „Das stimmt,
aber das betrifft den gesamten Kaukasus, den Norden und den Süden, in dem die
unterschiedlichsten Bevölkerungen gemeinsam und integriert lebten. Das Problem
entstand im 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen des Nationalismus. Mit dem Fall
der UdSSR wurde der wiederbelebt, und Moskau wusste das für sich zu nutzen. Es
ist ein schleichender Prozess, das heißt, mit dem Fall der UdSSR hatte Moskau
auf alle neuen Nationalismen gesetzt, die in den ehemaligen sowjetischen
Grenzen entstanden und in Konflikt miteinander lagen, um nach und nach neue
Gebiete zu annektieren, wie in Georgien. Seit Anfang der 90er Jahre konnte
Russland – wobei es übrigens von georgischen Fehlern profitierte – sich in
diesen beiden Regionen immer mehr durchsetzen. Der Krieg, der im August 2008
begann, war letztendlich nur die Fortsetzung dieses schleichenden Prozesses.
Der Westen sah dabei nur, dass Georgien mit seinem als wildgeworden
präsentierten Präsidenten Saakaschwili Südossetien angegriffen hat.
Tatsächlich ist er in eine von Russland sorgfältig vorbereitete Falle getappt,
und Georgien hatte praktisch überhaupt keine Möglichkeit zu reagieren, wenn es
sich nicht ohne Protest überwältigen lassen wollte.“
ARTE Journal: Noch heute, 2 Jahre nach
dem russisch-georgischen Konflikt leben etwa 30 000 georgische Vertriebene aus
Südossetien in dörflichen Lagern in Georgien. Warum zögert die georgische
Regierung, diese Bürger in die Gesellschaft einzugliedern?
Sophie Shihab: „Zum Einen weil
es etwa 250 000 Flüchtlinge von dem Krieg von 1993 in Abchasien zu integrieren
gilt. Angesichts des Zustandes von Georgien in den 90er Jahren, war das nicht
leicht. Sicher ist es sehr schwierig, noch dazu 30 000 ossetische Flüchtlinge
einzugliedern. Und nach den mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy
getroffenen Vereinbarungen hätten sie auch nicht in den von den Gott sei Dank
von den Amerikanern gebauten Lagern unterkommen sollen, sondern in ihren
Heimatdörfern in Südossetien. Doch diese Heimatdörfer wurden mutwillig
abgebrannt und mit Bulldozern zerstört, um sicher zu sein, dass sie nie
wiederkommen. Aber es stimmt, dass die Situation für die Vertriebenen in
diesen Dörfern, in denen sie keine Arbeit mehr haben, in denen es sehr
schwierig ist für sie. Die Lage wird von der lokalen Opposition, von der UNO,
von allen Beobachtern und den Nichtregierungsorganisationen, die in Georgien
tätig sind, heftig kritisiert, während gleichzeitig niemand Zugang nach
Südossetien hat, wodurch dieses zu einem schwarzen Loch wurde.“
ARTE Journal: Ist die Situation
innerhalb Georgiens weiterhin sehr instabil? Regelmäßig finden
Protestkundgebungen der Bevölkerung statt, weil die Verarmung immer mehr
zunimmt.
Sophie Shihab: "Unbedingt.
Außerdem wird protestiert, weil es zur Demokratie gehört. Eines der großen
Ziele Russlands ist es, Saakaschwili zu stürzen, um eine gefügige Regierung
einzusetzen. Und es stimmt, nach dem Krieg gab man im Westen nicht viel auf
die Fähigkeit dieser Regierung, an der Macht zu bleiben. Und man sieht, dass
zwei Jahre nach dem russischen Einmarsch viele Gegner von 2007 zwar nicht zu
Anhängern der Machthaber geworden sind, dass sie aber angesichts des
russischen Einmarsches nun Saakaschwili unterstützen, und die letzten
Kommunalwahlen im Frühjahr haben gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung
die Regierung noch unterstützt.“
ARTE Journal: In den Medien ist von
Georgien mitunter noch die Rede, aber überhaupt nicht mehr von Tschetschenien,
über das Sie für die Zeitung „Le Monde“ regelmäßig berichtet haben, ebenso
wenig über Inguschetien oder Dagestan. Dabei ist der gesamte Kaukasus eine
Konfliktregion, und niemand scheint noch darüber zu berichten. Journalisten,
die den Mut dazu hatten, wie Anna Politkowskaja und Natalia Estemirowa, wurden
getötet… Und diejenigen, die weiterhin über dieses Gebiet berichten wollen,
werden nicht unbedingt von ihren Regierungen unterstützt, um Russland nicht zu
verstimmen.
Sophie Shihab: „Es gibt zwei
Gründe: Es wird nicht darüber geredet, weil es weit weg ist, es kompliziert
ist und weil man Russland nicht als erniedrigt erscheinen lassen will. Und
auch weil der Zugang für Journalisten noch immer sehr, sehr von Zufällen
abhängig ist und sich die Situation verschärft. Fast täglich werden in
Dagestan Attentate verübt; die Situation entspricht einem Aufstand, und es
wird schlimmer.“
ARTE Journal: Der Tschetschenienkrieg
hat den gesamten Kaukasus vergiftet. Die Entführungen, über die in
Tschetschenien immer wieder berichtet wurde, und der makabre Handel mit den
Geiseln haben sich auf Inguschetien ausgeweitet. Die den Islamisten
zugeschriebenen Attentate bestimmen den Alltag in Dagestan. Kann man sagen,
dass der gesamte Kaukasus eine tickende Zeitbombe ist?
Sophie Shihab: „Einige führende russische Politiker, darunter
Medwedew, haben gesagt, dass die Situation im Nordkaukasus das größte
innenpolitische Problem Russlands darstellt. Ich denke, das ist unstrittig.
Aber es herrscht eine solche Atmosphäre von Unterdrückung und Angst, dass es
sehr schwierig zu erkennen ist, was die Bevölkerung des Nordkaukasus wirklich
denkt und will. Vor allem weil die Rebellion eher islamistisch als
nationalistisch geworden ist. Und das zweifellos auch, weil der Westen sich
nicht für die Frage interessiert hat, im Gegensatz zu den Finanzgrößen der
Golfregion und anderen. Aber die Methoden, wie ungezielte Attentate, gefallen
der Bevölkerung im Kaukasus gar nicht. Umso erstaunlicher ist es, dass sie
weiterhin Unterstützung erhalten, trotz der enormen Risiken, denen sich die
aussetzen, die es noch wagen, etwas Sympathie für diese Rebellion zum Ausdruck
zu bringen.“
20.09.2010 ARTE Journal
***
Vom Kreml unterstützt - von Brüssel geschnitten
Vor zwei Jahren erkannte Russland formell die
Unabhängigkeit der Republik am Schwarzen Meer an, wirtschaftlich ist Abchasien
jedoch auf den Kreml angewiesen. Gut die Hälfte des jährlichen Staatsetats kommt
zur Zeit aus Moskau.
GAGRA. Nur 30 Kilometer Luftlinie liegen zwischen
den Badeorten Sotschi und Gagra – doch die gefühlte Distanz könnte kaum größer
sein. An der russischen Schwarzmeerküste zieht Sotschis Überangebot an Hotels
und Strandbars Touristen aus ganz Osteuropa an. Dagegen patrouilliert am Strand
von Gagra die russische Marine – durch Abchasiens Touristenzentrum frisst sich
Verfall.
Die Republik Abchasien gibt es seit genau zwei
Jahren. Nach dem Georgien-Krieg erkannte Moskau die Region und das weiter
nördlich gelegene Südossetien formell an und gliederte die Gebiete seinem
eigenen Machtbereich ein.
Moskau hat seither einiges getan, um den
Satellitenstaat zu stabilisieren. Baubrigaden aus Sotschi haben die
Strandpromenade der abchasischen Hauptstadt Suchumi hergerichtet, die einzige
Fernstraße wird aufwändig saniert, der Handel zwischen beiden Ländern steigt.
Und doch fehlt Russland eine Strategie, wie sich die verarmte Teilrepublik
eigenständig entwickeln kann. Mindestens eine Mrd. Dollar pumpt der Kreml pro
Jahr in das 200 000 Einwohner kleine Land – und bestreitet damit gut die Hälfte
des gesamten Staatsetats.
Export beschränkt sich auf Wein
„Wir sind Russland unwahrscheinlich dankbar für
die großartige Unterstützung“, schwärmt Wirtschaftsministerin Kristina Osgan.
Die 37-Jährige schrieb ihre Doktorarbeit im Fernstudium in Moskau, als sie
bereits Wirtschaftsministerin in Abchasien war. Aber auch sie weiß: „Wir können
nicht ewig am Rocksaum von Russland hängen und müssen lernen, auf eigenen Füßen
zu stehen.“ Oberste Priorität habe das Freihandelsabkommen mit Russland, dann
könnte Abchasien Agrarprodukte nach Russland exportieren.
Groß ist Abchasiens Warenpalette nicht. Eigentlich
gibt es nur zwei Unternehmen, die exportieren: eine Brauerei und die Weinfabrik
Suchumi. Chef-Winzer Valeri Avidzba, 76, dreht die Wählscheiben seines Telefons
und bestellt zwei Karaffen Wein, um seinen Gast zu verköstigen. In der Tat
genießt der Wein aus der Schwarzmeer-Region in Russland seit Sowjetzeiten einen
ausgezeichneten Ruf. Ohne Schwierigkeiten schaffte es Avidzba, den Export nach
Russland 2009 auf acht Mill. Flaschen zu erhöhen – praktisch von Null. Denn vor
dem Georgienkrieg hatte der Export brach gelegen, weil Moskau schon 2006 ein
Embargo auf georgische Weinimporte verhängt hatte. Die Sanktionen sollten die
Wirtschaft des heißblütigen georgischen Staatspräsidenten Michail Saakaschwili
treffen, aber sie stürzten vor allem Abchasien in Existenznot, das außer Wein
nichts zu exportieren hat.
Nun, da der Handel mit Russland so einfach ist wie
nie zuvor, will auch die Brauerei der Stadt exportieren. Amra Anua, eine
ehrgeizige Geschäftsfrau, investiert in neue Anlagen, um sich mit qualitativ
hochwertigen Bierprodukten am hart umkämpften russischen Markt durchsetzen zu
können. Obwohl es am nötigen Kapital nicht fehlt, ist es nicht leicht,
Lieferanten zu finden.
Brüssel blockiert Lieferungen
„Im Brauereiwesen sitzen die besten Anlagenbauer in der EU“,
erzählt sie, „und das ist für uns ein großes Problem.“ Als sie Anlagen aus
Ungarn über Russland importierte, musste der Lieferant den
EU-Ausfuhrkontrolleuren erklären, weshalb er nicht über Georgien nach Abchasien
liefere. Nach europäischer Lesart ist Abchasien ein Teil von Georgien, obwohl
die Grenze seit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung 1992 für den Handel
geschlossen ist. Wegen solcher Nachfragen springen die Lieferanten ab. An einen
Export in Märkte außerhalb Russlands ist sowieso nicht zu denken.
26.08.2010 Handelsblatt
***
Stillstand zwischen Russland und Georgien
DW-WORLD.DE: Es war das zehnte Gespräch zwischen
Georgien und Russland, bemüht sich die georgische Regierung, den Konflikt mit
Moskau zu lösen?
Iris Kempe: Die Beziehungen zwischen dem
georgischen Präsidenten Saakaschwili und dem russischen Premier Putin sind
extrem schlecht und es gibt keine diplomatischen Beziehungen. Um so
schwieriger ist es, den Konflikt zu lösen, da man nur sehr begrenzte
Kommunikationswege hat. Es gibt nur eine sehr schwach entwickelte so genannte
Second-Track-Diplomacy, eine Diplomatie, die über dieses offizielle Niveau
hinausgeht. Das ist eine der Schwierigkeiten.
Die EU hatte im Dezember 2008 eine unabhängige
internationale Kommission unter Leitung der Schweizer Diplomatin Heidi
Tagliavini beauftragt, die Ursachen und den Verlauf des Georgien-Konflikts zu
untersuchen. Gibt es in Georgien Reaktionen auf den Bericht der
Tagliavini-Kommission? Ist das überhaupt noch ein Thema?
Es ist kein Thema mehr. Man muss dazu sagen, der
Bericht lag nur auf Englisch vor, was für meisten Georgier nicht zu verstehen
war. Wir von der Heinrich-Böll-Stiftung haben zumindest das zusammenfassende
Kapitel auf Georgisch übersetzt. Aber die georgische Regierung war darum
bemüht, dass dies kein größeres öffentliches Thema wird, weil die Frage, wer
den ersten Schuss abgegeben hat, doch zu riskant erschien.
Einige georgische Oppositionelle haben den
Rücktritt von Saakaschwili gefordert - dann würden sich die Beziehungen zu
Moskau bessern und Georgien könnte die verlorenen Gebiete vielleicht
zurückgewinnen. Was meinen Sie dazu?
Ich halte bei aller Kritik, die man an jeder
Regierung immer wieder üben muss, einen vorzeitigen Rücktritt des Präsidenten
nicht für zielführend, weil die Opposition genau so schwach ist wie der
Präsident. Es gibt keine gut entwickelten Programme der Opposition. Es geht um
einzelne Personen, die sich in der Regel darauf konzentrieren, der Präsident
solle zurücktreten.
Durch die großen Proteste der Opposition im
April 2009 konnte sich Saakaschwili eher profilieren, indem er sich
zurückgehalten hatte. Auch da wurde immer gefordert, der Präsident solle
zurücktreten. Ob man so die Beziehungen zu Russland und die Abchasien-Frage
regeln kann, ist fraglich. Ganz stark überspitzt: Wenn der Preis wäre,
Georgien würde wieder Teil der russischen Einflusssphäre, dann wäre das sozial
und politisch nicht tragbar.
Könnte die EU die Rolle des Vermittlers zwischen
Georgien und Russland einnehmen?
Die EU hat große Potentiale. Das Problem ist,
dass sie diese nicht nutzt. Die Russland-Politik der EU ist eher schwach, es
gibt oft keinen Konsens zwischen den Mitgliedstaaten. Auch die Angebote, die
die EU den sogenannten Nachbarsstaaten macht, sind für diese, so auch für
Georgien, nicht richtig attraktiv. Dennoch ist die EU ein Partner, der von
russischer als auch georgischer Seite angesehen wird. Die EU hat die größte
Beobachtermission in Georgien, die allerdings keinen Zugang zu Abchasien und
Südossetien hat. Es liegt sowohl an der EU als auch an der Fähigkeit
Georgiens, die Potentiale der EU zu erkennen.
Das Gespräch führte Viacheslav Yurin.
Die Gespräche zwischen Georgien und Russland
sollen am 08. Juni fortgesetzt werden. EU, UNO und OSZE leiten die
Gesprächsrunden. Neben Vertretern aus Moskau und Tiflis nehmen an den Treffen
in Genf auch Abgesandte der von Georgien abtrünnigen Regionen Südossetien und
Abchasien daran teil. Russland hat diese als unabhängige Staaten anerkannt.
Redaktion: Markian Ostaptschuk / Nicole
Scherschun
31.03.2010 DW
***
Behörden: Präsidentenwahl in Abchasien gültig
Erste Ergebnisse für Sonntag erwartet - Bagapsch
hofft trotz dreier Gegenkandidaten auf Wiederwahl
Suchumi - Ungeachtet der Proteste Georgiens
ist in der abtrünnigen Region Abchasien am Samstag eine "Präsidentwahl"
abgehalten worden. An der ersten Wahl seit der Anerkennung der Unabhängigkeit
Abchasiens durch Russland nach dem Krieg im August 2008 gegen Georgien
beteiligten sich nach Angaben der Behörden etwa zwei Drittel der 130.000
registrierten Wähler. Die Wahl ist damit laut der russischen Agentur RIA Novosti
gültig, da die Mindestgrenze der Wahlbeteiligung in Abchasien 50 Prozent plus
eine Stimme beträgt. Erste Ergebnisse wurden am Sonntag erwartet.
Vor den Wahllokalen bildeten sich lange Schlangen
mit Hunderten Menschen. Jeder Wähler bekam dann einen Stempel in den Pass, um zu
verhindern, dass jemand mehrere Stimmen abgibt. Um die Stimmen der Abchasier
bewarben sich Amtsinhaber Sergej Bagapsch und vier Herausforderer. Beobachter in
Suchumi erwarteten, dass kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht. In diesem
Fall würde eine Stichwahl erforderlich. Die rund 40.000 in Abchasien lebenden
Georgier durften nicht an der Wahl teilnehmen, da sie keine abchasischen Pässe
haben.
Die georgische Regierung verurteilte die Wahl am
Samstag als eine von Russland inszenierte Farce und "Provokation". Neben
Russland haben nur Nicaragua und Venezuela die Unabhängigkeit von Abchasien
anerkannt.
Transparente Wahl
Geöffnet hatten laut RIA 174 Wahllokale. Bisher
seien keine groben Verstöße gegen das Wahlgesetz festgestellt worden.
Der österreichische Journalist und Publizist
Werner Pirker sagte, dass die Wahl transparent "wie in anderen Ländern" sei. Er
habe keine Verstöße registriert. Er denke auch nicht, dass die territoriale
Integrität Georgiens nach der Abspaltung Abchasiens und Südossetiens verletzt
worden sei. Denn die beiden Regionen hätten als Teile der Georgischen SSR und
nicht der gegenwärtigen Republik Georgien gegolten, sagte der Publizist.
"Auf ewig verbunden"
An den Straßen Abchasiens prangen große Bilder,
auf denen Bagapsch an der Seite des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew zu
sehen ist. "Abchasien und Russland - auf ewig verbunden", lautete das Motto. Die
Nutzungsrechte an der abchasischen Eisenbahn sind im Tausch gegen
Reparaturarbeiten für zehn Jahre an Russland abgetreten. Im vergangenen Jahr
kamen rund 1,5 Millionen Touristen nach Abchasien, das direkt an Russland
angrenzend an der Südseite des Kaukasus liegt und dessen malerische Landschaften
vom Schwarzen Meer gesäumt werden.
Russland unterhält in den beiden abtrünnigen
georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien Militärstützpunkte. Die
georgische Regierung betrachtet den Abfall Abchasiens und Südossetiens, der auf
den Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre folgte, als
völkerrechtswidrig. Der Konflikt zwischen Georgien und Russland eskalierte im
August 2008 und mündete in den Fünf-Tage-Krieg vor allem um die Vorherrschaft in
Südossetien. Der Versuch Georgiens zur Zurückdrängung des russischen Einflusses
scheiterte dabei. (APA)
12.12.2009 derStandard.at
***
Auf Briefmarken kleben bleiben
Johannes Voswinkel, Suchum
- Im Westen von Georgien lebt das Volk der Abchasen. Es schickt sich an, einen
Staat zu gründen – aber kaum jemand will ihn anerkennen
Ein neuer Staat braucht eine ganze Menge Symbole
seiner Eigenständigkeit. Abchasien hat sich bereits eine Palette zugelegt: eine
Fahne mit grün-weißen Streifen und einer offenen weißen Hand auf rotem
Hintergrund, eine Nationalhymne und Autonummernschilder. Dem Staat steht ein
Präsident vor, der am kommenden Samstag neu gewählt wird. Grenztruppen
kontrollieren die Einreisenden aus Russland am Fluss Psou. Zwar wirkt die
Staatsgrenze noch immer wie ein provisorischer Eigenbau aus Metallpfosten,
Stacheldraht und Betonplatten. Das Spruchband »Willkommen in Abchasien« spannt
sich vor einer früheren Scheune, und ein streunender Hund aalt sich auf dem
Gehweg. Aber es ist nicht mehr die Kulisse eines Operettenstaates. Die Menschen
halten abchasische Pässe in den Händen. Jetzt fehlt dem Land vor allem eines:
weltweite Anerkennung.
Die Weltöffentlichkeit hat Abchasien im Sommer
2008 kennengelernt, während des russisch-georgischen Kriegs: Abchasien ist neben
Südossetien der zweite georgische Landesteil, der sich mit russischer Hilfe für
unabhängig erklärt hat. Außer der Regierung in Moskau haben bisher nur Nicaragua
und Venezuela die abchasische Souveränität anerkannt. So bleiben Abchasien
einige Insignien der staatlichen Souveränität bis heute verwehrt. Es bekommt
keine eigene Ländertelefonvorwahl und ist über die russische Nummer anzuwählen.
Wer im zentralen Postamt der Hauptstadt Suchumi nach Briefmarken sucht, findet
in der hinteren Ecke des dunkel getäfelten Saals nur einen Angestellten, der
traurig seinen Kopf auf den Arm stützt. Briefmarken? Ja, die gebe es schon, aber
nur im ersten Stock im Büro von Schenja. Schenja, stellt sich heraus, macht
gerade Mittagspause. Da ergänzt der Postbeamte zum Trost, die Briefmarken würden
sowieso in keinem anderen Land anerkannt. Noch nicht mal in Russland.
Was heißt das: ein Staat zu sein, von dem die Welt
nichts wissen will?
Zwei Jahrzehnte schon, seit dem Zerfall der
Sowjetunion, kämpfen die Abchasen um ihre Unabhängigkeit. 1993 haben sie die
georgischen Milizen auf ihrem Territorium geschlagen. Die Abchasen standen
Kriegsgräuel, Wirtschaftsblockaden, Jahre ohne Strom und fließendes Wasser
durch, um den eigenen Staat zu ertrotzen. Aber das zählte nicht, zumindest nicht
für die anderen; von allen Seiten schallte es den Abchasen entgegen, dass sie
dazu kein Recht hätten. »Der Westen konfrontiert uns mit der Forderung nach
Georgiens territorialer Einheit und verlangt von uns, wir sollten von Russland
abrücken«, sagt der Parlamentsabgeordnete Batal Kobachija und klingt bitter.
»Na, guten Tag! Die Russen haben uns doch gerade gerettet.«
Verkommt Abchasien zu einer Urlaubsprovinz der
Russen?
Doch die Schutzpatrone der abchasischen Sicherheit
drohen das neue Land nun in ihrer Umarmung zu erdrücken. Die Flucht vor Georgien
führt, so scheint es, in die Abhängigkeit von Russland. »Haben wir dafür
gekämpft?«, fragen Kriegsveteranen, die als Verband mit mehr als 1500 Mann und
mancher Waffe im Kleiderschrank ein innenpolitischer Machtfaktor sind. Verkommt
Abchasien, das einst die Warmbadewanne der Sowjetunion war, erneut zur
Urlaubsprovinz eines russischen Reiches?
Das befürchten zumindest die Gegner des
abchasischen De-facto-Präsidenten Sergej Bagapsch. Der frühere
Komsomolfunktionär regiert mit politischem Instinkt und dem Hang zum Jasagen
gegenüber Russland; für seine Wiederwahl wirbt er mit einem Foto von Wladimir
Putin. Die Zeit hat Bagapsch pragmatisch werden lassen. Vor fünf Jahren noch
setzte Moskau auf seinen damaligen Gegenkandidaten, heute vertritt Bagapsch oft
russische Positionen. Vielleicht bleibt ihm nichts anderes übrig. Denn die
Abhängigkeit von Russland ist offensichtlich: Mehr als zwei Drittel des
Außenhandels entfallen auf Russland, und Abchasiens Regierung sah sich
gezwungen, Steuergesetze und Wirtschaftsnormen weitgehend anzugleichen. Bezahlt
wird in Rubel. Moskau finanziert den abchasischen Staatshaushalt zu gut 60
Prozent. Am neuen Pier des Jachtklubs von Suchumi legten kürzlich erstmals
wieder reiche Russen aus Sotschi an. Russische Großinvestoren greifen nach dem
Flughafen von Suchumi, und Mittelständler kaufen Wohnungen und Strandvillen auf.
Inal Chaschig, Chefredakteur der oppositionell
gestimmten Zeitung Tschegemskaja Prawda, kritisiert vor allem den
Vertrag über die gemeinsame Grenzsicherung mit Russland. Auf Grenzwache in
freier Flur stünden allein die russischen Soldaten, beklagt er. Der Grenzbereich
unterliege dabei sogar russischem Recht. Wie aber kann ein Staat souverän sein,
der seine eigenen Grenzen nicht sichern kann? Für die russischen
Militärstützpunkte bekomme Abchasien nicht einmal einen Pachtzins.
Aber auch Chaschig kann nicht umhin, Russland für
den Schutz Abchasiens zu danken. Keiner der führenden Politiker, von Bagapsch
bis zu den Oppositionskandidaten wie dem Unternehmer Beslan Butba und dem
Exvizepräsidenten Raul Chadschimba, ist antirussisch eingestellt; russische
Marionetten, als die sie die georgische Propaganda gern darstellt, sind sie
deshalb längst nicht. Der Unterschied ihrer Positionen liegt in der Intensität
ihrer Skepsis gegenüber Russland. Im normalen Gespräch mag niemand von ihnen
deutlich werden. Erst anonym sagt es ein Intellektueller deutlich: »Die
russische Macht ist unmenschlich. Russland hat noch immer ein imperiales Denken,
und wir sind eine Art Überseekolonie.«
Die Angst vor der Assimilation hat das kleine Volk
der Abchasen seit Jahrhunderten zwischen den Großmächten des
Völkerflickenteppichs Kaukasus lavieren lassen. Heute sind weniger als die
Hälfte der 230000 Einwohner Abchasen. Georgier, Armenier und Russen bilden
starke Minderheiten. Die Abchasen bekämpften Russland im 19. Jahrhundert als
Kolonialherren. Seit der Eingliederung Abchasiens in die georgische Republik
1931 unter Stalin trat der Überlebenskampf gegen die »Georgisierung« an. Erst
Präsident Wladimir Putin lockerte Russlands Grenzregime und machte den Abchasen
ein verlockendes Angebot: Renten aus Russland, russische Pässe, um reisen zu
können, und Touristen für die verlassenen Kurorte. Moskau verfolgte eigennützige
Interessen, da ein autonomes Abchasien einer Nato-Mitgliedschaft Georgiens
entgegenstand. Die Abchasen aber folgten dem Sprichwort: Ein Ertrinkender greift
nach der Schlange.
»Hier ist es nicht einfach, die Hirne der Menschen
einzupudern«
Ihr über Jahrhunderte gehärteter Widerstandsgeist
könnte sie auch vor der Umklammerung Russlands bewahren. Während Südossetien als
Staat kaum überlebensfähig wäre und langfristig eine Vereinigung mit dem
russischen Nordossetien anstreben dürfte, betonen die Abchasen umso
selbstgewisser ihre Eigenständigkeit, schließlich haben sie Bagapsch schon
einmal gegen den russischen Willen gewählt. »Hier ist es nicht so einfach, die
Hirne der Menschen einzupudern«, sagt die Journalistin Nadjeschda Wenediktowa.
Abchasien gilt als ungewöhnlich pluralistischer und demokratischer Flecken im
Kaukasus. Der Fürst war in der abchasischen Geschichte schon immer nur ein Teil
der Gesellschaft, dem jeder Bauer widersprechen durfte.
Ihre symbolische Mitte hat die Demokratie à la
Abchasien im Café Brechalowka, gelegen an der Strandpromenade von Suchumi. Unter
grünem Plexiglas hocken hier von morgens an Männer auf Plastikstühlen, spielen
Schach oder Backgammon und palavern, bis die Dunkelheit das Meer verschluckt.
Ljocha setzt hier seit zehn Jahren die Kännchen mit dem türkischen Kaffee in den
glühenden Sand. In seinem Büdchen stehen mehr als 40 persönliche Kaffeetässchen
aufgereiht: von Künstlern, Ministern und dem Präsidenten. Denn für Bagapsch ist
es eine Frage der Ehre, bei Ljocha von Zeit zu Zeit Kaffee zu trinken. Rundherum
sitzen dann keine ausgewählten Claqueure, sondern Gäste, die gern und ausgiebig
diskutieren. Als der russische Parlamentspräsident Boris Gryslow einst mit
seinen Gastgebern hier einkehrte, gestikulierten seine Leibwächter irritiert
angesichts der ungewohnten Volksnähe. Bis einer von ihnen seufzte: »So was gibt
es bei uns nicht.« Die Geschichte vom irritierten Gryslow erzählen sie sich gern
im Brechalowka.
Auch Abchasiens De-facto-Außenminister Sergej
Schamba ist für Überraschungen gut: 15 Minuten nach der Anfrage sitzt er schon
zum Interview bereit. Er hat nicht nur Zeit, sondern vor allem eine Botschaft:
Hört auf uns! Erfahrt, wer wir sind! »Wir orientieren uns nach Europa«, sagt
Schamba, »und wir haben die Mentalität eines zivilisierten europäischen Staates.
Bei uns ist die Opposition schon mal durch Wahlen an die Macht gekommen.« In
Georgien, vom Westen als »Leuchtturm der Demokratie« gepriesen, sei dies dagegen
noch nie der Fall gewesen.
Schamba, Historiker und promovierter Archäologe,
ist kein typischer Vertreter der politischen Klasse Abchasiens. Ihm fehlt die
Sozialisierung als Komsomolze. Er hat die Welt im Blick behalten, als die
Abchasen durch die Grenzblockade in ihrem Land eingeschlossen waren, und mehr
gesehen als Georgien, Abchasien und Russland. Ein in Plastik gegossenes Stück
der Berliner Mauer hält er hoch und sagt: »Deutschland hat sich vereinigt.
Grenzen ändern sich. Man kann nicht sagen, dass Georgiens Staatsgebiet immer
gleich bleibt. Aber wenn man uns nicht nach Europa lässt, fahren wir eben nach
Russland.« Oder nach Lateinamerika, wohin Schamba eine Delegation auf Werbetour
geschickt hat. Er ist stolz auf seine Schar an jungen Mitarbeiter. Ein halbes
Stockwerk nimmt das Außenministerium im Regierungsgebäude ein. Auf dem Flur geht
es zu wie in einer Jugendherberge: Melodischer Rap tönt aus einem Arbeitszimmer,
Lachen und laute Stimmen sind zu hören. Schamba lächelt gelassen, als wolle er
sagen: Die Zeit arbeitet für Abchasien.
12.12.2009 ZEIT ONLINE
***
Abchasien wählt neuen Präsidenten
Die von Georgien abtrünnige Region Abchasien hat
erstmals nach dem Südkaukasuskrieg im August 2008 einen neuen Präsidenten
gewählt. Mit der Abstimmung will die Schwarzmeerregion ihre unter anderem von
Russland anerkannte Unabhängigkeit untermauern.
Die Wahlleitung
sprach Samstag von einer regen Beteiligung. Amtsinhaber Sergej Bagapsch (60)
zeigte sich siegessicher. Abchasien wähle nicht nur einen Führer, sondern auch
den künftigen Kurs des Landes als „souveräne Republik“, sagte Bagapsch nach
Angaben der Agentur Interfax. Erste Ergebnisse wurden für Sonntag erwartet.
Georgien, das in
dem fünftägigen Krieg mit Russland die Kontrolle über Abchasien verloren hatte,
nannte die Abstimmung eine Provokation und erklärte sie für ungültig. Die
Führung in Tiflis erhebt weiter Anspruch auf Abchasien sowie die ebenfalls
abtrünnige Region Südossetien. In Abchasien war ein Großaufgebot an
Sicherheitskräften im Einsatz, um Störungen der Wahl zu verhindern.
Russland hat als
Schutzmacht tausende Soldaten in Abchasien stationiert. Nach Berichten
georgischer Medien sollen die Militärangehörigen Wähler zur Abstimmung getrieben
haben. Die abchasische Führung in Suchumi wies diese Vorwürfe zurück.
Insgesamt konnten
die etwa 130 000 Berechtigten in Abchasien zwischen fünf Kandidaten wählen. Nach
Einschätzung von Beobachtern war nicht sicher, ob Bagapsch die Wahl im ersten
Durhcgang gewinnen kann. Seine Kontrahenten konnten vor allem die Kritik an den
sozialen Missständen sowie an der unterentwickelten Wirtschaft für sich in
Zustimmung ummünzen.
Gute Aussichten hat
laut Umfragen auch der frühere KGB-Geheimdienstler und Ex-Vizepräsident Raul
Chadschimba (51). Er unterlag bei der Wahl 2004 trotz Unterstützung des
damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Neben Russland haben auch Venezuela und
Nicaragua die Unabhängigkeit Abchasiens anerkannt. Dagegen sehen die EU und die
USA die abtrünnigen Gebiete weiter als Teile Georgiens. Im Unterschied zu
Südossetien strebt Abchasien keinen Anschluss an Russland an.
12.12.2009 FOCUS ONLINE
***
Georgiens abtrünnige Republik wählt neuen
Präsidenten
Theoretisch hat Abchasien alles, was es zum
internationalen Ferienparadies qualifizieren könnte. Doch die Lage in der
abtrünnigen Republik Georgiens ist gespannt – das wird durch die Wahl eines
neuen Präsidenten nicht besser.
- Zu den am heutigen Samstag
stattfindenden Präsidentenwahlen in Abchasien schickt Russland nur Beobachter
– aus guten Gründen. Während bei Wahlen in den Ex-Sowjetrepubliken und anderen
international anerkannten Staaten, Parlamentarier anrücken, überwacht in
Abchasien lediglich die Öffentliche Kammer – eine rein moralische
Kontrollinstanz ohne reale Befugnisse - Urnengang und Stimmauszählung. Denn
Tiflis wirft Moskau, das Georgiens abtrünnige Autonomien - Abchasien und
Südossetien – schon vor dem Krieg im August 2008 unterstützte und den Einwohnern
im Schnellwaschgang die russische Staatsbürgerschaft verpasste, die faktische
Annexion von Teilen seine Hoheitsgebietes vor. Der Westen sieht das ähnlich,
Nato und EU setzten ihre Zusammenarbeit mit Russland daher zeitweilig aus.
Um den mühevoll ausgehandelten Neustart der
Beziehungen nicht zu gefährden, hält Moskau sich mit provokanter Demonstration
seiner Macht in der Region derzeit zurück. Mehr noch: Präsident Dmitri Medwedew
bot Georgien trotz Fortbestehen politischer Differenzen dieser Tage sogar die
Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen an: Wiederaufnahme des direkten
Flugverkehrs, Öffnung des russischen Binnenmarktes für georgische Erzeugnisse
und gegenseitiger Verzicht auf Visa.
Das Nein aus Tiflis hatte Medwedew dabei
wohl einkalkuliert. Denn es befeuert die Unzufriedenheit der Georgier mit
Staatschef Michail Saakaschwili und damit russische Hoffnungen auf ein
vorzeitiges Ende von dessen Amtszeit. Auch hat der Wahlausgang keine
Konsequenzen für Moskaus Machtmonopol in Abchasien. Amtsinhaber Sergej Bagapsch
und dessen vier Herausforderer lehnen Saakaschwilis Drei-Stufen-Plan zur
Wiederherstellung der staatlichen Einheit Georgiens, der Abchasien wie
Südossetien ein Höchstmaß an Autonomie zugesteht, ab und stehen in Treue fest zu
Moskau. Zumal die kriegszerstörten Kurorte am Schwarzen Meer und die nach
Sotschi führende Bahnlinie mit russischer Hilfe und russischen Kapital
wiederaufgebaut wurden und Moskau auch den Haushalt der Separatisten großzügig
bezuschusst. Deren politischem Spielraum setzen auch mehrere Militärabkommen –
9000 russische Soldaten sind in der Region stationiert – enge Grenzen. Elke
Windisch
12.12.2009 tagesschau.de
***
Ein stolzes Signal der Unabhängigkeit
Palmenstrände, Mandarinenbäume, aber auch
Kriegsruinen prägen das Bild Abchasiens, dem von Georgien abtrünnigen Gebiet am
Schwarzen Meer. Dort wird heute ein neuer Präsident gewählt. Aber egal, wer
gewinnt, eines steht fest: Die Abchasen halten sich weiter an Russland, von
deren finanzieller und militärischer Unterstützung sie profitieren.
Von Christina Nagel, ARD-Studio Moskau
Fünf Kandidaten treten an. Doch nur zwei haben
aktuellen Umfragen zufolge gute Chancen im Kampf um das Präsidentenamt: Der
amtierende Präsident, Sergej Bagapsch und der frühere Premierminister und
derzeitige Oppositionsführer, Raul Chadschimba.
Wer auch immer das Rennen machen sollte, an zwei
Dingen werde sich nichts ändern, betonte Herausforderer Chadschimba jüngst in
einem Interview mit dem russischen Radiosender "Echo Moskwy": An der
Unabhängigkeit Abchasiens und an der außenpolitischen Ausrichtung. "Derjenige,
der die Wahl gewinnt, wird die Zusammenarbeit mit Russland und der russischen
Führung fortsetzen."
Eine Unabhängigkeit von Russlands Gnaden
Russland hat den Landstrich am Schwarzen Meer, der
nur halb so groß wie Schleswig-Holstein ist, nicht nur während der kriegerischen
Auseinandersetzungen mit Georgien unterstützt. Auch heute ist die
international nicht anerkannte Republik von Hilfen aus Russland abhängig. Daraus
macht Wirtschaftsministerin Christina Osgan keinen Hehl: "Die abchasischen
Rentner bekommen seit 2003 russische Renten. Jeden Monat werden für diesen Zweck
rund 100 Millionen Rubel aus Russland überwiesen. Jedes Jahr bekommen wir
außerdem eine finanzielle Unterstützung in Höhe von zwei Milliarden Rubel."
Letzteres sind umgerechnet mehr als 44 Millionen Euro.
Palmenstrände und Mandarinen
Abchasien hat seit Beginn der 90er Jahre unter
ständig neu aufflammenden Kämpfen mit Georgien gelitten. Die Folgen des Krieges,
Sanktionen von Seiten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) haben die
Wirtschaft des einst blühenden sowjetischen Urlaubsparadieses nachhaltig
geschädigt.
Das Gebiet ist aufgrund des subtropischen Klimas
und seiner Lage zwischen den Bergen des Kaukasus und dem Schwarzen Meer
attraktiv. Neben dem Tourismus gilt der Agrarsektor als Schlüsselbranche.
Angebaut werden Tabak, Tee, Wein und Obst.
Seit dem Ende des
August-Krieges im vergangenen Jahr gehe es langsam, aber sicher bergauf,
sagt Wirtschaftsministerin Osgan. Die
Anerkennung der Unabhängigkeit durch Russland, Nicaragua und Venezuela
bringe dem Land die lang vermisste Stabilität und Sicherheit zurück. Die
Abchasen trauen sich wieder zu investieren und die Touristen, mehrheitlich
Russen, hier Urlaub zu machen: "Mehr als 200 Kilometer Küste am Schwarzen Meer
sind eine wichtige Ressource, die man effektiv nutzen muss. Abchasien ist
außerdem ein recht alter Staat mit einer reichen Geschichte. Es gibt viele
historische Denkmäler, die für Touristen interessant und anziehend sind."
Offen für den Westen
In die Infrastruktur wird derzeit viel Geld
gesteckt. Auch hier spielen russische Investitionen eine große Rolle.
Grundsätzlich, betont Präsident Bagapsch, sei das Land aber offen für alle, auch
für den Westen: "Wir sagen ihnen ja nicht einmal, ihr müsst uns erst anerkennen.
Wir wissen, dass das nicht so schnell passieren wird. Wir sind bereit,
Wirtschaftsabkommen zu unterschreiben und gemeinsame Projekte zu entwickeln."
Auch zu den Wahlen seien westliche
Beobachter willkommen. Mit Kritik, sollte es welche geben, könne man umgehen,
betont die Regierung Abchasiens. Nur solle niemand erwarten, dass das Land
irgendwann einmal wieder Teil Georgiens werde. Abchasien sei und bleibe
unabhängig.
12.12.2009 tagesschau.de
***
Abstimmung zwischen Trümmern
Von Paul Flückiger,
Präsidentenwahl in Abchasien - 2008 erkämpfte Putin die Unabhängigkeit der
Abchasen von Georgien, doch nun kehren die Georgier zurück
Gali - Der
Fahrer flucht und tritt abrupt auf das Bremspedal. Schlaglöcher machen die Fahrt
auf der E 97 östlich der abchasischen Hauptstadt Suchumi zur Qual. Zur
russischen Grenze hin wird die Küstenstraße gerade neu geteert, je weiter es in
entgegengesetzter Richtung, nach Georgien, geht, desto schlechter wird die
Infrastruktur. Zerstörte Kombinate, ausgebrannte Schulen und bis auf die nackten
Wände geplünderte Wohnhäuser säumen die Straße. Das Handynetz funktioniert
selten, die Dörfer sind entvölkert, Häuser zerfallen.
Wie Hohn klingt im Osten von Suchumi die
Volkssage, wonach Gott die trinkenden und tanzenden Abchasen bei der
Landverteilung zuerst vergessen, ihnen dann aber das beste Stück überlassen
habe. Die Grenzprovinz Gali - oder Gal, wie die Abchasen sagen - muss weitab vom
Paradies liegen. Und dennoch ist sie eine der brisantesten Gegenden in einem
heftig umkämpften Land. Im August 2008 marschierte Russland in Georgien ein, um
die Südosseten und Abchasen zu schützen. Die gehörten damals noch zu Georgien,
wollten aber schon lange einen eigenen Staat. Die Nato stand aufseiten
Georgiens, und mancher fürchtete in jenen Tagen einen neuen kalten oder gar
einen heißen Krieg. Die Abchasen stehen seitdem unter Russlands Schutz und mühen
sich um staatlichen Alltag. Am heutigen Samstag finden Präsidentschaftswahlen
statt. Doch paradoxerweise leben heute in Abchasien wieder mehr der einst
verhassten Georgier - gerade in Gali.
Vizedistriktchef Maan Vahtang Umarowitsch ist
einer von offiziell nur 116 Abchasen in der Provinz. Nach eigenen Angaben hat er
etwa 40 000 Georgier unter seiner Obhut. Vom Zentralstaat werde er "sehr"
unterstützt, versichert Umarowitsch eilig. Sein Jahresbudget habe sich seit 2006
auf umgerechnet 620 000 Euro verdreifacht. Ein Kindergarten sei gebaut und die
Schule renoviert worden; auch das Kulturhaus habe man wieder eröffnet. Beim
Verlassen des schlichten Amtszimmers fallen die langen Schlangen ärmlich
angezogener Bittsteller im Treppenhaus auf, das Verwaltungsgebäude ist fast das
einzige intakte Gebäude hier.
Zehntausende von Georgiern haben die Region
während des Bürgerkrieges 1992 bis 1993 verlassen. Seitdem ist die Rückkehr der
Flüchtlinge nach Abchasien für Georgien und die internationale Gemeinschaft eine
Bewährungsprobe. Die um internationale Anerkennung buhlende Regierung in Suchumi
rühmt sich deshalb ihrer angeblich 70 000 Rückkehrer. Im abchasischen Wahlkampf
ist das Thema aber tabu.
Raul Chatschimba, der wichtigste Herausforderer
des amtierenden Präsidenten Sergej Bagapsch, hat sich auf dem Rücken der
georgischen Flüchtlinge politisches Profil verschafft. Im Parlament verhinderte
seine Fraktion im Juli die erleichterte Abgabe von abchasischen Pässen an die
Rückkehrer. Mit seinem nationalistischen Wahlkampf hat der langjährige
Stellvertreter Bagapschs viele Bürgerkriegsveteranen hinter sich gebracht. Als
dritter aussichtsreicher Kandidat gilt der Geschäftsmann Beslan Butba, der die
weitverbreitete Korruption anprangert. Er gilt als Außenseiter, alles spricht
für ein knappes Rennen zwischen dem Amtsinhaber und Chatschimba. Doch in Gali
könnte der Korruptionsbekämpfer Butba gut ankommen. Denn die meisten Rückkehrer
leben unter erbärmlichen Bedingungen. Shota Berandze etwa hauste 15 Jahre in
einem Kuhstall, bevor er aus Mitteln der schweizerischen Entwicklungsagentur ein
neues Dach bekam. Der heute 72-jährige Bauer hatte in der letzten Novembernacht
1993 eilends seinen Traktor beladen und war mit sieben Familienmitgliedern über
den Grenzfluss Inguri nach Georgien entkommen. Damals war der Bürgerkrieg schon
seit zwei Monaten vorbei, Abchasien hatte sich nach eigener Lesart selbst
befreit. "In Gali war es die ganze Zeit über ruhig gewesen, wir hatten keine
ethnischen Probleme, gekämpft wurde im Westen", erinnert sich Berandze. Doch als
er fünf Monate später das erste Mal in seinen Weiler zurückkam, fand er sein
Haus geplündert und niedergebrannt; viele Nachbarn waren tot. So gut es ging,
richtete er sich im einstigen Kuhstall ein, später siedelte auch seine Frau um.
Heute ist Berandze Witwer. "Dies ist mein Haus, hier will ich sterben", sagt er
und zeigt auf die Ruine seines stattlichen Wohnhauses. Ein schmiedeeisernes
Treppengeländer endet im Nichts, hinter einer zerzausten Palme gackern Hühner.
"Viele Flüchtlinge pendeln zwischen Georgien und Abchasien und richten ihr Haus
Zimmer um Zimmer wieder her, bis eines Tages die ganze Familie übersiedeln
kann", erzählt Dejan Deletic, der für eine dänische Hilfsorganisation arbeitet.
Inzwischen seien so viele georgische Kinder zurückgekehrt, dass es nicht genug
Georgisch sprechende Lehrer gebe.
Shota Berandzes Kinder kamen nicht zurück. Seine
elf Enkelkinder hat der Rentner zuletzt vor drei Jahren gesehen. Er habe zwar
die nötigen Genehmigungen, doch die Reise sei zu teuer. "Ich kann ja den Kindern
nicht einmal Geschenke mitbringen", sagt Berandze.
Die wenigen Fabriken in Gali stehen still. Kahle
Betonmauern ragen am Stadteingang in den Himmel, Sträucher wuchern aus den
Ritzen. Russische Truppen haben ein paar Zelte aufgestellt. Bald sollen sie auch
die Grenze zu Georgien sichern. Die Flüchtlinge bangen um ihre Reisefreiheit.
Sie ist ihnen wichtiger als die Frage, wer Präsident wird. Denn dass irgendein
Kandidat Kurs auf Georgien nehmen würde, glaubt hier niemand.
Kaum dunkelt es, entvölkert sich Gali. Schwere Karossen mit
getönten Scheiben kurven durch die Stadt - viele haben russische oder gar keine
Nummernschilder. Erst im Sommer wurden bei einer Schießerei auf dem Markt vier
Männer getötet. Nachts sollen Gebrauchtwagen über den Inguri ihren Weg nach
Abchasien finden. Vor dem Krieg hätten hier alle mit offenen Fenstern
geschlafen, sagt der alte Shota Berandze. Heute fürchte er sich vor der Nacht.
12.12.2009 WELT ONLINE
***
Die Ruhe vor der Wahl
Mit einer
Präsidentenwahl wollen die Abchasen ihren Anspruch auf Unabhängigkeit von
Georgien bekräftigen. Russland unterstützt das, der Westen hält die Wahl für
unrechtmäßig.
Die mit Abstand schönsten Strände an der ehemals
sowjetischen Schwarzmeerküste, andere Naturschönheiten, Reste antiker Siedlungen
und ein mildes Klima, in dem sogar Zitrusfrüchte gedeihen: Theoretisch hat
Abchasien alles, was es zum internationalen Ferienparadies bräuchte. Praktisch
wagen sich bisher nur krisenfeste Russen, angelockt auch von den konkurrenzlos
billigen Preisen, an die Traumstrände südlich von Sotschi, wo 2014 die
Olympischen Winterspiele stattfinden. Denn nominell gehört die 8600
Quadratkilometer große Region mit knapp 320 000 Einwohnern nach wie vor zu
Georgien, von dem sich die Separatisten 1993 nach blutigen Kämpfen lossagten.
Zwar erkannte Moskau die Region gleich nach den
Kämpfen mit Georgien im August 2008 offiziell an, Nicaragua und Venezuela
folgten dem Beispiel. Der Westen indes unterstützt Georgiens Bemühungen zur
Wiederherstellung seiner staatlichen Einheit und erklärte daher auch die heute
stattfindende Präsidentenwahl für ungesetzlich. Zumal die Kriegsflüchtlinge
nicht stimmberechtigt sind: rund 200 000 Georgier, von denen die Mehrheit zu
Sowjetzeiten von Tiflis in die damalige Autonomie zwangsumgesiedelt und nach der
Unabhängigkeit von den Separatisten vertrieben wurde. Ganze 100000 konnten
bisher zurückkehren.
Russland schickt zwar Beobachter, hat jedoch gute
Gründe, sich dabei auf rein formale Präsenz zu beschränken. Während bei Wahlen
in den früheren Sowjetrepubliken und anderen international anerkannten Staaten
Parlamentarier anrücken, überwacht in Abchasien lediglich die Öffentliche Kammer
– eine rein moralische Kontrollinstanz ohne reale Befugnisse – Urnengang und
Stimmauszählung. Tiflis wirft Moskau die faktische Annexion von Teilen seines
Hoheitsgebietes vor, zumal Russland Georgiens abtrünnige Autonomiegebiete
Abchasien und Südossetien schon vor dem Augustkrieg unterstützte und den
Einwohnern im Schnellwaschgang die russische Staatsbürgerschaft verpasste. Der
Westen sieht das ähnlich.
Nato und EU setzten ihre Zusammenarbeit mit
Russland daher zeitweilig aus. Um den mühevoll ausgehandelten Neustart der
Beziehungen nicht zu gefährden, hält Moskau sich mit provokanter Demonstration
seiner Macht in der Region derzeit zurück. Mehr noch: Präsident Dmitri Medwedew
bot Georgien trotz Fortbestehens politischer Differenzen dieser Tage sogar die
Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen an: Wiederaufnahme des direkten
Flugverkehrs, Öffnung des russischen Binnenmarktes für georgische Erzeugnisse
und gegenseitiger Verzicht auf Visa. Das Nein aus Tiflis hatte der
Kremlherrscher dabei wohl einkalkuliert. Denn es befeuert die Unzufriedenheit
der Georgier mit Staatschef Michail Saakaschwili und damit auch russische
Hoffnungen auf ein vorzeitiges Ende von dessen Amtszeit.
Alle Kandidaten stehen in Treue fest zu Moskau
Auch hat der Ausgang der Wahl keine Konsequenzen
für Moskaus Machtmonopol in Abchasien: Amtsinhaber Sergej Bagapsch und seine
vier Herausforderer lehnen Saakaschwilis Drei-Stufen-Plan zur Wiederherstellung
der staatlichen Einheit Georgiens, der Abchasien wie Südossetien ein Höchstmaß
an Autonomie zugesteht, ab und stehen in Treue fest zu Moskau. Zumal die
Kriegszerstörten Kurorte am Schwarzen Meer und die nach Sotschi führende
Bahnlinie mit russischer Hilfe wiederaufgebaut wurden und Moskau auch den
Haushalt der Separatisten großzügig bezuschusst. Deren politischem Spielraum
setzen schließlich Abkommen über militärischen Beistand und die Stationierung
von bis zu 9000 russischen Soldaten enge Grenzen.
Anders als Südossetien, dessen Ziel die
Wiedervereinigung mit der russischen Teilrepublik Nordossetien ist, favorisiert
Abchasien ein reines Assoziierungsabkommen mit Moskau und will dessen Monopol
längerfristig auch durch Wirtschaftskontakte zu anderen Staaten der Region
aufweichen. Vor allem zur Türkei, wo eine starke, gut betuchte abchasische
Minderheit in den Startlöchern sitzt.
12.12.2009 Badische Zeitung
***
F.A.Z. Abchasien fürchtet einen Ausverkauf an
Russland
F.A.Z.: Viele in Abchasien hätten gerne einen
"Eisernen Vorhang" zwischen sich und Georgien, sind aber auf Zusammenarbeit mit
Georgien angewiesen und fürchten zugleich den Ausverkauf an Russland.
Fast alle führenden abchasischen Politiker wurden
es begrüßen, wenn an der Grenze zu Georgien ein "Eiserner Vorhang" entsteht.
Politiker behaupten, dass ihrem "Staat" nichts anderes übrig bleibe, als sich
gegen das feindliche Georgien wehrhaft abzuschotten - und in diesem Punkt sind
sie sich weitgehend einig mit Amtsinhaber Sergej Bagapsch, der für eine weitere
Amtszeit antritt. Doch die verfeindeten Abchasen und Georgier sind über die
Grenze hinweg aufeinander angewiesen.
Präsident Bagapsch setzt auf russische
Unterstützung: Die russische Staatsbahn soll das abchasische Bahnnetz reparieren
und ausbauen und es im Gegenzug für ein Jahrzehnt betreiben dürfen. Auch den
russischen Vorschlag, sich an der Reparatur und der Modernisierung des
Inguri-Wasserkraftwerks zu beteiligen, will er ernsthaft erwägen - vielleicht
könne man einem russischen Unternehmen sogar für einige Zeit den Betrieb
überlassen.
Die Herausforderer Bagapschs reden davon, dass der Ausverkauf
Abchasiens an Russland drohe. Bagapsch hält den Vorwurf des Ausverkaufs an
Russland für Wahlkampfgerede - einmal an der Macht, hätten auch Chadschimba,
Butba oder Ardsinba keine andere Wahl, als russisches Geld anzunehmen, da der
Westen ja nicht helfe.
08.12.2009 RIA Novosti
***
EU weigert sich Südossetien und
Abchasien anzuerkennen
Die Europäische Union (EU) ist nicht gewillt, die
Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens anzuerkennen.
Das erklärte EU-Missionschef Hansjörg Haber am
Donnerstag auf einer Pressekonferenz in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Am
selben Tag war eine EU-Delegation zu einem viertägigen Besuch in Georgien
eingetroffen, um sich über die Tätigkeit der EU-Mission und über die politische
Sistuation im Land vor Ort zu informieren.
Haber bemängelte, dass die EU-Beobachter keinen
Zugang zum Territorium Abchasiens und Südossetiens haben. “Aber die wichtigste
Garantie für Georgien ist unsere Politik der Nichtanerkennung, die wir
fortsetzen werden. Das ist ein wichtiger diplomatischer Fakt”, sagte Haber.
Im Fall der serbischen Provinz Kosovo zögerte die EU, wie auch
die Schweiz, nicht. Auf massiven Druck der USA wurde deren Anerkennung in den
grössten US-Vasallenstaaten innerhalb von 30 Tagen völkerrechtswidrig
abgesegnet.Den USA gelang es so, den ersten islamischen Staat auf europäischem
Boden zu installieren.
13.11.2009 SCHWEIZ MAGAZIN
***
Besuch in einem Land, das es eigentlich nicht gibt
Abchasien in den starken Armen Russlands
2008 hat sich die abtrünnige georgische Provinz Abchasien für unabhängig
erklärt. Restlos glücklich sind die Abchasen mit ihrer neuen Freiheit nicht.
Klaus-Helge Donath, Suchumi
Hoch über Suchumi, hinter einer subtropischen
Pflanzenwelt, findet sich einer der Belege, warum die Republik Abchasien längst
ein souveräner Staat ist. Und dies auch zu Recht verdient, wie das zumindest die
Mitarbeiter des Instituts für Experimentelle Pathologie sehen, das hier
beheimatet ist. Nach dem Sezessionskrieg gegen Georgien von 1992 bis 1993
verhängte die internationale Gemeinschaft einen Bann über die
Schwarzmeer-Republik. Das Institut forschte trotzdem weiter. «Wir bauen einen
neuen Staat, und dafür sind Universität und Wissenschaft unerlässlich», sagt
Institutsdirektor Wladimir Barkaja.
Kriegsgeschädigte Paviane
Zwar fehlten Mittel, und die internationale
Wissenschaftsgemeinde ging auch auf Distanz zu dem Paria. Das Institut gab
jedoch nicht auf. Von kostspieliger Immunologie-Forschung stellte es auf Studien
zur posttraumatischen Krisenbewältigung bei Pavianen um, die man hier seither in
Käfigen hält. Auch die Primaten litten infolge des Krieges an Depressionen und
wollten sich partout nicht paaren. «Mit der veränderten Sicherheitslage kehrt
das Verlangen allmählich zurück», schmunzelt Direktor Barkaja.
Moskau hat der Mandarinen-Republik, die einst die
Sowjetunion mit Südfrüchten versorgte, nach einem Blitzkrieg gegen Georgien im
Sommer 2008 die Unabhängigkeit geschenkt. Der Westen protestierte, und die Uno
versagte dem Neuling die Anerkennung. Für die Abchasen begann unterdessen eine
neue Zeitrechnung. «Seither müssen wir keine Angst mehr haben, nach siebzehn
Jahren Ungewissheit kann endlich der Wiederaufbau beginnen», sagt der
Menschenrechtler und Abgeordnete Batal Kobachija. Ein neues Beistandsabkommen,
das Russland und Abchasien letztes Jahr schlossen, markiere für die meisten
Abchasen die Stunde null.
«Moskau übernimmt die Sicherung unserer Grenzen.
Krieg gegen Abchasien bedeutet Krieg mit Russland», meint Sergei Schamba. «Das
gibt einem doch gleich ein ganz anderes Gefühl.» Schamba ist seit mehr als einem
Jahrzehnt Aussenminister. Der Anerkennung durch Moskau folgte jene Nicaraguas,
und auch die Hamas aus dem Gazastreifen zögerte nicht lange. Zuletzt hiess der
Venezolaner Hugo Chávez den neuen Staat willkommen.
Das Aussenministerium ist in einem Flügel des
Ministerrats untergebracht, es kommt mit ein paar Räumen auf einer Etage aus.
Der junge Staat begnügt sich noch mit dem kargen Interieur aus dem Nachlass
sowjetischer Amtsstuben. Untätig blieb das Aussenministerium indes auch in den
Zeiten der Isolation nicht. Über die Unpo, die Unrepresented Nations and Peoples
Organization, stellte Apsny, wie sich Abchasien in der Landessprache nennt,
Kontakt zur Aussenwelt her. Regelmässig treffen sich in dieser von Abchasien
mitbegründeten Gruppe die Vertreter von Völkern wie den Rehoboth Basters aus
Namibia, der Buffalo River Dene Nation in Kanada oder den laotischen Hmong zu
Vollversammlungen.
Zweierlei Mass des Westens
«Wir wollen eine mehrgleisige Aussenpolitik», sagt
Schamba. Der Westen messe jedoch mit zweierlei Mass. Er anerkenne Kosovo,
spreche aber Abchasien das gleiche Recht ab. «Dabei unterscheidet uns nur eines,
wir sind Verbündete Russlands.» Gerade die Verweigerung treibe Abchasien in die
Arme Moskaus.
Auf der Strasse sehen es die Menschen ähnlich. Sie
gehen damit inzwischen gelassen um. Der Rückhalt Russlands, davon sind die
meisten überzeugt, habe unwiderrufliche Tatsachen geschaffen. Über alle
politischen Gräben hinweg wird am gesellschaftlichen Grundkonsens nicht
gerüttelt: Russland ist Garantiemacht, und kein Weg führt zurück nach Georgien.
Eine Rückkehr der 250 000 aus Abchasien vertriebenen Georgier ist in Suchumi
kein Thema. Die Abchasen denken in grösseren Zeiträumen. Dass sie nach mehr als
tausend Jahren wieder in einem eigenen Staat leben, bestärkt sie in dem Glauben,
zu guter Letzt die Geschichte doch als Bundesgenossen zu haben.
Die Risiken, die mit dem übermächtigen Nachbarn
als Geburtshelfer und Schutzmacht verknüpft sind, werden nicht verschwiegen. Vom
selbständigen Staat am Tropf zum Protektorat ist es nicht weit. Zumal die
gemeinsame Geschichte mit dem Schutzpatron nie eine wirklich ungetrübte
Liebesbeziehung war. Nach dem kaukasischen Krieg im 19. Jahrhundert flohen
Hunderttausende von Abchasen vor den russischen Kolonisatoren in die Türkei. Und
erst die Sowjetisierung im 20. Jahrhundert, die das einstige stolze Bergvolk
seiner Selbstbestimmung beraubte, schuf den Konflikt mit den Georgiern mit
seiner heutigen Unversöhnlichkeit.
«Wir sind Russland für die Unterstützung dankbar,
aber ob sie selbstlos war?» Inal Chaschig kommt ins Grübeln. «Unsere Interessen
decken sich zurzeit», meint der Chefredaktor der oppositionellen «Tschegemer
Prawda». «Da wir nicht wissen, wie Russland in einigen Jahren zu unserer
Freiheit steht, müssen wir die Beziehungen juristisch schnellstens festklopfen.»
Viele befürchten, Russland könnte die einstige sowjetische Riviera aufkaufen.
25.10.2009 NZZ Online
***
Abchasien, Russland und Ruinen
Im Bund mit der Geschichte
Noch prägen Ruinen das Bild der Hauptstadt
Suchumi, doch in den Cafés herrscht eine erstaunliche Weltoffenheit. Russland
ist die Garantiemacht, und kein Weg führt zurück nach Georgien.
Von Klaus-Helge Donath
"Sie sollen sich gefälligst an uns wenden", zischt
Sergei Schamba ins Telefon. Wieder war eine Beschwerde beim abchasischen
Außenministerium eingegangen. Auf dem Umweg über Moskau allerdings. Eine
Delegation aus Europa wartet auf die Einreise in den subtropischen Landstreifen
am Schwarzen Meer. Den Visumantrag stellte sie in Moskau. "Die Europäer tun so,
als gäbe es uns nicht, mal fragen sie in Moskau, mal in Tiflis an", meint
Außenminister Schamba verärgert. Solche Fälle bleiben in der Visaabteilung der
Republik Abchasien natürlich unbearbeitet liegen.
Nach Lesart der Abchasen ist "Apsny", wie sich das
junge Staatswesen in der Landessprache nennt, längst ein Subjekt der
internationalen Staatenwelt. Russland schenkte dem von Georgien abtrünnigen
Sonnenflecken vor einem Jahr die Souveränität. Nicaragua folgte mit der
Anerkennung auf dem Fuße und auch die Hamas im Gazastreifen zögerte nicht lange.
Als Letzter hieß der Venezolaner Hugo Chávez die Mandarinenrepublik willkommen.
Das baut auf, nutzt aber nicht viel. Mit den Freunden in Übersee, gesteht
Schamba freimütig, gäbe es bislang wenige Überschneidungen. Moskau vertritt
Apsnys Interessen im karibischen Raum.
Das Außenministerium ist in einem Flügel des
Ministerrats untergebracht, es kommt mit ein paar Räumen auf einer Etage aus.
Bescheiden geht es zu, der junge Staat gönnt sich keinen Luxus. Noch begnügt er
sich mit dem kargen Interieur aus dem Nachlass sowjetischer Amtsstuben. Es ist
der Preis für den selbst gewählten, 17 Jahre währenden Ausschluss aus dem Kreis
der souveränen Staaten. Nach dem Sezessionskrieg gegen Georgien 1992/93 machte
die Geschichte einen Bogen um den von der Natur verwöhnten Küstenstreifen. Die
selbsternannte Republik sah sich zum Nichtstun verurteilt.
Wie zum Trotz schuf sich Apsny ein paralleles
Universum, von dessen Existenz die Staatenwelt kaum etwas ahnte. Über die Unpo (Unrepresented
Nations and Proples Organisation) stellte Abchasien Kontakt zur Außenwelt her.
Hinter dem Kürzel verbirgt sich die über den Erdball verstreute Familie der
nicht repräsentierten Völker. Nach dem Vorbild der UNO legte sich auch die Unpo
Generalsekretär und Sicherheitsrat zu. Regelmäßig treffen sich die Beauftragten
fürs Auswärtige solcher Ethnien wie der Rehoboth Basters aus Namibia, der
Buffalo River Dene Nation, der laotischen Hmony oder der im Grenzgebiet zwischen
Pakistan und Kaschmir beheimateten Gilgit-Baltistan zu Vollversammlungen.
Unpo-Mitbegründer war Schambas Vize Maxim Gwindschija.
Riskante Schutzmacht
Dass Russland als Geburtshelfer und Schutzmacht
auftritt, birgt Risiken. Vom selbständigen Staat am Tropf zum Protektorat ist es
nicht weit. Zumal die gemeinsame Geschichte mit dem Schutzpatron nie eine
wirklich ungetrübte Liebesbeziehung war. Nach dem kaukasischen Krieg im 19.
Jahrhundert flohen hunderttausende Abchasen vor den russischen Kolonisatoren in
die Türkei. Um die Nachfahren dieser Flüchtlinge wirbt Suchumi heute. Noch
übersäen Kriegsnarben das Stadtbild. Das Amt für Repatriierung in der
Sacharowstraße jedoch wurde schmuck wieder hergerichtet.
Neben dem gewienerten Messingschild ziert
Abchasiens bunte Flagge die blendend weiße Fassade. "Viele Landsleute aus der
Türkei haben Interesse und erkundigen sich", erzählt Denis, der vor 17 Jahren
der Diaspora den Rücken kehrte und als Freiwilliger am Unabhängigkeitskrieg
teilnahm. Nur ein Bruchteil geht das Wagnis aber auch ein, in die Heimat der
Vorväter zurückzukehren. Die meisten lassen sich von der wirtschaftlichen
Rückständigkeit und der ungewissen politischen Zukunft dann doch abschrecken,
vermutet Denis. Wenn sie schon nicht bleiben, möchte man sie wenigstens als
Investoren gewinnen. Schon um ein Gegenwicht zum russischen Kapital zu schaffen,
das nur zu gern die einstige sowjetische Riviera aufkaufen würde. Noch immer
klingt den Abchasen Wladimir Putins Sottise in den Ohren, der zu Besuch in
Suchumi sinngemäß gesagt haben soll: Der Westen ignoriert euch, dann kaufen wir,
und wenn er aufwachen sollte, verkaufen wir teuer weiter. "Putin sei Dank für
die Offenheit, lustig fanden wir es nicht", sagt Inal Chaschig, der
Chefredakteur der Tschegemer Prawda.
Noch können Ausländer keine Immobilien erwerben.
"Wir sind Russland für die Unterstützung dankbar, aber ob sie selbstlos war …"
Chaschig kommt ins Grübeln. "Zurzeit decken sich unsere Interessen", meint er
nüchtern. Die Beziehungen zu Russland müssten so schnell wie möglich juristisch
festgeklopft werden. "Wer weiß, wie Moskau in einigen Jahren zu unserer Freiheit
steht?"
Der Ort Tschegem, der dem Blatt den Namen gab, ist
auf keiner Landkarte zu finden. Mit der Figur des Sandro aus dem Bergdorf
Tschegem schuf der berühmteste Schriftsteller des Landes Fasil Iskander ein
modernes abchasisches Epos des 20. Jahrhunderts. Sandro, der bäuerliche Held,
ist eine Mischung aus Don Quijote und Schwejk. Seine Geschichten sind die
Geschichte eines Untergangs. Iskander beschreibt, wie die Sowjetisierung die
Bergbauernkultur zerstörte und die Gebirgler nötigte, in die Ebene zu ziehen.
Dort, im ethnischen Schmelztiegel, waren sie nicht mehr die Herren im Hause. Vor
diesem Hintergrund erscheint der Konflikt mit Georgien als eine unausweichliche
Fortschreibung derselben Passionsgeschichte.
Chaschig ist ein Vertreter der jungen Intelligenz
und bekannt wie ein bunter Hund. Während des Gesprächs schüttelt der umtriebige
Mittdreißiger unentwegt Hände. Es sind Leute wie er und der Menschenrechtler
Bartal Kobachija, die viel dafür getan haben, dass Abchasien nach dem Krieg
nicht auf den Abweg dumpfer Bauerntümelei geriet. Trotz Isolation bewahrten sich
die Intellektuellen eine erstaunliche Weltoffenheit.
Chaschigs Stammcafé liegt einen Steinwurf vom
Außenministerium entfernt und ist der wichtigste Umschlagplatz für Nachrichten.
Wer informiert sein will, schaut wenigstens einmal am Tag auf einen türkischen
Kaffee vorbei. "Ostkaffee" heißt der hier. Wie ein Wunder haben die uralten
Palmen an der Promenade die Kriegswirren überstanden, auch der üppige Oleander
entfaltet die alte Pracht. Früher stieß gelegentlich noch der Präsident der
Republik, Sergei Bagapsch, dazu. Mit der Souveränität ist das innenpolitische
Mikroklima rauer geworden. Für Außenstehende sieht es dennoch so aus, als träfe
sich eine weitläufige Verwandtschaft zur Familienfeier. Natürlich trügt die
Idylle. Verwerfungen und Probleme gibt es zuhauf.
Vertrackte Verhältnisse
Bei den Tributleistungen fängt der Streit an.
Gegner werfen dem Präsidenten vor, den Nachbarn eilfertig und über Gebühr
belohnt zu haben. Neben langjährigen Nutzungsrechten an der Eisenbahn erhielt
der Ölkonzern Rosneft die alleinige Lizenz zur Ausbeutung der Ölvorkommen vor
der Küste. Dabei sei die ökologische Belastung nicht bedacht worden, moniert die
Opposition. Für Abchasien, das auf den Tourismus angewiesen ist und sich von
russischen Zuwendungen abnabeln möchte, ist dies lebenswichtig.
Ins Fadenkreuz geriet auch das
Stationierungsabkommen. Die russischen Truppen sind als Sicherheitsgaranten über
alle politischen Gräben hinweg willkommen. Das neue Beistandsabkommen markiere
für die meisten Menschen die Stunde null, meint Batal Kobachija. "Wir müssen
keine Angst mehr haben und können endlich den Wiederaufbau angehen." Die
Erleichterung ist nicht gespielt. Ausgerechnet Expremier Raul Chadschimba legt
den Finger auf die Wunde.
Bei den letzten Präsidentschaftswahlen stellte ihn
Wladimir Putin dem eigenständigeren Bagapsch noch als Aufpasser zur Seite. Von
Beruf sei er Jurist, von Berufung aber KGB-Mann, scherzt Chadschimba im
Gespräch. "Die Armee errichtet einen Staat im Staate", behauptet er. Sei das
etwa Souveränität, wenn sich die russischen Streitkräfte nicht an abchasische
Spielregeln halten müssten? Kaukasische Verhältnisse, vertrackt wie sie sind.
Die Unstimmigkeit rüttelt aber nicht am
gesellschaftlichen Grundkonsens: Russland ist die Garantiemacht, und kein Weg
führt jemals zurück nach Georgien. Auch die Rückkehr der 250.000 georgischen
Flüchtlinge ist ein Tabu. Egal, was die internationale Gemeinschaft davon halten
mag.
An diesem Tag steht aber nicht die Politik im
Vordergrund. Bei den Weltmeisterschaften im Freistilringen holte der Abchase
Denis Zargusch den Titel. Rechtzeitig zum 16. Jahrestags des Sieges über
Georgien. Der Zeitungsverkäufer am Platz der Freiheit wirbt mit dem Landsmann.
Nur eins schmälere den Triumph, gesteht der Ringer: Er errang den Titel für
Russland, nicht für Abchasien.
Die Abchasen denken in größeren Zeiträumen. Dass
sie nach mehr als tausend Jahren wieder in einem eigenen Staat leben, bestärkt
sie in dem Glauben, zu guter Letzt die Geschichte doch als natürlichen
Bundesgenossen auf ihrer Seite zu haben. Apropos Historie. Geschichte und
Archäologie haben den Rang von Königswissenschaften. Allein vier Institute
widmen sich der Vergangenheit. Deren Kenntnis fördert auch die politische
Karriere.
Sergei Schamba ist nur einer von vielen
promovierten Archäologen unter den Politikern. Als er die schon etwas
holzstichige Arbeit zur"politischen und kulturellen Situation des antiken und
mittelalterlichen Abchasiens anhand von Erkenntnissen der Archäologie und
Numismatik" aus dem Schreibtisch hervorholt, leuchten seine Augen. Das Gespräch
entspannt sich. "Glauben Sie mir, wir wollen eine mehrgleisige Außenpolitik
fahren", sagt er zum Abschied. Der Wachmann im Ministerrat hebt beim Verlassen
kurz den Kopf. Er ist in die Tschegemer Prawda vertieft, Chaschigs
Oppositionsblatt. In Suchumi weht ein anderer Wind als in Moskau.
20.10.2009 taz.de
***
Einsam am Schwarzen Meer
Von Paul Flückiger,
Das von Georgien abtrünnige Abchasien ist seit 17 Jahren isoliert. Die
Anerkennung durch Moskau hat daran nichts geändert. In der Bevölkerung macht
sich erster Unmut über den großen Bruder Russland breit in Suchumi.
Eine Barke driftet
im Meer. Sie trägt eine junge Frau mit einem Säugling an der
Brust. Dann zerreißt das hellblaue Tuch und zu pathetischer Musik steigen
phönixgleich Dutzende von Tänzern vom Meeresgrund auf. Sie wirbeln über die
Bühne, kühn und stark. Als die Trommeln verstummen, erhebt sich das Saalpublikum
der Abchasischen Philharmonie zu stehenden Ovationen. "Das Volk muss seine
Geschichte kennen", erklärt Marina Muratowa nach der Aufführung. Viele Zuschauer
hätten danach Tränen in den Augen, doch das Leiden mache stark und
widerstandsfähig, sagt die Volkstänzerin.
Von Leid, Tränen und Widerstand sprechen die
Abchasen gern. 17 Jahre ist es her, seit ein Bürgerkrieg zwischen Abchasien und
Georgien den Landstrich am Südfuß des Kaukasus heimgesucht hat. Zu Sowjetzeiten
haben hier eine halbe Million Einwohner gelebt, auf einer Fläche, die der
dreifachen Größe des Saarlands entspricht. Heute sind es offiziell noch 215 000
Menschen, doch weniger als 100 000 davon sind Abchasen. Die übrige Bevölkerung
in der einstigen Sonnenstube der Sowjetunion besteht aus Armeniern (21 Prozent),
Georgiern (19), Russen (11) und weiteren Minderheiten. Zehntausende von
georgischen Flüchtlingen können oder wollen nicht zurückkehren, viele warten vor
allem in Russland auf bessere Zeiten.
Im Schwarzmeerkurort Gagra sind diese bereits
angebrochen: Rund eine Million sonnenhungrige Russen haben das Städtchen und
seine günstigen Hotels in diesem Jahr schon besucht. Der Strand ist hier frei
zugänglich, die Preise viel niedriger als im russischen Nachbarort Sotschi. Und
praktischerweise hat Abchasien bei seiner Unabhängigkeitserklärung vor zehn
Jahren den russischen Rubel als Währung angenommen. Hinzu kommt der bezaubernd
südländische Charme der lokalen Bevölkerung. Der Preis, den Touristen dafür
zahlen, ist jedoch ein Blick auf zerbombte Sanatorien, ausgebrannte Restaurants
und vor sich hin siechende Renovationsruinen. Auch 16 Jahre nach dem Ende des
"Vaterländischen Krieges für die Unabhängigkeit", wie der Waffengang in
Abchasien heißt, fehlt das Vertrauen von Investoren.
"Die Anerkennung durch Russland hat die Lage
stabilisiert", sagt der abchasische Vize-Präsident Wjatscheslaw Chirikba beim
Gespräch in der Hauptstadt Suchum (georgisch: Suchumi). "Seit das Vertrauen da
ist, dass morgen nicht gleich wieder Krieg herrscht, ist im Volk der
Gründergeist erwacht." Moskau hatte Abchasien Ende August 2008 zusammen mit
Südossetien anerkannt - als Antwort auf den Georgienkrieg. Eine Woche später
folgte Nicaragua, ein Jahr darauf Venezuela.
Abchasien steht weiterhin isoliert da, zumal sich
Georgien mit Händen und Füßen gegen die internationale Anerkennung des
Landstrichs wehrt, der seit Stalins Machtspruch im Jahr 1931 sein integraler
Bestandteil war. Das nach Legitimation suchende Abchasien hingegen stützt sich
auf die Episode zuvor, als es zehn Jahre lang eine eigene Sowjetrepublik war.
"Grenzen, Staaten, Republiken, was interessiert
mich denn das?", fragt der Schuhmacher Schora und blickt verächtlich zu Boden.
Der Krieg sei Sache der Obrigkeit gewesen, das gemeine Volk habe immer schon
gelitten. Schora ist Armenier, seine Bude liegt unweit des zentralen Marktes von
Suchrum. Einst war er Mechaniker, doch seit dem Bürgerkrieg von 1992/93 sind
fast alle Kombinate geschlossen. Gleich um die Ecke, erzählt er, seien zu
Sowjetzeiten Raketenteile gefertigt worden: "Spitzentechnik! Alles kaputt!"
Heute klaffen leere Fensterhöhlen in den Obergeschossen, inmitten der
unverputzten Mauern im Parterre hat sich eine Art Einkaufszentrum eingenistet.
Auf dem nahen Markt sucht man vergeblich nach georgischen Produkten. Russische
Lebensmittel und türkische Kosmetika sind hier zu haben, chinesische Elektronik,
Textilien aus Vietnam. Die Waren werden über den Grenzübergang Adler via
Russland eingeführt. Laut offizieller Statistik lag die abchasische
Handelsbilanz 2008 bei minus 5,3 Milliarden Rubel (125 Millionen Euro). Der
Import überflügelte den Export (vor allem Zitrusfrüchte und Nüsse) um mehr als
das Sechsfache. Nicht eingerechnet ist der kleine Grenzhandel. Igor zum Beispiel
fährt zweimal monatlich zu Verwandten nach Sotschi und kauft dort billig ein.
Wie alle Reisenden muss er die Grenze zu Fuß überqueren. "Wenn es regnet, stehen
wir stundenlang ohne Dach, scheint die Sonne, schmelzen wir fast. Behandelt man
so einem Freund?", fragt der 60-Jährige bitter.
Im abchasischen Außenministerium macht man
technische Probleme auf russischer Seite für diese Misere verantwortlich. Alles
werde besser, sobald zusätzliche Brücken über den Grenzfluss Psou gebaut seien,
erklärt Außenminister Sergej Schamba. Doch die junge Diplomatin Lana Agrba
klagt, dass zwar nahezu alle Abchasen russische Pässe besäßen, diese jedoch als
Sonderserie für Auslandsrussen ausgestellt seien. Über die Rubrik "Geburtsort"
sei ein Abchase immer als solcher erkennbar. Ihre internationalen Missionen
würden dadurch enorm erschwert.
Über Russland will dennoch kein Offizieller ein
böses Wort verlieren. Selbst in heiterer Runde in einem Lokal unweit des mit
Werbeplakaten umhüllten, ausgebombten Nobelhotels "Abchasia" ist nur in den
Zwischentönen leise Kritik zu vernehmen. Die Anerkennung der abchasischen
Unabhängigkeit müsste doch im Interesse der EU liegen, sagt etwa Vize-Präsident
Chirikba, andernfalls würde Abchasien nur in die Hände Russlands getrieben.
Moskau habe gemerkt, wie heikel es sei, in Suchum imperial aufzutreten, erklärt
der zweite Mann im Staat, deshalb halte es sich heute zurück. Davon, dass
Abchasien sich 1992/93 selbst von der georgischen Übermacht befreit habe, ist
hier drinnen jeder genauso überzeugt wie draußen in den düsteren, löchrigen
Straßen Suchums. Im unweit gelegenen Hafen ankert derweil ein Patrouillenboot
der russischen Kriegsmarine, die seit Ende September die abchasischen
Küstengewässer sichert. Zuvor hatten georgische Kriegsschiffe mehrere Frachter
aufgebracht.
Man könne geduldig auf weitere Anerkennungen
warten, heißt es im Außenministerium, einem schlichten Verwaltungsgebäude aus
der Sowjetzeit. "Natürlich hätten wir gerne die der EU und der Türkei, weil sie
Nachbarn sind, aber leider sind sie nicht unabhängig genug von den USA", erklärt
Außenminister Schamba mit düsterem Blick. Die Amerikaner rüsteten weiterhin die
georgische Armee aus. Deshalb werde man die Fühler einstweilen eher in Richtung
Nahost und Lateinamerika ausstrecken müssen.
Mit Georgien in einem Boot sitzen will in
Abchasien jedenfalls niemand mehr. Selbst der Oppositionspolitiker Gennadi
Alamia erklärt in einem der vielen Kaffeehäuser an der Lakoba-Straße, eine
Rückkehr sei ausgeschlossen. Was Alamia knapp zwei Monate vor den
Präsidentenwahlen umtreibt, ist vielmehr die angebliche Russenhörigkeit der
abchasischen Regierung. "Wir wollen kein Teil der Russischen Föderation werden",
regt sich Alamia auf und belegt dies mit unklaren Wirtschaftsverträgen, die die
abchasische Eigenstaatlichkeit verletzen sollen. So sei die abchasische
Eisenbahn einfach für fünf Jahre de facto in die Russische Eisenbahn
eingegliedert worden.
Auf dem Bahnhof von Suchum hat mittlerweile das
Unkraut den einzigen Bahnsteig erobert. Zwei ältere Frauen jäten gemächlich
zwischen den rostigen Gleisen; für den alle paar Tage verkehrenden
Suchumi-Moskau-Express sind noch viele Fahrkarten zu haben. Sie kosten 4600
Rubel (110 Euro) - ein abchasischer Durchschnittslohn.
18.10.2009 WELT ONLINE
***
Die ABC-Republik
Von Alexander Smoltczyk
Abchasien, ein
Bastardstaat der Weltgemeinde, wurde vor einem Jahr von Russland
anerkannt. Es liegt geopolitisch brisant, jederzeit einsetzbar als
Kriegsgrund zwischen altem Osten und neuem Westen. Was passiert, wenn
eine Nation versucht, sich selbst zu erfinden?
Sie können
schreiben, was Sie wollen. Aber ...", sagt der Ministerpräsident, "...
bitte lachen Sie nicht über uns." Alexander Ankwab füllt die
Cognac-Gläser. "Auf die Freiheit!"
Wenige Wochen
zuvor ist eine Bazooka auf den Dienstwagen des abchasischen
Regierungschefs abgefeuert worden. Er sei wohl jemandem zu nahe
getreten, sagt Ankwab: "Es war der vierte Anschlag. Aber noch lebe ich.
Auch Abchasien lebt noch, oder?"
Alexander Ankwab
ist Ministerpräsident eines Landes, in dem die Städte Pzyb, Gwylrypsch
oder Gjatschrypsch heißen. Und das - "bisher!" - diplomatische
Beziehungen nur zu Russland und Nicaragua unterhält. Und zum
Gaza-Streifen, aber der zählt derzeit nicht.
Die einzige
internationale Organisation, in der dieses Land repräsentiert ist, ist
die Organisation nichtrepräsentierter Nationen und Völker (Unpo), ein
Weltverband der Idealrepubliken und befreiten Zonen, der
Ethno-Minderheiten und Phantomstaaten.
Alexander Ankwab
wird von seinen Mitarbeitern "Anthony Hopkins" genannt, weil er aussieht
wie der britische Schauspieler. Aber Ministerpräsident Ankwab
schauspielert nicht. Er meint es ernst: "In zehn Jahren kann Abchasien
eine Art Monaco werden. Kein Investor stört sich an unserem Status.
Singapur wollte kürzlich gleich alles aufkaufen, Hotels, den Flughafen,
die Strände. Das ging uns zu schnell."
Abchasien liegt
im Kaukasus, dort, wo Europa langsam nach Asien hin ausläuft. Bis 1993
gehörte das Land zu Georgien. Seit es sich für souverän erklärt hat, ist
"Abchasien" der Versuch eines Landes, sich selbst zu erfinden. Als Staat
erinnert es manchen Realpolitiker an jene Leute, die plötzlich
beschließen, in einer Höhle im Stadtwald zu leben und eine eigene
Sprache zu sprechen.
Am 26. August
2008 hatten Abchasiens Ministerpräsident und seine Bürger ein
Robinson-Crusoe-Erlebnis. Sie waren nicht allein. Russland hatte
Abchasien anerkannt. Alexander Ankwab erfuhr davon aus dem Fernsehen.
Russland hatte gerade die abtrünnige georgische Provinz Südossetien
besetzt (beziehungsweise befreit), und die EU versuchte, zwischen
Russland und Georgien zu vermitteln. Da stellte sich der russische
Präsident vor die Kameras und verkündete, seine Regierung habe die
ebenfalls abtrünnige Provinz (beziehungsweise Nation) Abchasien
anerkannt, sicherheitshalber.
Damit ist
Abchasien eines der jüngsten Mitglieder der Staatengemeinschaft, wenn
auch nur ein Bastard. In diplomatischen Schriftsätzen wird es mit ABC
abgekürzt (das Kürzel Südossetiens lautet SOS).
Die ABC-Republik
hat keine eigene Währung, kann kein Geld drucken und auf dem Finanzmarkt
auch keine Kredite aufnehmen, weil es sie völkerrechtlich nicht gibt.
Für den Rest der Welt ist das Land nur eine größenwahnsinnige Provinz
Georgiens, mit so viel Einwohnern wie Kassel.
Nun brauchte
einen Abchasien nicht zu interessieren, wenn es nicht im Kaukasus läge,
in jener heißen Zone der geopolitischen Tektonik. Als sich dort vor
einem Jahr der Kaukasus-Krieg zwischen Russland und Georgien zuspitzte,
reiste der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier alarmiert nach
Suchumi. Und nicht, um mit Premierminister Ankwab Cognac zu trinken.
Abchasien ist diplomatisches Sudoku des höchsten Schwierigkeitsgrades,
ein jederzeit einsetzbarer Casus Belli zwischen altem Osten und neuem
Westen. Es gibt Experten, die sagen, der nächste europäische Krieg würde
irgendwo zwischen Krim und Kaukasusgebirge ausbrechen.
In der
Zwischenzeit ist Frieden. "Auf eure Kanzlerin! Auf die
deutsch-abchasische Freundschaft!" Mit diesen Worten überreicht Ankwab
Gastgeschenke. Teuer riechende Prospekte, einen Messing-Wimpel mit einer
wütenden Amazone, dem Staatswappen, eine Uhr mit der abchasischen
Nationalflagge, einer Handfläche vor grün-weißen Streifen. Es sind
Existenzbeweise eines Staats, den es eigentlich nicht gibt und der
eigentlich auch nicht zu betreten ist.
In den
Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amts in Berlin heißt es: "Abchasien
ist grundsätzlich für den internationalen Reiseverkehr gesperrt. Eine
legale Ein- und Ausreise ist weder über die georgisch-russische Grenze
noch über die Waffenstillstandslinie entlang des Inguri-Flusses möglich.
Vor Reisen nach Abchasien wird ausdrücklich gewarnt."
Trotz dieses
Hinweises gibt es an der Nordgrenze den Grenzposten Psou, ein
pathetisches, ziemlich heruntergekommenes Zementportal, an dem russische
Touristenbusse warten. Für die Russen sind Abchasiens Strände wie
Rimini, nur besser: Es ist billig, alle verstehen einen, und man braucht
seine Rubel nicht zu wechseln.
Ein Lada ist mit
Eiern beladen, aus dem Kofferraum eines anderen ragt eine Wagenachse
heraus. Daneben stehen zwei Porsche Cayenne mit frischem
ABH-Kennzeichen. Die Fahrer sind im Duty-free-Shop verschwunden, wo man
für Euro "Bounty" und schottischen Whisky kaufen kann.
Weil die
Südgrenze nach Georgien geschlossen ist, kann man nur über das russische
Schwarzmeerbad Sotschi einreisen. Nichtrussen müssen sich daher neben
dem abchasischen Visum noch ein russisches Transitvisum besorgen und
aufpassen, dass Georgien davon nie etwas erfährt.
Theoretisch
könnte man auch im Hafen von Trabzon einen türkischen Bootsbesitzer
bestechen, damit der einen durch die Seeblockade Georgiens schleust.
Eine riskante und illegale Technik, mit Hilfe deren der gesamte
Überseehandel Abchasiens abgewickelt wird.
Als Benetton im
Mai die Eröffnung einer Filiale in Abchasien ankündigte, sprach
Georgiens Außenminister von einem "verbrecherischen" Plan und drohte mit
Vergeltung. Benetton zog zurück.
Es ist gut 3000
Jahre her, dass Jason und die Argonauten hier nach dem Goldenen Vlies
suchten. Damals hieß das Land noch Kolchis, und an einem der örtlichen
Kaukasusgipfel wühlte ein Adler in den Eingeweiden des Prometheus. Der
hatte damals schon die göttliche Ordnung durcheinandergebracht.
Heute heißt die
Hauptstadt Suchumi - beziehungsweise abchasisch politisch korrekt Suchum
ohne i, denn 3500 Abchasen sollen nicht umsonst im Unabhängigkeitskrieg
1992/93 für Freiheit und Rechtschreibung gestorben sein. So war einer
der ersten Verwaltungsakte nach der Befreiung das Überpinseln aller
Endungs-i aus den Ortsnamen der Karten. Tipp-Ex als Waffe.
Abchasien war
einmal "die rote Côte", ein subtropischer Zipfel Sowjetreich, und
ehemalige DDR-Bürger können nicht ohne Wehmut an diese Strände denken,
die Palmen, die Mandarinenbäume.
Die Bürostuben
der gesamten Sowjetunion wurden mit Topfpflanzen aus Abchasien
beliefert. Es gab eine Zuchtstation für Paviane, vor der heute ein
Heldendenkmal steht. Es ist ein Granitblock in Form eines Mantelpavians,
darin eingraviert der Dank des Sowjetvolks für all die
aufopferungsvollen Experimente im Kampf gegen Typhus und Polio.
Noch vor zehn
Jahren war Suchumi eine befreite, aber völlig zerstörte Stadt, in der
nachts die Schüsse der Schmugglerbanden zu hören waren und Autos
umherrasten, die als einziges Kennzeichen eine Plakette des ADAC
aufwiesen.
Inzwischen fahren
Oberleitungsbusse. Man sieht geöffnete Banken, und vorm
Puschkin-Gymnasium stehen Jugendliche in Schuluniformen. Im Kino läuft
ein Louis-de-Funès-Film mit abchasischen Untertiteln. Es gibt Ampeln,
eine Kinderbibliothek, Geschwindigkeitskontrollen, und eine Frau führt
ihren Dackel an einer Flexi-Leine spazieren. Das allein ist noch kein
Beweis für eine funktionierende Zivilgesellschaft. Aber es steht doch in
gewissem Widerspruch zum Sicherheitshinweis des Auswärtigen Amts in
Berlin.
Abchasien hat
sogar ein Nationales Olympisches Komitee. So steht es neben der Tür
eines Büros, im Souterrain des ansonsten ziemlich ausgebrannten
ehemaligen Sowjetgebäudes am Platz der Freiheit.
Der Sportminister
zündet sich eine Parliament-Zigarette an, bläst den Rauch aus und sagt:
"Wir haben an der Domino-Weltmeisterschaft teilgenommen. Ziemlich
erfolgreich." Der Sportminister ist ein hagerer ehemaliger
Panzerkommandant von 45 Jahren. Zum Glück verdiene seine Frau ganz gut,
sagt der Minister, sonst könnte er sich das Amt gar nicht leisten.
"Wir hoffen, auch
bei den Olympischen Spielen in London 2012 dabei zu sein." Leider
erlaube das IOC keine Teams zweifelhafter Staaten. "Eigentlich müsste
Abchasiens Fußballnationalmannschaft also in georgischen Trikots
auflaufen." Der Sportminister schaut in die Runde, als hätte er einen
Witz erzählt.
"Unser
Fußballverband ist 100 Jahre alt. Wieso werden unsere Aufnahmeanträge
von der Fifa immer wieder abgelehnt? Die Verhandlungen mit der
Internationalen Sambo-Föderation sind dagegen auf gutem Weg." - Sambo? -
"Ja. So eine Art sowjetisch-russisches Judo."
Im Jahr 2014
werden in Sotschi, direkt an der abchasischen Grenze, die XXII.
Olympischen Winterspiele abgehalten werden. Vergebens hatte ein im
georgischen Exil wirkendes Gegen-"Olympisches Komitee Abchasiens"
versucht, die Spiele zu verhindern. Nun sollen 14 Millionen Tonnen Sand,
Kies und Beton aus Abchasien für die Bauten geliefert werden. Jede Tonne
zementiert den Status quo. Vielleicht war "Sotschi 2014" auch ein Grund
für die russische Anerkennung des Landes. Es wäre unschön, an jeder
Biathlon-Loipe mit Partisanenbeschuss rechnen zu müssen.
Die politische
Macht Abchasiens passt in ein Gebäude. Es ist ein sandgestrahlter
Stalin-Bau an der Uferpromenade, wo es bittersüß nach Pomeranzenbäumen
und Eukalyptus riecht. Hier wohnt der Staatspräsident, um die Ecke
gelangt man ins Parlament, und gegenüber ist der Eingang zum Büro des
Premierministers und seines Kabinetts. Heute allerdings ist kaum jemand
da, weil die Mutter des Staatspräsidenten gestorben ist und fast alle
auf dem Friedhof sind.
Die Abchasen
basteln sich ihren Staat mit dem gleichen Ernst zusammen, der gleichen
irritierenden Sorgfalt, mit der Bastler sich den Eiffelturm aus
Zündhölzern nachbauen. Im Parlament, einem an den Sitzungssaal einer
Kreissparkasse erinnernden Raum im Parterre, sind die wichtigsten der
zwölf Parteien vertreten, von der Sozialpolitischen Bewegung Aidgilara
bis zur Abchasischen Volkseinheit.
Für das
offizielle Europa ist Abchasien dennoch eine Art Räuberrepublik, wo
Schieber und überdrehte Historiker ihren Separatismus austoben. Deswegen
hat auch Maxim Gwindschija Schwierigkeiten, in die richtigen Büros
vorgelassen zu werden. Auf seinem Schreibtisch steht das Schild:
Stellvertretender Außenminister der Republik Abchasien. "Wenn ich etwa
mit den baltischen Republiken sprechen will", sagt der Spitzendiplomat,
"geben sie mir Termine bei drittklassigen Beamten."
Gwindschija ist
33 Jahre alt, verdient 200 Dollar im Monat und wohnt mit seiner Familie
in einem Plattenbau am Stadtrand. Seine Frau leitet die erste
abchasische Model-Agentur und organisiert jedes Jahr die - von der
Staatengemeinschaft nicht anerkannte - Wahl der Miss Abchasien.
"Wir wollen kein
Frontstaat gegen den Westen sein", sagt Maxim Gwindschija. "Viele
Politiker des alten Europa verstehen das. Aber die neuen Europäer bauen
ihre Haltung auf antirussischen Vorurteilen." Dabei sei Abchasien
vielleicht die einzige funktionierende Demokratie im Kaukasus.
"Eure NGOs haben
uns Menschenrechtskurse finanziert, peacekeeping und conflict training.
Haben wir alles besucht", sagt er. "Aber Russland hat uns die Pensionen
für die Alten bezahlt. 20 Millionen Dollar jedes Jahr."
Russland würde
auch alle Exporte aufnehmen, vor allem Mandarinen und Baumaterial für
Olympia. Sein Handy meldet sich. "Excuse me ..." Es ist der Gesandte in
Tiraspol, der Hauptstadt der Transnistrischen Moldau-Republik, ebenfalls
nicht anerkannt.
Die Welt, in der
sich der Diplomat Maxim Gwindschija bewegt, ist eine, von der die
westliche Öffentlichkeit keine Ahnung hat. Es ist die Unpo, die
Völkerfamilie der Nichtrepräsentierten, eine Gegen-Uno mit
Vollversammlung, Generalsekretär und Sicherheitsrat, die sich regelmäßig
trifft. Gwindschija kennt den Außenminister der Buffalo River Dene
Nation, steht in lockerer Verbindung mit der Regierung Belutschistans,
Burjatiens und den Krim-Tataren. Das sei auch gut und informativ, sagt
er: "Aber wir brauchen die EU."
Seit über zehn
Jahren versuchen Uno und Europäer, zwischen Georgien und Abchasien zu
vermitteln. Streitpunkte waren immer die Rückkehr der überwiegend
georgischen 250 000 Flüchtlinge und die territoriale Integrität
Georgiens. Die EU-Diplomatie betonte dabei zwei Grundprinzipien:
Unverletzlichkeit nationaler Grenzen und Demokratie. Im Fall Abchasiens
passt beides nicht zusammen.
Der deutsche
Diplomat Dieter Boden war Chef der Blauhelmmission in Georgien, Unomig,
gewesen. Er schrieb einen Plan, wonach Abchasien als autonome Republik
nach Georgien zurückkehren sollte. Georgien stimmte zu, Abchasien lehnte
ab. Man fürchtete die Rache: "Die schlagen uns doch tot", sagt der
Vizeaußenminister.
Georgien soll, so
wollen es die USA, möglichst rasch Mitglied der Nato werden. Offiziell
muss Deutschland das auch wollen. Aber seit den Kriegstagen im August
2008 ist die Begeisterung etwas verhaltener.
Stalin hatte die
damalige Abchasische Sozialistische Sowjetrepublik 1931 seinem
Geburtsland Georgien als autonomes Territorium zugeschlagen. Für die
einen war das eine Gebietsreform, für die anderen der Beginn des
kulturellen Genozids.
Auf jeden Fall
kam es seit 1957 mehr oder weniger alle zehn Jahre zu Protesten der
Abchasen.
Nach dem Zerfall
der Sowjetunion wollten die Abchasen von Georgien, was Georgien von der
Sowjetunion wollte: die Unabhängigkeit. Aber die Abchasen waren nach den
Vertreibungen (beziehungsweise Auswanderungen) und diversen Umsiedlungen
(beziehungsweise Bodenreformen) nur noch eine Minderheit im eigenen
Land.
"Abchasien ist
das einzige Land der Welt, wo Stalins Politik wiederhergestellt werden
soll. Beim Lunch sagen mir die westlichen Diplomaten, dass unsere
Unabhängigkeit eine Tatsache ist. Aber wenn's ernst wird, schweigen
sie." Das sagt Batal Obachija, der abchasische Ströbele, ein
Menschenrechtsaktivist mit hagerem Schauspielergesicht.
Im Krieg
befehligte er ein Frauenbataillon, heute ist er die personifizierte
Opposition im Land und bereit für jede Ketzerei - fast jede: "Abchasien
und Georgien sind genauso verschieden wie Frankreich und Deutschland.
Immer wenn die beiden Länder vereint waren, gab es einen Genozid."
Obachija ist
eigentlich Archäologe. Im Kaukasus sind Historiker ständig mobilisiert.
Sie haben dem Streit zwischen Abchasen und Georgiern Worte und Gründe
gegeben. Sie haben scharfsinnig auf kulturelle Nuancen geachtet, haben
Abweichungen in den Trachten der Bergbauern herausgearbeitet und uraltes
Unrecht angezeigt. Die Debatte um die Ingoroqva-These, wonach die
Abchasen nie eine eigenständige Volksgruppe gewesen seien, hat
vermutlich mehr Blut fließen lassen als je ein Streit zwischen
Philologen.
"Die abchasische
Kultur ist die älteste auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion", so
beginnt eine fröstelnde Dame im Faltenrock ihre Führung durchs
Abchasische Nationalmuseum (ehemals: Abchasisches Museum). Sie zeigt auf
das Modell einer Siedlung der Bronzezeit: "Damals konnte man Abchasien
noch nicht von Georgien unterscheiden."
Während des
Unabhängigkeitskriegs 1992 hätten, sagt sie, georgische Milizen das
Museum gestürmt, den Direktor verprügelt und alle Teppiche eingepackt.
Eines der ersten Ziele im Bürgerkrieg sei das abchasische Nationalarchiv
gewesen.
So genießen
Historiker in Abchasien höheres Ansehen als viele Generäle. Wenn sie
nicht sowieso Generäle sind.
Abchasiens erster
Präsident, Wladislaw Ardsinba, war ein Experte für Keilschriften und die
toten Sprachen des Orients. Bis heute besteht die alte Führungsgarde
überwiegend aus hochgebildeten Männern, die ihr Leben damit verbracht
hatten, den Ursprung der abchasischen Sprache im vierten vorchristlichen
Jahrhundert und die Konturen des ersten abchasisch-kartwelischen
Königreichs zu erforschen.
Der Krieg hatte
ihre Bibliotheken, Keramikfunde und Habilitationsaufzeichnungen
zerstört. Alles war ihnen genommen. So wurden sie Politiker. Die
Historiker regierten ihren Forschungsgegenstand. Beziehungsweise das,
was von ihm noch übrig war.
Im Saal IX des
Museums hängt das Bild eines weißbärtigen, seine Pfeife rauchenden
Bauern: "Nikolai Schapkowski", sagt die Führerin ohne jede weitere
Erklärung. Das war jener angeblich 140-jährige Mann, von dem Henri
Barbusse 1929 berichtete und der das Treffen mit dem französischen
Dichter noch um zehn Jahre überleben sollte. Das Bild daneben sei der
"Chor der Hundertjährigen", sagt die Frau.
Nirgendwo werden
die Menschen älter als im Kaukasus. Sofern sie einander nicht vorher
umbringen.
Das Taxi ist ein
nach Benzin und "Wunderbaum" riechender Wolga. Am Rückspiegel baumeln
Boxhandschuhe, und alles vibriert unter armenischer Tanzmusik. "Druschba",
brüllt der Fahrer und dass er lieber Touristen aus Leipzig fahren würde
als Russen.
Aber die kommen
nicht. Ohne Fährverbindung in die Türkei und ohne Direktflüge nach
Europa ist Abchasien auf die Touristenbusse aus Sotschi angewiesen. Seit
die russische Wirtschaftsblockade gelockert ist, seit sich die
russischen Touristen wieder an die Sandstrände von Suchumi und Picunda
legen dürfen, erwacht die Wirtschaft aus dem Koma. Exil-Abchasen kommen
aus Moskau, Istanbul, Damaskus zurück und stecken ihr Geld in Kurhotels
und Restaurants.
Im Mai erst
unterzeichneten Abchasiens Wirtschaftsministerin und der russische
Ölkonzern Rosneft eine Rahmenvereinbarung über die Ausbeutung der
Schwarzmeerreserven an Öl und Gas. Bei seinem Besuch am 12. August hat
Putin die Modernisierung der Grenz- und Militäranlagen versprochen, für
354 Millionen Euro. Den Georgiern sei einfach nicht zu trauen, sagte der
Premier.
Und seit
Präsident Bagapsch ankündigte, russische Firmen sollten Abchasiens
zerstörtes Eisenbahnnetz managen und den Flughafen ausbauen, protestiert
die Opposition gegen den Ausverkauf des nationalen Erbes. In den zwölf
Monaten seit der Anerkennung hat sich die Russophilie doch sehr gelegt.
"Die wollen uns auffressen", ist inzwischen die gängige Einschätzung.
Überall gibt es russische Zeitungen, und über einigen Tankstellen weht
nur noch die russische Flagge.
Die
Immobilienpreise haben sich bereits verdoppelt. Usbekische
Wanderarbeiter hämmern an den Dachstühlen, während die Söhne der
Kriegshelden in ihren BMW die Küstenstraße rauf- und runterjagen.
Der abchasische
Mobilfunkanbieter Aquafon hat 100 000 Kunden, und es gibt noch einen
zweiten. Der Strom kommt vom Inguri-Stausee in den Bergen. Das Kraftwerk
wird von Georgiern und Abchasen gemeinsam betrieben. Auch während des
Krieges kam niemand auf die Idee, daran etwas zu ändern.
Das
Wunderbaum-Taxi hält vor dem ehemaligen Sanatorium des sowjetischen
Komponistenverbands. Hier trainiert gerade das abchasische Heer für den
Häuserkampf. Die Rekruten werfen sich zwischen die Rabatten, nehmen
Deckung hinter Palmen und versuchen, dabei ein ernstes Gesicht zu
machen.
"Wir arbeiten an
einem Abkommen zur Militärkooperation. In Zukunft wird es so sein: Wer
Abchasien angreift, greift Russland an." Sagt Garri Kupalba. Er ist
Mathematiklehrer, Generalmajor und stellvertretender
Verteidigungsminister. Die russischen "Friedenstruppen" haben sich im
Oktober 2008 in die Kasernen zurückgezogen. Mehrere tausend russische
Soldaten sind weiterhin in Abchasien stationiert.
Die abchasischen
Streitkräfte dagegen bestehen, sagt Kupalba, im Wesentlichen aus 120
tschechischen Panzern, einem erbeuteten LAR-160-Raketenwerfer
israelischer Produktion und 5000 Soldaten. Exil-Abchasen hätten ein paar
Schnellschlauchboote mit MG-Aufsatz gespendet für den Aufbau der
Schwarzmeerflotte Abchasiens.
"Es ist doch so:
Die Georgier wollten uns mit Gewalt umbringen, die Russen mit
Süßigkeiten. Da ist doch klar, wofür wir uns entscheiden, oder?", sagt
Hibla, eine Studentin an der Universität von Suchumi - "Suchum. Ohne i",
sagt sie. Vor ihr liegt das Schwarze Meer, unbeweglich wie ein kalter
Teich.
"Wir wissen, dass
wir in einer globalisierten Welt leben. Wir wollen keine Sowjetmenschen
mehr im Parlament, sondern junge, gebildete Leute, die etwas von
internationalen Beziehungen verstehen. Wieso nehmt ihr uns nicht ernst?"
Hinter ihr, vorm
Riva-Hotel, sitzen murmelnd die Alten und schwenken ihre Zigaretten im
milchigen Licht. Dahinter wiederum die Gipfel des Kaukasus, wo irgendwo
Europa versickert. Bis dorthin kamen 1942 die deutschen Truppen - und
nicht weiter.
Hibla gehört noch
zu Europa. Mit ihren 20 Jahren hat sie bereits Politik studiert, ein
halbes Jahr in den USA gelebt, arbeitet nebenbei bei einer NGO für
Jungunternehmerinnen und will Diplomatin werden. "Und dann
Außenministerin", sagt sie. Das meint sie ernst.
Hier am Ufer hat
Suchumi mehr von Baden-Baden als von Bagdad.
Auf der
demolierten Seebrücke wird Sushi angeboten, ein russisches Pärchen
schlendert die Promenade entlang, zu groß, zu breit, zu grell gekleidet.
Vielleicht werden die Russen eines Tages die ugly Americans Abchasiens.
Hibla schaut
ihnen nach und sagt: "Russen verstehen übrigens kein Wort von dem, was
wir reden. Unter anderem haben wir sieben verschiedene k-Laute", sagt
Hibla, die künftige Außenministerin. Und beginnt eine Reihe
komplizierter Übungen im hinteren Rachenraum.
Für
Völkerrechtler mag die Republik Abchasien eine Einbildung sein. Eine
Autosuggestion. Aber doch so gut gespielt, dass zwischen Realität und
Fiktion kaum mehr zu unterscheiden ist. Nichts wirkt heute so unwirklich
wie der Status dieses Landes als georgische Provinz.
Und nichts so
real wie der Ernst eines 20-jährigen Mädchens, das am Ufer des Schwarzen
Meeres steht und gymnastische Übungen mit dem Gaumensegel macht: "Hören
Sie es?"
DER SPIEGEL
35/2009 vom 24.08.2009, Seite 50
***
Georgien: Ein zerrissenes Land
Matthias Braun
08.08.2009
Georgien hat im Krieg gegen Russland zwei Provinzen verloren – und sein
politisches Gleichgewicht
Sosar Subari vertraut nicht auf die Wirkung seiner Worte. Er lässt Bilder
sprechen. "Schauen Sie", sagt er. Subari klappt einen Laptop auf. Auf dem
Bildschirm startet ein Film. Eine Szene in Schwarzweiß entfaltet sich,
aufgenommen von der Überwachungskamera einer Bank in der georgischen Hauptstadt
Tiflis.
Ein Auto fährt von links ins Bild. Ein zweites folgt, schert
vor dem ersten ein, zwingt es anzuhalten. Drei maskierte Männer springen heraus.
Einer reißt die rechte Hintertür des ersten Wagens auf. Zwei ziehen einen Mann
heraus. Dann schlagen sie zu. Fäuste treffen das Opfer. Wenige Minuten später
springen die Schläger zurück ins Auto und rasen davon. Das Opfer bleibt liegen.
Subari hat ein halbes Dutzend solcher Filme auf der Festplatte
des Laptops gespeichert. Die Szenen ähneln sich. Die Schläger kommen nachts. Sie
prügeln ohne Gnade. Wer sie sind, weiß Subari nicht. Die Opfer jedoch kennt er.
Sie gehören zur Opposition gegen Micheil Saakaschwili. Und genau dieser
Saakaschwili, Präsident Georgiens, trägt laut Subari die Verantwortung für die
brutalen Überfälle. "Alle Entscheidungen werden von einer Person getroffen",
sagt er. Es gebe in Georgien keine politische Kontrolle mehr, kein
Gleichgewicht.
Sosar Subari erhebt seine Anklage im kargen Büro eines
schattigen Tifliser Stadthauses mit Vorgarten. Hier residierte, als die
Bolschewiken im Kaukasus das Sagen hatten, Stalins Kettenhund Lawrenti Berija.
Sosar Subari ist Georgiens Ombudsmann für Menschenrechte. Er wird vom Staat
bezahlt, um die Bevölkerung vor dem Staat zu schützen. Zurzeit hat er viel zu
tun.
Der Menschenrechtler Subari liefert eine passende Beschreibung
seines Landes im ersten Jahr nach dem Krieg: Georgien hat sein Gleichgewicht
verloren. Der fünftägige Waffengang gegen den überlegenen russischen Nachbarn,
der die Welt im vergangenen August schockte, hat die Kaukasusrepublik zerrissen.
Heute stehen russische Panzer auf georgischem Gebiet und
werden sobald nicht verschwinden. Im Schutz der Russen streben die Provinzen
Abchasien und Südossetien in die Unabhängigkeit. Beinahe jeder zehnte Georgier
hat seine Heimat verloren. Die Regierung lässt die politische Opposition
verprügeln und bespitzeln. Die politische Opposition wiederum streitet
untereinander. Allein die Wirtschaft hält sich aufrecht – dank westlicher
Hilfen.
"Abchasien ist unser Jerusalem"
Lascha Schwanija lässt die Kritik nicht gelten. Der smarte
Politiker gehört zum engen Zirkel um Saakaschwili. Er hat, wie fast alle
Vertrauten des Präsidenten, früh Karriere gemacht. Der gelernte Jurist, Jahrgang
1973, dient derzeit als Minister für wirtschaftliche Entwicklung. Bereits im
Jahr nach der Rosenrevolution, die 2003 den korrupten Eduard Schewardnadse
hinwegfegte, war er zum zweiten Mann im Außenministerium aufgestiegen. Später
ging er als Botschafter nach Israel.
Aus dem Nahen Osten hat er einen Satz mitgebracht, mit dem er
die Politik seines Präsidenten erklärt. "Abchasien ist unser Jerusalem", sagt
Schwanija. Das soll heißen: Die internationale Gemeinschaft muss Georgiens
Konflikt mit Russland ebenso ernst nehmen wie den Nahost-Konflikt. Und: Eine
Zwei-Staaten-Lösung ist ausgeschlossen. "Abchasien war immer georgisches Gebiet
und wird es immer sein", sagt der Minister.
Schwanija hat ins feine Hotel "Marriott" geladen. Wenige
Schritte entfernt standen bis vor kurzem improvisierte Käfige, die den Protest
der georgische Opposition gegen die Regierung symbolisierten. Die Zahl der
Demonstranten schwand. Die Opposition ist zerstritten. Schwanija bestellt
Espresso, den er kalt werden lässt. Er nippt gelegentlich am Wasserglas. Der
Minister redet schnell. Er mag kurze Sätze, die hängen bleiben.
Hat das Land sich von Russland leichtfertig in einen Krieg
treiben lassen? "Wie auch immer es dazu kam, wir haben nur unsere territoriale
Integrität verteidigt", sagt Schwanija. Demontiert der Präsident die georgische
Demokratie? "Micheil Saakaschwili ist ein guter Führer, der sich immer berät",
lautet die Antwort. Hat der Fünf-Tage-Krieg Georgien an den Tropf
internationaler Spender gebracht? "Politische Unsicherheit schadet ausländischen
Investitionen mehr als ein Krieg", sagt er. Der Minister gibt sich selbstgewiss.
Auf dem Weg zu einem autoritären Regime
Eine halbe Autostunde entfernt vom kühlen Foyer des "Marriott",
im hügeligen Stadtteil Saburtalo, sieht Irakli Alassanija die Dinge etwas
anders. Alassanija ist der prominenteste Vertreter der Opposition neben der
unverwüstlichen Nino Burdschanadse.
Er hat eine ähnliche Karriere hinter sich wie Schwanija. Auch
Alassanija ist Mitte Dreißig. Auch er studierte Jura. Auch er profitierte von
der Rosenrevolution. Saakaschwili kürte ihn zunächst zum Oberhaupt der
abchasischen Exilregierung. Später schickte der Präsident ihn als UN-Botschafter
nach New York. Der Krieg aber trieb den Sohn eines georgischen Generals in die
Opposition.
Alassanija empfängt Besucher im neuen Hauptquartier seines
Oppositionsbündnisses "Allianz für Georgien". Ein großformatiges Fenster gewährt
einen weiten Blick über Tiflis. In der Ferne leuchtet die Kuppel der
Sameba-Kathedrale, die seit 2004 vom religiösen Erwachen Georgiens kündet. Die
"Allianz" sammelt vor allem konservative Politiker.
"Der Versuch, Zchinwali einzunehmen, war ein Fehler",
kommentiert Alassanija den Beschuss der südossetischen Stadt. Die Regierung habe
ihre militärischen Möglichkeiten überschätzt. Saakaschwili sei eben ein
"politischer Spieler". Unter seiner Führung sei dreizehn Mal die Verfassung
ergänzt worden – immer mit dem Ziel, die politischen Freiheiten einzuschränken.
"Saakaschwili beschreitet den Weg zu einem autoritären Regime", sagt Alassanija.
Irakli Alassanija könnte, anders als die umstrittene Nino
Burdschanadse, eine langfristige Alternative zu Saakaschwili bieten. Er kann
Kompromisse schließen. Und er übt sich in zurückhaltender Rhetorik.
Vorerst jedoch bleibt Saakaschwili der starke Mann. Der
amerikanische Vizepräsident, Joseph Biden, stärkte dem Präsidenten bei seinem
Besuch im Juli den Rücken. Der versammelten Opposition hingegen teilte Biden
mit, dass Amerika sich nicht in die georgische Innenpolitik einmischen werde.
08.08.2009 TELEPOLIS
***
Der Georgien-Krieg und seine Folgen
Der Georgien-Krieg im vergangenen August brachte
Ost und West an den Rand eines neuen Kalten Krieges. Nun nähern sich Russland
und der Westen wieder vorsichtig einander an. Doch gelöst ist der Konflikt noch
lange nicht.
Vor einem Jahr, in der Nacht vom 7. auf den 8.
August 2008, griff georgisches Militär Zchinvali, die Hauptstadt der
abtrünnigen Region Südossetien, an. Maria Kotajeva, eine junge Lehrerin, war
mit ihrer 86-jährigen Großmutter allein zu Hause. "Ungefähr um halb zwölf
hörten wir die ersten gewaltigen Explosionen. Wir sind in den Keller unserer
Nachbarn hinüber gekrochen. Über uns brannte das Dach, und rundum brannten
die Häuser." Bei den Angriffen kamen, russischen Angaben zufolge, 133
Zivilisten ums Leben.
Russische Truppen kamen den Südosseten zu Hilfe
und drangen in Richtung der georgischen Hauptstadt Tiflis vor. Die russische
Luftwaffe bombardierte georgisches Kerngebiet, darunter die Stadt Gori in der
Nähe Südossetiens. Die Georgierin Tsitso Kuschaschwili saß mit den Nachbarn bei
einem Schwatz vor der Tür, als die Russen angriffen. "Die erste Bombe traf einen
Mann und eine Frau. Die beiden waren gleich tot." Die anderen liefen
auseinander. "Meine Tochter rannte mit meinem Enkel vom Haus weg, ich suchte im
Haus Schutz. Mir ist nichts passiert. Meine Tochter starb sofort."
Nach Angaben eines georgischen
Regierungsvertreters kamen bei den Angriffen der Russen auf georgischer Seite 69
Zivilisten ums Leben. Etwa 25.000 Georgier wurden dauerhaft aus Südossetien
vertrieben. Tsitso Kuschaschwili spricht aus, was viele Georgier denken: "Wir
haben hier alle zusammengelebt, Osseten, Russen, Georgier. Wie konnte es nur so
weit kommen?"
Georgier und Russen schieben sich gegenseitig die
Schuld in die Schuhe. Russland steht auf dem Standpunkt, es habe eingreifen
müssen, um Menschenleben zu retten. So meinte zum Beispiel der russische
Außenpolitiker Konstantin Kosatschow im Frühjahr in der Parlamentarischen
Versammlung des Europarates, in der Georgien und Russland vertreten sind: "Als
Georgien im Januar 1999 dem Europarat beitrat, hat es sich verpflichtet, die
Konflikte in Südossetien und Abchasien friedlich zu lösen." Diese
Selbstverpflichtung habe Georgien in der Nacht auf den 8. August 2008 gebrochen.
Hätte Russland nicht eingegriffen, wären tausende Zivilisten in Südossetien ums
Leben gekommen, so Kosatschow.
Die Georgier stellen das Geschehen ganz anders
dar. Sie sagen, Georgien habe sich gegen eine russische Aggression verteidigen
müssen. Es habe Zchinvali erst bombardiert, nachdem russische Panzer bereits von
Russland aus auf südossetisches Gebiet vorgedrungen seien. Russland habe in
Georgien einmarschieren wollen, um die westlich orientierte Regierung in Tiflis
zu stürzen und zu verhindern, dass Georgien Nato-Mitglied wird. Das alles habe
Russland von langer Hand geplant, betont Temur Jakobaschwili, Minister Georgiens
für die Wiedereingliederung der abtrünnigen Gebiete. "Der Augustkrieg war
lediglich die Fortsetzung der russischen Politik, die seit Georgiens
Unabhängigkeit Anfang der 90er Jahre eindeutig darauf aus ist, unsere
Souveränität zu untergraben", sagt er.
Kommission der EU prüft Schuldfrage
Tatsächlich hat Russlands Führung mehrfach
gewarnt, dass sie es nicht toleriere, wenn Georgien Nato-Mitglied werde. Denn
das widerspreche russischen Sicherheitsinteressen. Die Nato ignorierte diese
Warnungen aus Moskau. George W. Bush trieb als Präsident der USA die
Konfrontation mit dem Kreml auf die Spitze. Die Bush-Administration unterstützte
den georgischen Präsidenten Saakaschwili nahezu bedingungslos.
Um herauszubekommen, wer wirklich mit dem Krieg
angefangen hat, hat die Europäische Union eine Kommission eingesetzt. Ende
September will sie ein Ergebnis präsentieren - zwei Monate später als
ursprünglich geplant; zu unübersichtlich sei die Lage. Das deutsche
Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete vorab, die Kommission komme zu dem
Ergebnis, dass die Georgier den Krieg begonnen hätten.
Trotzdem steht die Mehrheit der Staaten, darunter
die Europäische Union, nach dem Krieg auf georgischer Seite. Vor allem
kritisiert sie, dass Russland die beiden abtrünnigen georgischen Republiken,
Südossetien und Abchasien, als unabhängige Staaten anerkannt hat. In der EU
macht sich besonders Polen für Georgien stark. Przemyslaw Grudzinski,
Staatsminister im polnischen Außenministerium, versichert: "Wir werden Abchasien
und Südossetien niemals als souveräne Staaten anerkennen."
Nur teilweiser Abzug der Russen
Ferner hat Russland nach dem Krieg mehrfach
Absprachen gebrochen. Der russische und der georgische Präsident hatten im
August vereinbart, dass beide Seiten ihre Truppen auf die Positionen vor
Kriegsausbruch zurückziehen. Russland zog seine Truppen aber lediglich auf
südossetisches und abchasisches Gebiet zurück, und nicht, wie besprochen, hinter
die Grenze zurück nach Russland. Im Herbst hatte Russland weiterhin
eingewilligt, EU-Beobachter in die Region zu lassen. Denen verwehrt es aber bis
heute den Zutritt zu Südossetien und Abchasien.
Georgien seinerseits hält auch nach dem Krieg an
seinen Plänen für eine Mitgliedschaft in der Nato fest. Und auch die Staats- und
Regierungschefs der Nato bleiben bei ihrer prinzipiellen Zusage, Georgien
irgendwann aufnehmen zu wollen. Jamie Shea, Berater im Büro des
Nato-Generalsekretärs, beteuert: "Wir haben unsere Position seit dem vergangenen
August nicht geändert." Der Grund für die Konfrontation mit Russland bleibt
somit bestehen. Noch kurz vor dem Jahrestag des Kriegsbeginns warfen sich
Südosseten, Georgier und Russen gegenseitig Provokationen vor. Entspannung ist
nicht in Sicht.
Autorin: Gesine Dornblüth, Redaktion: Andreas
Ziemons
07.08.2009 DEUTSCHE WELLE
***
Südossetien-Konflikt kocht ein Jahr nach dem Krieg
wieder hoch
Zchinwali/Tiflis, Ein Jahr nach dem
Georgien-Krieg nehmen die Spannungen im Nordkaukasus wieder zu.
Die von Georgien abtrünnige Exklave Südossetien
warf der georgischen Armee am Samstag vor, Granaten auf einen ihrer
Beobachtungsposten abgefeuert zu haben. Russland warnte die Regierung in Tiflis
vor einem Militäreinsatz, falls das Leben von Zivilisten auf dem Spiel stünde.
Georgien wies die südossetischen Anschuldigungen zurück und unterstellte der
Führung in Moskau "aggressive Absichten". "Die internationale Gemeinschaft
sollte Russland daran hindern, sich zum Gespött zu machen", sagte
Innenamtssprecher Schota Utiaschwili. Experten sind besorgt, dass die
Plänkeleien in neue Gewalt umschlagen könnten.
"Ich will keinen Krieg und ich möchte noch nicht
einmal über Krieg nachdenken", sagte der Präsident der international nicht
anerkannten Region, Eduard Kokoity, in einem Reuters-Interview. Seine
Hauptaufgabe sei es, Stabilität in der Region zu schaffen. Den Anschluss an
Russland schloss er zu einem späteren Zeitpunkt nicht aus. "Die Menschen in
Südossetien wollen mit Russland vereinigt sein", sagte der 44-Jährige weiter.
Zugleich forderte der frühere Ringer die Regierung in Moskau auf, mehr Soldaten
und Waffen nach Südossetien zu entsenden. 89 Prozent der Einwohner Südossetiens
haben einen russischen Pass. Die Verkehrssprache ist russisch und bezahlt wird
mit dem Rubel.
Nach monatelangen Spannungen hatte Georgien das
nach Unabhängigkeit strebende Südossetien vor fast genau einem Jahr in der Nacht
auf den 8. August angegriffen. Russische Truppen rückten daraufhin in Georgien
ein, zogen sich aber nach wenigen Tagen zurück. Die Regierung in Moskau erkannte
die Enklave anschließend als unabhängigen Staat an, was der Westen verurteilte.
Bis auf Nicaragua sieht der Rest der Welt die Region als rechtmäßiges Gebiet
Georgiens an.
01.08.2009 Reuters
***
EU-Beobachter im georgischen Grenzgebiet
Das 50-Prozent-Dilemma
Die EU-Beobachter bleiben ein weiteres
Jahr im Grenzgebiet zu Georgien. Die Europäische Union verlängerte die
Mission der 360 Männer und Frauen. Doch es bleibt eine halbe Mission -
gegen den Willen Russlands ist nichts auszurichten. Die Lage in
Georgien hat sich nach Ende des Krieges zwischen Georgien und Russland
inzwischen stabilisiert.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
"Neben der Roki-Brücke auf der anderen
Seite des Flusses stehen weiße Zelte. Das ist ein Camp der russischen
Grenzschützer", erklärt Manfred Meyer. Er ist Leiter des
EU-Beobachterbüros in Zugdidi, das für die Grenzregion zwischen
Georgien und Abchasien zuständig ist. Einige hundert Meter entfernt
von Meyer fließt zwischen üppigem Grün der Grenzfluss Enguri.
Die Roki-Brücke führt von der
georgischen auf die abchasische Seite. Doch für die EU-Beobachter ist
auf der Mitte der Brücke Schluss. Weiter dürfen sie nicht. Wie viele
Russen in dem Ende Mai errichteten Camp auf abchasischer Seite
stationiert sind, können die EU-Beobachter nur schätzen. Ob
professionelle Grenzschützer des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB
oder die weniger disziplinierten, oftmals angetrunkenen abchasischen
Milizen den Übergang kontrollieren, lassen sich die EU-Beobachter von
den Georgiern erzählen, die für kurze Zeit zu ihren Verwandten und
Häusern auf der anderen Seite gehen.
Russland verweigert den Zutritt
Meyer nennt es das "50-Prozent-Dilemma":
Zwar haben die EU-Beobachter laut Sechs-Punkte-Friedensabkommen vom
vergangenen Jahr das Mandat, auch die von Georgien abtrünnigen Gebiete
Abchasien und Südossetien zu kontrollieren. Doch verweigerten die
Russen und die Führungen beider Gebiete den EU-Beobachtern von
Anbeginn den Zutritt. So bleibt ihnen nur die Möglichkeit, das
Grenzgebiet auf georgischer Seite zu kontrollieren, um neuerliche
Auseinandersetzungen zwischen den Konfliktparteien zu verhindern.
Provokationen vermeiden
Die Georgier zeigen sich kooperativ: Sie
willigten in eine zusätzliche Vereinbarung ein, in unmittelbarer Nähe
der Grenzlinien zu Abchasien und Südossetien nur ein Bataillon und
fünf Geschütze zu stationieren. Nach Aussage von EU-Missionschef
Hansjörg Haber halten sie dies auch ein. "Damit ist sichergestellt,
dass von georgischer Seite keine Provokationen ausgehen, auf die die
andere Seite mit einem Einsatz an der administrativen Grenzlinie
reagieren könnte", erläutert der deutsche Diplomat. So werde indirekt
auch auf der anderen Seite für eine Stabilisierung gesorgt.
Kontakt nur per Telefon
Inzwischen gelang es den EU-Beobachtern,
Kontakt zur anderen Seite herzustellen. Sowohl mit abchasischen
Milizionären als auch mit russischen Offizieren gab es Treffen,
Telefonnummern wurden ausgetauscht. Nun können die EU-Beobachter bei
Zwischenfällen die Informationen von beiden Seiten abgleichen. Darüber
seien einige Georgier nicht so glücklich, sagt Meyer. Denn der Kontakt
zur anderen Seite ergibt mitunter ein anderes Bild als von den
Georgiern dargestellt.

[Bildunterschrift: Der Leiter des EU-Beobachterbüros, Manfred
Meyer beschreibt die Lage an der Grenzlinie zu Abchasien.
]
Wirklich problematisch ist jedoch, dass
es in einigen wesentlichen Punkten des Friedensabkommens keine
Bewegung gibt: Die Georgier, die während des Krieges aus Südossetien
und Abchasien flüchten mussten, können nicht zurück. Vor allem die
georgischen Dörfer um das südossetische Zchinwali sind zerstört. Hinzu
kommt, dass Russland nicht nur mehr Truppen in Abchasien und
Südossetien als vor dem Krieg stationiert hat, sondern auch einige
Gebiete zusätzlich kontrolliert. Dazu gehört das Achalgori-Tal, das
keine 50 Kilometer nördlich von Georgiens Hauptstadt Tiflis liegt.
Machtlos gegenüber Russland
Als Provokation wurde es in Tiflis
empfunden, dass Russlands Präsident Dimitri Medwedjew kürzlich einen
Besuch in Zchinwali abstattete. Machtlos mussten die Georgier auch mit
ansehen, wie die Regierung in Moskau im April mit den beiden
abtrünnigen Gebieten Abkommen über deren militärischen Schutz
abschloss. Inbegriffen sind neben der Grenzüberwachung auch Manöver
der russischen Truppen. Russland erklärte dies für legitim, da es
beide Gebiete nach dem Krieg als unabhängig anerkannt hat - bislang
allerdings als einziges Land neben Nicaragua.
Vor dem Hintergrund des Streits um den
Status Abchasiens und Südossetiens sorgte Russland auch dafür, dass
die Mandate für die
Missionen der UNO und der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit (OSZE) für die Konfliktgebiete nicht verlängert wurden.
So steht die EU-Mission nun allein mit der Verantwortung da und muss
sich wohl - anders als zunächst erwartet - auf längere Zeit in
Georgien einrichten.
EUMM (European Union Monitoring
Mission):
Die
EU-Mission in Georgien hat am 1. Oktober 2008 mit mehr als 200
unbewaffneten Beobachtern ihre Arbeit aufgenommen. Mittlerweile sind
340 Mitarbeiter im Einsatz. Sie überwacht die Umsetzung der am 12.
August und 8. September von der EU vermittelten Vereinbarungen
zwischen Russland und Georgien. Dazu zählen Truppenrückzug, Rückkehr
von Flüchtlingen und die Wiederherstellung der staatlichen Ordnung.
Das Einsatzgebiet umfasst auch die Pufferzonen um Südossetien und
Abchasien, nicht jedoch die abtrünnigen Gebiete selbst. Deutschland
stellt 45 Mitarbeiter. Die Mission, an der 26 EU-Länder teilnehmen,
wurde zunächst für ein Jahr beschlossen und hat ein Budget von 35
Millionen Euro.
Gezielter Anschlag auf die Mission
Die georgische Regierung zeigt sich
einerseits froh, dass die EU im Land ist. Andererseits wird
bezweifelt, dass deren unbewaffneten Beobachter einen wirksamen Schutz
gegen die Russen bieten, die in den abtrünnigen Gebieten schalten und
walten, wie sie wollen.
Dass der Einsatz der EU-Beobachter in
Georgien riskant ist, zeigt ein Ereignis Mitte Juni: Bei einer
Patrouillenfahrt an der abchasischen Grenze wurde ein ungepanzertes
Sanitätsfahrzeug von einer Mine getroffen. Ein georgischer Fahrer
starb. Auch wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, so
geht EU-Missionschef Haber davon aus, dass es sich eindeutig um eine
Attacke auf die Beobachter handelte.
Kommunikationskanäle offen halten
Seit Beginn der Patrouillen im
Oktober 2008 wurden in der Grenzregion sieben georgische Polizisten
getötet, aber nur zwei davon in diesem Jahr. Bilanzierend sagt Haber:
"Wir sind auf dem Weg, den Konflikt wieder einzufrieren" - nur um
seine Wortwahl sofort wieder zu relativieren: Dies sei doch ein
unpassender Ausdruck, da "eingefrorene Konflikte" erneut eskalieren
könnten. Die EU-Beobachter verwendeten deshalb viel Energie darauf,
die Kommunikationskanäle zwischen den Konfliktparteien offen zu halten
- auch wenn dies sehr mühsam ist.
27.07.2009
Tagesschau.de
***
Georgiens Oppositionspolitiker:
Einigung zwischen Tiflis und Moskau unvermeidlich - "Kommersant"
Moskau,
Zu einer Wiederherstellung normaler Beziehungen zwischen Russland und Georgien
gibt es keine Alternative. Diese Meinung äußerte Irakli Alassania, ehemaliger
UN-Botschafter Georgiens und heute einer der Spitzenvertreter der georgischen
Opposition, in einem am Mittwoch in der Tageszeitung "Kommersant"
veröffentlichten Interview.
Bei gutem politischem Willen könnten sich Moskau
und Tiflis "über vieles einigen", sagte er. Dabei sollte Russland im Streben
Georgiens in die Nato und in europäische Strukturen keine Bedrohung für seine
Sicherheit sehen.
Alassania, Chef der Partei "Unser Georgien - Freie
Demokraten" und einer der wahrscheinlichen künftigen Präsidentschaftskandidaten,
ist zuversichtlich, dass sich die Beziehungen zwischen Russland und Georgien in
Zukunft "normal" entwickeln werden. "Einen anderen Weg gibt es nicht", sagte er.
"Wir sind Nachbarn, und in Zukunft werden sich unsere Völker dafür aussprechen."
Zugleich betonte er, dass eine Integration
Georgiens in die Nato und die europäischen Strukturen den absoluten Vorrang in
der Außenpolitik hat. Dies sollte Moskau allerdings nicht beunruhigen. Der
Prozess der Integration würde helfen, Georgien zu einem stabilen Staat zu
machen. "Ein stabiles Georgien müsste im Interesse Russlands sein", meinte er.
Der Prozess der Integration in die Nato sei für
Georgien "viel wichtiger als der Fakt eines Beitritts zur Allianz", betonte
Alassania. Dieser Prozess helfe Georgien, seine Sicherheits- und
Verteidigungsstrukturen zu entwickeln.
Auf den Konflikt im August 2008 eingehend, stellte
der Politiker fest, dass das Handeln der georgischen Seite in diesem Konflikt
nicht adäquat war. "Wir hätten wissen müssen, welche Folgen die militärische
Präsenz haben könnte, die Russland damals im Nordkaukasus hatte. Diese Kräfte
hatten dort trainiert, um den eigenen Friedenskräften in Zchinwali zu helfen.
Saakaschwili hatte in jenen Tagen viele Fehler begangen. Er hat die militärische
Präsenz Russland im Nordkaukasus unterschätzt. Und natürlich hat er den Einfluss
des Westens und der USA auf die Politik der russischen Spitzenpolitiker
überschätzt."
Mit dem Entsenden der Truppen nach Südossetien
hatte sich Präsident Saakaschwili lediglich von der russischen Seite provozieren
lassen, was kategorisch unzulässig war, betonte Alassania.
"Wir hätten alles dafür tun müssen, um die
internationale Präsenz, die dort vorhanden war, in den Prozess der Vorbeugung
des Konflikts vom Beginn dessen Eskalation an einzubeziehen", meinte er.
Zugleich äußerte Alassania die Überzeugung, dass
die internationale Völkergemeinschaft die Unabhängigkeit Südossetiens und
Abchasiens nicht anerkennen wird. "Die Anerkennung der Unabhängigkeit von
Zchinwali und Abchasien war meines Erachtens ein schwerer Fehler der russischen
Diplomatie."
Ein militärischer Weg der Lösung dieses Problems
ist für den georgischen Staat unzulässig. "All diese Fragen werden wir
ausschließlich mit friedlichen Mitteln regeln", betonte er. Einer der Wege dazu
wäre die Wiederaufnahme eines direkten Dialogs mit den Abchasen und den Osseten.
"Wir sollten uns in erster Linie nicht auf die
politischen Probleme und nicht auf den Status dieser Regionen konzentrieren,
sondern die Beziehungen zwischen den Völkern wiederherstellen", sagte er. "Das
ließe sich mit Hilfe von gemeinsamen wirtschaftlichen, kulturellen und sonstigen
Projekten machen, die von europäischen Strukturen finanziert werden. Der Weg zur
Regelung ist weit, ich bin aber sicher, dass wir am Ende dieses Weges ein
Einvernehmen mit den Abchasen und den Osseten darüber erreichen werden, wie wir
unsere gemeinsame Staatlichkeit gestalten könnten."
22.07.2009 RIA Novosti
***
Scheiden tut not
Die Vereinten
Nationen werden ihre UN-Beobachter-Mission in Georgien (UNOMIG) aufgeben müssen.
Russland hat im Sicherheitsrat sein Veto eine Verlängerung eingelegt
Mit der
territorialen Integrität Georgiens steht es nicht zum Besten. Sie wird zum
Auslaufmodell, was künftig die UNO aus einem größeren Abstand als bisher
verfolgen darf. Russland hat in dieser Woche ein erneutes Mandat für die United
Nations Observer Mission in Georgia (UNOMIG) mit seinem Veto im Sicherheitsrat
blockiert. Die zuletzt noch 134 Militärs, die entlang der Waffenstillstandslinie
der Sezessionskriege aus den frühen Neunzigern patrouillierten, werden wohl
gehen müssen. Zur Erinnerung: 199o beziehungsweise 1992 hatten sich Südossetien
und Abchasien aus dem georgischen Staat verabschiedet. Wie sich zeigen sollte,
ein Abgang ohne Wiederkehr. Wofür besonders der georgische Präsident
Saakaschwili sorgte, als er seine Armee im August 2008 das südossetische
Zchinwali kurzzeitig zurückerobern und verwüsten ließ. Dem Gegenschlag der
russischen Schutzmacht konnte er wenig bis nichts entgegensetzen. Danach
erkannte Moskau die abtrünnigen Republiken als souveräne Staaten an. Nicht zum
Vorteil der russisch-georgischen Beziehungen, schon gar nicht zum Ruhme des
Völkerrechts. Doch das fand sich im Februar 2008 mit der einseitigen
Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ohnehin zum Anachronismus degradiert.
Im Kaukasus
wetteifern nun Realität und Recht miteinander. Erstere hat in Russland einen
Anwalt und in den Südossetien und Abchasien eine Gefolgschaft, die UNOMIG nur
dann erhalten will, sollte ein neues Mandat ohne Begriffe wie territoriale
Integrität oder Mission in Georgien auskommen. Im Klartext: Die Macht der Fakten
gegen die Ohnmacht des Rechts. Da kann die UNO ihren Hut nehmen oder noch einmal
in den georgischen Ring werfen, indem sie eine neutrale Sprache findet, wie das
ihr Generalsekretär in seinem Georgien-Report vom Mai vorgeführt hat. Das Veto
aus Tiflis kam prompt und gilt wie das aus Moskau.
19.06.2009 der Freitag
***
Blauhelm-Schwund im Kaukasus
Am 15. Juni läuft das UN-Mandat für Georgien aus.
Um weiter eine Rolle in der Region zu spielen, müsste sich die Weltorganisation
im Kaukasus-Konflikt neutral verhalten.
Der
Kaukasus-Krieg im August 2008 und die kurz darauf folgende staatliche
Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland haben das internationale
Management der dortigen Konflikt schwer erschüttert. So musste etwa die OSZE
ihre Mission in Südossetien einstellen, während die EU eine vollkommen neue, die
European Union Monitoring Mission (EUMM) nach Georgien entsandte.
Diese Zäsur ließ auch die Vereinten Nationen nicht unberührt. Sie waren seit
1993 mit der United Nation Observer Mission in Georgia (UNOMIG) zentraler Akteur
bei dem Versuch, den georgisch-abchasischen Konflikt einzudämmen. Seit dem
militärischen Schlagabtausch vor knapp einem Jahr ist dieses Mandat lediglich
technisch verlängert worden – am 15. Juni 2009 nun ist diese Gnadenfrist
abgelaufen, eine nochmalige Verlängerung scheint möglich, ist aber alles andere
als sicher.
Politik des leeren
Stuhls
Seit Russland nach dem militärischen
Ausfallschritt des Präsidenten Saakaschwili mehr denn je seine schützende Hand
über die Sezessionsgebiete Südossetien und Abchasien hält, dürfte der
UN-Sicherheitsrat in der Frage der territorialen Integrität Georgiens auf
Jahrzehnte blockiert sein. Die abchasische Regierung sagt ohne Umschweife, eine
künftige UN-Mission, deren Mandat auch ihr Territorium einschließe, dürfe nicht
mehr als „Mission in Georgien“ firmieren. Demgegenüber insistiert die Regierung
in Tiflis, die Zugehörigkeit Abchasiens zu Georgien müsse in irgendeiner Form
zum Ausdruck gebracht werden.
In seinem letzten Georgien-Report vom 18. Mai 2009
hatte UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zu einer „neutralen“ Sprache gefunden, die
bislang übliche Formulierungen aussparte und auf harsche Kritik in Tiflis stieß.
Wie entschieden die Konfliktparteien um den
Georgien-Kurs der UNO ringen, offenbaren die Umstände, unter denen der bewusste
Bericht veröffentlicht wurde. So zogen die Abchasen ihre Teilnahme an den Genfer
Verhandlungen zurück, als das Dokument nicht wie angekündigt am 15. Mai 2009
vorlag. Als die neue Gesprächsrunde am 18. Mai 2009 eröffnet werden sollten,
verließen daraufhin auch die südossetischen und russischen Gesandten den Raum.
Damit war diese Verhandlungsebene, die nach dem August-Krieg von EU, OSZE und
UNO gemeinsam moderiert wurde, vollends gelähmt. Die Vereinten Nationen
reagierten prompt und präsentierten noch in der Nacht den verspäteten Bericht,
den der stellvertretende abchasische Außenminister als „ausgewogen“ empfang. Am
nächsten Tag waren alle wieder versöhnt und verhandlungsbereit waren.
Unabhängig davon, ob es ein neues UN-Mandat gibt
und wie das definiert wird, darf angenommen werden, dass die abchasische Führung
unter Präsident Sergei Bagapsch ein erkennbares Interesse an einer UN-Präsenz
hat. Die verspricht nicht nur Sicherheit, sondern kann auch als
Kommunikationskanal mit den westlichen Mitgliedern des Sicherheitsrates genutzt
werden. Auch wenn die Regierung in Suchumi auf den Beistand Russlands angewiesen
ist, so kann sie doch einer „Multi-Vektor-Politik“ einiges abgewinnen, die
eigenständige Kontakte mit „dem Westen“ in Aussicht stellt. Trotzdem bleibt
ausgeschlossen, dass Suchumi einer UN-Mission zustimmt, die von „territorialen
Integrität Georgiens“ ausgeht. Insofern werden die Vereinten Nationen im
Kaukasus nur weiter Flagge zeigen können, wenn der Status Abchasiens neutral
benannt wird und kein Wort über eine Zugehörigkeit zu Georgien fällt.
Saakaschwili bleibt hart
Auf georgischer Seite ist in dieser Hinsicht
bislang keine Flexibilität signalisiert worden. Wer einlenkt, gibt die
staatliche Einheit preis, befürchtet man dort. Keine Regierung in Tiflis könnte
das riskieren, schon gar nicht die schwer angeschlagene von Präsidenten Michail
Saakaschwili. Müssen die Vereinten Nationen weichen, bliebe allein die EU mit
ihrer EUMM als Konfliktmediator übrig. Sollte es dazu kommen, ist es wenig
wahrscheinlich, dass der Genfer Verhandlungsprozess in seiner jetzigen Struktur
bestehen bleiben, da er erkennbare Unterscheidungen zwischen den „staatlichen“
und den sezessionistischen „nicht-anerkannten Staaten“ macht. Eine
Differenzierung, die Abchasien nicht mehr hinnehmen will. Von daher stellt sich
die Frage nach „neutralen“ Konfliktmanagement-Mechanismen auf vielerlei Ebenen.
Eine neutrale UN Beobachtermission könnte den Rahmen für ein Verhandlungsformat
abgeben, bei dem Konflikt- und Verhandlungsparteien auf gleicher Basis stehen.
Die Einheit Georgiens wird nur in einem Dialog zu
regenerieren sein, der lange dauern kann. Eine neutrale Haltung der Vereinten
Nationen in der Frage der territorialen Integrität Georgiens könnte angesichts
dieser Perspektive auch eine Chance sein.
14.06.2009 der Freitag
***
Namensstreit um UN-Mandat
Weltsicherheitsrat berät über Mission im
abchasisch-georgischen Grenzgebiet
Von Gesine Dornblüth
Nach dem Rückzug der OSZE könnte auch der
"UN-Beobachtermission in Georgien" (UNOMIG) im abchasischen Grenzgebiet das Aus
drohen. Abchasen und Russen wollen einer Verlängerung des Mandates wollen nur
zustimmen, wenn im Namen der neuen Mission auf die Nennung Georgiens verzichtet
wird.
Die Stadt Gali nahe der abchasisch-georgischen
Grenzlinie. Gali gehört zu Abchasien, doch hier wohnen fast nur Georgier. Etwa
die Hälfte der Häuser ist noch immer zerstört, die Straßen sind zerfurcht von
Schlaglöchern, die Menschen misstrauisch. In Gali hat die UNOMIG, die Mission
der Vereinten Nationen, ein Lager. Den Bewohnern gibt das Sicherheit, sagt eine
Frau.
"Ein paar mal haben
die Beobachter mir geholfen: Einmal hatte meine Tochter ihr Bein gebrochen, da
haben sie sie behandelt. Und als mein Haus abgebrannt war, haben sie das Dach
repariert. "
Vielen Bewohnern von Gali ist es jedoch
gleichgültig, ob die UN-Beobachter da sind oder nicht. Denn in den Konflikt
zwischen Georgiern und Abchasen haben die UN 15 Jahre lang keine Bewegung
bringen können. Die Schuld dafür liegt bei den Konfliktparteien, nicht bei den
UN-Mitarbeitern, erläutert der Leiter der Mission, der belgische Diplomat Johan
Verbeke.
"Sie können nichts
tun, was die beiden Seiten selbst nicht können oder wollen. Wir sind da, um zu
vermitteln und Kompromisse vorzuschlagen. Leider waren beide Seiten bisher nicht
bereit, die nötigen Zugeständnisse zu machen."
Der Krieg im vergangenen August zwischen der
russischen Armee und dem zweiten georgischen Separationsgebiet, Südossetien, auf
der einen Seite und Georgien auf der anderen Seite, hat die Fronten noch einmal
verhärtet. Zumal, da Russland Abchasien in der Folge des Krieges als
unabhängigen Staat anerkannt hat und dort russische Militärbasen aufbaut. Das
gibt den Abchasen Rückenwind. Sie wollen nun keine Mission mehr akzeptieren, die
das Wort "Georgien" im Titel trägt, denn sie gehen davon aus, dass sie einen
eigenen Staat haben. Der Sprecher des Parlaments von Abchasien, Nugzar Aschuba:
"Von allen Missionen,
die in der Region waren, hat die der Vereinten Nationen sich als die neutralste
erwiesen. (…) Wir wollen deshalb, dass sie bleibt. Dazu muss aber zuallererst
der Name geändert werden. Sie kann nicht ganz neutral sein, wenn sie "Mission in
Georgien" heißt. Soweit ich informiert bin, wird daran bereits gearbeitet: Sie
wird einfach "Mission der UN für Stabilisierung" heißen."
Außerdem müsse die Mission statusneutral sein,
also nichts darüber aussagen, ob Abchasien zu Georgien gehöre oder nicht. Für
die Georgier ist das völlig inakzeptabel. Temur Jakobaschwili ist
stellvertretender Premierminister Georgiens und für die Reintegration der
abtrünnigen Gebiete zuständig.
"Unsere Gebiete sind
von Russland besetzt. Die Vereinten Nationen sollten sich deutlich zum Status
äußern und ganz klar sagen, dass Georgiens territoriale Integrität unantastbar
ist. (…) Die Mission muss "UN-Mission IN GEORGIEN" heißen. Abchasien ist
Georgien."
Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass die
Mitglieder des UN-Sicherheitsrates von dem Dogma der territorialen Integrität
Georgiens abrücken. So hatten die Vereinten Nationen bis vor einigen Monaten
immer von "Abchasien - Georgien" gesprochen und die Vertreter der Region als "de
facto" Vertreter bezeichnet - eine diplomatische Verklausulierung für
Repräsentanten international nicht anerkannter Staaten. Im letzten Bericht des
UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon zu Abchasien vom Mai dieses Jahres sind solche
Formulierungen nicht mehr enthalten. Die Abchasen sehen darin eine Aufwertung
Abchasiens zum Staat. Johan Verbeke, der Chef der UNOMIG, winkt ab.
"Der Bericht enthält
immer noch den sehr wichtigen Verweis auf die frühere Resolution 1808. Und in
der wird die territoriale Integrität Georgiens ausdrücklich anerkannt. Der
Generalsekretär hat in seinem letzten Bericht lediglich eine Sprache gefunden,
die es ermöglicht, keine der Konfliktparteien zu verprellen.
Wir werden am Montag
nur dann ein neues Mandat bekommen, wenn beide Parteien bereit sind, sich eine
Mission vorzustellen, die die Statusfrage Abchasiens nicht berührt. Sobald
statusbezogene Fragen direkt oder auch nur indirekt einbezogen werden, wird sehr
wahrscheinlich eine Seite aussteigen."
Dem Sicherheitsrat steht also eine schwierige
Sitzung bevor. Sollten die UN-Beobachter nächste Woche aus der Region abziehen,
rechnen Diplomaten zwar nicht mit Krieg; viele der noch verbliebenen Georgier
könnten Abchasien jedoch verlassen. Und Russen und Abchasen könnten behaupten,
der Konflikt um Abchasien sei gelöst - ohne, dass internationale Beobachter
widersprechen.
12.06.2009 Deutschlandfunk
***
»Bestandene Reifeprüfung«
Südossetiens Präsident mit Wahl zufrieden / EU
erkennt Votum nicht an
Von Irina Wolkowa, Moskau
Als »bestandene Reifeprüfung für die
Unabhängigkeit« bezeichnete Präsident Eduard Kokoity die Wahlen in Südossetien
am Sonntag. Vier Parteien hatten sich um die 34 Sitze im Parlament beworben
und die Sieben-Prozent-Sperrklausel dabei auch überwunden. Einheit, die
Regierungspartei, der auch Kokoity selbst angehört, kam dabei auf 46,5
Prozent, die Kommunisten und die Volkspartei auf jeweils um die 20 Prozent.
Die Opposition bezeichnete die Abstimmung als
»undemokratisch« Etwa 200 Regierungsgegner hatten Präsident Kokoity schon in
der vorvergangenen Woche bei einem Meeting vor der Staatsduma in Moskau
Missbrauch seines Amtes im Wahlkampf vorgeworfen. Organisiert hatte den
Protest der Tedejew-Clan. Er hatte Kokoity einst an die Macht gehievt, war von
diesem dann jedoch entmachtet worden. Beide hatten sich im Kampf um Geld aus
Moskau und Marktanteile ihrer Unternehmensgruppen zerstritten. Die
südossetische Opposition, so hiesige Kaukasus-Experten, habe von Moskau keine
Hilfe zu erwarten. Kreml und Regierung seien mit Kokoitys Performance »im
Prinzip« zufrieden. In der Tat. Anders als Kollege Sergej Bagapsch in
Abchasien ist Kokoity Moskau gegenüber hundertprozentig loyal und damit Garant
für hochfliegende Pläne, wie Russland sie mit Georgiens abtrünnigen Regionen
hat. Die EU erkennt die Parlamentswahl nicht an.
In Südossetien und in Abchasien, die es zusammen
auf gerade mal 275 000 Einwohner und 12 500 Quadratkilometer bringen, sind
gegenwärtig über 9000 russische Soldaten stationiert. In Südossetien hatte
Moskau seine Grenztruppen erst vor ein paar Wochen aus ihren Stellungen kurz
vor dem Roki-Tunnel an der Grenze zu Nordossetien, die gleichzeitig auch
südliche Staatsgrenze Russlands ist, abgezogen und hundert Kilometer weiter
südlich an die einstige Demarkationslinie zu Georgiens Kernprovinzen verlegt.
Auch der Bau von Kasernen und Übungsplätzen für reguläre Einheiten des Heeres,
die gegenwärtig noch in Zelten untergebracht sind, läuft auf Hochtouren.
Vor der Küste Abchasiens kreuzt auch der
Großteil der russischen Schwarzmeerflotte. Diese ist eigentlich auf der Krim
stationiert, wo Moskau die Marinebasis bei Sewastopol bis 2017 gepachtet hat.
Kiew drängt jedoch in die NATO und möchte den Vertrag vorfristig beenden. Da
der neue Standort an der russischen Schwarzmeerküste bisher nur als Blaupause
existiert und die Krise auch zu Kürzungen des Militärhaushalts führt, ist es
billiger, den Hafen von Suchumi, der Hauptstadt Abchasiens, auszubauen. Die
Vorbereitungen haben begonnen.
Russland begründet seine geballte Präsenz mit
Freundschaftsverträgen, die Moskau gleich nach der Anerkennung der
Unabhängigkeit beider Regionen mit diesen im September unterzeichnete. Sie
sehen auch Bestandspflicht im Falle einer Aggression vor. Moskau wie Zchinwali
schließen eine neue Offensive zur Rückeroberung Südossetiens nicht aus. Die
Neubewaffnung der georgischen Armee, die bei der Niederlage im Augustkrieg
gegen Russland fast alle Technik verlor, ist aus Sicht hiesiger Experten so
gut wie abgeschlossen.
02.06.2009 Neues Deutschland
***
Spielt Belarus auf Zeit?
Eigentlich sollte die Frage nach der
Anerkennung Südossetiens und Abchasiens auf der Tagesordnung des Parlaments in
Belarus stehen. Doch vieles spricht dafür, dass Minsk die Entscheidung möglichst
hinauszögern will.
Hintergrund ist der Konflikt um die beiden
abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien sowie die
Anerkennung von deren Unabhängigkeit durch Russland. Nun sieht sich auch Belarus
vor die Frage gestellt: anerkennen oder nicht? Dabei dürfte Präsident
Lukaschenko mehr als bewusst sein, dass die Lage äußerst verzwickt ist: Die
Nichtanerkennung der Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens würde Moskau
brüskieren, eine Anerkennung könnte wiederum die zarten Bande empfindlich
stören, die Minsk derzeit mit Brüssel knüpft.
Zunächst hat Lukaschenko offenbar einen Zeitgewinn
verbucht, indem er darauf verwies, erst nach den Wahlen könne das neue Parlament
über eine Anerkennung der beiden selbsternannten Republiken entscheiden. Schaut
man sich aber nun die Tagesordnung der ersten Sitzungsperiode der neugewählten
Repräsentantenkammer der belarussischen Nationalversammlung an, so fällt auf,
dass die Frage nach der möglichen Anerkennung Südossetiens und Abchasiens gar
nicht auf der Agenda steht.
Politischen Handlungsspielraum erhalten
Der russische Politikwissenschaftler Fjodor
Lukjanow meint, der belarussische Präsident Aleksandr Lukaschenko habe zu keinem
Zeitpunkt beabsichtigt, die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens
anzuerkennen. Die Motive lägen auf der Hand: "Für jeden postsowjetischen Staat,
egal in welchem Verhältnis er zu Russland und Georgien steht, ist die
Legitimation einer gewaltsamen Grenzänderung ein äußerst unwünschenswerter
Präzedenzfall." Belarus habe zwar aktuell keine Territorialkonflikte, aber jeder
postsowjetische Staat könnte Probleme bekommen, wenn die administrativen Grenzen
der einstigen UdSSR in Zweifel gezogen würden, so Lukjanow.
Die EU wiederum habe die Nichtanerkennung
Südossetiens und Abchasiens zur Bedingung für eine Beteiligung von Belarus an
dem Programm Ostpartnerschaft gemacht. "Das ist ganz klar eine Einmischung in
die inneren Angelegenheiten von Belarus", kritisiert Lukjanow. Dies habe
Lukaschenko zum Anlass genommen, sich von dieser Frage zu entfernen. Er wolle
sich den Raum zum Lavieren zwischen Russland und der EU erhalten.
Dass Minsk seinen politischen Spielraum nicht
einengen will, vermutet auch der belarussische Experte Aleksandr Klaskowskij.
Allerdings ist er der Meinung, dass eine Anerkennung der Unabhängigkeit
Südossetiens und Abchasiens derzeit gar keine Rolle spiele. Diese Frage werde
sowohl von Moskau als auch von der EU aufgebauscht. "Die EU wird nichts tun
können, falls Minsk die beiden kaukasischen Republiken anerkennt, weil man
Belarus bereits in die Ostpartnerschaft aufgenommen hat", vermutet Klaskowskij.
Auch Moskau werde nicht übermäßig Druck ausüben, so der Experte.
Welche Signale wird Belarus setzen?
Nach Ansicht des belarussischen Politologen
Wladimir Mazkewitsch würde sich für Südossetien und Abchasien durch eine
Anerkennung wenig ändern. Anders für Belarus: Für Minsk hätte dieser Schritt
ernsthafte Folgen. Wie der Experte erläuterte, wäre eine Anerkennung der
abtrünnigen georgischen Provinzen für die Europäer ein Signal dafür, dass Minsk
sein selbständiges Vorgehen in Richtung Europa endgültig beendet. Der EU wäre
somit klar, dass alle Fragen betreffend Belarus mit dem Kreml abgeklärt werden
müssten.
Doch auch der Umkehrschluss sei nicht ohne
weiteres zulässig: Durch eine Nichtanerkennung könne Belarus nicht automatisch
Pluspunkte für sich bei der EU verbuchen, meint Mazkewitsch. Denn zwischen der
EU und Minsk gebe es genügend andere offene Fragen. Das Hauptproblem sei nicht
die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens. Es gehe vielmehr um Maßnahmen zur
Demokratisierung in Belarus.
Autor: Gennadij Konstantinow/Vladimir Dorokhov/Markian
Ostaptschuk
Redaktion: Birgit Görtz
16.04.2009 Deutsche Welle
***
Machtbasis des Präsidenten schwindet
Gefolgsleute von Mikhail Saakaschwili haben in den
vergangenen Wochen in Serie das Regierungslager verlassen
Wien/Tiflis - Während die Nato mehr als ein halbes
Jahr nach dem Krieg im Kaukasus ihr Verhältnis zu Russland normalisiert,
schwindet die Machtbasis von Mikhail Saakaschwili in schnellem Tempo.
Gefolgsleute des georgischen Präsidenten, dem zumindest die unmittelbare
Verantwortung für den Kriegsausbruch im August 2008 und die rasche Niederlage
gegen die russische Armee angelastet wird, haben in den vergangenen Wochen in
Serie das Regierungslager verlassen
Der frühere
Premierminister Surab Nogaideli (2005-2008) nennt seinen ehemaligen Mentor nun
einen „Verbrecher", den bisherigen OSZE-Botschafter Dolidse hat es nicht länger
auf seinem Posten gehalten, die ehemalige Parlamentspräsidentin und
Mitanführerin der Rosenrevolution von 2003, Nino Burdschanadse, - sie wird am
Sonntag an der 1989-Diskussionsreihe des Standard im
Burgtheater in Wien
teilnehmen - hat zusammen mit sieben anderen Oppositionsparteien zu einer
Massendemonstration Anfang April aufgerufen, um Saakaschwili zu stürzen.
Gegenspieler
Zum gewichtigsten Gegenspieler Sakaaschwilis ist
mittlerweile der frühere UN-Botschafter und ehemalige Chef der von Tiflis
unterstützten abchasischen Exilregierung, Irakli Alasania, geworden. Alasania,
wie die meisten Politiker der Rosenrevolution gerade einmal Mitte 30, ließ mit
realistischen Aussagen über den dauerhaften Verlust der beiden georgischen
Separatistengebiete Abchasien und Südossetien, aufhorchen; eine Korrektur der
kompromisslosen Politik Georgiens gegenüber Moskau sei notwendig.
Der jüngste Ausfall im Lager des Präsidenten
dagegen ist der erst vor einem Monat ernannte, als sehr kompetent geltende
Armeechef Wladimir Chachibaja; der in den USA ausgebildete General schmiss
vergangene Woche im Streit um Einflussnahmen bei seinen Personalentscheidungen
die Brocken hin und ließ sich auf den weithin dekorativen Posten eines
Vizeverteidigungsministers verschieben - wie lange er dort bleibt, ist ungewiss.
Konfliktlösung
Substanzielle Kritik an äußerte auch Georgiens
frühere Außenministerin Salome Surabischwili, die als Exil-Georgierin und
französische Botschafterin in Tiflis nach der Revolution im November 2003 das
Ministeramt übernahm. Der Krieg im Sommer 2008 hätte vermieden, die
Möglichkeiten für eine Konfliktlösung hätten besser ausgelotet werden können,
sagte Surabischwili vergangene Woche bei einer nicht-öffentlichen Konferenz der
Landesverteidigungsakademie in Wien zu den Sezessionskonflikten in Georgien: „Es
gab nur verpasste Chancen, ich kann keine positiven Momente erkennen."
Verwaltungsgrenze
Surabischwili, eine entschiedene Gegnerin
Russlands und der russischen Kaukasuspolitik, nannte eine Reihe folgenreicher
Fehlentscheidungen der georgischen Führung, die Möglichkeiten für einen
langfristigen Ausgleich mit den Separatisten verbauten. Einige dieser
Entscheidungen, wie etwa die Schließung des riesigen Markts von Ergneti an der
Verwaltungsgrenze zwischen Südossetien und dem georgischen Kernland im Frühjahr
2004, hat sie allerdings selbst mitgetragen. „Die Schließung von Ergneti war ein
Desaster", meinte die Ex-Außenministerin nun, denn der Markt, auf dem
hauptsächlich Schmuggelware aller Art aus Russland umgeschlagen wurde, diente
als Wirtschafts- und Kontaktbasis von Georgiern und Osseten. „Auf menschlicher
Ebene war der Konflikt in Südossetien bis dahin gelöst gewesen", erklärte
Surabischwili.
Zumindest für die Südosseten ist er das nach dem
Krieg, der Vertreibung der georgischen Bewohner und der Anerkennung der Provinz
als unabhängigen Staat durch Russland heute auch. „Für mich ist der Konflikt
gelöst, zumindest auf die nächsten Jahre hinaus", stellte Alan Pastajarew,
Direktor einer NGO in Zchinwali, bei der Konferenz der Verteidigungsakademie
schlicht fest - „die russische Armee ist da, um mich zu beschützen." (Markus
Bernath, 14.3.2009)
14.03.2009 derStandart
***
Rustawi 2
setzt Serie zu neuem Krieg zwischen Georgien und Russland fort
Der
regierungstreue georgische Privatsender Rustawi 2 schraubt weiter an seiner
Geschichte über einen neuen Krieg, den Russland nach Ansicht der Regierung
Saakaschwili gegen Georgien vorbereitet. Dazu gab es am Montag zwei
Meldungen, die sich (bislang) nicht in anderen georgischen Medien fanden,
mit Ausnahme der wörtlich von Rustawi übernommenen Meldungen anderer
Webseiten.
Die eine Meldung besagt, dass Russland seiner Stellungen in der abtrünnigen
Teilrepublik Abchasien verstärkt. Demnach sollen 400 Soldaten der russischen
Besatzungstruppen an der Verwaltungsgrenze innerhalb Georgiens Stellung
beziehen.
Für die andere Geschichte nimmt der Sender Bezug auf den russischen
Militärexperten Pavel Felgenhauer. Dieser soll nach Angaben des Senders
gesagt haben, Russland plane eine neuen Feldzug gegen Georgien. Dabei sei
die Besetzung von Tbilisi und mehrerer wichtiger Stützpunkte in Georgien
geplant.
Zu Beginn solle der Tod mehrerer russischer Soldaten in Szene gesetzt
werden, soll Felgenhauer nach Angaben des Senders gesagt haben. Das Szenario
ist nicht neu: Am 1. September 1939 hatte Adolf Hitler den Angriff auf Polen
mit einem angeblichen Angriff auf einen Radiosender gerechtfertigt.
Jahrzehnte später stellte sich heraus, dass der Angriff inszeniert war.
Ob die Aussage von Felgenhauer wirklich getätigt worden ist oder von Rustawi
2 frei erfunden wurde, lässt sich derzeit nicht nachprüfen. Auffallend ist
jedoch, dass der Sender intensiv an einer medialen Vorbereitung eines neuen
Waffenganges zwischen Georgien und Russland arbeitet. Präsident Saakaschwili
und die anderen Hardliner seines Machtapparates wie der unbeliebte Giga
Bokeria arbeiten seit Wochen an der intensiven Gestaltung des Feindbildes
Russland.
Mit welchen Mitteln Saakaschwili und der mutmaßlich ihm gehörende Sender
arbeiten, hat das Beispiel des 21. Mai 2008 gezeigt. Zwei Busse wurden an
der Verwaltungsgrenze zur abtrünnigen Teilrepublik Abchasien beschossen, als
sie zur an dem Tag stattfindenden Wahl fahren wollten. Vier Menschen wurden
dabei verletzt. Später stellte sich heraus, dass Saakaschwili auf die eigene
Bevölkerung schießen lies, um dieses Verbrechen Russland und der Führung der
abtrünnigen Teilrepublik in die Schuhe schieben zu können. Rustawi 2 stellte
bereits im Vorfeld der Schüsse Kameras auf und berichtete in aller
Ausführlichkeit über den angeblich von abchasischen Separatisten begangenen
Überfall.
23.02.2009 Georgien Nachrichten
***
"Jahrhundertelange Erinnerung ans Blutvergießen"
Der Krieg im Kaukasus - für Russland kein
neues Kapitel des Kalten Krieges, sondern lediglich eine Provokation des
georgischen Präsidenten. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt Russlands
Außenminister Lawrow, wer aus der Sicht Moskaus außerdem Schuld an dem Konflikt
trägt.
SPIEGEL ONLINE: War der Krieg
zwischen Russland und Georgien um die Kaukasus-Provinz Südossetien, der im
vergangenen August Europa erschütterte, in Wirklichkeit nicht der erste
Konflikt zwischen Amerika und Russland nach dem Kalten Krieg?
Lawrow:
Diese Konfrontation hing wesentlich mit der Person des georgischen
Präsidenten Micheil Saakaschwili zusammen. Er zettelte ein Spiel an, das
nicht gelingen konnte. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass er genug
Kraft für einen militärischen Angriff auf Südossetien gesammelt hat. Dazu
hat ihn auch die Erklärung der Nato auf ihrem Bukarester Gipfel im
vergangenen April verleitet, auf dem erklärt wurde, dass Georgien
demnächst Nato-Mitglied werden könne. Das hat Saakaschwili als
Blankoscheck verstanden.
SPIEGEL ONLINE:
Wollen Sie damit sagen, dass der Westen für den Krieg verantwortlich ist?
Lawrow:
Ich hoffe, dass alle ihre Lehren ziehen. Viele Nato-Länder, aber auch
andere europäische Staaten, haben Georgien in großen Mengen Waffen
geliefert. Ich betone: Offensivwaffen in ein Konfliktgebiet. Dies war ein
Verstoß gegen die Regeln der Europäischen Union (EU) und der Organisation
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Der Krieg hat eine
lange Vorgeschichte.
SPIEGEL ONLINE:
Welche?
Lawrow:
Bereits kurz vor der Gründung der Sowjetunion am Anfang des 20.
Jahrhunderts haben georgische Soldaten in Südossetien Tausende Zivilisten
massakriert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden neue
Staaten. Die georgische Führung hat versucht, Südossetien und Abchasien
mit Gewalt unter Kontrolle zu bringen. Georgien stimmte für die
Unabhängigkeit, verwehrte aber gleichzeitig Südossetien und Abchasien eine
Volksabstimmung. Stattdessen nahm die Regierung in Tiflis den beiden
Republiken ihren Autonomie-Status, welche die Provinzen zu Sowjetzeiten
gehabt hatten, und erklärte, dass Georgien den Georgiern gehöre. Damals
konnte die Aggression abgewendet werden, nach Verhandlungen wurden
Friedensmechanismen geschaffen.
SPIEGEL ONLINE:
2004 aber brachen neue Feindseligkeiten aus.
Lawrow:
Auch damals hat Saakaschwili einen Krieg gegen Südossetien angefangen, im
August 2004. Es gelang, ihn durch die Verteidigungstruppen Südossetiens
und mit Hilfe der Friedenstruppen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten
(GUS) schnell zu stoppen. Dem georgischen Diktat wurde eine militärische
Abfuhr erteilt, und zwar auf der Grundlage internationaler Verträge und
Entscheidungen der OSZE.
SPIEGEL ONLINE:
Zurück zum jüngsten Krieg. Wir haben dennoch den Eindruck, dass es um eine
Abgrenzung der Einflusszonen zwischen Russland und Amerika ging.
Lawrow:
Unsere amerikanischen Freunde behaupten, sie würden keine Aufteilung der
Welt in Einflusszonen zulassen. Das ist auch meine Haltung. Einflusszonen
entspringen der Logik des Kalten Krieges.
SPIEGEL ONLINE:
In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion haben nicht wenige das Gefühl,
Moskau wolle seine alte, dominante Rolle wiederherstellen ...
Lawrow:
Bereits 2004 hat unser damaliger Präsident Wladimir Putin bei einem
Auftritt im russischen Außenministerium festgestellt, dass unsere
Nachbarstaaten, die Länder der GUS, für uns eine absolute Priorität haben.
Im gleichen Atemzug aber sagte er, dass wir über kein Monopol auf diesen
Raum verfügen. Alle Länder sind unabhängig und haben das Recht, sich ihren
Partner auszusuchen. Putin erklärte auch, dass wir die Interessen unserer
westlichen Partner im postsowjetischen Raum anerkennen. Im Kaukasus und in
Zentralasien geht es um Energiesicherheit, die Bekämpfung von Terrorismus,
Drogenhandel und der Organisierten Kriminalität.
Wer ist schuld am jüngsten
Konflikt?
SPIEGEL ONLINE:
Moskau ist aber alles andere als glücklich über die Aktivitäten des
Westens in seinem Hinterhof.
Lawrow:
Wir wollen, dass diese Interessen mit transparenten, friedlichen und
gesetzmäßigen Methoden vertreten werden. In erster Linie aber dürfen die
Interessen der Staaten in Zentralasien und im Kaukasus nicht aus dem Blick
geraten. Sie dürfen nicht vor eine irreführende Wahl gestellt werden nach
dem Motto, entweder schließt ihr euch der demokratischen Gemeinschaft an
oder ihr wählt die Partnerschaft mit Russland.
SPIEGEL ONLINE:
Wer ist schuld am jüngsten Konflikt? Georgien hat den ersten Schuss
abgefeuert, aber beide Seiten haben sich auf diesen Krieg vorbereitet.
Lawrow:
Was heißt den ersten Schuss abgegeben? Das ist eine sehr beschönigende
Schilderung dessen, was tatsächlich geschehen ist. Das hört sich nach
Gawrilo Princip an, der in Sarajevo 1914 den serbischen Thronfolger
ermordete. Er gab einen Schuss ab und dann haben schlechte Menschen den
Ersten Weltkrieg begonnen. In Südossetien aber war alles anders. Es gibt
zahllose Beweise, dass Georgien bei seinem Angriff Panzer, Artillerie und
Raketenwerfer eingesetzt hat.
SPIEGEL ONLINE:
Was sind die Folgen dieses Krieges?
Lawrow:
Saakaschwili selbst hat die territoriale Integrität seines Landes
zerstört, als er eine friedliche Stadt angriff. Noch 2006 sagte Herr
Saakaschwili, er würde niemals Gewalt anwenden, weil er wisse, dass
Blutvergießen im Kaukasus nicht nur über Jahrzehnte, sondern über
Jahrhunderte im Gedächtnis bleibe.
SPIEGEL ONLINE:
Viele meinen, Russland habe ein Interesse gehabt, den Konflikt zu schüren,
es habe durch die Ausgabe russischer Pässe an Südosseten und Abchasen Öl
ins Feuer gegossen.
Lawrow:
Als Präsident Dmitrij Medwedew am 6. Juni vergangenen Jahres in Sankt
Petersburg mit Saakaschwili zusammentraf, begann er das Gespräch mit einem
Bekenntnis zur territorialen Integrität Georgiens. Er erklärte, dass
Russland die Situation um Südossetien und Abchasien entspannen will und
helfen möchte, zu einer stabilen Regelung zu kommen. Beide Präsidenten
kamen überein, dass ein erster Schritt gemacht werden solle, indem alle
ein Gewaltverzichtsabkommen unterzeichnen.
Gesamteuropäische Lösung der
Sicherheitsfrage
SPIEGEL ONLINE:
Das ist gescheitert. Wie kann Russland dazu beitragen, dass solche
Konflikte künftig vermieden werden?
Lawrow:
Wir wollen mit aller Kraft eine gesamteuropäische Lösung der
Sicherheitsfrage. Mit diesem Ziel hat Dmitrij Medwedew am 5. Juni
vergangenen Jahres in seiner Berliner Rede einen neuen Vertrag zur
Europäischen Sicherheit vorgeschlagen. Im Russland-Nato-Akt von 1997, der
2002 in den Russland-Nato-Rat mündete, haben die Staatsführer
festgehalten, dass Sicherheit unteilbar ist und dass keiner seine
Sicherheit auf Kosten anderer aufbauen darf.
SPIEGEL ONLINE:
Was soll ein neuer Vertrag bringen?
Lawrow:
Damals war das ein politisches Dokument, das ein politisches Prinzip
festhielt. Leider hat die Praxis gezeigt, dass dies nicht funktioniert.
Wir schlagen nun vor, das Prinzip der unteilbaren Sicherheit juristisch
bindend zu machen.
SPIEGEL ONLINE:
Werden die anderen europäischen Ländern dem Vorschlag Russlands folgen?
Lawrow:
Die Münchner Sicherheitskonferenz war in diesem Jahr besonders
interessant. Die Weltfinanzkrise zwingt alle Länder, sich auf die
wirklichen Probleme zu konzentrieren. Den Luxus geopolitischer Spielchen
können wir uns nicht länger leisten.
Lesen Sie dazu auch den aktuellen
SPIEGEL und die Ausführungen des russischen Außenministers zu den
Entspannungssignalen der Obama-Regierung, Ideen zur nuklearen Abrüstung
und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit im Konflikt mit Iran.
Das Interview führten Martin Doerry,
Christian Neef und Matthias Schepp in Moskau
19.02.2009 SPIEGEL ONLINE
***
Ein Jahr nach der Unabhängigkeit
Der Präzedenzfall Kosovo
Als das Kosovo vor einem Jahr unabhängig wurde,
befürchteten viele, dies könne ein
Signal für Separatisten weltweit
sein. Tatsächlich hat sich seitdem zum Beispiel die Situation im benachbarten
Bosnien verschlechtert. Eine direkte Verbindung gibt es zwischen der
Unabhängigkeit des Kosovo und dem Krieg in Georgien.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
Kurz nach der
Unabhängigkeitserklärung kam es zu Unruhen in Mitrovica im Nordkosovo.
Unruhen, Angriffe auf ein EU-Büro und auf ein
Gerichtsgebäude im Norden des Kosovo, die Zerstörung der US-Botschaft in Belgrad
durch randalierende Serben – die ersten Tage des unabhängigen Kosovo ließen
nichts Gutes erahnen. Doch blieb es danach relativ ruhig. Zwar kommt es immer
wieder zu Protesten der serbischen Minderheit und faktisch ist der Norden vom
Rest des
Kosovo getrennt, aber eine Massenflucht und größere Auseinandersetzungen mit
den Kosovo-Albanern blieben aus.
In Serbien konnten die Ultranationalisten die
Wähler bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nicht überzeugen. Den
Bürgern waren finanzielle Aufbauhilfe und Reiseerleichterungen als Teil eines
Partnerschaftsabkommens mit der EU wichtiger als der Widerstand gegen die
Unabhängigkeit der ehemaligen serbischen Provinz, die die Kosovo-Albaner gegen
den Willen Serbiens und Russlands ausgerufen hatten.
Serbische Rückkehrer im Kosovo:
"Am schlimmsten
ist die Propaganda aus Serbien"
Eine Reportage von Andrea Mühlberger aus Vidanje,
ein Dorf im Kosovo. [mehr]
Bosnien droht auseinanderzubrechen
Doch die
Anerkennung des Kosovo durch mittlerweile 54 von 192 UN-Staaten hat vielen
Separatisten ein weiteres Argument geliefert, für ihre Region ebenso
Unabhängigkeit zu fordern. Das betrifft zum Beispiel das benachbarte
Bosnien-Herzegowina. Dort haben die Spannungen zwischen den Teilstaaten - der
Serbenrepublik Srpska und der muslimisch-kroatischen Föderation - noch
zugenommen.
Das Parlament der Republika Srpska verurteilte die
einseitige Unabhängigkeitserklärung als "illegal". Wenn die Kosovo-Albaner das
Recht auf Selbstbestimmung der Völker für sich in Anspruch nehmen dürften, so
müsse dies den Serben in Bosnien auch zugestanden werden. Der muslimische
Präsident Haris Silajdzic und der serbische Regierungschef Milorad Dodik heizen
seither die Stimmung weiter an. Erst im Oktober drohte Dodik, die Serbenrepublik
könne sich abspalten. Er kündigte an, seine Republik werde Zuständigkeiten
wieder übernehmen, die sie an den Bundesstaat abgetreten hatte.
Separatisten in Spanien frohlockten
Auch den Separatisten im spanischen Baskenland
diente das Kosovo als Argument für die eigenen Forderungen nach Abspaltung. Mit
Genugtuung erklärte die Baskische Nationalistenpartei PNV, die Unabhängigkeit
des Kosovo bestätige das Recht auf freie Entscheidung eines Volkes über das
eigene Schicksal. Ende Juni kündigte die baskische Regionalregierung ein
Unabhängigkeitsreferendum an. Es wurde aber vom Verfassungsgericht für illegal
erklärt. Bei der Regionalwahl im März muss die PNV Umfragen zufolge mit einer
Wahlniederlage rechnen. Nachvollziehbar ist dennoch, dass die Zentralregierung
in Madrid das Kosovo nicht anerkannte.
EU verhält sich uneinheitlich
Protest-Graffiti gegen UNMIK
und EULEX vor dem Regierungsgebäude in Pristina. (Foto: Silvia Stöber)
]
Neben Spanien haben die EU-Länder Zypern,
Griechenland, Rumänien und die Slowakei diesen Schritt verweigert. Das erschwert
der EU eine einheitliche Haltung
gegenüber der EU-Mission Eulex, die im Kosovo den Aufbau rechtsstaatlicher
Strukturen unterstützen soll. Sie konnte erst Ende 2008 nach sechsmonatiger
Verzögerung ihre Arbeit aufnehmen. Eulex löst nicht wie geplant die von vielen
Seiten kritisierte UN-Verwaltung UNMIK ab, sondern muss unter und neben ihr
agieren. Ursprünglich sollte Eulex durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates
legitimiert werden. Dies war aber nach jahrelangen Verhandlungen über den Status
des Kosovo am Widerstand Russlands gescheitert.
Für Russland war es ein Präzedenzfall
Der russischen Regierung ging es dabei nicht nur
um die Unterstützung der territorialen Integrität Serbiens, sondern auch um eine
Demonstration der eigenen Macht in der Welt. Dies erklärt sich durch den Umgang
Russlands mit den von Georgien abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien.
Im Widerspruch zur Argumentation bezüglich des Kosovo erkannte Russland deren
Unabhängigkeit am 26. August 2008 an - zwei Wochen nach dem Ende des
Georgien-Krieges, den der georgische Präsident Michail Saakaschwili mit dem
Angriff auf Südossetien ausgelöst hatte.
Putin bekannte sich früh
Putin stellte schon 2006 eine
Verbindung zwischen dem Status des Kosovo und den abtrünnigen Gebieten in
Georgien her. ]
Doch hatte Russland dies offenbar schon länger
erwogen. Bereits im September 2006 hatte Wladimir Putin - damals noch als
russischer Präsident - gefordert, für die beiden Gebiete im Kaukasus die
gleichen Maßstäbe anzuwenden wie beim Kosovo. Als die Unabhängigkeitserklärung
der Kosovo-Albaner näher rückte, drohte das russische Außenministerium mit einer
"adäquaten Reaktion".
Nach Aussage des Russland-Experten Alexander Rahr
von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik bemühte sich die Regierung
in Moskau bereits zu dieser Zeit darum, andere Länder davon zu überzeugen, die
Unabhängigkeit der beiden Gebiete anzuerkennen. Südossetien und Abchasien hatten
mit Verweis auf das Kosovo offiziell darum gebeten. Bestärkt in ihrer Forderung
wurden sie, als das russische Parlament im März 2008 ihre Unabhängigkeit
forderte und das Außenministerium in Moskau Wirtschaftssanktionen gegen beide
aufhob.
Die rote Linie war überschritten
Als die NATO Anfang April 2008 Georgien und der
Ukraine eine Mitgliedschaft in der Allianz grundsätzlichin Aussicht stellte, war
für Russland die rote Linie endgültig überschritten. Der Kreml kündigte die
Eröffnung von "Quasi-Konsulaten" und eine enge Zusammenarbeit mit beiden
Gebieten an, was einer Anerkennung fast gleichkam. Die georgische Regierung ließ
sich provozieren - eine undurchsichtige Spirale aus Reaktion und Gegenreaktion
kam in Gang, die im Fünf-Tage-Krieg endete. Dabei hatte schon im Frühsommer ein
Krieg in Abchasien gedroht, der gerade noch abgewendet hatte werden können,
bestätigte die damalige georgische Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse
tagesschau.de.
Machtpoker am Kaukasus Worum
geht es bei dem Konflikt in Georgien? Hintergründe zum Thema von tagesschau.de [mehr]
Die Anerkennung des Kosovo und die
NATO-Entscheidung haben zur Eskalation beigetragen. Doch hatten die
Konfliktparteien schon nach 2004 nicht mehr an eine Verhandlungslösung geglaubt,
als Saakaschwili Präsident geworden war und die Herstellung der territorialen
Integrität Georgiens angekündigt hatte. Das betont Dieter Boden, ehemals
Vertreter der OSZE und der UNO in Georgien.
Der Georgien-Krieg
überraschte viele in seiner Heftigkeit. Zehntausende flohen vor den Kämpfen, wie
diese Osseten. ]
Der Krieg jedenfalls und die Anerkennung
Südossetiens und Abchasiens ermöglichen es Russland, dort mehr Truppen als zuvor
zu stationieren. Russland hatte bis Ende 2007 gemäß internationaler
Vereinbarungen den Abbau der letzten Militärstützpunkte in Georgien
abgeschlossen. Außerdem sollte die russische Armee laut Abkommen mit der EU nur
so viele Soldaten wie vor dem Krieg in Georgien belassen. Nun errichtet die
russische Armee neue Militärstützpunkte und belässt mehr Soldaten dort als
vereinbart. Russland sieht sich dennoch im Recht, denn es handele sich nicht
mehr um georgisches Territorium, sondern um eigenständige Staaten.
Folgen überraschend?
Dabei gerät außer Acht, dass zumindest Abchasien
über die Jahre eigene staatliche und gesellschaftliche Strukturen aufgebaut hat
und dies ohne internationale Organisationen wie im Kosovo. Ohne internationale
Unterstützung und Anerkennung jedoch sind die Abchasen auf Russland angewiesen -
sei es durch Wirtschaftshilfe oder durch die Annahme russischer Pässe.
Wenn die EU es mit dem Selbstbestimmungsrecht der
Völker überall so ernst nehmen würde wie im Kosovo, müsste sie ihre Position
gegenüber Abchasien überdenken, ebenso wie der Kreml seine Haltung gegenüber dem
Kosovo. Fraglich bleibt, ob die verantwortlichen Politiker vor einem Jahr die
Folgen der Anerkennung des Kosovo nicht überblicken konnten, oder ob sie sie in
Kauf genommen haben.
17.02.2009 Tagesschau.de
***
Zu wem gehört Abchasien?
Soll die nächste UN-Mission "Mission in Abchasien"
heißen? Russland und Abchasien sagen "ja". Andere wie die EU sagen "nein".
Während nach einer Antwort gesucht wird, geht das Leben in Abchasien seinen
Gang.
An der Promenade von Suchumi, der Hauptstadt
Abchasiens, sitzen junge Leute an einem Tisch und trinken Kaffee. Das Schwarze
Meer brandet gegen verrottete Stege. Nala studiert in Suchumi internationale
Politik, und sie weiß schon genau, was sie später machen will. "Wir alle wollen
dabei mithelfen, unseren Staat voranzubringen", sagt sie. "Ich bin in
zweieinhalb Jahren mit dem Studium fertig. Dann will ich im Außenministerium
arbeiten und Abchasien im Ausland repräsentieren."
Nala und ihre Freunde sind Abchasen. Sie stellen
die größte Bevölkerungsgruppe in dem Pseudo-Staat, und besetzen die
Führungspositionen. Das war nicht immer so. In sowjetischen Zeiten waren die
Georgier in Abchasien in der Überzahl. Anfang der 90er-Jahre aber sagte sich
Abchasien von Georgien los - es kam zum Krieg und mit russischer Hilfe
vertrieben die Abchasen 200.000 Georgier. 15 Jahre lang existierte Abchasien,
ohne dass irgendein Land der Welt Notiz von dem selbst ernannten Staat nahm. Im
August änderte sich das.
Als Folge des Krieges um Südossetien erkannte
Russland Abchasien an. In Suchumi löst das auch fünf Monate später noch
Hochstimmung aus. "Das gibt uns Schwung. Es gibt Gerechtigkeit auf Erden", freut
sich Nala. "Wir hoffen, dass die Vereinten Nationen uns anerkennen. Dass wir als
eigener Staat auf der Weltkarte erscheinen. Das Leben ist schöner geworden."
Vertrauen erarbeiten

Der Präsident von Abchasien, Sergej Bagapsch
Zudem hat Russland umgerechnet etwa 50 Millionen
Euro Finanzhilfen versprochen. Damit soll der Landstrich endlich wieder
aufgebaut werden. Nach Russland hat nur ein Staat Abchasien anerkannt:
Nicaragua. Die EU-Mitgliedsländer lehnen das strikt ab. Sie sind der Ansicht,
der Pseudo-Staat gehöre völkerrechtlich nach wie vor zu Georgien. Der Präsident
von Abchasien, Sergej Bagapsch, nimmt es gelassen. Er sitzt in einem mit
flauschigem Teppich ausgelegten Büro nahe der Promenade von Suchumi. "Im Prinzip
reicht uns in dieser Phase die Anerkennung durch Russland und Nicaragua", sagt
der Präsident. Er hoffe aber, dass Weißrussland, Kuba und einige afrikanische
Staaten demnächst dazu kämen. "Was die Anerkennung durch Europa betrifft, werden
wir das nicht forcieren. Wir müssen Europa und der Welt jetzt beweisen - und das
können wir -, dass wir einen zivilisierten Staat aufbauen können. Wir müssen uns
das Vertrauen der Europäer erarbeiten", erklärt er.
Von Vertrauen zwischen der EU und den Abchasen
kann bisher aber keine Rede sein. Die Europäische Union hat nach dem
Südossetien-Krieg gut 200 Militär-Beobachter nach Georgien geschickt. Gemäß
ihrem Mandat soll die EU-Mission in ganz Georgien patrouillieren, also - nach
Auffassung der EU - auch in Südossetien und Abchasien. Die EU-Beobachter
erhalten aber keinen Zutritt zu den Separationsgebieten, und daran soll sich
sobald nichts ändern.
Mission in Abchasien

Der UN-Sicherheitsrat tagt am Freitag (13.02.2009)
"Ganz Georgien, so wie die EU es versteht,
existiert nur noch auf dem Papier", erläutert Maxim Gundschia, stellvertretender
Außenminister. "Das Mandat der EU gilt nur für Georgien. Also nicht für
Abchasien." Man sei auf der Hut, denn man glaube, dass die EU-Mission vor allem
politisch aktiv werden wolle, anstatt für Sicherheit zu sorgen.
Eher als der EU vertrauen die Abchasen den
Vereinten Nationen. Deren Beobachtermission in Abchasien, die UNOMIG, hat sich
in den vergangenen 15 Jahren weitgehend neutral verhalten und sowohl Verstöße
der Abchasen und GUS-Truppen als auch Verstöße der Georgier gegen das
Waffenstillstandsabkommen veröffentlicht. Doch das Mandat der UNOMIG läuft am
Sonntag (15.02.2009) aus. Ihre bisherige Aufgabe, die GUS-Friedenstruppen in
Abchasien zu beobachten, kann die Mission nicht mehr wahrnehmen, denn Russland
hat die GUS-Friedenstruppen durch reguläre Truppen ersetzt und auf mehrere
tausend Mann aufgestockt. Russland plant einen Marine- und einen
Luftwaffenstützpunkt in Abchasien. Sie hätten nichts gegen UN-Beobachter, sagt
Präsident Bagapsch, aber die Mission dürfe nicht "Mission in Georgien" heißen.
Abchasien sei nicht Georgien und werde auch nie wieder dazu gehören.
Hauptsache, in Frieden leben
"Nach allem, was geschehen ist, gibt es kein
Zurück. Georgien muss verstehen, dass die Abchasen einen eigenen Staat wollten
und ihn bekommen haben", sagt Bagapsch. Bitter ist das vor allem für die etwa
60.000 Georgier, die noch im Süden Abchasiens leben. In der Kleinstadt Gali
stehen Kioske, an denen georgische Frauen Süßigkeiten, Grundnahrungsmittel und
Spielzeug verkaufen . Natürlich würden sie gern zu Georgien gehören, sagen die
Georgier in Abchasen, aber: "Wenn wir schon hier leben, dann richten wir uns
nach ihren Gesetzen, nach den abchasischen. Wir werden uns schon aneinander
gewöhnen. Es ist doch egal, wer hier der Chef ist, ein Georgier, ein Russe oder
ein Abchase. Hauptsache, wir können in Frieden leben. Das reicht uns."
Der UN-Sicherheitsrat berät am Freitag
(13.02.2009) über eine Verlängerung des Mandatsfür die abtrünnige georgische
Region Abchasien. Gesine Dornblüth
12.12.2009 SW-World
***
Die "russische Sicht" auf die Probleme der Welt
SAMOWA(H)RHEITEN Botschaftsrat Wladimir Alexandrowitsch Pjatin stellt sich
in Wittenberg zahlreichen Fragen zu Politik und Wirtschaft seines Landes.
VON KARINA BLÜTHGEN,
05.02.09, 19:43h
WITTENBERG/MZ. Der Titel der neuesten "Samowa(h)rheiten" hatte
viel Interesse geweckt. "Russland gibt Gas" hatte die
Deutsch-Russländische Gesellschaft in Wittenberg die Diskussion
überschrieben, und so ging es am Mittwoch im Malsaal des Cranachhauses
nicht nur um wirtschaftliche Interessen, eben das Erdgas, sondern auch
um politische Kooperationen, Konflikte und Lösungen.
Es ging aber auch um unterschiedliche Sichtweisen aus beiden
Staaten auf scheinbar einfache Dinge. Wladimir Alexandrowitsch Pjatin,
Botschaftsrat der Russischen Föderatin, verdeutlichte vor allem das
komplizierte Verhältnis Russlands zu den ehemaligen Sowjetrepubliken.
"Wir haben seit längerer Zeit im GUS-Raum einen freien Markt", sprach
er besonders den Gas-Streit mit der Ukraine an. "Die Zeiten des
besonderen Verhältnisses beider Staaten sind vorbei. Wir sollten in
erster Linie an uns denken." Nicht nur Kunden in Mittel- und
Westeuropa hatten unter dem Lieferstopp gelitten. "Wir hatten dadurch
zwei Milliarden Euro weniger Einnahmen", machte Pjatin deutlich.
Denn so wie Deutschland abhängig von Gas- und Öl-Importen sei,
so ist Russlands wichtigster Exportartikel eben Energie. Schon durch
die Transportwege sei Russland auf Europa festgelegt. Und im Gegensatz
zur Durchleitung in Weißrussland, wofür ein Konsortium gegründet
wurde, sei dies mit der Ukraine nicht gelungen. Andererseits sei
Deutschland der wichtigste Wirtschaftspartner weltweit. Die stabile
Partnerschaft beider Staaten stütze sich allerdings nicht nur auf
politische und wirtschaftliche Verbindungen, sondern auch Bildungs-
und Kulturaustausch sowie menschliche Kontakte.
Über 70 Gäste waren der Einladung der Deutsch-Russländischen
Gesellschaft gefolgt und wollten mehr über die "russische Sicht" zu
erfragen. Etwa zum Konflikt im Kaukasus, in Abchasien und Südossetien.
"Historisch gesehen ist Georgien kein einheitlicher Staat wie andere",
erklärte Botschaftsrat Pjatin. Ursprünglich hätten sich dort die
Völker einmal zum Schutz vor den Türken vereinigt. Viele Bürger in
Abchasien und Südossetien hätten die russische Staatsbürgerschaft,
doch hatten zwei Referenden in Abchasien ergeben, dass 80 Prozent der
Einwohner für die Unabhängigkeit sind. "Aber ein Staat mit 300 000
Einwohnern - wie soll das gehen?", so Pjatin.
Schon in der Einleitung war Heinz Wehmeier von der
Deutsch-Russländischen Gesellschaft kurz auf Meinungen und Stimmungen
in Deutschland und Europa eingegangen. "Es gibt eine gewisse Distanz,
auch weil zum Teil nur ungenügende Informationen über das Russland von
heute bekannt sind", meinte er und hinterfragte Schlagworte wie
Meinungsfreiheit und Instanz der Moral. Natürlich wünsche sich manch
einer eine schnellere wirtschaftliche Entwicklung. "Aber das braucht
Zeit. Wir benötigen Leute, die marktwirtschaftlich etwas realisieren
können", gab auch Pjatin zu. Immerhin leide Russland durch den seit
geraumer Zeit eingerichteten Stabilisationsfonds weniger unter der
Weltwirtschaftskrise als andere Staaten.
Doch wäre Wladimir Alexandrowitsch Pjatin nicht Diplomat, hätte
er nicht auch auf die Frage nach der schlechten Aufklärungsquote von
politischen Morden eine Antwort. "Sie nennen es politische Morde",
entgegnete er dem Fragesteller. "Bei uns in Russland werden sie nicht
so verstanden." Gerade Journalisten zögen durch ihre Tätigkeit ("Sie
wissen nicht, womit sich diese Leute beschäftigen.") die
Aufmerksamkeit auf sich. "Hier ist ein Rechtsstaat", wies er auf
Deutschland. "Wir werden dafür noch mindestens zwanzig Jahre
brauchen."
Über eine Stunde beantwortete Pjatin geduldig die Fragen aus
dem Auditorium, auch zum neu sich anbahnenden Verhältnis zu den USA.
"Jetzt ist eine neue Generation an die Macht gekommen, dort wie bei
uns." Eine Abrüstung läge im beiderseitigen Interesse. Nicht zuletzt
seien beide Staaten aufeinander angewiesen, vor allem was Afghanistan
und den Irak betrifft.
Mitteldeutsche Zeitung
***
Aufarbeitung des Kaukasuskonflikts
Georgien, Russland, Abchasien und Südossetien ein
halbes Jahr danach
Von Gesine Dornblüth
Abchasien und Südossetien gehören völkerrechtlich
zu Georgien. Einst bildeten alle gemeinsam die Sowjetrepublik Georgien. Als
Georgien sich Anfang der 90er Jahre für unabhängig erklärte, wollten die
Abchasen und Südosseten nicht mitmachen und riefen jeweils einen eigenen Staat
aus. Das war die Geburtsstunde des Kaukasuskonflikts.
Im Vorzimmer des Abchasischen Präsidenten läuft
der Fernseher. Alchaz Tscholokua, ein Mitarbeiter der Pressestelle, sitzt hinter
seinem Laptop. Das hat er gleich zweimal mit demselben Aufkleber versehen: Der
Fahne Abchasiens mit einer erhobenen weißen Hand vor grün-weißem Hintergrund.
Darüber stehen die Ziffer 15 und zwei Abchasische Wörter.
"Aiaaira. Mit zwei a. Aiaaira. Das heißt Sieg. Im
letzten Jahr war es 15 Jahre her, dass das abchasische Volk die Georgier besiegt
hat. Apsny ist der Name Abchasiens auf Abchasisch. Die weiße erhobene Hand auf
der Fahne begrüßt diejenigen, die in guter Absicht zu uns kommen."
Zurzeit sind das vor allem Russen. Denn Russland ist Abchasiens Verbündeter in
dessen Unabhängigkeitskampf gegen die Georgier. Im vergangenen August hat
Russland Abchasien als unabhängigen Staat anerkannt, kurz darauf folgte
Nicaragua. Den Rest der Weltgemeinschaft hat Abchasien zur Zeit gegen sich. Der
Präsident des Pseudo-Staates, Sergej Bagapsch, nimmt es gelassen.
"Im Prinzip reicht uns in dieser Phase - die
Anerkennung durch Russland und Nicaragua. Ich hoffe, Weißrussland, Kuba, und
einige afrikanische Staaten kommen demnächst dazu. Was die Anerkennung durch
Europa betrifft, werden wir das nicht forcieren. Wir müssen Europa und der Welt
jetzt beweisen - und das können wir -, dass wir einen zivilisierten Staat
aufbauen können. Wir müssen uns das Vertrauen der Europäer erarbeiten."
Auslöser für die Anerkennung Abchasiens durch Russland war der Krieg um die
gleichfalls von Georgien abtrünnige Region Südossetien im vergangenen August.
Auch Südossetien wurde von Russland als unabhängiger Staat anerkannt.
Beide Gebiete gehören völkerrechtlich zu Georgien. Einst bildeten alle gemeinsam
die Sowjetrepublik Georgien. Als Georgien sich Anfang der 90er Jahre für
unabhängig erklärte, wollten die Abchasen und Südosseten nicht mitmachen und
riefen jeweils einen eigenen Staat aus. Die georgische Regierung schickte
Militärflugzeuge und Truppen. Russische Verbände kamen den Separatisten gegen
die Georgier zu Hilfe. Tausende Menschen starben.
Aus Abchasien wurden damals rund 250.000 Georgier vertrieben. Nur ein Fünftel
von ihnen konnte bisher zurückkehren. Die Abchasen stellen seit den
Vertreibungen die Bevölkerungsmehrheit, und die wollen sie nicht wieder an die
Georgier verlieren.
In Abchasien sorgte 1994 ein Waffenstillstandsabkommen für weitgehende Ruhe und
für ein friedliches Nebeneinander. Den Konflikt löste es jedoch nicht. Eine
GUS-Friedenstruppe, mehrheitlich russische Soldaten, sicherte fortan den
Waffenstillstand; sie wurde ihrerseits von unbewaffneten UN-Blauhelmen
beobachtet.
In Südossetien gab es eine ähnliche Konstruktion. Nur waren dort nicht die
Vereinten Nationen, sondern die Beobachter der OSZE vor Ort.
Lange Zeit waren die Konflikte "eingefroren". 2004 wurde in Georgien Mikheil
Saakaschwili Präsident. Er wollte die abtrünnigen Gebiete zurückholen - notfalls
mit Gewalt. Der ehrgeizige Präsident mit engen Verbindungen nach Washington
festigte den Staat, bekämpfte die Korruption im Land und - rüstete auf. Seit
seinem Amtsantritt betont er immer wieder zwei Ziele: Georgien zu einen und es
so schnell wie möglich in die Nato zu führen.
Saakaschwilis radikal westlicher Kurs provozierte den Kreml. Russlands Präsident
Vladimir Putin reagierte auf seine Art und verstärkte die Unterstützung für die
Separatisten in Georgien. Abchasen und Südosseten erhielten russische Pässe.
Parallel dazu kam es vermehrt zu Schießereien und Provokationen in den
Grenzgebieten.
Im August schließlich eskalierte die Situation. Die Georgier griffen Südossetien
an. So die russische Darstellung, die von vielen internationalen Beobachtern
bestätigt wird.
Die Georgier verbreiten eine andere Version. Sie sagen, die Russen hätten den
Einmarsch nach Georgien geplant, und sie hätten sich verteidigen müssen. Diese
Version jedoch halten viele Experten für wenig überzeugend.
Russisches Militär bombardierte Teile Georgiens und besetzte sogenannte
Pufferzonen um Südossetien und Abchasien herum. Das war in den Augen vieler
westlicher Politiker weit überzogen. Auch der russische Militärexperte Aleksandr
Scharawin vom Institut für Politische und Militärische Analysen in Moskau
kritisiert dies:
"Wir hätten unsere Truppen an den Grenzen
Südossetiens und Abchasiens stoppen müssen. So aber hat Russland sich den
Vorwurf eingehandelt, überreagiert zu haben."
Russland begründete sein Eingreifen mit humanitären Gründen. Georgien habe einen
Genozid an den Südosseten verübt, und Russland habe die Südosseten schützen
müssen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezweifelt das. Sie
hat mehrere hundert Interviews mit Georgiern und Südosseten geführt. In einem
Ende Januar vorgestellten Bericht kommen die Menschenrechtler zu dem Ergebnis,
dass sich besondere Gräueltaten der georgischen Seite nicht beweisen ließen.
Fest steht jedoch, dass der Krieg Russland genützt hat. Russland hat die
GUS-Friedenstruppen in Südossetien und Abchasien aufgelöst und an ihrer Stelle
drei- bis siebentausend reguläre Soldaten in die Gebiete geschickt. Die genaue
Zahl ist nicht bekannt. Der russische Militärexperte Aleksandr Scharawin:
"Russland hat jetzt in Südossetien einen Brückenkopf
südlich des Gebirgskamms des Kaukasus. Es kontrolliert den Roki-Tunnel, also die
Verbindungswege zwischen Süd- und Nordossetien, es kann also nach Belieben
Nachschub nach Südossetien bringen, und das heißt, Russland hat jetzt ganz
andere Möglichkeiten, auf Georgien militärisch Druck auszuüben."
In Abchasien planen die Russen einen Luftwaffenstützpunkt, und auch für die
Marine eröffnen sich neue Möglichkeiten. Die russische Schwarzmeerflotte liegt
zur Zeit noch im ukrainischen Sevastopol auf der Krim. Der Standort, ein Relikt
aus Sowjetzeiten, belastet die russisch-ukrainischen Beziehungen erheblich. Der
Pachtvertrag auf der Krim läuft 2017 aus. In Abchasien soll nun der ehemalige
sowjetische Militärhafen Otschamschira ausgebaut werden. Er könnte künftig die
russische Schwarzmeerflotte beherbergen.
Vor allem aber haben die Abchasen vom Krieg im August profitiert. Während das
georgische Militär in Südossetien gebunden war, eroberten sie kurzerhand die
Kodori-Schlucht an der Grenze zu Georgien zurück. Die war bis dahin von
Georgiern kontrolliert worden. Und kurz danach erfüllte sich das, worauf
Abchasen und Südosseten lange gewartet hatten: Russland erkannte beide Gebilde
als unabhängige Staaten an.
Die Perspektiven für die beiden Quasi-Staaten sind freilich unterschiedlich.
Südossetien, kaum größer als das Saarland, liegt eingezwängt zwischen hohen
Bergen. Es hat keine bedeutenden Rohstoffvorkommen, dafür aber eine korrupte
Elite, wie der Russe Aleksandr Scharawin vom Institut für Politische und
Militärische Analysen betont.
"Vor allem die politische Führung mit Eduard Kokoity
an der Spitze weckt keinerlei Sympathien, nicht mal bei der Regierung Russlands.
Das ist ein Mann mit einer finsteren Vergangenheit und einer finsteren
Gegenwart. Während des Krieges ist er aus Zchinvali geflohen. Das sagt vieles.
Dieser Mann hat Südossetien nicht weniger geschadet als die georgische Armee.
Sogar die Finanzhilfen aus Russland für den Wiederaufbau von Wohnungen und für
Lebensmittel und Medizin werden gestohlen. Selbständig existieren kann dieses
Land nicht. Ohne Hilfe aus Russland werden die Leute nichts zu essen haben,
keinen Strom, kein Gas, nichts. Denn dort gibt es keine Staatlichkeit."
Die Südosseten sagen selbst mehr oder weniger offen, dass sie eine Vereinigung
mit Nordossetien anstreben. Nordossetien gehört zu Russland, Südossetien würde
damit Teil der Russischen Föderation. Mira Zchovrebova unterrichtet Englisch an
der Universität der südossetischen Hauptstadt Zchinvali.
"Wir möchten unabhängig sein, zumindest eine
Zeitlang. Wir wissen nicht, wie lange. Das wird sich zeigen."
In Abchasien ist die Situation anders. Hier fanden vor vier Jahren
Präsidentenwahlen statt, bei denen die Bevölkerung ihren Wunschkandidaten,
Sergej Bagapsch, gegen einen von Moskau unterstützten Konkurrenten durchsetzen
konnte. Gewählt wurde er mit Stimmen der georgischen Minderheit in Abchasien.
Die Wahl hat den Menschen Vertrauen in die Demokratie gegeben und die
Zivilbevölkerung gestärkt, erzählt Liana Kvartschelia vom Zentrum für humanitäre
Programme in der abchasischen Hauptstadt Suchumi. Die Organisation wird unter
anderem von der Europäischen Kommission finanziert und setzt sich für die
Demokratisierung Abchasiens ein. Liana Kvartschelia:
"Natürlich haben wir viele Probleme. Vor allem beim
Gerichtssystem. Die Justiz ist nicht unabhängig. Aber wir haben unter sehr
schwierigen Bedingungen staatliche und demokratische Institutionen geschaffen,
die einigermaßen funktionieren. Wir haben in Abchasien eine recht aktive
Zivilgesellschaft, die in wichtigen Fragen mitbestimmt. Und wir haben
unabhängige und oppositionelle Zeitungen, die die Regierung scharf kritisieren."
Und anders als Südossetien hat Abchasien auch wirtschaftliches Potenzial. Da ist
vor allem der Tourismus. Zu Sowjet-Zeiten kamen hunderttausende Urlauber an die
abchasischen Schwarzmeerstrände. Daran will Abchasien anknüpfen.
Dazu kommen die Olympischen Winterspiele 2014 im südrussischen Sotschi. Sotschi
liegt nur zehn Autominuten von Abchasien entfernt, die Abchasen hoffen auf
Aufträge.
Außerdem erwarten sie umgerechnet rund 50 Millionen Euro Finanzhilfen aus
Moskau. Und damit wollen sie die zerstörte Republik wieder aufbauen, berichtet
der Präsident, Sergej Bagapsch.
"Wir werden eine Zementfabrik bauen und Schotter und
anderes Baumaterial fördern. Im Agrarbereich planen wir Gewächshäuser auf einer
Fläche von 20 Hektar, in Otschamschira werden wir eine Fabrik für Fischmehl
errichten und vieles mehr."
Georgien kommt bei all diesen Planungen nicht vor. Es werde keine Gespräche mit
der Regierung Saakaschwili geben, heißt es einstimmig bei der abchasischen
Führung. Und auch die Menschenrechtlerin Liana Kvartschelia sagt:
"Georgien muss nachdenken und erklären, unter
welchen Bedingungen es bereit wäre, Abchasien anzuerkennen. Wir haben sogar, als
wir vollkommen isoliert waren und Russland sogar Wirtschaftssanktionen gegen uns
verhängt hatte, gesagt, dass wir nicht zurück nach Georgien wollen. Nachdem
Russland uns nun anerkannt hat, braucht niemand mehr zu hoffen, dass die
abchasische Gesellschaft ihre Meinung ändert."
Georgien aber betrachtet Abchasien auch jetzt noch als sein Staatsgebiet -
ebenso wie Südossetien. Das Parlament in Tiflis hat im Oktober ein Gesetz
beschlossen, das Abchasien und Südossetien zu von Russland besetzten Gebieten
erklärt. Wirtschaftliche Tätigkeiten dort stehen demnach unter Strafe, und
Ausländer dürfen Abchasien oder Südossetien nicht von Russland aus betreten. Die
stellvertretende Außenministerin Georgiens, Nino Kalandadze.
"Solange wir von russischen Truppen in Georgien
okkupiert sind, da können wir nicht mit russischen Vertretern in den sogenannten
separatistischen Regionen reden. Es gibt nur einen Gegner, und das ist Russland."
Die Außenminister Georgiens und der USA haben Anfang Januar, noch unter der
Präsidentschaft von George Bush, ein Abkommen über strategische Partnerschaft
unterzeichnet. Die USA verpflichten sich darin, die georgische Armee zu
modernisieren und die Verteidigungsfähigkeit des Landes zu erhöhen.
Die internationale Gemeinschaft steht zurzeit mehrheitlich hinter Georgien.
Staats- und Regierungschefs der EU beteuern, sie würden Südossetien und
Abchasien niemals anerkennen. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer zum
Beispiel hat Russland dazu aufgerufen, die Anerkennung der beiden georgischen
Gebiete rückgängig zu machen. Das kommt nicht in Frage, entgegnet Andrej Klimov,
der stellvertretende Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses in der russischen
Staatsduma. Er spricht von "neuen Realitäten" im Südkaukasus.
"Russland hat mehrfach erklärt, dass unsere
Entscheidung endgültig ist. Aus der Perspektive kurzsichtiger Brüsseler
Bürokraten, die gerade mal drei Broschüren gelesen haben und sonst nichts weiter
wissen wollen, mag die Sache anders aussehen. Aber wir haben eine längere
diplomatische Erfahrung als die EU und als Amerika, und wenn man die
berücksichtigt, dann erweist sich unsere Position als richtig."
Die EU hat nach dem Krieg Beobachter nach Georgien geschickt. Seit Oktober
patrouillieren mehr als 200 EU-Beamte an den Grenzen um Abchasien und
Südossetien. Eigentlich ist die European Monitoring Mission, EUMM, für ganz
Georgien zuständig, also - nach Auffassung der EU - auch für Südossetien und
Abchasien. Dort erhalten sie aber keinen Zutritt. Die Begründung der
Separatisten: Abchasien und Südossetien gehörten nicht mehr zu Georgien, deshalb
hätten die EU-Beobachter dort nichts zu suchen.
Dahinter steht ein tiefes Misstrauen gegenüber den Europäern. Maxim Gundschia
ist der stellvertretende Außenminister von Abchasien.
"Wir sind auf der Hut, denn wir glauben, dass die
EU-Mission hier vor allem politisch aktiv werden will, anstatt für Sicherheit zu
sorgen. Außerdem hätten wir keinen Zugang zu den Berichten der EU-Mission."
Mehr als der EU vertrauen die Abchasen den Vereinten Nationen. Deren
Beobachtermission in Abchasien, die UNOMIG, hat sich in den vergangenen 15
Jahren weitgehend neutral verhalten und sowohl Verstöße der Abchasen und
GUS-Truppen, als auch Verstöße der Georgier gegen das Waffenstillstandsabkommen
veröffentlicht.
Zur Zeit hängt die UNOMIG in der Luft. Ihre eigentliche Aufgabe, die
GUS-Friedenstruppen zu beobachten, kann sie nicht wahrnehmen, denn es gibt keine
GUS-Friedenstruppen mehr.
In diesem Monat entscheidet sich, wie es mit der UN-Mission in Georgien
weitergeht. Dann muss der UN-Sicherheitsrat das Mandat der Mission verlängern.
Bei allem Wohlwollen für die UNOMIG bestehen die Abchasen darauf, den Namen der
Mission zu ändern. Denn die Buchstaben "i" und "g" in "UNOMIG" stehen für "in
Georgien". Es sei aber eine Mission "in Abchasien". Die Separatisten bekommen
Schützenhilfe aus Moskau. Andrej Klimov vom Auswärtigen Ausschuss in der
russischen Staatsduma:
"Ich glaube nicht, dass die russische Regierung
gegen die Tätigkeit von UN-Friedenstruppen oder Beobachtern in Abchasien und
Südossetien stimmen wird. Aber wenn die Mission "Mission in Georgien" heißen
wird, dann muss sie in Georgien sein. Und das georgische Gebiet endet aus
russischer Sicht dort, wo Abchasien und Südossetien anfangen."
Für die Europäer ist das unannehmbar. Wie die Verhandlungen um das UN-Mandat
ausgehen, ist völlig unklar. Ende des vergangenen Jahres war bereits das Mandat
der OSZE-Mission in Georgien nicht verlängert worden. Russland hatte darauf
bestanden, zwei Missionen zu gründen: Eine in Georgien und eine in Südossetien.
Dabei werden internationale Beobachter dringend benötigt. Beinahe täglich kommt
es im Grenzgebiet zu den Separationsgebieten zu Zwischenfällen - mit Toten und
Verletzten. Auch die EU-Beobachter gerieten unter Beschuss. Naturgemäß schieben
die Konfliktparteien dem jeweils anderen die Schuld dafür in die Schuhe.
Immerhin haben sich die verfeindeten Parteien, Georgier, Russen, Südosseten und
Abchasen, mittlerweile zu Verhandlungen bereit erklärt - wenn auch halbherzig.
Unter Vermittlung der EU, der Vereinten Nationen und der OSZE treffen sie sich
alle paar Wochen in Genf, um über Fragen der Sicherheit und der Flüchtlingshilfe
zu sprechen. Von Lösungen sind sie allerdings weit entfernt. Es gilt schon als
Erfolg, wenn alle an einem Tisch sitzen.
02.02.2009 Deutschlandfunk
***
Südossetien
Humanitäre Lage weiter ernst
Fünf Monate nach dem Konflikt zwischen
Georgien und Russland ist die humanitäre Situation in Südossetien weiter
angespannt. Viele Flüchtlinge können noch immer nicht in ihre Häuser zurück.
Außerdem wird das Entfernen der Landminen noch bis zum Sommer andauern, was
die humanitäre Hilfe erschwert.
Rund fünf Monate nach dem Konflikt zwischen
Georgien und Russland ist die humanitäre Lage in den betroffenen Regionen
weiterhin sehr ernst. Mehr als 20.000 Menschen, die während der Kämpfe in
der abtrünnigen georgischen Provinz Südossetien nach Georgien geflüchtet
seien, könnten noch immer nicht in ihre Häuser zurückkehren, sagte der
Menschenrechtsbeauftrage des Europarats, Thomas Hammarberg, am Mittwoch vor
der Parlamentarischen Versammlung der Organisation in Straßburg.
Außerdem gebe es noch zahlreiche Landminen,
die entfernt werden müssten, sagte Hammarberg. Dies werde vermutlich bis zum
Sommer dauern. Eine der Folgen des Konflikts sei daher, dass Bauern wegen
der Minengefahr ihre Felder nicht bestellen könnten. Zudem werde die Arbeit
von Hilfsorganisationen erschwert, weil diese nicht oder nur unter
Schwierigkeiten nach Südossetien gelangen könnten. Nach Angaben Hammarbergs
wird eine Delegation des Europarats in zwei Wochen erneut in die Region
reisen, um sich ein Bild von der Lage zu machen.
Während einer mehrstündigen Debatte wurde
massive Kritik an Russland laut, das Südossetien unterstützt und einseitig
dessen Unabhängigkeit anerkannt hat. Moskaus Politik erinnere an die der
früheren Sowjetunion, sagte die finnische Konservative Tuulikki Ukkola.
Russland solle sich endlich entscheiden, ob es das Völkerrecht einhalten
oder weiterhin „Supermacht spielen“ wolle. Der britische Sozialist Donald
Anderson forderte Russland auf, der EU-Mission vollen Zugang zu Südossetien
zu gewähren. Moskau isoliere sich mit seinem Verhalten international.
Mehrere georgische Abgeordnete sprachen von
„ethnischer Säuberung“ in Südossetien und der ebenfalls nach Unabhängigkeit
von Georgien stammenden Provinz Abchasien. Der Chef der russischen
Delegation in der Versammlung, Konstantin Kosachew, wies die Vorwürfe
entschieden zurück. Georgien habe mit seinem militärischen Vorgehen gegen
die Südosseten das Ziel verfolgt, „dieses Volk zu zerstören“. Russland habe
keine andere Wahl gehabt, als den Südosseten zu Hilfe zu kommen.
Der Versammlung lag eine Entschließung vor, in
der Russland und die Provinzregierung von Südossetien aufgefordert werden,
Hilfsorganisationen sowie den EU-Beobachtern freien Zugang zu der
abtrünnigen Provinz zu gewähren. Außerdem wird darin eine Ausweitung der
EU-Mission gefordert. Über die Entschließung sollten die Abgeordneten aus
den 47 Europaratsländern am späten Nachmittag abstimmen. Sowohl Russland als
auch Georgien gehören dem Europarat an. Bei ihrer Aufnahme in die
paneuropäische Organisation hatten sie sich verpflichtet, Konflikte
friedlich zu regeln.
28.01.2009 FOCUS Online
***
Georgien: Ablenken vom innenpolitischen Versagen
Moskau, Michail
Logvinov für RIA Novosti. Die Sicht auf Georgien als Spielball der Großmächte
verfehlt die Realität und verbaut den Weg zur Analyse seiner politischen
Entscheidungsprozesse.
Es ist in den
Medien und geopolitischen Studien zum Usus geworden, die Geschehnisse in
Georgien nach dem Motiv des „Kaukasischen Kreidekreises" zu interpretieren. Die
Fabel eines Ringens der Machtzentren Russland und die USA um den
Transformationsstaat Georgien mit vermeintlich klarer Rollenbesetzung und
geschickt eingesetztem Verfremdungseffekt mag zwar die auf der moralischen
Präsupposition von Beobachtern und Richtern basierende ethische Urteilsbildung
vereinfachen. Dennoch übersieht man bei dieser Perspektivierung, dass Georgien
in der kaukasischen Aufführung ein selbständiger Akteur mit einer strikten
Rollenverteilung ist.
Der Politikwissenschaftlerin Silke Kleinhanß ist
es in ihrem Buch „Die Außenpolitik Georgiens. Ein Failing State zwischen
internem Teilversagen und externen Chancen" (LIT-Verlag, 2008) mit Erfolg
gelungen, hinter die Kulissen des südkaukasischen Dramas zu schauen und Motive
der wichtigsten „Figuren" ins Rampenlicht zu rücken.
Es ist durchaus berechtigt, von externen Akteuren
- der USA und der Russländischen Föderation - zu reden, die strategische
Interessen in Georgien haben. Diese beiden Mächte betreiben engagierte Politiken
gegenüber Tiflis, verfügen über die Mittel der Einflussnahme, betrachten sich
als Bezugspunkte und werden von Georgien als die entscheidenden Pole seiner
außenpolitischen Ausrichtung wahrgenommen (S. 8).
Dennoch dürfen die Determinanten der Außenpolitik
Georgiens nicht übersehen werden, zu denen primär der innenstaatliche und
regionale Kontext zählen. Georgien verfügt über eine schwach ausgeprägte
Staatlichkeit und fungierte im Laufe seiner Unabhängigkeit nie als ein
konsolidierter Staat, der seine Aufgaben in den Bereichen Sicherheit,
Legitimität und Rechtsstaat sowie Wohlfahrt erfüllte (siehe dazu Kap. 3:
Georgien - ein Failing State aufgrund einer gescheiterten Transformation).
Nur vor diesem Hintergrund der innenpolitischen
Schwäche sei der regionale Kontext so bedeutend für die außenpolitische
Orientierung Georgiens, argumentiert die Autorin. Die innenpolitische Dimension
des Failing State gebe gleichzeitig externen Akteuren vielfältige Instrumente
zur Verfolgung ihrer Interessenpolitik und Einflussnahme. „[...] Georgien
[macht] die Interessen der externen Akteure aber auch für sich nutzbar und
[betreibt] so eine Außenpolitik, mit der es zum einen von seinen
innenpolitischen Schwächen ablenken und zum anderen diese zum Teil auch
kompensieren kann" (ausführlich darüber in Kap. 4: Die Interessen und Mittel der
Einflussnahme der Russländischen Föderation und der USA).
Die Autorin zeigt auf, dass die dreifache
Transformation Georgiens in einem multiplen Versagen in den Bereichen der
Nationalstaatsbildung, der Demokratisierung und der marktwirtschaftlichen
Modernisierung mündete. „Dieses multiple Versagen hat zwei wichtige Auswirkungen
auf die Außenpolitik des Staates.
Erstens wird er, um sein Versagen zu kompensieren,
aktive Beziehungen mit wohlhabenderen Staaten eingehen, damit diese ihn mittels
Entwicklungshilfe bei der Erfüllung seiner Staatsaufgaben unterstützen. Zweitens
wird der Staat eine Außenpolitik betreiben, die von seinem Versagen im Inneren
ablenkt. Dies kann zum einen erfolgen, indem der Akteur eine Außenpolitik
verfolgt, die ihm international hohes Prestige verschafft, oder er wird eine
Außenpolitik betreiben, deren Ziel es ist, einen externen Sündenbock für das
innenpolitische Versagen zu finden", so die Autorin (S. 19-20).
Im Falle Georgiens kamen beide Strategien zur
Geltung. Zur Erklärung der nach innen gerichteten und der Legitimierung des
politischen Systems dienenden Entscheidungsfindung des südkaukasischen
Transformationslandes biete sich das Modell des dramatic actor an. Demzufolge
agiert der „dramatische Akteur" nicht aufgrund eines Kosten-Nutzen-Kalküls, um
außenpolitische Ergebnisse zu erzielen, sondern folgt der innenpolitischen Logik
und erfüllt den individuellen Zweck einer Selbstpräsentation.
„Zusammengefasst wird Außenpolitik gemäß des
dramatic actor Modells von Individuen mit dem Ziel betrieben, die eigene
Legitimität zu erhöhen, indem das nation-bilding untermauert und
innenpolitisches Versagen durch Entwicklungshilfe gemindert oder durch
Außenpolitik von ihm abgelenkt", behauptet die Politikwissenschaftlerin (S. 21).
Kleinhanß Untersuchung kommt zum Ergebnis, dass
das anti-russische Paradigma bereits der Außenpolitik Gamsachurdias innewohnte.
Besonders deutlich trete dieses in Verbindung mit den Auseinandersetzungen um
die abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien zutage. Die Autorin macht
deutlich, wie es Tiflis unter Schewardnadse gelang, eine russozentrische Sicht
des Abchasienkrieges durchzusetzen.
„Russland wird zum alleinigen Sündenbock gemacht,
der die Verantwortung für die Situation in Abchasien und für das Versagen
Georgiens, die Kontrolle über sein gesamtes Staatsterritorium auszuüben, trage.
So habe Russland zum einen Schuld daran, dass Abchasien überhaupt nach
Unabhängigkeit von Georgien strebt, da es die ethnischen Minderheiten gegen
Georgien aufgestachelt habe. Zum anderen sei Russland auch für die Niederlage
der Georgier im Krieg verantwortlich, denn nur durch sein Zutun sei es den
Abchasen gelungen, die georgischen Truppen zu schlagen" (S. 80).
Das Ablenkungsmanöver gelingt - nun ist nicht mehr
von dem misslungenen nation- und state-building die Rede. Das unangenehme Thema
des geringen Leistungsniveaus georgischer Armee ist ebenso vom Tisch. Durch „Russifizierung"
des Krieges verschleierte Tiflis darüber hinaus die fehlende
Konfliktmanagementkompetenz. Bis heute sehe Georgien keine Teilschuld für diese
Entwicklungen bei sich liegen, stellt die Autorin fest (S. 33, 96).
Georgische Außenpolitik war dermaßen erfolgreich,
dass es Tiflis immer wieder gelingt, Moskau auch als Sündenbock nach außen
wirken zu lassen. Dadurch erreicht Georgien das aktivere Engagement der USA, die
die dominante Stellung Russlands in Eurasien zu brechen und Demokratie im
Südkaukasus zu stabilisieren suchen.
Die unterschiedliche Positionierung Georgiens zu
Russland und den USA erklärt Kleinhanß aus innenpolitischer Perspektive und
aufgrund des Prestiges. Während russische Mittel der Einflussnahme aus den
staatlichen Schwächen Georgiens resultieren, bieten die USA Tiflis „eine
Teilhabe an der Macht sowie an den internationalen Beziehungen an und übertragen
ihm Aufgaben, die es mit Stolz erfüllen und sich den USA ebenbürtig fühlen lässt
- Georgien, das seine innere Ordnung nicht selbstständig aufrechterhalten kann,
stellt Truppenkontingente im Kosovo und im Irak, kann damit seine Staatlichkeit
untermauern und erhält das Gefühl, tatsächlich einen Beitrag zur internationalen
Sicherheit zu leisten" (S. 101-102).
Während die US-Regierung die Unabhängigkeit der
NUS von Moskau und deren Staatsaufbau unterstützten, hob Russland dagegen den
wichtigsten Unterschied zwischen dem international anerkannten Staat Georgien
und De-facto-Staaten auf seinem Territorium auf, indem es Abchasien und
Südossetien „eine gewisse Teilhabe an den internationalen Beziehungen"
ermöglichte und dergestalt eine weitere Unterminierung der georgischen
Staatlichkeit vollzog.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass
Russlands Georgien-Politik ihr Ziel verfehlte. Obwohl Moskau als Veto-Akteur zur
Konfliktregelung und damit zur Wiedererlangung der Kontrolle über georgisches
Staatsterritorium durch Tiflis hätte beitragen können, überließ es wegen
falscher Einschätzung der Handlungslogik des dramatic actor das Spielfeld
Washington.
Benutzt man die Metapher des Spielballs, so hat
Moskau selbst einen sauberen Pass gegeben. Die Anerkennung beider abtrünnigen
Republiken macht es der georgischen Regierung weiterhin möglich, sich der
Verantwortung für internes Versagen und den aggressiven Nationalismus mittels
außenpolitischer Ablenkungsmanöver zu entziehen.
Gewiss ist das von Kleinhanß auf die Außenpolitik
Georgiens angewandte Untersuchungsmodell lediglich einer der Ansätze. Dennoch
sei auf seine Schlüssigkeit und Erklärungspotential hinsichtlich der Kluft
zwischen Innen- und Außenpolitik Georgiens hingewiesen.
Die Meinung des Verfassers des Artikels muss nicht
mit der der RIA Novosti übereinstimmen.
26.01.2009
RIA Novosti
***
Erste Signale der Entspannung im Kaukasus
Verhandlungen in der OSZE über neue Mission in
Georgien und den Separatistengebieten beginnen wieder
Wien - Die Zeichen der Entspannung sind spärlich
und mitunter widersprüchlich: ein Besuch eines russischen Gesandten für
internationale kulturelle Zusammenarbeit in Tiflis, ein 45-minütiges Gespräch
des georgischen Patriarchen mit Russlands Präsident in Moskau im Dezember, eine
Predigt desselben Patriarchen zum orthodoxen Weihnachtsfest am Mittwoch, die
wiederum als Kampfansage ausgelegt wird. Georgien wolle Frieden, „aber nicht um
den Preis der Aufgabe unserer Gebiete", fasste Michail Saakaschwili, der
umstrittene Präsident der Kaukasusrepublik, nach dem Kirchenbesuch zusammen.
Zugleich müht sich nun Griechenland, das zum
Jahreswechsel die Präsidentschaft der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa übernommen hat, ein neues Mandat für eine Mission der
OSZE in Georgien auszuhandeln. An Russlands Veto war kurz vor Weihnachten
zumindest eine technische Verlängerung der jetzigen Mission gescheitert, deren
Mandat am 31. Dezember auslief. Die rund 180 Mitarbeiter sollten seither mit der
Schließung ihrer Mission beschäftigt sein, doch der Glaube an eine Einigung mit
Moskau hält sich. Russland will den anderen 55 Mitgliedsstaaten der OSZE die
Anerkennung der Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien abzwingen, den zwei
Separatistenprovinzen, um die Russland und Georgien im August vergangenen Jahres
Krieg geführt hatten.
„Georgien braucht ein starkes Russland, ebenso wie
Russland ein vereintes und glückliches Georgien braucht", hatte Ilia II., der
georgische Patriarch, nach seiner Begegnung mit dem russischen Präsidenten
Dmitri Medwedew erklärt. Der Patriarch gilt als Brückenbauer zwischen den beiden
Staaten, aber auch die Regierung des neuen georgischen Premierministers, des
dritten innerhalb eines Jahres, und insbesondere die Ernennung von Grigol
Waschadse, eines früheren sowjetischen Diplomaten, zum Außenminister lassen mehr
Bereitschaft zum Gespräch mit Moskau erwarten.
Grigol Mgalobischwili, der neue, 35 Jahre alte
Regierungschef, wird diese Woche von einer medizinischen Untersuchung in
Deutschland zurückerwartet. Mgalobischwili, der über Müdigkeit klagte, soll ein
Nierenleiden haben. Die georgische Presse spekulierte schon über seine Ablösung,
nachdem über einen Wutanfall des Präsidenten berichtet worden war: Saakaschwili
soll seinen Premier einen Hieb versetzt und ein Handy nach ihm geworfen haben.
Georgiens Staatschef zeigte sich in seiner
Neujahrsansprache auch gewohnt selbstbewusst. Georgien sei heute näher an einer
Nato-Mitgliedschaft als vor dem russischen Angriff, behauptete Saakaschwili
unter anderem. Am Freitag will Außenminister Waschadse jedenfalls in Washington
eine Charta über eine strategische Partnerschaft mit den USA unterzeichnen; Kiew
tat dasselbe. Die Charta wird als eine Art Trostpreis für den Aufschub des
Nato-Beitritts verstanden. Ähnlich politisch-militärische Abkommen schließt
Moskau auch mit Südossetien und Abchasien ab. Ein neues Mandat der OSZE in der
Region soll deshalb die Konflikte stabilisieren und auf lange Sicht lösen.
Allerdings ist dies der Organisation schon in den vergangenen 16 Jahren ihrer
alten Mission nicht eben gelungen. (Markus Bernath)
08.01.2009 DER STANDARD
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Mengrelen im
Konflikt zwischen Abchasien und Georgien
Die Volksgruppe der Mengrelen lebt zwischen den
Interessen Abchasiens und Georgiens. Korruption, Rechtlosigkeit und Schikane
sind hier Alltag. Ein "Demokratie-Institut" versucht im Ringen um das eigene
Recht zu helfen.
Margarete Wohlan
Gali-Stadt, ein Ort in Abchasien, nahe der Grenze zu Georgien.
Fahrzeuge des russischen Militärs und der Vereinten Nationen patrouillieren
regelmäßig durch den Ort. Abchasien und Südossetien gehören völkerrechtlich zu
Georgien. Beide Provinzen haben sich jedoch schon vor Jahren für unabhängig
von Georgien erklärt.
Ein Fahrzeug der UN-Mission in der abchasischen Stadt Suchumi (September 2008)
Georgische Truppen griffen Anfang August 2008
Südossetien an. Russland marschierte daraufhin in Georgien ein und erkannte zu
deren Unterstützung die Unabhänigkeit der beiden abtrünnigen Regionen an. Der
Krieg zwischen Russland und Georgien endete mit der Vereinbarung einer
Waffenruhe, die international beobachtet wird.
Gali-Stadt blieb zwar während des Krieges im August verschont, doch die Lage
ist angespannt. Die Gali-Region liegt in der Konfliktzone zwischen dem
georgischen und abchasischen Gebiet. Die Mehrheit der dort lebenden Menschen
sind Mengrelen, eine Volksgruppe, die sich zu den Georgiern zählt. Sie wussten
nicht, wie sich die Kriegsfolgen auf ihre Situation auswirken würden. Ein
Leben in permanentem Ausnahmezustand, zerrissen zwischen abchasischen und
georgischen Interessen, mit ihren Problemen auf sich allein gestellt.
Die Waffen schweigen seit 16 Jahren, immerhin
Die Menschen leiden noch an den Folgen des Krieges, der hier vor 16 Jahren
tobte. Die ausgebrannten Häuser, zerstörten Straßen, verlassenen Landschaften
erinnern sie täglich daran. 1992 hatte Abchasien seine Unabhängigkeit von
Georgien erklärt, worauf die georgische Armee in Abchasien einmarschiert war.
Ein blutiger Kampf begann, der über ein Jahr dauerte. Am Ende gelang es den
Abchasen, die georgischen Truppen aus Abchasien zu verdrängen, mindestens
200.000 Menschen flüchteten nach Georgien. Seit 1994 besteht ein
Waffenstillstandsabkommen, das von den Vereinten Nationen und Russland
kontrolliert wird.
Ortsbesuch in der Gali-Region
Guram Skonia ist unterwegs in der Gali-Region. Er ist in Gali-Stadt
geboren und aufgewachsen, und fühlt sich als Georgier. Anfang des Jahres hat
er ein "Demokratie-Institut" gegründet, das den Menschen hilft,
Rechtlosigkeit, Korruption und Schikanen durch Behörden zu bekämpfen, auf die
man hier überall treffe, so Skonia. Auch internationale Organisationen könnten
hier nichts tun, denn ihr Mandat erlaube es ihnen nicht. "Deshalb haben wir
angefangen, uns dieser Probleme anzunehmen, uns um die Menschen zu kümmern.
Sie vertrauen uns auch eher als Fremden, wenn sie Hilfe suchen", sagt Skonia.
Abchasen sitzen in den Schlüsselpositionen der Behörden
Die Situation in der Gali-Region ist kompliziert: Es gibt keinen
funktionierenden Rechtsstaat, die meisten Positionen in der Verwaltung sind
von Abchasen besetzt. Wenn Georgier oder Mengrelen sich eine Existenz aufbauen
wollen, benötigen sie die Genehmigung der Abchasen - die sie manchmal erteilen
und manchmal nicht, erzählt Skonia.
Aber das sei nicht die einzige Willkür, unter der Mengrelen und Georgier zu
leiden haben. In Harest zum Beispiel gibt es ein großes Haselnuss-Anbaugebiet.
Dorthin kämen dann Leute, erzählt Skonia, die behaupten, von der Regierung zu
sein. "Sie fordern von den Besitzern 200 oder 400 oder noch mehr Kilo
Haselnüsse als Steuerabgabe. Aber es gibt kein Gesetz, dass man so viel
abgeben muss." Es sei ein sehr einfaches Beispiel dafür, sagt er, welche
Probleme die Menschen hier haben.
"Eine Art Mission"
Das Demokratie-Institut kann im bescheidenen Rahmen Anwälte bezahlen, die
in solchen Fällen die Besitzer anleiten, zu Behörden mitgehen und als
Fürsprecher auftreten. Keine leichte Aufgabe - weder für diejenigen, die
schikaniert werden, noch für ihre Helfer. Auch Guram Skonia sagt, er habe
Angst. "Menschenrechte durchzusetzen ist eine sehr problematische Arbeit, bei
der man sehr vorsichtig vorgehen muss. Es ist gefährlich. Aber es gibt keinen
anderen Ausweg, die Probleme der Menschen hier zu lösen. Für uns ist es eine
Art Mission."
Finanziert wird das Demokratie-Institut von Großbritannien, Frankreich,
Deutschland und den USA. Es hat zehn Jahre gedauert, bevor die abchasische
De-facto-Regierung erlaubt hat, es zu gründen. Das Außergewöhnliche daran:
Mengrelen, Abchasen und Georgier arbeiten zusammen.
Wegen häuslicher Gewalt in Gali niemals zur Polizei gehen
Maya Kvaratshela ist eine von ihnen. Sie engagiert sich vor allem in der
Frauenarbeit. Denn die Situation in Gali - das Leben im Ausnahmezustand, in
dem weder Krieg noch Frieden herrscht - prägt auch die Beziehung zwischen den
Geschlechtern. Häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch sind weit verbreitet.
Aber die Frauen sehen keine Möglichkeit, sich zu helfen, erklärt Kvaratshela:
"Wenn eine Frau zur Polizei gehen und darüber sprechen würde - etwas, was in
Gali nie passieren wird - dann würden die Polizisten etwas finden, um die
Täter nicht zu bestrafen. Die Korruption ist in den unteren
Behördenhierarchien sehr hoch, auch bei der Polizei. In den meisten Fällen
stehen sie den Tätern bei."
Maya Kvaratshela weiß, dass sie mit den Informationen, die sie erhält, vor
einem abchasischen Gericht nichts ausrichten kann. Aber zumindest werden die
vier Unterstützer-Staaten und die Vereinten Nationen sowie die georgischen und
abchasischen Verantwortlichen offiziell über die Rechtsverstöße informiert.
Seine Gedanken anders als mit Waffen und Gewalt ausdrücken
Aber das ist nicht der einzige Grund, warum sie sich engagiert. Der
Konflikt sei sehr kompliziert und berührt das Leben vieler Menschen, sagt sie.
"Ich fühle mich verpflichtet, etwas zu tun, mit der Gemeinschaft, die mich
umgibt. Den Menschen zeigen, dass es möglich ist, seine Gedanken anders
auszudrücken als mit Waffen und Gewalt."
01.01.2009 Deutsche Welle
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Potemkinsche Militärreform
„Weit verbreitetes Missmanagement,
unqualifizierte Führung und Bedarf an weitreichender Reform“ – mit diesen
drastischen Worten fasste die New York Times einen vertraulichen Bericht des
Pentagon über den Zustand der georgischen Armee zusammen, welcher der
renommierten Tageszeitung in Auszügen zugespielt wurde. Nachdem die
Streitkräfte der Südkaukasusrepublik bereits im August 2008 durch einen
„Fünf-Tage-Krieg“ gegen Russland in ihren Grundfesten erschüttert worden
waren, kratzt dieser Bericht weiter am einstigen Prestigeprojekt der
georgischen Führung. Trost spenden sollen nun allerdings fortgesetzte
US-Militärhilfe und ein bilaterales Partnerschaftsabkommen mit den
Vereinigten Staaten, dessen Unterzeichnung noch vor dem Amtsantritt Barack
Obamas geplant ist.
Von Johannes Wetzinger EM 01-09 ·
01.01.2009
in
vertraulicher Bericht des Pentagon, der im Dezember in Auszügen an die
Öffentlichkeit gelangte, rückt die Entwicklung der georgischen Streitkräfte
in ein schlechtes Licht: „Weit verbreitetes Missmanagement, unqualifizierte
Führung und Bedarf an weitreichender Reform“, fasste die New York Times die
Einschätzungen des Pentagon zusammen. Dabei hatte sich der georgische
Präsident Michail Saakaschwili alles anders vorgestellt, als er im Jahr 2004
die Macht übernahm: Georgien müsse die eigenen Streitkräfte stärken, um das
Image eines Sicherheitsproblems loszuwerden – und um gleichzeitig eine
bessere „Verhandlungsposition“ im Konflikt mit den abtrünnigen Gebieten
Abchasien und Südossetien zu erlangen. Nach nunmehr fünf Jahren im Amt ist
davon nicht viel geblieben: Ein fataler Krieg gegen Russland im August 2008
hat die Streitkräfte in ihren Grundfesten erschüttert. Die abtrünnigen
Gebiete sind nach den Kampfhandlungen vom vergangenen Sommer und der
einseitigen Anerkennung durch Moskau wohl dauerhaft verloren, und ein von
Saakaschwili sehnlich erhoffter Nato-Beitritt ist mittelfristig nicht in
Sicht.
Flucht nach vorne – Georgien rüstet auf
Als Michail Saakaschwili im Jahr 2004 die Macht in
der Südkaukasusrepublik übernahm, stand er sicherheitspolitisch vor einem
Scherbenhaufen. Zu einem der großen Probleme gehörte dabei der Zustand des
Militärapparats: Unter seinem Vorgänger Eduard Schewardnadse hatte der
Verteidigungsetat weniger als 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen.
Infolge der chronischen Unterfinanzierung wurden Löhne an Armeeangehörige, wenn
überhaupt, nur verspätet ausbezahlt. Selbst eine elementare Grundversorgung der
Soldaten galt nicht als gesichert: Mangelernährung, unzureichende medizinische
Versorgung und desaströse Zustände in den Unterkünften führten wiederholt zu
Aufständen. Auch die Ausrüstung befand sich in einem katastrophalen Zustand.
Michail Saakaschwili setzte hier auf eine Flucht nach vorne: Hatte der
Verteidigungshaushalt im Jahr 2003 noch rund 30 Millionen US-Dollar betragen,
waren im Jahr 2007 bereits 922 Millionen US-Dollar erreicht – ein
Verteidigungsetat, der mit mehr als 7 Prozent des Bruttoninlandsprodukts weit
über Nato-Standards von zwei bis drei Prozent liegt. Mit diesen großzügigen
Finanzmitteln wurde Militärgerät angekauft, in eine Modernisierung der
Infrastruktur investiert und das Lohnniveau angehoben.
Aufrüstung sorgte für Angst in abtrünnigen
Gebieten
Am Höhepunkt des Rüstungsprojekts hatte das
Verteidigungsbudget beinahe ein Drittel des Staatshaushalts erreicht. Während
Georgien versuchte derartige hohe Ausgaben mit einem angestrebten Nato-Beitritt
zu legitimieren, zeigte man sich beim nordatlantischen Militärbündnis weniger
erfreut über derartig unbalancierte Ausgaben. In georgischen Medien wurde
wiederholt über die unsachgemäße Verwendung von Geldern spekuliert. Diese
Mutmaßungen wurden dadurch begünstigt, dass es sich bei den so genannten
„Machtministerien“ um äußerst geschlossene Strukturen handelt und eine Kontrolle
der Prozesse von außen kaum möglich ist. Ein georgischer Sicherheitsexperte
identifizierte im vertraulichen Gespräch gar einen „Staat im Staat“. Unter
internationalen Beratern sorgte ein weiterer Aspekt für Beunruhigung: Georgien
erhöhte unter Michail Saakaschwili die Personalstärke seiner Armee von rund
20.000 auf knapp 30.000 Mann, was für ein Land in der Größe der
Südkaukasusrepublik wiederholt als unverhältnismäßig kritisiert wurde. Doch die
georgische Führung ließ sich in ihrem Aufrüstungsvorhaben nicht beirren. Das
ambitionierte Projekt wurde in Verbindung mit der nationalistischen Rhetorik
Saakaschwilis in den separatistischen Gebieten Abchasien und Südossetien
zweifellos mit Argusaugen beobachtet – begann Tiflis doch mit dem Bau neuer
Basen nur unweit der beiden Gebiete, die sich Anfang der 90er-Jahre in blutigen
Kriegen von der Zentralregierung losgesagt hatten.
Millionenschwere US-Hilfe
Auch Moskau blickte mit zunehmender Sorge an seine
südliche Flanke: Die USA sahen in Michail Saakaschwili einen treuen Verbündeten
und machten sich daran, dauerhaft im Südkaukasus Fuß zu fassen. Bereits unter
Eduard Schewardnadse hatten die Vereinigten Staaten damit begonnen, in die
Stärkung des georgischen Militärs zu investieren. Im Rahmen des so genannten
„Georgia Train and Equip Program“ (GTEP) flossen 64 Millionen US-Dollar in
Ausbildung und Ausrüstung ausgewählter Einheiten. Hintergrund des 2002
gestarteten Projekts war die sich verschlechternde Lage im nordgeorgischen
Pankisi-Tal, das von tschetschenischen Kämpfern – und einigen Berichten zufolge
auch von internationalen Terrornetzwerken – als Rückzugsraum genützt wurde.
Unter dem neuen Präsidenten Michail Saakaschwili wurde die Militärhilfe weiter
ausgebaut. Nach dem Auslaufen von GTEP im Jahr 2004 wurde rasch ein Folgeprojekt
mit dem Titel „Sustainment and Stability Operations Program“ (SSOP) aus der
Taufe gehoben. Ziel war die Ausbildung von georgischen Soldaten für den Einsatz
im Irak, wo sich die ehemalige Sowjetrepublik selbst in schwierigen Zeiten zu
einem engagierten Geber entwickelte: Mit 2000 Soldaten stellte Georgien im
Vergleich zur eigenen Landesgröße eines der umfassendsten Kontingente.
Ein Blick hinter die potemkinsche Fassade
Die Modernisierungsbemühungen wurden durch eine
PR-Kampagne begleitet, die das schlechte Ansehen der Armee in der Bevölkerung
verbessern sollte – etwa durch eine vom regierungsnahen Fernsehsender Rustawi-2
übertragene Reality-Show aus dem Stützpunkt Muchrowani. Dass hinter dieser
potemkinschen Fassade jedoch ein anderes Bild vorherrscht, offenbarte der im
Dezember in Auszügen bekannt gewordene Pentagonbericht über den Zustand des
georgischen Militärs: Kritisiert werden etwa impulsive Entscheidungsfindung und
unklare Kommandoketten. Die Personalrekrutierung beruhe nicht auf Qualifikation,
sondern auf persönlichen Loyalitäten und in der Führungsetage stünden häufige
Wechsel an der Tagesordnung. Dem georgischen Militär fehle es bisher noch an
elementaren Grundlagen einer modernen Militärbürokratie. Der Bericht habe laut
New York Times implizit klargemacht, dass die georgischen Streitkräfte trotz
langjährigem US-Training und intensiven Investitionen unter Saakaschwili
weiter„unterentwickelt und schlecht vorbereitet“ blieben – eine Einschätzung,
die sich auch im „Fünf-Tage-Krieg“ Anfang August 2008 offenbart hatte: Nach
Saakaschwilis fatalem Entschluss zum Vormarsch auf das abtrünnige Gebiet
Südossetien erlebte die ehemalige Sowjetrepublik ein blaues Wunder. Russland,
das Südossetien zu Hilfe eilte, zwang die georgische Armee binnen kürzester Zeit
in die Knie. Der renommierte Think-Tank „International Crisis Group“ berichtet
von Mängeln bei Planung, Versorgung und Kommunikation, die in eine rasche
Demoralisierung der Truppen geführt habe.
Rüstungspolitik hat Chancen verbaut
Georgien hat mit den hohen Aufwendungen für den
Sicherheitsapparat bisher wenig gewonnen. Die forcierte Aufrüstung in Verbindung
mit einer nationalistischen Rhetorik hat das Verhältnis zu den beiden
abtrünnigen Gebieten nachhaltig gestört und den Weg einer friedlichen
Konfliktlösung verbaut – mit dem Ergebnis, dass Abchasien und Südossetien fünf
Jahre nach dem Amtsantritt von Michail Saakaschwili weiter von georgischer
Kontrolle entfernt sind als je zuvor. Gleichzeitig hat die einseitige
Westorientierung und enge Bindung an Washington die Möglichkeiten für eine
Entspannungspolitik mit Moskau eingeschränkt. Umso schwerer wiegt, dass mit der
starken Fokussierung auf Investitionen im Militärapparat andere entscheidende
Themen ins Hintertreffen geraten sind: Denn während sich der
Verteidigungshaushalt vervielfacht hat, blieben die schwerwiegenden sozialen
Probleme im Land in den letzten Jahren weitgehend bestehen.
Neues Abkommen mit den USA geplant
Ein Strategiewechsel der georgischen Führung ist allerdings
vorerst nicht in Sicht. Zwar sind die Verteidigungsausgaben im Budgetentwurf für
2009 geringer als im Vorjahr, doch wurde bereits ein weiterer Ausbau der
Militärkapazitäten angekündigt, um im Falle einer zukünftigen Konfrontation mit
Russland besser abzuschneiden. Dabei war bereits im Sommer 2008 abzusehen, dass
Tiflis bei einer direkten militärischen Auseinandersetzung mit Moskau den
Kürzeren ziehen würde. Der unbedachte georgische Vormarsch auf Südossetien hat
dazu beigetragen, dass einige Nato-Mitglieder einem Beitritt der ehemaligen
Sowjetrepublik zum Militärbündnis derzeit reserviert gegenüber stehen. Die
Vereinigten Staaten, einer der wichtigsten Fürsprecher Georgiens in der
nordatlantischen Allianz, scheinen Tiflis jedenfalls vorerst weiter unter die
Arme zu greifen: So autorisierte der US-Kongress im Oktober 50 Millionen
US-Dollar für „Sicherheits-Assistenz“ in Georgien für das kommende Finanzjahr.
Kurz vor dem Ende der zweiten Amtszeit von George W. Bush ist bereits ein
weiterer Coup geplant: Im Januar 2009 soll ein „Abkommen über eine Strategische
Partnerschaft“ zwischen der ehemaligen Sowjetrepublik und den Vereinigten
Staaten unterzeichnet werden, das Berichten zufolge auch eine Kooperation im
Sicherheits- und Verteidigungsbereich beinhalten wird. Am 19. Dezember hatte die
scheidende US-Außenministerin Condoleezza Rice bereits ein entsprechendes
Abkommen mit der Ukraine unterzeichnet.
01.01.2009 Eurasisches Magazin EM 01-09
***
Deutsche EU-Beobachter künftig auch vor Südossetien
im Einsatz
Die deutschen EU-Beobachter in Georgien
werden künftig auch in der spannungsreichen Pufferzone vor der abtrünnigen
Provinz Südossetien im Einsatz sein. Der Chef der EU-Beobachtermission (EUMM),
der deutsche Diplomat Hansjörg Haber, kündigte im Gespräch mit der
Nachrichtenagentur AFP an, die nationalen Kontingente ab Februar auf
verschiedene Standorte neu verteilen und stärker durchmischen zu wollen.
Haber zog eine positive Bilanz der
ersten drei Monate der Mission, kritisierte aber den mangelnden Willen der
russischen Seite zur Zusammenarbeit.
"Wir wollen die Deutschen auch an den
Standorten Gori, Chaschuri und Tiflis stationieren, die an Südossetien
angrenzen", sagte Haber. Bislang sind alle 25 deutschen Beobachter im
westgeorgischen Sugdidi im Einsatz und beteiligen sich an Patrouillen in der
Pufferzone vor der zweiten abtrünnigen georgischen Provinz Abchasien. Grund
für den Umbau der Mission sei die Spezialisierung der einzelnen Kontingente,
sagte Haber. "Die Skandinavier sind Experten im Bereich Menschenrechte, die
Franzosen haben die routiniertesten Polizisten. Wir brauchen aber an allen
Standorten die verschiedenen Qualitäten, sozusagen einen idealen Mix."
Der veränderte Einsatz birgt neue
Risiken für die deutschen Beobachter. "An der südossetischen
Verwaltungsgrenze sind die Spannungen größer, daher haben wir dort bereits
heute schon zwei Drittel der Beobachter stationiert", sagte Haber. Insgesamt
sei die Sicherheitslage in den ehemaligen Pufferzonen trotz einiger
"gefährlicher Situationen" für die EU-Beobachter aber besser als erwartet,
betonte der EUMM-Chef. "Dies liegt wohl auch daran, dass wir ein
Stabilitätsfaktor sind und ohne uns mehr passieren würde."
Die ersten drei Monate der
Beobachtermission sind nach Auffassung Habers gut verlaufen. "Wir mussten
nach dem EU-Ratsbeschluss im September innerhalb von zwei Wochen 200
Beobachter und das Gerät in Georgien stationieren. Das ist alles geglückt",
sagte Haber. "Wir haben am 1. Oktober unsere Arbeit aufgenommen, am 8.
Oktober sind die Russen aus den sogenannten Pufferzonen abgezogen." Dadurch
hätten auch 30.000 Menschen, die während des militärischen Konflikts
zwischen Russen und Georgiern Anfang August fliehen mussten, in ihre Häuser
zurückkehren können.
Haber beklagte allerdings, dass die
EU-Beobachter noch immer keinen Zugang zu Abchasien und Südossetien hätten,
obwohl ihr Mandat für ganz Georgien gelte.
Russland betrachtet nach der
Annerkennung Abchasien und Südossetien beide Länder als eigenständige
Gebiete und nicht mehr zu Georgien zugehörig. Folglich gilt das EUMM-Mandat
nicht in Abchasien und Südossetien.
Schwierig sei auch die Kommunikation mit
der russischen Armee, da oft klare Ansprechpartner fehlten. "Die
Zusammenarbeit mit Russland könnte in vielen Bereichen besser sein", sagte
Haber.
28.12.2008 Russland-Aktuell/Deutsche
Welle
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OSZE zieht ihre Beobachter aus Georgien ab
Wien/Tiflis (AFP) — Die Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zieht ihre Beobachter aus
Georgien ab. Zur Begründung verwies die finnische OSZE-Präsidentschaft in Wien
auf die Weigerung Russlands, das Mandat für die Beobachter über dieses Jahr
hinaus zu verlängern. Die OSZE bemühte sich in den vergangenen Monaten,
Gespräche zwischen Vertretern Russlands und Georgiens zu vermitteln. Tiflis warf
der russischen Regierung in Moskau vor, mit ihrer Blockadehaltung russische
"Kriegsverbrechen" kaschieren zu wollen.
Nach Angaben des finnischen Botschafters bei der
OSZE, Antti Turnen, scheiterte die Verlängerung des am 31. Dezember auslaufenden
Mandats der Beobachtermission an der Forderung Russlands, die Unabhängigkeit der
von Georgien abtrünnigen Region Südossetien anzuerkennen. Der amtierende
OSZE-Vorsitzende und finnische Außenminister Alexander Stubb hatte erst vor
wenigen Tagen an die 56 Mitgliedsstaaten appelliert, die Beobachtermission um
drei Monate zu verlängern. Russland hat als einziges OSZE-Mitglied die
abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien anerkannt.
Abchasien und Südossetien hatten sich Anfang der
90er Jahre von Georgien abgespalten. Die russische Armee war Anfang August in
die Gebiete einmarschiert und hatte eine georgische Militäroffensive
zurückgeschlagen, mit der die Führung in Tiflis Südossetien wieder unter ihre
Kontrolle bringen wollte. Beide Seiten stimmten schließlich einem von der
Europäischen Union vermittelten Waffenstillstand zu. Die OSZE entsandte rund 200
Beobachter in die Region, um den Waffenstillstand zu überwachen. Die Lage bleibt
gespannt, zumal Russland weiterhin 7600 Soldaten in Südossetien und Abchasien
stationiert hat.
Der georgische Minister für Wiedereingliederung,
Temur Jakobaschwili, sagte der Nachrichtenagentur AFP, Moskau wehre sich gegen
OSZE-Beobachter in Südossetien, weil die russische Armee dort "Kriegsverbrechen"
verübe, "einschließlich der ethnischen Säuberung der georgischen Bevölkerung".
Der georgische Präsident Michail Saakaschwili
sagte unterdessen, seine Regierung verhandele mit den USA über eine
"strategische Partnerschaft". Die beiderseitigen Beziehungen bewegten sich auf
eine "vollständig neue Stufe" zu, fügte der Staatschef im georgischen Fernsehen
hinzu. Der stellvertretende georgische Außenminister Giga Bokeria sagte AFP,
vorgesehen sei ein Abkommen, das die Bereiche Sicherheit, Verteidigung,
Wirtschaft und demokratische Entwicklung umfasse. Das Abkommen dürfte zu
zusätzlichen Spannungen zwischen Russland und den USA führen.
22.12.2008 AFP
***
Georgien: Nächtliche Schüsse und viele Gespräche

EU-Beobachter
an einem russischen Checkpoint
EU-Beobachter sollen nach dem Krieg um die
abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien zur Stabilisierung und
Vertrauensbildung beitragen. Der Missionsleiter in Georgien, Hansjörg Haber,
berichtet von seiner Arbeit.
Seit dem 1. Oktober sind 225 Beobachter der
Europäischen Union in Georgien im Einsatz. Aber in Südossetien und Abchasien
können sie sich nicht bewegen. Die Grenzen zu den beiden Provinzen, die sich für
unabhängig erklärt haben, sind für die Beobachter dicht, obwohl sie zu Georgien
gehören. "Nein, wir dürfen nicht rüber, weil uns die Osseten beziehungsweise die
Russen daran hindern", sagt der deutsche Diplomat Hansjörg Haber, der die
EU-Mission von Tiflis aus leitet. Eigentlich ist ganz Georgien das Einsatzgebiet
der unbewaffneten EU-Beobachter. Doch die russischen Truppen halten die Grenzen
zu den beiden von ihnen kontrollierten Provinzen für die EU-Mitarbeiter
geschlossen.
Politik des An-die-Tür-Klopfens
Hansjörg
Haber leitet die EU-Mission in Georgien
"Wir fahren immer wieder an die Checkpoints ran
und sagen: ‚Wir haben das Recht’ - und lassen uns abweisen. Wir nennen das die ‚Politik-des-an-die-Tür-Klopfens‘.
So machen wir deutlich, dass unser Mandat für ganz Georgien gilt, auch wenn wir
es im Augenblick nicht umsetzen können", erläutert Haber im Gespräch mit der
Deutschen Welle. Die größten Spannungen gibt es dem Leiter der EU-Mission
zufolge in der Nähe der Grenzen: "Insbesondere die letzten hundert Meter sind
problematisch. Es fallen nachts Schüsse, durch die zwar nie jemand getötet oder
verletzt wird, die aber doch die Zivilbevölkerung einschüchtern. Es kommen Leute
über die Grenze, die schreien oder johlen."
Staatliche Hilfen für Flüchtlinge fehlen
Die Bilder von den im Krieg zerstörten Häusern
gingen um die Welt. Zwar sind die meisten Flüchtlinge zurückgekehrt, aber der
Wiederaufbau kommt nach Habers Einschätzung in der Nähe der Grenzen nicht
richtig voran – es fehlen staatliche Hilfen: "Die Georgier konzentrieren sich
zurzeit mehr auf die Flüchtlinge aus Ossetien und Abchasien, die nicht mehr
zurück können. Für sie bauen sie Siedlungen. Aber die Bevölkerung in
unmittelbarer Grenznähe hat auch Probleme. Sie wird eingeschüchtert durch diese
Schießereien. Es gibt Menschen, die deshalb in die Städte, nach Tiflis oder nach
Gori, gehen."
Misstrauen auf beiden Seiten sitzt tief
In ihren täglich etwa 20 Patrouillen machen sich
die EU-Beobachter ein Bild von der Lage. Dabei stellen sie immer wieder fest,
dass das Misstrauen zwischen den Konfliktparteien tief sitzt. "Wenn es zu
irgendeinem Zwischenfall auf einer der beiden Seiten der Grenze kommt, dann gibt
es sofort Beschuldigungen an die andere Seite, quasi als Reflex. Wir wollen,
dass alle Seiten an einem Tisch sitzen und dadurch gezwungen werden, objektive
Tatsachen auf den Tisch zu legen, die auch für uns glaubwürdig erscheinen", so
Haber. Es sei schwierig, aber dringend notwendig, die Polizei-Behörden beider
Seiten zur Zusammenarbeit zu bewegen, sagt der Leiter der Mission.
EU hofft auf Stabilisierung der Lage
Und wie reagiert die Zivilbevölkerung auf die Beobachter?
"Abwartend freundlich", sagt Haber und fügt hinzu: "Die Zivilbevölkerung hat
jahrelang nur bewaffnete irreguläre Kämpfer gesehen. Ich glaube, es ist für sie
schon ein erfreulicher Anblick, unbewaffnete zivile Beobachter zu Gesicht zu
bekommen. Aber natürlich will die Zivilbevölkerung Ergebnisse sehen. Das
Ergebnis ist in erster Linie eine konsolidierte Sicherheitslage in den Gegenden,
die direkt an den administrativen Grenzen liegen." Bis zum nächsten September
läuft das Mandat der EU-Beobachter. Bis dahin, so hofft Hansjörg Haber, könnte
sich die Lage so weit stabilisiert haben, dass eine Verlängerung nicht notwendig
wäre.
18.12.2008
DW-World
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Zug Richtung Konfrontation
USA: Einflußreicher Senator John Kerry stellt sich
demonstrativ gegen Rußland
Rainer Rupp,
Washington dürfe nicht auf Kosten Georgiens
seine Beziehungen zu Rußland verbessern. Das erklärte Senator John Kerry am
Wochenende nach einem mehrtägigen Aufenthalt in der Kaukasus-Republik, wo er
mit dem von Moskau als Kriegsverbrecher steckbrieflich gesuchten georgischen
Präsidenten Michail Saakaschwili eigenen Angaben zufolge »die politische Lage
im Land und die georgisch-amerikanische Kooperation« besprochen hatte. Die
Aufforderung des vor vier Jahren bei den US-Präsidentschaftswahlen als
Kandidat der Demokraten gegen George W. Bush durchgefallenen Senators aus dem
US-Bundesstaat Massachusetts hat Gewicht, denn bereits im Januar wird er im
Rahmen der Amtsübernahme des neuen Kongresses im US-Senat den Vorsitz des
einflußreichen Außenpolitischen Ausschusses übernehmen, ohne dessen Zustimmung
kein wichtiges Abkommen mit einem anderen Land umgesetzt werden kann.
Zugleich setzte sich Kerry in der georgischen
Hauptstadt Tbilissi dafür ein, daß die »Integrität Georgiens als ein souveränes
Land aufrechterhalten und respektiert« werden müßte, ein Euphemismus für die
Forderung, die nach dem militärischen Überfall durch die georgische Armee von
Rußland ausgesprochene Anerkennung von Südossetien und Abchasien wieder
rückgängig zu machen. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, stellte sich
der demokratische Senator ostentativ hinter die Unterstützung, die Georgien von
der scheidenden, republikanischen Bush-Administration zuteil geworden ist. Das
geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kreml seine Hoffnungen auf eine
Verbesserung der Beziehungen auf den neu gewählten Präsidenten Barack Obama
setzt. Eine Illusion, denn die Wahl Obamas für die beiden außenpolitischen
Schlüsselpositionen, Hillary Clinton als Außenministerin und Robert Gates als
Verteidigungsminister, garantiert eine Fortführung der US-Konfrontationspolitik
gegen Rußland.
Hier sei daran erinnert, daß die Initiative zur
NATO-Expansion von Präsident William Clinton ausging. Während die Politik der
Bush-Senior-Administration noch von Rücksicht auf russische Interessen geprägt
war, verfolgte die Clinton-Administration ab 1994 eine schnelle Ausweitung des
Bündnisses bis an die Grenzen Rußlands. Diese Politik wurde dann von Bush-Junior
weiter verfolgt. Und in der Obama-Administration sind die wichtigsten
außenpolitischen Positionen nun erneut von Politikern aus dem Clinton-Kreis
besetzt, die für die Kontinuität der konfrontativen US-Rußland-Politik bürgen.
Damit setzen die Amerikaner die über Jahrzehnte mit Rußland und zuvor mit der
Sowjetunion erarbeitete europäische Sicherheitsarchitektur wie den KSZE- oder
den START-1-Vertrag aufs Spiel. Diese Politik trifft auch den Sicherheitsnerv
der Europäer, voran Deutschland und Frankreich. Deshalb hat der französische
Präsident Nicolas Sarkozy unlängst den Vorschlag seines russischen Amtskollegen
Dmitri Medwedew für eine »neue Sicherheitsarchitektur« in Europa unterstützt –
ein Gegengewicht zu den US-Raketen- und Expansionsplänen der NATO.
Die Westeuropäer wollen nicht nur diese alten
Sicherheitsstrukturen erhalten sondern sie ziehen es offensichtlich auch vor,
die Beziehungen zu Moskau zu verbessern. Damit stehen sich die Interessen der
wichtigsten westlichen Akteure diametral gegenüber wodurch eines der großen
außenpolitischen Ziele Obamas, nämlich die verstärkte Konsultation mit den
wichtigsten Verbündeten und deren Einbindung in die US-Politik, konterkariert
wird.
16.12.2008 Junge Welt
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Der
Kaukasuskonflikt - Ursachen und Hintergründe
Von Sabine Kaufmann
Wieder Krieg im Kaukasus: In der
Nacht zum 8. August 2008 eskalieren die Kampfhandlungen zwischen Georgien
und den beiden Provinzen Abchasien und Südossetien. Zu ersten Scharmützeln
im Grenzgebiet der Regionen kommt es bereits im Juli 2008. Als Reaktion auf
die georgische Offensive dringen russische Truppen aus dem Nordkaukasus vor
und kommen erst im georgischen Kernland zum Stehen. Viele Ursachen und
Gründe des Kaukasuskonflikts sind in der Geschichte der Völker zu suchen.
Umsiedlungspolitik mit verheerenden
Folgen
Die Osseten sind im
Unterschied zu den Georgiern kein südkaukasisches Volk. Beide Ethnien sind nicht
miteinander verwandt. Die Osseten gelten als Nachkommen nordostiranischer
Stämme. Bereits im 19. Jahrhundert wurde Südossetien von georgischen Machthabern
regiert, während der nördliche Teil unter russischem Einfluss stand. Nach dem
Zusammenbruch des zaristischen Reiches schien das Schicksal des ossetischen
Volkes besiegelt. Mit der Unabhängigkeitserklärung Georgiens 1918 wurde Ossetien
aufgeteilt, der nördliche Teil kam zu Russland, der südliche Teil wurde Georgien
zugeschlagen.
Mit der Entstehung der Sowjetunion wurde
Südossetien ab 1922 ein autonomes Gebiet innerhalb der georgischen
Sowjetrepublik. Die politische Entwicklung in Abchasien verlief ähnlich wie die
ossetische Geschichte. 1921 war Abchasien noch eine unabhängige sozialistische
Republik innerhalb der Sowjetmacht. Erst in den dreißiger Jahren (1931) wurde
Abchasien als autonomes Gebiet innerhalb der Sowjetrepublik Georgien
zurückgestuft. Verheerende Folgen für die Region - mit Auswirkungen bis heute -
hatte Stalins Politik der Umsiedlungen. Um den Kaukasus zwangsweise zu
befrieden, durchmischte er die Völker im Kaukasus. 100.000 Georgier mussten nach
Abchasien ziehen, abchasische Ortschaften wurden umbenannt und Familiennamen
georgisiert.
Wirtschaftlich ging es in Abchasien nach dem
Zweiten Weltkrieg bergauf. Die Städte am Schwarzen Meer blühten auf. Abchasien
wurde zu einem wichtigen Tourismusgebiet für viele Bürger der Sowjetunion. Im
Gegensatz dazu Südossetien: Die Bergregion blieb gegenüber dem georgischen
Kernland wirtschaftlich stark benachteiligt. Die Menschen lebten vielfach vom
Schmuggel.
Der Kaukasuskonflikt ab 1990
Der Zusammenbruch der Sowjetunion bringt Bewegung
in den Kaukasus. Bereits 1990 erklärt sich Südossetien für unabhängig.
Zeitgleich halten die Südosseten Wahlen zu einem eigenen Parlament ab. Die
nationalen Töne unter dem georgischen Präsidenten Gamsachuria verschärfen den
Konflikt zwischen Südosseten und Georgiern. Die beiden Seiten provozieren sich
gegenseitig, es kommt zu Schusswechseln und Georgien rückt militärisch in
Südossetien ein. In der Provinz Abchasien verlief die Situation ähnlich.
Georgische Truppen marschierten 1992 in Abchasien ein und entmachten das
Parlament. Die Abchasen konnten die Georgier jedoch zurücktreiben und erklärten
sich 1993 für unabhängig.
Unterstützt wurden die beiden Provinzen
Südossetien und Abchasien vom großen russischen Nachbarn. Die verheerende Folge
aus dem ersten bewaffneten Kaukasuskonflikt: Insgesamt eine Viertelmillion
Georgier mussten sowohl aus Südossetien als auch aus Abchasien fliehen. Im
georgischen Kernland konnten die Flüchtlinge nur schlecht Fuß fassen, sie sind
von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen. Lange Zeit ging man davon aus, dass
die georgischen Flüchtlinge wieder in ihre Heimat innerhalb der beiden
separatistischen Provinzen zurückkehren würden.
Positionen der Weltmächte
Nach den bewaffneten Auseinandersetzungen im
August 2008 ist die Situation zwischen den Kriegsteilnehmern festgefahren. Die
Abchasen und Südosseten sind voll Hass und Bitterkeit gegenüber den Georgiern.
Die Option, sich wieder an Georgien anzuschließen, ist für die beiden Völker
undenkbar. Georgien dagegen will Abchasien und Südossetien unter keinen
Umständen in die Unabhängigkeit entlassen, eine Abtrennung der beiden Provinzen
vom Kernland würde Georgien territorial zu sehr beschneiden.
Russland hat die besetzten georgischen Gebiete im
Laufe des Herbstes geräumt, es tritt jedoch als Schutzmacht der beiden Provinzen
auf und hat ihre staatliche Unabhängigkeit anerkannt. Aber auch weltpolitisches
Kalkül darf in dem Konflikt nicht unterschätzt werden. Moskau will die
NATO-Mitgliedschaft Georgiens, durch die sich Russland bedroht fühlt,
verhindern. Doch solange Georgien um die beiden Provinzen kämpft, ist seine
Aufnahme in die NATO (North Atlantic Treaty Organization) in weite Ferne
gerückt. International hat es viel Kritik an dem russischen Vorgehen gegeben.
Außerdem steht Russland vor dem Dilemma, durch die Anerkennung von Abchasien und
Südossetien konsequenterweise auch die Unabhängigkeit anderer Kaukasusrepubliken
wie Tschetschenien akzeptieren zu müssen.
Für die USA ist Georgien geostrategisch ein
wichtiges Land, nahe zu den eigenen Konfliktherden in Iran und Irak, was die
US-amerikanische Unterstützung für Georgien erklärt. Außerdem ist Georgien ein
wichtiges Transitland für Ölpipelines aus Aserbeidschan und Kasachstan. Durch
Öllieferungen aus diesen Ländern wären die USA weniger abhängig von arabischem
Öl. Eine friedliche Lösung des Konflikts steht vorerst noch in den Sternen.
15.12.2008 planet wissen
***
OSZE berichtet über Plünderungen in Südossetien
Regierung der Separatistenprovinz hat Übergriffe
offenbar geduldet
Wien/Tiflis - Die
Regierung der georgischen Separatistenprovinz Südossetien hat die Plünderung und
Brandschatzung georgischer Dörfer in den Wochen nach dem Krieg im vergangenen
August offenbar geduldet. Zu diesem Schluss kommt das Büro für demokratische
Institutionen und Menschenrechte (Odihr), eine Behörde der OSZE, in einem dem
Standard vorliegenden Bericht.
Eine Beobachtergruppe von Odihr hielt sich Anfang
November mehrere Tage in Südossetien auf und besuchte zuvor Abchasien sowie die
von der russischen Armee geschaffenen Pufferzonen entlang der beiden
Separatistengebiete. Vor allem Südossetien ist seit dem Krieg im August für
unabhängige Beobachter kaum zugänglich.
Lokalaugenschein
Dem Lokalaugenschein von Odihr zufolge sind die
ehemals georgisch besiedelten Dörfer um die südossetische Provinzhauptstadt
Zchinwali praktisch zerstört. Der Flucht und Vertreibung der etwa 23.000
Georgier in Südossetien ging ein Bombardement der russischen Luftstreitkräfte
voraus. Dann heißt es in dem Bericht: "Südosseten in Uniform ebenso wie
ossetische Zivilisten, die dem Vormarsch der russischen Kräfte folgten,
unternahmen, was eine systematische Kampagne der Brandstiftung gegen Häuser und
andere zivile Gebäude in Dörfern mit überwiegend ethnischer Bevölkerung gewesen
zu sein schien."
Der knapp 100 Seiten lange Bericht über die Lage
der Menschenrechte in den ehemaligen Kriegsgebieten war am 27. November von
Odihr abgeschlossen und anschließend dem finnischen Außenminister als
amtierenden Ratsvorsitzenden der OSZE übergeben worden. Der britische
Außenminister David Miliband zitierte beim Ministerrat der Organisation
vergangene Woche in Helsinki aus dem Bericht. Aus Rücksichtnahme gegen Russland,
das Südossetien und Abchasien anerkannt hat, konnte sich Odihr offenbar noch
nicht zu einer Veröffentlichung durchringen.
Russen gingen gegen Plünderer vor
In einigen Fällen sollen russische Soldaten gegen
ossetische Plünderer eingeschritten sein, die georgische Bewohner mitunter aus
den Häuser trieben und angriffen. Dies berichteten ehemalige Dorfbewohner den
Odihr-Beobachtern. In Akhalgori, einer größeren Stadt im Osten der Provinz, und
den umliegenden Dörfern, die vor dem Krieg unter georgischer Verwaltung standen,
aber nicht direkt von den Kampfhandlungen betroffen waren, stellten die
Beobachter einen wachsenden Druck auf die georgischen Bewohner fest. Die nunmehr
tonangebenden südossetischen Behörden haben die Schließung der Verwaltungsgrenze
zum georgischen Kernland angekündigt. "Mehr als 5.100 Einzelpersonen hatten
Akhalgori bis Ende Oktober verlassen."
Stadt mit Artillerie beschossen
Augenzeugen in Zchinwali bestätigten wiederum
frühere Berichte von einem massiven Artilleriebeschuss ziviler Gebäude der Stadt
durch die georgische Armee. Damit begann der Krieg in der Nacht zum 8. August.
Odihr beklagte die Hindernisse, die der Gruppe bei der Einreise
in die Provinz in den Weg gelegt wurden. Die Beobachter wurde am Ende nur der
Zutritt über den Umweg über Russland gestattet. Bei der Fahrt zu den Dörfern in
der Umgebung von Zchinwali und Akhalgori wurden sie von russischen Soldaten
eskortiert.
10. 12. 2008 derStandard (Österreich)
***
Penndorf schildert Konflikt im Kaukasus
SIGMARINGEN
(sz) Der Kurzkrieg zwischen Russland und Georgien im
August hat in Erinnerung gerufen, dass im Kaukasus - eine der großen
Konfliktregionen, die durch den Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden sind -
noch keine Lösung in Sicht ist. Dass auch Bundeswehrsoldaten im Kaukasus sind,
wird öffentlich jedoch kaum wahrgenommen.
Oberstarzt Dr. Frank Penndorf, Divisionsarzt im
Stab der 10. Panzerdivision, kennt wie kein anderer den Kaukasus, ihre Menschen
und die Spannungen, das Flüchtlingselend sowie die wirtschaftliche und
geostrategische Bedeutung dieser Landbrücke zwischen Europa und Asien. Bereits
vier Mal hat er als ranghöchster Sanitätsoffizier und Militärbeobachter der
Vereinten Nationen in Georgien Dienst geleistet und war Teil einer Gruppe von
zwölf Offizieren und Unteroffizieren, die seit 1994 am bislang längsten UN
Einsatz Deutschlands teilgenommen haben. In einem Vortrag vor der Gesellschaft
für Wehr- und Sicherheitspolitik und den Sigmaringer Reservisten hat er neben
der Darstellung der durch die Politik vorgegebenen Aufgaben insbesondere von
seinen persönlichen Eindrücken berichtet. Als unbewaffnete Militärbeobachter,
bewacht durch russische Friedenstruppen, überwachen die 132 Soldaten aus 28
Nationen beiderseits der Waffenstillstandslinien zwischen den abtrünnigen
Provinzen Abchasien und Südossetien und Georgien die Einhaltung der
Waffenstillstandsvereinbarungen. Durch ständigen Kontakt zu allen
Konfliktparteien tragen sie zur Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung bei
und nehmen Einfluss auf Rückkehrmöglichkeiten von Vertriebenen. Für den
deutschen Anteil ist zudem die ärztliche Versorgung aller Mandatsteilnehmer aus
allen Nationen und die Unterstützung der Zivilbevölkerung in Rahmen freier
Kapazität vorgegeben. Die Schilderung von Einzelbeispielen ließ erahnen, von
welcher Brutalität, krimineller Vorgehensweise und übersteigertem
nationalistischen Hass der Umgang der unterschiedlichen ethnischen Gruppen
gekennzeichnet ist.
Krieg schafft neue Probleme
Der Fünf-Tage-Krieg mit Russland im August hat für
Georgien verheerende Folgen gebracht. Die Armee ist aufgerieben, über 16 000
neue georgische Flüchtlinge aus den umkämpften Gebieten hat das UN
Flüchtlingskommissariat allein im Raum Tiflis registriert, kriminelle Übergriffe
auf die Zivilbevölkerung und die völkerrechtliche Anerkennung der beiden
abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien durch Russland sowie der
gegenseitige Vorwurf der Kriegsschuld haben die Spannungen zusätzlich angeheizt.
Die UN, die OSZE und die EU sind aufgefordert, zusammen mit den Kriegsparteien
neue Ansätze der Unterstützung und Überwachung auszuhandeln - nebst dem
Wiederaufbau der georgischen Infrastruktur und der Milderung der
Flüchtlingsprobleme.
05.12.2008 SZON (Schwäbische Zeitung)
***
Die Nato in der Starre
Es ist noch nicht einmal acht Monate her, dass
sich die Nato auf ein Verfahren im Umgang mit Georgien und der Ukraine einigte.
Nun wollten Amerikaner und Briten nichts mehr davon wissen. Sie drängten, die
beiden Länder beschleunigt an die Allianz heranzuführen. Es war nur vernünftig,
sich dem entgegenzustellen. Denn sachlich gibt es keinen Grund für eine
Beschleunigung, sondern eher einen für eine Entschleunigung. Die Ukraine ist
noch weit, Generationen weit weg von der Nato. Und solange Georgien im
Territorialstreit mit seinen abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien
liegt, wird die Allianz es nicht aufnehmen, weil niemand in einen neuen Krieg im
Kaukasus hineingezogen werden will. Es wird Jahrzehnte dauern, die Situation zu
entspannen.
Wer die Politik der beschleunigten Aufnahme
betreibt, der schüttelt lediglich Fäuste gegen Russland. Das bringt nichts,
sondern beschädigt nur das eigene Ansehen in der Welt.
Besser wäre es, wenn die Nato darüber nachdächte,
was bei ihr schiefläuft. Wenn sich die Gültigkeit von Beschlüssen (wie über den
Umgang mit Georgien und der Ukraine) nur noch in Monaten misst, dann ist der
Allianz die Kraft abhanden gekommen, die in der Ruhe liegt. Sie ist zum
Spielball schnell wechselnder und oft widersprüchlicher Wünsche ihrer Partner
geworden. Georgien und die Ukraine verlangen nach Ruhe und langem Atem.
Georgien, weil es um den gesamten Kaukasus geht, und die Ukraine, weil es sich
um ein halbrussisches Land handelt. Gerade hier leistet sich die Nato die
falsche Ruhe: Sie geht nur zögerlich daran, wieder mit Russland zu reden. Aber
reden muss, und zwar entschieden, wer etwas erreichen will. wtr
03.12.2008 Sueddeutsche
***
Der Krieg im Kaukasus

Foto: AP (Russische Panzer im Roki-Tunnel,
beim Abzug aus Georgien)
Im August 2008 marschiert Russland in
Georgien ein und die Welt sieht Schatten des Kalten Krieges wieder auferstehen.
Der Westen schlägt sich auf die Seite des georgischen Präsidenten Saakaschwili,
was die Beziehungen zu Russland fast zerreißen lässt. Unter internationalem
Druck wird der Krieg beendet - doch der Konflikt bleibt ungelöst.
Am 7. August eskaliert der jahrelange Konflikt
zwischen dem an der Nahtstelle Europas zu Asien gelegenen Georgien und dessen
abspaltungswilligen, russisch dominierten Provinzen Südossetien und Abchasien.
Zwischen südossetischen Separatisten und georgischen Regierungstruppen kommt es
zu schweren Kämpfen.
Der georgische Präsident Michail Saakaschwili
ordnet zwar zunächst eine Waffenruhe an, doch seine Truppen starten überraschend
einen Angriff gegen Zchinwali, die Hauptstadt der abtrünnigen Provinz
Südossetien. Nach georgischer Darstellung waren bereits russische Truppen im
Roki-Tunnel zwischen Nord- und Südossetien unterwegs gewesen.
Mit dem Ausbruch des August-Krieges im Kaukasus
zeigt sich...
...nicht nur, wie faul all die russischen
Erklärungen über "friedenserhaltende Operationen" waren, wegen derer ihre
Truppen angeblich seit Jahren in Abchasien und Südossetien waren - sondern auch,
dass die Zusicherungen, die die georgische Regierung ihren Minderheiten gegeben
hatte, keineswegs mehr Bedeutung besaßen, schreibt die georgische Journalistin
Margarita Achwlediani über den Angriff der georgischen Truppen auf Zchinwalis
(im Bild) Zivilisten. Als Antwort darauf attackierten russische Streitkräfte
Georgien, sie bombardierten Städte und Dörfer, töteten Hunderte, besetzten das
Land - und schwenkten dabei zynisch die blauen Flaggen von Friedenstruppen.
Georgiens Präsident Michail Saakaschwili (im Bild)
wird im Kaukasus-Krieg von Russland tief gedemütigt. Dass der 40-Jährige den
Kampf mit Moskau nicht gewinnen konnte, war früh klar.
Nach dem Einmarsch der Russen befiehlt
Saakaschwili am Freitag, dem 8. August eine allgemeine Mobilmachung. Seine
Soldaten beginnen eine Großoffensive mit Panzern, Kampfjets und Raketen.
Russland verstärkt seine Streitkräfte in der Region.
Georgien verhängt am Samstag, den 9. August das
Kriegsrecht. Zchinwali ist schwer umkämpft, Saakaschwili zeigt sich mit
kugelsicherer Weste in den Trümmern georgischer Städte (im Bild), die Georgier
müssen sich am nächsten Tag zurückziehen.
Russische Flugzeuge greifen die georgische Stadt
Gori an, im Bombardement muss auch der Präsident um sein Leben fürchten (im
Bild). Der bewaffnete Konflikt greift auf die ebenfalls nach Unabhängigkeit
strebende Provinz...
... Abchasien am Schwarzen Meer über, die am 10.
August ebenfalls das Kriegsrecht verhängt. Die moskautreuen Machthaber
Abchasiens mobilisieren ihre Truppen, die gegen georgische Stellungen vorrücken.
Kampfbomber greifen das von Georgien kontrollierte obere Kodori-Tal an.
Russische Kriegsschiffe blockieren die georgische Schwarzmeerküste. Die
georgische Stadt Gori (im Bild) wird schwer zerstört.
Der sonst so smarte und stets scharfzüngige
Saakaschwili redete sich in Rage: "Wir sind die Opfer! Georgien wird sich nie
ergeben. Die Demokratie ist stärker als Moskaus Bomben", sagte der in den USA
ausgebildete Politiker.
Am Montag, den 11. August bittet Georgien die
internationale Gemeinschaft um Hilfe. Der EU-Ratsvorsitzende Bernard Kouchner
reist nach Tiflis. In seinem Beisein unterschreibt Saakaschwili eine von
Russland verlangte Verpflichtung zur Waffenruhe.
"Moskaus Aggressor" - wie Saakaschwili Russlands
Präsidenten Medwedjew bezeichnet - gibt sich vor den Kameras gelassen, doch die
USA drohen Russland mit Konsequenzen. Inzwischen haben die Russen Soldaten von
Abchasien ins georgische Kernland verlegt.
Dringend nötige Rückendeckung erhält Saakaschwili
in dieser Zeit während einer Kundgebung vor Tausenden Menschen in Tiflis. Die
Präsidenten mehrerer früherer Sowjetrepubliken stellten sich hinter Georgien.
Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko sagte: "Es lohnt sich, für die
Freiheit zu kämpfen." Auch seine Kollegen aus Litauen, Lettland und Estland
nahmen an der Veranstaltung teil. Der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski
sagte: "Unser Nachbar denkt, er kann uns bekämpfen. Wir sagen nein." Russland
wolle eine Rückkehr zu "alten Zeiten".

Zu diesem Zeitpunkt sind bereits hunderte Menschen
den Kampfhandlungen zum Opfer gefallen, 100.000 Flüchtlinge versuchen das
Kriegsgebiet zu verlassen und ganze Städte sind zerbombt. Ab Dienstag, den 12.
August sollen die Waffen schweigen. Russlands Präsident Dmitri Medwedew ordnet
die Einstellung aller Kampfhandlungen gegen Georgien an. Der EU-Ratsvorsitzende,
Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, spricht bei einem Besuch in Moskau
von einer «guten Nachricht». Gemeinsam mit Medwedew stellt er einen Plan zur
Befriedung des Südkaukasus vor.
Je schlimmer das Blutvergießen im Kaukasus wurde,
desto klarer wurde, dass Moskau den unbequemen antirussischen Politiker
Saakaschwili loswerden will.
Russland sieht Saakaschwili als "Völkermörder",
der mit seinem "Massaker" an den Bürgern mit russischen Pässen in Südossetien
eine "ethnische Säuberung" beging - für ein "Georgien nur für Georgier". Er sei
für Moskau kein Partner für Verhandlungen und solle gehen, sagte Außenminister
Sergej Lawrow (im Bild).
Auch nach Verkündung des Waffenstillstands im
Südkaukasus bleibt die Situation weiter äußerst angespannt. Georgische Medien
berichten über Plünderungen in der weitgehend zerstörten Stadt Gori.
Inzwischen unterzeichnet der russische Präsident
Dmitri Medwedew am Samstag, den 16. August unter internationalem Druck einen
Sechs-Punkte-Plan zur Entschärfung des Konflikts mit Georgien. Am Freitagabend
hatte der georgische Präsident Michail Saakaschwili bereits den von der EU
vorgelegten Plan unterschrieben.
Er sieht unter anderem vor, dass die russischen
Truppen sich "auf die Positionen vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten"
zurückziehen müssen. Dementsprechend beginnt Russland...
...am Montag, den 18. August nach eigenen Angaben
mit dem vereinbarten Abzug seiner Soldaten in Georgien. Die Bewegung der Truppen
beschränkt sich zunächst auf den Rückzug aus dem georgischen Kerngebiet in das
abtrünnige Südossetien.
In diese Zeit fällt ein Affront von russischer
Seite: Am 26. August verkündet der russische Präsident Medwedjew die Anerkennung
der abtrünnigen georgischen Regionen Südossetien und Abchasien. Im Westen stößt
dies auf scharfe Kritik.
Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisiert die
Anerkennung als Verletzung des Völkerrechts und "absolut nicht akzeptabel."
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach von einem der schwersten
Konflikte seit dem Ende des Kalten Krieges. In der Auseinandersetzung seien "zu
viele mit dem Streichholz unterwegs, statt den Feuerlöscher zu bedienen."
Am 1. September erklärt auch der EU-Sondergipfel
in Brüssel, die Beziehungen zwischen EU und Russland stünden "an einem
Scheideweg", doch....
...wenige Wochen später sieht EU-Ratspräsident
Sarkozy die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen beim
EU-Russland-Gipfel am 14. November in Nizza erfüllt. Am 10. Oktober hatten
EU-Beobachter in Georgien festgestellt, dass sich Russland aus den "Pufferzonen"
zurückgezogen habe. Mehrere EU-Regierungen widersprechen Sarkozy allerdings und
verweisen auf die drastisch gestiegene russische Militärpräsenz in Abchasien und
Südossetien, die mit dem Sechs-Punkte-Plan unvereinbar sei.
Zurück bleiben Hunderttausende Flüchtlinge,
zerstörte Städte und ein Präsident, der trotz seines zwielichtigen Images den
Westen auf seine Seite ziehen konnte. Saakaschwili hat Georgien zwar von dem
abgewirtschafteten Regime seines Vorgängers Eduard Schewardnadse befreit und
auch wirtschaftliche Erfolge erzielt. Mit seiner Vielsprachigkeit und
weltgewandten Art überzeugte er den Westen, Millionen in das Land zu
investieren. Der nach Meinung der Opposition in Tiflis "machtbewusste Demagoge"
schaffte aber letztlich sein eigenes totalitäres System mit Mediengängelung und
Seilschaften. Viele frühere Weggefährten haben Saakaschwili in den vergangenen
Jahren den Rücken gekehrt. Der im Pariser Exil lebende Ex-Verteidigungsminister
Irakli Okruaschwili warf ihm sogar schwere Verbrechen bis hin zur Verantwortung
für Auftragsmorde vor.
02.12.2008 Sueddeutsche
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Nato-Gipfel soll über Beitritt Georgiens entscheiden
Die USA wie auch Großbritannien sind
entschieden für einen baldigen Nato-Beitritt von Georgien und der Ukraine.
Deutschland stemmt sich samt seinen Bündnispartnern jedoch bisher dagegen.
Wann und unter welchen Bedingungen die Ukraine und Georgien der Nato
beitreten werden, soll auf dem Nato-Gipfel am Dienstag besprochen werden.
Die Außenminister der NATO beraten am Dienstag
und Mittwoch in Brüssel über den geplanten Beitritt Georgiens und der
Ukraine. Zwischen den USA und Deutschland ist ein erbitterter Streit um die
Bedingungen für die Mitgliedschaft entbrannt. Die Bundesregierung wirft
Washington vor, das Verfahren abkürzen zu wollen. Berlin fürchtet eine
Konfrontation mit Moskau, das den Beitritt der beiden Nachbarländer
entschieden ablehnt. Eine Mitgliedschaft müsse mit Russland abgestimmt
werden, betonte Regierungssprecher Thomas Steg in Berlin.
Auf Druck der USA, Großbritanniens und
osteuropäischer Länder wie Polen hatte der NATO-Gipfel in Bukarest Georgien
und der Ukraine im April erstmals einen Beitritt in Aussicht gestellt.
Deutschland verhinderte aber mit Unterstützung von Bündnispartnern wie
Frankreich, Spanien und Italien eine Aufnahme beider Länder in den
Aktionsplan zur Mitgliedschaft (MAP), in dem die Länder auf den Beitritt
vorbereitet werden.
Die Außenminister sollen nun eine
Bestandsaufnahme vornehmen. Einig sind sich die NATO-Partner nur in einem:
Derzeit erfüllen weder Georgien noch die Ukraine die Voraussetzungen für
eine Mitgliedschaft. Steg sagte, dies gelte nach übereinstimmender
Auffassung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier (SPD) „auf absehbare Zeit“. In der Ukraine lehnt
jeder zweite Bürger eine NATO-Mitgliedschaft ab. Der Beitrittswunsch
Georgiens ist durch den Konflikt mit Russland um die abtrünnigen Regionen
Südossetien und Abchasien belastet.
Der Streit zwischen Berlin und Washington
dreht sich um die Bedingungen für die Mitgliedschaft. Die USA wollen den
Beitritt der beiden osteuropäischen Länder zunächst ohne die umstrittene
Aufnahme in den Aktionsplan vorantreiben. „Wenn wir das nicht tun, stehen
wir bei jedem Treffen vor einer neuen Krise“, betont NATO-Botschafter Kurt
Volker. Unterstützt wird Washington von Großbritannien. Frankreich und
Italien sind zumindest offen für den Vorstoß.
Die Bundesregierung sieht im US-Vorgehen einen
gefährlichen Präzedenzfall. Berlin pocht auf das normale Aufnahmeverfahren
für Georgien und die Ukraine. Dieses sieht als erste Hürde die Aufnahme in
den MAP und als zweite Hürde eine förmliche Beitrittseinladung vor. Für
beides ist ein einstimmiger NATO-Beschluss nötig. Länder wie die
Niederlande, Luxemburg, Spanien, Portugal und Belgien teilen diese Haltung
im Grundsatz.
Der Gipfelbeschluss von Bukarest ist in dieser
Frage nur vordergründig eindeutig. Berlin beruft sich auf den Satz: „MAP ist
die nächste Stufe für die Ukraine und Georgien auf dem direkten Weg zur
Mitgliedschaft.“ Allerdings wird den Außenministern die Möglichkeit
eingeräumt, dies zu ändern.
Wegen der unversöhnlichen Positionen dürften
sich die NATO-Außenminister auf eine Kompromissformel einigen. Diplomaten
zufolge will die Allianz Georgien und der Ukraine zunächst Jahresprogramme
für eine verstärkte Zusammenarbeit anbieten. Die bereits bestehenden
NATO-Georgien- und NATO-Ukraine-Kommissionen könnten dann substanzielle
Teile des MAPs voranbringen, wie etwa Reformen des Verteidigungsapparats
beider Länder.
Steinmeier dürfte im Gegenzug auf die
Wiederaufnahme des NATO-Dialogs mit Russland dringen, der seit dem
Kaukasus-Konflikt im August auf Eis liegt. Dafür sei neben Deutschland eine
„deutliche Mehrheit der Mitgliedstaaten“, hieß es in Brüssel. Die USA hatten
sich hier zuletzt hart gezeigt.
Um die genauen Formulierungen im
NATO-Kommuniqué wurde bis zuletzt gestritten. Die Erklärung sei trotz
zweiwöchiger Beratungen und 18-maliger Änderung ein „Trümmerhaufen“, hieß es
in Brüssel.
01.12.2008 FOCUS Online
***
"Russland hat den Einmarsch monatelang geplant"
Der georgische Präsident Michail Saakaschwili
ruft die EU und Deutschland auf, auf Distanz zu Russland zu bleiben. Im
Interview mit dem Tagesspiegel dringt er außerdem auf einen raschen Beitritt
seines Landes zur Nato.
Deutschland sperrt sich
weiterhin gegen eine schnelle Aufnahme Georgiens in die Nato. Was nützt
Deutschland und Europa ein Nato-Mitglied Georgien?
Die Nato ist ein mächtiger Demokratie- und Stabilitätsfaktor. Ein stabiles
und demokratisches Georgien wäre ein Stabilitätsanker im Kaukasus. Mit
seiner strategischen Lage bietet Georgien einen einzigartigen
Handelskorridor zu Aserbaidschan und zu Zentralasien. Das sichert den
Ost-West-Energiekorridor für Europa und stabilisiert die Schwarzmeerregion,
die seit letztem Jahr die neue Grenze der Europäischen Union bildet.
Russland ist gegen den Beitritt. Warum sollte Europa Russland reizen?
Es geht nicht darum, Russland zu reizen. Selbstverständlich muss die EU mit
Russland in aller Ruhe und in allem Respekt einen ausführlichen Dialog
führen. Sollte die EU aber von ihren eigenen Prinzipien abweichen, wird sich
ein Unbehagen in der Union verbreiten. Kleinere Nachbarn Russlands würden
den Entschluss großer europäischer Länder, Russlands Aggressivität in Kauf
zu nehmen, als Verrat empfinden. Das würde das europäische Projekt klar
infrage stellen. Verträge und Abkommen müssen das meinen, was sie sagen –
sie sollten nicht auf dem Zufall der persönlichen Beziehungen zwischen
Politikern basieren. Diese Botschaft ist, glaube ich, auch für Deutschland
wichtig.
Geht Deutschland zu diplomatisch mit Russland um?
Hier will ich klar sein: Ich sowie die ganze georgische Nation sind für das
Engagement der Bundeskanzlerin extrem dankbar. Kurze vier Tage nach der
Waffenruhe besuchte sie Tiflis und betonte Georgiens Recht auf
Mitgliedschaft der Nato. Deutschland ist auch zu Recht stolz auf die
privilegierte Beziehung, die es mit der russischen Führung entwickelt hat.
Ich denke, Deutschland versucht eine Politik zu entwickeln, um Russland vom
schleichenden Nationalismus und Militarismus wegzuführen, die seine
Nachbarn, Europa und nicht zuletzt auch Russlands eigene Bevölkerung
bedrohen. Ich hoffe sehr, dass dieses Anliegen mit Erfolg gekrönt wird.
Am Dienstag nimmt die EU offiziell die Verhandlungen mit
Russland über ein Patenschaftsabkommen wieder auf. Eine gute Idee?
Mit Russland zu sprechen ist wichtig. Russland missversteht aber die
Wiederaufnahme dieser Verhandlungen. Es glaubt, dass Europa damit Moskaus
Forderung de facto as legitim akzeptiert, in einer selbst als exklusive
Einflusssphäre definierten Region frei agieren zu dürfen. Das ist nicht
akzeptabel. Daher müssen die Verhandlungen eine Klausel beinhalten, die
Russland dazu auffordert, sich an international anerkannte Regeln zu halten.
Politiker in Deutschland und Frankreich machen unter der Hand
einen Nato-Beitritt auch von einer neuen Führung in Georgien abhängig.
Würden Sie zurücktreten, um den Weg in die Nato freizumachen?
Das habe ich noch nie gehört! Im Januar dieses Jahres wurde ich für fünf
Jahre wiedergewählt. Ich beabsichtige, bis zum Ende meiner Amtszeit meinem
Land zu dienen. Mein Ziel bleibt, in diesen Jahren ein friedliches,
demokratisches und wohlhabendes Land in den europäischen Institutionen fest
zu verankern.
Die Opposition hat sich neu formiert, in Umfragen liegt Ihre
Rivalin Burdschanadse in Führung. Trauen Sie ihr zu, einmal Ihre
Nachfolgerin zu werden?
Ich weiß nicht, auf welche Umfragen Sie sich beziehen: Die, die ich gesehen
habe, zeigen, dass ich weiterhin die Unterstützung einer soliden Mehrheit
meiner georgischen Mitbürger genieße. Während meiner restlichen Amtszeit
werden andere sich bestimmt für die nächsten Präsidentschaftswahlen
positionieren. In Amerika haben wir ja gerade erlebt, wie lange moderne
Präsidentschaftswahlkämpfe dauern können. Und was Persönlichkeiten angeht –
es wäre unangebracht, mich dazu zu äußern, wer Georgiens nächste
Präsidentschaftswahl gewinnen könnte.
Der künftige US-Präsident Barack Obama gilt als weitaus weniger
konfliktfreudig mit Russland, sein Konkurrent McCain dagegen hat Sie in
Georgien besucht. Nimmt der US-Rückhalt unter Obama ab?
Barack Obama und ich hatten vor ein paar Tagen ein sehr herzliches und
wertvolles Gespräch. Joe Biden kam kurz nach dem russischen Einmarsch nach
Tiflis. Beide sind gute, starke Freunde Georgiens. Amerikas Freundschaft zu
Georgien bleibt stark.
Nach dem Krieg ist eine Wiedervereinigung Georgiens mit den
beiden abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien unwahrscheinlicher
denn je. War es ein Fehler, dass georgische Truppen in Südossetien
eingerückt sind?
Russland hatte den Einmarsch monatelang geplant. Es hat seine
Militärinfrastruktur in Abchasien und Südossetien in der ersten Jahreshälfte
systematisch ausgebaut. Im Juli hat es Elitetruppen in den Nordkaukasus
verlegt für groß angelegte Militärübungen, die sich zur Invasion gewandelt
haben. Jeder Militärexperte würde Ihnen sagen, dass keine Armee der Welt so
schnell eine derartige Menge an Bodentruppen, Marine und Luftwaffe einsetzen
und koordinieren kann, ohne das vorher monatelang vorbereitet zu haben. Zu
unterstellen, dass wir die Wahl hatten, dass dieser Krieg von uns Georgiern
gewollt war, ist absurd. Wir hatten keine andere Wahl, als zu versuchen,
eine Verteidigungslinie in Südossetien zu errichten und zu sichern. Schauen
Sie sich die Landkarte an! Wohin sonst wollen Sie gehen, wenn jemand durch
eine der höchsten Gebirgsketten der Welt in Ihr Land einmarschiert? Es gibt
nur ein paar Türen in dieser Gebirgswand. Als Russland eine dieser Türen
aufbrach, war es meine Verantwortung als Regierender, die territoriale
Integrität Georgiens zu verteidigen.
An diesem Dienstag steht in Brüssel gleich zweimal das Verhältnis zu
Russland im Mittelpunkt. Zum einen sollen die Verhandlungen über ein
Partnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und Russland
wiederaufgenommen werden. Zum anderen beginnt in der belgischen Hauptstadt
auch ein zweitägiges Treffen der Nato-Außenminister, an dem zum letzten Mal
US-Außenministerin Condoleezza Rice teilnehmen wird. Beim Treffen der
Außenminister wird eine Kontroverse über den Nato-Beitritt Georgiens und der
Ukraine erwartet. Außerdem ist umstritten, inwieweit die Beziehungen
zwischen der Militärallianz und Russland nach dem Südkaukasus-Krieg im
August wieder normalisiert werden sollen.
Das Interview führte Sebastian Bickerich.
01.12.2008 Tagesspiegel
***
Georgien: Beziehungen zu Nicaragua abgebrochen
Nach der Anerkennung der von Georgien abtrünnigen Gebiete
Abchasien und Südossetien durch Nicaragua hat Tiflis die Beziehungen zu dem
lateinamerikanischen Land abgebrochen. Nicaragua hatte nach dem
Südkaukasus-Krieg zwischen Russland und Georgien im August als einziges Land
neben Russland die beiden Regionen als unabhängig anerkannt.
Die Regierung in Tiflis habe dem nicaraguanischen
UN-Botschafter in einer Note den Abbruch der diplomatischen Beziehungen
mitgeteilt, meldete die Agentur Interfax am Samstag in Tiflis. Nach dem
verlorenen Fünf-Tage-Krieg hatte Georgien bereits die Beziehungen zu Moskau
abgebrochen.
29.11.2008 Südtirol Online
***
Katerstimmung in Georgien
Jens Berger 28.11.2008
Neuere Medienberichte, die Untersuchungen der OSZE
und von Menschenrechtsorganisationen werfen ein düsteres Bild auf Georgien
In der Nacht vom 7. auf den 8. August dieses
Jahres versuchte Georgien mit einer Militärattacke die abtrünnige Provinz
Südossetien wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Das Ergebnis dieses
militärischen Abenteuers war für Georgien desaströs - Russland, das sich als
Schutzmacht Südossetiens sieht, erwiderte den Angriff, zwang die vergleichsweise
winzige georgische Armee in die Knie und besetzte weite Teile des Landes. Als
nach fünf Tagen die Waffen schwiegen, begann der Krieg am grünen Tisch. Georgien
sieht sich derweil keinesfalls als Aggressor, sondern behauptet, sich wahlweise
gegen eine russische Invasion oder Angriffe südossetischer Freischärler in
Notwehr "vorwärts verteidigt" zu haben. Die georgische Lesart der Geschehnisse
bestimmte auch monatelang die Medienberichte und die Politik des Westens.
Unabhängige Untersuchungen westlicher Medien, der OSZE und von
Menschenrechtsgruppen, die in diesem Monat veröffentlicht wurden, verbannen die
georgische Version nun endgültig in das Reich der Lügen.

Der Westen reagiert auf diese Enthüllungen
verhalten. Die Pläne für eine schnelle NATO-Mitgliedschaft Georgiens liegen
vorerst auf Eis und zwischen dem Westen und Russland zieht langsam
diplomatisches Tauwetter auf. Die Verhandlungen über die Frage des zukünftigen
Status der abtrünnigen georgischen Teilrepubliken Abchasien und Südossetien
gestalten sich hingegen zäh und Beobachter erwarten, dass ein Durchbruch erst
dann erzielt werden kann, wenn der georgische Präsident Saakaschwili abgelöst
wird.
Die Kriegsschuldfrage
"Wir sind alle Georgier" tönte John McCain auf
einer Wahlkampfveranstaltung. Die Vorstellung, dass Georgien als kleines,
friedliebendes Land, vom großen, brutalen Nachbarn überfallen wurde, hat
monatelang den Kanon der Medien und der Politik des Westens bestimmt. Indizien
und Berichte, die der georgischen "Opferversion" im Kern widersprachen, gab es
zwar bereits seit Beginn des georgisch-russischen Fünftagekrieges, nur fanden
sie keine Würdigung in der offiziellen Sichtweise.
In den letzten Wochen haben sich nun einige
amerikanische und britische Medien aufgemacht, die Geschehnisse im August zu
untersuchen und eine Chronologie der Ereignisse zu entwerfen. Neben offiziellen
Quellen wurden auch die Berichte von Augenzeugen berücksichtig. Die
BBC,
die
Londoner
Times, die
New
York Times und
NPR
kamen zu dem Ergebnis, dass die offizielle russische Version der Ereignisse in
nahezu allen Punkten der Realität entspricht und die georgischen Behörden in
nahezu allen Punkten die Unwahrheit sagten.
Russlands Version, nach der man in Moskau vom
georgischen Angriff überrascht war, ist nach den Medienuntersuchungen ebenfalls
nicht mehr haltbar. Russland war in der Tat überrascht, aber nicht wegen des
Angriffs, sondern wegen des Datums – in Moskau hatte man den Angriff
einen
Tag später erwartet.
Britische OSZE-Beobachter beschuldigen Georgien
Der Angriff Georgiens war nicht von südossetischen
Freischärlern provoziert, wie es von georgischer Seite behauptet wird, sondern
von langer Hand vorbereitet. Dies sagt ein
Bericht
der im August vor Ort befindlichen Beobachter der OSZE aus. Die berichtenden
Beobachter, neben einem Russen zwei erfahrene britische Offiziere, sparen
allerdings auch nicht mit Kritik an Russland.
Beim Vormarsch hätten die russischen Truppen
gezielt die georgische Infrastruktur zerstört und Moskau habe es billigend
zugelassen, dass nordossetische und tschetschenische irreguläre Truppen, die
hinter den regulären russischen Truppen einmarschierten, plünderten und ethnisch
georgische Bewohner Südossetiens vergewaltigten, vertrieben und ermordeten. Viel
zu spät hätte die russische Armee die Ordnung in den besetzten Gebieten wieder
hergestellt.
Kriegsverbrechen von beiden Seiten
Beiden Konfliktparteien wurden auch von den
Menschenrechtsorganisationen
Human
Rights Watch und
Amnesty
International schwere Anschuldigungen
entgegengebracht. Sowohl Georgien als auch Russland hätten massive Verstöße
gegen das internationale Recht begangen. Georgien wird im Amnesty-Bericht von
Beginn an "die angreifende Partei" genannt.
Am 7. August um 23.00h marschierte die georgische
Armee laut den Untersuchungen von Amnesty International in Südossetien ein. Dies
widerspricht der
offiziellen
georgischen Version, nach der Georgien erst in
den Nachmittagsstunden des 8. Augusts südossetisches Gebiet unter Feuer nahm,
nachdem russische Panzerkolonnen den Grenztunnel passiert hätten. Amnesty
International kritisiert am georgischen Vorgehen vor allem den flächendeckenden
Einsatz von schwerer Artillerie, GRAD-Raketenwerfern in dicht besiedelten
Gebieten und den Beschuss von Zivilgebäuden durch Panzer.
Die neuerlichen Georgienkritischen Berichte in den
westlichen Medien sind für den georgischen Integrationsminister Jakobaschwili
als Indiz zu werten, dass Moskau im Westen durch bezahlte PR-Agenturen einen
medialen
Kreuzzug gegen Georgien führen würde . Eine
solche Aussage grenzt an Dreistigkeit, da es Georgien war, das während und nach
dem Fünftagekrieg meisterhaft die Klaviatur der politischen PR zu spielen
vermochte und den Einsatz von westlichen PR-Agenturen generalstabsmäßig geplant
hatte.
Rüge vom Botschafter
Am Dienstag kam es im Untersuchungsausschuss des
georgischen Parlamentes zu einem Eklat, der zu wüsten Beschimpfungen und
tätlichen Angriffen führte. Erosi Kizmarischwili, der von April 2008 bis zu
seiner Abberufung im Juli 2008 georgischer Botschafter in Moskau war, machte der
georgischen Regierung
schwere
Vorwürfe.
Die Behörden Georgiens seien es gewesen, die den
Krieg im August begonnen hätten. Russland sei sehr gut vorbereitet und auf
diesen Krieg gefasst gewesen. Im Grunde genommen seien beide Seiten an diesem
Krieg schuld, so Kizmarischwili. Der ehemalige Botschafter warf der georgischen
Führung vor, nicht alle Chancen für die Abwendung des militärischen Konflikts
mit Russland genutzt und bereits im Vorfeld Schritt für Schritt auf die
Eskalation des Konfliktes
hingearbeitet
zu haben.
In einem Interview untermauerte Kizmarischwili
seine Darstellung und spekulierte, dass Saakaschwili Südossetien angriff, weil
er an eine Unterstützung durch die USA
hoffte.
Detaillierte Beweise für eine georgische
Kriegsschuld liegen angeblich der Komsomolskaja Prawda vor. Die russische
Zeitung veröffentlichte am Wochenende
Einsatzpläne
einer georgischen Division vom 7. August. Diese Dokumente sind auf den 7. August
5.15h datiert – wenn sie sich als authentisch herausstellen würden, wären sie
ein schlagender Beweis dafür, dass Georgien plante, Südossetien in einem
handstreichartigen Blitzkrieg binnen 72 Stunden zu besetzen. Die Authentizität
dieser Papiere wird zwar aus russischen Militärkreisen bestätigt – als
Konfliktpartei sind die Russen diesbezüglich aber kaum als Referenz zu sehen und
unabhängige Überprüfungen der Dokumente gibt es nicht.
Diplomatische Sackgasse in Genf
Über den zukünftigen Status der Teilrepubliken
Abchasien und Südossetien, Sicherheitsmechanismen im südkaukasischen Raum und
die Folgen des Krieges wird international in Genf verhandelt. Dort sitzen
Vertreter Georgiens, Russlands, der USA, der EU und der UNO zusammen, um das
Pulverfass Südkaukasus zu entschärfen. Die Teilnahme der Vertreter Abchasiens
und Südossetiens an den Gesprächen in Genf ist hingegen ein Politikum, das die
Verhandlungen bereits torpediert hat, bevor diese überhaupt
begannen.
Georgien vertritt die Ansicht, dass eine Teilnahme
von Vertretern der Teilrepubliken an den Verhandlungen einer Anerkennung
gleichkäme und weigert sich, mit Unterstützung der EU, mit Vertretern der
Sezessionisten in Genf zu sprechen. Ein Kompromissangebot der EU sah vor, dass
die abchasische und die südossetische Delegation in den Arbeitsgruppen um
Sicherheitsfragen und das Thema der Rückführung der Flüchtlinge mitsprechen
dürften, aber an der Plenarsitzung, in der unter anderem der Status der
Teilrepubliken verhandelt wird, nicht.
Nach Konsultationen hat Russland daraufhin
seinerseits seine Delegation zurückgezogen und wollte nur an den
Verhandlungsrunden teilnehmen, an denen auch abchasische und südossetische
Vertreter teilnehmen dürften.
Auf diese Drohung hin mussten die Europäer
einlenken – da ohne russische Ratifizierung keine Entscheidungen getroffen
werden können und die gesamten Genfer Gespräche von vorn herein zum Scheitern
verurteilt gewesen wären. Der letztendliche Kompromiss, der zwischen den
Europäern und den Russen ausgehandelt wurde, sieht vor, dass die Plenarsitzung
bis auf weiteres ausgesetzt und nur in den Arbeitsgruppen diskutiert wird. Die
Gespräche in den Arbeitsgruppen verlaufen indes zäh und sind bei den meisten
Themen an einem toten Punkt angelangt, da die Statusfrage Grundvoraussetzung für
weitere Gespräche ist.
Auch die Standpunkte der Konfliktparteien sind
nach wie vor unverändert. Die Europäer bestehen darauf, dass russische Truppen
sich aus Georgien zurückziehen und durch internationale Truppen ersetzt werden.
Südossetien wehrt sich allerdings gegen diese Forderung, da die Sicherheit
Südossetiens nicht gewährleistet werden könne, wenn die internationalen Truppen
dort ohne robustes Mandat stationiert sind. Ein robustes Mandat lehnt man in
Brüssel allerdings ab.
Schwindende Rückendeckung für Georgien
Mit den neuen Medienberichten und den
Untersuchungsergebnissen der OSZE und der Menschenrechtsorganisationen
konfrontiert, rudern derweil sogar die vorbehaltlosesten Unterstützer Georgiens
Schritt für Schritt zurück. Das US-Außenministerium musste zähneknirschend
eingestehen, dass Georgien wohl
"im
Irrtum gewesen sei", als es den Angriff auf
Südossetien startete . Der britische Außenminister David Miliband verurteilte
Georgien in einem Interview gar für dessen
"rücksichtslosen
Angriff".
Mit dem Verlust der Rückendeckung durch die USA
und Großbritannien schwindet auch Georgiens Perspektive auf eine baldige
NATO-Mitgliedschaft. Am 2. Dezember findet in Brüssel die Sitzung des NATO-Rates
statt, auf der nach der amerikanischen Roadmap Georgien und der Ukraine die
Aufnahme in den Membership-Action-Plan (MAP) angeboten werden sollte. Von diesem
Plan mussten die USA bereits im Vorfeld abrücken, nachdem mehrere NATO-Staaten,
unter anderem auch Deutschland, Washington klar signalisiert haben, dass sie die
Aufnahme der ehemaligen Sowjetrepubliken nicht unterstützen würden. Die Sitzung
in Brüssel ist das letzte hochrangige Treffen der NATO in der Ära Bush – da
Obama einer NATO-Mitgliedschaft Georgiens wesentlich kritischer gegenübersteht
als Bush, ist damit wahrscheinlich die letzte Chance für Georgiens NATO-Beitritt
passé.
Die diplomatische Niederlage Georgiens ist
allerdings bei weitem kein diplomatischer Erfolg Russlands. Auch die militärisch
siegreiche Konfliktpartei ist auf dem diplomatischen Parkett kläglich
gescheitert. Als Russland vorpreschte und Abchasien und Südossetien
völkerrechtlich anerkannte, folgte ihm lediglich Daniel Ortegas Nicaragua und
ein Sprecher der Hamas. Das Tit-for-Tat für die Anerkennung des Kosovos durch
einige westliche Staaten erwies sich als diplomatischer Flop ohne Gleichen –
noch nicht einmal die Verbündeten aus China, Kasachstan, Weißrussland oder
Turkmenistan wollten Moskau in diesem Punkt folgen.
Der Duft der Rosen ist verflogen
In Ost und West ist man sich einig, dass die
Georgien-Frage wesentlich leichter zu lösen wäre, wenn Präsident Saakaschwili
nicht mehr im Amt wäre. Dies könnte schneller gehen, als man es noch vor wenigen
Wochen dachte.
Die ehemalige Parlamentspräsidentin Nino
Burdschanadse hat am 23. November, dem fünften Jahrestag der Rosenrevolution,
ihre eigene Partei "Demokratische Bewegung – Einiges Georgien" gegründet.
Burdschanadse gilt neben Saakaschwili als Heldin der Rosenrevolution und genießt
Rückendeckung durch die USA und die EU. Die jetzigen Führer hätten laut
Burdschanadse nicht mehr das moralische Recht, Georgien zu regieren. Sie hätten
das Vertrauen im Inland und im Ausland
verloren.
Burdschanadse strebt nun vorgezogene Parlamentsneuwahlen an, um Saakaschwili zum
Rücktritt zu
bewegen.
Ob sie es vermag, die Eiszeit zwischen Georgien
und Russland zu beenden, bleibt abzuwarten – auf jeden Fall erscheint es
offensichtlich, dass Saakaschwili dies nicht kann und ein Wechsel an der
Staatsspitze der einzige Schritt ist, der jedem Versuch der Normalisierung der
Verhältnisse vorangehen muss.
In Südossetien müssen sich die Bürger derweil auf
einen kalten Winter vorbereiten. Georgien hat letzte Woche die Gasversorgung der
Teilrepublik
eingestellt.
Die Gazprom baut zwar bereits an einer neuen Leitung – diese wird allerdings
erst frühestens Mitte 2009 ihren Betrieb aufnehmen können. Die "Gaswaffe" zieht
man offenkundig nicht nur in Moskau, um politische Ziele zu erreichen.
28.11.2008 Heise.de
***
Stifte und Schimpfworte in Untersuchungsausschuss zu
Krieg in Georgien
Der Ausschuss zur Untersuchung der Gründe des
georgischen Parlaments, die im August zum Krieg zwischen Georgien und Russland
führte, hat am Dienstag seine Arbeit mit einer interessanten Sitzung
fortgesetzt. Waren bislang Vertreter des Machtapparates Saakaschwili befragt
worden, deren Aufgabe die Bestätigung der Politik des Präsidenten Saakaschwili
ist, so stand am Dienstag Erosi Kizmarischwili Rede und Antwort. Diese Befragung
endete mit verbalen Attacken, dem Wurf eines Stifts und einem wutentbrannten
Verlassen der Sitzung.
Erosi Kizmarischwili war früher georgischer
Botschafter in Russland. Kizmarischwili hatte vor kurzem mit Saakaschwili
gebrochen und dessen Politik kritisiert. Vor allem kritisierte Kizmarischwili,
dass Saakaschwili nicht genügend unternommen habe, den Ausbruch des Krieges zu
verhindern.
Die Sitzung des Ausschusses wurde wie gewohnt live
im 2. Kanal des staatlichen Fernsehsenders übertragen. Sie dauerte mehr als drei
Stunden.
Halunke
Zwischen Kizmarischwili und dem Abgeordneten Giwi
Targamadse von der Nationalen Bewegung kam es mehrfach während der Sitzung zu
verbalen Attacken, wie der Nachrichtendienst Civil Georgia und der Privatsender
Rustawi 2 berichteten. Kizmarischwili soll Targamadse einen „Halunken“ genannt
haben, worauf Targamadse einen Stift auf Kizmarischwili warf. Die Übertragung
des Tones wurde dabei unterbrochen. Später entschuldigte sich Targamadse für den
Wurf. Kizmarischwili verließ wütend die Sitzung, die damit auch beendet war.
Krieg wäre vermeidbar gewesen
Kizmarischwili folgte in der Sitzung seiner Linie,
dass der Krieg vermeidbar gewesen wäre, wenn die Regierung Saakaschwili den
Willen dazu gehabt hätte. Die Regierung Saakaschwili habe nicht genügend
unternommen, um die Beziehungen zu Russland zu normalisieren.
Die Vertreter der Nationalen Bewegung versuchten
Kizmarischwili daraufhin zu diffamieren und ihm in den Mund zu legen, dass er
Russland als unschuldig darstellen wolle. Kizmarischwili antwortete darauf, dies
sei eine falsche Auslegung seiner Äußerungen.
Streit um Zeitfenster
Ein Streit zwischen Kizmarischwili und den
Mitgliedern des Ausschusses rankte sich um das Zeitfenster, zu dem
Kizmarischwili sich äußern sollte. Er wollte im Jahr 2004 beginnen, weil er
seinerzeit dem inneren Machtapparat des Micheil Saakaschwili angehörte und
entsprechende Einblicke hatte. Die Mitglieder des Ausschusses wollten hingegen
nur die Zeit zwischen seiner Ernennung zum Botschafter in Russland im April 2008
und seiner Abberufung im Juli 2008 betrachtet wissen. Seinerzeit waren die
diplomatischen Beziehungen zwischen Georgien und Russland auf Eis gelegt worden.
Guter Start zwischen Putin und
Saakaschwili
Wie Kizmarischwili nun vor dem Ausschuss aussagte,
sei er im Februar 2004 als Beauftragter des georgischen Präsidenten nach Moskau
gereist, um ein Treffen zwischen dem frisch gewählten Saakaschwili und dem
russischen Präsidenten Putin vorzubereiten. Dabei sei das Verhältnis zwischen
beiden Seiten gut gewesen, man habe auf der Basis beiderseitigen Vertrauens neue
Beziehungen aufbauen wollen. Dazu sei die russische Regierung auch willens
gewesen, die Probleme mit Georgien anzupacken und im Dialog zu lösen.
Erster Problemfall Adscharien
Bei dem Gespräch zwischen Saakaschwili und Putin
habe letzterer es abgelehnt, über die abtrünnige Teilrepublik Abchasien zu
verhandeln, wohl aber seiner Bereitschaft zu Gesprächen über Südossetien
signalisiert. An den Gesprächen sei auch Irakli Okruaschwili beteiligt gewesen,
seinerzeit Generalstaatsanwalt, später auch Verteidigungsminister, nun in Paris
als politischer Asylant.
Als kurz danach im April 2004 in Adscharien die
Auseinandersetzungen mit dem autokratischen Gouverneur Aslan Abaschidse
begannen, habe Russland sich bereit erklärt, zu schlichten, sei jedoch von der
Regierung Saakaschwili abgewiesen worden.
Südossetien: Okruaschwili auf der Jagd
An folgenden Gesprächen über Südossetien nach der
Angliederungen Abschariens sei auch Wano Merabischwili beteiligt gewesen, damals
Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, heute Innenminister, sowie
Okruaschwili, der einen Monat später Innenminister wurde. Letzterer habe sehr
intensive Gespräche mit dem Führer Südossetiens, Eduard Kokojew, geführt. Beide
seien sogar zusammen auf die Jagd gegangen. Kizmarischwili sagte, er habe an den
Diskussionen um die Gespräche teilgenommen und wisse daher über Details
Bescheid. Ein Detail sei, dass Kokojew einer Übergabe der Macht gegen die
Zahlung einer Milionensumme zugestimmt habe.
Erster Angriff auf Südossetien 2004
Dann aber habe Okruaschwili eine Militäraktion
begonnen. Am 19. August 2004 habe Okruaschwili verkündet, georgische
Streitkräfte hätten acht Kosaken getötet, die in Südossetien gekämpft hatten. Es
stellte sich allerdings heraus, dass nur eine Person getötet worden sei.
Am gleichen Abend habe Präsident Saakaschwili die
Frage gestellt, ob einen militärische Intervention in Südossetien möglich sei.
Okruaschwili habe einer Eskalation zugestimmt, Merabischwili sei gegen die
Militäraktion gewesen. Premierminister Surab Shwania sei kategorisch gegen die
Intervention gewesen und habe sich mit anderen Regierungen abgesprochen, die der
gleichen Meinung gewesen seien. Daher habe man im Gegensatz zum August 2008 vier
Jahre zuvor von einem Angriff Abstand genommen.
Lösung im Februar möglich
Selbst im Februar 2008, so Kizmarischwili weiter,
sei eine Lösung zwischen Putin und Saakaschwili noch möglich gewesen. Russland
habe einen Handel um Südossetien angeboten, auf diesen habe sich die Regierung
Saakaschwili aber nicht eingelassen.
Nach Tod Shwanias keine Lösung
Kizmarischwili berichtete weiter, Ende 2004 /
Anfang 2005 habe weiter die Möglichkeit zu einer friedlichen Lösung des
Konflikts mit Südossetien bestanden. Dies hätten ihm Beauftragte des russischen
Außenministeriums versichert, als er im Juni 2008 Botschafter in Moskau gewesen
sei. Diese Chancen seien aber vertan worden, als Surab Shwania starb.
Saakaschwili wollte Hauptstadt nach
Sochumi verlegen
Nach dem Gespräch zwischen Putin und Saakaschwili
im Februar 2008 habe letzterer im Flugzeug angedeutet, er wolle die Hauptstadt
Georgiens im August in die Provinzhauptstadt Sochumi in die abtrünnige
Teilrepublik Abchasien verlegen. Auf Nachfrage des Ausschusses sagte
Kizmarischwili, er vermutete, dass Saakaschwili die Anwendung militärischer
Gewalt zu diesem Zweck anstrebte.
Grünes Licht für Einsatz der Streitkräfte
Im April 2008, so Kizmarischwili weiter, habe er
aus dem inneren Kreis um Saakaschwili gehört, dass es grünes Licht der
westlichen Partner Georgiens für eine Militäraktion gegeben habe. Dies habe die
georgische Führung nach dem Treffen zwischen Saakaschwili und George Bush
gesagt.
Um diese Information zu überprüfen, so
Kizmarischwili weiter, habe er sich mit dem Botschafter der USA in Georgien,
John Tefft, getroffen. Dieser habe diese Information kategorisch dementiert.
An einem anschließenden Treffen mit Saakaschwili
hätten dann Parlamentspräsident Davit Bakradse und Verteidigungsminister Davit
Keseraschwili teilgenommen. Dabei habe Bakradse weder dementiert noch bestätigt,
dass es grünes Licht aus den USA gegeben habe. Saakaschwili habe Auskunft
darüber verlangt, wer Kizmarischwili diese Information gegeben habe.
Keseraschwili habe gesagt, eine solch starke Armee wie jetzt werde Georgien in
den kommenden vier Jahren nicht haben.
Vorbereitung zum Angriff auf Abchasien
Es seien dann Vorbereitungen für einen Angriff auf
Abchasien unternommen worden. Dazu seien auch Militärberater aus Israel nach
Georgien gekommen. Die Operation habe im Mai beginnen sollen, auf jeden Fall
nach der Schneeschmelze.
Nach dieser Aussage diffamierte Targamadse
Kizmarischwili.
Russische Vorbereitungen in Abchasien
Kizmarischwili führte dann weiter aus, zu diesem
Zeitpunkt (Mai 2008) habe man Informationen darüber erhalten, dass Russland eine
Militäraktion im Oberen Kodori-Tal plane. Dies war bis August 2008 der einzige
Teil der abtrünnigen Teilrepublik Abchasien, der unter Kontrolle der
Zentralregierung stand. Planungen zu Operationen habe es auf beiden Seiten
gegeben, so Kizmarischwili. Die international nicht anerkannte Führung in
Abchasien habe Russland dann aber aus Angst vor ausbleibenden russischen
Touristen im Sommer vor einer Aktion gewarnt.
Plan von Irakli Alasania
Ein wichtiger Punkt sei dann noch der Besuch des
derzeitigen Botschafters Georgiens bei der UN, Irakli Alasania, in Abchasien
gewesen. Dieser habe einen Plan zur Lösung des Konflikts ausgearbeitet, der ein
Abkommen zum Gewaltverzicht beider Seite vorgesehen habe. Alasania habe den
Respekt beider Seiten genossen, so Kizmarischwili.
Bokeria: Kizmarischwili sagt nicht die
Wahrheit
Gigi Bokeria, einer der Hardliner des
Machtapparates Saakaschwili und stellvertretender Außenminister, nannte
Kizmarischwili einen Lügner. Die Fakten, die Kizmarischwili vor dem Ausschuss
vorgebracht habe, entsprächen nicht der Wahrheit, so die Meinung dieses
Politikers.
Civil Georgia, 26.11.2008 (Georgien
Nachrichten)
***
Zwischenfall in Georgien
Präsidenten-Kolonne angeblich beschossen
An der georgischen Grenze sollen Schüsse auf eine
Fahrzeug-Konvoi mit Polens Präsident Kaczynski abgegeben worden sein - angeblich
von russischen Soldaten.
Im früheren Kriegsgebiet Georgien ist eine
Autokolonne mit Polens Präsident Lech Kaczynski laut Behörden in Tiflis
angeblich von russischen Soldaten beschossen worden.
Die Fahrzeuge seien am Sonntag in der
Sicherheitszone vor Südossetien von einem russischen Wachposten aus unter
Beschuss genommen worden, teilte die georgische Regierung in Tiflis mit. Niemand
wurde verletzt. In der Kolonne sei auch der georgische Präsident Michail
Saakaschwili gewesen. Ein Augenzeuge berichtete der Nachrichtenagentur Reuters,
Uniformierte hätten in die Luft geschossen, als die Insassen des Konvois aus den
Fahrzeugen steigen wollten. Moskaus Militärführung wies die Vorwürfe zurück.
Unter keinen Umständen seien russische Soldaten beteiligt gewesen.
Da werde wohl das für die georgische Seite
"Nützliche mit den Tatsachen" verwechselt, sagte der russische
Vize-Außenminister Grigori Karassin. Es sei kein Feuer von russische Soldaten
abgegeben worden. Zugleich warnte er vor voreiligen Schlüssen. Der Vorfall müsse
untersucht werden.
Auch Südossetien dementierte seine Beteiligung an
dem Zwischenfall. Ein Sprecher des südossetischen Verteidigungsministeriums
sagte, es handele sich um eine gezielte Desinformation von georgischer Seite.
Die Region gilt auch nach dem August-Krieg zwischen Russland und Georgien als
extrem unsicher. Kaczynski sagte auf einer Pressekonferenz in Tiflis, er glaube
nicht an eine georgische "Inszenierung". Er habe von seiner Position aus die
russische Sprache gehört, als die Schüsse abgegeben wurden. Der Vorfall sei der
Beweis dafür, dass der zwischen der EU und Russland ausgehandelte
Waffenstillstand nicht eingehalten werde, sagte der polnische Präsident nach
Angaben der Agentur Interfax.
Laut offiziellen Angaben wollte Kaczynski, der zu
Feiern anlässlich des fünften Jahrestags der Rosenrevolution in Tiflis gelandet
war, zusammen mit Saakaschwili Kriegsflüchtlinge in der "Pufferzone" besuchen
und dort neue Wohnungen übergeben. In den sogenannten Sicherheitszonen vor
Südossetien und Abchasien kommt es fast täglich zu Schießereien und Explosionen
mit Toten und Verletzten. Die Seiten werfen sich gegenseitig Provokationen vor.
Der Chef des georgischen Sicherheitsrates,
Alexander Lomaia, warf den russischen Soldaten vor, das "Leben der beiden
Präsidenten gefährdet" zu haben. Auch wenn unklar sei, ob die Schüsse gezielt
oder in die Luft abgegeben worden seien, so seien die "Handlungen der Russen
unverantwortlich", sagte er. "Es gab mindestens drei Schusssalven aus Gewehren.
Präsident Lech Kaczynski bewahrte eiserne Ruhe", sagte sein Kanzleichef Michael
Kaminski, der auch in der Kolonne war, dem polnischen Fernsehsender TVN24.
In der "Pufferzone" sind mehr als 200 EU-Beobachter im Einsatz,
die dort unter Leitung des deutschen Diplomaten Hansjörg Haber für Sicherheit
sorgen sollen. Eine Reaktion der EU-Beobachter lag zunächst nicht vor. Die
abchasischen und südossetischen Behörden hatten zum Schutz vor illegalen
Grenzübertritten und wegen möglicher neuer Angriffe aus Georgien zuletzt
Schießbefehl angeordnet. In den von Moskau als unabhängig anerkannten Gebieten
sind insgesamt mehr als 7000 russische Soldaten stationiert.
23.11.2008 Süddeutsche Online
***
Erstes Treffen zwischen Russen und Georgiern in Genf
Ohne konkrete
Ergebnisse ist die zweite Runde der Gespräche zu Sicherheitsfragen im Kaukasus
in Genf zu Ende gegangen. Die Teilnehmer werten es allerdings als Erfolg, dass
erstmals direkte Verhandlungen stattfanden.
Bei den Vereinten Nationen in Genf haben sich am 19. November zwei
Arbeitsgruppen mit der Sicherheits- und Flüchtlingslage im Südkaukasus nach dem
Georgienkrieg befasst. Das wurde zu Beginn einer zweiten Gesprächsrunde
bestätigt, an der sich Delegationen Russlands, Georgiens, der USA und der OSZE
unter Leitung der UN und der EU trafen. An den Gesprächen waren auch Vertreter
der Separatisten in Abchasien und Südossetien beteiligt.
EU: Gespräche produktiv und konstruktiv
Einen Durchbruch hat es beim Treffen in Genf nicht gegeben. Dennoch, so die
Teilnehmer, gibt es Positives zu berichten: niemand habe das Treffen verlassen
und es habe ein Dialog stattgefunden. Es sei daran erinnert, dass beim ersten
Treffen im September in Genf die Vermittler getrennt mit den Vertretern der
russischen und georgischen Delegation sprechen mussten. Somit konnte der
Repräsentant der Europäischen Union bei dem Treffen, Pierre Morel, erklären, die
mehr als dreistündigen Gespräche seien "produktiv und konstruktiv" gewesen. Er
sprach von einem kleinen Erfolg. "Es ist das erste Mal seit den tragischen
Ereignissen im August, dass alle Beteiligten des Konflikts sich direkt getroffen
haben."
Morels Meinung teilt auch der stellvertretende russische Außenminister
Grigorij Karasin. Er würdigte auf einer Pressekonferenz den höflichen Umgang bei
den Gesprächen und betonte dabei, glücklicherweise hätten sich diesmal die
Delegationen aus Südossetien und Abchasien mit emotionalen Ausfällen
zurückgehalten.
UN sieht Fortschritte in konkreten Fragen
Von einem "wirklich guten Treffen" sprach auch der UN-Sonderbeauftragte in
Georgien, Johan Verbeke. "Wir haben einen wichtigen qualitativen Satz nach vorne
gemacht. Wir haben die sterilen Debatten über das Prozedere beendet und
substanzielle Gespräche begonnen", unterstrich er. Demnach einigten sich die
Teilnehmer des Treffens aus Russland, Georgien und den abtrünnigen Provinzen
Abchasien und Südossetien darauf, die "schweren politischen Fragen" zunächst
auszulassen und sich konkreten Problemen wie der Sicherheit der Bevölkerung zu
widmen. Gesprochen habe man vor allem darüber, wie sich Zivilisten künftig frei
zwischen Georgien und den beiden abtrünnigen Provinzen bewegen könnten, so
Verbeke. Es müsste erreicht werden, dass die verschiedenen Übergänge offen
blieben. Um dies zu gewährleisten, müssten sie möglicherweise international
verwaltet werden.
Georgien betrachtet Abchasien und Südossetien weiter als Teil des eigenen
Staatsgebiets. Russland hingegen hat die Unabhängigkeit der beiden Regionen
anerkannt. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen konnten bislang rund 30.000
Menschen nicht in ihre Häuser zurückkehren. Bei Beginn der Kämpfe am 8. August
waren mehr als 160.000 Menschen geflohen. An diesem Tag rückten russische
Truppen in Südossetien ein, nachdem georgische Regierungstruppen eine Offensive
gestartet hatten.
Nächste Gesprächsrunde angekündigt
Ein erster Anlauf zu Verhandlungen zwischen den Konfliktseiten war im
September noch an Verfahrensstreitigkeiten gescheitert, weil Russland auf einer
Einbeziehung der Separatisten aus Abchasien und Südossetien bestand. Die von den
stellvertretenden Außenministern Russlands und Georgiens angeführten
Delegationen kamen nun in Genf zu einer zweiten Gesprächsrunde informell
zusammen. Wie der EU-Vertreter Pierre Morel mitteilte, soll ein weiteres Treffen
am 17. und 18. Dezember stattfinden. Ihm zufolge verhandeln die Konfliktparteien
auch über einen Präventionsmechanismus, der künftig eine Eskalation verhindern
soll.
20.11.2008 DW-WORLD
***
Fortschritte bei Georgien-Verhandlungen in Genf
Genf. Die internationalen Georgienverhandlungen haben beim zweiten
Anlauf Fortschritte gemacht. "Wir sind gut vorangekommen und in die
voll operationelle Phase eingetreten", erklärte der
Georgienbeauftragte der Europäischen Union, der Franzose Pierre Morel,
nach den Sitzungen der Arbeitsgruppen am Mittwoch im Genfer
UN-Gebäude. Der Sonderbeauftragte der UN, Johan Verbeke aus Belgien,
sprach sogar von einem "wichtigen qualitativen Sprung".
Die Eröffnungssitzung vor einem Monat in Genf war ergebnislos
abgebrochen worden. Die Gespräche scheiterten daran, dass abwechselnd
die Russen und die Georgier den Raum verließen, um gegen den
vorgesehenen Status der Delegationen aus den abtrünnigen Gebieten Abchasien und Süd-Ossetien zu protestieren. Russland forderte die
gleichberechtigte Teilnahme seiner Schützlinge an den Gesprächen,
Georgien ging bereits die Anwesenheit der Sezessionisten im
Konferenzsaal zu weit.
Diese Statusfrage wurde jetzt beim zweiten Treffen ausgeklammert. Die
acht Parteien - Russland, die USA, Georgien, Abchasien, Süd-Ossetien,
die UN, die EU und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE) - verzichteten auf die Einberufung einer Plenarsitzung.
Die Delegationen berieten auf der Ebene von Arbeitsgruppen ohne Namens-
oder Landesschilder auf den Pulten. Die eine Arbeitsgruppe befasste sich
mit Fragen der Sicherheit nach dem Krieg im August, die andere mit der
Rückführung der auf 160 000 geschätzten Flüchtlinge und Vertriebenen.
"Wir haben eine Methode gefunden, um den sterilen Verfahrensstreit zu
überwinden", gab UN-Vertreter Verbeke bekannt. "Alle acht Delegationen
nahmen an den Verhandlungen teil und haben das Wort ergriffen." Jede der
beiden Sitzungen dauerte drei Stunden, hiernach trafen sich die
Teilnehmer zu einem gemeinsamen Mittagessen.
Für Russland sprach Vizeaußenminister Grigorij Karasin, für die
Gegenseite der georgische Vizeaußenminister Giorgi Bokeria, für die USA
der Leiter der Europa-Abteilung des State Departments, Daniel Fried. Der
nur von Russland und Nicaragua anerkannte "Staat" Abchasien wurde von
einen "Vizeaußenminister" namens Maxim Gwindzija vertreten. Gwindzija
teilte die Euphorie nicht. "Ich erwarte ein Ergebnis erst in vielen,
vielen Jahren", erklärte er vor Journalisten. "Es wird ein langer
Prozess werden."
Die Ko-Präsidenten der beiden Arbeitsgruppen wollen vor dem nächsten
Treffen in das frühere Kampfgebiet reisen. Es ist beabsichtigt, die
Rückführung der Flüchtlinge zu erleichtern und ihre Bedürfnisse vor
Einbruch des Winters abzuschätzen.19.11.2008
Frankfurter Rundschau Online
***
Georgiens Umgang mit dem Krieg
Offene Debatte unerwünscht
Drei Monate nach dem Kaukasus-Krieg beraten Vertreter Georgiens und Russlands
heute erneut über eine Lösung für die abtrünnigen Gebiete Südossetien und
Abchasien. Während die georgische Regierung international in die Defensive
gerät, sind kritische Stimmen im Land selten. Hauptleidtragende bleiben die
Kriegsflüchtlinge.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de, zzt. Tiflis
Tamila Beruaschwili, Mitte 40, steht an einem provisorischen Tisch und näht
mit der Hand an einer Bettdecke aus grobem Leinen, die mit Schafwolle gefüllt
ist. Die zierliche schwarzhaarige Georgierin ist heilfroh, dass sie neben sechs
anderen Frauen aus der Flüchtlingsunterkunft diesen kleinen Job bekommen hat und
dafür etwas Geld von der Orthodoxen Kirche Georgiens erhält. 445 Menschen sind
hier in den verfallenen Gebäuden einer ehemaligen russischen Militärklinik in
Georgiens Hauptstadt Tiflis untergebracht.
Tamila floh vor drei Monaten mit ihrem Mann und ihren drei Kindern aus dem
Dorf Eredvi nordöstlich von Tschinwali vor der russischen Armee und den
südossetischen Kämpfern. Es blieb ihnen keine Zeit, etwas mitzunehmen. Von ihrem
Dorf, so erzählen es die Menschen im Lager, ist nichts mehr übrig. Etwa 55.000
Flüchtlinge aus Südossetien und den angrenzenden Gebieten leben in
provisorischen Unterkünften rund um Tiflis und Gori. Die Regierung verteilt
Essensrationen, lässt winterfeste Häuser für 1000 Familien bei Gori errichten
und setzt sich in Genf für die Rückkehr der Flüchtlinge ein. Ob sie dort bei den
Gesprächen mit Russland viel erreicht, ist allerdings offen.
Berichte über Schüsse auf Zivilisten
Das erste Genfer Treffen am 15. Oktober war bereits an der Frage gescheitert,
ob die Führungen Südossetiens und der anderen abtrünnigen Provinz Abchasien bei
den offiziellen Gesprächen mit am Tisch sitzen dürfen. Die georgische Regierung
lehnt dies ab. Sie sieht in beiden Führungen keine legitimen Repräsentanten.
?Sowohl in Südossetien als auch in Abchasien sitzen russische Vertreter in der
Führung. Es sind nicht die gewählten Vertreter der Völker dort?, behauptet die
stellvertretende Außenministerin Nino Kalandadze. Sie beklagt zugleich, Russland
schüre die Spannungen weiter - sowohl auf rhetorischer Ebene als auch mit
konkreten Handlungen wie Schießereien und Truppenvestärkungen in den
Konfliktzonen. ''Wir müssen die EU alarmieren'', sagt Kalandadze.
Doch in Europa gerät die georgische Regierung zusehends in die Defensive, je
mehr Informationen über den Fünf-Tage-Krieg im August bekannt werden. Der
britische Sender BBC berichtete mit Bezug auf die Organisation ''Human Rights
Watch'', die georgische Armee habe auf Zivilisten geschossen. Die ''New York
Times'' zitierte ehemalige Mitarbeiter der OSZE mit Aussagen, die Zweifel an
Georgiens Darstellung nähren, Tiflis habe mit dem Angriff auf Tschinwali auf die
Bombardierung georgischer Dörfer reagieren müssen.
''Russland besticht Journalisten im Westen''
Die georgische Regierung reagierte in bekannter Weise auf die Berichte:
Reintegrationsminister Temur Jakobischwili behauptete, der Kreml führe einen
Propagandakrieg in den westlichen Medien, indem er Journalisten aus dem Westen
besteche oder unter Druck setze. Kommentare der regierungsnahen Medien in
Georgien unterstellen, die Berichte seien bewusst vor der EU-Entscheidung über
die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Russland veröffentlicht wurden.
Solche Behauptungen stoßen zumindest bei einigen Georgiern auf Skepsis. Die
Frage liegt nahe, ob die Georgier ihrer Regierung solche Behauptungen abnehmen:
''Die Menschen glauben entweder alles oder gar nichts, je nachdem, ob sie der
Regierung anhängen oder in fundamentaler Opposition zu ihr stehen'', sagt Lascha
Bakradze, der sich zu Zeiten der Rosenrevolution politisch engagierte, sich
jedoch zunehmend enttäuscht von der Politik abgewandt hat. Es gebe schon
Unzufriedenheit unter den Leuten über den verlorenen Krieg um Südossetien. Aber
die Opposition biete keine Alternative, sagt er. Dass sie die Menschen derzeit
nicht mobilisieren kann, zeigte sich vor einigen Tagen, als fünf Parteien zum
Protest gegen Präsident Michail Saakaschwili aufgerufen hatten - und kaum 10.000
Menschen zusammenkamen.
Die Skepsis einiger Georgier gegenüber der Regierung bezieht sich denn auch
meist nur auf einzelne Aspekte. Im Grundsatz ist für die allermeisten Georgier
klar: Russland ist ein Aggressor und hat den Krieg mit Provokationen
heraufbeschworen. Davon sind auch Kritiker wie Lascha Bakradze überzeugt. Die
Armee habe die Georgier in Südossetien vor den Bombenschlägen retten müssen und
die Soldaten seien darauf trainiert gewesen, nicht auf Zivilisten zu schießen,
meint er.
43 Fragen zum Krieg bleiben ohne Antwort
Über die vielen offenen Fragen zum Verhalten der georgischen Regierung in den
Kriegstagen wird wenig diskutiert, auch wenn die Oppositionspolitikerin und
ehemalige Mitstreiterin von Saakaschwili, Nino Burdschanadse, einen Katalog mit
43 Fragen aufgestellt hat. Sie sagt, Saakaschwili sei von allen Seiten vor
militärischen Handlungen gegen die abtrünnigen Gebiete gewarnt worden. ''Es war
ein immenser und tragischer Fehler meiner Regierung, sogar mehr als ein
Fehler.'' Doch findet Burdschanadse wenig Gehör.
Offiziell beschäftigt sich auch eine Parlamentskommission, deren Sitzungen
teilweise im Fernsehen übertragen werden, mit den Ereignissen im August. Doch
die vorgeladenen Verantwortlichen folgen weitgehend der Version von
Saakaschwili, dass die Regierung einer Invasion der russischen Armee habe
zuvorkommen müssen. So ändert sich in Georgien nichts an der Einstellung zum
Konflikt mit den abtrünnigen Gebieten. Zugleich lässt der Druck der
internationalen Gemeinschaft auf Russland nach. Fraglich ist, ob es unter diesen
Bedingungen eine Lösung geben wird für die am stärksten Betroffenen, die
Flüchtlinge.
Tamila, die mit ihrer Familie in einem Flüchtlingslager in Tiflis ausharrt,
wagt kaum, an eine Rückkehr in ihr Dorf nach Südossetien zu denken. Sie wolle
sich jetzt hier in Tiflis einen Job als Krankenschwester suchen, sagt sie. Ihr
Mann suche Arbeit auf dem Bau. Ob sie an eine Lösung im Konflikt um Südossetien
glaubt - das würden die Politiker entscheiden, sagt sie. Aus ihrem Blick spricht
keine Hoffnung.
19.11.2008 tagesschau.de (Deutschland)
***
Abchasien wirft EU-Beobachtern Hilfe bei georgischer Provokation vor
Tote und Verletzte bei Minenexplosion
Moskau - Im Kaukasus-Konflikt
hat Abchasien den EU-Beobachtern vorgeworfen, Georgien bei "bewaffneten
Provokationen" gegen die abtrünnige Region zu unterstützen. Demnach waren die
EU-Beobachter beim jüngsten Schusswechsel am Wochenende im
abchasisch-georgischen Grenzgebiet anwesend, als ein Georgier getötet wurde, wie
Medien in Tiflis und Moskau berichteten.
"Der Zwischenfall ereignete sich auf abchasischem Gebiet. Dort hatten die
EU-Beobachter nichts zu suchen", sagte Abchasiens Außenminister Sergej Schamba
am Montag der Agentur Interfax. Der Sprecher der EU-Beobachter, Steve Bird,
sagte hingegen laut Medien in Tiflis, die Schüsse seien auf georgischem
Kerngebiet gefallen.
Schießbefehl
Die EU-Beobachter hatten mitgeteilt, dass am Samstag Schüsse in ihrer Nähe
gefallen waren. Es sei jedoch unklar, ob die Abchasen gezielt auf die zivile
Patrouille der EU geschossen hätten. Ein abchasischer Behördensprecher in der
Region Gali wies darauf hin, dass es einen Schießbefehl gebe für den Fall, dass
georgische Soldaten die Grenze übertreten. "Es ist klar, dass dann auch die
EU-Beobachter in deren Begleitung mit unter Feuer geraten", sagte der Sprecher.
In der Region herrscht drei Monate nach Ende des Krieges zwischen Georgien und
Russland ein brüchiger Waffenstillstand. Russland hat die von Tiflis abtrünnigen
Regionen Abchasien und Südossetien als unabhängig anerkannt.
Bei einer Minenexplosion um Südossetien sind unterdessen mindestens zwei
Menschen getötet und neun weitere verletzt worden. Die Detonation habe sich am
Montag in dem Dorf Plawi ereignet, als Experten die Mine entschärfen wollten,
teilte das Innenministerium in Tiflis laut der Internetagentur Civil Georgia
mit. Unter den Verletzten sei auch ein neun Jahre alter Bub, der dem Kommando
aus Minenräumern und Polizisten bei der Arbeit zugesehen habe.
In dem Dorf in der Nähe der südossetischen Hauptstadt Zchinwali soll kurz vor
dem Vorfall laut georgischen Angaben ein unbemanntes russisches
Aufklärungsflugzeug abgestürzt sein. Das Innenministerium habe die Experten
daraufhin in die Region geschickt. Von russischer Seite lag zunächst keine
Reaktion vor. (APA/dpa)
17.11.2008 der Standard (Österreich)
***
Kaukasus-Flüchtlinge
Keine Hoffnung
auf Heimkehr
Vor den Augen der EU-Beobachter schließt Russland die
Grenzen zwischen der abtrünnigen georgischen Provinz Abchasien und Georgien.
Für die Flüchtlinge schwindet der Glaube an die Rückkehr.
Von FOCUS-Online-Korrespondentin
Annette Blettner
Der blaue, voll gepanzerte
Jeep mit den deutschen EU-Beobachtern, drei Polizisten und einer Zivilistin
rumpelt vom provisorischen Feldquartier im maroden Hotel „Samegrelo“ in Zugdidi,
einem Landstrich im Nord-Westen Georgiens, nach Koki, einem tristen
Bauernflecken an der georgisch-abchasischen Verwaltungsgrenze. Die Straßen durch
die Bauerngebiete mit ihren unzähligen Schlaglöchern und ewig kreuzenden Kühen
sind mühsam – die Mission ist es auch.
Diesmal schimpfen am
Ortseingang des winzigen Bauernfleckens Koki aufgebrachte Dörfler über die
letzten Sprengungen der Brücken, die über den Grenzfluss Enguri ins benachbarte
Abchasien führten. Jenseits der Grenze würden russische Soldaten bereits Gräben
ziehen, dort, wo später eine Grenzbefestigung entstehen solle. Schon würden
georgische Familien diesseits und jenseits der Grenze auseinandergerissen,
Kinder vom Schulbesuch abgeschnitten, der Handel durch Wegezoll erschwert.
„Tut doch was“
Existenzen seien in Gefahr wie die von Bauer Guram Tschargasias. „Ich bin hier
in Koki geboren, hier steht mein Haus“, erregt sich der alte Mann mit dem
wettergegerbten Gesicht, „aber die Stallungen mit 24 Milchkühen liegen ein paar
hundert Meter entfernt im abchasischen Nabakevi, und von den 50 Litern Milch
dieser Kühe lebe ich“, sagt er. Jetzt ist die Brücke über den Grenzfluss Enguri
futsch, und Landwirt Guram weiß nicht, wie es weitergehen soll. „Tut doch
etwas“, sagt der Alte aufgebracht. Doch den EU-Gesandten sind die Hände
gebunden. „Unser Mandat beschränkt sich auf das Beobachten und Auflisten
polizeilicher Erkenntnisse. Wir sind unbewaffnet, haben keine exekutive Gewalt“,
sagt einer von ihnen.
Selbst das Beobachten jenseits der Verwaltungsgrenze ist momentan unmöglich, da
die Russen den Weg über die Grenze versperren. Zurzeit sind die beiden
abtrünnigen georgischen Unruheprovinzen „No-Go-Areas“ für die Abgesandten. Wegen
dieser Provinzen war im August ein kurzer, aber heftiger Krieg ausgebrochen
zwischen Georgien und Russland, der Schutzmacht der Abchasen und Osseten. Er
führte zur Vertreibung von über 160 000 Georgiern.
Russen
lassen EU-Gesandte nicht in Provinzen
Zwar lautete der Auftrag der Beobachter, die Umsetzung des
Sechs-Punkte-Friedensplans für den Kaukasus zu kontrollieren, also den Rückzug
der russischen Truppen aus dem georgischen Kernland hinter die
Verwaltungsgrenzen Südossetiens und Abchasiens auf ihre Positionen vor Ausbruch
des Kriegs am 7. August. Doch bislang tun sich die russischen Grenzer, ehemalige
Agenten des KGB, schwer damit, die Europäer in die Unruheprovinzen zu lassen.
Ein erster zaghafter Versuch gelang am 4. November: Erstmalig erhielten
EU-Beobachter Zutritt nach Abchasien.
Der politische Zankapfel soll im Laufe des Novembers noch in Genf ausgeräumt
werden. Erste Gespräche hatte Russland bereits platzen lassen. Um bis dahin
jegliche Provokationen zu vermeiden, halten sich derweil die Beobachter von den
russischen Grenzposten fern, sehr zum Verdruss der Georgier wie Bauer Guram.
„Die sollten auf der anderen Seite stehen, dort wo das Unrecht geschieht“,
empört er sich.
Die insgesamt 225 EU-Monitore beobachten und analysieren minutiös jeden Flecken
im georgischen Kernland. Sie führen lange Gespräche mit Politikern und
Menschenrechtlern, Polizisten und Militärs, Journalisten und Politikern und
schreiben darüber endlose Berichte, die dann im Headquarter der Mission in
Tiflis analysiert und bewertet werden, bevor sie weiter nach Brüssel geleitet
werden. Während also jeder Baum, der in Georgien umfällt, registriert wird,
bleibt weiterhin ungewiss, was beispielsweise mit den 45 000 ethnischen
Georgiern jenseits der Grenze in der abchasischen Provinz Gali
passiert.
16.11.2008 FOCUS Online (Deutschland)
***
Europa umarmt Moskau
Von Christoph B. Schiltz
EU und Russland nehmen Partnerschaftsverhandlungen wieder auf -
Neue Sicherheitsarchitektur angestrebt - Weiter Dissens über Georgien
Nizza/Brüssel - Nach monatelangen Spannungen planen die Europäische
Union (EU) und Russland einen Neuanfang in ihren Beziehungen. Beide Seiten haben
trotz unverminderten Streits um Georgien akzeptiert, dass ihnen eine
Zusammenarbeit in wirtschaftlichen und außenpolitischen Fragen mehr nutzt als
gegenseitige Vorwürfe.
Konkret vereinbarten Brüssel und Moskau bei einem gemeinsamen Gipfel in
Nizza, die nach dem Georgien-Krieg eingefrorenen Verhandlungen über ein neues
Partnerschafts- und Kooperationsabkommen am 2. Dezember wieder aufzunehmen.
Zudem wollen die EU und Russland im Kampf gegen die bedrohliche Finanz- und
Wirtschaftskrise an einem Strang ziehen und beim Weltfinanzgipfel am Wochenende
in Washington mit einer Stimme sprechen. "Unsere Vorstellungen sind sehr
ähnlich", sagte Russlands Präsident Dmitri Medwedjew. Er forderte - wie bereits
zuvor Großbritanniens Premierminister Gordon Brown - "die Grundlagen für ein
neues Bretton Woods zu legen", um das Weltfinanzsystem besser vor Krisen zu
schützen. Die EU zeigte sich zudem offen, bereits im kommenden Juni bei einem
Gipfeltreffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
(OSZE) über Medwedjews Vorschläge für eine neue Sicherheitsarchitektur zu
beraten, um den Streit zwischen Russland und den USA über die Raketenabwehr
beizulegen.
Das wichtigste Band zwischen der EU und Russland soll künftig ein neues
Partnerschaftsabkommen sein. Die Verhandlungen darüber waren am 1. September aus
Protest der EU gegen die Invasion Russlands in Georgien auf Eis gelegt worden.
Weil die EU den Gesprächsfaden mit der Regierung in Moskau aber nicht abreißen
lassen will und zugleich das Abkommen aus Gründen der Energiesicherheit
unbedingt braucht, will sie weiterverhandeln - auch wenn sich die rund 8000
russischen Soldaten noch immer nicht aus den abtrünnigen georgischen Provinzen
Abchasien und Südossetien zurückgezogen haben und damit eine wichtige Forderung
der Europäer unerfüllt bleibt. "Es gibt noch Arbeit zu erledigen", mahnte der
Vorsitzende der 27 EU-Staaten, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, in
Richtung Moskau. Das Partnerschaftsabkommen soll eine enge Zusammenarbeit bei
der Verbrechensbekämpfung, in Handelsfragen und beim Umweltschutz festlegen. Vor
allem aber wollen die Europäer erreichen, dass Russland den Öl- oder Gashahn
künftig nicht mehr ohne Vorwarnung zudrehen darf. Die EU strebt eine "genuine
Energiepartnerschaft" an, die Lieferzuverlässigkeit und weitgehend offene
Energiemärkte garantiert. Immerhin bezieht die EU 44 Prozent ihres Gasverbrauchs
und 27 Prozent ihres Rohöls aus Russland.
Neben dem Partnerschaftsabkommen gibt es auch erste Fortschritte in der
Sicherheitspolitik: Die EU willigte ein, schon in sieben Monaten über eine neue
Sicherheitsarchitektur im euro-atlantischen Raum zu beraten. Medwedjew hatte in
diesem Zusammenhang bereits vorgeschlagen, dass kein Land irgendwelche Maßnahmen
ergreifen darf, die ein anderes bedrohen. "Bis dahin sollte man nicht über die
Stationierung von Raketenschilden sprechen, die nichts zur Sicherheit beitragen
und die Lage nur komplizierter machen oder sogar zum Rückschritt führen", sagte
Sarkozy. Er kritisierte damit indirekt auch die Regierung in Washington, die
einen Raketenschutzschirm in Polen und Tschechien installieren will, um die
Gefahr möglicher iranischer Angriffe einzudämmen. Moskau reagierte verärgert und
drohte, Kurzstreckenraketen in Kaliningrad zu stationieren. Der Streit belastet
die Beziehungen immens.
Georgien und der Raketenschild sind aber nicht die einzigen Streitpunkte,
auch die Unabhängigkeit des Kosovo, die angestrebte Nato-Mitgliedschaft der
Ukraine und die hohen Überfluggebühren für Sibirien führen zu Spannungen. Aber
beide Seiten wollen jetzt nach vorne schauen. Die Mehrheit der EU-Länder hat
sich insgeheim damit abgefunden, dass Abchasien und Südossetien für Georgien
verloren sind. Pragmatismus statt Eiszeit soll das neue Motto sein, auch wenn
dies einigen osteuropäischen Mitgliedstaaten immer noch schwerfällt. Der Westen
braucht Russland nicht nur als Energielieferanten, sondern auch bei der
Terrorismusbekämpfung, zur Stabilisierung der Balkanregion, zur Lösung des
Nahostkonflikts und der Iran-Frage. Auf der anderen Seite benötigt Moskau
dringend das Geld und Know-how der Europäer. Sinkende Ölpreise, Kapitalflucht,
eine marode Infrastruktur und die einseitige Abhängigkeit vom Rohstoffexport
belasten die russische Wirtschaft. "Europa und Russland haben ein gemeinsames
Interesse an Zusammenarbeit", sagte Sarkozy.
15.11.2008
WELT ONLINE (Deutschland)
***
Trotz Raketen in Europa will die EU die
Partnerschaft
Zwar wird die Aufstellung der
Kurzstreckenraketen vor Polen als falsches Signal Russlands kritisiert, doch
trotzdem läßt sich die EU nicht beirren auf ihrem Weg zu einem
Partnerschaftsabkommen mit Russland. Laut Steinmeier ist der Dialog mit
Russland in diesen schwierigen Zeiten für die EU notwendig und wichtig.
Die Europäische Union hat Spekulationen über
einen neuen Kalten Krieg ein Ende gesetzt und Moskau die Hand zum Dialog
ausgestreckt: Ungeachtet der russischen Drohung, inmitten Europas
Kurzstreckenraketen in der Ostsee-Exklave Kaliningrad (Königsberg)
aufzustellen, will die EU mit ihrem großem Nachbarn über ein
Partnerschaftsabkommen verhandeln. Die Gespräche waren wegen des
Georgien-Kriegs auf Eis gelegt worden, nun sollen sie auf dem
EU-Russland-Gipfel im südfranzösischen Nizza wieder aufgetaut werden,
beschlossen die EU-Außenminister am Montag in Brüssel.
Angesichts der anhaltenden Präsenz russischer
Truppen in den abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien
war diese Entscheidung selbst innerhalb der EU umstritten. Aus Sicht des
Mitgliedstaats Litauen gibt die EU mit der Wiederaufnahme der Verhandlungen
das letzte Druckmittel aus der Hand, mit dem sie Moskau zu einem Abzug
seiner Truppen aus Abchasien und
Südossetien hätte bewegen können.
Territoriale Integrität Georgiens geopfert?
Tatsächlich hatte die EU noch Anfang September zumindest angedeutet, ein
vollständiger russischer Truppenabzug aus Georgien sei Bedingung für eine
Fortsetzung des Dialogs mit Moskau: „Solange sich die Truppen nicht auf die
Positionen zurückgezogen haben, die sie vor dem 7. August innehatten, werden
die Treffen zur Aushandlung des Partnerschaftsabkommens verschoben“,
erklärten die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Sondergipfel zu
Georgien. Die Interpretation dieser Aussage war aber von Anfang an
umstritten. Denn schon vor Beginn des Kriegs mit Georgien hatte Russland
Soldaten in Südossetien und Abchasien stationiert, wenn auch in weitaus
geringerer Zahl als heute.
Moskau
hat die beiden abtrünnigen georgischen Regionen mittlerweile als souveräne
Staaten anerkannt und argumentiert, diese wünschten sich russischen Schutz.
Auch wenn die EU das nicht akzeptieren will und am Montag erneut ihre
Unterstützung für die territoriale Integrität Georgiens unterstrich – sie
hat sich nun ein Stück weit der Macht des Faktischen gebeugt.
Allerdings blieb ihr auch kaum etwas anderes übrig. Denn die vergangenen
Wochen haben gezeigt, dass der Stillstand in den Verhandlungen Moskau nicht
weiter beeindruckt. Allenfalls führte er zu einer weiteren Verhärtung der
Fronten – wie die Drohung des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew zeigt,
Kurzstreckenraketen in Kaliningrad und damit mitten in Europa aufzustellen.
Steinmeier: Gerade jetzt brauchen wir Dialog
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier rügte diese Provokation am
Montag scharf: „Das ist das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt. Das
letzte, was wir jetzt brauchen, ist ein neuer Stationierungswettlauf hier in
Europa“, kritisierte der SPD-Politiker. Zugleich betonte er aber, „dass wir
gerade in schwierigen Phasen den Dialog mit Russland brauchen“. Noch
deutlicher wurde der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn: „Was zum
Beispiel Kaliningrad betrifft, so können wir, wenn wir mit Russland an einem
Tisch sitzen, sagen: ´Was Ihr da macht, ist wirklich gefährlich´. Aber wenn
man den Dialog mit Russland ablehnt, gibt es keine Möglichkeit, das zu tun.“
Und dann
ist da noch die schiere Größe und Bedeutung Russlands, des wichtigsten
Energielieferanten der Europäischen Union. Vor diesem Hintergrund erkannten
am Montag auch die traditionell eher Moskau-kritischen Regierungen und
Großbritanniens und Schwedens an: „Wir müssen und wollen mit Russland
zusammenarbeiten. Verhandlungen über das Abkommen sind ein pragmatischer
Weg, unsere Interessen in einer ganzen Reihe wichtiger Fragen wie Energie,
Klimawandel und Handel weiterzuverfolgen.“
10.11.2008 FOCUS ONLINE (Deutschland)
***
"Die Regierung belügt unser Volk über den Krieg"
Am Montag treffen sich die
EU-Außenminister in Brüssel - auch, um über Russland zu beraten. Die georgische
Oppositionsführerin Nino Burdschanadse fordert mehr Druck auf den mächtigen
Nachbarn. Ihren Präsidenten Saakaschwili kritisiert sie hart.
SPIEGEL ONLINE:
Frau Burdschanadse, seit Beginn des russisch-georgischen Krieges
sind drei Monate vergangen. Was ist die Bilanz des Waffengangs für Ihr Land?
Nino Burdschanadse: Trotz der Hilfe
Amerikas und der Europäischen Union (EU), für die wir sehr dankbar sind,
befindet sich Georgien in einer äußerst schweren Lage. Entgegen dem vom
französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ausgehandelten
Waffenstillstandsabkommen stehen russische Truppen noch immer auf georgischem
Territorium und zwar auch außerhalb von Südossetien und Abchasien. Das sind
Gebiete, welche die Russen vorher nicht kontrollierten.
SPIEGEL ONLINE: Sind Sie mit der
Überwachung des Abkommens durch die Beobachter der EU zufrieden?
Burdschanadse: Wir sind dankbar. Aber
wir stellen auch fest, dass Russland sich nicht an einen wichtigen Punkt der
Vereinbarung hält, wonach alle Truppen auf ihre Positionen vor dem Kriegsbeginn
zurückkehren müssen. Stattdessen errichtet Russland in Abchasien und Südossetien
große Militärbasen.
SPIEGEL ONLINE: Was sind die Lektionen
für Russland, Georgien und die EU aus dem Fünf-Tage-Krieg?
Burdschanadse: Ich weiß nicht, ob
Russland wirklich in der Lage ist, dazuzulernen. Sollte es sich immer noch als
Sieger fühlen, unterliegt es einer Fehleinschätzung. Der Imageschaden in der
Welt ist groß. Dazu kommt, dass die Kaukasusvölker innerhalb Russlands unruhig
werden. Dort wächst der Separatismus.
SPIEGEL ONLINE: Und die Lektionen für
Georgien und die EU?
Burchandase: Auch wir müssen unsere
Beziehung zu Russland verändern. Russland ist unser Nachbar, ob wir das mögen
oder nicht. Die territoriale Integrität unseres Landes aber darf dabei nicht
kompromittiert werden. Europa hat einen großen Fehler gemacht, dass es nicht
schon vor dem Krieg stärker eingemischt hat. Es ist falsch, darauf zu hoffen,
dass Georgien weit weg ist und Europa wenig angehe. Brüssel sollte jetzt seine
Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) gegenüber Georgien, aber auch gegenüber
den kaukasischen Nachbarländern Armenien und Aserbaidschan intensivieren. Sie
interviewen mich am Rande einer gemeinsamen Tagung der Heinrich-Böll- und der
Bertelsmann-Stiftungen, auf der Spitzenpolitiker aus der Region und europäische
Diplomaten und Experten über die künftige EU-Strategie im Kaukasus diskutieren.
Solche Veranstaltungen sind äußerst wichtig.
SPIEGEL ONLINE: In dieser Woche findet
in Nizza das Gipfeltreffen zwischen den EU-Staaten und Russland statt. Was
erwarten Sie von Merkel, Sarkozy, Brown und den anderen Führern der EU-Staaten?
Burdschanadse: Georgien muss oben auf
der Agenda der internationalen Politik bleiben. Europa muss Druck auf Russland
ausüben, damit es aus Südossetien und Abchasien abzieht. Dabei brauchen wir ein
geeintes Europa, das gegenüber Russland mit einer Stimme spricht. Sonst hat
Moskau sein Ziel erreicht. Wir wollen Visa-Erleichterungen, damit Georgier
leichter in EU-Länder reisen dürfen. Warum wurde Russland das gewährt und uns
nicht?
SPIEGEL ONLINE: Soll die EU die
Verhandlungen mit Russland über ein Partnerschaftsabkommen wieder aufnehmen, die
nach Kriegsbeginn ausgesetzt worden waren?
Burdschanadse: Europa sollte es sich
zweimal überlegen, wie es seine Beziehungen zu Russland gestaltet, und es sollte
seine Energieversorgung diversifizieren, um weniger abhängig von Russland zu
sein.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Präsident Michail
Saakaschwili hat jüngst und auch in seiner Rede vor der Vollversammlung der
Vereinten Nationen (Uno) in New York, eine "neue Welle der Demokratisierung" für
Georgien angekündigt. Glauben Sie ihm?
Burdschanadse: Das sind schöne Worte,
denen wie so oft keine Taten folgen. Das einzig Gute daran ist, dass er damit
eingeräumt hat, dass wir dort bisher Defizite haben. Die Maßnahmen, die er
trifft, sind kosmetisch. Er will eine hübsche Fassade errichten.
SPIEGEL ONLINE: Stimmen Sie Präsident
Saakaschwili zu, dass Georgien heute weiter ist als die meisten anderen Staaten,
die aus der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangen sind?
Burdschanadse: Das ist nicht falsch.
Allerdings sollten wir uns eher mit osteuropäischen Staaten wie Polen und
Tschechien messen oder mit den drei baltischen Staaten.
SPIEGEL ONLINE: Vor einem Jahr hat
Präsident Saakaschwili eine Kundgebung der Opposition mit Gewalt
niedergeschlagen und einen regierungskritischen Fernsehsender geschlossen.
Inzwischen betont er in Interviews mit der westlichen Presse, dass es um die
Freiheit der Presse nicht schlecht steht und es drei oppositionelle
Fernsehsender gibt. Stimmt das?
Burdschanadse: Jeder, der sich in
Georgien auskennt, weiß, dass dies nicht stimmt. Ich werde meiner Regierung
nicht länger erlauben, die Welt zu belügen. Unser Volk kennt bis heute nicht die
Wahrheit über den jüngsten Krieg. Deshalb habe ich einen Katalog von 43 Fragen
an Präsident Saakaschwili und die Regierung gerichtet.
SPIEGEL ONLINE: Was wollen Sie wissen?
Burdschanadse: Warum wir in die
russische Falle getappt sind, wer den Befehl zu Militäraktionen gab, warum
unsere Armee so schnell unterlag. In welcher Eigenschaft mein Nachfolger als
Parlamentspräsident die Bevölkerung zum Guerillakrieg gegen Russland aufrief,
während gleichzeitig die Armee den Befehl zum Rückzug erhielt. Schauen Sie sich
die ganze Liste an.* Die Regierung belügt unser Volk über den Krieg, und sie ist
so zynisch zu sagen, dass Georgien gewonnen habe, weil es nun eine größere
Aufmerksamkeit in der Welt gäbe. Dafür mussten unsere Soldaten und Zivilisten
sterben.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie eine Antwort
bekommen?
Burdschanadse: Bisher nicht.
Stattdessen hat der Präsident eine kosmetische Regierungsumbildung vorgenommen.
Sie werden jetzt lachen. Zurücktreten mussten der Kulturminister und der
Umweltminister. Der Verteidigungsminister, die Verantwortlichen für den Krieg
und die katastrophale militärischen Niederlage aber sind weiter im Amt. In
welcher Demokratie ist so etwas möglich?
SPIEGEL ONLINE: Wie soll sich die EU
angesichts der von Ihnen angesprochenen Demokratiedefizite gegenüber der
Regierung Saakaschwili verhalten? Sollen die Europäer die Vergabe von
Hilfsgeldern in Milliardenhöhe stoppen?
Burdschanadse: Nein, nicht stoppen. Wir
brauchen dieses Geld. Aber die Vergabe muss an strenge Auflagen geknüpft werden
und Europa muss genau hinschauen, wofür das Geld ausgegeben wird. Es muss dem
Volk dienen, nicht den Regierung: den Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten, der
Demokratisierung.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben gerade eine
Partei gegründet, um Saakaschwili abzulösen. Ihre Aussichten scheinen nicht
gerade rosig, die Opposition ist zersplittert.
Burdschanadse: Ich möchte nicht eitel
klingen, aber ich bin noch immer ziemlich populär. Wir fordern Neuwahlen des
Parlamentes im kommenden Frühjahr.
Das Interview führte Matthias Schepp in Tiflis.
*Abrufbar unter:
http://www.civil.ge/eng/article.php?id=19650
09.11.2008 SPIEGEL ONLINE
(Deutschland)
***
Saakaschwili will Beweise für russische Aggression
vorlegen
Präsident: Mit Videoaufnahmen und Zeugenaussagen
nachweisen, dass die russischen Streitkräfte Zchinwali zu Kriegsbeginn
bombardiert haben
München - Knapp drei Monate nach dem Ausbruch
des Kaukasus-Krieges hat Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili
angekündigt, Beweise dafür vorzulegen, dass Russland den Krieg begonnen hat.
In einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin "Focus" sagte er
laut einer Vorausmeldung, anhand von Videoaufnahmen und Zeugenaussagen könne
er jetzt nachweisen, dass die russischen Streitkräfte die südossetische
Hauptstadt Zchinwali zu Kriegsbeginn am 8. August selbst mit schwerer
Artillerie und Luftwaffe bombardiert hätten.
Russland habe die Militäraktion im Kaukasus schon
vor dem Jahr 2006 "exzellent vorbereitet wie in einem Drehbuch". Am Tag des
Kriegsbeginns seien in Zchinwali 50 russische Journalisten gewesen, so
Saakaschwili. Obwohl die Zivilbevölkerung vorab evakuiert worden und die Stadt
leer gewesen sei, habe Moskau sofort erklärt, die Georgier hätten 2000
Zivilisten getötet und einen Völkermord begangen.
Warnung vor Wiederaufflammen des Konfliktes
Der georgische Präsident warnte vor einem
Wiederaufflammen des Konfliktes in den nächsten Wochen. Russland sei mit dem
Resultat des Krieges nicht zufrieden und wolle die Pipelines in dem strategisch
wichtigen Transit-Land unter Kontrolle bringen. "Mit denen würde Russland binnen
fünf Jahren 60 Prozent mehr Energie kontrollieren als heute und hätte so ein
Monopol für die Energieversorgung Europas", sagte Saakaschwili "Focus". Genau
dies sei Moskaus Ziel.
EU-Beobachter hätten bereits registriert, dass
Moskau einige Tausend Soldaten in die Enklaven gebracht hätte. Weil die Welt
wegen der Finanzkrise und den Wahlen in den USA abgelenkt sei, wäre jetzt für
Moskau der ideale Zeitpunkt für eine neue Attacke, so der Staatschef. Wenn der
Westen Moskau mit seiner Aggression durchkommen lasse, werde sie sich
wiederholen: "Die Gefahr ist akut."
Saakaschwili forderte die EU auf, dafür zu sorgen,
dass die Russen ihre Streitkräfte aus den beiden abtrünnigen georgischen
Teilrepubliken Abchasien und Südossetien abziehen. Er wolle diese Gebiete wieder
an Georgien anbinden, indem er den Menschen dort "freie Information zugänglich"
mache und sie aus der Isolation hole. Nach "15 Jahren unter russischer
Besatzung" und der Ausgabe russischer Pässe litten die Menschen in Abchasien und
Südossetien unter dem "Stockholm-Syndrom", so Saakaschwili.
02.11.2008 der Standard (Österreich)
***
Russland legitimiert Beziehungen zu Abchasien und
Südossetien - "Kommersant"
MOSKAU, Die Staatsduma (russisches
Parlamentsunterhaus) hat am gestrigen Mittwoch die Verträge mit Abchasien und
Südossetien über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe einstimmig
ratifiziert, schreibt die russische Zeitung "Kommersant" am Donnerstag.
In Moskau, Suchumi und Zchinwali wird offen
zugegeben, dass das die letzten Hindernisse für die Errichtung russischer
Militärstützpunkte in beiden kaukasischen Republiken beseitigt. Nach
Expertenmeinungen wird dies jedoch die Stabilität im Kaukasus nicht gerade
festigen.
"Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit von
Abchasien und Südossetien müssen wir in diesen Republiken je eine Brigade, das
heißt etwa 3800 Militärangehörige der russischen Armee, stehen haben", sagte
gestern Russlands Vizeaußenminister Grigori Karassin. In Südossetien könne ein
russischer Militärstützpunkt in der Nähe von Zchinwali errichtet werden. In
Abchasien sollen, wie dessen Außenminister Sergej Schamba sagte, russische
Militärstützpunkte in Suchumi und Otschamtschira eingerichtet werden.
"Das werden Flottenstützpunkte sein, und von ihrem
Aufbau wird ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit handeln", so Schamba.
"Die Vorbereitung dieses Dokuments wurde aufgehalten, weil der
Freundschaftsvertrag mit Russland noch nicht ratifiziert war. Jetzt wird sich
die Arbeit beschleunigen, in erster Linie die mit den militärischen Verträgen."
Wie es aus dem russischen Außenministerium heißt,
arbeitet Moskau parallel daran, die Liste der Staaten zu erweitern, die die
Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien anerkennen. Vorläufig steht darauf
neben Russland nur Nicaragua, wie jedoch ein russischer Diplomat der Zeitung
sagte, "wird die Arbeit an dieser Richtung nicht eingestellt". Als einen
potentiellen Kandidaten bezeichnete er das mit Russland befreundete Venezuela.
Die Anerkennung der Unabhängigkeit erleichtere die
Beziehungen zwischen dem Anerkannten und dem Anerkennenden, hebe jedoch Fragen
mit Ländern, die die Unabhängigkeit dieser Republiken nicht anerkennen, nicht
auf, sagte der Jurist Aslan Abaschidse, Professor an der Staatlichen Hochschule
für internationale Beziehungen (Moskau). "Abchasien und Südossetien, die sich
von nun an als unabhängig betrachten, müssen erst eine eigene Staatsbürgerschaft
und eigene Pässe einführen, aber ihre Bürger werden mit ihren Papieren nur in
die Russische Föderation und nach Nicaragua reisen können", erläuterte er. "Um
ungehindert durch die Welt zu reisen, werden sie von der Weltgemeinschaft
anerkannte Pässe brauchen, zum Beispiel russische. Das bedeutet, dass die
Einwohner dieser Republiken alle russische Bürger werden."
"Sowohl Tiflis als auch Moskau haben verloren", so Abaschidse.
"Georgien hat an Territorium verloren und die Widersprüche mit Russland
zugespitzt. Aber auch Moskau hat Verluste: Nach der erhaltenen Kontrolle über
einen Teil Georgiens hat es möglicherweise dessen größeren Teil für immer
verloren. Gewonnen hat dagegen eine dritte Kraft: die Nato und die USA. Nunmehr
bekommt der Nordatlantikpakt automatisch die Möglichkeit, in Georgien
Militärbasen aufzubauen. In Zukunft könnte sich das zu einer geopolitischen
Konfrontation auswachsen."
30.10.2008
RIA Novosti
***
EU-Mission sieht abtrünnige Provinzen als
Bestandteil Georgiens
Sprecherin: "Unser Mandat gilt für ganz Georgien,
und wir geben den Versuch nicht auf, auch in Südossetien und Abchasien zu
kontrollieren
Moskau/Tiflis - Die EU-Beobachter im
Südkaukasus geraten in ihrer Mission immer stärker in die Kritik der
abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien sowie Russlands.
Südossetische Sicherheitskräfte hätten vier unbewaffnete Beobachter
vorübergehend festgenommen, weil sie unerlaubt die Grenze vom georgischen
Kernland überqueren wollten. Das teilte die Regierung in der südossetischen
Hauptstadt Zchinwali am Montag laut der Agentur Interfax mit. Daraufhin gab
es erstmals Gespräche zwischen der EU-Beobachtermission und Vertretern
Südossetiens.
Eine Sprecherin der EU-Mission in Tiflis
bestätigte, dass die Beobachter versucht hätten, nach Südossetien einzufahren.
Sie seien zurückgewiesen, aber nicht festgehalten worden, sagte sie der dpa.
"Unser Mandat gilt für ganz Georgien, und wir geben den Versuch nicht auf, auch
in Südossetien und Abchasien zu kontrollieren", sagte die Sprecherin. Laut dem
südossetischen Außenminister Murat Dschiojew hätten die Beobachter die
Medwedew-Sarkozy-Vereinbarung verletzt, der zufolge sie nicht das Recht hätten,
ohne Benachrichtigung der Behörden die Grenze zu Südossetien zu überschreiten.
Vertreter der EU-Mission trafen deshalb am Montag
den Innenminister der südossetischen Regierung sowie den Befehlshaber der in
Südossetien stationierten russischen Truppen, wie die Beobachtermission in
Tiflis erklärte. Die EU-Beobachter hätten sich über die Zusammenarbeit der
südossetischen Sicherheitskräfte mit Russland informiert. Außerdem sei die Frage
erörtert worden, ob Patrouillen der EU-Mission nach Südossetien einreisen
dürften, hieß es.
Unterdessen richtete der abchasische Außenminister
Sergej Schamba laut der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti ein Schreiben
an den Vorsitzenden des UNO-Sicherheitsrates, Zhang Yesui. Darin kritisiere er,
dass die EU-Beobachter nicht imstande seien, Terrorattacken von georgischer
Seite zu verhindern. Weiters seien die Beobachter "unfähig, dem Vorgehen
Georgiens eine unvoreingenommene Einschätzung zu geben".
Auch der Vorsitzende des russischen
Föderationsrates, Sergej Mironow, kritisierte die Arbeit der internationalen
Beobachter in den "Pufferzonen" vor Südossetien und Abchasien. Sie kämen ihren
Pflichten nicht nach, sagte Mironow. Er könne keine größere Stabilität in der
Region feststellen.
Die EU-Beobachtermission kontrolliert nach dem
August-Krieg zwischen Russland und Georgien seit 1. Oktober die brüchige
Waffenruhe in der Region. Russland hat die abtrünnigen Provinzen Südossetien und
Abchasien als unabhängig anerkannt und hat dort eigene Soldaten stationiert.
(APA/dpa/RIA)
27.10.2008 der Standard (Österreich)
***
Georgien hat neuen Regierungschef
Knapp drei Monate nach dem Ende des Krieges um die
abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien hat der unter Druck stehende
Präsident Saakaschwili am Montag den bisherigen georgischen Botschafter in der
Türkei, Grigol Mgaloblischwili, zum neuen Regierungschef ernannt. Mehrere
Oppositionsparteien hatten in vergangenen Wochen rasche Neuwahlen gefordert.
Die einflussreiche frühere Parlamentschefin Nino
Burdschanadse kündigte die Gründung einer Oppositionspartei an. Die neue Partei
mit dem Namen "Demokratische Bewegung Vereintes Georgien" werde am fünften
Jahrestag der Rosenrevolution, am 23. November, zu ihrer feierlichen Gründung
zusammenkommen, teilte Burdschanadse mit.
Kurz nach dieser Ankündigung ernannte Saakaschwili
den 35-jährigen Mgaloblischwili zum Nachfolger von Regierungschef Lado
Gurgenidse. Dieser hatte das Amt nach den Massenprotesten von
Saakaschwili-Gegnern im November 2007 übernommen. Gurgenidse soll nun einer von
mehreren Vorsitzenden einer Finanzkommission werden, die als Aufgabe bekommen
soll, den Finanzsektor in Georgien zu stabilisieren.
Burdschanadse gilt als mögliche Nachfolgerin des
angeschlagenen Saakaschwili. Die jetzige Regierung habe gezeigt, dass sie mit
der Lage nach dem August-Krieg mit Russland nicht zurechtkomme, teilte sie mit.
In Georgien tagt seit einigen Tagen ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss
zu den Hintergründen des Krieges um die abtrünnigen Regionen Südossetien und
Abchasien. Beobachter erwarten, dass Saakaschwili, dem viele Georgier die Schuld
an dem Blutvergießen geben, die Krise politisch nicht überlebt.
Burdschanadse hatte sich als Parlamentschefin vor
den vorgezogenen Wahlen im Mai von ihrem langjährigen Weggefährten Saakaschwili
abgewandt. Sie wirft ihm zunehmend autoritäre Tendenzen vor.
27.10.2008 die Presse (Österreich)
***
Kosovo, Abchasien, Südossetien - Staat, Republik
oder Territorium?
Unter welchen Voraussetzungen gilt ein Territorium
als Staat? Diese Frage stellt sich seit dem Südossetien-Konflikt, als Russland
die beiden Republiken Südossetien und Abchasien einseitig anerkannte. Die Frage
stellt sich aber auch im Zusammenhang mit dem Kosovo, der sich von Serbien
losgelöst hat und seit dem als eigenständig gilt.
Antworten gibt Anne Peters, Professorin für
öffentliches und internationales Recht an der Universität Basel.
Gesamte Sendung:
Hören
Download (MP3, 12.6MB)
http://pod.drs.ch/mp3/kontext/kontext_200810211000.mp3
***
Abchasien und Südossetien
wollen nicht in Klub der Nichtanerkannten - „Nesawissimaja Gaseta“
Moskau,
Die Anerkennung des unabhängigen Status von Abchasien und Südossetien
bedeutet nicht, dass diese Republiken blindlings den Anweisungen aus Moskau
folgen werden. Dies schreibt die Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta“ in ihrer
Freitagsausgabe.
Nachdem Abchasien und
Südossetien bereits von zwei Staaten anerkannt wurden, werden Suchum und
Zchinwal alles tun, um eine richtige und nicht bloß deklarative Unabhängigkeit
zu erlangen. Moskau wird darauf Rücksicht nehmen müssen. Die in Genf frühzeitig
abgebrochenen Verhandlungen über die Stabilität und Sicherheit im Kaukasus
bestätigen dies allzu deutlich. Die Vertreter von Suchum und Zchinwal
haben den Verhandlungsaal verlassen, die Ermahnungen der russischen Delegation
bewirkten so gut wie nichts.
Georgien, indem es die
Marionetten Malchas Akischbaja und Dmitri Sanakojew als die einzig legitimierten
Vertreter Abchasiens und Südossetiens vorgestellt und versucht hat, sie an den
Gesprächen teilhaben zu lassen, hat die Verhandlungen zum Scheitern gebracht.
Die Teilnahme der beiden wurde sogar mit den westlichen Vermittlern nicht
abgesprochen.
Nach Angaben aus
diplomatischen Kreisen sei es nur den Delegationen Abchasiens und Südossetiens
gelungen, ihre Ziele in Genf zu erreichen. Sie wollten die Chancen auf weitere
Anerkennungen ausloten und internationale Werbung für sich machen.
Wie der Präsident Abchasiens,
Sergej Bagapsch, der Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ sagte, würden die Republiken
Abchasien und Südossetien auch in der Zukunft nur als vollwertige Partner
an den internationalen Sitzungen teilnehmen, „wir sind nicht bereit, auf der
Bank der Nichtanerkannten zu sitzen“. „Moskau hat den unabhängigen Status von
Abchasien und Südossetien anerkannt, doch es ist offensichtlich, dass man in der
russischen Hauptstadt keinen blassen Schimmer davon hat, was die abchasische
Gesellschaft im Inneren zusammenhält, in Moskau wird Abchasien als etwas
homogenes angesehen“, sagt Alexej Malaschenko vom Carnegie-Zentrum in Moskau.
„In Genf hat man plötzlich
realisieren müssen, dass es dem nicht so ist. Ein Teil der abchasischen
Gesellschaft sieht tatsächlich die Zukunft seines Staats in Russland, ein
anderer Teil, dessen Sprachrohr der abchasische Außenminister Sergej Schamba
ist, bevorzugt eine reale und nicht deklarative Unabhängigkeit.“ Man sagt,
dass Schamba mal bemerkt haben soll, Moskau wolle Abchasien ohne Abchasen.
Unsere Politiker und Parlamentsabgeordneten betrachten diese Republik als eine
Art Beute und die Messer werden bereits gewetzt, wodurch natürlich Abchasiens
Streben nach einer richtigen Unabhängigkeit nur bestärkt wird.
Laut Malaschenko könnte die
Fortsetzung der Gespräche am 18. November mit mehr Erfolg gekrönt sein. Die
europäischen Vermittler sind bestrebt, alle Seiten an den Verhandlungstisch zu
bringen. Russland, Abchasien und Südossetien wollen dasselbe. Georgien ist
strikt dagegen, doch die Europäer würden bestimmt nicht ewig Rücksicht auf die
notorisch ablehnende Position von Tiflis nehmen können und wollen, so
Malaschenko. Der Abgeordnete der russischen Staatsduma und Direktor des
Instituts für GUS-Länder, Konstantin Satulin, behauptet, dass die Ergebnisse der
ersten Genfer Verhandlungsrunde nicht überbewertet werden dürften, das
Verhandlungszeremoniell würde sowieso keine Resultate bringen: „In Europa ist
man bestrebt, Russland dazu zu bewegen, von seinen Positionen abzurücken, doch
dies ist ein Weg, der ins Nirgendwo führt.“.
17.10.2008
RIA Novosti
***
Abchasien und Südossetien bei Genfer Gesprächen im
Abseits - „Kommersant“
MOSKAU, Die Kompetenzen bei den Genfer
Verhandlungen über die Stabilität und Sicherheit im Kaukasus sind nicht verteilt
worden, schreibt Georgi Kunadse, ehemals russischer Vizeaußenminister Russlands
und heute Mitarbeiter am Institut für Weltwirtschaft und Internationale
Beziehungen, in einem Kommentar für die Zeitung „Kommersant“ vom Donnerstag.
Vielleicht ist es auch gut so. Schnelle und
bahnbrechende Entscheidungen sind in Genf nicht zu erwarten, die Chancen
Russlands, die angepeilten Ziele zu erreichen, sind, milde ausgedrückt, minimal.
Übrigens, die Ziele selbst sind nicht definierbar oder unrealistisch. Man sagt,
dass Georgien ein Abkommen mit Abchasien und Südossetien unterschreiben soll,
wonach die Seiten sich verpflichten, auf Gewalt zu verzichten. Bei allem
gebührenden Respekt: Haben sie jemals versucht, China und Taiwan dazu zu
bewegen, so ein Abkommen zu unterzeichnen? Georgien oder China - wo liegt hier
der Unterschied? Georgien ist kleiner? Na dann... Sir Winston Churchill sagte
mal: „Die Argumente sind schwach, hier müsste man also schreien.“
Es ist auch davon die Rede, man solle ein
Maßnahmenkatalog beschließen, um die „grenzenlose Militarisierung Georgiens zu
stoppen“. Das heißt im Klartext, man müsse gegen Tiflis internationale
Sanktionen verhängen. Doch für solche Sanktionen ist der UN-Sicherheitsrat
zuständig - man müsste sich an diese Instanz wenden, doch die (negativen)
Ergebnisse sind dort vorprogrammiert.
Moskau geht davon aus, dass die Statusfrage
Abchasiens und Südossetiens ein für alle Mal geklärt worden sei und nicht mehr
zu Debatte stehe. Doch gleichermaßen will Russland dies unbedingt bestätigen
lassen, indem sie Vertreter aus Zchinwali und Suchumi an den Verhandlungen in
Genf gleichberechtigt teilhaben lassen will. Wie diese Aufgabe gelöst werden
soll, bleibt unklar.
Denn die Vertreter der abtrünnigen Republiken sind
in die Schweiz als russische Bürger, ausgestattet mit russischen Pässen,
gereist. So ist man nun gezwungen, Abchasien und Südossetien so zu sehen, wie
früher die Ukraine und Weissrussland gesehen wurden. Es ist bekannt, dass sie
neben der UdSSR in der UNO vertreten waren und so tun konnten, als ob sie
souveräne Staaten wären.
Man darf also auf unsere Delegation überhaupt
nicht warten. In russischen diplomatischen Kreisen wird bestätigt, dass die
Russen nur zusammen mit Abchasen und Südosseten an den Verhandlungen teilnehmen
werden. Gerade dies ist ein großes Geschenk an die Gegner Russlands, die nun in
der Lage sind, in Genf jede mögliche Vereinbarung und für sich günstige
Entscheidung zu treffen. Die Russen aber sind mit Abchasen und Südosseten so
oder so an den Arbeitsgruppen beteiligt und dort wartet auf sie eine sehr
unangenehme Frage der georgischen Flüchtlinge aus Abchasien und Südossetien. Die
Zahl dieser Flüchtlinge ist mit fast 250 000 sehr hoch. Man wird auch dort die
„georgischen Greueltaten“ in Südossetien anhand von Dokumenten beweisen müssen,
was nicht besonders leicht ist.
Es bleibt noch der umstrittene Plan von Medwedew und Sarkozy. In
Russland wurde der Wortlaut dieses Plans nie veröffentlicht, die Texte in
verschiedenen Sprachen sind nicht identisch, so dass es fast unmöglich ist zu
bestimmen, wer schuldig ist und wer nicht. Man wird sich höchstwahrscheinlich
damit begnügen und daher sind die undefinierbaren Kompetenzen der
internationalen Verhandlungen über die Stabilität und Sicherheit im Kaukasus für
Russland absolut optimal: Die fehlenden Ergebnisse würden für Moskau egal sein.
16.10.2008 RIA Novosti
***
Georgien-Konferenz ohne direkte Gespräche
abgebrochen
Von Reinhard Veser, Genf
15. Oktober 2008 Während
der Gespräche über die Lage in Georgien in Genf ist es am Mittwoch zu keiner
direkten Begegnung der Konfliktparteien gekommen. Zum ersten geplanten Treffen
am Morgen erschien die russische Delegation nicht, da die EU, die Vereinten
Nationen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)
als Veranstalter die Vertreter der von Georgien abtrünnigen Provinzen Abchasien
und Südossetien nicht eingeladen hatten. An einer zweiten Begegnung, die als
informelles „Informationstreffen“ deklariert war, nahmen die Georgier nicht
teil, weil dazu die Abchasen und Südosseten geladen waren.
Vor diesem Hintergrund wurden für den Nachmittag
geplante Sitzungen von zwei Arbeitsgruppen abgesagt. Der EU-Sondergesandte für
den Georgien-Konflikt, der französische Diplomat Pierre Morel, bezeichnete es
als Erfolg, dass alle erwarteten Teilnehmer gekommen seien und damit ein
Gesprächsprozess begonnen habe. Ein nächstes Treffen soll am 18. November in
Genf stattfinden.
„Wachsender Revanchismus in Tiflis“
Der stellvertretende russische Außenminister
Grigorij Karasin sagte, ohne die Beteiligung der von Russland als unabhängige
Staaten anerkannten Gebiete sei die Schaffung von Sicherheit und Stabilität in
der Region nicht möglich. Daher werde Russland an Gesprächen ohne Beteiligung
von Abchasien und Südossetien auch künftig nicht teilnehmen. Karasin warf
Georgien vor, nicht gesprächsbereit zu sein. Er sprach von einem „wachsenden
Revanchismus“ in Tiflis, der Russland große Sorge bereite. Der vom georgischen
Präsidenten Saakaschwili in Brüssel erhobene Vorwurf, Russland habe die
Gespräche scheitern lassen, sei eine „Lüge“. Russland sei jedoch weiter daran
interessiert, von Seiten der internationalen Gemeinschaft Sicherheitsgarantien
für Abchasien und Südossetien zu erhalten. Daher wolle es weiter an Gesprächen
teilnehmen.
Karasin bekräftigte, dass Moskau einen Vertrag
über Gewaltverzicht zwischen Georgien auf der einen und Abchasien und
Südossetien auf der anderen Seite als unabdingbar ansehe. Außerdem müsse
sichergestellt werden, dass sich Georgien nicht wiederbewaffnen könne. Zudem
müssten die Mandate der Beobachter von OSZE und UN an „die neuen Realitäten“
angepasst werden.
Der auch am Mittwoch nicht gelöste Streit über die
Frage ob und - wenn ja - in welcher Form Abchasien und Südossetien an den von
Frankreichs Präsident Sarkozy und Russlands Präsident Medwedjew im September
vereinbarten Genfer Gesprächen beteiligt werden sollten, hatte das Treffen in
den vergangenen Wochen immer wieder in Frage gestellt. Georgien sieht in den
abchasischen und südossetischen De-facto-Behörden illegitime Vertreter eines
russischen Okkupationsregimes. Die EU ihrerseits ist zwar mit Georgien der
Ansicht, dass Vertreter nicht anerkannter Gebilde nicht als Gleiche unter
Vertretern von Staaten und internationalen Organisationen am Verhandlungstisch
sitzen können, ist aber bereit, Abchasen und Südosseten informell einzubeziehen,
da „sie nun einmal Realität sind“, wie Diplomaten sagen.
„Handlanger der russischen Okkupationsmacht“
Auch Georgien ist nicht grundsätzlich dagegen, mit
den Vertretern der de-facto-Behörden in Abchasien und Südossetien zu reden. Der
Leiter der georgischen Delegation, der stellvertretende Außenminister Giga
Bokeria, sagte der F.A.Z. vor Beginn der Gespräche, man sei bereit auch mit
Personen zu reden „von denen wir der Ansicht sind, dass sie sich schwerer
Verbrechen wie ethnischer Säuberungen schuldig gemacht haben“. Aber die
derzeitigen Machthaber in Suchumi und Zchinwali, die Bokeria als „Handlanger der
russischen Okkupationsmacht“ bezeichnet, seien nicht die einzigen Vertreter
dieser Regionen. Wenn sie beteiligt würden, dann müssten auch andere Vertreter
der regionalen Gemeinschaften beteiligt werden.
Damit sind zum einen die aus beiden Gebieten
vertriebenen Georgier gemeint, zum anderen aber auch Abchasen und Südosseten,
die die Seite Georgiens ergriffen haben. Diese werden aber von Südosseten und
Abchasen als „Verräter“ angesehen und nicht als Gesprächspartner akzeptiert.
15.10.2008 Frankfurter Algemeine Zeitung
(Deutschland)
***
Status: unlösbar
Die Genfer Georgien-Konferenz führt nach der
Blitzanerkennung Südossetiens durch Russland zu nichts.
Ein Kommentar von Cathrin Kahlweit
Über Geld redet es sich leichter als über Schuld -
und über die Folgen eines Krieges. Daher wird die nächste Konferenz zu Georgien,
die schon am 22. Oktober in Brüssel stattfinden soll und auf der die EU
möglichst hohe Finanzhilfen für das Kaukasus-Land sammeln will, mutmaßlich mehr
Ergebnisse bringen als das gerade abgebrochene Treffen in Genf.
Dort bemühten sich am Mittwoch Experten von EU,
OSZE und UN, ein Gespräch über die drängendsten Probleme zwischen
Nachkriegs-Georgien, der selbsternannten Republik Südossetien und Russland
zustande zu bringen.
Der Versuch war ehrenwert - aber von vornherein
zum Misserfolg verurteilt. Jedes Gespräch wird früher oder später an der
Statusfrage scheitern, denn was bitteschön gibt es zu bereden, da doch Russland
Fakten geschaffen und aus abtrünnigen Provinzen kurzerhand staatliche
Territorien gemacht hat?
Der Westen hat sich verbal zu weit aus dem Fenster
gelehnt
Georgien will nicht mit Leuten ins Geschäft
kommen, die es als Separatisten betrachtet. Mit der Abspaltung wird es sich
nicht abfinden. Umgekehrt wollen die Russen nur gemeinsam mit den Südosseten an
den Tisch. Moskau betrachtet Südossetien und Abchasien als eigenständige
Völkerrechtssubjekte - auch wenn es damit fast allein steht.
Und der Westen hat sich, zumindest verbal, weit
aus dem Fenster gehängt. Kanzlerin Merkel sagte, die Anerkennung der Republiken
durch Moskau sei "nicht akzeptabel". Die EU ließ wissen, man halte an der
territorialen Integrität Georgiens fest. George W. Bush sprach von einer
"unverantwortlichen Entscheidung".
Tatsache ist, dass derzeit niemand einen Weg weiß,
die beiden Landstriche aus der Umklammerung Moskaus herauszuwinden - es sei denn
mittels eines Krieges. Den aber waren schon im August weder die Nato noch die
USA alleine bereit zu führen. Jetzt, da Russland seine Ansprüche im Kaukasus
mehr als deutlich gemacht hat, wird eine militärische Option gar nicht erst
erwogen.
Schon vor dem Sommerkrieg waren die Beziehungen
zwischen Abchasien, Südossetien und dem georgischen Mutterland denkbar schlecht
gewesen. Mit dem Einmarsch von mehr als 7000 russischen Soldaten ist die
Statusfrage der beiden Provinzen von Moskau realpolitisch entschieden worden. Es
wird sicher noch viele Jahre dauern, bis sich auch Tiflis damit abfindet, sein
Staatsgebiet auf "Kerngeorgien" reduziert zu sehen, wie es neuerdings im
diplomatischen Sprachgebrauch heißt.
Daher werden die Nachfolge-Konferenzen zu Genf, so es sie
überhaupt geben wird, noch eine Zeitlang die Frage des Status von Südossetien
und Abchasien behandeln - oder den Kern des Problems umgehen. Die Pragmatiker in
EU und OSZE werden sich derweil Details der Nachkriegsordnung zuwenden, etwa der
Rückführung von Vertriebenen.
"Kerngeorgien" könne in Gottes Namen Teil der Nato
werden
Darauf setzt Moskau - und schickt schon einmal
Experten vor, die eine dem Kreml genehme Nachkriegsordnung strategisch
vorbereiten: Ein Wissenschaftler eines renommierten russischen
Forschungsinstituts sagte voraus, die Nato werde alles dafür tun, um Georgien
nicht aufnehmen zu müssen.
Die beste Lösung sei, wenn Georgien und der Westen
Südossetien und Abchasien anerkennten, dann könne Georgien "in seinen neuen
Grenzen" in Gottes Namen auch Mitglied der Nato werden. Denn dann, so Moskaus
Logik, gebe es nichts mehr, um das es sich zu streiten lohnte. So weit wird es
vorerst nicht kommen; aber die Russen wissen sich in einer sehr starken
Position.
Frank-Walter Steinmeier, der deutsche Außenminister, hatte im
Juli bei seiner Reise nach Georgien den Konflikt, der lange als erstarrt galt,
entschärfen wollen. Er trug damals einen Drei-Stufen-Plan bei sich, der erst
ganz zuletzt eine Debatte über den Status der beiden abtrünnigen Provinzen
vorsah. Bekanntlich kam Steinmeier zu spät. Nun ist der Konflikt neuerlich
eingefroren - mit alten Fronten, aber neuen Grenzen.
16.10.2008 Süddeutsche
(Deutschland)
***
Hansjörg Haber
„Für Ordnung müssen die Georgier selbst sorgen"
Von Manfred Quiring
9. Oktober 2008, 17:23 Uhr
Die russischen Truppen haben das georgische
Kernland verlassen. Die wirklichen Schwierigkeiten bei der Gewährleistung der
Sicherheit in Abchasien und Südossetien stehen erst noch bevor. Mit WELT ONLINE
sprach der Leiter der EU-Mission, Hansjörg Haber, über seine schwierige Aufgabe.
WELT ONLINE: Wie ist der Stand der
Dinge aus Sicht der EU-Beobachter-Mission?
Hansjörg Haber: Sie sind nach unserer
Erkenntnis tatsächlich aus allen ihren Kontrollpunkten abgezogen. Das betrifft
sowohl die angrenzenden Gebiete zu Südossetien als auch die zu Abchasien.
WELT ONLINE: Wie viele russische
Checkpoints waren es?
Haber: In Abchasien waren es zwölf
Kontrollpunkte plus ein Materiallager. Aus denen sind sie komplett abgezogen.
Wir überprüfen jetzt sicherheitshalber noch drei Punkte, die früher mal
existiert haben. Im Raum um Südossetien waren es insgesamt sechs, davon eine
Radiostation südlich der Hauptstraße Tiflis-Poti. Auch die sind geräumt.
WELT ONLINE: Die Georgier verlangen, dass
die Russen auf die Vorkriegspositionen zurückgehen. Das schließt den Abzug auch
aus der Stadt Achalgori ein. Da gibt es Unstimmigkeiten.
Haber: In den beiden Abkommen vom 8. August
und 12. September ist der Rückzug der russischen Truppen auf ihre vorherigen
Positionen vorgesehen. Das heißt, sie dürfen dann nicht mehr im Gebiet von
Achalgori sein. Und wir haben den Anspruch, das zu überprüfen. Wir werden die
Russen auffordern, uns Zutritt zu Achalgori zu gewähren.
WELT ONLINE: Und den Zutritt zu den in
Südossetien liegenden georgischen Dörfern um Zchinwali?
Haber: Unser Mandat betrifft ganz
Georgien, das schließt Südossetien und Abchasien ein. Wir rechnen aber im
Augenblick nicht damit, dass uns der Zutritt dort gewährt wird. Nach der
Anerkennung der Unabhängigkeit beider Regionen durch Russland gehören sie nach
Moskauer Lesart nicht mehr zu Georgien. Hingegen hat keiner der 27 EU-Staaten
die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens anerkannt.
WELT ONLINE: Haben die EU-Beobachter
schon versucht, dorthin zu fahren?
Haber: Nein. Der Grund ist, dass
gegenwärtig die Hauptherausforderung erst einmal darin besteht, die Sicherheit
in den angrenzenden Regionen von Südossetien und Abchasien herzustellen. Gerade
um Südossetien hat es die meisten Zwischenfälle gegeben. Das wird eine große
Aufgabe für die georgische Polizei und unsere Mission.
WELT ONLINE: Und Ihre Aufgabe dabei?
Haber: Wir sollen die Handlungen der
georgischen Polizei und eventuelle Zwischenfälle beobachten und darüber
berichten. Zu unserem Mandat gehört es, zur Stabilisierung und Normalisierung
der Lage beizutragen, die Rückkehr der Zivilbevölkerung und die Aufnahme der
Wirtschaftstätigkeit zu fördern.
WELT ONLINE: Die Georgier sind besorgt
darüber, dass das russische Militär sich nicht berufen fühlt, das Vordringen
südossetischer Milizen auf georgisches Gebiet zu unterbinden. Könnte das zu
einem Problem werden?
Haber: Ja, die Grenze ist sehr
spannungsreich. Es ist ein Gebiet, wo Leute leben, die bis vor kurzem noch
gegeneinander gekämpft haben. Wir werden die Grenze von unserer Seite aus
beobachten, und ich denke, es gehört zu den Verpflichtungen der Russen, auf die
De-facto-Behörden in Südossetien einzuwirken, dass sie die Grenze respektieren.
WELT ONLINE: Die Beobachter sind
unbewaffnet. Ist das nicht etwas blauäugig?
Haber: Wir haben hier ja keine
exekutiven Aufgaben. Wir befassen uns ausschließlich mit Monitoring. Die
Vereinbarungen mit Russland sind im Wesentlichen eine diplomatische Garantie,
dass die Georgier auf Gewalt verzichten. Für Recht und Ordnung müssen die
Georgier selbst sorgen.
09.10.2008 WELT ONLINE
(Deutschland)
***
Angst um Autonomien:
Türkei und Aserbaidschan wollen Saakaschwili schärfer kontrollieren - „RBC
Daily“
Moskau,
Baku und Ankara haben vor, eine „Föderalisierung“ Georgiens durchzusetzen,
schreibt die Tageszeitung „RBC Daily“ am Dienstag.
Die Türkei und Aserbaidschan
wollen zwar nach Ansicht von Experten keine Aufgliederung des Landes, zugleich
haben sie aber auch kein Vertrauen gegenüber der Regierung von Michail
Saakaschwili und wollen ihre Kontrolle über die strategischen Transportwege
verstärken, die durch Georgien verlaufen.
Am Sonnabend teilten
Aserbaidschans Nachrichtenagenturen unter Berufung auf eine Quelle im Außenamt
mit, dass Baku mit einer massiven Gewährung der aserbaidschanischen
Staatsbürgerschaft an die Einwohner des georgischen Gebiets Kwemo-Kartli (die
aserbaidschanische Bezeichnung: Bortschaly) beginnt. Nach dieser Aktion will
Aserbaidschan von Tiflis fordern, dem Gebiet einen Autonomie-Status zu verleihen
und im Falle einer Weigerung Truppen dorthin zu entsenden.
„Sicherheitsgarantien für die
turksprachige Bevölkerung in Georgien“ erwähnte vergangene Woche auch ein
anonymer Vertreter des türkischen Außenministeriums. Die Bildung einer
„mehrstufigen Föderation“ sei die einzige Garantie für die Aufrechterhaltung der
territorialen Integrität Georgiens, meinte der türkische Diplomat.
Neben der Bildung einer
aserbaidschanischen Autonomie will Ankara von Tiflis fordern, der Provinz
Adscharien eine „reale Autonomie zurückzugeben“ sowie alle Meschet-Türken in
Georgien wieder aufzunehmen und diesen einen besonderen Status zu verleihen.
Die Autonomie Adschariens
besteht zwar formell bis heute, faktisch wurde sie aber von der
Saakaschwili-Regierung im Jahr 2004 abgeschafft. Seitdem betreibt Tiflis eine
intensive „Georgisierung“ der Republik, bei der die Adscharen u. a. gezwungen
werden, sich als „moslemische Georgier“ registrieren zu lassen. Aus ähnlichen
Gründen wird auch die Rückkehr der Meschet-Türken gebremst: Von ihnen wird
gefordert, sich als Georgier zu identifizieren und „ihre georgischen Namen
wiederherzustellen“, was die meisten Meschet-Türken ablehnen.
Nach Ansicht von Alexej
Wlassow, Leiter des Informations- und Analysen-Zentrums für
gesellschaftspolitische Prozesse im postsowjetischen Raum an der Moskauer
Lomonossow-Universität, sind in absehbarer Zeit keine gewaltsamen Handlungen der
Türkei und Aserbaidschans zu erwarten. Ankara und Baku wollen keine Aufteilung
Georgiens, zugleich aber vertrauen sie der Saakaschwili-Regierung nicht. Mit
diesen lancierten Medienberichten haben die Türkei und Aserbaidschan „Tiflis
darauf aufmerksam gemacht, dass sie über Hebel verfügen, mit denen sie die
Situation beeinflussen könnten“, so der Experte.
Über Adscharien,
Kwemo-Kartli und Meschetien verlaufen Transportwege, die sowohl für die Türkei,
als auch für Aserbaidschan lebensnotwendig sind: die Ölpipelines Baku-Tiflis-Ceyhan
und Baku-Supsa sowie die geplante Bahnstrecke Baku-Tiflis-Kars. Bis zum Krieg in
Südossetien haben Ankara und Baku die Saakaschwili-Regierung als den einzigen
Garanten für die Zuverlässigkeit dieser Transportwege betrachtet. Nun sehen die
Türken und die Aserbaidschaner ein, dass auch Tiflis selbst kontrolliert werden
müsste. Als Hebel für diese Kontrolle sollen die gegenüber der Türkei und
Aserbaidschan loyalen Autonomien und Diasporen innerhalb Georgiens werden.
07.10.2008
RIA Novosti
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Georgien
"Der Krieg war vermeidbar"
Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse räumt
ein, dass Georgien im Konflikt mit Russland Fehler begangen hat. Dennoch pocht
sie auf die territoriale Souveränität ihres Landes.
Interview: S. Zekri
Nino Burdschanadse ist nicht neu in der
georgischen Politik, und dass sie heute als Hoffnungsträgerin gilt, zeigt vor
allem, wie wenig seriöse Figuren es in der Opposition gibt. Sie war
Parlamentspräsidentin unter Präsident Eduard Schewardnadse, betrieb seinen Sturz
in der Rosenrevolution 2003 und wurde erneut Parlamentspräsidentin unter
Präsident Michail Saakaschwili, mit dem sie sich im Frühjahr entzweite.
SZ: Sie waren in Amerika und
Deutschland. Was war Ihre Botschaft?
Burdschanadse: Dass man zwei Fragen
auseinanderhalten muss: Jene, ob der Krieg hätte verhindert werden können, und
jene nach der territorialen Souveränität Georgiens. In einigen Ländern herrscht
die Meinung, dass man sich für die territoriale Unversehrtheit Georgiens nicht
engagieren will, wenn sich herausstellt, dass Tiflis einen Fehler gemacht hat.
Aber selbst wenn, wäre dies nicht der Fehler des georgischen Volkes.
SZ: Hätte Georgien den Krieg vermeiden
können?
Burdschanadse: Im Moment habe ich den
Eindruck: Ja. Die Osseten haben georgische Dörfer bombardiert. Aber warum haben
wir darauf reagiert? Wer hat den Präsidenten in dieser Nacht beraten? Ich habe
oft davor gewarnt, dass Russland einen Krieg benutzen wird, um uns als Aggressor
darzustellen.
SZ: Sie haben als Parlamentspräsidentin
Saakaschwilis konfrontative Politik gegenüber Russland gestützt.
Burdschanadse: Ich will mich von den
Fehlern der vergangenen vier Jahre nicht distanzieren. Die Konfrontation mit
Russland war unausweichlich, weil wir in die Nato und die EU wollen. Aber der
Krieg war vermeidbar.
SZ: Nun gründen Sie eine Partei.
Burdschanadse: Ja, eine Partei der
Mitte mit liberalen und demokratischen Prinzipien. Aber noch fordere ich keine
Neuwahlen. Erst will ich Antworten.
SZ: Wird Ihre Partei den Menschen
erklären, dass Abchasien und Südossetien verloren sind?
Burdschanadse: Das werde ich nie sagen.
Abchasien und Südossetien sind nicht "Territorien" Georgiens, sie sind Georgien
- Teil unserer Seele, unserer Herzen. Natürlich ist eine Lösung in drei, vier
Jahren nicht realistisch. Aber wir müssen den Osseten erklären, dass sie von
Russland für ein geopolitisches Spiel benutzt wurden.
SZ: Wie wollen Sie das tun?
Burdschanadse: Deshalb: Bitte, Europäer
und Amerikaner, lassen wir die gesamte Bevölkerung dieser Gebiete entscheiden -
alle Menschen, die vor dem Krieg in den Neunzigern in Südossetien gelebt haben!
SZ: Das ist illusorisch.
Burdschanadse: Aber es entspricht dem
Völkerrecht. Sonst werden ethnische Säuberungen an 300.000 Menschen legalisiert.
SZ: Die EU schickt Beobachter.
Burdschanadse: Dafür sind wir dankbar,
aber es ist nicht genug. Wir wollen Einigkeit gegenüber Russland. Es geht um
eine neue Weltordnung. Deshalb sollte Europa uns helfen, eine internationale
Friedenstruppe in Abchasien und Südossetien zu installieren.
SZ: Derzeit scheint der Präsident von
der Besatzung zu profitieren. Er zitierte eine Umfrage, nach der er 76 Prozent
Zustimmung bekommt, Ihr Rating aber von 38 auf 30 Prozent gesunken ist.
Burdschanadse: Wieso macht er sich
Sorgen über meine Popularität? Es gibt Wichtigeres.
07.10.2008 Süddeutsche
(Deutschland)
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Merkel spricht sich gegen Unabhängigkeit
Abchasiens und Südossetiens aus
Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU) hat im Kaukasus-Konflikt erneut die Unabhängigkeit der
abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien kritisiert. Gleichzeitig sprach
sich Merkel gegen eine Ernennung Georgiens zum offiziellen Beitrittskandidaten
der NATO zum jetzigen Zeitpunkt aus.
In der
Georgien-Krise hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erneut gegen die
Unabhängigkeit der beiden abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien
ausgesprochen. „Die territoriale Integrität Georgiens bleibt nicht
verhandelbar“, sagte Merkel am Donnerstag bei einer Pressekonferenz mit dem
russischen Präsident Dmitri Medwedew in St. Petersburg. Russland hatte die
Unabhängigkeit der beiden Regionen als erstes Land anerkannt.
Gleichzeitig sprach
sich Merkel gegen eine Ernennung Georgiens zum offiziellen Beitrittskandidaten
der NATO zum jetzigen Zeitpunkt aus. Eine Aufnahme des Landes in den so
genannten Aktionsplan zur Mitgliedschaft (MAP) sei verfrüht. Gleiches gelte für
die Ukraine. Auf dem Treffen der NATO-Außenminister im Dezember werde nur eine
erste Bewertung des Weges beider Länder zum MAP erfolgen. Die NATO hatte der
Ukraine und Georgien im April symbolisch eine Mitgliedschaft in Aussicht
gestellt, sich aber gegen die Aufnahme in den Aktionsplan zur Vorbereitung der
Mitgliedschaft entschieden.
02.10.2008 FOCUS ONLINE
(Deutschland)
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Südossetien und Abchasien „besetze Gebiete“
Die abtrünnigen Provinzen Südossetien und
Abchasien werden von der Regierung in Georgien zu „besetzten Gebieten“ erklärt.
Dadurch entstehen bestimmte Beschränkungen in den beiden Regionen. Abchasien und
Südossetien werden in ihrem Unabhängigkeitsbestreben von Russland unterstützt.
Das georgische Parlament hat die abtrünnigen
Provinzen Südossetien und Abchasien zu „besetzten Gebieten“ erklärt. Ein
entsprechendes Gesetz sei am Freitag verabschiedet worden, sagte
Parlamentssprecherin Maka Gigauri der Nachrichtenagentur AFP. Mit der
veränderten Gesetzgebung treten in den beiden Gebieten für die Zeit der
russischen Besatzung den Angaben zufolge bestimmte Beschränkungen in Kraft. So
sollen Ausländer in Südossetien und Abchasien keinen Handel mehr treiben oder
Immobiliengeschäfte abschließen dürfen.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) will am
Montag in Wien die Verhandlungen über die Entsendung von 80 Beobachtern nach
Georgien wieder aufnehmen. Wie der finnische Außenminister und amtierende
OSZE-Vorsitzende Alexander Stubb am Freitag in New York sagte, hofft die OSZE
weiterhin darauf, zudem acht Beobachter nach Südossetien entsenden zu können.
Die Beobachter könnten die abtrünnige georgische Provinz beispielsweise nur
tagsüber betreten und sie über Nacht wieder verlassen, erklärte Stubb nach einem
Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat.
Die OSZE hatte Mitte August beschlossen,
ihre achtköpfige Beobachtermission in der Kaukasus-Region um zunächst 20
zusätzliche Kräfte zu verstärken. Eine zunächst geplante weitere Aufstockung auf
insgesamt 100 Militärbeobachter war am Widerstand Russlands gescheitert.
Abchasien und Südossetien betrachten sich als unabhängig und werden darin von
Russland unterstützt. Georgien lehnt die Abspaltung entschieden ab und war
Anfang August in Südossetien einmarschiert. Russland reagierte mit einer
Invasion in Georgien und erkannte die beiden georgischen Provinzen Ende August
als eigenständige Staaten an.
26.09.2008 FOCUS ONLINE
(Deutschland)
***
Aufbruchstimmung in der Trümmerrepublik Abchasien
Bevölkerung feiert die Unabhängigkeit und hofft
auf Russland - ein Besuch in der Hauptstadt Suchumi
Moskau wird alles regeln: Die Abchasen glauben,
dass mit der Unabhängigkeit endlich friedliche Zeiten anbrechen. Ein Besuch in
Suchumi, der Hauptstadt der von Russland anerkannten georgischen
Separatistenrepublik Abchasien.
Wie von dunklen Augen werden die Spaziergänger,
die die Uferpromenade in der abchasischen Hauptstadt Suchumi entlangschlendern,
von den leeren Fensterrahmen zerstörter Wohnhäuser verfolgt. Die Menschen haben
sich bereits an den bedrückenden Anblick gewöhnt. Seit mehr als einem Jahrzehnt
leben die Einwohner Suchumis neben und teilweise sogar in Kriegsruinen. Der
blutige Unabhängigkeitskrieg, der Anfang der 1990er-Jahre in Abchasien tobte,
vertrieb die Hälfte der Bevölkerung - die Georgier - aus ihren Häusern und ließ
die Dagebliebenen in trostloser Isolation zurück.
Auf dem einstigen Hauptplatz steht die größte
Kriegsruine der Stadt, das Regierungsgebäude des Obersten Sowjets der UdSSR, wie
ein Mahnmal. Die graue Ruine schmückt seit kurzem ein rotes Banner "Republik
Abchasien - unabhängige Regierung". Hier feierten am 25. August mehr als 5000
Menschen die Unabhängigkeit, erzählt der 23-jährige Ruslan, der gemeinsam mit
seinem Bruder Roman aus Moskau zur Hochzeit seiner Cousine gekommen ist.
Die Feier ist schon mehrere Stunden im Gange. Aber
noch immer biegt sich die üppig gedeckte Tafel. Mehr als 600 Gäste sind
eingeladen worden. "Im Kaukasus glaubt man daran, dass der Gast Glück
mitbringt", erklärt Roman. Von der fortgeschrittenen Stunde zeugen die
Emotionen, die in Folge reichlichen Wodka-Konsums und der aufpeitschenden Musik
hochgehen. Immer wieder lassen die Hochzeitsgäste die frisch Vermählten, die
abchasische Bruderschaft und die neu gewonnene Unabhängigkeit hochleben. "Jetzt
ist in einem Monat das gelungen, was wir schon seit 15 Jahren versuchen zu
erreichen", freut sich Ruslan, der im Krieg mit seiner Familie nach Russland
floh.
Die international kritisierte Anerkennung
Abchasiens durch Russland empfinden die Hochzeitsgäste als großen Segen. Seit
dem Sieg über Georgien im Jahr 1992 war die abtrünnige Republik in einem
Schwebezustand gefangen. Es herrschte weder Frieden noch wirklich Krieg. Nun
hoffen die Abchasier, dass endlich Ruhe einkehrt. "Was zählt, sind die
Menschen", sagt Turgan. Auch die Georgier seien gute Menschen, fügt er
nachdenklich hinzu. Sie hätten nur einen größenwahnsinnigen Präsidenten.
"Putin - das ist ein Maladjez! Ein guter Typ. Und
Medwedew auch. Sie sind ein gutes Team und haben gehandelt", sagt die
Zeitungsverkäuferin Rosa, die sich selbst als Russin bezeichnet und vor mehr als
60 Jahren in Abchasien geboren wurde. Einen Großteil ihrer Pension bekommt Rosa
von Moskau ausbezahlt. Die Unterstützung Russlands sei sehr wichtig, sagt die
Pensionistin, aber nicht ausreichend. Tatsächlich stehen die weniger als 300.000
Einwohner Abchasiens vor einem Trümmerhaufen. Wohnhäuser, Fabriken, Hotels,
Straßen und Eisenbahnverbindungen wurden im Krieg zerstört. Der Aufbau geht nur
sehr langsam voran. Das Land, das mit einer Fläche von 8600 Quadratkilometern
kleiner als Oberösterreich ist, verzeichnet jährlich rund 15 Millionen US-Dollar
an Direktinvestitionen. 98 Prozent kommen aus Russland, der Rest aus der Türkei.
Früher gab es eine Bahnverbindung nach Suchumi, berichtet die
russische Hausfrau Larissa in Sotschi, nur 20 km entfernt von Russlands Grenze
nach Abchasien. Auch von der Stationierung der sowjetischen Flotte in
Otschamtschira habe die Region wirtschaftlich profitiert. "Das werden sie jetzt
alles wiederbekommen", glaubt Larissa. Dann werden auch wieder mehr russische
Touristen an die abchasische Küste auf Urlaub fahren. Noch 2007 verzeichnete die
Kaukasusrepublik zwei Mio. Touristen aus Russland. Seit Jahresanfang macht sich
eine rege Geschäftigkeit im Land bemerkbar. Seit die Mehrheit der EU-Staaten den
Kosovo anerkannt hat, hat Russland seine Kontakte zu Abchasien und Südossetien
verstärkt, es fließt mehr Geld in die Gegend. Nach Angaben der deutschen
Bundesagentur für Außenwirtschaft könnten russische Investoren heuer 200
Millionen Euro nach Abchasien pumpen. (Verena Diethelm aus Suchumi/DER STANDARD,
Printausgabe, 26.9.2008)
23.09.2008 der Standart (Österreich)
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Russen betrachten Südossetien und Abchasien als
ihre eigenen Territorien - „Wedomosti“
MOSKAU, Viele Russen sehen Südossetien und
Abchasien bereits als ihre eigenen Territorien an, informiert die Zeitung „Wedomosti“
am Donnerstag.
Das geht aus einer am 20./21. September
durchgeführten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM hervor, bei der
1600 Menschen in 42 Regionen Russlands interviewt wurden.
Wie es heißt, bewerten 81 Prozent die
Stationierung von russischen Militärbasen auf dem Territorium der Republiken,
deren Unabhängigkeit Moskau vor einem Monat anerkannt hat, als positiv.
Gegenteiliger Meinung sind zehn Prozent.
Mehr als die Hälfte (55 Prozent) sind der Ansicht,
Russland müsse die Republiken vorübergehend wirtschaftlich unterstützen. 24
Prozent sind für eine ständige finanzielle Hilfe. Dagegen sind nur 14 Prozent
der Befragten, die ihre Meinung damit begründen, dass die Republiken nicht zum
Bestand Russlands gehören.
Laut dem WZIOM-Generaldirektor, Wladimir Fjodorow,
werten die russischen Bürger die Stationierung von Militärbasen außerhalb der
Landesgrenzen als eine Festigung der Position Russlands.
Zugleich ist ein Teil der Interviewten der
Ansicht, die finanzielle Hilfe müsse vorübergehend sein, da „diese Republiken
nicht in ständige Transfer-Bezieher verwandelt und erhalten werden dürfen“.
Die Bereitschaft, den Republiken zeitweilige
finanzielle Hilfe zu erweisen, wird durch die Rhetorik und die Fernsehbilder mit
dem zerstörten Zchinwali angeheizt, sagt der Vizedirektor des
Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum, Alexej Graschdankin.
Entsprechend einer im September durchgeführten
Umfrage dieses Instituts haben sich 20 Prozent für die unverzügliche
Eingliederung dieser beiden Regionen in Russland ausgesprochen. 26 Prozent sind
der Ansicht, dass dies etwas später erfolgen sollte und ein Viertel der
Befragten war diesbezüglich unentschlossen.
Russland mobilisierte für den Wiederaufbau der
Infrastruktur Südossetiens 12,8 Milliarden Rubel (1 Euro entspricht etwa 36,8
Rubel). Die Finanzierung ist auf mehrere Jahre ausgelegt.
Der Chef des russischen Rechnungshofes, Sergej
Stepaschin, äußerte am Mittwoch, in Südossetien müssten unverzüglich
Staatsorgane gebildet werden, um eine zweckentfremdete Ausgabe der von Russland
zur Verfügung gestellten Gelder auszuschließen. Innenminister Raschid Nurgalijew
schloss sich dem an.
Russland „wird so viel helfen, wie nötig ist, weil
wir Russlands Bürger sind“, sagte der südossetische Parlamentschef Snaur
Gassijew.
25.09.2008 RIA Novosti
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Abchasiens Träume aus Trümmern
von Andrzej Rybak (Suchumi)
Abchasien war die zweite Front im
Kaukasuskonflikt. In wenigen Tagen feiert die kleine Republik am Schwarzmeer nun
ihre Unabhängigkeit von Georgien. Es ist ein Fest der Illusionen - denn längst
hat sich das Land an Russland gekettet.
Der russische Kontrollpunkt am Inguri ist mit
Sandsäcken befestigt. Zwei Panzer haben ihre Kanonen nach Osten und nach Westen
ausgerichtet, in Richtung Georgien und Abchasien. Betonblöcke verengen die Spur,
die nur im Zickzack zu befahren ist.
Daneben wie Hohn ein Denkmal aus der Sowjetzeit:
ein Revolver mit verknotetem Lauf. Die russischen Soldaten am Schlagbaum tragen
blaue Helme mit den kyrillischen Buchstaben MS: "Mirotwortscheskije Sily" -
Friedenstruppen. Doch sie sind nicht hier, um Frieden zu überwachen, sondern um
die neue Grenze des Imperiums zu schützen. "Das ist nun unser Land", sagt ein
Unteroffizier. "Und eines Tages werden wir auch Georgien zurückholen."
Abchasien, die international nicht anerkannte
Schwarzmeerrepublik, tauchte während der Kaukasuskrise als zweite Front auf. Als
Georgien in Südossetien einmarschierte, nutzte Abchasien die Gunst der Stunde:
Endgültig wollte man Georgien, den verhassten Nachbarn, der immer noch Gebiete
im Osten kontrollierte, loswerden. Das gelang, mit russischer Unterstützung,
sehr schnell. "Sie flohen wie die Hasen", prahlen heute abchasische Offiziere.
Vergangene Woche haben Russland und Abchasien
einen Freundschaftsvertrag unterschrieben. Es war der zweite Schritt nach der
Anerkennung Ende August. "Wir werden der russisch-belorussischen Union
beitreten", verkündet Sergej Bagapsch, der Präsident der Minirepublik. In den
kommenden Tagen wird ein Militärpakt folgen.
Der Anschluss Abchasiens an Russland hat damit
unwiderruflich begonnen. "Russland sammelt die Scherben des untergegangenen
Imperiums auf", sagt Michail Leontjew, Chefredakteur des Moskauer
Nachrichtenmagazins "Profil".
Für Abchasien ist es der fulminante Schlusspunkt
eines 16 Jahre währenden Kampfes. 1992 waren die Georgier in dem abtrünnigen
Landstreifen einmarschiert, daraufhin tobte ein Bürgerkrieg - den Georgien
verlor. Seitdem feiern die Menschen am 30. September ihre Unabhängigkeit, auch
wenn sie kein Staat anerkannte. Das hat sich geändert, und so fiebert das ganze
Land auf den großen Tag hin.
In Suchumi üben Soldaten ihre Parade - auf dem
Platz vor dem zerstörten Sitz der alten Autonomieregierung. Tausend Mann werden
am Ehrentag mit Panzer und Haubitzen aufmarschieren. "Das wird der schönste Tag
meines Lebens", sagt ein Veteran, der im Krieg einen Sohn verloren hat. "Sein
Opfer war nicht umsonst", sagt er mit Tränen in den Augen. In dem Krieg waren
4000 Abchasen gefallen.
Der Heldenmut der Verteidiger wird in Büchern
gepriesen, jeder Taxifahrer berichtet über die Geschichte vom unabhängigen
abchasischen Königreich, von der Unterdrückung durch die Georgier, die selbst
die Landessprache verboten.
Auf den Straßen, wo die Wunden des Krieges Anfang
der 90er-Jahre noch gegenwärtig sind, verkaufen Straßenhändler Fotos des
russischen Präsidenten
Dmitri
Medwedew gleich neben abchasischen Fähnchen. "Wir haben ihm alles zu
verdanken", sagt Astanda, eine Buchhalterin. "Ohne russische Hilfe hätten die
Georgier uns längst überrannt."
Im Landeskunde-Museum sind rostige Gewehre und
selbst gebastelte Granaten ausgestellt, erzählen Fotos und Augenzeugen von
Kriegsverbrechen der Georgier. "Nach so einem grausamen Krieg kann man doch
nicht in einem Staat zusammenleben", sagt die Museumswärterin.
Gleich nach der Anerkennung durch Russland haben
die Abchasen beschlossen, die Grenze zu Georgien zu befestigen. Mit Russlands
Hilfe wollen sie Ultrarot-Sensoren und Bewegungsmelder installieren. "Wir
brauchen aber eine gut bewachte Grenze, um Terroristen und Drogendealer
fernzuhalten", sagt der abchasische Generalstabschef Anatoli Sajzew.
Bei aller Zustimmung - nicht allen gefällt die
neue Politik. Im Osten der Republik, in der Region Gali leben vor allem
Georgier, die Verwandte hinter der Grenze haben.
Menschen wie Tolik, ein Bauer. Er belädt einen
Anhänger mit Altmetall und will ihn auf alten Schmuggelpfaden über den Fluss
bringen. "Wenn die Grenze dicht ist, werde ich meine wichtigste Einkommensquelle
verlieren", sagt er. "Seit der Anerkennung fühlt man sich den Abchasen
ausgeliefert." Dennoch will er bleiben: "Hier ist mein Haus, mein Garten. Das
ist immer noch besser als ein Flüchtlingsleben."
Im Westen, nach Russland steht die Grenze dagegen
weit offen: Über den Grenzfluss Psou rollen kilometerlange schwer beladene
Lastwagenkolonnen nach Abchasien. Die russischen Soldaten schweigen über die
Ladung und den Zielort, doch die Abchasen plaudern es aus: "Die Russen bauen die
Militärbasis in Bambora wieder auf." Tag und Nacht werde dort gearbeitet.
Russland hatte Bambora nach georgischen Protesten 1999 offiziell aufgegeben.
Seitdem darf er nur von Friedenstruppen genutzt werden. Moskau soll bereits auch
über Pläne für eine Marinebasis in Otschamtschira verfügen, wohin es Schiffe
seiner Schwarzmeerflotte verlegen könnte. "Das wäre die beste Garantie unserer
Sicherheit", sagt Abchasiens Vizepräsident Raul Chadschimba.
Gastfreundschaft kostet
So viel Gastfreundschaft lassen sich die Russen
gern etwas kosten. Moskau überweist seit Jahren Millionen nach Abchasien. Alle
abchasischen Rentner, die die russische Staatsbürgerschaft besitzen - das sind
mehr als 90 Prozent - bekommen russische Renten. "Nur so können wir überleben",
sagt Irina, eine pensionierte Journalistin. "Die abchasische Rente beträgt 200
Rubel, rund 8 $. Aus Moskau bekomme ich 2000 Rubel - zehnmal so viel."
Die Russen genießen die Beliebtheit: 200.000
Touristen haben im vergangenen Jahr Urlaub in Abchasien gemacht, vor allem in
Gagra und Pizunda, die in der Sowjetzeit zu den bekanntesten Kurorten des
Imperiums gehörten. "Wir wollen die touristische Infrastruktur
weiterentwickeln", sagt Wirtschaftsministerin Kristina Osgan. Die 35-Jährige
promoviert parallel zu ihrem Job an einer Moskauer Universität. Russische
Investoren stehen schon bereit. Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow will ein
neues Sanatorium in Pizunda bauen.
Eine Moskauer Gruppe hat die Ruine des Hotels
Abchasia gekauft, einst das Wahrzeichen von Suchumi. Der Oligarch
Oleg
Deripaska sicherte sich eine ehemalige Stalin-Datscha - obwohl sie unter
Denkmalschutz steht. "Die Russen haben uns in den schwierigsten Momenten
unterstützt", sagt Ministerin Osgan. "Wir wollen ihnen nun entgegenkommen."
Das Entgegenkommen gleicht einem Ausverkauf.
Hunderte Wohnungen und Häuser in Suchumi, die geflüchteten Georgiern gehörten,
wurden an Russen verkauft.
Für sie lohnt es sich. Seit der Vergabe der
Olympischen Winterspiele 2014 an das russische Sotschi, das direkt hinter der
Grenze liegt, haben sich die Immobilienpreise verdreifacht. Nach der Anerkennung
zogen sie erneut um 50 Prozent an.
Die Moskauerin Maria etwa, die jeden Abend ihre
Dackel auf Suchumis Uferpromenade spazieren führt, besitzt bereits drei
Wohnungen und ein Haus: "Vor einem Jahr zahlte ich für das Haus 17.000 $. Heute
bekommst du nicht einmal eine Wohnung dafür." Angst vor Forderungen der früheren
Besitzer hat Maria nicht: "Sie werden kaum zurückkehren."
Die Olympischen Spiele in Sotschi sind das
wichtigste Ereignis für die Zukunft der Schwarzmeer-Republik. Sie werden
allerdings die Abhängigkeit von Russland besiegeln: Abchasien soll die Baustoffe
für die Großbaustelle in Sotschi liefern.
Das Land verfügt über alle Rohstoffe der
Zementproduktion, über Gips und Sand, Granit und Dolomit. Die Vorkommen sind
keine 100 Kilometer von Sotschi entfernt. Auch werden die Russen den Flughafen
in Suchumi ausbauen.
Hoffen auf Olympia
Die 100.000 Gastarbeiter, die an den
Olympiastadien arbeiten werden, sollen zum Teil beim kleinen Nachbarn wohnen.
Schließlich sollen abchasische Bauern die Spiele mit Brot und Käse, Wein und
Orangen versorgen. "Abchasien wird mit Olympia sehr viel Geld verdienen",
schwärmt Osgan. Von Investitionen von 600 Mio. $ ist die Rede. Allein die
geplante Zementfabrik in Tkwartscheli soll 170 Mio. $ kosten. Mit jedem Dollar
steigt die Abhängigkeit.
Abchasien hat Investitionen dringend nötig. Nur
jeder fünfte Industriebetrieb kann arbeiten, viele Häuser und Straßen sind
zerstört, nach 19 Uhr gibt es keine Busse. Betrunkene Polizisten, die am
Straßenrand ihre alten Lada reparieren, verdienen sich als Taxifahrer gern ein
Zubrot.
Verheerend ist die Lage in Tkwartscheli, dem Industrieherz
Abchasiens. Über ein Jahr wurde die Stadt belagert, konnte die Angriffe
abwehren. "Wir sind ein zweites Leningrad", sagt Anatoli Arschba, ein Ingenieur,
der die Überreste seines Kohlekraftwerks bewacht. Nur die Öfen sind noch heil.
"Wir werden alles aufbauen", sagt Arschba. "Wenn der Frieden hält, werden wir es
in fünf Jahren schaffen." Bis zu Olympia.
23.09.2008 Financial Times Deutschland
***
Abchasien und Südossetien als „Zwitterstaaten“ - „Gazeta.Ru“
MOSKAU, Russland hat mit der Unterzeichnung der Freundschaftsverträge mit
Abchasien und Südossetien offizielle Beziehungen zu den abtrünnigen Republiken
aufgenommen, schreibt das russische Internetportal „Gazeta.Ru“ am Donnerstag.
Am 26. August hatte Moskau die Unabhängigkeit dieser Republiken anerkannt.
Russische Truppen, die nun keine Friedenstruppen mehr sind, befinden sich immer
noch auf ihrem Territorium. Experten sind der Ansicht, Moskau habe das Recht des
Siegers genutzt und den Status Quo für sich gesichert.
Timofej Bordatschow, Direktor des Zentrums für europäische Studien, sagt, es
sei im Grunde genommen nichts über diese Verträge zu sagen, sie seien lediglich
im Kontext der früher abgeschlossenen Unabhängigkeitsverträge zwischen Moskau
seinerseits und Abchasien und Südossetien andererseits zu betrachten.
Dieser Kontext ist klar: Moskau nutzt das Siegerrecht, um Beziehungen mit
diesen kaukasischen Republiken zu gestalten. Die neuen Staaten würden nahezu wie
alle anderen Regionen Russlands existieren: die Bürger bekommen russische Pässe,
die Währung ist der Rubel und an den Grenzen patrouillieren russische Soldaten.
Die Texte der beiden Verträge sind fast identisch, wobei der Hauptakzent auf
die Sicherheit der neu gegründeten Staaten gesetzt wird. „Das ist eine Botschaft
an Georgien und an die NATO, das ist eine Antwort auf den gegenüber Russland
unfreundlichen Ton“, sagt Alexej Wlassow, Direktor des Zentrums für Studium des
postsowjetischen Raums an der Moskauer Staatlichen Universität.
Außerdem gibt es laut Experten Argumente, dass die militärische
Zusammenarbeit in diesen Verträgen explizit erwähnt wird. „Georgien, indem es
die Stadt Zhinwali zu erobern versuchte, hat den friedensstiftenden Rahmen
bewusst zerstört, dann aber wurde dieser Rahmen von Moskau durch die Anerkennung
Abchasiens und Südossetiens endgültig beseitigt“, sagt Wladimir Scharichin,
stellvertretender Direktor des Instituts für GUS-Länder.
Die Politologen in Moskau sind überzeugt, dass die Unterzeichnung dieser
Verträge in Moskau lediglich die Erledigung von Formalitäten sei, die Sicherung
des Status Quo. „Die Wirtschaften der beiden Republiken sind sehr eng mit der
russischen Wirtschaft verwoben, der Rubel wird dort längst als Zahlungsmittel
anerkannt, so dass es klar ist, dass es anders auch kaum kommen könnte“,
beteuert Alexej Wlassow.
„Weder Abchasien noch Südossetien sind kraft ihrer wirtschaftlichen
Entwicklung in der Lage, die Kosten, die mit dem Status eines unabhängigen
Staates verknüpft sind, alleine zu schultern. De facto werden diese Republiken
russische Teilrepubliken sein, obwohl de jure sie ihren unabhängigen Status
behalten werden“, sagt Politologe Alexander Kynew.
„Sowohl Abchasien als auch Südossetien sind schon seit 15 Jahren keine
Autonomien innerhalb Georgiens mehr, sondern die mit Russland eng verbundenen
Quasi-Staaten“, fasst Wlassow zusammen.
18.09.2008 RIA Novosti
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Medwedew-Sarkozy-Friedensplan mit Haken
MOSKAU,
(Andrej Fedjaschin, RIA Novosti). Alle 26 NATO-Botschafter, die
bei der NATO-Sitzung (15.-16. September) in Tiflis waren, haben Michail
Saakaschwili ihre Unterstützung bekundet.
Zudem sicherten sie ihm zu, dass Georgien
vielleicht noch unter seiner Führung zum Allianzmitglied wird.
Im persönlichen Kreis sagen etliche NATO-Experten,
dass dieser Weg sehr lange dauern wird. Doch das sind Einzelheiten. Dass
Georgien mit oder ohne Saakaschwili der NATO beitritt, ist offensichtlich keine
Frage mehr. Es sei denn, in Georgien kommt eine äußerst Russland-freundliche
Regierung an die Macht, die die Hände von der Allianz lässt, oder das Bündnis
löst sich auf, um Moskau durch eine offizielle Verbindung mit Tiflis nicht zu
verärgern. Beide Varianten sind natürlich ausgeschlossen.
Dennoch wagte nicht einmal Generalsekretär Jaap de
Hoop Scheffer konkret zu versprechen, dass Georgien bereits auf dem NATO-Gipfel
im Dezember in Straßburg und Köln an den heiß ersehnten Aktionsplan für die
Mitgliedschaft (MAP) angeschlossen werde. Beim Treffen mit de Hoop Scheffer
wurde ein Rahmenabkommen über die Schaffung einer NATO-Georgien-Kommission
unterzeichnet. Das ist noch meilenweit von einem Anschluss an den Aktionsplan,
einer Kreuzung zwischen einer „Verlobung“ und einer „Straßenkarte“ bis Brüssel,
entfernt, ist aber kein Alleingang mehr.
Es ist übrigens seit langem Zeit, die Illusionen
darüber aufzugeben, dass Länder mit territorialen Problemen nicht in die NATO
aufgenommen werden. Die ganze postsowjetische Zeit beweist, dass alle Regeln,
Versprechen und Verpflichtungen der NATO je nach den „Anforderungen der Zeit“
leicht verändert werden können.
Auf jeden Fall lud Präsident Saakaschwili im
Zeichen seines Danks alle Botschafter zu einer Fahrt in die Region um Gori herum
ein und führte ihnen zahlreiche Zeugnisse der „aus heiterem Himmel kommenden
russischen Aggression“ und die Ausmaße des Unwesens der „barbarischen russischen
Militärs“ vor. Wenn er jetzt also die Eintrittskarte auch nicht bekommen hat, so
wird er sie wahrscheinlich im Dezember oder etwas später erhalten. Die Frage
besteht leider nicht darin.
Ob Georgien NATO-Mitglied wird oder nicht, hängt
sehr stark auch davon ab, wie Russland sich bei der „Kaukasus-Regelung“, die
immer bizarrere Züge annimmt, verhalten wird. In eben jenem Prozess, der schon
im August unter Vermittlung des französischen Präsidenten und jetzigen
EU-Vorsitzenden Nicolas Sarkozy in Moskau begann, im September weiterging und
seinen immer unverständlicher werdenden Kurs behalten wird. Es wäre schön, wenn
Russland seine Schritte in diesem Prozess, ihre Weite und ihre Richtung noch
klarer festlegt. Es müsste sogar festlegen, wann es welchen Schritt machen muss.
Gegenwärtig machen wir zuvorkommende Schritte: Russland zog seine Truppen vor
der im Medwedew-Sarkozy-Plan festgelegten Frist aus bestimmten Gegenden ab,
obwohl niemand auf der Gegenseite entgegenkommt.
Es ist klar, dass dieser ohnehin holprige Prozess
sehr vielen missfällt, da er sich nicht in die richtige Richtung leiten lässt,
und zwar bloß weg von Moskaus Wünschen und Interessen. Natürlich ist die
US-Regierung am meisten irritiert. Davon kommt auch die auf den ersten Blick
seltsame Erklärung des NATO-Generalsekretärs de Hoop Scheffer, die er in einem
Interview mit der britischen Zeitung „Financial Times“ am 15. September machte.
Er sagte, dass der Verbleib der russischen Truppen in Südossetien und Abchasien
nicht akzeptabel („the option of keeping Russian forces in South Ossetia and
Abkhazia is not acceptable“) und die Erklärung des russischen Außenministers
Sergej Lawrow, dass Russland 7600 Soldaten in Abchasien und Südossetien
stationiere, „sehr schwer zu schlucken“ („very difficult to swallow“) sei. In
Russland wurde das als Seitenhieb der NATO gegen die EU, eine Sabotage deren
Vermittlungsbemühungen gedeutet. Doch de Hoop Scheffers Äußerung ist bei weitem
keine Sensation, da er als NATO-Chef nichts anderes hätte sagen können. Auch die
EU hat die Stationierung von verstärkten russischen Truppen in Abchasien und
Südossetien nie unterstützt.
Gegenwärtig erinnert der Verlauf der Verhandlungen
und die Kaukasus-Regelung überhaupt an ein Möbiusband. In Moskau scheinen sie
auf einer Seite der Schleife zu verlaufen, doch kaum trifft Nicolas Sarkozy in
Tiflis ein oder kommt nach Frankreich zurück, so scheint sich alles von den
Füßen auf den Kopf zu drehen.
Alles, was in Moskau als fest vereinbarte Schritte
bei der Kaukasus-Regelung aufgefasst wird, wird in Tiflis völlig
uminterpretiert. Der Sinn wird entweder entstellt oder vollkommen auf den Kopf
gestülpt.
Natürlich ist die politische Regelung wie bei fast
jedem Konflikt ein kompliziertes Puzzle, das jedes Mal tage-, monate- oder sogar
jahrelang zusammengesetzt werden muss. Doch dass der jetzige Prozess immer
verworrener wird und leider immer weniger Vertrauen zu den europäischen
Vermittlern weckt, scheint zur Angst einflößenden Gesetzmäßigkeit zu werden.
Erst hat der französische Außenminister Bernard
Kouchner erklärt, dass der im August erstellte Plan beziehungsweise die sechs
Punkte von Medwedew und Sarkozy ins Französische und Englische „falsch
übersetzt“ worden seien. Statt der „Sicherheit Abchasiens und Südossetiens“, die
in der russischen Variante erwähnt waren, ging es laut Version von Tiflis im
Französischen und Englischen um Sicherheit „in Abchasien und Südossetien“. Es
ist aber schwer zu glauben, dass die Übersetzer schlecht sind, dass sie einen
Fehler zulassen konnten, der den gesamten Sinn des Abkommens auf den Kopf
stellt. Die Geschichte kennt zwar auch solche Fälle. Diese wurden später oft als
Fälschungen bezeichnet.
Mit den drei Punkten, die im September zu den
Medwedew-Sarkozy-Prinzipien hinzukamen, ist etwas völlig unglaubliches passiert.
Obwohl darin mit keinem Wort erwähnt wurde, dass EU-Beobachter in Abchasien und
Südossetien stationiert sein sollen, behauptet Saakaschwili jetzt nichts anderes
als das. Sarkozy sagt dabei, dass es zum Geist der jüngsten Vereinbarungen
passe.
Die Meinung des
Verfassers muss nicht mit der der RIA Novosti übereinstimmen.
17.09.2008
RIA Novosti
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Barroso: Abzug der Russen aus Kern-Georgien reicht
aus
Russland muss seine Soldaten nicht aus Abchasien
und Südossetien abziehen, damit die Europäische Union die Verhandlungen mit
Moskau über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen fortführt. Ein
Abzug aus Kern-Georgien reiche aus, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel
Barroso am Mittwoch in Brüssel.
„Der EU-Gipfel vom 1. September hat beschlossen, dass die Verhandlungen mit
Russland nicht fortgesetzt werden können, sofern sich die russischen Soldaten
nicht aus ihren Positionen innerhalb Georgiens mit Ausnahme Südossetiens und
Abchasiens zurückziehen“, sagte Barroso nach einem Gespräch mit dem litauischen
Regierungschef Gediminas Kirkilas.
Barroso begründete seine Deutung eines Beschlusses
der EU-Staats- und Regierungschefs mit den Worten: „Denn sie (die Russen) waren
ja schon zuvor in Südossetien und Abchasien.“ Er hoffe, „dass wir über die
Zukunft unserer Beziehungen reden können, wenn die Russen ihre Verpflichtungen
erfüllen“.
Die EU-Gipfelkonferenz hatte am 1. September
erklärt: „Solange sich die Truppen nicht auf die Positionen zurückgezogen haben,
die sie vor dem 7. August innehatten, werden die Treffen zur Aushandlung des
Partnerschaftsabkommens verschoben.“
Vor dem Ausbruch des jüngsten Kaukasus-Konflikts
am 7. August befanden sich weniger als 500 russische Soldaten als Teil einer
auch Georgier einschließenden Friedenstruppe in Südossetien. In Abchasien war
die Zahl auf maximal 2500 begrenzt.
Nach dem Konflikt hat Russland die abtrünnigen
georgischen Regionen als unabhängige Staaten anerkannt und erklärt, künftig
würden insgesamt 7600 russische Soldaten dort dauerhaft stationiert.
Barroso sagte, seine Interpretation des
Gipfelbeschlusses sei auch vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy bei den
gemeinsamen Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew am 8.
September in Moskau vertreten worden.
NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer hatte
dies am Montag heftig kritisiert: „Wenn die Russen mit so vielen Soldaten in
Südossetien bleiben, kann ich darin keine Rückkehr zum Status quo sehen.“ Der
Verbleib der russischen Soldaten in den beiden abtrünnigen Gebieten sei „völlig
inakzeptabel“.
17.09.2008 Dolomiten (Südtirol Online)
(Italien)
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EU schickt Beobachter nach Georgien
Nach langen Debatten schickt die Europäische
Union nun doch ein Beobachterkontingent nch Georgien. Deutschland beteiligt
sich mit Polizisten und zivilen Fachleuten. Schwierigkeiten gibt es schon im
Vorfeld der Mission. Moskau verweigert den Beobachtern den Zugang nach
Südossetien und Abchasien.
Die EU-Außenminister haben am Montag in
Brüssel grünes Licht für die Entsendung von rund 200 unbewaffneten
EU-Beobachtern nach Georgien gegeben. Deutschland wird für die EU-Mission 40
Beobachter stellen, darunter Polizisten und zivile Fachkräfte. Außerdem will
die EU dem Land mit einer Finanzhilfe in Höhe von 500 Millionen Euro wieder
auf die Beine helfen.
EU-Außenkommissarin Benita
Ferrero-Waldner legte den Außenministern am Montag ein Hilfspaket für
Georgien vor, das zur Stabilisierung der Region beitragen soll. Die 500
Millionen Euro sollen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau und für die
Reparatur der Infrastruktur verwendet werden, die bei der Invasion des
Landes von den russischen Truppen zerstört oder beschädigt wurde.
Javier Solana, der Hohe Vertreter der
EU-Außenpolitik, kündigte am Montag an, dass die EU-Beobachtermission
rechtzeitig zum 1. Oktober in Georgien stationiert werden könne. Die 200
unbewaffneten EU-Beobachter sollen den vollständigen Abzug der russischen
Truppen aus dem Kerngebiet Georgiens und den „Pufferzonen“ um die
abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien überwachen. Die EU-Mission,
die aus Polizisten, Juristen und zivilen Militärexperten bestehen soll, wird
zudem die Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimatgemeinden begleiten. Die
EU-Außenminister ernannten am Montag den französischen Spitzendiplomaten
Pierre Morel zum Sonderbeauftragten für die Georgien-Krise.
40 Beobachter aus Deutschland
Weil die Vorbereitungszeit so knapp ist,
stellen die beteiligten Mitgliedsstaaten selbst einzelne Beobachterteams
zusammen. Die Bundesregierung plant, zwei Teams von je 20 Beobachtern zu
entsenden. Die endgültige Entscheidung über den Einsatz trifft das
Bundeskabinett in der kommenden Woche. Frankreich wird 76 Beobachter
entsenden. Insgesamt beteiligen sich rund 20 EU-Länder. Ein Vorauskommando
der EU befindet sich bereits in Georgien.
Die Beobachter werden allerdings vorerst
die abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien nicht
betreten dürfen. Moskau lehnt dies mit der Begründung ab, die Republiken
seien unabhängige Staaten und müssten der Mission daher zustimmen. Die
EU-Fachleute werden also in den sogenannten Sicherheitszonen eingesetzt
werden, die an die abtrünnigen Republiken grenzen. Auch dort sind derzeit
noch russische Truppen stationiert. „Das Mandat für die
EU-Beobachtungsmission gilt zwar für ganz Georgien“ erklärte der
Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Günter Gloser. Die Beobachtung in
Abchasien und Südossetien selbst sei aber „kein vorrangiges Ziel“, sondern
komme erst „in einem zweiten Schritt“ in Frage, heißt es aus diplomatischen
Kreisen in Brüssel. Eine Entsendung gehe schließlich nicht „ohne die
Zustimmung der dort Herrschenden“.
Nato schließt Abkommen mit
Georgien
Auch die Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die schon seit 1992 im Konflikt zwischen
Georgien und Südossetien vermittelt und derzeit 28 Militärbeobachter vor Ort
hat, wird in ihrer Arbeit von Russland massiv behindert. Gemäß ihrem Mandat,
dem auch das OSZE-Mitglied Russland zugestimmt hat, sollen die
Militärbeobachter zumindest zu Teilen Südossetiens Zugang haben. Doch seit
dem Kriegsbeginn ist es damit vorbei: „Seit dem 8. August haben wir keinen
regelmäßigen Zugang mehr nach Südossetien“, sagte der OSZE-Sprecher Martin
Nesirky. Die Lage sehe jeden Tag anders aus. „Es gibt Tage, an denen unsere
Offiziere nicht einmal in die Sicherheitszone hineinkommen.“
Georgien und die Nato gründeten am
Montag eine gemeinsame Kommission für eine engere militärische
Zusammenarbeit. Das vereinbarten Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer
und der georgische Regierungschef Lado Gurgenidse bei einer Tagung des
Bündnisses in Tiflis. „Der Nato-Generalsekretär sprach von einem
„Meilenstein“ in den Beziehungen zu Georgien. Unmittelbar vor dem Treffen
hatte er die EU ungewöhnlich scharf kritisiert: Das Abkommen mit Moskau über
den Abzug aus Georgien bezeichnete er als „inakzeptabel“, weil die
russischen Truppen in Südossetien und Abchasien bleiben und ihre Präsenz
sogar noch verstärken.
16.09.2008 Tagesspiegel
(Deutschland)
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Russland erfüllt nach georgischen Angaben
Frist für Teilrückzug
Tiflis,
Trotz eines Teilabzugs der
russischen Truppen bleibt die Lage in Georgien gespannt: In der Nähe zu
Abchasien wurde am Samstag ein georgischer Polizist getötet. Ein Sprecher des
Innenministeriums in Tiflis, Schota Utjaschwili, sagte, der Polizist sei aus der
Richtung einer Stellung beschossen worden, in der sowohl russische als auch
abchasische Soldaten stationiert sind. Georgische und russische
Regierungsvertreter bestätigten derweil den Rückzug russischer Soldaten aus Poti
und anderen Stellungen im Westen Georgiens.
Der georgische Chef des Sicherheitsrats, Alexander
Lomaja, sagte, die Russen hätten sechs Kontrollpunkte geräumt und damit ihre
Zusage an EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy erfüllt. Moskau hatte dem
französischen Staatspräsidenten bei einem Besuch Anfang der Woche zugesichert,
bis kommenden Montag seine Kontrollposten in Westgeorgien zu räumen. Bis zum 11.
Oktober sollen alle russischen Truppen aus dem georgischen Kernland
abgeschlossen sein, wenn bis zum 1. Oktober 200 EU-Beobachter um Land sind.
Lomaja sagte, es befänden sich noch rund 1.200 russische Soldaten in 19
Stützpunkten auf georgischem Boden außerhalb der abtrünnigen Regionen Abchasien
und Südossetien.
Utjaschwili teilte mit, die russischen Soldaten
hätten sowohl den Kontrollposten an einer nach der Hafenstadt Poti führenden
Brücke als auch in der Nähe des Hafens und eines zerstörten Marinestützpunkts
geräumt. «Die russischen Einheiten haben sich komplett aus Poti zurückgezogen»,
sagte er. Der russische Außenamtssprecher Andrej Nesterenko bestätigte den
Rückzug aus Westgeorgien.
Nach dem Fünftagekrieg wegen Südossetien im
vergangenen Monat hatten die russischen Streitkräfte im georgischen Kernland
mehr als zwei Dutzend Kontrollposten eingerichtet - offiziell, um die
abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien zu schützen. Die russische
Präsenz im Bereich des wichtigen Schwarzmeerhafens Poti wurde von Georgien als
eine besondere Provokation empfunden, weil dieser mehrere hundert Kilometer von
Südossetien entfernt liegt.
15.09.2008 net tribune
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Abschied von Abchasien
Es ist Zeitverschwendung, Russland zum Verlassen
der georgischen Separatistengebiete zu drängen. Wichtiger ist der Wiederaufbau
Georgiens.
In der Sache hat Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop
Scheffer völlig recht: Natürlich lässt der Rückzugsplan für Georgien, den die EU
mit Russland aushandelte, dem Kreml in den abtrünnigen Provinzen Südossetien und
Abchasien freie Hand. Eine Rückkehr zum Stand vor dem Krieg, wie ursprünglich
angestrebt, wird es daher nicht geben.
Wer deswegen aber den Plan nun wie de Hoop
Scheffer scharf kritisiert, der zeigt, dass es ihm an Gefühl für die Realitäten
mangelt. Das entscheidende Ziel ist jetzt, dass sich die russischen Truppen aus
den seit jeher von der georgischen Zentralregierung kontrollierten Gebieten
zurückziehen. Das scheint zu geschehen, auch wenn immer Vorsicht angebracht ist,
wenn es darum geht, ob Russland sich an ein Abkommen hält.
Darüber hinaus nun zu fordern, dass Moskau auch
aus Abchasien und Südossetien seine Soldaten abzieht, ist naiv. Russland
kontrolliert beide Gebiete de facto schon seit Anfang der 90er-Jahre, was den
Westen nie wirklich gestört hat. Nach dem Krieg hat der Kreml aus der
Schwebesituation einen Dauerzustand gemacht: Er erkennt beide Regionen nicht
mehr als Teile Georgiens an.
Sich mit diesem Problem lange aufzuhalten hieße,
Zeit zu vergeuden. Viel wichtiger ist es, Georgien dabei zu helfen, dass es nach
dem russischen Einmarsch wieder auf die Beine kommt. Dazu gehört auch eine
Debatte darüber, ob Präsident Michail Saakaschwili eine Mitschuld daran trägt,
dass der Konflikt Anfang August eskalierte.
EU und USA müssen dem kleinen Staat im Kaukasus
unter die Arme greifen. Es besteht die Chance, Wirtschaftshilfe mit der Auflage
zu verbinden, dass das Land seinen Weg in Richtung einer funktionierenden
Demokratie fortsetzt. Für das Regime von Wladimir Putin wäre nichts
schmerzlicher als ein blühender Rechtsstaat an seiner Südflanke.
15.09.2008 Financial Times Deutschland
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Kaukasus-Krise
Lawrow pöbelt
gegen Nato und Ukraine
Vor dem Besuch des
Nato-Rats in Georgien holt Russlands Außenminister Lawrow zum verbalen
Rundumschlag aus. Während er das Bündnis an sich und Nato-Anwärter Ukraine
scharf kritisiert, stellt er der abtrünnigen georgischen Region Abchasien eine
weitgehend offene Grenze zu seinem Land in Aussicht.
Bei seinem Besuch
in der abchasischen Hauptstadt Suchumi sagte Sergej Lawrow am Sonntag, die
Grenze zwischen Abchasien und Russland werde „fast durchsichtig“ sein, so wie
zwischen den Staaten der Europäischen Union. Derzeit bereiten Russland und
Abchasien laut Lawrow ein Abkommen über Bewegungsfreiheit, doppelte
Staatsbürgerschaft und andere Bereiche vor. Dazu zähle auch eine engere
Zusammenarbeit auf den Gebieten Verteidigung, Sicherheit, Grenzschutz und Zoll.
Russland werde sich dafür einsetzen, dass Abchasien ein „vollkommen unabhängiger
Staat“ werde, ergänzte Lawrow, der in Suchumi den selbst ernannten abchasischen
Präsidenten Sergej Bagapsch traf.
Mit scharfen Worten
griff der russische Außenminister die Nato an, die am Montag mit einer ranghohen
Delegation in der georgischen Hauptstadt Tiflis erwartet wird. Zu der Kritik von
Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer an Russlands Vorgehen in Georgien
sagte Lawrow, derartige „unverantwortliche Erklärungen“ seien „für den Chef so
einer seriösen Organisation unangebracht“.
Lawrow: Ukraine
nutzt Kaukasus-Krise aus
Der Nato-Rat, ein
Gremium von Diplomaten der Mitglieder des Militärbündnisses, will bei seinem
Besuch mit dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili eine
Nato-Georgien-Kommission zur engeren Zusammenarbeit gründen. Russland ist gegen
einen in Zukunft geplanten Nato-Beitritt Georgiens, weil es sich in seiner
Sicherheit bedroht sieht. Die Europäische Union erkennt im Gegensatz zu Russland
die von Georgien abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien nicht als
unabhängig an.
Auch an Kritik an Nato-Anwärter Ukraine sparte
Lawrow nicht. Vielmehr beschuldigte er das Land, die Krise um Georgien
„skrupellos“ für ihre eigenen Interessen nutzen zu wollen. In einem
Namensartikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom Montag schreibt
Lawrow, die Kauskasus-Krise solle „skrupellos ausgenutzt werden, um einen
falschen politischen Kurs zu verfolgen, der einfachste demokratische Verfahren
missachtet und der die Ukraine in die Nato drängen soll“. Weiter wirft Lawrow
der Ukraine vor, „durch die Lieferungen schweren Kriegsgeräts an die georgische
Armee für die Tragödie in dieser Region mitverantwortlich“ zu sein.
15.09.2008 FOCUS ONLINE
(Deutschland)
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Kein großer Sieg
Von Michael Ludwig
13. September 2008 Der
Fünf-Tage-Krieg im Kaukasus um die von Georgien abtrünnigen Republiken
Südossetien und Abchasien hat die EU in eine weltpolitische Rolle befördert, die
ihr kaum jemand zugetraut hätte. Dieser Tage erreichte der französische
Präsident Nicolas Sarkozy in Moskau die Zusage, dass die russischen Truppen sich
bis Mitte Oktober aus der von Russland bislang beanspruchten Sicherheitszone in
„Kerngeorgien“ zurückziehen und die EU 200 Beobachter in diese Zone entsendet.
Aber ein großer Sieg war das nicht. Denn Russland
hatte sich schon beeilt, neue Fakten zu schaffen. Im Gleichschritt mit der
Anerkennung von Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten und der
Aufnahme diplomatischer Beziehungen wurde verkündet, mit Zchinwali und Suchumi
Freundschaftsverträge zu schließen. Sie werden es – auf der Grundlage von
Beziehungen zwischen souveränen Staaten – ermöglichen, dass Russland jeweils
3800 Soldaten in Abchasien und Südossetien stationiert.
Teile des Abkommens schon Makulatur
Aus russischer Sicht ist damit jener Punkt in der
ersten, Anfang August mit Sarkozy getroffenen Vereinbarung Makulatur, in dem
davon die Rede war, dass sich die russischen Truppen auf die Linie vor dem
Ausbruch des Kriegs zurückziehen sollen. Deshalb gibt es bei den internationalen
Gesprächen, die Mitte Oktober in Genf stattfinden sollen, im Grunde genommen
nicht mehr allzu viel zu verhandeln.
Russland hat dafür gesorgt, dass es im Südkaukasus, über Armenien
hinaus, dauerhaft politisch und militärisch präsent ist. Gutgläubige Abchasen
oder Südosseten feiern die neue Selbständigkeit als den lange erhofften Sieg
ihrer nationalen Ambitionen. Früher oder später werden die beiden abtrünnigen
Provinzen aber wohl als russische Protektorate enden oder direkt in die
Russländische Föderation integriert.
13.09.2008 Frankfurter Allgemeine Zeitung
(Deutschland)
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„Kommersant“: Abchasien zieht OVKS Russland vor
Der abchasische Präsident Sergej Bagapsch hat
gestern die Zukunftspläne seines Staates enthüllt. Darüber berichtet die
Tageszeitung „Kommersant“ in ihrer Freitagausgabe.
Abchasien habe nicht vor, Mitglied der Russischen
Föderation zu werden, doch eine GUS- und OVKS-Mitgliedschaft sei realistisch, so
Bagapsch. Er könnte sich sein Land auch als Bestandteil des Unionsstaates
Russland-Weißrussland vorstellen. Es stellte sich aber sehr schnell heraus, dass
solche Pläne mit den Plänen Moskaus im Großen und Ganzen nicht übereinstimmen.
Der russische Außenminister Lawrow reagierte
prompt auf Bagapschs Äußerungen und erklärte, dass zum jetztigen Zeitpunkt ein
OVKS-Beitritt Abchasiens ziemlich unwahrscheinlich sei.
Heute sei es in der Tat noch nicht möglich, so der
abchasische Außenminister Sergej Schamba, doch es sei von einer Perspektive die
Rede gewesen. Es sei kein Zufall, dass die Mitgliedschaft im
russisch-weißrussischen Unionsstaat vorrangig sei. Dies setze zwar die
Anerkennung Abchasiens durch die weißrussischen Behörden voraus, aber sie seien
zuversichtlich, dass dies bald passiere, glaubt Schamba. Danach würde es für
Abchasien viel leichter sein, den Weg in andere Strukturen (SOZ, GUS, OVKS etc.)
zu finden, sagt Schamba.
Laut Bagapsch wolle Abchasien ein demokratischer,
rechtsstaatlicher und demilitarisierter Staat werden, es sei aber, so die
Zeitung „Kommersant“, nicht ganz klar, wie der Wunsch, ein demilitarisierter
Staat zu werden, mit den Absichten der abchasischen Führung korrespondiert,
russische Stützpunkte auf seinem Territorium errichten zu lassen und hier ca.
3800 russische Soldaten zu stationieren. Wie Schamba erklärte, habe Bagapsch
lediglich eine demilitarisierte Pufferzone zwischen Abchasien und Georgien
gemeint.
Die Idee eines demilitarisierten Staates sei sehr
verlockend, doch die Umsetzung dieser Idee scheine angesichts der Nachbarschaft
mit Georgien unmöglich, unterstrich der abchasische Diplomat. Dieser Versprecher
von Bagapsch sei bemerkenswert, meint die Zeitung, denn die Abchasen sind im
Grunde genommen dagegen, dass auf ihrem Territorium russische Stützpunkte
stationiert werden, die abchasischen Behörden führen das auf den Wunsch zurück,
die abchasischen Kurorte sauber zu halten.
In der Republik wird aber ebenfalls betont, dass
Russland, nachdem es die abchasische Unabhängigkeit anerkannt hat, sich auch
gerne in die hiesige Kaderpolitik einmischen würde, deswegen könnten die Worte
des Präsidenten bedeuten, dass er die Unabhängigkeit seiner Republik nicht nur
gegenüber Georgien, sondern auch möglicherweise gegenüber Russland verteidigen
möchte.
Dies wird jedoch teilweise durch die Worte des
abchasischen Vizepremiers Alexander Stranitschkin widerlegt. Der hochrangige
Beamte sagte neulich, um den russischen Investoren entgegenzukommen, würden
Änderungen in der abchasischen Gesetzgebung vorgenommen. Danach fühle man sich
als Investor in Abchasien rechtlich quasi wie in Russland.
Von der abchasischen Regierung wollte bisher niemand diese Worte
kommentieren, denn die Verantwortlichen seien geschäftlich verreist und
unterwegs in Russland. Doch eine Zeitungsquelle sagte, dass eine solche
Entscheidung wohl kaum einen tosenden Applaus in der Republik ernten würde.
„Sollte es den ausländischen Investoren jemals erlaubt sein, bei uns Grund und
Boden zu kaufen, würde das bedeuten, dass die Grundstückpreise nach oben
schießen und für die Mehrheit der hiesigen Bevölkerung wird es nicht mehr
möglich sein, Grundstücke vor der eigenen Haustür zu kaufen", meint diese
Quelle.
12.09.2008 RIA Novosti
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Neue Spannungen um EU-Mission in Georgien
Russland will seine Truppen aus dem georgischen
Kernland abziehen, aber in Abchasien und Südossetien belassen. Dorthin will die
EU Beobachter entsenden. Über deren Einsatzgebiet gibt es aber unterschiedliche
Ansichten.
Der Präsident des von Georgien abtrünnigen
Gebietes Südossetien, Eduard Kokojty, hat mit widersprüchlichen Äußerungen über
einen Anschluss an die Russische Föderation Verwirrung gestiftet. Entsprechende
Äußerungen von ihm seien "offensichtlich missverstanden" worden, sagte er. "Wir
planen nicht, unsere Unabhängigkeit aufzugeben, die wir auf Kosten riesiger
Opfer erlangt haben". Zuvor soll er bei einem Treffen mit Kreml-Vertretern im
südrussischen Sotschi erklärt haben, Südossetien werde auf jeden Fall zu einem
Subjekt der Russischen Föderation. Die Menschen in Südossetien strebten die
Wiedervereinigung mit der zu Russland gehörenden Teilrepublik Nordossetien an.
Auch das am Schwarzen Meer gelegene Abchasien
sucht eine enge Anbindung an Russland, will aber seine selbst erklärte
Souveränität behalten, teilte die Führung Abchasiens mit. Eine Option sei, sich
der Staatenunion zwischen Russland und Belarus anzuschließen.
Russland kündigt Truppenstationierung an
Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew ordnete
unterdessen an, die Errichtung russischer Stützpunkte in beiden Regionen
vorzubereiten. Verteidigungsminister Anatolij Serdjukow sagte, in Verhandlungen
mit Vertretern der beiden Regionen seien die Eckpunkte schon geklärt: "Wir haben
uns bereits über die Stärke der Truppen - in der Größenordnung von 3800 Mann in
jeder der Republiken - sowie deren Struktur und die Stationierungsorte
geeinigt."
Die russischen Streitkräfte würden sich auf Bitten
Südossetiens und Abchasiens sowie auf Anweisung des russischen Präsidenten in
diesen Republiken befinden, sagte Außenminister Sergej Lawrow. "Sie werden dort
für lange Zeit, zumindest für die absehbare Zukunft bleiben", betonte er. Lawrow
sagte weiter, die russischen Soldaten seien reguläre Streitkräfte, die für die
Sicherheit der "unabhängigen Staaten" sorgen sollten. Sie hätten keinen Bezug zu
einer möglichen Beobachtermission. Zudem stünden sie dem mit der EU vereinbarten
Abzug der russischen Soldaten aus dem georgischen Kernland nicht entgegen.
Einsatzgebiet der EU-Beobachter umstritten
Am 8. September hatten Medwedjew und der
EU-Ratsvorsitzende, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, einen Zeitplan für
einen Abzug der russischen Truppen aus Georgien vereinbart. Demnach sollen die
Soldaten bis spätestens 15. Oktober aus den Gebieten um Abchasien und
Südossetien zurückgezogen werden. Mindestens 200 EU-Beobachter sollen den
Rückzug überwachen.
Moskau und Brüssel streiten allerdings inzwischen
über das Einsatzgebiet der Mission. Die EU sei der Auffassung, ihre Beobachter
könnten überall in Georgien - also auch in Südossetien und Abchasien -
eingesetzt werden, sagte der EU-Außenbeauftragte Javier Solana vor dem
Außenpolitischen Ausschuss des Europaparlaments.
Lawrow schließt den Einsatz internationaler
Beobachter in den beiden Regionen zwar nicht grundsätzlich aus, allerdings
müssten dafür zusätzliche Missionen unter dem Dach der UN und OSZE "mit den
Regierungen der neuen Staaten" vereinbart werden. Da bisher nur Russland und
Nicaragua die von Georgien abtrünnigen Regionen als unabhängig anerkannt haben,
gelten Verhandlungen internationaler Organisationen mit Abchasien und
Südossetien als unwahrscheinlich.
Spannungen durch Moskaus Forderungen
Der georgische Präsident Micheil Saakaschwili
äußerte sich unterdessen zuversichtlich über einen möglichen Einsatz von
EU-Beobachtern auch in Abchasien und Südossetien. Durch diplomatischen Druck und
Dialog werde es Brüssel gelingen, den Einsatz der Beobachter auch in den
abtrünnigen Regionen durchzusetzen. Die EU ist der Ansicht, dass auf einer
internationalen Konferenz, die am 15. Oktober in Genf beginnen soll, nicht nur
über Sicherheit und Stabilität in der Region und über die Rückkehr von
Flüchtlingen, sondern auch über den Zugang von internationalen Beobachtern
gesprochen werden soll.
Zu weiteren Spannungen zwischen Brüssel und Moskau
dürfte indes die Forderung Lawrows führen, dass bei den mit Sarkozy vereinbarten
internationalen Gesprächen zur Georgien-Krise am 15. Oktober in Genf auch
Abchasien und Südossetien teilnehmen müssten. Beiden stehe dabei ein
"vollwertiger Platz am Tisch" zu, sagte der russische Außenminister.
11.09.2008 Deutsche Welle World
(Deutschland)
***
Kaukasus
Mehr Macht, weniger Investionen für Russland
Von Michael Ludwig, Moskau
Aus Moskauer Sicht sind schlechte Nachrichten aus
Amerika seit längerem die Regel. Jetzt kam es zur Freude der Doppelherrscher
Putin und Medwedjew einmal anders. Eine parlamentarische Anhörung in Washington
ergab am Dienstag, dass die Regierung keine gesicherten Erkenntnisse darüber
besitzt, ob Georgien, wie Tiflis behauptet, mit seinem militärischen Vorstoß
gegen Südossetien am 7. August lediglich auf einen durch den Roki-Tunnel von
Norden heranrollenden Angriff der Russen antwortete.
Dies hat zur Folge, dass die Glaubwürdigkeit des
georgischen Präsidenten Saakaschwili im Westen leidet. Ebenso wurde allerdings
in der Anhörung die von vielen ausländischen und einigen russischen Beobachtern
geteilte Auffassung deutlich, dass Moskau Georgien zu dem kaukasischen
Fünf-Tage-Krieg provoziert habe.
Russland will eine Mitgliedschaft Georgiens in der
Nato verhindern
Einig ist sich der Westen, dass der Einmarsch der
Russen in „Kerngeorgien“ eine unverhältnismäßig harte Maßnahme der Russen
gewesen sei und die teilweise Besetzung des Landes sowie die ethnischen
Säuberungen in der „Pufferzone“, aber auch in Südossetien, nicht hinzunehmen
seien. Doch die militärische und politische Präsenz der Russen südlich des
Kaukasus ist im Gefolge des Krieges stärker geworden.
Bereits unmittelbar vor und nach dem Gipfeltreffen
der Nato im April in Bukarest, auf dem entschieden wurde, dass Georgien eines
Tages Mitglied im Bündnis werden darf, hatte Moskau seine Ziele im Verhältnis zu
Georgien - und zum Westen - offengelegt. Der russische Außenminister Lawrow
sagte, sein Land werde buchstäblich alles unternehmen, um die Mitgliedschaft
Georgiens in der Nato zu verhindern.
Nur Russland sei in der Lage, die Sicherheit in
der Region zu garantieren
Moskaus ständiger Vertreter bei der Allianz,
Rogosin, gab zu verstehen, dass Russland die Territorialkonflikte zwischen der
georgischen Zentralgewalt und den Separatisten in Abchasien und Südossetien, die
ohne Russland nicht zu lösen seien, als wichtigste Trumpfkarte in der
Auseinandersetzung um die Erweiterung der Nato in den Kaukasus hinein betrachte.
Schon damals befürchteten russische Beobachter
Zündeln im Südkaukasus und eine brenzlige Krise zwischen Russland und Georgien,
da im Dezember die Entscheidung der Nato anstehe, ob das Bündnis Tiflis in das
Vorbereitungsprogramm für die Nato-Mitgliedschaft (MAP) aufnehme. Nach dem
provozierten Krieg stellten Putin und Medwedjew Russland der Welt als
„Friedensstifter“ oder „Friedenserzwinger“ dar. Wieder habe sich gezeigt, dass
allein Russland in der Lage sei, die Sicherheit in der Region zu garantieren.
Aus dieser Stellung werde sich Russland von nichts und niemandem verdrängen
lassen.
Supermacht Amerika war nicht in der Lage, einen
Verbündeten zu schützen
Das war, in Worte gefasst, der zuvor militärisch
untermauerte Anspruch, dass der Südkaukasus in Moskau als russische
Einflusssphäre betrachtet werde und weder Amerika noch die Nato hier etwas zu
suchen hätten. Die Anerkennung der beiden abtrünnigen Provinzen Südossetien und
Abchasien als unabhängige Staaten und die mit Suchumi und Zchinwali vereinbarte
Stationierung russischer Truppen sind der Versuch Russlands, sich auf erneuerter
Grundlage politisch und militärisch dauerhaft in diesem Teil des Südkaukasus
einzurichten.
Es ist nur folgerichtig, wenn Lawrow am Mittwoch
forderte, dass für die Mandate der Beobachtermissionen der Vereinten Nationen in
Abchasien und der OSZE in Südossetien - diese arbeiten in beiden Gebieten seit
vielen Jahren - hinfort die Zustimmung der von Russland als Staaten anerkannten
Gebilde einzuholen sei.
Es wird zu den politischen Zielen gehört haben,
der Welt und der GUS im Besonderen vorzuführen, dass die Supermacht Amerika
nicht in der Lage sei, einen engen Verbündeten wirkungsvoll zu schützen.
Investoren werden sich ihren Einsatz zweimal
überlegen
Darüber hinaus wurden die Überlegungen und
Versuche der EU, nach Möglichkeiten für den Transport von Öl und Gas aus
Zentralasien unter Umgehung Russlands zu suchen, durch russische Bomben in der
Nähe der Pipeline von Baku über Tiflis nach Ceyhan zumindest gestört. Es wurde
gezeigt, dass Russland den Transport jederzeit unterbinden könne - auch im Falle
neuerlicher Spannungen, die sogar geschürt werden könnten.
Die nicht unwahrscheinliche Folge von alldem ist,
dass sich Investoren ihren Einsatz für den Ausbau des Transportkorridors künftig
zweimal überlegen. Aserbaidschan wiederum könnte sich genötigt sehen, künftig
mehr von seinen Energieträgern, die es im Westen vermarkten will, über russische
Leitungen auf den westlichen Markt zu bringen. Anzeichen dafür gibt es bereits.
Ob es Moskau gelungen ist, die Aufnahme Georgiens
in die Nato durch den Krieg zu verhindern oder zumindest auf lange Zeit
hinauszuzögern, ist nicht abzusehen. Sichtbar ist hingegen, dass Moskau für sein
Vorgehen im Südkaukasus einen politischen Preis im Verhältnis zu seinen Partnern
in der GUS, aber auch zu China zahlt.
Keine Anerkennung der abtrünnigen Provinzen
Die Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit, zu
der neben Russland zentralasiatische Länder und China gehören, versagte den
Russen die Unterstützung für den Schritt, Abchasien und Südossetien als Staaten
anzuerkennen. Ebenso wenig verstand sich Russlands Klientel in der ODKB, dem
kollektiven Sicherheitsbündnis, dazu, die beiden abtrünnigen Provinzen
anzuerkennen.
Mitglieder sind einige zentralasiatische Staaten
sowie Weißrussland und Armenien. Der Präzedenzfall der Anerkennung abtrünniger
Provinzen durch Moskau bereitet insbesondere den Machthabern in den fragilen
Staatsgebilden Zentralasiens Sorgen. Weißrusslands Diktator Lukaschenka sah sich
durch die Aufforderung aus Moskau, Minsk solle Abchasien und Südossetien als
Staaten anerkennen, in seinem Lavieren zwischen Moskau und dem Westen gestört.
Armenien taktierte hinhaltend. Eriwan ist vom Transit durch Georgien
existentiell abhängig.
Kapitalabfluss durch Krieg beschleunigt
Russische Panzer in einem souveränen fremden Staat
wecken Erinnerungen an sowjetische Zeiten und sind geeignet, ein größeres Maß an
politischer Einigkeit etwa der EU zu bewirken. Doch in Moskau rechnet kaum einer
damit, dass es in den Wirtschaftsbeziehungen zum Westen zu größeren und
dauerhaften Verwerfungen kommen könne. Zu groß sei die gegenseitige
Abhängigkeit.
Der Kapitalmarkt gehorcht indessen anderen
Gesetzen. Eine der Folgen des Kriegs war es, dass ausländische Investoren
Kapital aus Russland abzogen. Allerdings ist diese gegenwärtige Entwicklung in
einen seit Juni zu beobachtenden Trend eingebettet. Dieser war und ist vor allem
eine Reaktion auf Turbulenzen auf den Weltfinanzmärkten.
Der Kapitalabfluss wurde durch den Krieg jedoch
beschleunigt. Russland verlor in den letzten Monaten angeblich einige Dutzend
Milliarden Dollar Investitionskapital, verfügt mit fast 600 Milliarden Dollar
Devisenreserven aber über ein genügend großes Polster, um eine Schieflage seiner
Währung zu verhindern. Die Gründe für das Einbrechen der Aktienkurse an der
Moskauer Börse sind ähnlich komplex wie im Falle des Abzugs von Kapital aus
russischen Anlagefonds und offenbar nur zum Teil durch den Krieg bedingt.
Die Investmentbank Goldman Sachs rechnet damit,
dass der russische Markt die so bedingten Erschütterungen verdaut haben wird.
Russland, so einige Analysten, habe diese Art Verluste als Preis für seine
Kaukasus-Kriegspolitik von vornherein in Kauf genommen. Bald wird man sehen, ob
es sich „rechnet“.
11.09:2008 Frankfurter
Allgemeine Zeitung
(Deutschland)
***
Provinzen Abchasien und Südossetien
Uneinigkeit zwischen EU und Moskau über Beobachter
Ob Russland
seinen Abzug aus dem georgischen Kernland begonnen hat ist unklar: Während
das russische Verteidigungsministerium erklärte, der Abzug der restlichen
Truppen habe begonnen, erklärte die georgische Regierung das Gegenteil. Nur
abchasische Milizen seien bis jetzt abgezogen.
Sicher ist aber: In den abtrünnigen Provinzen
Südossetien und Abchasien aber wollen die Russen in jedem Fall bleiben, ihre
Präsenz sogar verstärken. Und ob und wie die Beobachtermission der EU dort
vertreten sein wird, ist unklar. Denn während die Europäer die beiden Provinzen
als Teil der Mission ansehen, schloss Russland eine Stationierung der
EU-Beobachter außerhalb des georgischen Kernlands aus.
"In einigen Punkten eine andere Interpretation"
EU-Chefdiplomat Javier Solana räumte zwar ein,
dass die Stationierung in Südossetien und Abchasien nicht mit Russland
abgesprochen sein. Aber die Beobachter sollten "in dem Geist entsandt werden,
überall stationiert zu werden", sagte er. Allerdings erfolge dies ohne die
ausdrückliche Zustimmung von Präsident Dimitri Medwedjew. Denn bei dessen
Treffen mit EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy am Wochenende sei der
Einsatzort der Beobachter kein Thema gewesen. Jetzt gebe es "in einigen Punkten
eine andere Interpretation durch Russland", so Solana. Scharfe Worte kamen auch
aus den USA: "Die Kerle versuchen bei jeder Gelegenheit, sich aus ihren
Verpflichtungen herauszuwinden", sagte Außenamtssprecher Sean McCormack.
Russland müsse aber "raus aus Georgien".
Russland erklärte seinerseits, Brüssel habe das
Abkommen manipuliert und gegenüber Georgien falsche Angaben gemacht. "Was in
Tiflis beredet worden ist, hat für uns absolut keine Bedeutung", sagte Russlands
Außenminister Sergej Lawrow. Sein Land habe lediglich ein Dokument
unterschrieben, in dem von Beobachtern außerhalb der abtrünnigen Provinzen die
Rede ist. Nach Informationen der Agentur Reuters heißt es in dem Vertragstext
aber wörtlich, "Beobachter auf dem gesamten Territorium Georgiens einzusetzen".
Offenbar georgischer Polizist erschossen
Unterdessen wurde ein georgischer Polizist getötet
- nach georgischer Darstellung von russischen Soldaten: Die Soldaten hätten zwei
Mal auf die Polizeiwache nahe Südossetien gefeuert und den Polizisten an Kopf
und Hals getroffen. Die Polizei habe die Schüsse nicht erwidert, hieß es. Ein
Sprecher der russischen Armee sagte hingegen, russische Soldaten seien nicht in
einen derartigen Vorfall verwickelt gewesen.
11.09.2008 ARD Tagesschau
(Deutschland)
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Deutschland stellt Beobachter
Streit über Einsatzort
Deutschland will ein Fünftel des Personals der geplanten
EU-Beobachtertruppe für Georgien stellen. Das kündigte Bundeskanzlerin Angela
Merkel in Passau an. Die EU und Russland hatten vereinbart, dass im
Südkaukasuskonflikt bis zum 1. Oktober insgesamt 200 Beobachter in die
Krisenregion geschickt werden. Die EU-Beobachter seien unbewaffnet, sagte
Merkel.
Moskau und Brüssel streiten unterdessen über das Einsatzgebiet der
EU-Beobachtermission in Georgien. Laut einem mit Russland abgestimmten
Friedensplan sind EU-Beobachter bisher nur in den "Pufferzonen" um Abchasien und
Südossetien vorgesehen, um den Abzug der russischen Truppen aus diesen
Pufferzonen zu überwachen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow schloss
einen Einsatz außerhalb des georgischen Kerngebiets aus. EU-Chefdiplomat Javier
Solana sagte dagegen, die Beobachter sollten auch nach Südossetien und Abchasien
entsandt werden.
Verschiedene "Interpretationen"
Solana räumte allerdings ein, dass ein Einsatz der Beobachter in den
völkerrechtlich zu Georgien gehörenden Provinzen mit Russland nicht abgesprochen
sei. Die Beobachter sollten aber "in dem Geist entsandt werden, überall
stationiert zu werden". Russland, das Abchasien und Südossetien als unabhängig
anerkannt hat, sieht dafür derzeit keine Grundlage. Beim Besuch des
französischen Präsidenten und EU-Vorsitzenden Nicolas Sarkozy am Montag in
Moskau sei der Einsatzort kein Thema gewesen, sagte Solana weiter. "Es gibt in
einigen Punkten eine andere Interpretation durch Russland."
Georgiens Präsident Michail Saakaschwili dagegen hat sich zuversichtlich über
einen möglichen Einsatz auch in Abchasien und Südossetien geäußert. Durch
diplomatischen Druck und Dialog werde es Brüssel gelingen, dies durchzusetzen,
sagte Saakaschwili nach Angaben georgischer Medien bei einem Besuch in Gori.
USA: Russland muss raus aus Georgien
Die USA werfen Russland vor, sich aus der Waffenstillstandsvereinbarung vom
August herauszustehlen. Die Moskauer Führung benutze alle möglichen
Entschuldigungen, um die weitere Präsenz von tausenden Soldaten in Georgien zu
rechtfertigen, sagte US-Außenamtssprecher Sean McCormack. Präsident Dmitri
Medwedew und Regierungschef Wladimir Putin "versuchen bei jeder Gelegenheit,
sich aus einer Verpflichtung, die sie eingegangen sind, herauszuwieseln", so
McCormack. "Sie müssen heraus aus Georgien".
In der Vereinbarung vom 11. August hatte Russland zugesagt, seine Truppen aus
dem georgischen Kernland in die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien
zurückziehen. Dort hält sich ein russisches Kontingent seit den frühen 1990er
Jahren in einer von den UN sanktionierten Friedensmission auf. McCormack zufolge
verstoßen die russischen Pläne, künftig in beiden Gebieten je 3800 Soldaten
stationiert zu haben, gegen die Friedensmission und die
Waffenstillstandsvereinbarung, nach der die Soldatenzahl jeweils auf etwa 1500
zu begrenzen ist.
NATO zieht Schiffe ab
Nach anhaltender russischer Verärgerung über die erhöhte Präsenz von
NATO-Kriegsschiffen im Schwarzen Meer zieht die Allianz nun vier ihrer Schiffe
aus dem Gebiet zurück. Wie die NATO in Brüssel mitteilte, hat die Flotte ihren
Einsatz nach dem Kaukasuskonflikt "erfolgreich" beendet.
Verständigungs-Preis für Merkel
Die Kanzlerin wurde in der niederbayerischen Stadt mit dem Preis "Menschen-in-Europa"
der Verlagsgruppe Passau ausgezeichnet. Die Auszeichnung geht seit 2005 an
Politiker, die sich um Völkerverständigung verdient gemacht haben. Die
Glasskulptur erhielten bisher unter anderem der frühere Generalsekretär der
Vereinten Nationen, Kofi Annan, die frühere US-Außenministerin Madeleine
Albright und Tschechiens Ex-Präsident Václav Havel.
Die Laudatio auf Merkel hielt EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Er
betonte, dass Merkel bereits mehrfach wesentliche Einigungen unter den 27
EU-Staaten erreicht habe. Merkel und Barroso betonten die außenpolitische
Handlungsfähigkeit der EU. Dies habe gerade der Konflikt in Georgien gezeigt.
Obwohl die Mitgliedstaaten ganz verschiedene Ansichten zu der Auseinandersetzung
zwischen Georgien und Russland hätten, sei es zu einer einheitlichen Politik
gekommen, sagte Merkel. Barroso ergänzte, die Europäer hätten "den Willen zum
gemeinsamen Handeln".
10.09.2008 n-tv
(Deutschland)
***
EU will Beobachter auch in Abchasien und Südossetien einsetzen
Internationale Konferenz am 15. Oktober in Genf
soll auch über den Zugang von internationalen Beobachtern reden
(dpa). - EU-Chefdiplomat Javier Solana hat im
Südkaukasuskonflikt den Einsatz von EU-Beobachtern auch in Südossetien und
Abchasien gefordert. Die EU sei der Auffassung, dass ihre Beobachter überall in
Georgien - also auch in Südossetien und Abchasien - eingesetzt werden könnten,
sagte Solana am Mittwoch vor dem außenpolitischen Ausschuss des
Europaparlamentes. Die EU gehe davon aus, dass die internationale Konferenz, die
am 15. Oktober in Genf beginnen soll, nicht nur über Sicherheit und Stabilität
in der Region sowie über die Rückkehr von Flüchtlingen sondern auch "über den
Zugang von internationalen Beobachtern" reden solle.
In der am Montag in Moskau von Kremlchef Dmitri
Medwedew und dem EU-Ratspräsidenten , Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy,
unterzeichneten Übereinkunft gibt es keinen Hinweis darauf, dass EU-Beobachter
in Südossetien und Abchasien zugelassen sein sollen. Es heißt lediglich, die
bereits vorhandenen Beobachter der UN und der OSZE könnten ihre Arbeit dort wie
bisher fortsetzen.
Außerdem sollten zusätzliche internationale Beobachter in den an
die beiden Regionen angrenzenden "Pufferzonen" eingesetzt werden, darunter
mindestens 200 EU-Beobachter. Wenn diese ihre Posten bezogen haben, sollen die
russischen Soldaten bis 10. Oktober aus georgischem Kernland abgezogen sein.
"Das Mandat der Mission der Europäischen Union wird gerade ausgearbeitet und
dürfte vom Rat der Außenminister am 15. September beschlossen werden", heißt es
in einer Erklärung des französischen Außenministeriums vom Mittwoch. "Ihr
Einsatz wird mit denen der OSZE und der UN abgestimmt", erklärte das
Ministerium.
10.09.2008 Luxemburger Wort -
Luxembourg
***
Moskau macht einen Schritt zurück
Zum zweiten Mal hat der französische Präsident
Sarkozy den Kreml mit einem Stück Papier verlassen. Vor vier Wochen nutzte
Moskau einen Übersetzungsfehler aus und interpretierte das
Waffenstillstandsabkommen mit Georgien in unverfrorener Weise. Obwohl ein
Rückzug vereinbart war, okkupierten russische Truppen Stellungen im Hinterland
des Gegners. Mit Skepsis muss man daher die neuerliche Unterschrift Präsident
Medwedews betrachten. Hält er diesmal, was er verspricht?
Kriegsziele Erreicht
Sarkozy, der vor einem Monat noch wie der düpierte
Briefträger eines russischen Diktats wirkte, scheint seinen Verhandlungspartnern
jedenfalls nicht über den Weg zu trauen. Nur einen Tag nach dem Besuch in Moskau
warnte er seine Gastgeber vor einer Verletzung der Abmachungen, die Medwedew
zuvor nur widerwillig akzeptiert hatte. Es wird dem Kreml jetzt allerdings
schwerer fallen, ein Hintertürchen zu finden. Die Abmachungen, die einen Rückzug
aus dem georgischen Kerngebiet und die Stationierung von EU-Beobachtern
innerhalb festgelegter Fristen vorsehen, sind offenkundig präziser formuliert
als in dem Vorläufer-Dokument.
Auch wenn der Tatbeweis aussteht, spricht einiges
dafür, dass Russland für einmal einen Schritt zurück macht und die Konfrontation
nicht weiter anheizt. Der Kreml hat mit dem Waffengang ohnehin erreicht, was er
wollte. Auch wenn nur die hartgesottensten Vasallen Moskaus die einseitige
Anerkennung von Südossetien und Abchasien gutheissen, ist eine Rückkehr der
Gebiete in den georgischen Staatsverband ausgeschlossen. Triumphierend
verkündete der russische Aussenminister nur einen Tag nach Sarkozys Besuch, man
mache jetzt Ernst mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen.
Die Macht des Faktischen
Der Kreml sorgte mit Panzern dafür, dass die Welt
die separatistischen Territorien mit anderen Augen betrachtet. Zwar bekennt man
sich pflichtschuldig zur territorialen Integrität Georgiens. Doch dies ist nur
noch eine Floskel. Im Grunde genügt es allen, wenn sich die russischen Truppen
nach Südossetien und Abchasien zurückziehen, um sich dort häuslicher denn je
niederzulassen. Worte sind verräterisch. Die Neuschöpfung «Kerngeorgien» hat
Eingang in den Sprachschatz gefunden, obwohl es keinen Grund gibt, Südossetien
und Abchasien nicht zum «Kern» zu rechnen. Mit gleicher Berechtigung könnte man
die Subtraktion fortsetzen und auf Regionen wie Adscharien ausdehnen, bis von
Georgien nur ein erweiterter Bezirk Tbilissi übrig bleibt.
Mit dem kurzen Krieg im Kaukasus machte Moskau
überdies klar, dass es nach wie vor die dominierende Macht in der Region ist.
Die EU und Amerika konnten und wollten Georgien nicht unmittelbar zur Seite
springen. Mourir pour Zchinwali?
Anfang eines Engagements
Dennoch hat sich die Europäische Union diesmal
nicht als der Papiertiger erwiesen, der sie in aussenpolitischen Fragen meist
ist. Sie demonstrierte Einigkeit und liess damit die Drohung nicht von
vorneherein als unglaubwürdig erscheinen, bei einer weiteren Eskalation der
Krise spürbare Sanktionen zu verhängen. Nachdem Brüssel bis anhin Stösse von
Dokumenten zur Schwarzmeerregion produziert hat, aber ein echtes Engagement
stets abgelehnt hat, zeigt die EU nun mit Beobachtern Präsenz. Moskau hätte
OSZE-Vertreter vorgezogen, die man in der Vergangenheit oft herumgeschubst oder
ignoriert hat.
Geschlossenheit und Entschlossenheit zahlen sich aus im Umgang
mit dem Kreml. Hätte man von Beginn an auf die vielbeschworene «russische Seele»
und die angeblichen Einkreisungsängste des flächenmässig grössten Staates der
Welt Rücksicht genommen, hätte man vermutlich nicht einmal das von Sarkozy
erreichte Minimal-Ergebnis durchgesetzt. Es wird nun aber darauf ankommen, ob
Staaten wie Deutschland und Frankreich ihre Blockadehaltung gegen eine
Integration der Ukraine und Georgiens in die europäischen und transatlantischen
Institutionen aufgeben. Am EU-Ukraine-Gipfel in Paris konnte man sich nicht dazu
durchringen, doch wird diese Frage nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden.
Die Übereinkunft von Moskau ist allenfalls der Beginn einer überzeugenderen
europäischen Regionalpolitik im Kaukasus.
10.09.2008 NZZ (Schweiz)
***
Harter Kurs gegen Russland: EU will auch ins
Südossetien und Abchasien Beobachter
Trotz des Waffenstillstandsabkommens ist in
Georgien an der von Russland errichteten Pufferzone zu Südossetien ist ein
georgischer Polizist erschossen worden. Der Beamte sei in den Kopf getroffen
worden, teilte die Polizei am Mittwoch mit. Der Schuss sei aus Richtung eines
russischen Postens am Eingang zu dem Gebiet gefallen. Differenzen gab es
unterdessen über die geplante EU-Beobachtermission. Laut dem
EU-Außenbeauftragten Javier Solana soll die Mission auch in die abtrünnigen
georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien entsandt werden. Russland
schloss dagegen eine Stationierung der europäischen Beobachter außerhalb des
georgischen Kerngebiets aus.
Der Todesschuss gegen den georgischen Polizisten ereignete sich
in dem Dorf Karaleti. Es sei nicht klar, wer die tödlichen Schüsse abgegeben
haben, teilte das georgische Innenministerium mit. Vermutet werden allerdings
russische Soldaten als Täter. Die russische Seite hingegen geht davon, dass der
Schuss von ossetischen Kämpfern abgegeben worden sei, sagte eine
Polizeisprecherin der Nachrichtenagentur Reuters. "Sie haben versprochen, den
Vorfall zu untersuchen und die Verantwortlichen zu bestrafen." Die
südossetischen Behörden wiesen die Darstellung zurück. "Wir haben nichts damit
zu tun", sagte eine Sprecherin. Der Schuss sei möglicherweise während Kämpfen
unter den Georgiern zwischen Polizei und Armee gefallen.
Russland baut Posten ab
Zwei Tage nach seiner Zusage an die EU begann Russland unterdessen damit, Posten
im westlichen Georgien abzubauen. In der Gemeinde Pirweli Maisi bei Chobi, etwa
30 Kilometer von der De-facto-Grenze zu Abchasien entfernt, schafften Soldaten
Betonblöcke fort und rissen Holzbauten einer Kontrollstelle ab. Auch im
Schwarzmeerhafen Poti reduzierte die Armee Angaben des Bürgermeisters zufolge
die Besatzung zweier Posten an der Zufahrt zur Stadt.
Georgien widersprach allerdings Berichten, wonach sich die russischen Truppen
auch aus dem Dorf Ganmuchuri zurückgezogen hätten. Nur abchasische Milizen
hätten das Dorf Ganmuchuri verlassen, sagte der georgische Sicherheitsratschef
Alexander Lomaja am Mittwoch. Die georgische Regierung habe am Dienstag "falsche
Informationen" über den Beginn des russischen Rückzugs aus Georgien
veröffentlicht. Die russischen Truppen hätten ihre Stellungen in Ganmuchuri, das
in Grenznähe zu Abchasien liegt, gehalten.
Zwist um Abkommen
Die Regierung in Moskau warf den Europäern vor, ein Abkommen manipuliert und
gegenüber Georgien falsche Angaben über den Einsatz von EU-Beobachtern in der
Krisenregion gemacht zu haben. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy und
EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hätten in Tiflis ein Dokument
unterzeichnet, das der in Moskau erzielten Einigung widerspreche, sagte
Außenminister Sergej Lawrow. In dem Dokument sei von der Bereitschaft der EU die
Rede, "Beobachter auf dem gesamten Territorium Georgiens einzusetzen". Lawrow
sagte, Russland habe ein Dokument unterschrieben, demzufolge die Kontrollore nur
außerhalb Abchasiens und Südossetiens eingesetzt werden sollen.
Entsendung auch ohne Russlands Zustimmung
Solana räumte in Brüssel ein, dass die geplante Entsendung der EU-Mission auch
nach Südossetien und Abchasien nicht mit Russland abgesprochen sei. Dies erfolge
ohne ausdrückliche Zustimmung des russischen Staatschefs Dmitri Medwedew. "Es
gibt in einigen Punkten eine andere Interpretation durch Russland", sagte
Solana. Medwedew hatte den Einsatz von mindestens 200 europäischen Beobachtern
gebilligt. Sie sollen ab 1. Oktober den Abzug der russischen Truppen aus den
Gebieten um Südossetien und Abchasien überwachen. Den offiziellen Startschuss
für die Beobachtermission wollen die europäischen Außenminister am kommenden
Montag in Brüssel geben.
Im UNO-Sicherheitsrat bemühte sich die Regierung in Moskau, ein Waffenembargo
gegen Georgien durchzusetzen. Außerdem sollen der Verkauf militärischer
Ausrüstung sowie Unterstützung, Beratung und Ausbildung der georgischen Armee
durch andere Länder unterbunden zu werden. Wegen des Widerstands der Vetomacht
USA und der EU-Mitglieder hat der russische Entwurf keine Chance, angenommen zu
werden. Das räumte auch Botschafter Witali Tschurkin ein. "Aber wir glauben,
dass es absolut notwendig war, diese Erklärung durch Einbringung des Entwurfs
abzugeben." Die USA haben Georgien Hilfe für den Wiederaufbau auch der Armee
zugesagt.
10.09.2008 news.at (Österreich)
***
Südossetien und Abchasien
Russland will UN-Waffenembargo gegen Georgien
Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin hat
einen Resolutionsentwurf für ein Waffenembargo gegen Georgien eingereicht. Alle
Länder sollen aufgefordert werden, den Verkauf oder die Lieferung von Waffen an
Georgien zu verhindern. Zudem wollen die Russen ihre Truppen im Kaukasus massiv
aufstocken.
Einen Tag nach Russlands Einigung mit der EU über
einen Truppenabzug aus Georgien hat Moskau seine harte Haltung im
Kaukasus-Konflikt bekräftigt. Während der zugesagte Truppenabzug aus dem
georgischen Kernland nach Angaben aus Tiflis tatsächlich begann, kündigte Moskau
die dauerhafte Stationierung von 7600 Soldaten in den abtrünnigen georgischen
Provinzen Georgien und Abchasien an und nahm diplomatische Beziehungen zu den
Gebieten auf. In New York verlangte Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin
ein Waffenembargo gegen Georgien. Die USA erklärten, sie wollten Georgien nach
dem Krieg bei der Wiederaufrüstung helfen.
„Es ist im Interesse aller, ein Waffenembargo
gegen Georgien zu haben“, sagte Tschurkin vor Journalisten. Er räumte ein, dass
einige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates wie die USA sich gegen die Maßnahme
stellen könnten. Georgien habe in den vergangenen Jahren „aggressiv aufgerüstet“
und habe seinen Verteidigungshaushalt innerhalb von sechs Jahren von 18 auf 900
Millionen Dollar erhöht. Diese Mittel seien „sehr schlecht mit einem Angriff auf
Süd-Ossetien eingesetzt worden“. „Daraus müssen die entsprechenden Konsequenzen
gezogen werden“, verlangte Tschurkin.
Ein Veto der USA gegen eine solche Resolution im
UN-Sicherheitsrat scheint allerdings sicher: Das US-Verteidigungsministerium
kündigte am Dienstag an, noch diese Woche werde eine Abordnung in die georgische
Hauptstadt Tiflis reisen, „um Georgiens legitimen Bedarf und unsere Reaktion zu
ermitteln. Nach der Prüfung dieses Bedarfs werden wir überlegen, wie die USA den
Wiederaufbau von Georgiens Wirtschaft, Infrastruktur und Streitkräften
unterstützen können“, sagte Vize-Minister Eric Edelman.
Damit bleiben die Positionen trotz der Einigung
zwischen Russland und der EU vom Vortag verhärtet. Am Montag hatten Russlands
Präsident Dmitri Medwedew und der EU-Ratsvorsitzende, Frankreichs Präsident
Nicolas Sarkozy, einen Zeitplan für einen Abzug der russischen Truppen aus
Georgien vereinbart. Demnach sollen die Soldaten bis spätestens 15. Oktober aus
den Gebieten um Abchasien und Südossetien zurückgezogen werden. Mindestens 200
EU-Beobachter sollen den Rückzug überwachen.Nach Angaben des georgischen
Innenministeriums verließen am Dienstag die ersten russischen Soldaten das Dorf
Ganmuchuri im Bezirk Sugdidi. Ein Ministeriumssprecher wertete dies als „erstes
Zeichen“ für den angekündigten Rückzug aus den Gebieten um die beiden Provinzen.
Das Verteidigungsministerium in Moskau bestätigte den Truppenrückzug.
Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow kündigte zugleich im
Fernsehen an, nach dem Abzug seiner Truppen aus Georgien würden 7600 Soldaten in
Südossetien und Abchasien stationiert bleiben. Die beiden Regionen hätten der
Entsendung von jeweils rund 3800 russischen Soldaten zugestimmt, sagte Serdjukow
bei einem Treffen mit Medwedew. Außerdem nahm Moskau am Dienstag diplomatische
Beziehungen zu beiden Regionen auf. Der Schritt sei durch einen Notenaustausch
vollzogen worden, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Die georgische Regierung
kritisierte den Schritt. Dies sei „ein weiterer Schritt zur Annektierung“
Südossetiens und Abchasiens, sagte die stellvertretende Außenministerin Giga
Bokeria.
09.09.2008 WELT Online
(Deutschland)
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Kaukasuskrise
Sarkozy wollte Treffen mit Moskau platzen lassen
Zwischen dem russischen Präsidenten Dmitri
Medwedjew und seinem französischen Kollegen Nicolas Sarkozy soll es heftig
gekracht haben: Sarkozy wollte eigentlich in seiner Funktion als
EU-Ratsvorsitzender in Moskau im Kaukasuskonflikt vermitteln. Doch plötzlich
erklärte er: „Wir gehen."
Die Verhandlungen zwischen dem russischen
Staatschef Dmitri Medwedjew und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy
über eine Umsetzung des Friedensplans für Georgien sind nach übereinstimmenden
Berichten „zeitweise äußerst spannungsgeladen“ verlaufen. An einem Punkt seien
die Auseinandersetzungen zwischen der russischen Seite und der EU-Delegation um
Sarkozy so heftig gewesen, dass der französische Präsident damit gedroht habe,
die Gespräche sofort zu beenden, berichteten Vertreter der Europäischen Union
und Frankreichs am Montag.
Nach ihren Angaben wollte die russische Seite
partout den Passus aus der Vereinbarung streichen, der einen Rückzug ihrer
Streitkräfte aus georgischem Kernland fordert. In diesem Moment sei Sarkozy
aufgestanden und habe gesagt: „Wir gehen. Darüber lässt sich nicht verhandeln.
Die Invasion eines unabhängigen Landes können wir nicht hinnehmen“. „Wir wären
tatsächlich gegangen, es gab keinen Plan B“, fügte eine Quelle hinzu. Erst
Medwedejw, der vor dem Ausbruch des Streits kurz den Raum verlassen habe, sei es
gelungen, die Gemüter wieder zu beruhigen. Nach vierstündigen Verhandlungen
erklärte sich die russische Seite schließlich zu dem Abzug bereit.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat Russland
mit Konsequenzen der Europäischen Union gedroht, sollte es sein jüngstes
Versprechen zum Truppenabzug aus Georgien nicht einhalten. Am 15. Oktober dürfe
sich „kein russischer Soldat“ mehr im georgischen Kernland aufhalten, sagte er
nach Gesprächen mit dem georgischen Staatschef Michail Saakaschwili in der Nacht
zum Dienstag in Tiflis. Zugleich stellte Sarkozy die Wiederaufnahme der
Verhandlungen über ein EU-Partnerschaftsabkommen mit Moskau für Anfang Oktober
in Aussicht, sollte Russland seine Zusagen einhalten.
200 EU-Beobachter
Neben einem Zeitplan für den Truppenabzug hatten
sich Sarkozy und Medwedjew am Montag in Barwicha bei Moskau auch auf eine
EU-Beobachtermission für Georgien geeinigt. Mindestens 200 Beobachter sollen bis
spätestens 1. Oktober den Abzug russischer Truppen aus den Pufferzonen um
Abchasien und Südossetien überwachen. Nach Angaben von Sarkozy soll die
Beobachtermission mit einem Mandat der UN sowie der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit und Europa (OSZE) ausgestattet werden. Beide Politiker
vereinbarten außerdem eine internationale Konferenz zum Georgien-Konflikt in
Genf am 15. Oktober.
Saakaschwili sagte, die russische Zusage für den
Truppenabzug sei erst der Anfang. Eine endgültige Lösung des
russisch-georgischen Konflikts um Abchasien und Südossetien müsse die
territoriale Integrität Georgiens respektieren. Der georgische Staatschef
kündigte für Anfang Oktober eine internationale Geberkonferenz für den
Wiederaufbau seines Landes an. An dem Hilfsgipfel in Tiflis sollten unter
anderem Vertreter des Internationale Währungsfonds (IWF) und der Weltbank
teilnehmen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) werde zusammen mit Sarkozy
nach Tiflis kommen, sagte Saakaschwili weiter.
Barroso versicherte Saakaschwili bei der
gemeinsamen Pressekonferenz, dass Georgien „in diesen schwierigen Stunden auf
die Solidarität und das Engagement der Europäischen Union zählen“ könne. Die EU
sei bereit, ihre politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Tiflis
auszubauen, sagte Barroso weiter.
Polen spricht von "mittelmäßigen Ergebnissen"
Ein enger Mitarbeiter des polnische Präsidenten
Lech Kaczynski sagte, die Gespräche zwischen Sarkozy und Medwedjew über die
Umsetzung des EU-Friedensplans hätten nur „mittelmäßige Ergebnisse“
hervorgebracht. Kaczynskis Büroleiter Piotr Kownacki sagte im polnischen
Fernsehsender TVN24, der polnische Präsident werde sich in der EU für eine
stärkere Reaktion gegenüber Moskau stark machen.
Die USA legten unterdessen aus Protest gegen das
russische Vorgehen in Georgien ein Atomabkommen mit Russland auf Eis.
US-Präsident George W. Bush werde den Kongress in Washington über seine
Entscheidung informieren, dass Abkommen mit Russland zur gemeinsamen friedlichen
Nutzung der Kernenergie nicht wie geplant in Kraft setzen zu lassen, hieß es in
einer am Montag veröffentlichten Erklärung von US-Außenministerin Condoleezza
Rice.
Die USA und Russland hatten sich erst im Mai dieses Jahres auf
eine enge Zusammenarbeit im Bereich der zivilen Atomenergie verständigt. Ein
Vertreter des russischen Außenministeriums nannte die Entscheidung nach
Berichten der Nachrichtenagentur Interfax „bedauernswert“. Allerdings brauche
Moskau die Nuklear-Kooperation nicht mehr als Washington, sagte der Diplomat,
der nicht namentlich genannt werden wollte.
09.09.2008 WELT Online
(Deutschland)
***
Saakaschwili unter Druck
Moskau zieht Truppen ab
Einen Tag nach Russlands Einigung mit der EU über einen Truppenabzug aus
Georgien hat Moskau seine harte Haltung im Kaukasus-Konflikt bekräftigt. Während
der zugesagte Truppenabzug aus dem georgischen Kernland nach Angaben aus Tiflis
tatsächlich begann, kündigte Moskau die dauerhafte Stationierung von 7600
Soldaten in den abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien an.
Zudem wurden diplomatische Beziehungen zu den Gebieten aufgenommen. In New York
verlangte Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin ein Waffenembargo gegen
Georgien. Die USA erklärten, sie wollten Georgien nach dem Krieg bei der
Wiederaufrüstung helfen.
Moskau will Embargo
"Es ist im Interesse aller, ein Waffenembargo gegen Georgien zu haben", sagte
Tschurkin vor Journalisten. Er räumte ein, dass einige Mitglieder des
UN-Sicherheitsrates wie die USA sich gegen die Maßnahme stellen könnten.
Georgien habe in den vergangenen Jahren "aggressiv aufgerüstet" und habe seinen
Verteidigungshaushalt innerhalb von sechs Jahren von 18 auf 900 Millionen Dollar
erhöht. Diese Mittel seien "sehr schlecht mit einem Angriff auf Süd-Ossetien
eingesetzt worden". "Daraus müssen die entsprechenden Konsequenzen gezogen
werden", verlangte Tschurkin.
Ein Veto der USA gegen eine solche Resolution im UN-Sicherheitsrat scheint
allerdings sicher: Das US-Verteidigungsministerium kündigte an, noch diese Woche
werde eine Abordnung in die georgische Hauptstadt Tiflis reisen, "um Georgiens
legitimen Bedarf und unsere Reaktion zu ermitteln. Nach der Prüfung dieses
Bedarfs werden wir überlegen, wie die USA den Wiederaufbau von Georgiens
Wirtschaft, Infrastruktur und Streitkräften unterstützen können", sagte
Vize-Minister Eric Edelman.
Positionen bleiben unverändert
Damit bleiben die Positionen trotz der Einigung zwischen Russland und der EU vom
Vortag verhärtet. Am Montag hatten Russlands Präsident Dmitri Medwedew und der
EU-Ratsvorsitzende, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, einen Zeitplan für
einen Abzug der russischen Truppen aus Georgien vereinbart. Demnach sollen die
Soldaten bis spätestens 15. Oktober aus den Gebieten um Abchasien und
Südossetien zurückgezogen werden. Mindestens 200 EU-Beobachter sollen den
Rückzug überwachen.
Russen setzen Zeichen …
Nach Angaben des georgischen Innenministeriums verließen die ersten russischen
Soldaten das Dorf Ganmuchuri im Bezirk Sugdidi. Ein Ministeriumssprecher wertete
dies als "erstes Zeichen" für den angekündigten Rückzug aus den Gebieten um die
beiden Provinzen. Das Verteidigungsministerium in Moskau bestätigte den
Truppenrückzug.
… und stationieren Tausende Soldaten
Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow kündigte zugleich im Fernsehen an, nach
dem Abzug seiner Truppen aus Georgien würden 7600 Soldaten in Südossetien und
Abchasien stationiert bleiben. Die beiden Regionen hätten der Entsendung von
jeweils rund 3800 russischen Soldaten zugestimmt, sagte Serdjukow bei einem
Treffen mit Medwedew. Außerdem nahm Moskau diplomatische Beziehungen zu beiden
Regionen auf. Der Schritt sei durch einen Notenaustausch vollzogen worden, sagte
Außenminister Sergej Lawrow. Die georgische Regierung kritisierte den Schritt.
Dies sei "ein weiterer Schritt zur Annektierung" Südossetiens und Abchasiens,
sagte die stellvertretende Außenministerin Giga Bokeria.
Widerstand gegen Saakaschwili
In Tiflis formiert sich der Widerstand gegen Saakaschwili. Die einflussreiche
konservative Partei Neue Rechte brach den seit Wochen bestehenden Burgfrieden
mit der Regierungspartei und forderte vorgezogene Präsidenten- und
Parlamentswahlen, wie Medien in Tiflis berichteten. Saakaschwili habe "ohne
Vernunft, eigenmächtig und verantwortungslos die Entscheidung zur Bombardierung
Zchinwalis", der Hauptstadt Südossetiens, getroffen, sagte Parteichef David
Gamkrelidse. Saakaschwili trage die Verantwortung für die "schwierige Situation"
mit hunderten Toten und rund 100.000 Vertriebenen in Georgien, sagte der
Oppositionsführer.
Saakaschwili hatte der EU-Spitze nach eigenen Angaben "handfeste Beweise" dafür
übergeben, dass sein Land den Krieg nicht begonnen habe. Vielmehr habe man auf
eine groß angelegte russische Invasion reagiert, sagte der Präsident. Russlands
Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete Saakaschwili daraufhin als "Lügner".
09.09.2008 n-tv
(Deutschland)
***
Russisches Militär bleibt in Provinzen
Moskau festigt seine Militärpräsenz in den
abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien. 7600 Soldaten
sollen dort langfristig stationiert werden.
Präsident Dmitri Medwedew ordnete am Dienstag an,
Vorbereitungen für die Errichtung russischer Stützpunkte in beiden Regionen zu
beginnen. Russlands Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow sagte, in
Verhandlungen mit Vertretern der beiden Regionen, deren Unabhängigkeit nur von
Russland und Nicaragua anerkannt wird, seien die Eckpunkte schon geklärt: „Wir
haben uns bereits über die Stärke der Truppen – in der Größenordnung von 3800
Mann in jeder der Republiken – sowie deren Struktur und Stationierungsort
geeinigt.“
Außenminister Sergej Lawrow kündigte an, die
Verhandlungen würden in den kommenden Tagen zum Abschluss geführt, um die
Truppenpräsenz auf eine rechtliche Grundlage zu stellen. Der mit der EU
vereinbarte Abzug der russischen Soldaten aus dem georgischen Kernland stehe dem
nicht entgegen.
Diplomatische Beziehungen zwischen Russland und
Regionen
„Die russischen Streitkräfte befinden sich auf
Bitten der Präsidenten und Parlamente Südossetiens und Abchasiens sowie auf
Anweisung des russischen Präsidenten in diesen Republiken“, sagte Lawrow. „Sie
werden dort für lange Zeit, zumindest für die absehbare Zukunft bleiben. Dies
ist nötig, um eine Wiederholung der georgischen Aggression zu verhindern.“ Im
Laufe des Tages wollte er mit den Außenministern Abchasiens und Südossetiens
zusammentreffen, um formell diplomatische Beziehungen aufzunehmen.
Russland und Georgien hatten Anfang August einen
fünftägigen Krieg um die von Tiflis wegstrebende Provinz Südossetien
geführt. Nach seinem Sieg über Georgien besetzte Russland Teile der früheren
Sowjetrepublik. Am Montag hatte Medwedew dem französischen Präsidenten und
EU-Ratspräsidenten Nicolas Sarkozy zugesagt, seine Truppen bis spätestens
1. Oktober aus dem georgischen Kernland abzuziehen. Mindestens 200
EU-Beobachter sollen den Rückzug überwachen.
Für neue Spannungen dürfte indes die Forderung
Lawrows führen, an den mit Sarkozy ebenfalls vereinbarten internationalen
Gesprächen zur Georgien-Krise am 15. Oktober in Genf müssten Abchasien und
Südossetien teilnehmen. Beiden stehe dabei ein „vollwertiger Platz am Tisch“ zu,
sagte der Minister.
Opposition verlangt von Saakaschwili Rücktritt
In Georgien gerät Saakaschwili unter Beschuss der
Opposition. Die einflussreiche konservative Partei Neue Rechte brach in Tiflis
den seit Wochen bestehenden Burgfrieden mit der Regierungspartei und forderte
vorgezogene Präsidenten- und Parlamentswahlen, wie Medien in Tiflis berichteten.
Saakaschwili habe „ohne Vernunft, eigenmächtig und
verantwortungslos die Entscheidung zur Bombardierung Zchinwalis“, der Hauptstadt
Südossetiens, getroffen, sagte Parteichef David Gamkrelidse. Der
Oppositionsführer warf dem Präsidenten vor, die Verantwortung für die
„schwierige Situation“ in Georgien zu tragen. Ihm sei anzulasten, dass Georgien
den Einfluss in seinen abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien komplett
verloren habe. „Mir ist klar, dass wir nun von den staatlich kontrollierten
Medien zum Feind erklärt werden, aber die Wahrheit ist mehr wert“, sagte
Gamkrelidse. Der Politiker kündigte noch für Dienstag Konsultationen mit anderen
Oppositionsparteien an, um das weitere Vorgehen gemeinsam abzustimmen.
09.09.2008 Focus Online
(Deutschland)
***
Südossetien und Abchasien
Moskau nimmt diplomatische Beziehungen auf
09. September 2008 Russland
hat am Dienstag diplomatische Beziehungen zu Südossetien und Abchasien
eingeleitet. Das teilte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau auf einer
Pressekonferenz mit. „Wir haben Noten ausgetauscht, die eine Übereinkunft
darstellen, diplomatische Beziehungen zwischen Russland und Abchasien sowie
Russland und Südossetien aufzunehmen“, sagte er. Südossetien und Abchasien sind
abtrünnige Regionen im Norden Georgiens. Sie stehen unter dem wirtschaftlichen
und militärischen Einfluss Russlands.
Die Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens und
Südossetiens ist international höchst umstritten. Moskau verweist zur Begründung
auf Parallelen zur Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien durch
zahlreiche westliche Staaten. Nach dem bewaffneten Konflikt mit Georgien Anfang
August kündigte die russische Regierung die Anerkennung der beiden Provinzen als
unabhängige Staaten an.
Russland will 7600 Soldaten stationieren
Russland will nach dem Abzug seiner Truppen aus
Georgien 7600 Soldaten in Südossetien und Abchasien stationiert lassen. Die
beiden von Georgien abtrünnigen Provinzen hätten der Stationierung von jeweils
rund 3800 russischen Soldaten bereits zugestimmt, sagte Verteidigungsminister
Anatoli Serdjukow laut einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Interfax
am Dienstag bei einem Treffen mit dem russischen Staatschef Dmitrij Medwedjew.
Er hoffe, dass dadurch „das georgische Militärregime davon abgehalten wird,
seine idiotischen Aktionen auszuführen“, sagte demnach Medwedjew.
Medwedjew hatte am Montag mit Frankreichs
Präsident Nicolas Sarkozy einen Zeitplan für einen Abzug der russischen Truppen
aus Georgien vereinbart. Demnach sollen die Soldaten bis spätestens 1. Oktober
aus den Pufferzonen um Abchasien und Südossetien zurückgezogen werden.
Mindestens 200 EU-Beobachter sollen den Rückzug überwachen.
Die georgische Regierung kritisierte die Aufnahme
der diplomatischen Beziehungen. Dies sei „ein weiterer Schritt zur Annektierung“
Südossetiens und Abchasiens, sagte die stellvertretende Außenministerin Giga
Bokeria der Nachrichtenagentur AFP. Sarkozy drohte Russland mit Konsequenzen,
sollte es sein Versprechen zum Truppenabzug nicht einhalten. Am 15. Oktober
dürfe sich „kein russischer Soldat“ mehr in Stellungen im georgischen Kernland
aufhalten, sagte der amtierende EU-Ratspräsident nach einem Treffen mit dem
georgischen Staatschef Michail Saakaschwili in Tiflis. Andernfalls werde die
Europäische Union „Konsequenzen ziehen“.
09.09.2008 Frankfurter Allgemeine Zeitung
(Deutschland)
***
Kaukasus: Sarkozy mahnt Moskau zur Einhaltung
seiner Zusagen
Tiflis/Barwicha (AFP) — Frankreichs Präsident
Nicolas Sarkozy hat Russland mit Konsequenzen der EU gedroht, sollte es sein
Versprechen zum Truppenabzug aus Georgien nicht einhalten. Am 15. Oktober dürfe
sich "kein russischer Soldat" mehr im georgischen Kernland aufhalten, sagte er
nach Gesprächen mit Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili in Tiflis. Zuvor
hatte Sarkozy dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew die Zusage abgerungen,
die Truppen binnen eines Monats hinter die Linien vor Ausbruch der Kämpfe Anfang
August zurückzuziehen.
Sarkozy warnte, dass die EU bei einem russischen
Nicht-Befolgen der Abmachung "Konsequenzen ziehen" werde. Zugleich stellte er
die Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein EU-Partnerschaftsabkommen mit
Moskau für Anfang Oktober in Aussicht, sollte Russland seine Zusagen einhalten.
Sarkozy war als amtierender EU-Ratspräsident zusammen mit Kommissionschef José
Manuel Barroso und EU-Chefdiplomat Javier Solana nach Russland und Georgien
gereist.
Neben einem Zeitplan für den Truppenabzug hatten
sich Sarkozy und Medwedew am Montag in Barwicha bei Moskau auch auf eine
EU-Beobachtermission für Georgien geeinigt. Mindestens 200 Beobachter sollen bis
spätestens 1. Oktober den Abzug russischer Truppen aus den Pufferzonen um
Abchasien und Südossetien überwachen. Nach Angaben von Sarkozy soll die
Beobachtermission mit einem Mandat der UNO sowie der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit und Europa (OSZE) ausgestattet werden. ie Unabhängigkeit der
abtrünnigen georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien bezeichnete Medwedew
allerdings als "unumkehrbar".
Saakaschwili sagte, die russische Zusage für den
Truppenabzug sei erst der Anfang. Eine endgültige Lösung des
russisch-georgischen Konflikts um Abchasien und Südossetien müsse die
territoriale Integrität Georgiens respektieren. Der georgische Staatschef
kündigte für Anfang Oktober eine internationale Geberkonferenz für den
Wiederaufbau seines Landes an. An dem Hilfsgipfel in Tiflis sollten unter
anderem Vertreter des Internationale Währungsfonds (IWF) und der Weltbank
teilnehmen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) werde zusammen mit Sarkozy
nach Tiflis kommen, sagte Saakaschwili weiter.
Barroso versicherte Saakaschwili, dass Georgien "in diesen
schwierigen Stunden auf die Solidarität und das Engagement der Europäischen
Union zählen" könne. Die EU sei bereit, ihre politischen und wirtschaftlichen
Beziehungen zu Tiflis auszubauen.
09.09.2008 AFP
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Kaukasus-Konflikt Gute Geschäfte: Warum sich die
europäisch-russischen Beziehungen wieder normalisieren
Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat den
Durchbruch geschafft: Mit dem Abzug russischer Truppen aus Georgien und der
Entsendung von EU-Beobachtern nach Südossetien und Abchasien wird der Kaukasus
vorläufig zur Ruhe kommen. Die Normalisierung der europäisch-russischen
Beziehungen liegt voll im Interesse der deutschen Wirtschaft, die im Osten
weiter gute Geschäfte machen wollen.
Die Gäste aus Paris und Brüssel waren noch gar
nicht Schloss Meiendorf eingetroffen, da ließ das russische Außenamt schon
verkünden, was vom europäisch-russischen Krisentreffen zu erwarten sei:
„Russland lehnt eine EU-Beobachtermission in Georgien ab“, teilte ein
Ministeriumssprecher in Moskau mit. Der Ausflug des EU-Diplomaten um den
französischen Präsidenten und europäischen Ratsvorsitzenden Nicolas Sarkozy
schien von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein.
Am Ende kam doch alles ganz anders: Russland darf
200 EU-Beobachter nach Georgien schicken, die russische Armee wird sich binnen
eines Monats endgültig aus dem Nachbarland zurückziehen – der russische
Präsident Dmitrij Medwedew machte jene Zugeständnisse, die Sarkozy,
EU-Chefdiplomat Javier Solana und Kommissionspräsident José Manuel Barroso hören
wollten. Dies nicht zuletzt, weil Sarkozy ein Schreiben des georgischen
Amtskollegen Michail Saakaschwili mitbrachte, der darin den absoluten
Waffenstillstand zusicherte. Die europäische Delegation versprach dem Kremlchef,
nach dem Rückzug seiner Truppen die kürzlich gestoppten Verhandlungen über ein
Partnerschaftsabkommen mit Russland wieder aufnehmen und damit – was viel
wichtiger ist – die Beziehungen zum östlichen Nachbarn zurück auf Normalmaß
heben.
Deutsche Unternehmer atmen auf. Sie machen gute
Geschäfte in Russland, wo die Verbraucher noch konsumfreudig sind, die Industrie
einen riesigen technologischen Nachholbedarf hat, wo sich Autos noch verkaufen
lassen und bei Kreditabschlüssen nicht nach Zinshöhe gefragt wird. Handelsriesen
wie Metro oder Obi, Industriekonzerne wie Siemens oder Volkswagen, Finanzhäuser
wie die Deutsche Bank – sie verdienen gut in Russland und können keine
Negativschlagzeilen gebrauchen, die ihre Investments infrage stellen.
Insofern setzte sich gerade die deutsche Regierung
dafür ein, den Kaukasuskonflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. Kanzlerin
Angela Merkel flog seit Ausbruch der Krise Anfang August je einmal nach Russland
und Tiflis, Anfang Oktober steht ein großes Gipfeltreffen in Sankt Petersburg
an, zu dem Merkel von vier Ministern begleitet wird. Die Krisendiplomatie der
französischen EU-Ratspräsidentschaft, heißt es aus Botschaftskreisen, hätten die
Deutschen aktiv mitgestaltet. Das Lob heimst allein Frankreich ein.
Resultat der französisch-deutschen Russlandpolitik
ist eine Frontbegradigung: Die Europäer akzeptieren zähneknirschend, dass
Russland die abtrünnigen georgischen Republiken Südossetien und Abchasien
militärisch unter Kontrolle gebracht und völkerrechtlich anerkannt hat. In der
Hoffnung, es werde schon irgendwann Gras über die Sache wachsen, geht Brüssel
zur Tagesordnung über und nimmt den Dialog mit Moskau wieder auf. Diese „Appeasement“-Politik
wird in den östlichen EU-Ländern niemandem schmecken, wo man immer noch Angst
vor dem vermeintlich aggressiven Nachbarn hat und lieber eine restriktive
Russlandpolitik der EU gesehen hätte.
Die Schönwetterpolitik ist vor allem im Sinne der EU-Mächtigen,
deren Volkswirtschaften vom Osthandel profitieren. Aber auch Russland hätte sich
eine weitere Eskalation des diplomatischen Konflikts infolge der Kaukasuskrise
nicht leisten können: Seit Ausbruch der Kämpfe sind binnen Tagen über 15
Milliarden Dollar an Währungsreserven aus Russland abgeflossen, der Leitindex
RTS hat einen Zwei-Jahres-Tiefstand erreicht. Mit einer andauernden Eiszeit
wären wohl Investoren geflüchtet. Insofern war es auch für Moskau höchste Zeit,
die teure Krise beizulegen.
09.09.2008 WirschaftsWoche
(Deutschland)
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Moskau will Kaukasus-Konflikt mit Straßenkarte
lösen
Moskau. Nach Informationen der Zeitung „Kommersant“ will Russland
am 9. September diplomatische Beziehungen zu Abchasien und Südossetien
aufnehmen. Vorher wird in Moskau jedoch mit Sarkozy, Solana und Barroso
verhandelt.
Die Mission der Europäischen Union will in Moskau die auf der
Außenministerkonferenz am Samstag in Avignon formulierten Forderungen vortragen:
Truppenabzug aus Kern-Georgien und Entsendung von internationalen Beobachtern.
Darauf hatten sich die Europäer nach einer „energischen, rüden Debatte“
geeinigt, wie es der französische Außenminister Kouchner formulierte.
Sollte Russland dem nicht zustimmen, käme die Frage der
Sanktionen wieder auf den Tisch, an der sich die Geister der 27 EU-Mitglieder
aber scheiden. Während zum Beispiel die Baltischen Staaten und Polen für eine
vehemente „Bestrafung“ Russlands eintreten, wollen Deutschland und Frankreich
auf eine „Modernisierungspartnerschaft“ mit Russland setzen.
Moskau will Straßenkarte zur Konfliktlösung
EU-Chefdiplomat Javier Solana will Dmitri Medwedew
heute einen Plan unterbreiten, laut dem 150-200 Blauhelme in die Konfliktregion
entsendet werden sollen. Seine Bereitschaft dazu hatte Moskau schon mehrmals
signalisiert, zumal dem Kontingent auch russische Vertreter angehören sollen.
Darüber hinaus „werden wir zusätzliche Prinzipien
der Regulierung der Situation in Südossetien vorschlagen“, lässt ein
hochgestellter Mitarbeiter des russischen Außenministeriums verlauten: „Es geht
um eine Art Straßenkarte für die feste Sicherheit in
Abchasiens
und Südossetien“.
In seinem Gespräch mit Sarkozy werde Medwedew
Folgendes unterbreiten: Die Entsendung von OSZE-Beobachtern in die Konfliktzone
um Südossetien
, Diskussion der Fragen um die Stationierung von internationalen
Polizeikräften in der Zone des georgisch-ossetischen Konflikts und eine
Vereinbarung zwischen
Georgien
und Südossetien über den Verzicht auf Gewalt.
Moskau will auf die EU zugehen
In Moskau hatte man zuletzt am Samstag ein
Entgegenkommen signalisiert. Medwedew erklärte, sein Land wolle
„gutnachbarschaftliche Beziehungen“ zur EU. Er ließ aber auch keinen Zweifel
daran, dass der Westen „nun wieder mit Russland rechnen muss“.
Europa hat ebenfalls ein Interesse an guten Beziehungen zu
Russland – auch, um sich auf der politischen Weltbühne gegen den „großen Bruder“
USA zu behaupten. Es ist also zu hoffen, dass die „Säbelrassler“ in der EU im
Endeffekt das Nachsehen haben werden – zugunsten von Frieden und Zusammenarbeit.
08.09.2008 Russland Aktuell (Russland)
***
Georgien klagt vor Uno-Gericht gegen Russland
Georgien und Russland tragen den Kaukasus-Konflikt
jetzt auch vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag aus.
Tiflis wirft der russischen Regierung vor, in
Abchasien und Südossetien «ethnische Säuberungen» zu organisieren. Georgiens
stellvertretende Justizministerin Tina Burjaliana forderte zum Auftakt des
Verfahrens das Gericht auf, mit einer einstweiligen Verfügung einzuschreiten.
Ethnische Georgier seien in den beiden abtrünnigen Provinzen einer von Russland
gesteuerten «Kampagne der Bedrohung und Verfolgung ausgesetzt».
Burjaliana warf Russland zudem vor, Georgiens
Unabhängigkeit «durch eine Politik des Teilens und Herrschens» zu unterminieren
und dafür die multiethnische Zusammensetzung der georgischen Bevölkerung
auszunutzen.
Schon seit Anfang der 90er Jahre habe Russland in
Abchasien und Südossetien separatistische Gruppen bewaffnet und diese zur
Vertreibung von mittlerweile 400'000 ethnischen Georgiern aufgestachelt,
erklärten Anwälte der Beschwerdeführer.
Gericht nicht zuständig
Anwälte Moskaus wiesen die Vorwürfe zurück und
erklärten zugleich, der Uno-Gerichtshof sei für den Disput gar nicht zuständig.
Das Leid von Menschen in den betroffenen Gebieten sei «bedauerlich», sagte
Chefanwalt Roman Kolodkin. Von gezielten Vertreibungen könne jedoch keine Rede
sein. Daher könne Georgien dafür auch keine Beweise vorlegen.
Er rief die 15 Uno-Richter auf, die Klage
abzuweisen. Kolodkin sagte zur Begründung, Georgien berufe sich auf das
internationale Abkommen zur Beseitigung der Rassendiskriminierung aus dem Jahr
1965. Dieses werde jedoch von Russland respektiert.
Dreitägige Anhörungen
Zunächst sind in dem Verfahren Anhörungen bis
Mittwoch vorgesehen. Danach nehmen Richter ihre Beratungen auf.
Das Uno-Gericht hätte allerdings keine
Möglichkeiten, eine Verfügung gegen Russland durchzusetzen. Es kann in
Streitfragen zwischen Staaten auf der Grundlage des Völkerrechts entscheiden -
umgesetzt wird das jedoch nur, wenn die betreffenden Regierungen eine solche
Entscheidung akzeptieren.
Moskau hatte Tiflis vor Beginn des Verfahrens
mehrfach «Aggression» und die wahllose Tötung von Zivilisten in den beiden
Kaukasus-Regionen vorgeworfen. Dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili
drohte Moskau mit einer Anklage als Kriegsverbrecher.
08.09.2008
Tagesanzeiger (Schweiz)
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Michail Saakaschwili?
Er war die Symbolfigur einer Revolution ohne
Blut und ohne Gewalt. Der Hoffnungsträger eines zerrissenen Georgiens. Nun
steht sein Name für Krieg und Niederlage Wer ist
Von Elke Windisch, Moskau
FÜR WAS FÜR EIN GEORGIEN STEHT PRÄSIDENT
MICHAIL SAAKASCHWILI?
Es ist erst wenige Jahre her, da ist er Teil eines
historischen Moments gewesen. Eines Moments, der Georgien prägen sollte. Im
November 2003 vollzieht sich mit der Revolution der Rosen erstmals auf dem
Gebiet der ehemaligen UdSSR ein gewaltfreier Machtwechsel. An der Spitze der
Bewegung steht Michail Saakaschwili, damals 34 Jahre jung. Er ist die
Symbolfigur der Hoffnung und des Neuanfangs. Der Machtwechsel in Georgien
bedeutet das Ende der bisher geltenden politischen Paradigmen. Demokratie und
sozial orientierte Marktwirtschaft, Kampf gegen Korruption, Mitgliedschaft in
der Nato und EU, Wiederherstellung der staatlichen Einheit Georgiens – das sind
die Kernpunkte in Saakaschwilis Regierungsprogramm, als er sich 2004 um das
Präsidentenamt bewirbt. Sätze, die 96 Prozent aller Georgier dazu bewegen, ihn
zu wählen.
Es ist ein zerrissenes Georgien, in rund einem
Drittel des Staatsgebiets hat die Zentralregierung in Tiflis seit Anfang der
Neunzigerjahre keinen Einfluss mehr. Separatistenregime, die Moskau mehr oder
minder offen unterstützt, herrschen in der muslimischen Schwarzmeerregion
Adscharien, in Abchasien und in Südossetien. Auch in der Pankissi-Schlucht an
der Grenze zum russischen Nordkaukasus, wo die Kistinen – ethnische Verwandte
der Tschetschenen – die Mehrheit stellen oder in der von Armeniern besiedelten
Südwestprovinz Dschawacheti schert man sich nicht um Gesetze und Verordnungen,
die aus Tiflis kommen. Die Wirtschaft liegt am Boden, mehr als die Hälfte der
georgischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Georgien gehört geografisch zu Asien und hat auch
dessen autoritäres Politikverständnis übernommen. Traditionen, denen sich
Saakaschwili nicht entziehen kann, vielleicht auch gar nicht entziehen will.
Denn er steht unter Erfolgszwang. Lange Debatten über Maßnahmen, die er für gut
und richtig hält, liegen ihm jedoch ebenso wenig wie Kompromisse zwecks
Organisation stabiler politischer Mehrheiten. Die beschafft er sich lieber durch
Personalentscheidungen, bei denen nicht die Kompetenz der Kandidaten, sondern
deren bedingungslose Loyalität zählt.
WELCHEN RÜCKHALT HAT ER NOCH – IM EIGENEN LAND
UND IM WESTEN?
Über Saakaschwili und seinen Regierungsstil lassen
sich einige Geschichten erzählen, die erklären, warum die Georgier sich von ihm
abwenden. Eine dieser Geschichten ist die von der Entlassung Georgi Chaindrawas.
Bei der Revolution der Rosen ist er einer der engsten Vertrauten Saakaschwilis
gewesen. Chaindrawa übernimmt dann als Staatsminister die Verhandlungen mit den
Separatistenregimen. Die Blaupause für einen Mehrstufenplan, der Südossetien und
Abchasien maximale Autonomie gegen Rückkehr in den georgischen Staatsverband
zusagt, stammt aus seiner Feder. Als er 2006 öffentlich vor Gewalt bei der
Wiederherstellung der staatlichen Einheit warnt – Verteidigungsminister Irakli
Okruaschwili hat gerade verkündet, er werde Neujahr im Kreise seiner Soldaten in
Südossetiens Hauptstadt Zchinwali feiern – muss Chaindrawa gehen. Neue
Chefunterhändlerin für Südossetien wird eine zwanzigjährige Frau, die
Saakaschwili zuvor bereits zu seiner Pressesprecherin gemacht hatte. Die Dame
sei dem Präsidenten sehr verbunden, beschreibt Chaindrawa das Verhältnis
Saakaschwilis zu seiner Chefunterhändlerin. Auf den Märkten in Tiflis dagegen
zerreißt sich das Volk das Maul über die „neue Flamme“ von Mischiko, wie es den
Staatschef inzwischen despektierlich nennt.
Die Liaison währt nicht lange. Als sich der Bauch
der jungen Dame rundet, trennt sich Saakaschwili von ihr – privat und beruflich.
Einen neuen Chefunterhändler für Südossetien
ernennt er nicht. Zum einen ist er fest entschlossen, die abtrünnige Region mit
Gewalt gefügig zu machen. Zum anderen fehlt es an Personal für Regierungsämter.
Denn Chaindrawa ist nicht der Einzige, den Saakaschwili mit seinem Führungsstil
verprellt hat. In der Opposition finden sich inzwischen komplette
Regierungsmannschaften wieder. Saakaschwili wechselt seine Premierminister und
andere hohe Amtsträger ähnlich schnell wie seine Hemden samt den mitunter
bizarren Krawatten. Vor allem Politiker mit Charisma und
Hoffnungsträger-Potenzial sind die Opfer der präsidialen Personalpolitik.
Dass sich Politiker wie Chaindrawa der Opposition
anschließen, hat nur bedingt mit persönlicher Kränkung zu tun. Ihre Beweggründe
sind vielmehr Enttäuschung über und Protest gegen eine Politik, die sie als
„Katastrophe“ und „Verrat nationaler Interessen“ empfinden, wie Chaindrawa
gesagt hat.
Zu Recht: Lange vor Beginn des Krieges um
Südossetien tappt Michail Saakaschwili, der seine Emotionen nicht im Griff hat,
nahezu in jede Bärenfalle, die Russland aufstellt. Für Saakaschwilis Fehler
bezahlen muss Georgien: Moskau verhängt ein Wirtschaftembargo, erlässt einen
Visumzwang.
Der Unmut in Georgien wächst und entlädt sich
schließlich im Herbst 2007. Die Opposition organisiert eine
Protestveranstaltung, an der 50 000 Menschen teilnehmen. Saakaschwili reagiert
mit Wasserwerfern und Tränengas. Bei den vorgezogenen Präsidentenwahlen im
Januar dieses Jahres bekommt er die Quittung. Er schrammt nur knapp an einer
demütigenden Stichwahl vorbei.
Diese Schmach tilgen und die Nation einen, das
kann er nur noch mit einem spektakulären Erfolg – mit einem Sieg über die
Separatisten, der auch den Weg in die Nato freimacht. Denn der Westen stellt als
Bedingung für eine Aufnahme Georgiens, dass die Probleme mit den abtrünnigen
Provinzen gelöst sein müssen.
Saakaschwili ignoriert die Warnungen seiner
Generäle, die ihm von dem Einmarsch in Südossetien abraten. Er will den
Georgiern beweisen, dass er nach wie vor mächtig ist. So mächtig, dass er ihr
Land einen kann – zur Not mit Gewalt.
Doch Saakaschwilis Generäle behalten recht, der
Einmarsch in Südossetien wird zum Desaster. Durch die Niederlage verliert der
Präsident nicht nur die Unterstützung des Militärs, sondern auch des Westens.
Der hat kein Interesse daran, das ohnehin angespannte Verhältnis zu Russland
weiter zu strapazieren. Anhänger der Verschwörungstheorie erklären die relativ
moderate Reaktion der USA und der Europäischen Union mit einem Deal in Sachen
Iran: Washington und Brüssel lassen Russland vorübergehend freie Hand im
südlichen Kaukasus, dafür unterstützt Moskau schärfere Sanktionen gegen Teheran.
WAS HAT MICHAIL SAAKASCHWILI GEPRÄGT?
Der Konflikt um Südossetien ist im Kern ein
Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA. Vor allem deswegen konnte
sich Saakaschwili so lange der Gunst des Westens sicher sein – selbst dann noch,
als der Westen feststellen musste, dass ein demokratisch gewählter Politiker
nicht zwingend auch ein Demokrat ist. Nicht einmal Saakaschwilis Sozialisierung
im Westen konnte seinen Wandel vom Paulus zum Saulus verhindern.
Nach dem Ende seines Studiums in Kiew macht
Saakaschwili sich auf nach Westeuropa: Er lernt am Internationalen Institut für
Menschenrechte in Straßburg und in Oslo, dann an den Europarecht-Akademien in
Florenz und Den Haag. 1994 geht er in die USA. In New York immatrikuliert er
sich an der Rechtsfakultät der Columbia-Universität und arbeitet parallel zum
Studium in einer Anwaltskanzlei.
Trotz glänzender Karriereaussichten geht er 1995
zurück nach Georgien. Wieder in der Heimat, macht er das, was in den Ländern der
einstigen Sowjetunion mit „Nähe zum Körper“ umschrieben wird: Saakaschwili sucht
den Schulterschluss mit der Regierungspartei, der „Bürgerunion“ von Eduard
Schewardnadse. Er steigt schnell auf. Dann wendet er sich gegen seinen
politischen Ziehvater, wirft ihm Korruption, Demokratiedefizite und mangelnde
Eignung für das höchste Staatsamt vor. „Schewardnadse ist unser größtes
Problem“, sagt Saakaschwili 2001, legt sein Amt als Justizminister nieder und
gründet eine eigene Partei, die „Nationale Bewegung“. Sie wird zur führenden
Kraft der Opposition und der Rosenrevolution, die Schewardnadse drei Jahre
später zum Rücktritt zwingt.
WIE SIEHT SAAKASCHWILIS POLITISCHE ZUKUNFT AUS?
„Saakaschwili ist unser größtes Problem“, sagt Oppositionsführer Chaindrawa
heute. Russlands Präsident Dmitri Medwedew nennt ihn sogar eine „politische
Leiche“. Womöglich zu Recht. Noch schützen das Kriegsrecht und die von Russland
ausgehende Bedrohung Saakaschwili vor unbequemen Fragen. Und vor dem Protest des
Volkes.
Dennoch fällt selbst unverbesserlichen Optimisten
zu seiner politischen Zukunft nur ein Wort ein: Tiefschwarz.
07.09.2008 Tagesspiegel
(Deutschland)
***
Ein Krieg, der nur die Zivilisten unvorbereitet traf
Russland und Georgien haben die
militärische Auseinandersetzung in Abchasien und Südossetien Schritt für
Schritt geplant
FLORIAN HASSEL, MOSKAU
Der Krieg im Kaukasus war willkommen. Russland
und Georgien hatten den militärischen Schlagabtausch längst in ihre
Strategien einbezogen. Schon seit dem 4. April lief der Countdown.
Wenn Historiker den Fünftagekrieg im Kaukasus
rekonstruieren, dürfte der 4. April 2008 gute Chancen auf den Titel "Beginn
des Countdowns zum Krieg" haben.
An diesem Tag kam Russlands damaliger
Präsident Wladimir Putin zum Nato-Gipfel nach Bukarest. Putin war wütend.
Tags zuvor hatte die Nato der Ukraine und Georgien die Aufnahme zugesagt -
wenn auch ohne festen Zeitplan. Beim Mittagessen kündigte Putin Russlands
Antwort an: So wie der Westen das Kosovo, werde Moskau Abchasien und
Südossetien anerkennen und eine Pufferzone zwischen der Nato und seinen
Grenzen schaffen.
Für Putin war Bukarest offenbar Auslöser für
einen radikalen Kurswechsel: in Richtung der Annexion Südossetiens und
Abchasiens, und sei es durch einen Krieg - der obenhin den Vorteil hatte,
Russlands Dominanz in der Region wiederherzustellen und natowillige Länder
einzuschüchtern.
Am 30. Mai schickte Moskau 400 Ingenieure und
Pioniere der Eisenbahntruppen nach Abchasien, um eine von Russland durch
Abchasien nach Georgien führende defekte Eisenbahnlinie zu reparieren. Auch
in Südossetien wurde das russische Militär aktiv. Auf einer Militärbasis in
der Stadt Dschawa heuerten neu eingetroffene russische Offiziere und
Militärberater Ortskräfte für das lokal fürstliche Gehalt von 1000 Euro an,
berichtete ein Südossete der International Crisis Group.
Anfang Juli wurden im russischen Generalstab
der Verbindungschef und der Leiter der Abteilung Operative Planung
ausgetauscht. Neuer Vize-Generalstabschef wurde der Luftwaffengeneral
Anatoli Nogowizyn. Auch der Oberkommandeur der russischen Bodentruppen wurde
ausgetauscht. Das Magazin New Times hält es für "sehr wahrscheinlich", dass
diese Postenrochade der Vorbereitung "der georgischen Kampagne" diente.
Die neuen Kommandeure bekamen viel zu tun.
Mitte Juli probten in Nordossetien und anderen südrussischen Regionen mehr
als 8000 Fallschirmspringer und andere Soldaten den Krieg. Nach Manöverende
wurden die Soldaten nicht in den Urlaub entlassen. Manche kamen anschließend
sofort nach Wladikawkas in die Nähe des nach Südossetien führenden
Roki-Tunnels und wurden in erhöhter Gefechtsbereitschaft gehalten. Auch die
Georgier waren nicht untätig. Präsident Michail Saakaschwili verfolgte
konsequent sein Ziel, die territoriale Integrität Georgiens wieder
herzustellen.
Putins Aufwertung der Moskauer Beziehungen zu
Südossetien und Abchasien nahmen Saakaschwili und die ihn umgebenden Falken
als Signal, ihrerseits den Krieg vorzubereiten. Ende Juni berichtete ein in
Georgien stationierter hochrangiger ausländischer Militär, die Georgier
hätten Mitte April "eine Großoffensive zur Rückeroberung Abchasiens
vorbereitet". Dafür seien auf der 2006 in der Nähe Abchasiens eröffneten
georgischen Militärbasis Senaki "bis zu 12 000 Soldaten zusammengezogen und
in Kampfbereitschaft versetzt worden, darunter Panzer- und
Artillerieeinheiten". Dem Informanten zufolge "erfuhren die Russen von dem
geplanten Angriff und schickten ab dem 29. April innerhalb von zwei Tagen
500 bestens ausgerüstete Elite-Fallschirmspringer und zwei
Artillerieeinheiten nach Abchasien. Außerdem machten sie den Georgiern klar,
dass im Konfliktfall sehr viel mehr russische Soldaten kommen würden. Die
Georgier haben die Offensive daraufhin abgeblasen", so der Militär. Dies war
offenbar nicht der einzige Angriffsplan der Georgier.
Das Bundespresseamt wollte Ende Juni eine
Anfrage, ob zutreffe, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel Saakaschwili bei
einem Berlin-Besuch vor einem Krieg gewarnt habe, weder bestätigen noch
dementieren. Ein hochrangiger europäischer Diplomat sagte der International
Crisis Group im Juli, deutsche, europäische und US-Diplomaten hätten
Saakaschwili mehrmals von einem Angriff abgebracht. Jede Warnung habe
freilich nur "für ungefähr zwei Wochen gewirkt". US-Außenministerin
Condoleezza Rice will Saakaschwili bei einem Abendessen in Tiflis am 9. Juli
ausdrücklich gewarnt haben, einen Krieg zu beginnen.
Anfang August brach in Südossetien der ohnehin
wackelige Waffenstillstand zwischen Südosseten und Georgiern vollends. Am 1.
August verletzten Südosseten mit einer Bombe fünf georgische Friedenstruppen
- die Georgier beschossen daraufhin Zchinwali mit Granaten. Südosseten und
Russen versuchten offenbar, die Georgier als erste zu einem größeren Angriff
zu bewegen, um ihrerseits einen geplanten Krieg zu beginnen. Ab dem 2.
August brachten die Südosseten tausende Frauen und Kinder mit Bussen und
Privatwagen durch den Roki-Tunnel nach Russland. Doch für jeden Flüchtling
"gingen zwei Freiwillige nach Süden", berichtete ein am Grenzübertritt
Nischny Saramag stationierter russischer Grenzbeamter unmittelbar nach
Kriegsbeginn. Den offiziellen Beginn des Fünftagekrieges leiteten die
Georgier am späten Abend des 7. August ein. Um 23.05 Uhr lokaler Zeit
erklärte General Mamuka Karaschwili im georgischen Fernsehen: "Die
georgischen Führungsorgane haben beschlossen, in der ganzen Region die
verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Alles verläuft nach Plan."
Eine halbe Stunde später begannen georgische Einheiten mit massivem
Artilleriebeschuss Zchinwalis - der Beginn einer Blitzoffensive zur
Eroberung Südossetiens.
Die Russen waren jetzt frei, ihren
Schlachtplan in die Tat umzusetzen. Schon zwei Stunden später meldete das
nordossetische Fernsehen: "Eine Militärkolonne mit Soldaten und
Panzerfahrzeugen fährt zum Grenzpunkt Nischny Saramag. Die (süd-)ossetischen
Kräfte müssen sich nur noch wenige Stunden halten."
In Abchasien rückten schon am 10. August 9000
russische Fallschirmspringer mit 350 Panzerfahrzeugen ein - über die
Eisenbahnstrecke, die ihre Kollegen von den Eisenbahntruppen elf Tage zuvor
fertiggestellt hatten.
Die im Kriegsgebiet arbeitende russische
Autorin Julia Latynina schätzt, dass Russland mindestens 25,000 Soldaten und
1200 Panzerfahrzeuge einsetzte. Um die so schnell bereitzustellen, hätten
"ein paar Tage, selbst ein paar Wochen nicht ausgereicht".
06.09.2008 Heidenheimer Zeitung
(Deutschland)
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Verbündete verweigern Russland in Georgien-Politik Gefolgschaft
Moskau (Reuters) - Mehrere mit Russland verbündete Nachfolgestaaten der
Sowjetunion haben der Regierung in Moskau die Gefolgschaft bei der Anerkennung
der abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien verweigert.
Zum Abschluss eines Ministertreffens in Moskau
zeigten sich die Mitglieder der Vertragsorganisation für kollektive Sicherheit
am Donnerstag zwar "zutiefst besorgt über Georgiens militärische Aktivität in
Südossetien". Ihre Abschlusserklärung enthielt jedoch keinen Hinweis auf eine
geplante Anerkennung der beiden Regionen, wie ihn sich Russland gewünscht hatte.
Stattdessen hieß es lediglich, Russland nehme eine aktive Rolle als Garant für
die Sicherheit im Kaukasus wahr. Die Ereignisse um Südossetien hätten zudem "die
Gefahr doppelter Standards in den internationalen Beziehungen gezeigt".
Russland hatte im August Abchasien und Südossetien als Konsequenz des Kriegs
mit Georgien als unabhängige Staaten anerkannt und damit Proteste westlicher
Regierungen ausgelöst. Dem Schritt schloss sich bislang aber nur Nicaragua an.
Vergangene Woche hatte sich bereits der Shanghai-Kooperationsrat, dem neben
Russland China und vier zentralasiatische Staaten angehören, dem Wunsch der
Regierung in Moskau nach Unterstützung in dieser Frage verschlossen.
Der Vertragsorganisation gehören neben Russland Weißrussland, Armenien,
Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan an.
04.09.2008
REUTERS Deutschland
(Deutschland)
***
Russischer Oppositioneller verurteilt Anerkennung
Südossetiens und Abchasiens
Moskaus Vorgehen im Kaukasus-Konflikt könnte
Russland in eine internationale Isolation führen, fürchtet Oppositionspolitiker
Nikita Belych, der Führer der Union Rechter Kräfte (SPS).
DW-Russisch: Welche Folgen wird die Anerkennung der Unabhängigkeit
Südossetiens und Abchasiens für Russland haben?
Nikita Belych: Die von Medwedjew unterzeichneten Erlasse über die
Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens sind aus meiner Sicht das
schlechteste und gefährlichste Szenario, wie sich die Beziehungen im
russisch-georgischen Konflikt hätten entwickeln können. Ich denke, dass
Präsident Medwedjew gezwungen war, so zu handeln, denn sehr viele Ereignisse
waren von einer jahrelangen kurzsichtigen Außenpolitik der russischen und
georgischen Seite, aber auch der EU und der USA vorbestimmt. Aber der Beschluss
Russlands, die Unabhängigkeit der kaukasischen Republiken anzuerkennen, wird in
Zukunft sowohl der Wirtschaft der Russischen Föderation, als auch der innen- und
außenpolitischen Lage ernsten Schaden zufügen.
Könnte Russland in eine wirkliche internationale Isolation geraten?
Ich hoffe, dass die russische Führung und die internationale Gemeinschaft
alles unternehmen werden, um dies zu verhindern. Aber man kann heute ein solches
Szenario nicht mehr ausschließen. Russland begibt sich auf einen gefährlichen
Weg. Indem es die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens anerkennt, macht es
deutlich, dass es keine Rücksicht auf die Meinung der internationalen
Gemeinschaft nimmt. Natürlich sind noch nicht alle Chancen für normale
Arbeitsbeziehungen zwischen Russland und der NATO, zwischen Russland und der
Europäischen Union verspielt. Aber in letzter Zeit wurden ernstzunehmende
Schritte in Richtung internationale Isolation unternommen.
Was glauben Sie, wer hat die Entscheidungen getroffen, Dmitrij Medwedjew oder
Wladimir Putin?
Es ist letztlich natürlich eine Entscheidung des Präsidenten Dmitrij
Medwedjew, die aber in vielerlei Hinsicht von der Außenpolitik vorbestimmt war,
die in den vergangenen Jahren von Wladimir Putin verfolgt wurde. Ich denke, dass
die internationale Gemeinschaft bereit ist, Medwedjew als adäquaten Partner zu
betrachten und auch Verständnis dafür aufzubringen, dass vieles in seinen
Entscheidungen, die er als Präsident buchstäblich in den ersten Monaten seiner
Regierungszeit treffen musste, nicht im Zusammenhang mit seiner Politik stehen,
sondern mit der seines Vorgängers.
Wie steht es denn um die außenpolitischen Initiativen, die Medwedjew ganz am
Anfang zur gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur vorlegte?
Ich denke, dass man sie jetzt begraben muss. Aber schon bald werden wir dazu
Antworten und viele andere Fragen erhalten.
Wie wird Ihrer Meinung nach die Reaktion der unmittelbaren Nachbarn Russlands
ausfallen?
Die künftigen Beziehungen werden sich jedenfalls nicht verbessern. Georgien
und die Ukraine werden kurzfristig in die NATO kommen, vielleicht schon im
Dezember dieses Jahres.
Das Gespräch führte Wladimir Sergejew
04.09.2008 Deutsche Welle World
(Deutschland)
***
EU verurteilt Russlands Einmarsch - Schweiz hofft
auf Lösung
Tiflis - Das Europaparlament hat eine
Überprüfung der Beziehungen zu Russland gefordert. Gleichzeitig verurteilte
es den Einmarsch russischer Truppen in Georgien als "inakzeptabel und
unverhältnismässig".
Es gebe keinen legitimen Grund für die Einwanderung in Georgien, heisst es
in einer mit grosser Mehrheit verabschiedeten Entschliessung. Das in Brüssel
tagende Parlament forderte Russland auf, seine Truppen umgehend und
vollständig aus Georgien abzuziehen, wie dies der Sechs-Punkte-Friedensplan
vorsieht.
Die militärische Präsenz Russlands in den abtrünnigen georgischen Provinzen
Südossetien und Abchasien müsse sich auf "friedenserhaltende Massnahmen"
beschränken, heisst es in der Entschliessung. Sollte Russland den
Friedensplan nicht einhalten, müsse die EU ihre Beziehungen zu Moskau
"überprüfen".
Am Montag hatten die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten bei einem
Sondergipfel zur Kaukasus-Krise in Brüssel beschlossen, die im Juli
begonnenen Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen solange
auszusetzen, bis Russland seine Truppen aus Georgien abgezogen hat. Diesen
Beschluss begrüsste das Parlament ausdrücklich.
Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und
Georgien hat die russische Botschaft in der Zwischenzeit ihre Arbeit in
Tiflis eingestellt.
"Seit gestern geht nichts mehr", sagte Botschaftssprecher Alexander Sawonow
der Nachrichtenagentur AFP. Der Konsularbereich sei ebenfalls geschlossen
worden. Georgien hatte Freitag wegen des Kaukasus-Konflikts die
diplomatischen Beziehungen zu Russland abgebrochen.
Die Schweiz nimmt "mit Besorgnis" Kenntnis von der Lage in Georgien. Sie
bedauert, dass es nach dem Einmarsch russischer Truppen noch nicht gelungen
sei, die Lage zu beruhigen. Der Bundesrat hofft auf eine politische Lösung.
Wie Bundesratssprecher Oswald Sigg erklärte, hat die Landesregierung auf
Grund eines Aussprachepapiers des Aussenministeriums (EDA) ihre Haltung in
einer Erklärung zum Konflikt in Georgien formuliert.
03.09.2008 Swissinfo (Schweiz)
***
Die Abrechnung des Altkanzlers
Der Westen hat alles falsch, Moskau fast alles richtig gemacht:
Wie Gerhard Schröder die Weltlage bei einem Benefizdinner der Arbeiterwohlfahrt
erklärt.
Von Thorsten Denkler, Berlin
Gerhard Schröder hat 45 Minuten. Es werden nur 35. Mehr braucht
der Altkanzler nicht, um den Kaukasuskonflikt zu lösen. Das tut er am
Montagabend in der Hauptstadt im Hotel Maritim, Saal Berlin, 18 Kronleuchter
schmücken die Decke.
Ein Benefizdinner der Arbeiterwohlfahrt. Wer bei Schröders
Erklärung der politischen Großwetterlage dabeisein wollte, zahlt dafür 150 Euro
pro Platz, 2500 Euro kostet ein Tisch für zehn Personen. 150 zahlende Gäste sind
da. Der Erlös kommt dem Notfallfonds der AWO International zugute.
Das Geld wird gebraucht, wenn es irgendwo brennt auf der Welt. Im
Kaukasus brennt es gerade gewaltig. Da passt es gut, wenn Schröder spricht, der
Russland-Freund, für den Premierminister Wladimir Putin ein "lupenreiner
Demokrat" ist.
Schröder hebt Steinmeier hervor
Es trifft sich auch gut, dass an diesem 1. September, dem Tag des
Weltfriedens, die Europäische Union auf ihrem Sondergipfel in Brüssel
beschließt, die kommende Verhandlungsrunde über ein Kooperationsabkommen mit
Russland zu verschieben.
Schröder gibt das die Gelegenheit, mal ein paar Dinge gerade zu
rücken. Mitnichten sei Russland der Aggressor im Südkaukasus. "Es kommt schon
darauf an, fair festzustellen, wer das denn begonnen hat", sagt Schröder. Der,
der das begonnen hat, sitzt in Tiflis, meint der Sozialdemokrat.
Noch im Juli habe Außenminister Frank Walter Steinmeier - auch
ein Sozialdemokrat, worauf Schröder deutlich hinweist - einen
Drei-Punkte-Friedensplan vorgeschlagen, der eine friedliche Lösung des
Konfliktes im Südkaukasus hätte ermöglichen können. "Ich weiß", sagt Schröder,
dass die russische Führung "ein ernsthaftes Interesse" an einer solchen Lösung
gehabt habe.
Nur einer offenbar nicht. Es habe vielleicht "überzogene
Reaktionen" Moskaus gegeben, sagt Schröder. Doch "diese Friedenschance ist, und
das muss man klar benennen, in erster Linie durch den georgischen Präsidenten
Saakaschwili ausgeschlagen worden." Russland in der Opferrolle, das ist
Schröders Lesart der Krise.
Und nicht nur Saakaschwili habe Russland in eine Situation
gebracht, in der sich das Land eingekreist fühlen müsse. Es sei der gesamte
Westen gewesen, der in der jüngsten Zeit mit einer Reihe von "schweren Fehlern"
die Beziehungen zu Russland aus einer Phase der konstruktiven Zusammenarbeit in
eine "Spirale der Konfrontation" geführt habe.
Schröder benennt etwa die Pläne für ein US-Raketenabwehrsystem in
Osteuropa. Vor allem aber die einseitige Anerkennung des Kosovo. Er, Schröder,
habe schon damals gewarnt, die Anerkennung könne als "Blaupause für andere
Konflikte dienen". Genau so sei es jetzt gekommen. Ein Lächeln huscht über sein
Gesicht zu, als er das sagt. Schröder ist einer, der am Ende gerne Recht behält.
Schröders Nein zum Nato-Beitritt Georgiens
Nur: In der Bewertung der Kaukasus-Krise steht er
im Moment ziemlich alleine da. Die EU beschließt eine Verhandlungspause.
Schröder mahnt Gesprächsbereitschaft an, weil es nur mit, aber nicht ohne
Russland gehe.
Kanzlerin Angela Merkel stellt Georgien eine Mitgliedschaft der
Nato in Aussicht - für Schröder das Letzte, was jetzt anstehe. Mehr noch: "Ich
halte das für ausgeschlossen, dass man das vereinbaren kann."
Es ist, als würde der russische Botschafter selbst sprechen. Weil
das nicht der Fall ist, kann seine Rede auch als Breitseite gegen die
Außenpolitik der christdemokratischen Kanzlerin und damit alle Russlandskeptiker
gedeutet werden. Zu denen er seinen früheren Adlatus Steinmeier freilich nicht
rechnet.
Die Botschaft dürfte klar sein: Er hätte es besser gemacht.
02.09.2008 Süddeutsche
(Deutschland)
***
Russlands Interessen im Kaukasus
Beide Kammern des russischen Parlaments haben
für die Unabhängigkeit der beiden abtrünnigen georgischen Provinzen
Südossetien und Abchasien votiert. Kremlchef Präsident Dmitri Medwedjew hat
den Antrag unterzeichnet und damit die beiden Länder als selbstständig
anerkannt. Was treibt Russland zu dieser Politik?
Von Ulrich Heyden
Als die beiden Kammern des russischen Parlaments
für einen Antrag stimmten, der die Unabhängigkeit der beiden abtrünnigen
georgischen Provinzen, Südossetien und Abchasien unterstützt, waren die
Präsidenten von Abchasien und Südossetien, Sergej Bagapsch und Eduard Kokoity
dabei. Sie waren sowohl bei der Abstimmung im Föderationsrat als auch in der
Duma zugegen. Vor der Duma durften die beiden Präsidenten ihre Forderung nach
Unabhängigkeit selbst begründen.
Weshalb Kreml-Chef Medwedjew die Anerkennung
befürwortete
Russland hat mit der Anerkennung von Südossetien
und Abchasien lange gezögert. Man fürchtete die Nebenwirkungen. Putin hatte den
Westen schon letztes Jahr gewarnt, bei einer Anerkennung des Kosovo, könne man
auch Abchasien und Südossetien anerkennen. Den Westen ließ das damals kalt.
Dass die Anerkennung nun erfolgte, hängt offenbar mit dem Angriff der
georgischen Truppen auf Südossetien zusammen. Damit war aus Sicht des Kremls
eine rote Linie überschritten. Tiflis zeigte seine Bereitschaft die abtrünnigen
Gebiete militärisch zurückzuerobern. Moskau wäre die Beibehaltung des Status
quo, d.h. Abchasien und Südossetien bleiben nicht anerkannte, umstrittene
Gebiete, lieber gewesen. Denn damit hätte man den Nato-Beitritt Georgiens
verzögern können ohne sich dem Vorwurf des Okkupanten auszusetzen. Nun wurden
die beiden Gebiete also anerkannt. Die Folgen können Moskau nicht völlig egal
sein.
Welche Strategie verfolgt Russland im Kaukasus?
Südosseten und Abchasen wollen nach blutigen
Bürgerkriegen Anfang der 1990er Jahre nicht zurück in den georgischen
Staatsverband. Russland hat sich diesen Umstand zu Nutze gemacht und in den
abtrünnigen georgischen Provinzen großzügig russische Pässe ausgegeben und die
Rentenzahlungen übernommen. Um Südossetien an das russische Gasnetz
anzuschließen, wurde extra eine Pipeline über die Kämme des Kaukasus nach
Zchinwali verlegt. Mit der Stärkung der abtrünnigen Provinzen versucht Russland
die Mitgliedschaft Georgiens in der Nato zu vereiteln. Russland fürchtet, dass
es von den reichen Öl- und Gas-Lagerstätten im Kaspischen Meer und von den
Staaten im Mittleren Osten abgeschnitten wird. Der Kreml fühlt sich durch das
Vorrücken der Nato an die Grenzen Russlands getäuscht, denn Anfang der 1990er
Jahre war der sowjetischen Führung mündlich versichert worden, die Nato werde
nicht an die Grenzen Russlands vorrücken.
Wann ziehen Russlands Truppen aus dem georgischen
Kernland ab?
Russland hat den Großteil seiner Truppen aus dem
georgischen Kernland abgezogen. Es gibt aber noch bewaffnete
Straßen-Kontrollpunkte in der Hafenstadt Poti und anderen Städten. Russland
argumentiert, diese Kontrollpunkte seien durch das von Sarkozy ausgehandelte
Sechs-Punkte-Waffenstillstandts-Abkommen gedeckt, das Russland zusätzliche
Sicherheitsmaßnahmen zubilligt. In der russischen Elite ist man der Meinung,
dass das russische Vorgehen in Georgien nicht schlimmer ist, als die
völkerrechtsmäßig umstrittenen Luftangriffe der Amerikaner in Belgrad, Bagdad
und Kandahar.
Was geschieht jetzt mit Abchasien und
Nordossetien?
Die Führer der beiden abtrünnigen georgischen
Provinzen vertreten, Segej Bagapsch und Eduard Kokoity vertreten den Willen
ihrer Bürger, die nach den Bürgerkriegen Anfang der 1990er Jahre nicht nach
Georgien zurückwollen. Zu spät hat die EU versucht, den beiden Provinzen andere
Lösungen anzubieten, welche Russlands Rolle gemindert hätten. Den Bitten von
Bagapsch und Kokoity nach einer verstärkten russischen Militär-Präsenz in
Abchasien und Südossetien, kommt die russische Militär-Führung nur zu gerne
nach. Was die russische Militär-Präsenz in den abtrünnigen georgischen Provinzen
betrifft, stehen sich zwei Maximal-Positionen gegenüber: Das russische Militär
will seine Präsenz ausbauen, Michail Saakaschwili will die russischen
Friedenstruppen durch Soldaten eines internationales Friedens-Kontingents
ablösen, was die abtrünnigen Provinzen aber nicht akzeptieren wollen.
Welche Auswirkungen hat der Konflikt auf den
russischen Teil des Kaukasus?
Moskau versucht das Vertrauen der Tschetschenen
durch großzügigen Infrastruktur-Hilfen zurück zu gewinnen. Die Polizeitruppe des
von Putin eingesetzten Präsidenten Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, verbreitet
Angst und Schrecken in der Bevölkerung. Gleichzeitig wirbt Kadyrow um die
Rückkehr von nach Europa geflüchteten Separatisten, zum Teil mit Erfolg. Die aus
ehemaligen Separatisten bestehenden tschetschenischen Bataillone „Wostok“ und „Sapad“
schickte man zur Unterstützung der russischen Truppen in das südossetische
Zchinwali. Die russischen Teilrepubliken Dagestan und Inguschetien bleiben
instabil. Es vergeht kein Tag ohne terroristische Anschläge oder
Säuberungsaktionen der Sicherheitsorgane. Vor dem Hintergrund von Korruption,
hoher Arbeitslosigkeit und Polizei-Willkür, hat sich ein Netzwerk islamistischer
Extremisten gebildet.
Wie reagieren andere Republiken im Kaukasus auf
den Konflikt?
Die Führungen von Aserbaidschan und Armenien, die
Angela Merkel zusammen mit Georgien - ohne Russland - zu einer von der EU
organisierten „Nachbarschaftskonferenz“ an einen Tisch holen will, haben sich
bisher mit Erklärungen zum Krieg in Georgien zurückgehalten. Auffällig ist
jedoch, dass sich auch die Lage um Nagorni-Karabach, die armenische Enklave in
Aserbaidschan, die sich 1988 für unabhängig erklärte, verschärft. Im März gab es
an der Front-Linie zwischen Nagorni-Karabach und dem aserbaidschanischen
Kernland ein Feuergefecht mit 20 Toten. Aserbaidschan fürchtet, dass
Nagorni-Karabach sich, wie schon Südossetien und Abchasien die Unabhängigkeit
des Kosovo zu Nutze macht und ebenfalls auf einer internationalen Anerkennung
besteht.
31.08.2008 Eurasisches Magazin
(Deutschland)
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Abchasiens "rosarote" Zukunft

Russland hat Abchasien
als unabhängigen Staat
anerkannt
Abchasien ist eine der abtrünnigen Regionen
Georgiens, die Russland als unabhängigen Staat anerkannt hat. Über das kleine
Land zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus ist nicht viel bekannt.
"Land der Seele“ heisst das idyllische Stück
Schwarzmeerküste in der Sprache der Abchasen. Hier ist alles Grün, genährt vom
feuchten, fast subtropischen Klima. Auf der einen Seite das Meer, auf der
anderen Seite erheben sich majestätisch die Gipfel des Kaukasus. Zu
Sowjet-Zeiten nannte man das Land Rote Riviera. Alle Moskauer Parteichefs, von
Stalin bis Gorbatschow, besaßen hier ihre Datschen.
Neue Brücken bauen

Abchasien war ein
Urlaubsparadies für Moskauer Parteichefs
Heute erinnert nur noch wenig an die einstige Pracht. Die
Seebrücken, an denen in guten Zeiten russische und türkische Kreuzfahrtschiffe
anlegten, sind zusammengebrochen. Die meisten der alten Kurhotels an der
Hafenpromenade von Suchumi liegen zerschossen da. Sie sind zerstört seit dem
blutigen Krieg gegen Georgien von vor 15 Jahren.
Doch heute haben die rund 300.000 Einwohner Abchasiens eine
eigene Verfassung, ihre eigene Gesetzgebung, eine Hymne und eine Staatsflagge.
Seit neuestem haben sie auch die Anerkennung des großen Nachbarn Russlands. Dass
es für den Rest der Welt völkerrechtlich weiterhin Teil Georgiens ist, kümmert
den Außenminister des De-Facto-Staates nicht. Warum, so fragt Sergej Schamba,
bekommen wir versagt, was dem Kosovo zugestanden wurde, nämlich die
Unabhängigkeit?
„Nach dem Unabhängigkeitskrieg vor 15 Jahren waren wir mit den
Georgiern kurz davor, eine Einigung über eine staatliche Konföderation zu
erzielen. Die georgische Seite hat dann auf Zeit gespielt, sagt der
Außenminister. 1999 habe Abchasien ein Referendum durchgeführt, worin sich die
Mehrheit der Abchasen für eine staatliche Unabhängigkeit ausgesprochen habe.
Seitdem könnte diese mit Georgien nur auf der Grundlage von zwei souveränen
Staaten verhandeln.
Eine bewegte Geschichte

Abchasien hat eine eigene Flagge, eine eigene Hymne und eine
Verfassung
Im August 1992 marschierten georgische Truppen
nach Abchasien ein, denn Georgien wollte den Unabhängigkeitswillen der Abchasen
brechen. Diese wehrten sich jedoch fanatisch, unterstützt von Söldnern aus
anderen Kaukasusrepubliken und der Türkei. Auf beiden Seiten kam es dabei zu
Morden und Plünderungen. Nach einem Jahr mussten die Georgier geschlagen wieder
abziehen. Der brutale Bürgerkrieg forderte mehrere tausend Tote auf beiden
Seiten.
Abchasien erklärte sich daraufhin für unabhängig
von Georgien. Als Reaktion darauf wurde das Land mit einer internationalen
Blockade belegt. Keiner durfte hinaus, auch die Russen hielten die Grenze
geschlossen und erlaubten nur wenigen eine Fahrt nach Moskau. Seit 15 Jahren ist
in dieser so genannten Konfliktzone eine Friedenstruppe der GUS-Staaten
stationiert. Sie besteht ausschließlich aus russischen Soldaten.
Verluste auf der Goldwaage

200.000 Georgier mussten aus Abchasien fliehen
Abchasen wie die pensionierte Lehrerin Mira
Inalipa, die einen Sohn im Unabhängigkeitskrieg verloren hat, sehen die Russen
als Beschützer. Diese Ansicht hat sich durch den Angriff der Georgier auf
Süd-Ossetien verstärkt. Für sie ist eine Rückkehr der 200.000 Georgier, die nach
dem Krieg aus Abchasien fliehen mussten, unvorstellbar. „Solange die Generation
lebt, die diesen Krieg erlebt hat, wird es keine Versöhnung geben“, sagt die
Lehrerin. Die Verluste auf abchasischer Seite seien viel höher gewesen als auf
georgischer.
Anfang August wäre es neben dem Konflikt um
Süd-Ossetien in der Schwarzmeerprovinz um ein Haar zu einer zweiten Kriegsfront
gekommen. Auch dort mussten die Georgier vor drei Wochen eine militärische
Niederlage hinnehmen: das nordwestlich gelegene Kodori-Tal, das georgische
Truppen erst vor zwei Jahren von den Abchasen zurückerobert hatten, holten sich
abchasische und russische Einheiten nach kurzem Kampf zurück.
Traumziel für Touristen?

Für das Olympische Dorf in Sotschi sollen Materialien aus
Abchasien verwendet werden
Bereits im April dieses Jahres hob Moskau
einseitig das Embargo gegen Abchasien auf. Seitdem beteiligen sich Russen aktiv
beim Wiederaufbau: 350 Millionen Dollar russische Investitionen sollen nächstes
Jahr nach Abchasien fließen. Besonders die Hotels werden von Moskauer
Unternehmen wieder aufgebaut, die abchasischen Behörden rechnen in mit zwei
Millionen russischen Touristen jährlich. 2014 finden in der russischen
Schwarzmeerstadt Sotschi, die eine halbe Autostunde von der abchasischen Grenze
entfernt liegt, die Olympischen Winterspiele statt. Das Olympische Dorf soll mit
Baumaterialien und Fachkräften aus Abchasien errichtet werden.
Nicht Mitgefühl für ein staatenloses Volk, sondern
handfeste Interessen stünden hinter dem Engagement Russlands in ihrem Land, weiß
die Journalistin Izida Chania. Sie sieht Abchasien zwischen Hammer und Amboss:
die Georgier wollten sie zur Minderheit machen, die Russen zu einem Protektorat.
Die Schuld sieht sie im Westen, der die Abchasier durch einen Boykott nach dem
Krieg in die Arme Russlands getrieben habe. „Nur die Russen haben uns geholfen,
darum blieb uns keine andere Wahl als Russland“, sagt die Journalistin. Eine
Folge sei, dass abchasische unabhängige Medien große Schwierigkeiten hätten,
gegen die russischen Zeitungen und Fernsehsender anzukommen, die den Alltag
beherrschten.
Die Chance auf Versöhnung und Frieden zwischen
Abchasen und Georgiern ist derzeit gering. Noch immer hat sich Georgien nicht
offiziell bei den Abchasen für den Angriff auf Suchumi vor 15 Jahren
entschuldigt. Und die Abchasen sehen keinen Anlass, die Vertreibung der Georgier
als Verbrechen zuzugeben. Außenminister Sergej Schamba glaubt aber, dass seinem
Land auch ohne Anerkennung durch den Westen eine rosige Zukunft bevorsteht und
verspricht: „Wir werden alle Chancen, die sich uns ergeben, nutzen und durch
Investitionen wirtschaftlich viel weiter sein als heute.“
01.09.2008 Deutsche Welle
(Deutschland)
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Georgiens ethnische Säuberungen
GERHARD MANGOTT (Die Presse)
Die Debatte um die
Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens strotzt nur so von Unkenntnis über
deren Erfahrungen im unabhängigen Georgien.
In der Georgienkrise wird von allen beteiligten
Akteuren das Völkerrecht bemüht. Die Vorstellung aber, Rechtsnormen wären
zwingende Handlungskorridore für Staaten, ist höchst anfechtbar. Rechtsnormen
sind das Ergebnis machtpolitischer Interessen starker Staaten; schwache Staaten
ziehen daraus Schutz, (militärisch) starken Staaten dienen Normen dazu,
Legitimität für das eigene Handeln bereitzustellen. Im Kern der äußeren
Souveränität von Staaten – der militärischen Sicherheit – aber ist die
Rechtsbeugung durch starke Staaten immer dann gegeben, wenn vitale Interessen
durch Rechtsnormen beschädigt werden.
Vertrieben, unterdrückt, ermordet
Die Zuflucht zu
subtilsten legalistischen Begründungen hat sowohl in der Frage der staatlichen
Selbstständigkeit des Kosovo als auch Abchasiens den Rechtsbruch zu verschleiern
versucht. Die Beugung völkerrechtlicher Normen galt für die militärische Aktion
der Nato in Serbien (1999), die militärische Intervention im Irak (2003), die
Anerkennung der staatlichen Selbstständigkeit des Kosovo (2008) und nun auch
Abchasiens (2008).
Natürlich kann die Rechtsbeugung aus
unterschiedlichen Motiven erfolgen, humanitär begründet oder macht- und
realpolitisch als unvermeidbar angesehen werden. In der Debatte um die
Anerkennung Abchasiens und Südossetiens aber ist die Zuflucht zum Legalismus
nicht normen- sondern interessengeleitet. Dabei werden die Völker, um deren
Recht auf den eigenen Staat gestritten wird, meist ignoriert; die Debatte über
sie strotzt von Unkenntnis über deren Erfahrungen im unabhängigen Georgien.
Besonders deutlich wird dies bei Abchasien: Die
Abchasen wurden aus ihrem Siedlungsgebiet zuerst durch zaristische Heerscharen
vertrieben und nach 1920 durch die von den Georgiern Stalin und Berija
betriebene gezielte Ansiedelung von Georgiern, Russen und Armeniern zu einer
kleinen Minderheit gemacht.
1992 fielen georgische paramilitärische Verbände
in Abchasien ein, brannten das Nationalarchiv und damit das historische
Gedächtnis des abchasischen Volkes nieder, plünderten die Hauptstadt Suchum und
führten ethnische Säuberungen durch.
Die Abchasier hatten keine militärischen Verbände
und waren schutzlos. Der Befreiungsversuch war 1994 mit Unterstützung
nordkaukasischer Söldner und russischer Streitkräfte erfolgreich, aber von
grausamen ethnischen Säuberungen und Vertreibungen der georgischen Siedler
gekennzeichnet.
In russische Abhängigkeit getrieben
Die ökonomische Blockade und ein verweigertes
Gewaltverzichtsabkommen durch Georgien haben Abchasien in die Abhängigkeit von
Russland getrieben. In Abchasien wurden seit 1994 mehrfach freie Wahlen
durchgeführt – allerdings ohne die Beteiligung der vertriebenen Georgier. Und
der derzeitige Präsident wurde gegen den Widerstand Russlands gewählt.
Die leidvollen Erfahrungen der Abchasen lassen ein
moralisches Recht auf staatliche Selbstständigkeit ableiten. Die Anerkennung
durch Russland aber ist Ergebnis von machtpolitischen Kalkülen, deren
Verweigerung durch die Europäische Union und die Vereinigten Staaten ebenfalls.
Die legalistischen Verschleierungsversuche geopolitischer Interessen sind daher
nicht ernst zu nehmen. Die Abchasen sind dabei Spielmasse im Machtstreit
zwischen Russland und dem Westen.
Gerhard Mangott
ist Professor am Institut für Politikwissenschaften der
Universität Innsbruck.
31.08.2008 "Die Presse", Print-Ausgabe,
01.09.2008 (meinung@diepresse.com)
(Österreich)
***
Klares Zeichen an Moskau
EU sucht Linie
Kurz vor ihrem Gipfeltreffen zur Kaukasuskrise am
Montag ist die EU um Geschlossenheit bemüht. Uneinigkeit zeichnete sich aber in
der Frage ab, welche Maßnahmen gegen Russland als Konsequenz aus der
Militärintervention in Georgien Anfang August ergriffen werden sollten. Die
Führung in Moskau zeigte sich um Entspannung bemüht. Allen Mahnungen aus dem
Westen zum Trotz hatte Russland nach der Militäraktion die Separatisten-Regionen
Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten anerkannt. Osteuropäische
Länder wie Polen und die baltischen Republiken fordern einen harten Kurs gegen
Russland. Westliche Staaten wie Deutschland und Frankreich halten sich eher
zurück.
In einem Beitrag für die "Bild am Sonntag"
forderte jedoch CDU-Außenexperte Eckart von Klaeden nun den zeitweiligen
Ausschluss Russlands aus der G8-Gruppe der wichtigsten demokratischen
Industriestaaten, solange Russland im Georgien-Konflikt zu keiner Lösung im
Rahmen der Vereinten Nationen bereit sei. Russland sei in die Gruppe aufgenommen
worden, obwohl es weder die wirtschaftlichen noch die politischen Bedingungen
erfülle. Sollte Russland von der G8, der OECD und der Welthandelsorganisation
(WTO) profitieren wollen, habe es sich an die internationalen Spielregeln zu
halten, verlangte auch der britische Premierminister Gordon Brown in einem
Beitrag der Sonntagszeitung "Observer". Andernfalls sollte Russland
ausgeschlossen werden.
Entspannungsbemühungen
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und
Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker warnten jedoch vor einer
Isolierung Russland. Die Regierung in Moskau habe in dem Konflikt zwar Kritik
verdient, doch ändere dies nichts daran, dass Sicherheit und Stabilität in
Europa nur mit und nicht gegen Russland hergestellt werden könnten, sagte
Steinmeier in einer Rede bei einer SPD-Veranstaltung in Königs Wusterhausen bei
Berlin. Die EU müsse darauf bestehen, dass Russland die Zusagen für den
Waffenstillstand in Georgien endlich einhalte, mahnte Juncker zudem in einem
Interview der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". Auch die SPD warnte vor
Sanktionen. Strafmaßnahmen wie der Ausschluss aus der G8 verhärteten nur die
Situation, brächten aber keine politische Lösung, sagte der stellvertretende
SPD-Fraktionschef Walter Kolbow der "Financial Times Deutschland".
Entscheidung ist gefallen
Russlands Präsident Dmitri Medwedew erklärte der
Nachrichtenagentur Interfax zufolge, dass er nicht isoliert werden wolle und er
sich um Beziehungen zu den USA, der EU und anderen Staaten bemühen werde. Die
Entscheidung, Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten anzuerkennen,
sei aber nicht rückgängig zu machen, bekräftigte er.
Der russische EU-Botschafter in Brüssel, Wladimir
Tschischow, wies Berichte zurück, Russland könnte eventuelle Strafmaßnahmen mit
einer Drosselung von Energielieferungen in den Westen vergelten. Sein Land
Moskau habe die Energievorkommen noch nie als politische Waffe eingesetzt. In
diesem Zusammenhang forderte Brown, dass Europa unabhängiger von russischen
Energielieferungen werden müsse. Russland dürfe es nicht erlaubt werden, Europa
im "Energie-Würgegriff" zu halten.
Power für Asien-Pipeline
Unterdessen trieb Ministerpräsident Wladimir Putin
der staatlichen Nachrichtenagentur RIA zufolge den Bau der ersten russischen
Ölpipeline nach Asien voran. Damit will Russland vom starken Energiebedarf der
Chinesen profitieren und sich gleichzeitig von Europa als Abnehmer unabhängiger
machen. Allerdings verzögerte sich die Indienststellung bereits um ein Jahr und
trieb die Kosten in die Höhe. Der Meldung von RIA zufolge unterschrieb Putin ein
Dekret, die Pipeline ohne weitere Verzögerung fertigzustellen.
31.08.2008 n-tv
(Deutschland)
***
EU: Rüge für Russland und Geld für Georgien
Der Sondergipfel zur Kaukasus-Krise ist eine
Bewährungsprobe für die Europäische Union.
Vor ihrem Gipfeltreffen am Montag ist die EU um
Geschlossenheit bemüht. Uneinigkeit herrscht aber in der Frage, welche
Massnahmen gegen Russland wegen der Militäraktion in Georgien ergriffen werden
sollen.
Aller Mahnungen zum Trotz hatte Russland nach dem
Krieg Anfang August die Separatisten-Regionen Südossetien und Abchasien als
unabhängige Staaten anerkannt. Während osteuropäische Länder einen harten Kurs
gegen Russland fordern, hielten sich westliche Staaten eher zurück.
Scharfe Kritik aus London
Allerdings kamen aus Grossbritannien scharfe Töne.
Premier Gordon Brown forderte eine «radikale» Überprüfung der Beziehungen. In
einem Beitrag für die Zeitung «Observer» warf er dem Kreml ein einseitiges,
gefährliches und inakzeptables Vorgehen vor.
Wenn Russland in der G-8, der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der
Welthandelsorganisation WTO profitieren wolle, müsse es akzeptieren, dass mit
Rechten auch Verpflichtungen einhergehen. Andernfalls solle Russland
ausgeschlossen werden, schrieb Brown.
Widersprüchliche Signale aus Russland
Der russische Regierungschef Wladimir Putin warf
dem Westen vor, zu wenig für eine Entspannung zu tun. «Die Emotionen gehen hoch,
aber wir sehen keinen praktischen Schritt, der auf eine Abkühlung schliessen
liesse», sagte er in Wladiwostok.
Der russische EU-Botschafter in Brüssel, Wladimir
Tschischow, unterstrich, eine Isolation Russlands sei unwahrscheinlich. «Die EU
ist nicht in der Lage, Russland von irgendetwas auszuschliessen.» Zugleich
beschwichtigte er Ängste, Russland könne Sanktionen mit einer Drosselung von
Energielieferungen vergelten: Moskau habe seine Vorkommen noch nie als
politische Waffe eingesetzt.
Allerdings drohte Präsident Dmitri Medwedew
indirekt mit eigenen Sanktionen. «Ich bin kein Anhänger von Sanktionen (...),
aber wenn es notfalls erforderlich ist, können wir solche Gesetze annehmen»,
sagte er laut der Agentur Interfax in Sotschi. Er persönlich halte solche
Schritte aber für unproduktiv.
Aussenminister Sergej Lawrow wiederum sagte dem
deutschen «Handelsblatt», Russland habe kein Interesse daran, neue Mauern
zwischen Russland und Europa aufzubauen.
Steinmeier: Kein Kalter Krieg
Der deutsche Aussenminister Frank-Walter
Steinmeier mahnte zur Zurückhaltung. Er sei erschrocken, wie leichtfertig
zuletzt «das Gespenst des Kalten Krieges» wieder hervorgeholt worden sei, sagte
er. Durch das «unverantwortliche» Vorgehen Georgiens und die «Überreaktion»
Russlands sei die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur aufs Spiel gesetzt
worden.
Aus dem Umfeld von Frankreichs Staatschef Nicolas
Sarkozy, der als amtierender EU-Ratspräsident zum Gipfel geladen hatte, hiess
es, der Zeitpunkt für Sanktion gegen Russland sei noch nicht da.
Kaum Sanktionen gegen Russland
Unter dem Strich dürfte Russland am EU-Gipfel
gerügt werden, mit Sanktionen wird jedoch nicht gerechnet, wie es in Brüssel
hiess. Zudem wolle die EU auf die Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans dringen, den
Sarkozy mit Russen und Georgiern ausgehandelt hatte.
Russlands Anerkennung Südossetiens und Abchasiens
widerspreche der Abmachung, hiess es. Zudem wolle die EU darauf drängen, dass
die russischen Truppen aus der Pufferzone in Georgien abgezogen werden.
Georgien wiederum dürfte EU-Gelder für Flüchtlinge
und den Wiederaufbau erhalten. Auch eine Freihandelszone und
Visa-Erleichterungen sind im Gespräch.
31.08.2008 Tagesanzeiger (Schweiz)
***
Der Krieg in Georgien: Tiflis gibt Abchasien auf -
Moskau lehnt Saakaschwili ab, will ihn aber nicht stürzen
Moskau nimmt Rache am Westen
Von Manfred Quiring
13. August 2008, 02:03 Uhr
Mit dem Ende seiner Intervention zementiert
Russland seine Macht in Georgien und bestimmt wieder die große Politik
Tiflis - "Es
ist eine Schande, so eine Regierung brauchen wir nicht." Der Gemüsehändler Gogo
ist wütend. Georgien habe einen Krieg verloren, den sein Präsident Michail
Saakaschwili gar nicht hätte beginnen dürfen, meint Gogo. "Entweder du fängst
an, dann musst du gewinnen. Wenn das nicht geht, lass es", lautet sein
verspäteter Rat für Saakaschwili.
Russland ist aufgrund seiner totalen militärischen
Überlegenheit erwartungsgemäß der Sieger der Stunde, den das Porzellan, das da
international wegen des Angriffs auf ein souveränes Nachbarland zerschlagen
wurde, nicht stört. Töne des zynischen Triumphes kamen deshalb am Dienstag aus
Moskau. Präsident Medwedjew ordnete das Ende der Militäraktion an. Die
Streitkräfte, sagte er im Stile eines Kolonialherrn, hätten Georgien "bestraft".
Die Sicherheit für Zivilisten und die sogenannten russischen Friedenssoldaten in
Südossetien sei wieder hergestellt.
Tatsächlich aber hat die Militäraktion deutlich
mehr eingebracht. Der Georgier Saakaschwili hat im Fünf-Tage-Krieg mit Russland
alles verloren, was er eigentlich früher oder später gewinnen wollte. Die
"Reintegration aller zu Georgien gehörenden Gebiete" war eines der Hauptziele
seiner Politik. Damit ist er gescheitert. Südossetien, die abtrünnige,
eigentlich zu Georgien gehörende Region, bleibt nun, gestützt auf russische
Waffen, endgültig unerreichbar. Eine Wiedereingliederung, die auch vorher schon
eher unwahrscheinlich war, ist nach der dummen Militäraktion Saakaschwilis
endgültig obsolet.
Auch Abchasien, ebenfalls ehemals ein georgisches
Gebiet, kann Saakaschwili abschreiben. Die Russen haben zwischen Georgien und
Abchasien einen Sicherheitskordon aus eigenen Truppen gelegt, womit sie allein
die Landverbindungen kontrollieren. Derart abgesichert, schicken sich die
Abchasen nun an, den oberen Teil der Kodori-Schlucht wieder zurückzugewinnen,
den ihnen die Georgier 2006 abgenommen hatten (siehe auch Bericht unten).
Und als ob das nicht schon genug der Verluste
wären, muss die Führung in der georgischen Hauptstadt eine weitere Demütigung
hinnehmen. Russische Truppen stehen im georgischen Kernland. Sie halten
Stellungen im Westen, haben Sugdidi besetzt und mit Senaki einen der modernsten
georgischen Militärstützpunkte eingenommen. Wie weit sie über Senaki hinaus in
Richtung Tiflis vorgerückt sind, ist zur Stunde noch unklar.
Moskaus Zangengriff wird komplettiert durch die
Militärpräsenz in Gori, der Geburtsstadt Stalins, 60 Kilometer von Tiflis
entfernt. Dabei ist es nicht so sehr die kleine Stadt, die militärisch wichtig
ist, sondern die dort entlang führende Ost-West-Straße S-1. Indem sie in
russische Hand geriet, ist Georgien in zwei Teile zerschnitten. Waren aus dem
Ostteil des Landes, aber auch aus der ohnehin besetzten Hafenstadt Poti im
Westen erreichen die Hauptstadt nicht mehr. Die Tifliser Geschäftsleute, die
Einwohner der Stadt, sie alle haben Angst.
Auch deshalb, weil nach der Einstellung der Kämpfe
- in Gori wurde am Dienstag freilich immer noch geschossen - niemand weiß, wann
und zu welchen Bedingungen die russischen Truppen das georgische Kernland
verlassen. Sie werden es jedenfalls nicht einfach deshalb tun, weil US-Präsident
George Bush oder europäische Institutionen die Moskauer Führung genau dazu
auffordern.
Das entlockt ihnen höchstens ein müdes Lächeln.
Russland ist sich seiner totalen militärischen Überlegenheit im Südkaukasus
gewiss und auch der Tatsache, dass niemand den Georgiern militärisch zu Hilfe
kommen wird. Das haben die europäischen und amerikanischen Verbündeten
Saakaschwili immer wieder deutlich zu machen versucht: Sollte er einen
militärischen Lösungsversuch in der Territorialfrage unternehmen, werde er ganz
allein sein, musste sich der emotional leicht erregbare Georgier in jüngster
Zeit öfter von westlichen Diplomaten anhören.
Dieser Fall ist nun eingetreten, wobei die
diplomatische und moralische Unterstützung davon unbenommen bleibt. Frankreichs
Präsident Nicolas Sarkozy sowie mehrere osteuropäische und baltische Staats- und
Regierungschefs wurden gestern in Tiflis erwartet. Aber Russland, das einen
geradezu psychopathischen Hass auf Saakaschwili und seine herausfordernde Art
entwickelt hat, bestimmt hier nun die Regeln und will mit ihm nicht einmal mehr
sprechen. "Er hat Verbrechen gegen unsere Bürger verübt", sagte Russlands
Außenminister Sergej Lawrow gestern in Moskau, er könne deshalb kein Partner
mehr sein, "es wäre besser, wenn er ginge." Tief verärgert dementierte Minister
Lawrow in dem Zusammenhang, dass Moskau Saakaschwili stürzen wolle. Solche Pläne
bestünden nicht, "das ist nicht unser Stil".
Aber wer wollte Russland daran hindern, seine
Truppen so lange in Georgien zu lassen und einen zunehmenden Druck aufzubauen,
bis auch dieses gewünschte Ziel erreicht ist? Georgiens Opposition glaubt nicht
daran: Je stärker Moskaus Druck auf Saakaschwili, desto gefestigter werde dessen
Position, hieß es gestern in Tiflis. Jedenfalls genießt die Führung in Moskau
für den Moment das Gefühl, endlich einmal selbst der Akteur und nicht hilfloser
Zuschauer zu sein.
Die jüngsten Ereignisse dürfen auch als eine
Revanche für die angeblich durch den Westen erlittene Schmach vergangener Jahre
gesehen werden. Die russische Führung hatte nichts als ihre Proteste, als die
Nato im Jahr 1999 Jugoslawien bombardierte, 2001 in Afghanistan eingriff, als
die von den USA geführte Koalition den Irak 2003 eroberte und seinen Diktator
Saddam Hussein stürzte.
Das, so lautet die aktuelle Botschaft aus Moskau, können wir nun
auch. Mit brutaler Härte wurde zudem einem potenziellen Nato-Beitrittskandidaten
aus dem GUS-Raum demonstriert, dass Russland hier eine Grenze sieht, die zu
überschreiten gefährlich werden kann.
13.08.2008 WELT ONLINE
(Deutschland)
***
Georgien kündigt
Waffenruhe mit Abchasien
Tiflis -
Georgien hat nach Angaben eines Kabinettsministers
das Waffenstillstandsabkommen mit der abtrünnigen Region Abchasien aufgekündigt.
Das Büro von Minister Temur Jakobschwili bezog sich in seiner Stellungnahme vom
Samstag auf eine UN-Vereinbarung, die 1994 nach dem Tod tausender Menschen
geschlossen wurde. Darin wurde auch die Entsendung von russischen
Friedenstruppen nach Abchasien vereinbart, die sich nach georgischen Angaben auf
die Seite der Separatisten stellten.
Russische Truppen im georgischen Grenzgebiet zur
Region Südossetien verhinderten indes die Heimkehr von Kriegsflüchtlingen, wie
eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Melita Sunjic, erklärte.
Etwa 2.000 Menschen seien immer noch in einem UNHCR-Lager untergebracht. Die
Russen bedrohten die Heimkehrwilligen zwar nicht direkt, gaben aber auch keine
Sicherheitsgarantie ab. Davon waren besonders die Menschen betroffen, die in der
sieben Kilometer breiten sogenannten Sicherheitszone an der Grenze zu
Südossetien wohnten. Russische Streitkräfte haben dort auf georgischem Boden
zahlreiche Kontrollposten eingerichtet.
Vor dem EU-Krisengipfel zur Lage im Kaukasus am
Montag rief Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier Europa dazu auf, ein
Signal der Stärke an die Konfliktpartner zu senden. «Die gefährliche Spirale der
Eskalation muss unterbrochen werden», sagte Steinmeier der «Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung». «Wir brauchen eine starke und besonnene
europäische Rolle, um eine Rückkehr zu Vernunft und Verantwortung zu
ermöglichen», sagte Steinmeier.
Albright fordert notfalls Isolierung Moskaus
Die ehemalige US-Außenministerin Madeleine
Albright kritisierte die Reaktion der Regierung von Präsident George W. Bush auf
die Krise in Georgien scharf. Zur Frage, wie sie den russischen Einmarsch
beantwortet hätte, sagte Albright dem «Spiegel»: «Ich wäre sofort nach Moskau
gefahren, anders als die aktuelle Außenministerin Condoleezza Rice.» Sie hätte
den Russen gesagt, dass ihr Verhalten inakzeptabel sei, sagte Albright.
Die Außenministerin der Regierung des ehemaligen
US-Präsidenten Bill Clinton plädierte für eine entschiedene Reaktion des Westens
auf das russische Vorgehen. Moskau habe mit dem Einmarsch in ein souveränes Land
eine rote Linie überschritten. «Wenn Putin nicht umdenkt, müssen wir nach Wegen
suchen, Russland international zu isolieren», sagte Albright. Georgien solle nun
entschlossen an die NATO herangeführt werden.
Der venezolanische Präsident Hugo Chávez
stellte sich im Georgien-Konflikt unterdessen auf die Seite Russlands. In einer
Fernsehansprache sagte Chávez am Freitag, die Entscheidung zur Anerkennung der
Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien sei richtig gewesen. Russland hatte
die beiden abtrünnigen Regionen in dieser Woche als unabhängig anerkannt.
30.08.2008 net tribune
(Deutschland)
***
Katerstimmung in Abchasien und Südossetien - Umklammerung Russlands stärker als
gewollt?
Mit Freudenschüssen und knallenden Sektkorken
haben Tausende Abchasen und Südosseten vor wenigen Tagen die Anerkennung ihrer
Unabhängigkeit durch Russland gefeiert. Doch der Jubel könnte schon bald einer
gehörigen Ernüchterung weichen
Denn der Traum der beiden abtrünnigen georgischen
Regionen von einer international akzeptierten Eigenstaatlichkeit wird so schnell
keine Wirklichkeit werden: Kein anderes Land und keine internationale
Organisation erkennt die winzigen Gebiete als Staaten an. Ihre Wirtschaft ist
durch ein georgisches Handelsembargo schwer geschädigt. Und die Politik
Abchasiens und Südossetiens wird ohnehin nach wie vor im Kreml bestimmt.
„Eigentlich hat sich nichts geändert. Die Gebiete
wurden schon immer von Russland kontrolliert“, sagt Georgien-Experte Svante
Cornell vom Stockholmer Institut für Sicherheits- und Entwicklungspolitik.
Selbst Russlands engste Verbündete zögern bisher mit der Anerkennung. Aus
Weißrussland hieß es lediglich, dass man Verständnis für die russische
Entscheidung habe. Ähnlich äußerte sich Venezuelas Präsident Hugo Chavez.
„Wir wollen nicht, dass der Prozess der
Anerkennung hier aufhört. Wir werden natürlich nach weiteren Freunden und
Verbündeten suchen“, sagt dagegen Abchasiens selbst ernannter Außenminister
Sergej Schamba. Beide Regionen besitzen mit eigenen Parlamenten, Flaggen und
Hymnen zwar wichtige Insignien der Staatlichkeit. Das macht sie aber noch nicht
zu unabhängigen Staaten.
Das am Schwarzen Meer gelegene Abchasien ist mit
8.600 Quadratkilometer um circa 1.000 Quadratkilometer kleiner als Kärnten und
hat etwa 340.000 Einwohner, in etwa so viele Menschen leben auch in Vorarlberg.
Wirtschaftlich ist das Land abhängig von russischen Investoren und Touristen. In
Südossetien, das mit 3.885 Quadratkilometer etwa so groß ist wie das Burgenland,
leben etwa 70.000 Menschen. Wichtigste Einnahmequelle war lange der Handel mit
russischen Schwarzmarktgütern, der jedoch von Georgien unterbunden wurde.
Mehr als 80 Prozent der Einwohner beider Regionen
besitzen russische Pässe. Russisch ist dort auch die am weitesten verbreitete
Sprache, und bezahlt wird mit russischen Rubeln. In Abchasien zahlt Russland
sogar die Renten. Eines der größten Investitionsprojekte, ein Geschäftszentrum
in der Hauptstadt Suchumi, wurde vom Moskauer Bürgermeister finanziert. In
Südossetien steuert Russland nach Angaben der Regionalbehörden 60 Prozent zum
Etat des Territoriums bei, und der Gasmonopolist Gazprom hat dort eine Pipeline
gebaut.
Falls Russlands Anerkennung der Unabhängigkeit beider Regionen
überhaupt etwas bewirkt, dürfte es nach Einschätzung von Experten die Bindungen
eher noch stärken: Abchasien wird dem großen Bruder nun wahrscheinlich die
Einrichtung eines dauerhaften Militärstützpunktes im Land anbieten, was auf eine
Ummünzung des bisher als internationale Friedenstruppe fungierenden russischen
Kontingents hinauslaufen würde. Südossetiens Separatistenführer Eduard Kokoiti
wiederum hat angekündigt, russische Spezialisten in seine Regierung zu holen.
„Das ist nicht kriminell; wir sind alle Bürger der Russischen Föderation“,
kommentierte er das Vorhaben vor der Presse.
30.08.2008 Dolomiten Online (Italien)
***
Russlands neue Militär-Partner
Kürzlich warf der russische Raketenkreuzer „Moskau“ im Hafen von Suchumi
Anker, Hauptstadt der zuvor von Russland als unabhängig anerkannten georgischen
Region Abchasien. „Wir sind immer froh, in unseren Gewässern die
Schwarzmeerflotte der Russischen Föderation zu sehen“, begrüßte Abchasiens
De-facto-Präsident Sergej Bagapsch die Gäste.
Schon bald dürften russische Militärs nicht mehr nur als vorübergehende Gäste
kommen. Bagapsch versicherte, eine Übereinkunft über militärische Zusammenarbeit
mit Russland werde in nächster Zeit unterschrieben. Auch die von Russen
dominierte Regierung Südossetiens berät bereits über einen Vertrag über
militärische Zusammenarbeit, sagte der amtierende Premier Boris Tschotschijew.
Dieser Vertrag solle dem russischen Militär die ständige Stationierung in
Südossetien erlauben.
„Der Hauptsinn der Anerkennung Südossetiens und Abchasiens ist die
Möglichkeit, Verträge über militärische Zusammenarbeit zu schließen und dann
russische Truppen und Basen auf dem Territorium dieser Republiken zu
stationieren“, sagte der Direktor des Moskauer Instituts für politische und
militärische Analyse, Alexander Scharawin. In Abchasien waren russische Soldaten
bisher nur als maximal 2500 Mann starke Friedenstruppen zugelassen und mussten
sich zudem Inspektionen von Militärbeobachtern der UN-Mission UNOMIG
unterziehen.
Künftig werden diese Soldaten ebenso wie Tausende russische
Fallschirmspringer möglicherweise nicht mehr kontrolliert. Vor allem aber dürfte
der Kreml in den Militärvertrag mit Abchasien das Recht auf den Bau von
Flottenbasen hineinschreiben.
Verlegung käme teuer
Denn die Ukraine will den bis 2017 laufenden Pachtvertrag über die
Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte im ukrainischen Schwarzmeerhafen
Sewastopol nicht verlängern. Dies bekräftigte in den vergangenen Tagen Präsident
Juschtschenko. Sollte indes der moskaufreundliche Ex-Premier Viktor Janukowitsch
wieder an die Macht kommen, könnte das Pendel in Sachen Schwarzmeerflotte wieder
zugunsten Moskaus ausschlagen. Mit 420 Kriegsschiffen, schätzungsweise
zehntausend Offizieren und Matrosen käme eine komplette Verlegung der
Schwarzmeerflotte und der notwendige Neubau der gesamten Infrastruktur in
Abchasien für Moskau teuer.
29.08.2008 OÖNachrichten (Österreich)
***
Sergej Bagapsch
Präsident von Moskaus Gnaden
Von Michael Ludwig, Moskau
Bagapsch hat Moskau angeboten,
in Abchasien provisorisch eine
Flottenbasis zu errichten
28. August 2008 Im
Augenblick ist alles eitel Sonnenschein in Suchumi. Sergej Bagapsch, im
hellgrauen Anzug, begrüßt den Kommandeur des Raketenkreuzers „Moskwa“ von der
russischen Schwarzmeerflotte mit abchasischem Rotwein. Endlich, am Tag nach der
von Russland gebilligten Unabhängigkeit der von Georgien abtrünnigen Provinz
Abchasien, ist er am Ziel seiner Wünsche. Sergej Bagapsch ist nicht mehr ein
Politiker, dem die Staatengemeinschaft in nichtprotokollarischen Fußnoten
allenfalls als De-Facto-Staatschef durchgehen ließ.
Er ist richtiger Präsident, wenn auch nur von
Moskaus Gnaden. Er hofft darauf, dass sich das bald ändert, und bietet der
ganzen Welt Zusammenarbeit an. Die ziert sich noch, aber Russland ist Feuer und
Flamme. Es hat Truppen stationiert. Bagapsch bietet Moskau nun an, in seinem
neuen Staat zumindest provisorisch eine Flottenbasis zu errichten. Hat er Angst
vor georgischer Wiederaufrüstung, davor, dass die Georgier ihre sieben in Poti
versenkten Kleinschiffe heben und mit dieser geballten Streitmacht Suchumi
angreifen, oder zahlt er Tribut dafür, dass sein Land aus Moskau den Freibrief
für die Eigenstaatlichkeit erhielt?
Bagapsch vertritt russische Positionen
Bagapsch muss sich gewandelt haben. Denn noch zur
Zeit der Präsidentenwahl von 2004/2005 beschuldigte Moskaus Mann, Raul
Chadschimba, den Rivalen Bagapsch, dieser habe zu enge Beziehungen zu Georgien,
als dass er an der Spitze Abchasiens stehen dürfe. Von Bagapsch hieß es, seine
Frau sei Georgierin. Die Russen verfügten wegen des Sieges des Unzuverlässigen
ein Embargo gegen die Einfuhr abchasischer Mandarinen, von deren Verkauf viele
arme Abchasen lebten. Damit setzten sie durch, dass die Wahl, die Bagapsch
gewonnen hatte, wiederholt und vorher festgelegt wurde, dass Chadschimba
Vizepräsident wird.
Heute vertritt Bagapsch russische Positionen.
Vielleicht blieb einem, der in einem von Georgiern weitgehend „gesäuberten“
Abchasien die Unabhängigkeit um jeden Preis wollte, nur die russische Karte.
Denn auf dem Tisch lag ein georgischer Vorschlag, dessen Existenz Präsident
Saakaschwili dieser Tage eingestand und der vorsah, Abchasien aufzuteilen. Die
eine Hälfte sollte russische Einflusszone werden, die andere Hälfte unter die
Kontrolle Georgiens gestellt und mit georgischen Rückkehrern aufgesiedelt
werden. Bagapsch wird davon gewusst haben. Abchasische Urängste vor einem
Geschäft zwischen Russland und Georgien waren geweckt, bei dem die erwünschte
Selbständigkeit der Abchasen auf der Strecke bleibt.
Nun ist der frühere Basketballspieler,
De-facto-Ministerpräsident und De-facto-Präsident in seinem 59. Lebensjahr ein
„richtiger“ Präsident geworden. Er glaubt den Ball im Korb zu haben. Aber er
steht einem Land vor, in dem 85 Prozent der Bürger dem Pass nach „Russländer“,
Staatsbürger der Russländischen Föderation sind und die meisten Rentner das
Ruhegeld aus Russlands Kassen beziehen. Das würde die Eigenstaatlichkeit
Abchasiens, wenn sie denn komme, nicht in Frage stellen, meinte Sergej Bagapsch
vor einigen Monaten. Die neue Wirklichkeit könnte eine andere Antwort liefern.
28.08.2008 Frankfurter Allgemeine Zeitung
(Deutschland)
***
Kosovo mit Südossetien und Abchasien nicht vergleichbar
Der russische Präsident Medwedew verweist
auf Kosovo, um die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens zu rechtfertigen. Aus
der Sicht von deutschen Außenpolitik-Experten ist das nicht haltbar.
"Wir werden bald volle
diplomatische Beziehungen zu dem neuen Staat Kosovo aufnehmen." So
US-Präsident George W. Bush am 17. Februar 2008. Wie die USA haben auch 20 der
27 EU-Staaten die Unabhängigkeit des Kosovos anerkannt. Nicht zuletzt
Deutschland hatte sich während des Zerfalls Jugoslawiens für die
Unabhängigkeit der Teilrepubliken stark gemacht. Deutschland war der erste
Staat, der im Dezember 1991 die Unabhängigkeit Sloweniens anerkannte, ähnlich
verhielt es sich kurz darauf mit Kroatien.
Jetzt muss der Westen erneut auf die Unabhängigkeitsbestrebungen abtrünniger
Republiken beziehungsweise Regionen in seiner Nachbarschaft reagieren. Und
zwar durch die russische Anerkennung Südossetiens und Abchasiens, die schon
länger aus dem georgischen Staatsverband austreten wollen. Die EU, die NATO
und auch Deutschland lehnen den Schritt Moskaus kategorisch ab.
Vergleichbare Fälle?
Spricht die EU also mit
gespaltener Zunge – oder sind die beiden Fälle Kosovo und Südossetien nicht
vergleichbar? Ruprecht Polenz, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des
Bundestages, sagt ganz klar: Sie sind nicht vergleichbar. "Die
Apartheidpolitik und das gewaltsame Vorgehen der Serben gegen die Albaner im
Kosovo findet keine Parallele in dem Konflikt zwischen Osseten und Georgiern."
Europäische Politiker wie Polenz, aber auch der russische Präsident Dimitri
Medwedew, berufen sich trotz konträrer Positionen beide auf das Völkerrecht.
Im Völkerrecht hat die territoriale Integrität allerdings einen sehr hohen
Stellenwert. Eine Minderheit habe nicht von vornherein das Recht, sich von
einem Staat abzuspalten und seinen eigenen zu gründen, erläutert der
Völkerrechtler Thomas Giegerich von der Universität Kiel: "Und zwar liegt der
Grund darin, dass viele Staaten auf der Welt eine oder mehrere ethnische
Minderheiten in ihren Grenzen haben. Wenn man ein allgemeines Sezessionsrecht
anerkennen würde, würde die gesamte Weltordnung durcheinander geraten."
Völkermord als Rechtfertigung?
Allerdings gibt es Ausnahmen. Wird eine ethnische Minderheit durch die
Mehrheitsbevölkerung vertrieben oder versucht die Regierung sie gar
auszurotten, darf die Minderheit sich abspalten. Nur wann genau ist dieser
Extremfall gegeben? Im Kaukasus beruft Russlands Präsident sich darauf, dass
Georgien sich in Südossetien des Völkermords schuldig gemacht habe. Doch
unabhängige Informationen seien darüber schwer zu bekommen, sagt
Völkerrechtler Giegerich: "Mir liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass das
ausreichend faktisch begründet wäre. Deswegen würde ich diese Behauptung mit
Skepsis betrachtet."
Im Kosovo sieht die Lage anders aus: 1995 ermordete die bosnisch-serbische
Armee in Srebrenica etwa 8000 Bosniaken, ein Verbrechen, das von den Vereinten
Nationen als Völkermord klassifiziert wurde. 1998 setzte eine
Vertreibungskampagne der serbischen Regierung ein, mehr als 200.000
Kosovo-Albaner waren auf der Flucht. Thomas Giegerich sagt: "Da war dann die
Auffassung des Westens, dass diese Vertreibungskampagne in weitere Gräueltaten
wie in Srebrenica münden könne. Vor diesem Hintergrund hat man dann ein
Sezessionsrecht der Kosovo-Albaner anerkannt, nachdem jahrelange Verhandlungen
zwischen Kosovo-Albanern und Serben über eine friedliche Loslösung gescheitert
waren."
Dass die westlichen Staaten die Unabhängigkeit des Kosovos anerkannt haben,
hält Giegerich daher für völkerrechtlich gerechtfertigt. So gesehen messe der
Westen nicht mit zweierlei Maß, wenn er jetzt für die territoriale Integrität
Georgiens eintritt.
Widersprüche in Moskaus Politik
Eben das, mit zweierlei Maß zu messen, müsse man hingegen Russland vorwerfen,
so der Außenpolitiker Ruprecht Polenz: „Bei Südossetien reklamiert Russland
ein Recht auf Sezession, während es bei Tschetschenien größten Wert auf die
eigene territoriale Integrität gelegt hat und sie mit äußerster Brutalität
gegen die Tschetschenen durchgesetzt hat. Diese Widersprüchlichkeiten werden
Russland noch Probleme bereiten."
Das Kosovo ist aus Polenz
Sicht jedenfalls kein Präzedenzfall, auf den sich Russland berufen könne.
Schon deshalb nicht, weil es diesen als Staat nicht anerkannt hat. Wolle sich
Medwedew keine Doppelmoral in der Außenpolitik vorwerfen lassen, müsste er
konsequenterweise für die Anerkennung des Kosovo durch Russland eintreten.
Manfred Götzke
28.08.2008
Deutsche Welle
(Deutschland)
***
US-Schiff legt in Georgien an
Russland hat im Streit mit dem Westen wegen des Kriegs in
Georgien erneut Stärke demonstriert. Inzwischen ist ein US-Schiff im Hafen von
Batumi eingelaufen.
Nachdem ein Schiff der US-Küstenwache mit Hilfsgütern im georgischen Hafen
Batumi festgemacht hatte, gingen drei russische Kriegsschiffe im Hafen von
Suchumi vor Anker, der Hauptstadt der abtrünnigen georgischen Region Abchasien.
Einen Tag nach der russischen Anerkennung Abchasiens und Südossetiens kündigte
die Regierung in Tiflis derweil den Abzug seines Botschaftspersonals bis auf
zwei Diplomaten aus Moskau an.
Das US-Küstenwachtschiff Dallas ist am Morgen in den Hafen von Batumi
eingelaufen. Es hatte ursprünglich Kurs auf den nördlicher gelegenen georgischen
Hafen Poti genommen, der noch immer unter russischer Kontrolle steht. Das Schiff
erhielt nach Angaben der US-Botschaft in Tiflis «von höchster Stelle im
Pentagon» den Befehl, Batumi anzulaufen. Das Anlegen eines einem
US-Kriegsschiffsverband zugeordneten Küstenwachtkutters in Poti hätte von Moskau
als direkte Konfrontation aufgefasst werden können.
Russland kritisiert US-Schiffe
Russland hat kritisiert, dass militärische Schiffe wie die der US-Küstenwache
und US-Kriegsschiffe Hilfslieferungen nach Georgien bringen. Offenbar als
Reaktion schickte Russland einen Raketenkreuzer und zwei weitere Kriegsschiffe
nach Suchumi. Die russische Kriegsmarine erklärte, die Schiffe seien an
Friedensoperationen beteiligt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte den russischen Präsidenten Dmitri
Medwedew telefonisch zum sofortigen Rückzug aus dem georgischen Kerngebiet,
beispielsweise Poti, auf. Wie Regierungssprecher Ulrich Wilhelm mitteilte,
forderte sie die sofortige Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans, nach dem sich
Russland auf seine Stellungen vor dem 7. August zurückzuziehen hat. Die
Kanzlerin habe erneut die russische Anerkennung Südossetiens und Abchasiens
verurteilt.
Saakaschwili fordert EU-Bekenntnis zu Georgien
Der georgische Präsident Michail Saakaschwili warnte davor, die Moskauer
Politik gegenüber seinem Land hinzunehmen. «Wenn Europa sich das einmal gefallen
lässt, wird Russland es in Zukunft wieder versuchen», sagte er der «Bild»-Zeitung.
Mit Blick auf den EU-Sondergipfel zur Kaukasus-Krise nächsten Montag sagte er:
«Ich erwarte von diesem Gipfel ein klares Bekenntnis der EU, dass man weiter zu
Georgien stehen wird. Das gleiche gilt für unsere NATO-Mitgliedschaft.»
Der georgische Aussenminister Timur Jakobaschwili kündigte am Mittwoch an,
sein Land werde die diplomatischen Beziehungen zu Russland auf ein Minimum
herunterfahren. Eine Ministeriumssprecherin erklärte später, Georgien habe
Russland von der Reduzierung des Botschaftspersonals in Kenntnis gesetzt. Es
blieben nur noch ein Gesandter und ein weiterer Mitarbeiter in Moskau.
Frankreich warf Russland vor, mit der Anerkennung der Unabhängigkeit der
georgischen Regionen Abchasien und Südossetien internationales Recht gebrochen
zu haben. Staatspräsident Nicolas Sarkozy sagte in einer Rede vor Botschaftern,
der Schritt sei nicht hinnehmbar. Aussenminister Bernard Kouchner sagte dem
Radiosender Europe 1, die EU könne «diese Verletzung des internationalen Rechts»
und anderer Vereinbarungen, darunter UN-Resolutionen, nicht akzeptieren.
Frankreich hat derzeit den Ratsvorsitz in der EU inne.
Kouchner: Hinweise auf Vertreibungen in Südossetien
Auch nach der Einstellung der Kämpfe in Südossetien werden in der Region
lebende ethnische Georgier nach Erkenntnissen der EU-Kommission massiv unter
Druck gesetzt. Soldaten der international nicht anerkannten südossetischen
Regierung hätten offenbar überwiegend von Georgiern bewohnte Dörfer aufgesucht
und sie aufgefordert, die russische Staatsangehörigkeit anzunehmen oder
Südossetien so schnell wie möglich zu verlassen, sagte ein Kommissionsexperte am
Mittwoch in Brüssel. Zuvor hatte bereits Kouchner erklärt, es gebe Hinweise auf
Vertreibungen in Südossestien.
27.08.2008 baz (Schweiz)
***
Kaukasus-Konflikt
Steinmeier will
Flächenbrand verhindern
Mit Hochdruck arbeitet die EU an einer Antwort auf Russlands Vorgehen in
Georgien. Auch Außenminister Steinmeier mahnt, die Lage dringend zu beruhigen.
Sonst drohe die Ausweitung des Konflikts zu einem Flächenbrand im gesamten
Kaukasus.
Bis zu einer politischen Lösung in dem aktuellen Konflikt zwischen Russland
und Georgien würden vermutlich Jahre vergehen, sagte Frank-Walter Steinmeier
(SPD) am Donnerstag auf seiner Brandenburg-Reise in Lichterfeld. Er hoffe
deshalb, dass es mittelfristig gelinge, an die auch von Deutschland
vorgelegten Lösungsvorschläge wieder anzuknüpfen. Ob diese aber noch
Grundlage für eine Verständigung sein könnten oder neue Ideen notwendig
seien, könne heute niemand sagen. „Das ist eine Situation, die wird am Ende
– so notwendig klare Worte sind – mit Statements und Erklärungen nicht zu
bewältigen sein. Hier ist Politik erforderlich“, betonte Steinmeier.
Nach Ansicht des CDU-Politikers Andreas Schockenhoff will Russland im
Kaukasus ein „neues strategisches Gleichgewicht“ herstellen. Moskau fühle
sich angesichts neuer Stärke gegenüber den USA und der Nato in einer
besseren Position und wolle dort jetzt Fakten schaffen, sagte der
Koordinator der Bundesregierung für die Beziehungen mit Russland im
Bayerischen Rundfunk. Es zeige sich jetzt, dass es gut sei, dass Georgien
nicht Nato-Mitglied sei. Die Voraussetzung dafür sei wie auch im Fall der
Ukraine noch nicht gegeben. Mit einer Aufnahme jetzt würde man nur das
Verhalten der Führung in Tiflis belohnen.
Keine demonstrative Unterstützung
China und mehrere Staaten Zentralasiens verweigerten unterdessen Russlands
Präsidenten Dmitri Medwedew eine demonstrative Unterstützung für den
Kreml-Kurs der Anerkennung der von Georgien abtrünnigen Provinzen
Südossetien und Abchasien. Sie forderten bei einem Gipfeltreffen der
Shanghaier Kooperationsorganisation (SCO) in Tadschikistan vielmehr eine
stärkere Einbindung der Vereinten Nationen. Die höchsten Gremien der UN und
der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben
die Lage im Kaukasus auf die Tagesordnung gesetzt.
Der „Großmachtpolitik“ entgegentreten
Die CSU und die konservative EVP-Fraktion im Europäischen Parlament
verurteilten das Vorgehen Russlands im Kaukasus-Konflikt scharf. „Wir sehen
gemeinsam Russland heute als Friedensstörer in Europa“, sagte CSU-Chef Erwin
Huber zum Auftakt eines zweitägigen EVP-Fraktionstreffens in München. Man
müsse der russischen „Großmachtpolitik“ entschieden entgegentreten. Der
EVP-Fraktionsvorsitzende Joseph Daul verlangte eine „harte, starke Position“
der EU gegenüber Russland. Dies solle aber nicht heißen, „dass man nicht
mehr mit ihnen redet“.
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hält auch wegen der Kaukasus-Krise
längere Laufzeiten von Atomkraftwerken für notwendig. Deutschland müsse mit
der EU über eine mittelfristige Energie-Unabhängigkeit von Russland reden,
sagte er der „Rheinischen Post“.
Der SPD-Politiker Erhard Eppler zeigte Verständnis für die russische
Anerkennung von Südossetien und Abchasien. Moskau habe dabei ebenso Fakten
geschaffen wie der Westen bei der Anerkennung des Kosovo, sagte er im
Deutschlandradio Kultur. „So wie die Kosovo-Albaner niemals wieder unter
serbischer Herrschaft leben wollten, wollten auch die Abchasier und
Südosseten nicht mehr unter georgischer Herrschaft leben.“ Der
Russland-Experte Wolfgang Leonhard riet dem Westen, auf die jetzige Lage
besonnen und nüchtern zu reagieren. „Jedwede Gefühlsrhetorik und
Macho-Gehabe wären die falsche Antwort“, sagt er der Berliner Zeitung „B.Z“.
28.08.2008
FOCUS ONLINE
(Deutschland)
***
Schewardnadse
Olympia-Boykott
als Strafe für Moskau
Wegen des Kaukasus-Konflikts hat sich der frühere georgische Präsident
Schewardnadse gegen die Olympischen Winterspiele in Sotschi ausgesprochen.
Kanzlerin Merkel gerät unterdessen für ihre harten Worte gegen Russland in die
Kritik.
"Angesichts des militärischen Konflikts bestehen mehr denn je Gründe für
einen Boykott“, sagte Eduard Schewardnadse in einem Interview mit der
japanischen Zeitung „Asahi Shimbun“ vom Donnerstag. Eine Alternative sei es,
Russland die Austragung der Olympischen Winterspiele 2014 im Schwarzmeerort
Sotschi zu entziehen. Der Georgier schloss sich damit der Forderung einiger
US-Parlamentarier an. Die russische Armee war zu Beginn der Olympischen
Sommerspiele in Peking Anfang August in Georgien einmarschiert, nachdem die
georgische Armee eine Offensive in Südossetien gestartet hatte.
Nach seiner Einschätzung hat sich Russland mit der Anerkennung von Abchasien
und Südossetien ins eigene Fleisch geschnitten – indem es den eigenen
Kaukasusrepubliken Argumente für ihren Unabhängigkeitskampf geliefert habe.
„Sie werden es bereuen“
Die Anerkennung der abtrünnigen georgischen Regionen durch Moskau werde zu
Diskussionen über die Unabhängigkeit von Tschetschenien und Dagestan führen,
sagte der ehemalige sowjetische Außenminister. „Sie werden es bereuen.“ In
der russischen Republik Tschetschenien und im benachbarten Dagestan
lieferten sich die Armee und Rebellen in der Vergangenheit erbitterte
Kämpfe.
Seinem Nachfolger im Präsidentenamt, Michail Saakaschwili, warf
Schewardnadse vor, den USA zu nahe zu stehen. „In meiner Zeit habe ich gute
Beziehungen mit Russland und mit den USA aufgebaut, aber dieses
Gleichgewicht ist zerbröckelt“, kritisierte er. In dem jüngst ausgebrochenen
Konflikt mit Russland sei Georgien der klare Verlierer. Das Land habe
„praktisch seine territorialen Rechte verloren und der wirtschaftliche
Schaden ist riesig“, urteilte Schewardnadse. Saakaschwili hatte
Schewardnadse nach der unblutigen Rosen-Revolution 2003 abgelöst.
Eppler hat Verständnis für Russland
Unterdessen stoßen die Bemühungen der Bundesregierung zur Lösung des
Kaukasus-Konflikts bei SPD und FDP auf Kritik. Der SPD-Politiker Erhard
Eppler äußerte Unverständnis über die Unterstützung von Angela Merkel (CDU)
für Georgien. Mit ihrer Schützenhilfe für Saakaschwili habe sie „keine gute
Rolle gespielt“, sagte Eppler dem Nachrichtensender n-tv.
„Dass die Russen die Georgier wieder rausgeworfen haben, war völlig in
Ordnung“, sagte er weiter. Auch wenn der Zeitpunkt der Anerkennung der
Unabhängigkeit der georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien falsch
sei, hätte Russland auf Dauer nicht anders handeln können. Für die
Eskalation zwischen dem Westen und Russland machte er die USA
verantwortlich. Diese hätten nicht begriffen, dass auch andere Staaten
Machtansprüche geltend machten und „die Zeit der unipolaren Welt vorbei
ist“.
Auch der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle wandte sich gegen starke Worte
der Kanzlerin. „Die mögen im eigenen Land Beifall bringen. Die
internationalen Beziehungen werden dadurch nicht besser“, sagte Westerwelle
in der ARD. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi hielt dem Westen vor, in dem
Konflikt mit zweierlei Maß zu messen.
Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Martin Schulz (SPD),
warnte vor einer Bestrafung Russlands für das Vorgehen in Georgien. „Damit
würden wir den radikalen Kräften in Moskau in die Hände spielen, die den
Konflikt weiter eskalieren lassen wollen“, sagte der SPD-Spitzenkandidat bei
den Europawahlen der „Financial Times Deutschland“. „Außerdem kann die EU
Russland gar nicht bestrafen. Kein Politiker bei Sinnen denkt daran,
militärisch zu intervenieren.“ Schulz plädierte für deutliche Kritik der EU
an Russland, aber auch an Saakaschwili. Zuvor hatten die Außenminister der
sieben wichtigsten Industriestaaten (G7) das Vorgehen Russlands
verurteilt.
28.08.2008 FOCUS ONLINE
(Deutschland)
***
"Analogie zu Kosovo ist Anzeichen für Zynismus"
Russlands Handlungsweise im Kaukasus sei
nicht zu rechtfertigen, sagt Walter Kaufmann. Der ehemalige Leiter der
Vertretung der Heinrich Böll Stiftung kritisiert zugleich auch Versäumnisse der
Europäischen Union.
Deutsche Welle: Herr Kaufmann, warum hat Russland gerade jetzt die
abtrünnigen georgischen Provinzen anerkannt?
Walter Kaufmann: In seinen Handlungen auf dem Kaukasus versucht Russland
den Westen nachzuahmen. Nachdem der Westen Kosovos Unabhängigkeit anerkannt
hatte, fühlte sich Russland gedemütigt, weil auf seine Meinung keine Rücksicht
genommen wurde. Ich habe nicht erwartet, dass Russland in dieser Situation bis
zum Äußersten geht. Klar ist aber auch: Es war nicht in Russlands Interesse,
den Konflikt mit Georgien zu lösen. Russland hat den Konflikt
instrumentalisiert, um dadurch Georgiens NATO-Beitritt zu verhindern.
Kann man in dieser Situation als westliche Reaktion erwarten, dass Georgien
doch in die NATO aufgenommen wird?
Ich glaube, dass Georgien nach wie vor geringe Chancen hat, der NATO
beizutreten. Die einzigen Länder, die sich einen schnelleren NATO-Beitritt für
Georgien wünschen, sind die baltischen und skandinavischen Länder und
möglicherweise die USA. Der größte Teil Europas ist definitiv dagegen. Ich
glaube, dass nach diesen Ereignissen alle realisiert haben, was für ein
schwieriger Partner die derzeitige georgische Regierung ist und mit welchen
Risken es verbunden ist, sich mit dem Konflikt zu befassen.
Wer trägt Ihrer Meinung nach die Verantwortung dafür, dass dieser Konflikt
so weit eskaliert ist?
Natürlich ist das in erster Linie Moskaus Schuld, obwohl Georgien auch eine
Mitverantwortung trägt. Georgien wusste immer, welchen Nachbarn es hat - einen
Nachbarn, der nicht nur seine Interessen im Kaukasus verfolgt, sondern auch
vorhat, Georgiens NATO-Beitritt zu verhindern. Georgien wollte immer nur mit
dem Westen kommunizieren. Es hat versucht, den Westen in seinen Konflikt mit
Russland zu verstricken. Deshalb hat Russland so hart geantwortet. Ich glaube,
Georgien hätte versuchen sollen, den Konflikt auf einem regionalen Niveau zu
lösen, indem es einen langfristigen Dialog mit Abchasien und Südossetien
beginnt. Die Statusfrage dieser Provinzen hätte nicht zum Thema gemacht werden
sollen, weil es in diesem Punkt in absehbarer Zukunft keine Lösung gibt.
Stattdessen verließ sich Georgien auf den Westen, aber leider ohne Erfolg.
Sie erwähnten schon, dass die russische Anerkennung der Unabhängigkeit
Abchasiens und Südossetiens eine Reaktion darauf ist, dass der Westen Kosovo
als unabhängig anerkannt hat. Ihrer Meinung nach: Kann man diese Situation in
Abchasien und Südossetien überhaupt mit der Situation im Kosovo vergleichen?
Selbst bei gleicher Ausgangslage würde dies nicht die Handlungsweise
Russlands rechtfertigen. Ganz umgekehrt: Die russischen Versuche, die
Situationen zu vergleichen, sind Anzeichen eines politischen Zynismus.
Russland wollte nie begreifen, dass der Krieg in Kosovo aus humanitären
Gründen begonnen wurde. Bevor die Truppen in Kosovo einmarschierten, hatte der
Westen lange nach anderen Möglichkeiten gesucht, um das Problem zu lösen. Nun
will Russland Kosovo als Trumpf benutzen, um zu zeigen, dass es als Weltmacht
in der Lage ist, die Probleme mit dem benachbarten Ausland selbst zu lösen.
Wie wird Ihrer Meinung nach die weitere Reaktion der EU auf diese
Entwicklungen aussehen?
Ich befürchte, diese Reaktion wird zu unkoordiniert und nicht klar genug
sein. Ich glaube, Europa hat längst die Möglichkeit verpasst, einen Dialog mit
den separatistischen Regierungen Abchasiens und Südossetiens zu führen. Europa
hätte über die Entwicklung dieser Regionen sprechen müssen, ohne die Frage der
territorialen Integrität Georgiens zu erwähnen. Ich bin davon überzeugt, dass
es für diese Provinzen - mindestens für Abchasien – interessante langfristige
Perspektiven gibt. Diese Perspektiven sind nicht unbedingt mit Russland
verknüpft. Denn man versteht in diesen Regionen sehr gut, dass Russland kein
Bruder ist, der ihre Unabhängigkeit unterstützt, sondern ein "große Bruder",
der sie in der nächsten Minute wieder im Stich lassen kann.
Das Gespräch führte Andreas Brenner
28.08.2008
Deutsche Welle
(Deutschland)
***
"Den Kampf annehmen!"
Naivität und Scheinheiligkeit: Im
Kaukasus-Konflikt üben die Kommentatoren zwischen Belgrad und Madrid Kritik am
Westen. Die Forderung nach einer härteren Linie gegenüber Moskau zieht sich
durch die internationale Presse.
Ein Blick in die
Zeitungen
Nachdem der russische Präsident Dimitrij Medwedjew
die abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien als unabhängig anerkannt hat,
kritisiert die internationale Presse den Westen: Zögerlich und naiv sei er
bislang Russland gegenübergetreten. Nun fordern die Kommentatoren eine
entschlossenere Politik.
Die rechtsliberale spanische Tageszeitung El
Mundo aus Madrid fordert die EU auf, die Integrität Georgiens zu
verteidigen: "Wenn jemand noch über die Motive Russlands bei der Entfachung
eines Kriegs gegen Georgien gerätselt hat, sind diese Zweifel nun zerstreut.
Moskau hatte seine Entscheidung von Anfang an getroffen. Der Schutz der Ossetier
vor einem Massaker war nur ein Vorwand, die Panzer in die abtrünnigen
georgischen Provinzen einrollen zu lassen. Russland zieht mit militärischer
Gewalt die Grenzen im Kaukasus neu. Die westliche Gemeinschaft bietet das
peinliche Schauspiel, die Strategie der vollendeten Tatsachen verzagt
mitanzusehen. Europa und seine Verbündeten sind verpflichtet, die Integrität
Georgiens zu verteidigen. Die EU muss ihren Worten Taten folgen lassen und
härtere Maßnahmen gegen Moskau verhängen."
Verdient Russland noch seinen Platz innerhalb der
G8?
Die linksliberale Pariser Zeitung Libération
fordert konkrete Maßnahmen und stellt Russlands Platz innerhalb der G8 in Frage:
"Die Souveränität Georgiens, die in dem sehr holprigen, von Nicolas Sarkozy in
Moskau angekündigten Friedensabkommen 'vergessen' worden war, gibt es nicht
mehr. Die beiden neuen 'Staaten' gibt es nur dank der Petrorubel und der
russischen Truppen. Ob Südossetien oder Abchasien: Die hier wohnenden Georgier
wurden zu Tausenden Opfer ethnischer Säuberungen. Ihre Kollaborateur-Regierungen
sind mafiöse Geschöpfe der russischen Geheimdienste. Die südossetischen
'Minister' sind russische Generäle im Ruhestand. Was tun vor diesen geschaffenen
Tatsachen? Natürlich Moskau verurteilen. Doch mehr noch, eine Debatte über die
Beziehungen des Westens mit diesem Russland eröffnen, das seit 20 Jahren als
ehrlicher Partner angesehen wird. Nach dem Krieg gegen Georgien muss man nach
dem Platz eines Landes in der G8 fragen, das international anerkannte Grenzen
bricht. Und nach der Legitimität dieses Landes in demokratischen Instanzen wie
dem Europarat."
Die linksliberale polnische Tageszeitung Gazeta
Wyborcza setzt auf die Nato, um den Druck auf Russland zu erhöhen: "Die
internationale Öffentlichkeit verurteilt heute einstimmig Moskau. Russland
ignoriert diese Kritik. Es versucht den Eindruck zu erwecken, dass das heute
machtlose Amerika (...) und das unter Altersschwäche leidende Europa der
aufstrebenden 'Supermacht' nichts anhaben können. Moskau schaut dem Westen in
die Augen und fragt mit zynischem Lächeln: Wir haben Gas, und ihr? Wir sind aber
nicht machtlos. Gestrige Verluste an Moskauer Börsen (...) zeigen, wie stark
dieses Land vom Westen abhängig ist. (...) Wie stark wir Russlands Verhalten
beeinflussen können, hängt davon ab, ob Europa und Amerika solidarisch sagen,
dass sie sich mit einer willkürlichen Teilung eines souveränen Landes nicht
abfinden. Die Entscheidung über eine baldige Aufnahme Georgiens in den
Nato-Partnerschaftsplan (MAP) wäre eine solche Antwort. Georgier hatten zum
Jahresanfang in einem Referendum gesagt, dass sie ihr Land in der Nato sehen
wollen. Heute ist dieser Wunsch mit Sicherheit noch viel stärker."
"Den Kampf annehmen!"
Die République du Centre aus dem
mittelfranzösischen Orléans kritisiert, dass auch der Westen durch gezielte
Provokationen zur Eskalation beigetragen habe: "Eines ist sicher: Russland, das
wir während der Olympischen Spiele vergessen hatten, nutzte die Situation, um
seine Muskeln woanders zu zeigen. Das Schlimmste ist, dass Moskau bei seinen
Eroberungsträumen unterstützt wurde - durch unverzeihliche Ungeschicklichkeiten.
Indem er die Feindseligkeiten einleitete, hat der georgische Präsident Michail
Saakaschwili selbst die Peitsche hingehalten, mit der er dann geschlagen wurde.
Die EU hatte im Februar mit der Anerkennung des Kosovo das rote Tuch geschwenkt.
Die USA schließlich haben den russischen Komplex angestachelt, indem sie die
Aufstellung eines Raketenschildes in Polen ankündigten."
Das satirische Wochenblatt Le Canard enchainé
aus Paris wirft dem französischen EU-Ratspräsidenten Nicolas Sarkozy Versagen in
der Kaukasus-Krise vor: "Das Dokument, das unser Omnipräsident der Europäischen
Union zu Georgien unterzeichnen ließ, ist kein Jahrhunderterfolg der Diplomatie.
Die Russen haben mit beiden Händen unterschrieben, aber sie machen einen
Rückzieher, wann immer sie wollen und wie immer sie wollen. Sie nutzen die
Begriffe der Waffenruhe aus, um ihre Präsenz und den Druck aufrechtzuerhalten.
Und sie profitieren vom Deckmantel der Unabhängigkeit Abchasiens und
Südossetiens, um ihre Karten auszuspielen. Angesichts der wenigen Druckmittel
läuft der neue EU-Gipfel Gefahr, daran nichts zu ändern. Doch für den
Generalissimus Sarkozy zählen nicht die mehr oder weniger langfristigen
Ergebnisse, sondern die Strategie. Und er wählt im Krieg wie zu Hause diejenige,
die immer die seine war: Ein Bild jagt das andere. Der Clausewitz der Medien ist
jeden Tag an der Front. Man hat keine Zeit, sich der einen zuzuwenden, da ist er
schon an der anderen."
Mögliche Fehlkalkulation im Kreml
Die national-konservative Belgrader Zeitung
Politika kritisiert die westliche Haltung als "scheinheilig" - und
vergleicht den Status der jetzt unabhängigen, früheren südserbischen Provinz
Kosovo mit der russischen Anerkennung der Unabhängigkeit der georgischen
Gebiete: "Russland hat Süd-Ossetien und Abchasien in dem Augenblick anerkannt,
in dem die USA und die Mehrheit der EU das Kosovo anerkannt haben, und nach dem
unüberlegten Angriff Georgiens auf Süd-Ossetien (...) Damit wird die
Scheinheiligkeit der westlichen Politiker deutlich, die sich gestern an die
Grundsätze des internationalen Rechts und die Unantastbarkeit der anerkannten
Grenzen erinnert haben - jene Grundsätze, die sie im vergangenen Februar
vergessen hatten, als Pristina die Unabhängigkeit der Provinz Kosovo ausgerufen
hat."
Die Basler Zeitung glaubt, dass Russland
mit seinem aktuellen Kurs den georgischen Präsidenten eher im Amt halten als ihn
stürzen könnte: "Der Kreml könnte sich verrechnen. Georgiens politisch unfähiger
Präsident hätte einen möglichst schnellen Abgang von der politischen Bühne
verdient. Stattdessen hilft ihm Moskaus neoimperialistische Arroganz wieder in
den Sattel. Das Vorgehen dürfte andere Ex-Sowjetrepubliken ermuntern, ihr Heil
in der Abkehr von Russland zu suchen. (...) Und kommt nicht nur George W. Bush,
sondern auch sein Nachfolger zum Schluss, dass Russlands Vorgehen nicht tatenlos
hingenommen werden darf, kann sich die Rechnung des Kreml als grobe
Fehlkalkulation herausstellen."
Der Nato-Botschafter Dimitri Rogosin hatte
Parallelen zum Attentat auf den österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand
und den Ausbruch des ersten Weltkriegs gezogen. Für die links-liberale
ungarische Tageszeitung Nepszabadsag ist das Anlass, zu kommentieren:
"Der russische hat die derzeitige Situation mit der Lage vor Ausbruch des Ersten
Weltkriegs verglichen und Saakaschwili mit Gavrilo Princip, dem Mörder des
österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand 1914 in Sarajewo. Wir wissen aber
aus der Geschichte, dass nicht das Attentat den Krieg zum Ausbruch brachte.
Dafür waren kriegsbereite und zum Kompromiss unfähige Großmächte notwendig, die
sich sicher waren, dass sie ihren Gegner niederringen. Diese Haltung sehen wir
jetzt in Russland."
27.08.2008 Süddeutsche
(Deutschland)
***
Russland revanchiert sich für das Kosovo mit
Abchasien und Südossetien
Der Kreml im Größenwahn
Der
Standard
(Wien):
"Die Anerkennung ist Moskaus
Revanche für das Kosovo. Hier wie dort ist der Grundsatz der Schlussakte von
Helsinki, des Basisdokuments der Ost-West-Entspannung, gebeugt worden. Die
territoriale Integrität der Staaten ist unantastbar, Grenzen lassen sich nur mit
Zustimmung aller beteiligten Seiten ändern: So lautete damals, Mitte der
70er-Jahre des 20. Jahrhunderts, die Geschäftsgrundlage zwischen der Sowjetunion
und ihren Satellitenstaaten, dem Westen und den neutralen Staaten in Europa. Die
Neuordnung des Kontinents, der Sieg des Westens im Kalten Krieg und der
Zusammenbruch der Sowjetunion haben den Grundsatz der territorialen
Unversehrtheit durchlöchert. Moskau lässt heute den Westen für das bezahlen, was
es im vergangenen Jahrzehnt als Niederlage empfunden hat."
Rzeczpospolita
(Warschau):
"Der Westen hat es nicht
geschafft, die 'Auszeit der Geschichte' zu nutzen. Jene Periode, in der Russland
noch nicht wieder eine so bedrohliche Großmacht war. Die von der westlichen
Führung so geliebte Politik der freundlichen Gesten gegenüber Russland -
Schlittenfahrten und Saunabesuche, verbunden mit dem Abschluss lukrativer
Verträge - ist gescheitert. Russland ist ein Staat, der seine Nachbarn unter
jedem beliebigen Vorwand angreifen kann. Ein solches Land lädt man nicht in
elitäre Klubs ein, und man hilft ihm auch nicht dabei, Geschäfte zu machen.
Russland ist eine eigene, gefährliche Welt - dessen sollte man sich im Westen
bewusst sein."
Nepszabadsag
(Budapest):
"Der russische
NATO-Botschafter Rogosin hat die derzeitige Situation mit der Lage vor Ausbruch
des Ersten Weltkriegs verglichen und Saakaschwili mit Gavrilo Princip, dem
Mörder des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand 1914 in Sarajewo. Wir
wissen aus der Geschichte, dass nicht das Attentat den Krieg auslöste. Dafür
waren kriegsbereite und zum Kompromiss unfähige Großmächte verantwortlich, die
sich sicher waren, dass sie ihren Gegner niederringen. Und genau dies beobachten
wir jetzt in Russland."
Berlingske Tidende
(Kopenhagen):
"Schon jetzt ist klar, dass
man Russland nur in eingeschränktem Maße unter Druck setzen kann. Die Aussetzung
der Verhandlungen über eine verstärkte wirtschaftliche Kooperation ist nicht im
europäischen Interesse - aufgrund der energiepolitischen Abhängigkeit der EU.
Und auch die NATO wird nur vorsichtig vorangehen. Sollte Russland seinen
Luftraum und die Basen in den moskauhörigen zentralasiatischen Republiken
blockieren, gerät der NATO-Einsatz in Afghanistan in ernsthafte Gefahr."
Gazeta
Wyborcza
(Warschau):
"Wir sind nicht machtlos. Die
Verluste an der Moskauer Börse zeigen, wie abhängig das Land vom Westen ist. Ob
wir Russlands Verhalten beeinflussen können, hängt von der Einigkeit Europas und
Amerikas ab. Eine baldige Aufnahme Georgiens in den NATO-Partnerschaftsplan wäre
eine erste Antwort."
Svenska
Dagbladet
(Stockholm):
"Jetzt bedarf es einer
wesentlich schärferen Politik, um der russischen Herausforderung zu begegnen.
Putin schert sich keinen Deut um substanzlose Appelle und Warnungen. Wir müssen
bereit sein, diesen Kampf anzunehmen, auch wenn er heißer wird. Alles andere
würde bedeuten, dass Georgien im Stich gelassen und Russland der Weg für noch
mehr aggressive Machtpolitik freigemacht wird."
El Mundo
(Madrid):
"Der Westen bietet das
peinliche Schauspiel, die Strategie der vollendeten Tatsachen verzagt
mitanzusehen. Europa und seine Verbündeten sind verpflichtet, die Integrität
Georgiens zu verteidigen. Die EU muss ihren Worten Taten folgen lassen und
härtere Maßnahmen gegen Moskau verhängen."
Postimees
(Talinn):
"Frau Merkel hat sich dafür
eingesetzt, dass die Europäische Union gegenüber Moskau mit einer Stimme
spricht, auch wenn es schwer ist, einen Dialog mit einem Land zu führen, in dem
fundamentale Werte fehlen. Dass Deutschland so deutliche Worte gefunden hat,
lässt hoffen, dass die Europäische Union es schafft, endlich gemeinsam
aufzutreten."
Wedomosti
(Moskau):
"Russland ist in eine
Situation geraten, die man im Schachspiel 'Zugzwang' nennt. Moskau hatte die
Wahl zwischen Pest und Cholera: Die Anerkennung von Südossetiens und Abchasiens,
löst scharfen Widerstand des Westens aus. Die Beziehungen werden sich
verschlechtern und die Form einer Konfrontation annehmen. Eine Nichtanerkennung
der beiden Kaukasus-Republiken hätte jedoch Russlands Prestige geschadet und die
Situation im Nordkaukasus destabiliert. Und dies wäre wesentlich schlimmer als
ein Konflikt mit dem Westen."
tageszeitung
(Berlin):
"Die Anerkennung Abchasiens
und Südossetiens als selbstständige Staaten durch Russlands Präsidenten macht
eine Verhandlungslösung in Georgien noch schwieriger, stellt sie doch die
vermittelnden Mächte, also die Mehrheit der EU-Staaten, vor vollendete
Tatsachen. Immerhin hatte der Sechs-Punkte-Plan der EU Gespräche darüber
vorgesehen, wie Sicherheit und Stabilität in Abchasien und Südossetien
hergestellt werden könnten. Solche Verhandlungen können jetzt als Einmischung in
die inneren Angelegenheiten zurückgewiesen werden. Auch eine durch den
Weltsicherheitsrat zu beschließende Friedensmission der UNO liegt jetzt in
weiter Ferne. Jetzt die Verhandlungen über die Georgienkrise einzustellen und
auf eine allgemeine Konfrontationslinie zu Russland einzuschwenken, wäre ein
fataler Fehler."
Politika
(Belgrad):
"Russland hat Südossetien und
Abchasien genauso anerkannt, wie die USA und die Mehrheit der EU das Kosovo.
Moskau hat zudem erst nach dem unüberlegten Angriff Georgiens auf Südossetien
reagiert. Damit wird die Scheinheiligkeit der westlichen Politiker deutlich, die
sich gestern an die Grundsätze des internationalen Rechts und an die
Unantastbarkeit der anerkannten Grenzen erinnert haben. Jene Grundsätze, die sie
im vergangenen Februar vergessen hatten, als Pristina die Unabhängigkeit der
Provinz Kosovo ausgerufen hat."
Izwestija
(Moskau):
"Die Beziehungen zwischen
Russland und der NATO werden sich weiter verschlechtern. Das westliche Bündnis
wird Georgien als Opfer der Aggression nun noch schneller aufnehmen. Seit dem
Einmarsch sowjetischer Truppen 1979 in Afghanistan waren die Beziehungen
zwischen Moskau und dem Westen nicht mehr so angespannt wie derzeit. Man kann
bereits von einem neuen Kalten Krieg sprechen. Eine wirtschaftliche Isolation
Russlands ist jedoch unwahrscheinlich. Dafür ist die EU viel zu sehr auf
Russlands Energieressourcen angewiesen."
Frankfurter Rundschau
(Frankfurt):
"Wer darüber überrascht ist,
kann in den vergangenen Monaten nicht zugehört haben. Seit Kosovo nicht. Die
Aufwertung dieser einst serbischen Region zum Staat hat den Herren an der Moskwa
ein Argument geliefert. Wladimir Putin hat seit langem angesagt, wie der
russische Bär läuft: auf der Fährte der Großmacht, dem Beispiel der
Bush-Regierung folgend. Es war ein Fehler, die Ankündigungen und Warnungen des
damaligen russischen Präsidenten für bloße Rhetorik zu halten."
Die Welt
(Berlin):
"Russland spielt Europa, der
Nato, dem Westen deren eigene Melodie vor. Was euch Kosovo ist, ist uns
Abchasien und Südossetien. Das Perfide daran: Dass Russland - wie der
martialische Umgang mit Tschetschenien bewiesen hat - die Rechte von
Minderheiten ziemlich gleichgültig sind. Vorrang hat das Bemühen, wieder ein
Stück alter territorialer und imperialer Stärke zurückzugewinnen. Und was kann
es für Russland Schöneres geben, als sich dabei westlich-zivilgesellschaftlicher
Argumente zu bedienen? Man weiß nun: Das war vermutlich nur der Anfang."
Straubinger Tagblatt
(Straubing):
"In seiner erschreckenden
Selbstgerechtigkeit, Machtbesessenheit und Verbohrtheit hat das Direktorium
Medwedew/Putin alle Warnungen des Westens vor einer weiteren Zuspitzung in den
Wind geschlagen. Nun wächst die Gefahr, dass diese Entwicklungen eine
gefährliche Eigendynamik erlangen und außer Kontrolle geraten können."
Frankfurter Allgemeine Zeitung
(Frankfurt):
"Das rüttelt an den
Fundamenten der internationalen Ordnung. Die militärisch vorbereitete
Anerkennung einer ausländischen Provinz ist mehr als eine Einmischung in die
inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Damit wird Völkerrecht gebrochen.
Russland verneint und verletzt die territoriale Souveränität und Integrität
Georgiens. Alle rechtstreuen Staaten müssen jetzt zusammenstehen. Sie dürfen die
neue Lage nicht dulden. Das mindeste ist kollektiver Protest. Möglich sind auch
Sanktionen, die - in verhältnismäßigen Grenzen - als Antwort auf die
Völkerrechtsverletzung sogar rechtswidrig sein dürfen. Niemand darf Russland auf
diesem Weg folgen. Schließlich steht eine Grundlage der internationalen Ordnung
auf dem Spiel."
Süddeutsche Zeitung
(München):
"Wie Russland und der Westen
aus dieser tiefsten Krise seit dem Zerfall der Sowjetunion wieder herausfinden
wollen, ist ungewiss. Dies ist der freie Fall. Und er geschah, weil Moskau auf
eindrucksvolle Weise vorführt, wie man militärisch siegen, aber politisch
untergehen kann. Regierung und Präsident brechen lustvoll Brücken ab, die sie
mühsam aufgebaut haben. Moskau will der Weltgemeinschaft seine Regeln diktieren,
aber das wird Russland für alles Gas und Öl der Welt kaum gelingen. Stattdessen
hat es sich in eine Sackgasse manövriert, in der bereits Kompromisse wie
Niederlagen wirken. Aber den Weg hinaus muss Moskau alleine finden."
Der
Tagesspiegel
(Berlin):
"Medwedew hat vor allem
Deutschland und seinen Außenminister Steinmeier brüskiert. Noch vor wenigen
Wochen hatte der einen Friedensplan für Abchasien vorgelegt - mit ausdrücklicher
Zustimmung Moskaus. Medwedew zog nun den Propagandaerfolg vor eigenem Publikum
der Zusammenarbeit mit Deutschland vor, einem der letzten kooperationswilligen
Partner in Europa."
27.08.2008
europolitan
***
Sorge in EU vor neuem Kalten Krieg
Moskau/Paris (AFP) — Nach Russlands
Schulterschluss mit den abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und
Südossetien hat sich in der EU die Sorge vor einem neuen Kalten Krieg breit
gemacht. Moskau könne sich auch gegen "andere Ziele" wie die Krim, die Ukraine
und Moldawien geben, sagte Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner. Der
britische Außenminister David Miliband warnte Russland davor, einen neuen Kalten
Krieg auszulösen. Georgien rief seinen Botschafter aus Moskau zurück. Ein
Sprecher des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin sagte, Moskau sehe
nicht die Gefahr eines neuen Kalten Krieges.
Kouchner, dessen Land derzeit die
EU-Ratspräsidentschaft innehat, sagte dem Radiosender Europe 1, Russland bewege
sich mit der Anerkennung der Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien
"außerhalb des internationalen Rechts". Zudem äußerte er die Sorge, Moskau könne
"andere Ziele" haben. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn sagte in Helsinki, die
Ukraine könne "das nächste Ziel von politischem Druck aus Russland" sein.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy forderte von
Russland einen sofortigen Rückzug aus Georgien. Er betonte gleichzeitig, niemand
wolle im Verhältnis zu Russland "in die Zeiten des Kalten Krieges zurückkehren".
Russlands Präsident Dmitri Medwedew habe gesagt,
dass er keine Angst vor einem Kalten Krieg habe, sagte Miliband in der
ukrainischen Hauptstadt Kiew. "Wir wollen das nicht. Er hat die große
Verantwortung, keinen neuen Kalten Krieg zu beginnen", fügte Miliband hinzu.
Zugleich warnte er den Westen vor einer Isolierung Moskaus. Der ukrainische
Präsident Viktor Juschtschenko erklärte, die Anerkennung Abchasiens und
Südossetiens durch Russland sei "eine Bedrohung für den Frieden" in der Region.
Erstmals äußerte sich auch China zum
Kaukasus-Konflikt. Peking sei besorgt und hoffe, dass durch Dialog eine Lösung
für das Problem gefunden werde, sagte ein Sprecher des chinesischen
Außenministeriums.
Medwedew verteidigte er sein Vorgehen in einem Beitrag für die
britische Zeitung "Financial Times". Die Anerkennung der abtrünnigen georgischen
Region gründe sich auf "die frei geäußerte Sicht der Osseten und Abchasier"
sowie auf die "Grundsätze der UN-Charta". In internationalen Beziehungen "kann
es nicht eine Regel für den einen und eine andere für andere geben", kritisierte
er mit Verweis auf die Anerkennung des Kosovo durch zahlreiche westliche
Staaten.
27.08.2008 AFP
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Russland erkennt Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien an
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In
einer Fernsehansprache an das Volk verkündete Präsident Dmitri Medwedjew am
gestrigen Dienstag, 26. August, dass Russland die Unabhängigkeit
Südossetiens und Abchasiens anerkannt habe. „In Anbetracht der freien
Willensäußerung der Völker Südossetiens und Abchasiens, und gestützt auf die
Bestimmungen der Satzung der UNO, auf die Deklaration aus dem Jahr 1970 über
die Prinzipien des Völkerrechts, die die freundschaftlichen Beziehungen
zwischen Staaten betreffen, ebenso gestützt auf die Schlussakte von Helsinki
der OSZE und andere grundlegende internationale Dokumente“, so Dmitri
Medwedjew, „habe ich die Erlasse über die Anerkennung der Unabhängigkeit
Südossetiens und Abchasiens durch die russische Föderation unterzeichnet.“
Präsident Medwedjew bemerkte, dass die Völker
Südossetiens und Abchasiens sich mehrfach bei Volksabstimmungen für die
Unabhängigkeit ausgesprochen hatten. Dieser Tage haben sie sich mit der
Bitte an Moskau gewandt, ihre Wahl anzuerkennen. Am Montag, dem 25. August,
unterstützten beide Kammern des russischen Parlaments die Bitte der Völker
Südossetiens und Abchasiens, die Unabhängigkeit ihrer Republiken
anzuerkennen.
Wie Präsident Medwedjew sagte, habe Moskau
stets die politische Regelung des georgisch-südossetischen und
georgisch-abchasischen Konflikts durchzusetzen versucht, indem es als
Vermittler und Friedensstifter aufgetreten war. Dabei hatte es sich
unverändert von der Anerkennung der territorialen Integrität Georgiens
leiten lassen. Doch die georgische Führung habe einen anderen Weg gewählt,
indem sie den Verhandlungsprozess abbrach, die erzielten Vereinbarungen
ignorierte, politische und militärische Provokationen und Überfälle auf die
Friedenstruppen verübte. Das alles sei ein grober Verstoß gegen das Regime
in den Konfliktzonen gewesen, welches mit Unterstützung der UNO und der OSZE
hergestellt worden war.
Russland, so der Präsident, habe Zurückhaltung
und Geduld demonstriert. Es hatte Tbilissi mehrfach aufgefordert, an den
Verhandlungstisch zurückzukehren, und selbst nach der einseitigen Verkündung
der Unabhängigkeit des Kosovo habe Moskau an seiner Position festgehalten.
Aber die nachdrücklichen Vorschläge Moskaus an die georgische Seite, mit
Abchasien und Südossetien eine Vereinbarung über den Gewaltverzicht
abzuschließen, blieben ohne Antwort. Leider seien sie auch von der NATO und
sogar von der UNO ignoriert worden.
Der Präsident Russlands sagte, dass in der
Nacht zum 8. August Tbilissi seine Wahl getroffen habe: Der Präsident
Saakaschwili habe das Genozid zur Lösung seiner politischen Aufgaben
gewählt. Damit habe er eigenhändig alle Hoffnungen auf eine friedliche
Koexistenz der Osseten, Abchasier und Georgier in einem Staat zunichte
gemacht. Unter Verletzung der Satzung der UNO, unter Verletzung der eigenen
Verpflichtungen zu den internationalen Vereinbarungen und entgegen dem
gesunden Menschenverstand habe die georgische Führung einen bewaffneten
Konflikt entfesselt, dem friedliche Menschen zum Opfer fielen. Und ein
solches Los sei auch Abchasien zugedacht gewesen.
Nun sei klar, so erklärte Dmitri Medwedjew in
seiner Fernsehansprache, dass die friedliche Regelung beider Konflikte nicht
zu Tbilissis Plänen gehört habe. Die georgische Führung habe sich methodisch
auf den Krieg vorbereitet, und die politische und materielle Unterstützung
seiner äußeren Schutzherren habe nur das Gefühl der eigenen Straflosigkeit
gestärkt. Ferner betonte er, dass Russlands Entscheidung, die Unabhängigkeit
Südossetiens und Abchasiens anzuerkennen, keine leichte Entscheidung gewesen
sei. Doch sie sei die einzige Möglichkeit, das Leben der Menschen zu
erhalten. Moskau habe die anderen Staaten aufgefordert, seinem Beispiel zu
folgen.
Der Präsident Dmitri Medwedjew beauftragte das
russische Außenministerium, die Verhandlungen über die Herstellung
diplomatischer Beziehungen mit Abchasien und Südossetien aufzunehmen.
Gleichzeitig werde die Ausarbeitung von Verträgen über Freundschaft,
Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand mit diesen beiden Republiken
eingeleitet.
27.08.2008 RedGlobe |
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Polenz kritisiert Anerkennung von Abchasien und
Südossetien
Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen
Ausschusses warnt Russland. Laut Polenz gefährdet die Anerkennung von Abchasien
und Südossetien die „Modernisierungspartnerschaft“ mit der EU.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses,
Ruprecht Polenz, hat Russland nach der Anerkennung der abtrünnigen georgischen
Provinzen vor einer Verschlechterung seiner Beziehungen zum Westen gewarnt. „Der
Westen ist nicht hilflos“, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch im
ZDF-Morgenmagazin. Er warf Russland vor, sich in Georgien „wie ein Besatzer“
aufzuführen.
Polenz erinnerte daran, dass Russland auf
eine „Modernisierungspartnerschaft“ mit der Europäischen Union angewiesen sei.
„Wenn Sie beobachten, dass allein nach Ausbruch des Georgienkonflikts etwa
fünfzehn bis zwanzig Milliarden Euro aus Russland abgeflossen sind, weil das
Zutrauen in eine stabile Entwicklung Russlands geschwunden ist, dann ist das ein
immenser Schaden für die russische Volkswirtschaft.“
Eine Partnerschaft könne Moskau von
europäischer Seite nur erwarten, wenn es auch „europäische Werte und das
europäische Rechtsverständnis teilt“. Das Verhalten Russland in Bezug auf
Georgien sei damit aber nicht in Einklang zu bringen.
27.08.2008 FOCUS Online
(Deutschland)
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Propagandakrieg
Georgiens Wut über "Adolf Putin" ist grenzenlos
Von Ulf Mauder
Die Schlacht gegen Russland um die abtrünnigen
Provinzen Abchasien und Südossetien haben die Georgier verloren. Der
Propaganda-Krieg um die Kaukasus-Region hat aber gerade erst begonnen. Mit
Nazisymbolen, Vergleichen mit Adolf Hitler und wüsten Beschimpfungen gehen die
Georgier gegen die "russischen Aggressoren" vor.
"Adolf Putin", Hakenkreuze und SS-Runen in
Russlands Staatsnamen – der Hass der Georgier auf die russischen "Aggressoren"
hat kaum noch Grenzen. Vergleiche mit Hitlerdeutschland sind angesichts der
andauernden russischen Truppenpräsenz in Georgien beliebte Motive auf Plakaten
in der Hauptstadt Tiflis.
Aber auch antiimperialistische Symbole haben
Konjunktur: Schweine und Vampire in russischen Uniformen, die die Welt
verspeisen. Händler verkaufen trauerschwarze T-Shirts mit dem Abbild von
Georgiens Staatsfeind Nummer eins: Ex-Kreml- und nun Regierungschef Wladimir
Putin.
Trotz des jahrelangen vor allem wirtschaftlichen
Drucks aus Russland waren die Georgier dem übermächtigen Nachbarn stets
freundlich gesonnen. Sie nutzten gern die zu Sowjetzeiten gelernte russische
Sprache. Doch sogar die pro-russische Intelligenz in Tiflis spricht nun von
einem Hass gegen Russland, wie es ihn noch nicht in Georgien gegeben hat. "Die
Russen haben den Bogen überspannt, als sie Bomben auf uns warfen, das hat
faschistische Züge, die Beziehungen sind auf lange Zeit kaputt", meint
Übersetzer Lascha Kalandadse.
Vielen Menschen in der Hauptstadt spricht der Zorn
aus den Augen, sie giften gegen den "russischen Aggressor, der mordet,
vergewaltigt und plündert". Vor der russischen Botschaft in Tiflis haben wütende
Georgier Sperrmüll abgeladen. Das Staatsfernsehen schürt die antirussischen
Gefühle mit den immer gleichen Kriegsbildern. Ein Trickfilm zeigt einen
Balalaika spielenden Putin, der hinterlistig Kriegspläne ausheckt, um sich die
kaukasischen Völker zu unterjochen.
"Das ist pure Kriegspropaganda. Präsident Michail
Saakaschwili fördert ganz gezielt die antirussische Stimmung", sagt die Leiterin
des kulturpolitisch engagierten Kaukasus-Hauses in Tiflis, Naira Gelaschwili.
Ziel müsse sein, wieder "normal" mit dem großen Nachbarn zu leben. Aber an
Moskaus Erklärungen von einer "Friedensmission" zum Schutz seiner Bevölkerung in
den abtrünnigen georgischen Gebieten Südossetien und Abchasien glaubt hier
niemand. Immerhin hatte auch die russische Minderheit in Georgien Angst vor den
Bomben aus Moskau.
Georgiens Medienkampagne gegen Russland läuft nach Einschätzung
westlicher Experten hochprofessionell und international effektiv. "Je länger die
Russen auf georgischem Staatsgebiet bleiben, desto mehr Zündstoff hat
Saakaschwili und kann so von seinen eigenen schweren Fehlern im Konflikt
ablenken", meint ein westlicher Diplomat.
Saakaschwili prangert in seinen öffentlichen Reden den
"Kriegstreiber Putin" an, der schon die Tschetschenen im Nordkaukasus
unterdrückt habe. Konjunktur haben Hobbypsychologen, die dem ehemaligen
KGB-Offizier ein georgisches Kindheitstrauma nachsagen. So lebt in einem kleinen
Ort in der Nähe von Gori, der Geburtsstadt des Sowjetdiktators Josef Stalin,
eine alte Frau, die sich Vera Putina nennt und behauptet, der „nationale Führer“
Russlands sei ihr Sohn. Die rüstige Seniorin hält sogar Bilder ihres angeblichen
Sohnes "Wowa" (Koseform von Wladimir) in die Kameras georgischer Medien.
Die in Georgien seit Jahren sehr beliebte Geschichte griff auch
die holländische Dokumentarfilmerin Ineke Smits in ihrem Film "Putins Mama" auf,
der 2004 bei dem Kulturfernsehkanal Arte lief. Beweise für diese Familienbande
gab es aber nie.
Vera soll den kleinen Putin an Verwandte in Russland gegeben
haben, weil ihr georgischer Mann den Stiefsohn nicht anerkannt und immer viel
geschlagen habe. In Russland gibt es bis heute nur wenig Informationen über
Vater und Mutter Putins. Putin ließ zwar einmal wissen, seine Eltern seien früh
gestorben. Doch die Frau, die sich Vera Putina nennt, meint, dass "Wowa" mit der
Wahrheit nie hätte Karriere beim KGB machen können. Manche Georgier spekulieren
nun, Putin habe sich für die Schläge seines kaukasischen Stiefvaters mit Bomben
gerächt.
26.08.2008 WELT ONLINE
(Deutschland)
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Russland erkennt Südossetien und Abchasien an
Moskau (Reuters) - Trotz aller Warnungen des
Westens hat Russland die georgischen Regionen Südossetien und Abchasien als
unabhängige Staaten anerkannt.
Mit dem Angriff auf Südossetien habe Georgiens
Präsident Micheil Saakaschwili alle Hoffnungen auf eine friedliche Koexistenz
der Georgier mit den Abchasen und Osseten zunichte gemacht, sagte Russlands
Präsident Dmitri Medwedew am Dienstag. Angesichts dessen hätten sie das Recht,
über ihre Schicksal selbst zu entscheiden. Er habe daher ein Dekret über die
Anerkennung beider Staaten unterzeichnet. Medwedew berief sich dabei auf das in
der UN-Charta formulierte Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Prinzipien des
Völkerrechts und die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (KSZE). Er forderte andere Staaten auf, dem Beispiel Russlands zu
folgen.
Im Westen löste die russische Entscheidung scharfe
Kritik aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete sie als "absolut nicht
akzeptabel". "Dieses widerspricht (...) dem Prinzip der territorialen
Integrität, einem grundlegenden Prinzip des internationalen Völkerrechts."
Dennoch müsse der Dialog mit Russland weitergehen. Außenminister Frank-Walter
Steinmeier warnte vor unabsehbaren Folgen. "Wenn wir nicht aufpassen, gerät die
gesamte Sicherheitsarchitektur in Europa ins Wanken", schrieb er in einem
Gastkommentar in der "Bild"-Zeitung (Mittwochausgabe).
Auch die französische EU-Ratspräsidentschaft
verurteilte Medwedews Vorgehen scharf und forderte eine politische Lösung der
Konflikte in Georgien. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon warnte, die Anerkennung
Südossetiens und Abchasiens als unabhängige Staaten könnte die Bemühungen des
Sicherheitsrats für eine Lösung des Konflikts gefährden.
Die Europäische Union (EU) hatte in den
vergangenen Tagen die territoriale Integrität Georgiens beschworen und vor einer
einseitigen Änderung der Lage gewarnt. Beide Regionen hatten sich bereits Anfang
der 1990er Jahre von Georgien losgesagt, wurden international aber nicht als
unabhängig anerkannt.
Medwedew, der mit seiner Entscheidung einer
entsprechenden Forderung des russischen Parlaments folgte, wies das
Außenministerium an, diplomatische Beziehungen zu Abchasien und Südossetien
aufzunehmen. Zudem würden Verträge über Freundschaft und gegenseitige
Zusammenarbeit mit ihnen vorbereitet. Bis zu deren Unterzeichnung soll das
russische Militär den Frieden in den beiden Regionen sichern. Ein militärisches
Eingreifen in die Konflikte anderer ehemaliger Sowjetrepubliken habe Russland
nicht geplant, sagte Medwedew dem US-Fernsehsender CNN. Außenminister Sergej
Lawrow forderte vor einem Abzug der Truppen aus dem georgischem Kernland den
Aufbau eines internationalen Sicherheitssystems für die Krisen-Region.
RICE: UNABHÄNGIGKEIT IST EIN TOTGEBORENES KIND
Georgien sprach von einer "offenen Annexion
georgischen Territoriums". "Die Entscheidung ist komplett illegal und ohne
rechtliche Grundlage", sagte Saakaschwili in einer Rede an die Nation.
US-Außenministerin Condoleezza Rice bedauerte den Schritt Russlands. Mit Hinweis
auf das Vetorecht der USA im UN-Sicherheitsrat sagte sie, dass die
Unabhängigkeit der beiden Regionen "ein totgeborenes Kind" sei. Dass Russland
der internationalen Diskussion über die Zukunft der Kaukasus-Region damit
vorgreife und Fakten schaffen wolle, sei sehr schade.
Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer
erklärte, die jüngsten Schritte stellten Russlands Eintreten für Frieden und
Sicherheit im Kaukasus in Zweifel. Die Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens
und Südossetiens sei eine klare Verletzung von UN-Resolutionen. Der Vorsitzende
der OSZE, Finnlands Außenminister Alexander Stubb, sagte, sie widerspreche auch
den Prinzipien der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Russland zeigte sich von der Kritik weitgehend
unbeeindruckt. Außenminister Sergej Lawrow sagte: "Ich glaube nicht, dass wir
uns Sorgen über eine (internationale) Isolation machen müssen." Er sei sicher,
dass sich der gesunde Menschenverstand durchsetzen werde. Einen Beitritt
Abchasiens und Südossetiens zur russischen Föderation erwarte er nicht.
Zugleich kritisierte Lawrow die angekündigte
Lieferungen von Hilfsgütern an Georgien durch US-Kriegsschiffe. Normalerweise
lieferten Kriegsschiffe keine Hilfsgüter, sagte er, "und eine
Kanonenboot-Diplomatie oder humanitäre Kanonenboot-Diplomatie macht die Lage
nicht stabiler". Medwedew warf den USA in einem BBC-Interview offen vor mit den
Hilfslieferungen Waffen an Georgien zu liefern.
JUBEL UND KNALLENDE SEKTKORKEN IN SUCHUMI UND
ZCHINWALI
Mit Freudengeschrei, knallenden Sektkorken und
Schüssen in die Luft feierten die Menschen in der abchasischen Hauptstadt
Suchumi die Anerkennung als unabhängiger Staat durch Russland. In der Metropole
am Schwarzen Meer liefen die Menschen auf die Straßen. "Wir sind glücklich, wir
haben alle Tränen in den Augen, und wir sind stolz", sagte eine 38-jährige
Anwältin. Im Zentrum der südossetischen Hauptstadt Zchinwali jubelten die
Menschen ebenfalls. Auch dort waren Freudenschüsse zu hören. Der südossetische
Regierungschef Eduard Kokoiti kündigte an, Russland um die Errichtung eines
Militärstützpunktes zu bitten.
Der russische Nato-Botschafter Dmitri Rogosin
verglich die Spannungen zwischen seinem Land und dem Westen mit der Situation am
Vorabend des Ersten Weltkrieges. Dabei sei der georgische Präsident Saakaschwili
ein potenzieller Katalysator für einen Konflikt, sagte Rogosin der Zeitung "RBK".
"Insgesamt erinnert micht die gegenwärtige Atmosphäre an die Situation in Europa
im Jahr 1914, als ein Terrorist den Zusammenstoß der Weltmächte auslöste."
Russland und der Westen müssten ihre Beziehungen auf einer pragmatischeren Basis
neugestalten.
26.08.2008 REUTERS Deutschland
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Westen protestiert gegen Medwedews Alleingang
"Extrem unglücklich", "inakzeptabel",
"völkerrechtswidrig": Der Westen läuft Sturm gegen Russlands Entscheidung,
Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anzuerkennen. Kanzlerin Merkel
stellt die Kooperation mit Moskau in Frage.
Moskau/Brüssel - Gerade einmal fünf Minuten
dauerte die Fernsehansprache des russischen Präsidenten Dmitrij Medwedew - doch
mit seiner knappen Erklärung riskiert der Staatschef, die Beziehungen seines
Landes zum Westen dauerhaft zu erschüttern: "Ich habe im Namen der Russischen
Föderation die Anordnungen über die Anerkennung der Unabhängigkeit Südossetiens
und der Unabhängigkeit Abchasien unterschrieben", hat Medwedew verkündet - und
damit ein diplomatisches Beben ausgelöst.
Russlands Anerkennung von Abchasien und Südossetien
(mehr...) wurde im Westen heftig
kritisiert. Unmittelbar nach der Erklärung lehnte die Nato den Vorstoß des
russischen Präsidenten ab: Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer sagte in
Brüssel, das Verhalten Russlands in den vergangenen Wochen stelle Moskaus
Bekenntnis zu Frieden und Sicherheit im Kaukasus in Frage.
Mit ungewöhnlich deutlichen Worten stellte
Bundeskanzlerin Angela Merkel die Kooperation mit Moskau in Frage. Russlands
Handeln sei "absolut nicht akzeptabel", sagte Merkel in Tallinn. "Dieses
widerspricht dem Prinzip der territorialen Integrität, einem grundlegenden
Prinzip des internationalen Völkerrechts." Merkel schloss Konsequenzen für
die erst vor wenigen Wochen begonnenen Verhandlungen mit Russland über ein
Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der EU nicht aus. Für Europa
gelte es jetzt, mit Russland über die gemeinsame Wertebasis zu diskutieren.
Ein einfaches "Weiter so" könne es nicht geben. "Wir müssen als Europäische
Union alles daran setzen, dass wir Georgien und genauso der Ukraine im
Rahmen unserer Nachbarschaftspolitik beistehen", sagte Merkel.
Die EU mahnte eine "friedliche Lösung der
Konflikte in Georgien" an. Die Anerkennung durch Russland stehe "im Widerspruch
zu den Prinzipien der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität
Georgiens", erklärte die EU-Ratspräsidentschaft in Paris. Sie verwies dabei auf
die Charta der Vereinten Nationen und die Resolutionen des Uno-Sicherheitsrates.
Die Konsequenzen der russischen Entscheidung würden geprüft, hieß es.
US-Außenministerin Condoleezza Rice bezeichnete
den Vorstoß Russlands als "extrem bedauerlich". Es habe Gespräche gegeben, wie
man auf internationaler Ebene den Kaukasus-Konflikt lösen könne. Russland sei
dem Ausgang dieser Diskussionen nun zuvorgekommen. Beide abtrünnigen Regionen
seien Teile Georgiens und würden dies auch bleiben. Die USA würden mit ihrem
Veto im Weltsicherheitsrat jeglichen russischen Versuch blockieren, an deren
Status etwas zu ändern.
Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte den
Vorstoß Russlands ungewöhnlich offen. Der Schritt könne weiterreichende Folgen
für die Sicherheit und Stabilität im Kaukasus haben, ließ Ban am in New York
erklären. Die laufenden Bemühungen, über den Sicherheitsrat zu einer gemeinsamen
Lösung in der Georgienfrage zu finden, werden durch den Alleingang erschwert.
Ban forderte, den von Frankreich vorgeschlagenen Sechs-Punkte-Friedensplan voll
umzusetzen.
London fordert "Koalition gegen den russischen Angriff"
Heftige Kritik auch aus Großbritannien:
Außenminister David Miliband nannte die Entscheidung "nicht zu rechtfertigen und
inakzeptabel". Medwedew heize die Krise in Georgien weiter an. "Wir unterstützen
Georgiens Unabhängigkeit und innerstaatliche Integrität, die nicht per Dekret
aus Moskau verändert werden kann." Russland müsse sofort seine Truppen abziehen,
sagte Miliband und kündigte an, am Mittwoch in die Ukraine reisen, um "eine
größtmögliche Koalition gegen den russischen Angriff" zu versammeln.
Frankreich sprach von einer "bedauerlichen
Entscheidung" Medwedews. Ein Sprecher des Außenministeriums in Paris sagte, die
französische Regierung sei dabei, sich mit den europäischen Partnern
abzustimmen, um eine gemeinsame Verurteilung des Schrittes zu erreichen. Der
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nannte das Vorgehen
Russlands "einen Verstoß gegen grundlegende OSZE-Prinzipien. Wie alle
OSZE-Staaten ist Russland verpflichtet, die Souveränität und die territoriale
Integrität anderer zu respektieren."
Italiens Außenminister Franco Frattini äußerte bei
allem Bedauern auch Verständnis: "In Russland schwelte eine Frustration, die
jetzt leider explodiert." Der Westen habe den Fehler begangen, Russland zu
erniedrigen. "Moskau wurde darum gebeten, Energie zu liefern und unseren
Unternehmen Investitionsmöglichkeiten zu bieten, ohne Russland dabei aber eine
politische Rolle zuzuerkennen." Mit "ernsthafter Besorgnis" reagierte das Nato-
und EU-Mitglied Bulgarien. Auch Rumänien sprach von einem "bedauerlichen
einseitigen Akt ohne rechtliche Grundlage".
Der Europarat warf Moskau vor, die territoriale
Integrität eines Mitgliedslandes zu verletzen. "Die Entscheidung Medwedews
gefährdet die Aussicht auf eine Verhandlungslösung in dem Streit um den
künftigen Status dieser beiden Regionen", erklärte Generalsekretär Terry Davis
in Straßburg.
Medwedew zeigt sich von Protesten des Westens unberührt
Ungeachtet des internationalen Proteststurms
bekräftigte Medwedew am Dienstagnachmittag seine Entscheidung. "Wir haben vor
nichts Angst, auch nicht vor der Aussicht auf einen Kalten Krieg", sagte er in
einem auf Englisch übersetzten Interview des Fernsehsenders Russia Today.
"Natürlich wollen wir das nicht. Alles hängt von der Haltung der
Weltgemeinschaft und unserer Partner im Westen ab."
Der georgische Präsident Micheil Saakaschwili warf
Russland vor, sein Land annektieren zu wollen. "Es ist der erste Versuch eines
großen Landes in Europa seit Nazi-Deutschland und Stalin, das Territorium eines
anderen Landes zu annektieren", sagte Saakaschwili am Dienstag in Tiflis.
Der ehemalige sowjetische Präsident Michail
Gorbatschow warnte vor einer erneuten "Spaltung" der Welt: "Das Risiko einer
erneuten Spaltung ist aufgekommen", schrieb er in einer Erklärung an die
russische Nachrichtenagentur Itar-Tass. Der Kaukasus-Konflikt habe eine Reihe
"politischer und militärischer Mechanismen" in den USA, Europa und Russland
ausgelöst. "Es besteht die wachsende Bedrohung eines weltweiten Chaos."
Medwedew hatte seine Entscheidung in der
Fernsehansprache damit gerechtfertigt, Südossetien und Abchasien müssten vor
weiteren möglichen Aggressionen aus Georgien geschützt werden. "Das ist die
einzige Möglichkeit, das Leben der Menschen dort zu schützen." Er erhob erneut
schwere Vorwürfe gegen Georgiens Präsidenten Micheil Saakaschwili. Dieser habe
"den Völkermord gewählt, um seine politischen Aufgaben zu lösen". Georgien habe
den am wenigsten humanen Weg gewählt, um sein Ziel zu erreichen - "Südossetien
zu absorbieren, indem eine ganze Nation eliminiert wird".
Die Menschen in Südossetien und Abchasien nahmen
die Anerkennung der Unabhängigkeit durch Russland mit Begeisterung auf. Durch
die Straßen der vom Krieg zerstörten Hauptstadt Zchinwali liefen Menschen mit
den Fahnen Russlands und Südossetiens. Das Mobilfunknetz in der Region brach
wegen Überlastung zusammen.
26.08.2008 SPIEGEL ONLINE
(Deutschland)
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Südossetien/Abchasien
Freudenschüsse und Entrüstung
Die russische Anerkennung von Südossetien und
Abchasien hat unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Während die
Menschen in den abtrünnigen Provinzen feiern, reagiert der Westen mit zum
Teil scharfer Kritik. Bundeskanzlerin Merkel fand ungewöhnlich harsche
Worte.
Angela Merkel nannte den Schritt Moskaus
völkerrechtswidrig und „absolut nicht akzeptabel“. „Ich denke, dass die
gesamte Europäische Union sich in diesem Sinne auch äußern wird“, sagte sie
am Dienstag in einer Rede in der estnischen Hauptstadt Tallinn.
Die politischen Bemühungen um eine Lösung der
Kaukasus-Krise seien „sehr erschwert worden“ durch die Anerkennung. „Dieses
widerspricht nach meiner Auffassung dem Prinzip der territorialen
Integrität“, fuhr Merkel fort. Gleichzeitig erklärte sie aber, dass sie
weiter zum Dialog mit Russland bereit sei. „Auch im Rahmen der Nato möchte
ich den Gesprächsfaden mit Moskau nicht abreißen lassen.“
Lösung des Konflikts „noch
schwieriger“
Ähnlich wie Merkel äußerte sich auch
Frank-Walter Steinmeier (SPD). „Dieser Schritt berührt die territoriale
Unversehrtheit eines souveränen Nachbarstaates. Das ist für uns nicht
akzeptabel“, unterstrich er in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Mittwoch. Er
erwarte, dass die Lösung der Konflikte in Abchasien und Südossetien dadurch
„noch schwieriger“ werde.
US-Außenministerin Condoleezza Rice
bezeichnete die Kreml-Entscheidung als „höchst unglücklich“. Die USA
betrachteten Abchasien und Südossetien weiter als „Teil der international
anerkannten Grenzen Georgiens“, sagte sie während ihrer Nahostreise. Ähnlich
äußerte sich ein Sprecher des französischen Außenministeriums. Paris halte
weiter an der territorialen Integrität Georgiens fest. „Wir betrachten das
als bedauerliche Entscheidung.“
Ein Sprecher des Außenministeriums in London
sagte, die britische Regierung lehne diese Anerkennung „kategorisch“ ab.
„Das trägt nicht dazu bei, die Aussichten auf Frieden im Kaukasus zu
verbessern.“ Großbritannien unterstütze die „Souveränität und staatliche
Integrität Georgiens“.
Tiflis rechnet mit „harten politischen
Konsequenzen“
Entgegen
Warnungen aus dem Westen hatte Russlands Präsident Dmitri Medwedew zuvor
in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache verkündet, dass Russland
die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens anerkenne. Ein entsprechendes
Dekret sei bereits unterschrieben.
Nach Einschätzung der georgischen Regierung
wird der Schritt des Kremls keine rechtlichen Konsequenzen haben. Die
Entscheidung werde aber „harte politische Konsequenzen“ nach sich ziehen,
sagte der Chef des georgischen Sicherheitsrates, Alexander Lomaja, in
Tiflis.
Menschen in den Provinzen jubeln
Der selbst ernannte Präsident Abchasiens,
Sergej Bagapsch, sprach dagegen von einem „historischen Tag für unser Volk“.
„Ich bin der russischen Führung und dem russischen Volk dankbar für diesen
großen Schritt, der heute unternommen wurde zur Anerkennung der
Unabhängigkeit Abchasiens“, sagte Bagapsch laut der russischen
Nachrichtenagentur Interfax. Auch sein südossetischer Kollege Eduard Kokoiti
sprach von einem großen Tag in der Geschichte seines Landes.
Die Menschen in den abtrünnigen Provinzen
nahmen die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit durch Russland begeistert auf.
Durch die Straßen der vom jüngsten Krieg weitgehend zerstörten
südossetischen Hauptstadt Zchinwali liefen sie mit den Fahnen Russlands und
Südossetiens, meldete die russische Agentur Itar-Tass. Aus vielen Richtungen
seien Gewehrsalven zu hören gewesen. Kurz nach der Verkündung der
Anerkennung durch Medwedew sei das Mobilfunknetz in der Region wegen
Überlastung zusammengebrochen.
26.08.2008 FOCUS ONLINE
(Deutschland)
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Medwedew erkennt Südossetien und Abchasien an
Russlands Präsident Medwedew erkennt die
abtrünnigen georgischen Provinzen Achasien und Südossetien als unabhängig an.
Georgien spricht von "Annexion". Merkel: "Absolut nicht akzeptabel".
In einer Fernsehansprache teilte der russische
Präsident Dmitri Medwedew am Dienstag (26.08.2008) die Nachricht mit: Russland
erkennt Südossetien und Abchasien als unabhängig an. Ein entsprechendes Dekret
habe er unterzeichnet, sagte Medwedew. Der Präsident folgte damit einem Votum
des russischen Parlaments. Der Föderationsrat - das russische Oberhaus - und das
Parlament - die Staatsduma - hatten sich am Montag für die Unabhängigkeit der
beiden abtrünnigen georgischen Regionen ausgesprochen.
Medwedew begründete die Entscheidung mit dem
Selbstbestimmungsrecht der Völker, wie es in der UN-Charta formuliert sei, in
den Prinzipien des Völkerrechts und der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Georgien trage die Schuld an der Eskalation
des Konflikts, betonte er: Der georgische Präsident Michail Saakaschwili habe
"Völkermord gewählt, um seine politischen Pläne zu erfüllen". Mit dem Angriff
georgischer Truppen auf Südossetien am 8. August seien die letzten Hoffnungen
der Menschen in Südossetien und Abchasien auf friedliches Zusammenleben zerstört
worden. Andere Staaten sollten deshalb dem russischen Beispiel folgen und
Südossetien und Abchasien ebenfalls anerkennen.
Georgien: "offene Annexion"
In Südossetien und Abchasien stieß Medwedews
Erklärung auf Zustimmung. Die Präsidenten, Eduard Kokojty und Sergej Bagapsch,
dankten "Russland und dem russischen Volk" für die Anerkennung. "Das ist ein
historischer Tag für unser Volk", sagte der Abchase Bagapsch der russischen
Nachrichtenagentur Interfax.
In Georgien und im Westen stieß die Anerkennung
auf Ablehnung. Die georgische Regierung sprach von einer "offenen Annexion
georgischen Territoriums" durch Russland. Die Entscheidung von Medwedew habe
"keinen rechtlichen Wert", werde aber "harte politische Konsequenzen" haben,
sagte Alexander Lomaja, der Chef des georgischen Sicherheitsrates.
Merkel: "Absolut nicht akzeptabel"
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Anerkennung der Unabhängigkeit der von
Georgien abtrünnigen Gebiete scharf kritisiert. Dies sei "absolut nicht
akzeptabel", sagte sie am Dienstag bei einem Besuch in Tallinn in
Estland. Merkel forderte als Bedingung für die weitere Zusammenarbeit der EU mit
Russland die Einhaltung gemeinsamer Werte. Es gehe um die Achtung der
Menschenrechte, demokratische Prinzipien und die Achtung internationalen Rechts,
sagte sie. Ansonsten könne die Kooperation schwierig werden. Sie wolle den
Dialog im Rahmen der NATO mit Russland nicht abbrechen. Die Zusammenarbeit hänge
aber davon ab, inwieweit diese Grundprinzipien anerkannt würden.
Die Kanzlerin bekräftigte die offenen Türen für eine NATO-Mitgliedschaft von
Georgien und der Ukraine. "Georgien und die Ukraine werden Mitglieder der NATO
sein", sagte sie. Niemand solle daran Zweifel haben, dass als nächster Schritt
der Aktionsplan zur Mitgliedschaft stehe.
Der Westen unterstützt Georgien
Verschiedene weitere westliche Regierungen machten deutlich, dass sie an der
territorialen Integrität Georgiens festhalten. "Wir betrachten das als
bedauerliche Entscheidung", sagte ein Sprecher des französischen
Außenministeriums. Die britische Regierung erklärte, Russlands Entscheidung
widerspreche den Verpflichtungen, die das Land mehrfach in UN-Resolutionen
übernommen habe. Auch Schweden äußerte sich ablehnend zu dem Schritt Russlands.
Am Tag zuvor hatte US-Präsident George W. Bush
gewarnt, eine Anerkennung von Abchasien und Südossetien würde den
Waffenstillstand untergraben, den Frankreich zwischen Georgien und Russland
vermittelt hatte. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die russischen
Parlamentsbeschlüsse als völkerrechtswidrig bezeichnet – kurz bevor Medwedew die
Anerkennung der Unabhängigkeit bekannt gab.
Russland bricht Kontakte ab
Unterdessen kündigte Russland an, die
Zusammenarbeit mit der NATO zu reduzieren. So sei der für Mitte Oktober geplante
Besuch von NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer in Moskau abgesagt. "Diese
Angelegenheit wird auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, bis wir uns über
unsere neue Beziehung zur NATO im Klaren sind", sagte der russische
NATO-Botschafter Dmitri Rogosin am Dienstag in Moskau.
Russland plane aber nicht, die durch sein
Territorium führende Nachschubroute für die NATO-Truppe ISAF in Afghanistan zu
sperren, betonte der Botschafter. Ein Abkommen zum Landtransit
nicht-militärischer Güter für Afghanistan war erst im April vereinbart worden.
Der russische Botschafter in Kabul, Samir Kabulow, hatte gedroht, das Abkommen
zum Landtransit auszusetzen. (det)
26.08.2008 Deutsche Welle
(Deutschland)
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Freudenfeiern in Abchasien und Südossetien nach
Anerkennung
Moskau - Russland erkennt nach den Worten von Präsident Dmitri
Medwedew die Unabhängigkeit der Provinzen Südossetien und Abchasien von Georgien
an. Er habe ein entsprechendes Dekret unterzeichnet, sagte Medwedew in einer
Fernsehansprache.
Südossetien und Abchasien müssten vor weiteren möglichen
Aggressionen aus Georgien geschützt werden. Sie hätten das Recht, nach den
georgischen Angriffen über ihre Zukunft selbst zu entscheiden.
"Das ist die einzige Möglichkeit, das Leben der Menschen dort zu
schützen", sagte Medwedew nach einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates.
Medwedew rief andere Länder auf, ebenfalls die Unabhängigkeit der
von Georgien abtrünnigen Gebiete anzuerkennen.
Mit Freudengeschrei, knallenden Sektkorken und Schüssen in die
Luft feierte die Bevölkerung in der abchasischen Hauptstadt Suchumi den
Entscheid Russlands.
In der Metropole am Schwarzen Meer liefen die Menschen auf die
Strassen, nachdem der russische Präsident Dmitri Medwedew die Unterzeichnung
eines entsprechenden Dekret bekanntgegeben hatte.
In Zchinwali, der Hauptstadt Südossetiens, jubelten ebenfalls die
Menschen im Stadtzentrum. Auch dort waren Gewehrschüsse zu hören.
Georgien dagegen sprach von einer "offenen Annexion georgischen
Territoriums" durch Russland. Die britische Regierung erklärte umgehend, sie
lehne die russische Entscheidung kategorisch ab und bekräftige die "Souveränität
und territoriale Integrität Georgiens".
Auch Frankreich als amtierende EU-Ratspräsidentschaft bedauerte
den Entscheid Russlands, die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens
anzuerkennen.
"Wir betrachten das als bedauerliche Entscheidung", sagte ein
Sprecher des französischen Aussenministeriums. Paris halte weiter an der
"territorialen Integrität Georgiens" fest.
Die USA und zahlreiche europäische Länder hatten Russland zuvor
eindringlich vor diesem Schritt gewarnt. US-Präsident George W. Bush wies den
Beschluss mit Blick auf die territoriale Einheit Georgiens als
völkerrechtswidrig zurück.
26.08.2008 SwissInfo (Schweiz)
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Presseschau zum Kaukasus-Konflikt:
«Russisches Roulette» mit «Schachspielern»
Die unzertrennlichen Duettisten Putin und Medwedew
werden von den skeptischen Kommentatoren vor allem mit strategischen Spielzügen
in Verbindung gebracht – sei es über Schach- oder Roulette-Metaphern.
«Guardian»: Medwedews Ruf auf Dauer befleckt
«Jeder russische Präsident hat ein
Schlüsselereignis, das seine Amtszeit bestimmt. Für Wladimir Putin war das der
Moment, als er Russlands reichsten Mann, Michail Chodorkowski, ins Gefängnis
warf und den Besitz dessen Ölkonzerns Yukos an sich riss.
Die Sache setzte den Ton für den Rest seiner Zeit
als Präsident fest. Russlands Krieg mit Georgien ist der Schlüsselmoment für
Dimitri Medwedew in seiner kurzen Amtszeit. Der Militäreinsatz kann seinen Ruf
auf Dauer beflecken und wird jede Hoffnung zerschlagen, die der ehemalige Anwalt
auf eine liberale innenpolitische Agenda hatte.»
«Charente Libre»: Moskauer Schachspieler
«Die Russen zeigen wieder, welch furchterregende
Schachspieler sie sind. Im selben Moment, wo der Rückzug aus Georgien greifbar
wird, beginnt Moskau eine neue Offensive gegen Georgien über das Parlament, das
Präsident Medwedew aufruft, die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens
anzuerkennen. Und als ob das nicht reichen würde, all diejenigen zu beunruhigen,
die allzu schnell glaubten, die Russen würden auf dem globalen Schachbrett
nichts mehr zählen, greifen die unzertrennlichen Duettisten Putin und Medwedew
zu zwei weiteren Zügen.
Der erste hat angekündigt, dass sein Land ganz
einfach aus einigen Abkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation aussteigen
könnte. Und der zweite hat noch eins drauf gesetzt und erklärt, dass Russland
bereit sei, bis zum Bruch der Beziehungen mit der Nato zu gehen. Die Drohungen
sollen sicherlich auch irritieren. (...) Es wäre aber heikel, jetzt großspurig
aufzutreten, wie es George W. Bush versucht, der seinen Kriegstreiber
Vizepräsident Dick Cheney gen Georgien, Ukraine und Aserbaidschan auf eine Reise
schickt, die nur dazu dienen kann, das Feuer anzufachen.»
«DNA»: Russisches Roulette
«Die im Kaukasus entstandene Krise erinnert an
russisches Roulette. Eine Kugel ist im Revolver, doch die Unsicherheit ist
doppelt: Niemand weiß, wann der Schuss fällt, der das Ende der Beziehungen
zwischen dem Westen und Russland bedeutet. Und niemand weiß, ob es eine echte
Kugel ist oder eine Platzpatrone. Man blufft und überbietet sich in der
Provokation. Da sind zunächst die Russen. Der Aufruf des Parlamentes, die
Separatistenrepubliken Abchasien und Südossetien anzuerkennen, (...) dient
ausschließlich als Druckmittel in einem subtilen Geschacher, bei dem die
Unabhängigkeit des Kosovos die der anderen Separatistengebiete rechtfertigt.
(...)
Wenn die Peitsche bei Tiflis nicht hilft, kann
Moskau auch Zuckerbrot bieten: Gestern hat der Kreml Moldawien die Rückkehr
Transnistriens - noch einer elenden und mafiösen Separatistenrepublik -
versprochen. Unter der Bedingung, dass Chisinau neutral bleibt und Moldawien
also niemals der Nato beitritt. Die Nato im Westen und im Süden seiner Grenzen
eindämmen, das ist das einzige echte Ziel der Russen.»
«Der Standard»: EU auch als Geschäftspartner
wichtig
«Was (...) wollen die Europäer der russischen
Führung überhaupt beweisen? Sanktionen oder eine «Eiszeit» werde es nicht geben,
haben Bernard Kouchner und Angela Merkel, der französische Außenminister und die
deutsche Kanzlerin, schon angekündigt. Zu wichtig ist Russland als
Geschäftspartner.
Die Gefahr ist dagegen groß, dass die 27 mit
großem Pomp der Welt ihre Uneinigkeit und Entschlusslosigkeit zeigen. Es wäre ja
nicht das erste Mal. (...) Der EU-Sondergipfel zur Lage in Georgien kann zu
einem moralischen Appell werden, einer gemeinsamen Besinnung auf den Wert der
politischen Freiheit, einer Solidaritätsbekundung für ein Land, das Teil der
«Nachbarschaftspolitik» der Union ist. Und eine schlichte Botschaft für Russland
gibt es: Die EU ist auch wichtig als Geschäftspartner.»
«Salzburger Nachrichten»: Einseitige Aktionen
statt Absprachen
«In Russland ist klar geworden, dass keine
Institution, sondern das Konstrukt eines «nationalen Führers» alles regelt.
Solange Putin auf beliebigen Posten agiert, dienen Staat und Bevölkerung seinem
Willen. (...) Pompös wurde jetzt in Georgien gezeigt, wie Eigenwille im «nahen
Ausland» - der übrigen Ex-UdSSR - bestraft werden kann. Stur verweist der Kreml
bei der Souveränität von Abchasien und Südossetien auf den Kosovo. Was man sonst
heftig kritisiert und zudem nicht zu Georgien passt, dient nun als
Rechtfertigung.
Keineswegs zuletzt klärt das Votum aus Putins
Reich eine Frontlinie, deren Länge die russisch-georgische Grenze weit
übertrifft. Moskau verzichtet auf Abstimmung mit westlichen Partnern. Die bisher
übliche Reaktion auf gemeinsame Probleme wird durch einseitige nationale
Aktionen ersetzt.»
«Dagens Nyheter»: Merkel bekam Unterstützung in
Schweden
«Als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
ihren schwedischen Kollegen Fredrik Reinfeldt besuchte, stand eine Frage ganz im
Vordergrund: Könnte die EU zur Lösung der Georgien-Krise beitragen? (...) Sicher
ist Merkel in der Frage der georgischen Nato-Mitgliedschaft einigem Druck
ausgesetzt gewesen. Aber ihre in Stockholm geschickt formulierten Antworten
lassen sich nur schwer anders verstehen, als dass Deutschland an seinem
Widerstand gegen eine unmittelbare Aufnahme in die Nato festhält. (...)
Merkel hat die Linie gegenüber Moskau (im
Vergleich zu Ex-Kanzler Gerhard Schröder) angezogen. Grundsätzlich aber vertritt
die derzeitige Koalition weiter dieselbe Linie: Europa hat nichts zu gewinnen,
wenn man Russland wegstößt. Auch in diesem Punkt wurde Merkel von ihrem
russischen Kollegen unterstützt.»
«Kölnische Rundschau»: EU-Scherbenhaufen
«Eigentlich nämlich sitzt sie auf dem
Scherbenhaufen dessen, was eine Strategie hätte sein sollen. Tatsächlich waren
es stets nur verschiedene Mischungen nationaler Instinkte und Interessen,
zwischen denen die EU hin- und her taumelte. Mal dominierte die fromme Idee, der
Westen habe im postkommunistischen Russland einen verlässlichen Wertepartner;
mal behielt das Distanzbedürfnis der Osteuropäer die Oberhand: mal neigte man
der arroganten Vorstellung der US-Rechten zu, der Kalte Krieg sei erst wirklich
gewonnen, wenn der Gegner nicht geschlagen, sondern gedemütigt sei.
Auf schwankendem Boden macht man indes keine
geradlinige Politik. Dass nun in der Krise nachgeholt werden muss, was in
ruhigeren Zeiten versäumt wurde, ist misslich.»
«Financial Times Deutschland»: Kein neuer Skandal
«Dass Abchasien und Südossetien von Russland
kontrolliert werden, ist ein Skandal aber es ist kein neuer Skandal. Die
georgische Zentralregierung hat bereits seit Beginn der 90er-Jahre keinen
Zugriff mehr auf die abtrünnigen Territorien. Die Anerkennung durch Moskau würde
diesen Zustand lediglich zementieren. Ein langer Streit mit Russland um den
Status der Gebiete hieße nur, Kraft zu vergeuden.
Viel wichtiger ist es, dass Moskau sich an den
Friedensplan hält, den es unterzeichnet hat. Die georgische Führung kann nichts
dagegen tun, dass diese Regionen für immer verloren sind. Aus ihrem Land
hingegen kann sie immer noch ein Erfolgsmodell machen womit sie vor dem Krieg
bereits begonnen hatte. Die EU sollte ihr dabei helfen.»
«Passauer Neuen Presse»: Mit diplomatischen Salven
überbrücken
«Nichts deutet darauf hin, dass die Russen sich
aus den beiden abtrünnigen georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien
zurückziehen könnten - Völkerrecht hin oder her. Und die Nato kann sich ihrer
Glaubwürdigkeit wegen keinen Rückzieher leisten. Gut möglich deshalb, dass der
Westen irgendwann einmal die Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien
anerkennt, wenn im Gegenzug Moskau sich mit der Nato-Mitgliedschaft von Georgien
und der Ukraine abfindet.
Der Westen täte sich mit seinem Teil dabei sicher
leichter als Moskau. Die Kunst besteht darin, die Zeit bis zu einer solchen oder
ähnlichen Lösung allenfalls mit diplomatischen Salven zu überbrücken - und dafür
die Soldaten in den Kasernen zu lassen.» (dpa)
26.08.2008 NETZEITUNG
(Deutschland)
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Kritik an russischen Unabhängigkeits-Forderungen
Die Forderung der beiden russischen
Parlamentskammern nach Anerkennung der Unabhängigkeit der von Georgien
abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ist am Montag international auf
Kritik gestoßen. Georgien wies den Beschluss als völkerrechtswidrig zurück.
US-Präsident George W. Bush äußerte sich «zutiefst
besorgt». Die Bundesregierung verwies auf die Souveränität und territoriale
Einheit Georgiens.
Präsident Dmitri Medwedew reagierte am Montag
zunächst nicht auf den umstrittenen Aufruf. Der Kremlchef hatte zuletzt starke
Sympathien für das Streben Abchasiens und Südossetiens nach Unabhängigkeit
gezeigt. Unter russischen Experten ist aber umstritten, ob Medwedew in nächster
Zeit die Unabhängigkeit der Gebiete juristisch anerkennt.
Bush rief die russische Führung in einer in
Crawford (Texas) veröffentlichten Erklärung dazu auf, die Separatisten-Regionen
nicht als unabhängig anzuerkennen. Georgiens territoriale Integrität und Grenzen
müssten genauso respektiert werden wie die jeder anderen Nation, sagte Bush.
Wie das Weiße Haus ferner mitteilte, wird
Vizepräsident Richard Cheney am 2. September zu Gesprächen mit dem georgischen
Präsidenten Michail Saakaschwili nach Tiflis reisen. Bereits am Montag flog eine
hochrangige US-Außenamtsdelegation in die ehemalige Sowjetrepublik, um den
Bedarf an Hilfe beim Wiederaufbau nach dem russische Eingriff einzuschätzen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel distanzierte sich
von der Forderung des russischen Parlaments. Sie sehe dies mit «großer Sorge»,
sagte Merkel in Stockholm. Nach einem Gespräch mit dem schwedischen
Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt erklärte sie: «Das ist gegen die
internationalen Verträge.» Sie erwarte, dass Medwedew die Resolution nicht
unterschreibe. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier wies die russische
Sichtweise im Kaukasus-Konflikt energisch zurück. «Unsere Position ist klar: Die
territoriale Integrität Georgiens steht nicht zu Disposition. Eine politische
Lösung der Konflikte muss auf dieser Grundlage erfolgen», sagte er dem
«Handelsblatt».
In einer von nationalistischen Tönen geprägten
Aussprache bezeichneten russische Abgeordnete die Anerkennung der Unabhängigkeit
als einzige Möglichkeit, um zukünftige Aggressionen von georgischer Seite zu
verhindern. Die russische Militärführung teilte in Moskau mit, man warte «mit
Ungeduld» auf den Unabhängigkeits-Appell des Parlaments. Vize-Generalstabschef
Anatoli Nogowizyn kündigte den Verbleib russischer Friedenssoldaten im
Konfliktgebiet an. «Wir werden diese Mission weiter ausüben und die Lage in der
Region stabilisieren», sagte der General nach Angaben der Agentur Interfax.
Nogowizyn wies die Kritik an der Anwesenheit
russischer Truppen in der georgischen Hafenstadt Poti am Schwarzen Meer zurück.
Die Patrouillen fänden aus Sicht Moskaus «in strenger Übereinstimmung» mit dem
von Frankreich ausgehandelten Sechs-Punkte-Plan statt, sagte der General. Er
drohte Georgien indirekt mit dem Abschuss unbemannter Aufklärungsflugzeuge,
sollte die Führung in Tiflis diese in Südossetien und Abchasien einsetzen.
Medwedew äußerte sich gelassen zu einer möglichen
neuen Eiszeit im Verhältnis zur NATO. «Falls sie (die NATO) die Beziehungen
komplett aufkündigen werden, hätte das für Russland keine schlimmen
Auswirkungen», sagte er.
Der EU-Sondergipfel am kommenden Montag (1.
September), der dem Vernehmen nach auf Antrag Polens und anderer früherer
Ostblockstaaten einberufen wurde, wird sich nach Angaben des Pariser
Außenministeriums mit dem Verhältnis zu Russland und der Hilfe für Georgien
beschäftigen. Diese umfasse drei Bereiche: die humanitäre Hilfe, die Beteiligung
der Europäischen Union vor Ort bei der Umsetzung des Waffenstillstands und die
Einrichtung eines internationalen Mechanismus, erklärte ein Ministeriumssprecher
in Paris. Damit sollen die russischen Friedenstruppen abgelöst werden. Die
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) begann mit der
Verstärkung ihrer Beobachter in Georgien. Von den geplanten 100 Beobachtern
sollen neun in Südossetien und 91 im georgischen Kernland stationiert werden.
Südossetien und Abchasien hatten sich nach dem
Zerfall der Sowjetunion in Bürgerkriegen Anfang der 90er Jahre von Georgien
abgespalten und für unabhängig erklärt. Das jüngste Blutvergießen im Kaukasus
war ausgelöst worden, als Georgien Anfang August Südossetien angriff. Daraufhin
waren russische Einheiten ins Nachbarland einmarschiert und hatten vorübergehend
Teile des georgischen Kerngebietes besetzt. Russland kontrolliert weiter eine
Pufferzone um die abtrünnigen Gebiete. Georgien sieht dies als Besetzung an.
26.08.2008 DPA
(Deutschland)
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Berlin kritisiert Duma-Beschluss zu Abchasien
Inmitten des anhaltenden Konflikts mit Georgien
hat sich das russische Parlament für die Anerkennung der Unabhängigkeit von
Abchasien und Südossetien ausgesprochen. Deutschland verurteilte das umgehend.
Ein Regierungssprecher erklärte, die Forderung sei „keineswegs geeignet", die
Lage weiter zu entschärfen.
Nach dem russischen Föderationsrat hat sich auch
die Duma, das russische Unterhaus, für die Anerkennung der Unabhängigkeit von
Abchasien und Südossetien ausgesprochen. Die Entscheidung zu den abtrünnigen
georgischen Provinzen fiel bei einer Sondersitzung in Moskau. Die Anerkennung
schütze die Menschen in den Gebieten vor äußerer Gefahr, stärke den
internationalen Frieden und die Stabilität in der Region, hieß es in der
Erklärung der Duma. Die Führungen der beiden abtrünnigen Provinzen boten
Russland Abkommen über die Stationierung von Truppen auf ihren Gebieten an. Das
letzte Wort in dieser Frage hat nun Präsident Dmitri Medwedjew.
Medwedjew solle die Unabhängigkeit Südossetiens
und Abchasiens anerkennen, forderten die Vertreter der Parlamentskammern bei
einer Abstimmung am Montag in Moskau. Der Westen beharrt dagegen auf der
territorialen Einheit Georgiens.
Präsident Medwedjew hatte zuletzt starke
Sympathien für das Bestreben Abchasiens und Südossetiens nach Unabhängigkeit
gezeigt. Unter russischen Experten ist aber umstritten, ob Medwedjew auch in
nächster Zeit die Unabhängigkeit der Gebiete de-jure anerkennt. Die russische
Initiative zur Anerkennung Südossetiens und Abchasiens hatte mit dem jüngsten
Krieg im Südkaukasus starke Unterstützung im eigenen Land erfahren. Die Gebiete
hatten sich nach dem Zerfall der Sowjetunion in Bürgerkriegen Anfang der 1990er
Jahre von Georgien abgespalten.
Das jüngste Blutvergießen im Südkaukasus war
dadurch ausgelöst worden, dass Georgien Anfang August Südossetien angriff.
Daraufhin waren russische Einheiten im Nachbarland einmarschiert und hielten
Teile des georgischen Kerngebietes vorübergehend besetzt.
Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat
wegen der Georgien-Krise für den 1. September einen Sondergipfel der
Europäischen Union (EU) anberaumt. Wie das Präsidialamt in Paris mitteilte, kam
Sarkozy damit Forderungen mehrerer Mitgliedsstaaten nach. Frankreich hat derzeit
den EU-Vorsitz inne. Das Gipfeltreffen soll in Brüssel stattfinden. Bei dem
Sondergipfel werde es um die „Zukunft der Beziehungen“ zwischen der EU und
Russland sowie um Hilfen für Georgien gehen, teilte der Elysée-Palast mit.
Die Bundesregierung hat die Forderung des
russischen Föderationsrates und der Staatsduma nach Anerkennung der
Unabhängigkeit der von Georgien abtrünnigen Provinzen scharf kritisiert. Der
Beschluss des Föderationsrates zu Südossetien und Abchasien widerspreche dem
Prinzip territorialer Integrität Georgiens „und insoweit ist es ein Beschluss,
der keineswegs geeignet ist, die Lage weiter zu beruhigen“, sagte
Vize-Regierungssprecher Thomas Steg am in Berlin. „Insofern haben wir auch die
Erwartung, dass weder die russische Regierung noch der russische Präsident
diesem Beschluss des Föderationsrats Folge leisten werden.“ Die Abstimmung im
russischen Oberhaus sei allerdings nicht bindend.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte von
Russland einen umgehenden kompletten Abzug seiner Truppen wie im Friedensplan
vereinbart. „Was nicht erfolgt ist, ist ein vollständiger Abzug“, sagte Steg.
„Wir erwarten, dass auch die Punkte, die vereinbart sind, aber noch nicht
erfüllt sind, in den nächsten Tagen erfüllt werden.“ Merkel habe die Hoffnung
nicht aufgegeben, dass dies gelinge. Es gehe darum, dass die EU hierbei
geschlossen bleibe. Dazu gehörten dann auch Beschlüsse, sagte Steg mit Blick auf
den EU-Sondergipfel am 1. September. Die Kanzlerin startete am Montagmittag ihre
zweitägige Ostsee-Reise. In Stockholm will sie sich mit dem konservativen
schwedischen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt treffen. An diesem Dienstag
fliegt sie weiter nach Estland und Litauen.
Der Wiederaufbau der zerstörten
Infrastruktur kostet nach Schätzungen des georgischen Präsidenten Michail
Saakaschwili sein Land 1,4 Milliarden Euro. Zusätzlich zum Geld für den
Wiederaufbau brauche sein Land eine „Versicherung“ von Europa und den
Vereinigten Staaten, damit Investoren kämen, sagte er der „Financial Times".
Diesen müsse deutlich gemacht werden, dass sie keine Angst vor russischen
Panzern haben müssten. Nicht nur Straßen und Brücken seien zerstört worden,
sondern auch Vertrauen, sagte der georgische Präsident.
25.08.2008 WELT ONLINE
(Deutschland)
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„Wedomosti“: Zeit für Anerkennung der
georgischen Konfliktgebiete noch unreif
Die Ereignisse im Kaukasus haben deutlich gemacht,
dass in der Weltpolitik mit zweierlei Maß gemessen wird, schreibt die Zeitung „Wedomosti“
vom Montag unter Berufung auf Wladislaw Inosemzew, Direktor des Zentrums für
Studien zur postindustriellen Gesellschaft.
Die Lage in den georgischen Krisengebieten und die
Situation, die vor zehn Jahren in Kosovo entstanden war, gleichen einander wie
ein Ei dem anderen. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Georgien die
Situation viel radikaler umgewälzt hat als Serbien - und die Antwort darauf viel
schneller und adäquater erfolgte.
Russland hat die dem Kosovo-Fall ähnelnde
Situation, die durch Moskaus Marionetten in Abchasien und Südossetien als auch
durch Georgien entstanden war, benutzt, um genauso zu reagieren wie die NATO im
Jahr 1999. Plötzlich stellte sich heraus, dass der Westen nicht bereit war,
diese Art des Reagierens als eine Standardantwort anzuerkennen.
Russland hat sich in eine Politik eingemischt, die
bis dahin ein ausschließliches Recht des Westens gewesen ist. Jetzt ist zu spät,
den Rückgang einzulegen. Russland braucht keine neuen Territorien, genauso wie
Europa eigentlich das Kosovo nicht braucht. Doch die Russen wollen dem Westen
zeigen, dass sie bereit und willig sind, auf westliche Art und Weise zu handeln.
Junge aufstrebende Demokratien neigen öfter dazu,
als einheitliche Nation aufzutreten. Der von ihnen bisweilen ausgehende Gewalt
muss ein Riegel vorgeschoben werden. Man muss deutlich machen, dass Moskau ein
Verfechter der humanitären Intervention und Vertreter des Minderheitenschutzes
ist. Wir verstoßen gegen die westliche Regel nicht, wir wenden diese Regel an.
Ähnliche Konflikte brauchen ähnliche Lösungen.
Obwohl die Amerikaner derzeit von einer Hysterie
erfasst sind, werden sie nicht diejenigen sein, die bei der Aufnahme Georgiens
in die NATO entscheidend sind, sondern die Europäer. Russland und die EU
brauchen gemeinsame Herangehensweisen an die Konflikte in den abtrünnigen
Staatsgebilden und Regionen. Die Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien
muss nicht am heutigen Montag anerkannt werden.
Viel besser wäre es, die Lösung des Konflikts auf
die nächste Zeit zu verschieben und abzuwarten, bis Europa bereit wäre, diese
Lösung als Tatsache hinzunehmen. Die EU und Russland sind nicht einfach
Nachbarn. Sie tragen eine gemeinsame Verantwortung für die Zukunft des „Großen
Europas“. Falls beide Seiten nicht lernen werden, gemeinsame internationale
Vorgehensstandards auszuarbeiten, wird die Zukunft Europas alles andere als
rosig sein.
25.08.2008
RIA Novosti
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Merkel warnt Moskau vor Rechtsbruch
Russisches Parlament beschließt Anerkennung
Südossetiens und Abchasiens
Die Forderung des
russischen Parlaments, die abtrünnigen georgischen Provinzen Abchasien und
Südossetien anzuerkennen, stößt im Westen auf einhellige Ablehnung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte in Stockholm den russischen Präsidenten
Dmitri Medwedew auf, die entsprechenden Parlamentsbeschlüsse nicht umzusetzen.
Diese verstießen gegen internationales Recht und führten zu einer schwierigen
Situation, sagte Merkel nach einem Treffen mit dem schwedischen
Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt.
Zugleich appellierte Merkel an die russische
Führung, den verabredeten Sechs-Punkte-Plan zum Truppenabzug in Georgien endlich
einzuhalten.
Regierungssprecher Thomas Steg sah durch die
Beschlüsse der Duma das Prinzip der territorialen Integrität Georgiens verletzt.
Er äußerte zugleich die Erwartung, dass die russische Führung den Beschlüssen
nicht folgen werde.
Beide Kammern des russischen Parlaments
hatten einer Resolution zugestimmt, in der Präsident Medwedew aufgefordert
wird, die abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien
anzuerkennen.
Die georgische Regierung kritisierte diese
Entscheidung. Niemand könne die Annektierung von georgischem Gebiet beschließen,
kritisierte Georgiens Präsident Michail Saakaschwili.
Abchasien und Südossetien hatten sich in den 90er
Jahren von Georgien gelöst und sich einseitig für unabhängig erklärt, trotz
ihrer Abspaltungstendenzen gehören sie völkerrechtlich zu Georgien. Die
Regierung in Tiflis scheiterte vor weniger als drei Wochen mit dem Versuch,
Südossetien mit einer Militäroffensive wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.
Russland, das sich als Schutzmacht sieht, startete daraufhin eine
Gegenoffensive.
25.08.2008 Deutschlandradio
(Deutschland)
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Kaukasus-Konflikt
Merkel warnt Moskau vor Eskalation in Georgien
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Dmitri Medwedjew
vor einer Anerkennung der Provinzen als unabhängige Staaten gewarnt. Sie
erwarte, dass der russische Präsident die Resolution der Duma nicht
unterzeichne, sagte Merkel. Ein solcher Schritt würde die Spannungen weiter
verschärfen und eine "kritische Situation" heraufbeschwören.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die russischen
Parlamentsbeschlüsse für die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens als
völkerrechtswidrig kritisiert. Bei einem Besuch in der schwedischen Hauptstadt
Stockholm forderte sie den russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew am Montag
eindringlich dazu auf, die Anträge zurückzuweisen. "Das wäre sonst eine sehr
schwierige, kritische Situation mit Blick auf die territoriale Integrität
Georgiens", betonte Merkel.
Gleichzeitig bekannte sich die Kanzlerin aber zu
einer Fortsetzung des Dialogs mit Moskau. Eine politische Lösung könne nur
gefunden werden,, wenn auch Gespräche stattfinden. "Diese Philosophie verfolge
ich jedenfalls", sagte die Kanzlerin.
Den Vorwurf, Deutschland und Frankreich agierten
aus wirtschaftlichen Interessen zu zurückhaltend gegenüber Russland, wies Merkel
zurück. Zwar gebe es eine intensive Zusammenarbeit mit Russland im
wirtschaftlichen Bereich. „Das kann ja unsere Wertevorstellungen nicht außer
Kraft setzen“, fügte sie aber hinzu.
Merkel begann in Stockholm eine zweitägige Reise
durch drei EU-Länder. Am Nachmittag traf sie mit Ministerpräsident Frederik
Reinfeldt zusammen. Am Dienstag wird sie Estland und Litauen besuchen.
Unmittelbar vor Merkels Abreise forderte der russische Föderationsrat einstimmig
die Anerkennung der Unabhängigkeit der abtrünnigen georgischen Regionen. Die
zweite Parlamentskammer Duma schloss sich später dieser Haltung an. Die
Beschlüsse sind allerdings nicht bindend, da der Präsident über die
diplomatische Anerkennung von Staaten befinden muss.
Merkel sagte in Stockholm, sie sehe die Beschlüsse
mit großer Sorge. „Das ist gegen die internationalen Verträge.“ Die Kanzlerin
bekräftigte auch ihre Forderung nach einem vollständigen russischen Truppenabzug
aus dem georgischen Kernland: „Wir sind unzufrieden, ... dass der
Sechs-Punkte-Plan bis jetzt nicht erfüllt ist.“
Weitere Hilfe für Georgien zugesagt
Merkel sagte Georgien weitere Hilfe für den
Wiederaufbau der Infrastruktur und der Wirtschaft zu. Die positive Entwicklung
der georgischen Wirtschaft müsse mit Hilfe internationaler Investoren
fortgesetzt werden. „Ich glaube hier kann die Europäische Union wirklich einen
Beitrag leisten.“
Georgien wies am Montag den Beschluss des
russischen Parlaments über die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien
als völkerrechtswidrig zurück. „Russland hat sich offenbar zur Wiederherstellung
der (1991 aufgelösten) Sowjetunion entschieden und möchte damit in Georgien
beginnen“, kritisierte der georgische Präsident Michail Saakaschwili laut der
Agentur Interfax in der Stadt Gori. „Niemand kann eine Annektierung unserer
Territorien legalisieren.“
Am kommenden Montag kommt die EU zu einem
Sondergipfel zur Kaukasus-Krise zusammen. Voraussichtlich wird dabei auch eine
Entscheidung über Merkels Vorstoß für eine Nachbarschaftskonferenz fallen, mit
der die wirtschaftliche Hilfe für Georgien angekurbelt werden soll. Daran
teilnehmen sollen Georgien, direkte Anrainer wie Armenien und Aserbaidschan,
aber auch andere Länder der Region wie Kasachstan und die Ukraine. Russland soll
dagegen nicht eingeladen werden.
Auch Reinfeldt forderte verstärkte
Wiederaufbauhilfe für Georgien. Die Beseitigung der Schäden werde aber lange
Zeit dauern, räumte er ein.
Schweden will sich für eine engere Anbindung
Georgiens an die EU einsetzen. Zwar sei es zu früh, dem Land eine
Beitrittsperspektive einzuräumen, möglich wären aber Visa- und
Handelserleichterungen und eine verstärkte Einbindung Georgiens in
EU-Förderprogramme, sagte Johan Frisell, Leiter der Osteuropa-Abteilung im
schwedischen Außenministerium, der AP. Frisell verwies darauf, dass Schweden
bereits im Mai gemeinsam mit Polen eine engere Partnerschaft der EU mit ihren
östlichen Nachbarn (Georgien, Ukraine, Armenien, Moldawien) angeregt hat und die
Kommission damit beauftragt wurde, Vorschläge dafür zu entwickeln.
Estland will angeblich besseren Nato-Schutz
Im Baltikum könnte Merkel am Dienstag auch mit der
Forderung nach einem besseren militärischen Schutz durch die Nato vor möglichen
russischen Aggressionen konfrontiert werden. Nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung
beklagt besonders der estnische Präsident Toomas Ilves intern, dass das
Verteidigungsbündnis keinen fertig ausgearbeiteten Verteidigungsplan für das
Baltikum habe.
Estland grenzt an Russland, und mehr als 30
Prozent der Bevölkerung sind Russen. Im April vergangenen Jahres hatte die
Verlegung eines umstrittenen sowjetischen Kriegerdenkmals auf einen
Militärfriedhof außerhalb des Stadtzentrums der estnischen Hauptstadt Tallinn zu
blutigen Unruhen geführt.
25.08.2008 WELT Online
(Deutschland)
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Krise im Kaukasus
Russland treibt die Abspaltung Abchasiens und
Südossetiens voran
25. August 2008 Die
beiden Kammern des russischen Parlaments haben sich am Montag in Sondersitzungen
einstimmig für die Anerkennung der von Georgien abtrünnigen Provinzen
Südossetien und Abchasien als eigenständige Staaten ausgesprochen. Präsident
Medwedjew äußerte sich zunächst nicht zu dem Votum. Voraussetzung für eine
Anerkennung ist, dass er ein entsprechendes Gesetz im Parlament einbringt. Im
Westen wurde der Beschluss des russischen Parlaments scharf kritisiert.
Bundeskanzlerin Merkel sagte, sie erwarte, dass
Präsident Medwedjew dem nicht zustimme: „Das ist gegen die internationalen
Verträge.“ Frau Merkel ist auf einer Reise nach Schweden, Estland und Litauen,
um dort über die Folgen der Krise in Georgien zu reden.
Abbruch aller Beziehungen zur Nato?
Äußerungen von Präsident Medwedjew und
Ministerpräsident Putin vom Montag lassen eine weitere Verschlechterung der
Beziehungen zwischen Russland und dem Westen erwarten. Medwedjew sagte in einem
Gespräch mit dem russischen Nato-Botschafter Dmitrij Rogosin, der zu
Konsultationen nach Moskau zurückberufen worden war, dass er auch einen völligen
Abbruch der Beziehungen zur Nato nicht scheue. Wenn die Nato den völligen
Abbruch der Beziehungen wolle, dann sei das für Russland nicht weiter schlimm.
Russland habe sich lange genug um die Entwicklung vollwertiger
partnerschaftlicher Beziehungen bemüht. Sein Land würde zwar gern
gleichberechtigte Beziehungen mit der Nato entwickeln, lehne es aber ab, sich
weiter Illusionen hinzugeben, während um Russland herum Stützpunkte gegründet
und immer mehr Staaten in die Nato hineingezogen würden. Georgien und die
Ukraine hatten auf dem Nato-Gipfel in Bukarest im April die Zusage erhalten,
dass sie eines Tages in das Bündnis aufgenommen würden.
Ministerpräsident Putin stellte in Frage, ob es
sich für Russland noch lohne, der Welthandelsorganisation WTO beizutreten. Es
sei vernünftig, einige in den Beitrittsverhandlungen gemachte Zugeständnisse
auszusetzen, da Russland keine Gegenleistungen erhalte. In Amerika war wegen des
Einmarsches der Russen in Georgien erwogen worden, Russland den Weg in die WTO
zu versperren.
„Nie wieder in Georgien leben“
Die beiden De-facto-Präsidenten von Abchasien und
Südossetien, Sergej Bagapsch und Eduard Kokojty, sagten vor dem russischen
Parlament, ihre Völker könnten niemals wieder in einem georgischen Staat leben.
Sowohl in Abchasien als auch in Südossetien hatte sich dieser Tage die
politische Führung mit Unterstützung der Parlamente und Demonstrationen an
Russland mit der Bitte um Anerkennung gewandt.
Abchasien und Südossetien hatten sich in blutigen
Bürgerkriegen Anfang der neunziger Jahre von Georgien abgespalten. Der Westen
besteht darauf, dass Südossetien und Abchasien völkerrechtlich nach wie vor Teil
des georgischen Staates seien. Russland hatte seine Rolle als Garant der
Waffenstillstandsabkommen und den Umstand, dass es die Mehrheit der in den
Konfliktzonen stationierten Friedenstruppen stellte, mit den Jahren immer
stärker zur Unterstützung der separatistischen Regierungen in Abchasien und
Südossetien benutzt. Wahlen und Volksabstimmungen über die Unabhängigkeit in den
beiden Provinzen wurden von der Staatengemeinschaft, auch von Russland, nicht
anerkannt.
Der russische Präsident Medwedjew hatte nach
Ausbruch der Kämpfe in Südossetien und Abchasien gesagt, Russland werde sich der
Bitte der Völker Abchasiens und Südossetiens nicht verschließen, sondern deren
Entscheidung zur Grundlage seiner Politik machen. Er hatte ebenso wie andere
einflussreiche russische Politiker gesagt, dass es nach dem Krieg in
Südossetien, der in Russland als Aggression Georgiens dargestellt wird, nur noch
schwer vorstellbar sei, dass Abchasen und Südosseten in einem georgischen Staat
leben wollten. In der offiziellen russischen Darstellung hat sich Georgien nicht
nur des Angriffs auf Südossetien, sondern auch des Völkermords an den Südosseten
schuldig gemacht.
Georgische Streitkräfte in Auflösung
Die südossetischen Behörden behaupteten am Montag,
die georgische Polizei sei in Dörfer im Südosten Südossetiens eingerückt. In
einem Ort seien georgische Polizisten festgenommen worden. Die genannten
Ortschaften standen vor dem russischen Einmarsch in Georgien unter georgischer
Kontrolle und hatten eine mehrheitlich georgische Bevölkerung, die allerdings
vermutlich vertrieben wurde. Die südossetischen Behörden wiederholten am Montag
zudem die Behauptung des stellvertretenden russischen Generalstabschefs
Anatoliji Nogowizyn vom Sonntag, Georgien ziehe rings um Südossetien wieder
Truppen zusammen.
Am Montag sagte Nogowizyn, nach Informationen der
russischen Geheimdienste plane Georgien einen militärischen Angriff auf
Abchasien mit dem Ziel, dessen Hauptstadt Suchumi einzunehmen. Die georgischen
Streitkräfte seien dabei, ihre „Gefechtsfähigkeit“ wiederherzustellen und
rückten wieder in die zeitweilig von Russland besetzten Stützpunkte Gori und
Senaki ein. Nogowizyn beharrte darauf, dass sich Senaki, das weit von Abchasien
wie Südossetien entfernt ist, im „Verantwortungsbereich“ der so genannten
russischen Friedenstruppen befinde; nahe der Stadt haben die russischen
Streitkräfte einen Kontrollpunkt eingerichtet.
Nach georgischen Angaben ist am Montag tatsächlich
eine bislang in Senaki stationierte Einheit der georgischen Armee dorthin
zurückgekehrt. Die militärischen Einrichtungen dort seien jedoch von den
russischen Truppen vollständig zerstört worden. Die georgischen Streitkräfte
befanden sich am Ende der Kämpfe mit Russland nach Ansicht ausländischer
Beobachter weitgehend in Auflösung.
Saakaschwili war zum Teilen bereit
Unterdessen sagte Georgiens Präsident Saakaschwili
in einer Fernsehansprache, dass er strikten Befehl gegeben habe, im Konflikt mit
Südossetien nicht auf Zivilisten zu schießen. Zum ersten Mal gab Saakaschwili
öffentlich zu, was bislang nur als Gerücht kursierte: Georgien sei bereit
gewesen sei, Abchasien in eine georgische und eine russische Einflusszone
aufzuteilen, um die Spannungen mit Russland zu verringern. Er habe Medwedjew
vorgeschlagen, den nur schwach besiedelten östlichen Teil Abchasiens zwischen
Inguri- und Kodori-Fluss unter Kontrolle Georgiens zu stellen und dort
georgische Bürgerkriegsflüchtlinge anzusiedeln. Im östlichen Teil sollten dem
Vorschlag zufolge die wirtschaftlichen Interessen Russlands gewährleistet
bleiben und die Anwesenheit der Russen eine gewisse Legalität erhalten.
Auf dieser Grundlage hätte ein Vertrag über die territoriale
Integrität des georgischen Staates geschlossen werden sollen. Wenn die Russen
den Krieg hätten vermeiden wollen, sagte Saakaschwili, wären sie auf dieses
Angebot eingegangen.
25.08.2008 FAZ
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Nach dem Krieg im Kaukasus
Anerkennung für die Abtrünnigen
Das russische Parlament fordert Präsident
Medwedjew auf, Südossetien und Abchasien für unabhängig zu erklären. Andere
sollen sich anschließen.
Von Sonja Zekri,
Moskau
Kurz nacheinander haben beide Kammern des
russischen Parlaments Präsident Dmitrij Medwedjew am Montag gebeten, Georgiens
abtrünnige Provinzen Abchasien und Südossetien zu "selbständigen, souveränen und
unabhängigen Staaten" zu erklären.
Nachdem der Föderationsrat, das russische
Oberhaus, am Morgen einstimmig eine Bitte an Medwedjew angenommen hatte,
forderten die Parlamentarier der Duma wenige Stunden später ebenfalls einstimmig
die Anerkennung der beiden abtrünnigen georgischen Provinzen.
Die Entscheidung Medwedjews werde in der
"allernächsten Zeit" fallen, versprach Duma-Sprecher Boris Gryslow. Der
russische Präsident hatte zuvor versprochen, die Entscheidung über den Status
der Provinzen müsse im Einklang mit dem Willen der Menschen fallen. Beide,
Abchasien und Südossetien, hatten in der vergangenen Woche erneut um ihre
Anerkennung gebeten.
"Barbarische Aggression"
Die russischen Abgeordneten erklärten, die
"barbarische Aggression" Georgiens habe "in einer Stunde fünfzehnjährige
diplomatische und friedensschaffenden Bemühungen" zunichtegemacht, mit denen
Russland und die von den Vereinten Nationen gegründete Gruppe der "Freunde
Georgiens" die territoriale Einheit Georgiens hatten gewährleisten wollen.
Sie forderten Parlamentarier anderer Länder auf,
sich ihrem Votum anzuschließen. Abchasien und Südossetien, zitiert die Agentur
Interfax aus einem Schreiben, seien seit Jahren "faktisch unabhängig" und
besäßen einen "weit größeren Anspruch auf die Anerkennung als der Kosovo".
Im Mai hatten die Duma-Abgeordneten Medwedjew
schon einmal die Anerkennung nahegelegt, damals mit der verschachtelten
Formulierung, Präsident und Regierung mögen "den objektiven Prozess der
Souveränisierung" beschleunigen und die Möglichkeit einer Anerkennung "prüfen",
falls es zu gewaltsamen Schritten Georgiens komme. Inzwischen herrscht aber
nicht nur militärisch eine neue Lage in Georgien, wo russische Truppen nach wie
vor Orte außerhalb jeder Schutzzone kontrollieren, wie etwa den Tiefseehafen in
Poti.
Mitte August hat das georgische Parlament den
Austritt aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) beschlossen. Die
russische Friedensmission in Abchasien aber ist eng mit der GUS verbunden. Nach
dem Krieg Anfang der neunziger Jahre hatte Russland unter GUS-Mandat
Friedenstruppen ans Schwarze Meer geschickt, da kein anderer Staat sich dazu
bereiterklärte. Zudem hält sich dort die UN-Beobachtermission Unomig auf.
Inzwischen beschuldigt Georgien aber die
russischen Soldaten, sie seien "reguläre Truppen" und okkupierten georgisches
Gelände. In Südossetien operiert seit 1992 eine Friedenstruppe aus 1500
georgischen, russischen, süd- und nordossetischen Soldaten.
Diese wurde bislang von der Gemeinsamen
Kontrollkommission unter Aufsicht der OSZE geleitet. Experten hatten diese
Konstruktion als unpraktikabel kritisiert, da die entsandten Soldaten aus
beteiligten, nicht neutralen Ländern stammten. Mit dem Krieg ist das Modell aber
ohnehin hinfällig geworden.
Abrücken von der WTO
Russland, so bemerkten russische Medien, brauche
also für die Anwesenheit seiner Truppen ein neues Mandat. Wladimir Scharichin,
Vize-Direktor des Instituts für GUS-Staaten, sagte der Zeitung Nowoje Wremja,
Georgien könne nicht unbedingt damit rechnen, dass der GUS-Austritt den Abzug
Russlands nach sich ziehe: "Die Europäische Union hat Friedenstruppen im
ehemaligen Jugoslawien, obwohl Serbien kein EU-Mitglied ist."
Unterdessen erklärte Murat Dschojew, der
de-facto-Außenminister Südossetiens, der Anschluss der Provinz an Russland komme
erst nach der internationalen Anerkennung in Frage. Die Vereinigung mit Russland
und dem benachbarten Nordossetien sei aber eher eine langfristige Perspektive.
Seit den Wahlen im vergangenen Herbst
besitzt die Kreml-Partei Einiges Russland die absolute Mehrheit in der Duma. Auf
einem Parteitag im Frühjahr wurde Wladimir Putin zum Vorsitzenden gewählt,
obwohl er nicht Mitglied ist. Putin erklärte am Montag, Russland werde sich aus
einigen Vereinbarungen zurückziehen, die es mit der Welthandelsorganisation WTO
getroffen habe. Diese widersprächen "den Interessen Russlands".
26.08.2008 Süddeutsche.de
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Kaukasus-Konflikt
Ohne Militär ist Europa gegen Russland machtlos
Es wird nicht mehr lange dauern, bis Abchasien und
Südossetien unabhängig sind. Europa ist dagegen machtlos. Denn Russland lässt
sich allein durch Worte nicht beeindrucken. Nur eine einzige Drohung würde die
letzte Kolonialmacht zu einem Politikwechsel bewegen: das militärische
Muskelspiel.
Empört nehmen die Europäer zur Kenntnis, dass das
russische Parlament seinem Präsidenten Dmitri Medwedjew empfiehlt, die
Unabhängigkeit Abchasiens und Ossetiens anzuerkennen und damit das Völkerrecht
zu verletzen. Man kann jetzt schon wetten, dass die beiden abtrünnigen Provinzen
Georgiens in nicht allzu ferner Zeit unabhängige Staaten werden. Vielleicht wird
ihre erste Amtshandlung auch die letzte sein. Womöglich werden Abchasien und
Ossetien darum bitten, in Russland aufzugehen.
Die Europäer wären dagegen machtlos, und sie
sollten das offen zugeben. Anstelle dessen versuchen sie, von der eigenen
Einflusslosigkeit durch Wortgeklingel abzulenken. Russlands Präsident Dmitri
Medwedjew wird das kaum bewegen. Moskau hat die Kritik der Weltöffentlichkeit
noch nie beeindruckt – Prager Frühling hin, Massenmord in Tschetschenien her.
Nur eine einzige Drohung würde die letzte
Kolonialmacht auf dem europäischen Kontinent zu einem Politikwechsel bewegen:
das militärische Muskelspiel. Doch niemand in Europa ist willens und in der
Lage, für den Bestand Georgiens notfalls in einen Krieg gegen die Atommacht
Russland zu ziehen. Sind wir es für die Nato-Mitglieder Estland, Lettland und
Litauen?
Der Krieg in Georgien, den einige Russlandexperten
fälschlicherweise als des Kreml „neue Containment-Politik“ bezeichnet haben –
Moskaus „Roll-back-Strategie“ wäre treffender –, steht für den Versuch, das
einstige Vorfeld, besonders aber die Ukraine, willfährig zu halten. Europa hat
darauf keine Antwort und sollte schleunigst zu einer Haltung finden, die auch
hart ausfallen kann.
Freilich wäre es töricht, Moskaus Interessen in
seinem Vorhof gänzlich zu vernachlässigen. Irgendwo inmitten dieses Zwiespalts
muss die europäische Position liegen. Zufriedenstellend ist das nicht, doch was
wäre die Alternative?
Eines jedenfalls ist klar: Russland ist bestrebt,
die verlorene Macht der Sowjetunion wiederzuerlangen. Unter diesen Umständen
sind die Deutschen gut beraten, endlich die Debatte über die Abschaffung der
Wehrpflicht zu beenden.
25.08.2008 WELT Online
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Parlament für Anerkennung Abchasiens und
Südossetiens

Russische Resolution zu abtrünnigen
georgischen Regionen
Das russische
Parlament hat Präsident Dimitri Medwedjew aufgefordert, die abtrünnigen
georgischen Regionen Abchasien und Südossetien anzuerkennen. Einer
entsprechenden Resolution stimmten am Morgen das Föderationsrat genannte
Oberhaus und am Mittag die Staatsduma jeweils einstimmig zu.
Die
Regierungschefs Südossetiens und
Abchasiens,
Kokoity (links) und Bagapsch
applaudieren im
Föderationsrat.
Duma-Abgeordnete bezeichneten die Anerkennung der
Unabhängigkeit als einzige Möglichkeit, um georgische Aggressionen zu
verhindern. In dem Appell der Duma hieß es, die Anerkennung schütze die Menschen
in den Gebieten vor äußerer Gefahr, stärke den internationalen Frieden und die
Stabilität in der Region. In der Kammer hält die Kreml-Partei Einiges Russland
mehr als zwei Drittel der 450 Sitze.
Föderationsratspräsident Sergej Mironow sagte,
Russland habe "seit 15 Jahren die territoriale Integrität Georgiens respektiert,
aber nach der Aggression gegen Südossetien sind die Beziehungen nicht mehr
dieselben". Beide Regionen hätten "alle Eigenschaften unabhängiger Staaten". Die
Militärführung hatte zuvor erklärt, sie warte "mit Ungeduld" auf den
Unabhängigkeitsappell des Parlaments.
Signal an Medwedjew
Die Beschlüsse haben zwar keine unmittelbaren
Auswirkungen, gelten aber als deutliches Signal für Medwedjew, der in der Frage
das letzte Wort hat. Medwedjew hatte angekündigt, Russland werde "jede
Entscheidung" der Abchasen und Osseten über ihren Status "anerkennen" und
"garantieren".
In beiden Kammern hatte es seit längerem Stimmen
für eine Anerkennung der Unabhängigkeit gegeben. Der Duma-Vorsitzende Boris
Gryslow hatte schon im Zusammenhang mit der Anerkennung des Kosovo durch viele
westliche Staaten angedeutet, dass Russland ähnlich mit Abchasien und
Südossetien verfahren könne.
Stichwort:
Abchasien:
Nach dem Ende der UdSSR
erklärte 1992 die Region an der Schwarzmeerküste einseitig ihre Unabhängigkeit
von Georgien. Nach einem einjährigen Krieg, bei dem Tausende Menschen starben,
unterlag die georgische Armee den Aufständischen. Doch ebenso wie Südossetien
wird auch Abchasien international nicht als unabhängig anerkannt, sondern gilt
weiterhin als Teil Georgiens.
In der Region, deren meisten Bewohner Russen sind, ist eine Friedenstruppe der
GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) stationiert.
Einen von Bundesaußenminister Steinmeier vorgeschlagenen Friedensplan lehnten
die Separatisten vor wenigen Wochen ab.
Kritik an der Entscheidung
Aus Georgien kam Kritik an dem Beschluss.
Abchasien und Südossetien könnten "nicht einfach durch eine Entscheidung des
russischen Parlaments unabhängige Staaten werden", sagte der Minister Timur
Jakobaschwili in einer ersten Reaktion. "Vom rechtlichen Standpunkt aus sehe ich
in dem Beschluss keine wirkliche Bedeutung für die Zukunft der beiden
Provinzen." Georgiens Präsident Michail Saakaschwili warnte Russland in einem
Interview in der französischen Zeitung "Libération" vor einer Anerkennung. Eine
solche Entscheidung wäre "ein Versuch, die Grenzen in Europa gewaltsam zu
ändern" und hätte "desaströse Folgen", sagte er.
Noch vor dem Duma-Entschluss kritisierte die
Bundesregierung die Resolution. Diese sei "keinesfalls geeignet, die Lage zu
beruhigen und zu entschärfen", sagte ein Sprecher. Der Beschluss widerspreche
der territorialen Integrität Georgiens, sei allerdings nur "rein
deklaratorisch". Die Bundesregierung erwarte, dass weder die russische Regierung
noch Medwedjew dem Beschluss folgen werden. Über die Bewahrung der territorialen
Integrität Georgiens gibt es weitgehend Einigkeit in der EU und der NATO.
Stichwort:
Südossetien:
Südossetien liegt im Norden Georgiens
an der Grenze zur russischen Teilrepublik Nordossetien. Es ist etwa so groß wie
die Insel Mallorca und hat etwa 50.000 Einwohner.
Ossetien wurde im 19. und 20. Jahrhundert mehrfach zwischen Russland und
Georgien aufgeteilt. Nachdem Südossetien 1990 seine Souveränität erklärt hatte,
marschierten georgische Nationalisten ein. Mit russischer Unterstützung wurden
sie bekämpft. 1992 wurde ein Waffenstillstand unterzeichnet, der 2004 erneuert
wurde. Auch in diesem Konflikt wurden Hunderte Menschen getötet und Tausende
vertrieben.
Südossetien ist international nicht anerkannt. Regierungschef der Region ist
Eduard Kokoiti.
25.08.2008 ARD Tagesschau
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Abchasien und Südossetien unabhängig?
Duma spricht sich klar für Anerkennung aus
Ungeachtet aller Warnungen des Westens haben beide
Kammern des russischen Parlaments in einem Appell an Präsident Dmitri Medwedew
die Anerkennung der Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien gefordert. Der
Föderationsrat (Oberhaus) und die Staatsduma sprachen sich am Montag in Moskau
jeweils ohne Gegenstimme für die Unabhängigkeit der von Georgien abtrünnigen
Gebiete aus.
In einer von nationalistischen Tönen geprägten Aussprache
bezeichneten russische Abgeordnete die Anerkennung der Unabhängigkeit als
einzige Möglichkeit, um zukünftige Aggressionen von georgischer Seite zu
verhindern. Die russische Militärführung teilte am Morgen in Moskau mit, man
warte "mit Ungeduld" auf den Unabhängigkeits-Appell des Parlaments.
Vize-Generalstabschef Anatoli Nogowizyn kündigte den Verbleib russischer
Friedenssoldaten im Konfliktgebiet an. "Wir werden diese Mission auch weiterhin
ausüben und die Lage in der Region stabilisieren", teilte der General in Moskau
nach Angaben der Agentur Interfax mit.
In dem Appell der Duma an Medwedew hieß es, die Anerkennung
schütze die Menschen in den Gebieten vor äußerer Gefahr, stärke den
internationalen Frieden und die Stabilität in der Region. Die Führungen der
beiden abtrünnigen Provinzen boten Russland Abkommen über die Stationierung von
Truppen auf ihren Gebieten an.
Der Präseident hat das letzte Wort
Das letzte Wort in dieser Frage hat nun Medwedew. Dieser hatte
bisher lediglich angekündigt, dass Russland "jede Entscheidung" der Abchasen und
Osseten über ihr Statut "anerkennen" und "garantieren" werde. Die Führer der
Regionen, Sergej Bagapsch und Eduard Kokojty, forderten Moskau in der
vergangenen Woche zur Anerkennung der Provinzen als eigenständige Staaten auf.
Unter russischen Experten ist aber umstritten, ob Medwedew in
nächster Zeit die Unabhängigkeit der Gebiete juristisch anerkennt. Die
Initiative zur Anerkennung Südossetiens und Abchasiens hatte mit dem jüngsten
Krieg im Südkaukasus starke Unterstützung im eigenen Land erfahren. Russland hat
Georgien vorgeworfen, "Völkermord" an der Bevölkerung in Südossetien begangen zu
haben.
Scharfe Kritik aus Deutschland
Das Votum im Moskauer Parlament erregte scharfe Kritik der
deutschen Bundesregierung, die auf die Souveränität und territoriale Einheit
Georgiens verwies. Es gebe die feste Erwartung, dass die Führung in Moskau
diesem Beschluss nicht Folge leiste, sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg
in Berlin. Die Abstimmung sei nicht bindend, sondern habe zunächst einen rein
deklaratorischen Charakter, fügte Steg hinzu. Gemäß russischer Verfassung
entscheidet der Präsident über die Anerkennung von Staaten.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) fordert von
Russland weiterhin den umgehenden kompletten Abzug seiner Truppen, wie im
Friedensplan vereinbart. "Wir erwarten, dass auch die Punkte, die vereinbart
sind, aber noch nicht erfüllt sind, in den nächsten Tagen erfüllt werden", sagte
Vize-Regierungssprecher Steg. Dabei gehe es vor allem um Kontrollpunkte an
wichtigen Verkehrsadern und die Präsenz in der Hafenstadt Poti. Merkel habe die
Hoffnung nicht aufgegeben, dass dies gelinge. Steg erinnerte Russland daran,
dass es Interessen auf beiden Seiten gebe, die Beziehungen zu pflegen. (apa/red)
25.08.2008 News.at (Österreich)
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EU erhöht Druck: Sondergipfel wegen Georgien-Krise
einberufen
Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift:
Russische Soldaten in Georgien - ihre Präsenz
dort ist umstritten
Der Westen erhöht in der Kaukasuskrise den Druck
auf Russland. Frankreichs Präsident und derzeitiger EU-Ratsvorsitzender Nicolas
Sarkozy hat einen Sondergipfel der Union für den 1. September nach Brüssel
einberufen.
Bei dem Treffen werde es "um die Zukunft der
Beziehungen" zwischen der EU und Russland gehen, hieß es am Sonntag (24.08.2008)
in einer Mitteilung des Präsidialamtes in Paris. Zudem sollen Hilfsleistungen
für Georgien besprochen werden. Mehrere Mitgliedsstaaten hätten die Einberufung
eines Gipfeltreffens angeregt, erklärte der Elysée-Palast weiter.
Ein Regierungssprecher in Berlin teilte mit,
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) werde an dem Gipfel teilnehmen. Zuvor hatte
auch die Bundesregierung ihren Tonfall gegenüber Moskau verschärft und auf eine
vollständige Umsetzung des Abzugsplans für die russischen Truppen aus Georgien
gedrungen.
"Geschichte wiederholt sich nicht"
Merkel sagte am Sonntag im ZDF-Sommerinterview,
nach Erkenntnissen der Bundesregierung sei der Sechs-Punkte-Plan zur
Entschärfung des Konfliktes noch nicht ganz umgesetzt. Deutschland werde
jedenfalls "nicht zur Tagesordnung übergehen". Russland müsse daran gelegen
sein, dass es keinen Vertrauensverlust gebe. Die Kanzlerin sagte, im "Kontakt zu
Russland sind Einschränkungen möglich". Man wolle Russland weiter durch
Gespräche und, wenn möglich, auch durch Beschlüsse zum vereinbarten Abzug
bewegen.
Befürchtungen, es stehe ein neuer Kalter Krieg
bevor, wies Merkel zurück. "Die Geschichte wiederholt sich nicht", sagte sie.
Sie wolle gegenüber Moskau aber deutlich machen, "was unsere Werte sind", sagte
die Kanzlerin im ZDF. Zu den außenpolitischen Werten Deutschlands gehöre die
Einhaltung der territorialen Integrität eines Landes.
Umstrittenes Thema: Territoriale
Integrität
"Territoriale Integrität" wird jedoch
international und von Fall zu Fall sehr unterschiedlich ausgelegt. In Georgien
pocht die Bundeskanzlerin darauf. Dem Kosovo billigte sie dagegen zu, sich ohne
Zustimmung des Mutterlandes Serbien von diesem zu lösen. Ähnlich zwiespältig
verhält sich Russlands Präsident Dmitri Medwedew. Er sagte bereits, die
Südosseten hätten ein Recht, sich für unabhängig zu erklären. Auch das russische
Oberhaus (Föderationsrat) stimmte am Montag für die Anerkennung der
Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien. Dieses Recht verwehrt die
russische Regierung jedoch der zu Russland gehörenden Region Tschetschenien. Das
dortige Unabhängigkeitsstreben wird gewaltsam unterdrückt.
Pufferzone

Der Westen stößt sich unter anderem an den von
Russland eingerichteten Pufferzonen und Kontrollpunkte rund um Südossetien und
Abchasien. Nach dem weitgehenden Rückzug aus dem Kerngebiet Georgiens
kontrollierten russische Soldaten auch am Sonntag noch den strategisch wichtigen
Schwarzmeerhafen Poti, der 30 Kilometer südlich der Trennlinie zu Abchasien
liegt. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP will Russland die
Hafenstadt am Schwarzen Meer auch künftig unter russischer Kontrolle belassen.
Die darüber hinaus in acht beziehungsweise 18 Kontrollposten um die abtrünnigen
Gebiete Südossetien und Abchasien stationierten Soldaten sollen nach den Worten
des Generalstabs in Moskau Sabotageakte verhindern und die Bevölkerung schützen.
Vize-Generalstabschef Anatoli Nogowizyn betonte in Moskau, die von Frankreich
mit ausgearbeitete Friedenslösung sehe "vorübergehende Maßnahmen" bis zu einer
internationalen Regelung für das Konfliktgebiet vor.
Der Kreml dementierte eine Mitteilung Frankreichs,
wonach sich die Präsidenten beider Länder am Samstag telefonisch auf eine
langfristige Ablösung russischer Friedenssoldaten durch die OSZE geeinigt
hätten. Das sei kein Thema gewesen, hieß es in Moskau.
Moskau hatte den Rückzug seiner Einheiten nach
Südossetien und Russland am Freitagabend für abgeschlossen erklärt. Die
georgische Polizei übernahm wieder die Kontrolle über die Stadt Gori, 60
Kilometer vor Tiflis.
Druck aus dem Weißen Haus
Die USA forderten Russland zum sofortigen Abzug
seiner Soldaten aus dem georgischen Kerngebiet auf. "Sie haben sich nicht
vollständig aus den Gegenden zurückgezogen, die als nicht umstritten gelten",
sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Gordon Johndroe. Kontrollpunkte oder
Pufferzonen seien in dem Sechs-Punkte-Plan nicht vorgesehen. Russische Truppen
dürften keine Straßensperren und Kontrollpunkte in und um Poti errichten, sagte
Johndroe.
Sarkozy forderte in einem Telefonat mit Medwedew
die Freigabe der Hafenstadt und der Straße von Poti nach Senaki. Auch
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) appellierte an Moskau, alle
wichtigen Straßen-, Schienen- und Seewege in Georgien freizugeben.
Russische Sabotage?
Nahe Gori explodierte am Sonntag ein mit
Treibstoff beladener Zug, der auf der Ost-West-Verbindung durch Georgien vom
aserbaidschanischen Baku in die Hafenstadt Batumi unterwegs war. Nach Angaben
des Gouverneurs Lado Wardselaschwili gab es keine Opfer. Die georgischen
Behörden führten den Brand auf die Explosion einer russischen Mine zurück. Sie
warfen den russischen Truppen vor, durch Minen die zivile und militärische
Infrastruktur sabotiert zu haben. Vor einer Woche war nahe Tiflis bereits eine
Eisenbahnbrücke durch eine Explosion zerstört worden.
US-Kriegsschiff im Schwarzen Meer
Vor Batumi machte am Sonntag ein erstes
US-Kriegsschiff mit Hilfsgütern für die Kaukasusrepublik fest. Weitere
US-Schiffe sollen folgen. "Die NATO verstärkt unter dem Vorwand der humanitären
Hilfe ihre militärische Präsenz im Schwarzen Meer", kritisierte der Generalstab
in Moskau.
Reisediplomatie
Merkel wollte den Kaukasuskonflikt auch bei
einer Reise nach Schweden und ins Baltikum ansprechen. Die Kanzlerin reist nach
Stockholm, Tallinn und Vilnius. An diesem Montag trifft sie in Schweden zunächst
Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt. Am Dienstag fliegt sie nach Estland und
Litauen. Die drei EU-Mitgliedstaaten fordern eine härtere Gangart gegenüber
Russland. (mas)
25.08.2008 DW-World
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Moskau: Föderationsrat für Südossetiens
Unabhängigkeit
Der Föderationsrat des
russischen Parlaments will die abtrünnigen georgischen Regionen Südossetien und
Abchasien als unabhängige Staaten anerkennen.
Der Föderationsrat des russischen Parlaments hat
sich dafür ausgesprochen, die abtrünnigen georgischen Regionen Südossetien und
Abchasien als unabhängige Staaten anzuerkennen.
Die Mitglieder der Parlamentskammer votierten am
Montag einstimmig für eine Resolution, die Präsident Dmitrij Medwjedew zur
Anerkennung auffordert. Auch die zweite Kammer des Parlaments, die Duma, wollte
im Laufe des Tages auf einer außerordentlichen Sitzung über die Situation in den
beiden Gebieten diskutieren.
Südossetien hatte sich Anfang der 90er Jahre von
Georgien losgesagt, international ist die Unabhängigkeit aber nicht anerkannt.
Georgien unternahm Anfang August den Versuch, mit einer Militär-Offensive die
Kontrolle über die Region zurückzugewinnen, wurde aber von einem russischen
Großaufgebot zurückgeschlagen.
Moskau hat Südossetien bislang nicht als
unabhängigen Staat anerkannt. Südossetien hatte Moskau zuletzt um Anerkennung
der Unabhängigkeit von Georgien gebeten. In Südossetien leben rund 70.000
Menschen. Etwa 90 Prozent von ihnen haben einen russischen Pass.
Votum in Duma ebenfalls sicher
Ein gleichartiges Votum des russischen
Unterhauses, der Staatsduma, galt am Montag ebenfalls als sicher. Die Kreml-nahe
Mehrheitspartei "Geeintes Russland" hatte sich am Morgen für eine Anerkennung
Abchasiens und Südossetiens ausgesprochen. Die Partei verfügt in der Duma über
die absolute Mehrheit.
Medwjedew hatte zuletzt starke Sympathien für das
Eigenständigkeits-Bestreben Abchasiens und Südossetiens gezeigt. Unter
russischen Staatsrechtsexperten ist aber umstritten, ob der Präsident in
nächster Zeit die Unabhängigkeit der Gebiete anerkennt, die sich nach dem
Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre von Georgien de facto losgelöst
und unter russischen Schutz gestellt hatten. Abchasien war in Sowjetzeiten eine
autonome Republik, Südossetien ein autonomes Gebiet. Nordossetien (Alanien) ist
eine zur Russischen Föderation gehörende Republik.
Das jüngste Blutvergießen im Südkaukasus war
dadurch ausgelöst worden, dass Georgien Anfang August in Südossetien
einmarschierte. Daraufhin waren russische Einheiten im Nachbarland einmarschiert
und hielten Teile des georgischen Kerngebietes vorübergehend besetzt.
25.08.2008 Die Presse (Österreich)
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Georgische Schriftstellerin über Krieg
"Die Leute sind gebrochen"
Die georgische Schriftstellerin Naira Gelaschwili
beklagt das Leid der Menschen im Kaukasus und kritisiert die militärische Logik
der Politik. Russland, so sagt sie, sei ein gefährlicher Nachbar.
taz: Frau Gelaschwili, wie würden Sie die
derzeitige Situation in Georgien beschreiben?
Naira Gelaschwili:
Es ist eine Katastrophe geschehen. Viele Opfer sind zu beklagen, die Natur,
Tiere und Pflanzen, wurden vernichtet. 300 Hektar im Naturschutzgebiet
Borjschomi brennen immer noch. Die Menschen, die nicht getötet wurden, sind
geistig gestorben.
Was heißt das genau?
Angst, Leid und Schmerz haben die Menschen
gebrochen. Für sie ist unbegreiflich, was geschehen ist. Besonders die Männer
sind in ihrem Selbstverständnis tief erschüttert. Die russischen Truppen stehen
in Georgien und sie können nichts dagegen tun.
Kam diese Entwicklung hin zu einem Krieg wirklich
völlig unerwartet?
Für mich, meine Freunde und andere Gleichgesinnte
nicht. Die permanente Militarisierung Georgiens und die militante,
nationalistische Rhetorik unseres Präsidenten und unserer Regierung waren
bereits erste Anzeichen dafür. In Richtung Friedenspolitik wurde in den letzten
Jahren fast nichts unternommen. Friedensorganisationen und die Experten, die
viel Erfahrung auf dem Gebiet einer friedlichen Konfliktlösung haben, waren
überflüssig geworden. Niemand brauchte sie. Im Georgischen gibt es ein
Sprichwort: Ein Blinder steht vor einer Mauer und kann sich nicht vorstellen,
diese Mauer links oder rechts zu umgehen. Er ist fest davon überzeugt, dass es
keinen Weg gibt. Das Gleiche tun unsere Politiker. Sie behaupten, die einzige
Möglichkeit, Abchasien und Südossetien zurückzubekommen, ist der Einsatz von
Gewalt. Andere Konzepte haben sie nicht.
Das heißt, dass die georgische Regierung
bewusst auf diese Eskalation hingearbeitet hat?
Ich habe zwar zu den Politikern kein Vertrauen,
kann ihnen aber nicht einfach ein Verbrechen dieser Größenordnung zuschreiben.
Das ist für mich unvorstellbar. Doch auch, wenn es nur eine Schutzreaktion war
und ein Versuch, die eigene Bevölkerung zu verteidigen, war diese Offensive ein
großer Fehler.
Glauben Sie, dass Südossetien und
Abchasien für Georgien jetzt verloren sind?
Ja, zumindest für die nächste Zeit. Für mich gibt
es keine territoriale Integrität. Das ist kein heiliger Begriff. Für mich ist
der Hauptwert die Würde und das Leben der Menschen. Gut, die Abchasen wollen
nicht mehr mit den Georgiern zusammenleben. Für sie und die Südossetien scheint
es vielverspechender, sich auf Russland zu orientieren. Aber soll man deswegen
die beiden Völker ausrotten? Abchasien und Südossetien, das sind doch keine
Territorien, wo Steine liegen. Dort leben Menschen. Unsere Bemühungen müssen
dahin gehen, dass die Abchasen und Südosseten eines Tages selbst sagen, dass sie
wieder mit den Georgiern zusammenleben wollen. Wenn die Georgier, Abchasen und
Südosseten sagen, wir brauchen keine Friedenstruppen mehr, weil wir versöhnt
sind, erst dann sind alle Probleme gelöst.
Das klingt im Moment wie eine Utopie. Was sind die
Voraussetzungen dafür, einen solchen Prozess einzuleiten?
Zuerst muss sich Georgien wirtschaftlich
entwickeln und friedlich werden. Georgien ist arm, und die Menschen laufen von
hier weg. Warum sollten die Südosseten und Abchasen zurückwollen? Dafür gibt es
jetzt doch überhaupt keinen Anreiz.
Könnte dieser Krieg Präsident Michail Saakaschwili
das Amt kosten?
Das Schicksal Saakaschwilis ist unwichtig, jetzt
geht es um das Volk. Die Welt muss uns helfen, dass die russischen Truppen das
Land verlassen. Damit wir wenigstens die Menschen retten, die am Leben geblieben
sind. Alles andere kommt danach.
Halten Sie den baldigen Abzug der russischen
Truppen für realistisch?
Nicht wirklich. Russland hat Georgien und dem
Westen den Fehdehandschuh hingeworfen. Die Botschaft lautet: Ihr könnt keinen
Krieg mit uns beginnen, und auf alles andere pfeifen wir. Doch das war von
georgischer Seite zu vermeiden. Die Rhetorik unserer Politiker war lange so
antirussisch und undiplomatisch. Ständig wurde Russland beschimpft. Ich als
einzelner Mensch kann mir so etwas erlauben. Seit dem Tschetschenienkrieg bin
ich aus Protest nicht mehr nach Moskau gereist und habe auch weiter nicht vor,
das zu tun. Doch wenn ich Präsidentin wäre, müsste ich meine Emotionen
herunterschlucken und diplomatisch sprechen, weil ich mein Volk verteidigen
muss.
Sie haben gesagt, dass Leute wie Sie, die sich in
der Friedensarbeit engagiert haben, nicht gebraucht wurden. Könnte sich das
durch den Krieg ändern?
Einzelne Menschen werden jetzt begreifen, dass
Friedensarbeit wichtig ist. Jedoch in die Politik kommen solche Leute nicht.
Dort sitzen diejenigen, die kein Verständnis für regionale Entwicklungen haben.
Ich hingegen denke, dass wir uns zusammen mit allen unseren Nachbarvölkern
entwickeln müssen.
Auch Russland ist Ihr Nachbar …
Ob uns das gefällt oder nicht, Russland ist eine
Gegebenheit, und damit basta. Russland ist ein gefährlicher Nachbar. Damit haben
wir reichlich Erfahrungen, zum Beispiel den Krieg in Tschetschenien und das, was
wir in Abchasien erlebt haben. Je kleiner das Volk ist, desto klüger muss es
sein. Jetzt müssen wir nach Wegen suchen, um gute Beziehungen zu Russland
aufzubauen. Russland kann alles, das Land hat keine Bremse mehr. Und die Wunden,
die Russland einem kleinen Nachbarn zufügen kann, kann die Nato nicht heilen.
Gucken Sie sich die Landwirtschaft an. Die ist ruiniert, weil wir Russland als
Markt verloren haben. Bisher hat kein Politiker die Schäden beziffert, die wir
durch die russischen Wirtschaftssanktionen erlitten haben.
Was erwarten Sie von der georgischen
Regierung?
Wenigstens jetzt müssen die Politiker ehrlich sein
und die Politik transparent machen. Wir wissen doch überhaupt nicht, was
gespielt wird und was hinter den Kulissen geschieht. Warum verlassen die Russen
das Land nicht, was verlangen sie von uns? Alles ist unklar. Jetzt schweigen
alle, niemand will Saakaschwili kritisieren. Sie sagen: Erst müssen die Russen
das Land verlassen, und dann beginnen wir alles zu analysieren. Und was ist,
wenn die Russen noch ein Jahr hier bleiben? Wir können doch nicht ein Jahr
schweigen!
Nach Transparenz und einer kritischen
Auseinandersetzung sieht es im Moment nicht aus.
Die Politiker haben das Volk schon lange in die
Irre geführt. Wie schon Herder gesagt hat: Für die Politik ist der Mensch ein
Mittel, aber für die Moral ein Ziel. Das stimmt leider bis heute. Jahrelang
wurde im Fernsehen gepredigt, dass wir siegreich seien, ein tapferes Volk und
alles erreichen könnten. Auch jetzt wird dieser Krieg im Fernsehen vollkommen
ideologisiert. Unsere Niederlage wurde fast zu einem Sieg erklärt. Ich bin der
Meinung: lieber Abchasien und Südossetien verlieren, als deswegen einen Krieg
führen. Doch Menschen wie ich, die immer gegen Gewalt und die militärische
Lösung von Konflikten waren, haben keine Möglichkeit, mit dem Volk zu sprechen.
Im Fernsehen bekommen wir keine Möglichkeit, weil alle Sender Saakaschwili
unterstehen. Und der gründet lieber patriotische Jugendgruppen, die ihm Beifall
klatschen. Eine Art neuer Komsomol.
Wie wirkt sich dieser Konflikt auf den
Kaukasus insgesamt aus?
Grausam. Schon jetzt ist es für uns gefährlich, in
den Nordkaukasus zu reisen, und das wird jetzt noch schwieriger. Denn dort gibt
es einige Völker, die die Osseten unterstützen. Kurzum: Die Kluft zwischen
Georgien und dem Nordkaukasus wird sich weiter vertiefen. Dabei müsste die
Mission Georgiens eigentlich sein, Zentrum einer gesamtkaukasischen
Friedenspolitik zu werden.
Heißt das, dass auch Ihre Arbeit jetzt schwieriger
wird?
Ja. Bis 2003, als die jetzige Regierung an die
Macht gekommen ist, hatten sich unsere Beziehungen zu den Südosseten schon gut
entwickelt. Wir konnten problemlos nach Zchinwali fahren, und die Osseten kamen
täglich zu uns ins Kaukasische Haus. Nach einer Kurzoffensive von georgischer
Seite 2004 war wieder alles kaputt und das ganze Vertrauen, das die Osseten zu
uns gefasst hatten, verspielt. Alles, was wir bis dahin erreicht hatten, war
zunichte gemacht. Jetzt, nach diesem Krieg, ist wirklich alles aus. Während
dieser schrecklichen ersten Tage haben uns Osseten angerufen. Sie sagten: "Wir
sitzen in dunklen Kellern, helft uns!" Doch wir konnten nichts tun. Ob wir noch
einmal Vertrauen aufbauen können, weiß ich nicht. Ehrlich gesagt, ich habe kaum
noch Hoffnung.
Sehen Sie Georgiens Platz im Westen und in der
Nato?
Ich und meine Mitarbeiter treten für eine
Vereinigung des Südkaukasus als neutrale Zone ein. Armenien, Georgien und
Aserbaidschan sollen einen wirtschaftlichen und politischen Block bilden. Was
Abchasien, Südossetien und Nagorny Karabach angeht, so sind diese Problem
derzeit nicht lösbar. Deshalb sollte ein Moratorium verhängt werden, und das
wenigstens für sieben Jahre. Diese Zeit sollte für einen Versöhnungsprozess und
die Entwicklung der Wirtschaft genutzt werden. Schon vor dem Krieg haben vor
allem Frauen beim Kaukasischen Haus einen Gesellschaftsrat gebildet. Dort
treffen sich nicht nur Mitarbeiter des Hauses, sondern breitere Kreise, die
unsere Ideen teilen. Wir haben eine eigene Konzeption für die regionale,
politische und ökologische Entwicklung erarbeitet. Nun wollen wir dafür kämpfen,
wenigstens eine Stunde pro Woche im Fernsehen zu bekommen, um unsere Ideen zu
präsentieren und dieser nationalistischen Rhetorik etwas entgegenzusetzen.
Haben Sie einmal daran gedacht, in die
Politik zu gehen?
Nein, das langweilt mich. Es ist wunderbar,
Schriftstellerin zu sein. Und ich bin ein Mensch, der das sagt, was er denkt,
und das ist in der Politik nicht möglich.
INTERVIEW:
BARBARA OERTEL
24.08.2008 taz
***
Russland: „Nicht forcieren, was ohnehin kommt“
Von unserem Korrespondenten EDUARD STEINER
Am Montag will das Parlament in Moskau die
Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens einseitig anerkennen. Präsident
Medwedjew könnte sich dagegen stellen.
MOSKAU.
Vorzeitig mussten die Abgeordneten und Senatoren ihren Urlaub
abbrechen. Auf den außertourlichen Sitzungen der beiden russischen
Parlamentskammern sollte montags über die Anerkennung der Unabhängigkeit der von
Georgien abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien entschieden werden. Der
jüngste Krieg um diese Gebiete hat das alte Thema der Unabhängigkeitserklärung,
das durch die Anerkennung des Kosovo neue Nahrung erhalten hatte, virulent
gemacht.
Die Führungen in Südossetien und Abchasien hatten
Russland vergangene Woche um eine positive Entscheidung gebeten. Die bisherigen
Signale aus den beiden Parlamentskammern – Staatsduma und Föderationsrat –
lassen erwarten, dass man der Bitte nachkommen will. So hat der Sprecher des
Föderationsrats, Sergej Mironow, gemeint, es könne keine Rede davon sein, dass
die Republiken nach der „georgischen Aggression“ noch bei Georgien bleiben. In
diesem Sinn hatten sich auch Präsident Dmitrij Medwedjew und Premier Wladimir
Putin geäußert.
Ob aber Medwedjew eine positive Entscheidung des
Parlaments tatsächlich absegnen werde, hängt laut Alexej Makarkin, Vizedirektor
des „Moskauer Zentrums für Polit-Technologie“, von zwei Faktoren ab: Erstens, ob
Medwedjew außer internationalen Paria-Verbündeten wie Weißrussland noch andere
Länder zur Unterstützung gewinnt. Zweitens, wie er mit dem von Aserbaidschan
abtrünnigen „Berg-Karabach“ und dem von Moldawien abtrünnigen Transnistrien
umzugehen gedenkt: „Wie soll man erklären, dass Russland die einen anerkennt,
die anderen aber nicht?“, fragt Makarkin.
Alarmglocken schrillen
Argumentativ werden sich die Parlamentskammern und
gegebenenfalls auch Medwedjew darauf stützen, dass Georgien russische
Friedenssoldaten getötet und den Konfliktregelungsvertrag aus den Jahren 1992
und 1994 verletzt sowie einen „Genozid“ verursacht habe. Außerdem können
Abchasien und Südossetien jeweils auf Referenden aus den Jahren 1999 bzw. 2006
verweisen, bei denen die Bevölkerung mehrheitlich für die Unabhängigkeit
gestimmt hatte.
In Georgien läuten die Alarmglocken, da man in
Folge der Unabhängigkeit eine Annexion der beiden Regionen durch Russland
befürchtet. Moskau bindet die Gebiete ja bereits durch Ausgabe von Pässen und
Pensionszahlungen an sich. Ein Teil der Experten vermutet, dass Russland
Südossetien integrieren und dort eine Militärbasis errichten will. Abchasien
könnte den Status eines eigenen Staates unter Moskaus Schutz erwerben.
Mahnung zur Zurückhaltung
Anatolij Adamischin, Ende der Neunzigerjahre
russischer Minister für GUS-Angelegenheiten, sieht Russland zwar im Recht, die
Separationsrepubliken anzuerkennen. Er rät aber zur Zurückhaltung: Die
aufgestachelten Russen würden derzeit die negativen Folgen zu wenig abwägen:
georgischen Hass auf Russland wegen des Gebietsverlustes; weiterer
internationaler Imageverlust; empfindliche Reaktionen in GUS-Staaten wie der
Ukraine; Auftrieb für die Republikaner in den USA; eine Verschlechterung mit dem
Haupthandelspartner EU.
Wenn Russland Südossetien und Abchasien anerkennen
wolle, müsse es in der Welt jahrelange Überzeugungsarbeit leisten. Die
Entwicklung, die ohnehin Richtung Separation gehe, brauche man nicht künstlich
forcieren.
24.08.2008
Die Presse (Print-Ausgabe, 25.08.2008)
***
Georgien ist "Schaukasten für Moskaus Macht"
Russische Armee richtet sich offenbar im Kernland
ein
von Katrin Eigendorf, Georgien
Was ist Moskaus Ziel in Georgien? Fast hektisch
zogen russische Panzer und Transportfahrzeuge ab, zugleich scheint sich die
russische Armee langfristig auf georgischem Kernland auch außerhalb von
Südossetien und Abchasien einzurichten.
"Sie haben Gori verlassen und damit die Forderung
von Frankreichs Präsident Sarkozy erfüllt, sagt der georgische Präsident Michail
Saakaschwili. "Aber es ist für das Militär immer schwierig, eine größere Stadt
zu kontrollieren, wenn es nicht die Hauptstadt ist. Viel leichter ist es, viele
kleine, strategisch wichtige Ziele zu besetzen und damit das Land zu
kontrollieren. Und genau das versuchen die Russen gerade", erklärt Saakaschwili.
Saakaschwili: Merkel versteht Lage
Sehr kurzfristig gewährte er noch am Freitagabend
ein Interview. Es ist 21.30 Uhr in Tiflis, gerade laufen die Nachrichten im
georgischen Fernsehen, Bilder von Panzern, die über Georgiens Straßen fahren.
Wohin?
Hinter seinem riesigen Schreibtisch wirkt der
Staatschef verloren, im Gesicht noch das Make-Up vom letzten Fernsehinterview,
in den Händen hält er nervös die Fernbedienung. Er wirkt erschöpft, seine
Mitarbeiter um ihn herum sind bemüht, es ihm so leicht wie möglich zu machen. Es
scheint, als müsse er zwanghaft immer wieder seine Botschaft verbreiten.
Englisch, Französisch, Russisch -, er kann sie in vielen Sprachen formulieren -
an die Europäer, an die NATO-Mitglieder, an die Welt. Hauptsache, sie kommt an.
Den Deutschen, so erklärt der Präsident, sei er dankbar, Angela Merkel habe
verstanden, worum es in Georgien gehe.
"Georgien als Schaukasten"
"Wenn wir Russland das jetzt durchgehen lassen,
wenn der Westen das jetzt durchgehen lässt, wer ist dann der nächste? Ukraine,
Polen, die Balten? Georgien ist ein Showcase geworden, europäische Zivilisation
gegen die brutale Aggression Russlands." Saakaschwili will deutliche
Unterstützung, nicht nur schöne Worte von Europa, Deutschland, der NATO.
Dass der 40-jährige georgische Präsident selber
die demokratischen Spielregeln nicht immer ernst nimmt, wird ihm in diesen Tagen
zum Problem. Auch seine hitzköpfige Art, die Lage zu beschreiben und auf Moskaus
Provokationen zu reagieren, macht es den internationalen Vermittlern schwer, so
ganz solidarisch an Georgiens Seite zu stehen. Hoffentlich, so hört man
Diplomaten in Tiflis sagen, lässt der Präsident sich nicht wieder in einen neuen
Konflikt ziehen, hoffentlich bleibt er ruhig und bewahrt einen kühlen Kopf
angesichts dieser teilweise undurchsichtigen Lage.
Von Anfang an auf Europa gesetzt
Michail Saakaschwili hat sich in eine militärische
Auseinandersetzung ziehen lassen, von der von Anfang an klar war, dass sie für
Georgien nicht zu gewinnen war. "Meine Truppen konnten genau so lange
durchhalten, wie ich Zeit brauchte, um den Westen zu alarmieren und an unsere
Seite zu holen," sagt er jetzt und gibt damit zum ersten Mal zu, dass er von
Anfang an auf die Unterstützung der Europäer und der USA gesetzt hat. Ein Fehler
war es nach seiner Einschätzung nach nicht, sondern eine historische
Entscheidung.
Sicher ist inzwischen, es geht um mehr als um
Südossetien und Abchasien. Vielmehr geht es um die Frage, wer künftig die
strategischen Verbindungswege zu den reichen kaspischen Gas- und Ölvorräten
kontrolliert. Russland sieht den Kaukasus historisch als seinen Einflussbereich.
Mit seinem Wunsch, Georgien in die NATO und die EU zu bringen, droht Präsident
Saakaschwili diese Vormachtstellung endgültig zu zerstören.
Bleibt Georgien lebensfähig?
Auch für Moskau ist dieser aktuelle Konflikt eher
ein Schaukasten für Macht und Einfluss in einer riesigen Region. Kaukasus,
Zentralasien, Europa. Immer mehr ehemalige "Bruderstaaten" sehen ihre Zukunft in
westlichen Bündnissen, streben in die NATO, die EU. Ein Riss zieht sich
inzwischen durch das Gebiet, das noch vor 17 Jahren zentral von Moskau regiert
wurde, in einigen Staaten zieht sich dieser Riss sogar durch das Land.
Die entscheidende Frage ist, wird es künftig ein
lebensfähiges Georgien geben? Oder wird Russland mit seinen Truppen weiterhin
wichtige strategische Verbindungswege kontrollieren? In diesem Fall stünde der
Kaukasus-Staat wirtschaftlich schnell am Abgrund. Das Land würde in zwei Hälften
zerfallen, die Hauptstadt Tiflis isoliert. Investoren würden abwandern, eine
Versorgungskrise entstehen. Damit wäre Georgien auch politisch destabilisiert.
Sollte das Moskaus Ziel sein, kann die westliche Welt nicht tatenlos zuschauen.
Lässt sich Moskau überzeugen?
Diplomatischen Druck auf Moskau und schmerzhafte
Sanktionen, fordert Saakaschwili. Zudem verlangt er europäische Friedenstruppen,
die die Lage in den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien überwachen,
und nicht zuletzt will er Aufbauhilfe für sein zerstörtes Land.
Unklar ist auch, mit welchem Russland wir es in
Zukunft zu tun haben werden? Lässt sich Moskau überzeugen oder wird es seine
Interessen ohne Rücksicht auf internationale Kritik durchsetzen? Die
Abhängigkeit von russischer Energie schwächt Europas Verhandlungsposition und
lässt Berlin, Brüssel und Paris davor zurückschrecken, eine allzu harte Haltung
gegenüber dem Kreml einzunehmen. Genau darauf scheint Russland zurzeit zu
setzen.
23.08.2008 ZDF
***
GiNN-BerlinKontor.–Die USA, Frankreich und
Großbritannien haben Russland vorgeworfen, sich beim Truppenabzug aus Georgien
nicht an die Vereinbarungen des Sechs-Punkte-Plans für eine Befriedung der
Kaukasusregion zu halten. “Die Russen haben sich nicht vollständig aus allen
Regionen Georgiens zurückgezogen”, so das Weiße Haus in Washington D.C.
US-Präsident George W. BUSH und Frankreichs Präsident Nicolas SARKOZY
kritisierten den vorgetäuschten Totalabzug russischer Truppen.
Moskau beruft sich auf die Passage in der 6
Punkte-Vereinbarung: “In Erwartung eines internationalen Mechanismus werden die
russischen Friedenstruppen vorläufig zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen”
und beläßt nach eigenen Angaben ca. 500 Truppen in den so genannten Pufferzonen
um die abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien in Georgien.
Der Kreml hatte am Abend des 22. August
behauptet, der Rückzug sei “abgeschlossen”.. Die britische Regierung in London
erklärte dagegen, Russland habe “seine Verpflichtungen in Georgien nicht
erfüllt”. Die deutsche Bundesregierung beeilte sich, Moskau zuzubilligen, in
einer “Pufferzone” auf georgischem Kerngebiet “vorübergehend eine begrenzte Zahl
von etwa 500 Friedenssoldaten zu belassen”.
Die russische Propaganda macht jetzt auch Israel
für den Konfklikt verantwortlicht. Die Prawda meldete, unter den “tausenden
von Söldner” in der georgischen Armee seien auch Israelis. Dies sei ein Beweis
dafür, dass der Konflikt “von äußeren Kräften angestiftet” worden sei. RIA
Novosti hatte zuvor berichtet, Söldner aus Osteuropa kämpften gegen die
russische ‘’Friedenssoldaten'’ und würden von “1000 US-Militärexperten”
unterstützt und geleitet.
Russische Soldaten sollen immer noch auf
georgischem Staatsgebiet Straßensperren unterhalten und “den Verkehr
kontrollieren”. So wird zum Beispiel die wichtige Verbindungsstraße zwischen der
Hauptstadt Tiflis und dem Schwarzen Meer nach wie vor blockiert. Mehrere
Brücken wurden gesprengt und besetzt. Der Hafen von Poti am Schwarzen Meer
bleibt von Russen besetzt. Es herrscht also unverändert Kriegsrecht in
Georgien.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (OSZE) wirft Russland ebenfalls vor, mit der Schaffung von
“Pufferzonen” auf georgischem Gebiet den “Geist des von Frankreich vermittelten
Waffenstillstands zu verletzen”.
Georgiens Präsident Michail SAAKASCHWILI forderte
erneut die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe in das
Konfliktgebiet. “Georgiens territoriale Einheit kann nicht erhalten werden ohne
den Schutz einer echten internationalen Friedenstruppe”, sagte Saakaschwili.
Gegen eine solche internationale Schutztruppe, über die in der EU diskutiert
wird, sperren sich auch vehement die von Moskau kontrollierten Gebiete Abchasien
und Südossetien.
Der Sechs-Punkte-Plan, der auf Vermittlung der
Europäischen Union (EU) vereinbart wurde, gilt als Basis für einen juristisch
verbindlichen Vertragstext. Der Plan beeinhaltet umfasst folgenede sechs Punkte:
-
Kein Rückgriff auf Gewalt zwischen den
Protagonisten
-
Definitive Einstellung der Feindseligkeiten
-
Gewährung freien Zugangs für humanitäre Hilfe
-
Die georgischen Streitkräfte sollen sich auf
ihre üblichen Stationierungsorte zurückziehen
-
Die russischen Streitkräfte sollen sich auf die
Linien vor Beginn der Feindseligkeiten in Südossetien zurückziehen. In
Erwartung eines internationalen Mechanismus werden die russischen
Friedenstruppen vorläufig zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen.
-
Eröffnung internationaler Dialoge über die
Modalitäten der Sicherheit und Stabilität in Abchasien und Südossetien.
23.08.2008 BerlinKontor
***
Sicherheitsarchitektur auf dem Prüfstand
Die NATO
und die Folgen des Krieges im Kaukasus
Von Rolf
Clement
Der Krieg zwischen Russland und Georgien hat innerhalb der NATO tiefe Gräben
sichtbar werden lassen. Während die einen Mitgliedsländer scharfe Töne gegenüber
Moskau anschlugen, warnten die anderen vor einer weiteren Konfrontation. Der
Konflikt hat in Bezug auf die NATO vor allem eins gezeigt: Das
Verteidigungsbündnis braucht ein neues Konzept, das der geopolitischen Lage
Rechnung trägt.
Der Krieg
in Georgien hat die NATO aufgeschreckt. Die strategische Ausrichtung der Allianz
steht seit Jahren unter Anpassungsdruck - weg von den alten
sicherheitspolitischen Konstanten, hin zu neuen Herausforderungen. Lord
Robertson, der Generalsekretär der NATO in den späten 1990er Jahren, formulierte
schon damals, dass bei der Beschreibung künftiger Sicherheitsrisiken nicht mehr
Landesgrenzen bedeutsam seien, sondern Zitat: Fähigkeiten und Absichten
potentieller Gegner.
Die
Grundaufgabe der NATO, die Sicherung der territorialen Integrität der
Mitgliedsstaaten, sollte also nicht mehr vorwiegend durch Grenzsicherung
gewährleistet werden. Vielmehr ging es dem Bündnis fortan um eine Mischung aus
Raumdeckung und Bekämpfung möglicher Krisenursachen.
Das
aktuelle Handlungsspektrum der NATO ist sehr breit: Sie führt
Friedensoperationen wie Kampfhandlungen in Afghanistan durch. Sie ist daran
beteiligt, den Frieden im Kosovo abzusichern. Sie ist mit von der Partie, wenn
in Bosnien-Herzegowina eine Armee nach dem Modell der NATO-Staaten aufgebaut
wird. Sie ist im Mittelmeer daran beteiligt, durch Patrouillen zu verhindern,
dass dort terroristische Gruppen verkehren können. Sie leistet der Afrikanischen
Union Hilfe beim Transport von Truppen in die sudanesische Krisenregion Darfur.
Sie bildet irakische Truppen aus. Von humanitären Einsätzen wie beim Erdbeben in
Pakistan im Jahr 2005 ganz zu schweigen.
Eine
dieser Missionen ist die sogenannte "UNOMIG", die seit 1993 zur Überwachung des
Waffenstillstands zwischen georgischen Regierungstruppen und abchasischen
Separationsbewegungen eingesetzt ist. Diese ist zwar nicht von der NATO
mandatiert, sondern von der UNO, aber NATO-Staaten sind daran beteiligt. Auch
Deutschland. So sind in Abchasien zurzeit zwölf Sanitätssoldaten der Bundeswehr
und drei Militärbeobachter im Einsatz. Von der deutschen Öffentlichkeit
weitgehend unbeachtet kam in diesem Einsatz schon 2001 ein deutscher
Bundeswehrarzt ums Leben, als ein ukrainischer Hubschrauber von einer der
Konfliktparteien abgeschossen wurde. Er war der erste Angehörige der Bundeswehr,
der bei Kämpfen zu Tode kam. Als die Kampfhandlungen von Südossetien auf
Abchasien übergriffen, wurden die jetzt in Abchasien stationierten Soldaten, dem
Vernehmen nach, sofort in sichere Unterkünfte gebracht, so dass für alle
Beteiligten klar war, dass diese Truppe nicht in Kämpfe eingreifen würde.
Die
jeweiligen Bedürfnisse der Teilnehmer an Auslandseinsätzen stellen die NATO
durchaus vor Probleme. Das Bündnis versucht, seine Streitkräftestruktur so
auszurichten, dass es die ganze Bandbreite der militärischen Optionen abdecken
kann. US-Verteidigungsminister Gates wird nicht müde, zu fordern:
"Wir dürfen und können nicht eine zweigeteilte
Allianz werden mit Staaten, die bereit sind, zu kämpfen, und solchen, die dazu
nicht bereit sind. Eine solche Entwicklung mit all ihren Auswirkungen auf die
kollektive Sicherheit würde am Ende die Allianz zerstören."
NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer sieht das ähnlich:
"Wir brauchen Streitkräfte, die fern von zu Hause
das gesamte Spektrum von Peacekeeping bis zum Kampfeinsatz abdecken können. Und
wenn ich sage wir, dann meine ich als Generalsekretär natürlich alle
Verbündeten. In einer Allianz, in der alle füreinander da sind, kann es keine
Arbeitsteilung geben, bei der sich die einen auf das Kämpfen und die anderen auf
die Konfliktnachsorge spezialisieren. Jeder muss alles können."
Das
betrifft das militärische Rüstzeug. Der Krieg in Georgien zwingt die NATO, nun
sehr schnell Antworten auf politische Fragen zu geben, die man eigentlich erst
mit einem neuen strategischen Konzept beantworten wollte, das vielleicht im
kommenden Jahr entstehen könnte.
Die jetzt
entstandene Lage hat allen vor Augen geführt, dass altes geopolitisches Denken
und die Vorstellung von Interessensphären für die Großmächte in Russland neue
Urstände feiert. Die NATO muss sich damit der Frage stellen, wie sie sich auf
diese Politik der unterschiedlichen Interessensphären einstellt.
So ist die
NATO nun gezwungen, ein schwerwiegendes Problem schnell lösen zu müssen. Nicht
zuletzt die neuen NATO-Mitglieder achten sehr genau auf das Verhalten ihrer
Bündnispartner in dieser Situation. Viele von ihnen, vor allem die baltischen
Staaten, leben in der Befürchtung, dass ihnen das auch passieren kann, was
Georgien geschehen ist. Die Staatschefs von vier Bündnispartnern - Polen,
Litauen, Lettland und Estland - sind sofort zu Solidaritätsbekundungen nach
Tiflis gereist - ein Zeichen an Georgien, aber auch an die übrigen
NATO-Verbündeten. Denn vor allem die baltischen Staaten haben Zweifel bekommen,
ob die NATO ihnen wirklich hilft, wenn es in ihrer Region zu ähnlichen
Auseinandersetzungen kommen sollte.
Wenn man
einmal einen Moment lang überlegt, was geschehen wäre, wenn Georgien bereits
Mitglied in der NATO wäre, dann wird deutlich, wie gefährlich die Kriegstage von
Georgien waren und worum es den Neuen im Bündnis geht: Hätte Georgien bereits
dazugehört, wäre die NATO zum Beistand verpflichtet gewesen. Das wäre dann die
Nagelprobe für die Ernsthaftigkeit der Beistandspflicht gewesen. Würde die NATO
wegen eines Konflikts mit Georgien einen Krieg mit der Nuklearmacht Russland
riskieren, von der viele NATO-Staaten zudem noch in Energiefragen abhängig sind?
Für viele
der neuen NATO-Mitglieder ist die Beistandsgarantie vor allem der USA der
Hauptgrund für den Beitritt zur Allianz gewesen. Sie wollten sich nicht in
erster Linie mit den europäischen Partnern sicherheitspolitisch verbünden -
dafür hätte der EU-Beitritt ausgereicht -, es ging ihnen um diese
Sicherheitsgarantie durch die Nuklearmacht USA. So schauen die mittel- und
osteuropäischen Beitrittsstaaten jetzt sehr genau auf die Reaktion des
Bündnisses. Jaap de Hoop Scheffer, der NATO-Generalsekretär, hat dies schon
vorausgesehen, als er im Frühjahr auf der Kommandeurtagung der Bundeswehr
meinte:
"Es gibt einige wichtige Fragen, die wir besprechen
müssen. Wie sollte Artikel 5, die Beistandspflicht, im 21. Jahrhundert gesehen
werden? Was ist die richtige Mischung zwischen Auslandseinsätzen und dem Schutz
unserer Bevölkerung zu Hause? Wie steht es um die Zukunft der Partnerschaften,
die die NATO eingegangen ist? Viele weitere wichtige Themen stehen an. Ich kenne
die NATO jetzt gut genug, dass ich weiß: Sie ist stark genug, um diese Debatten
zu führen und dann gestärkt aus ihnen hervorzugehen."
De Hoop
Scheffer griff damit die seit Jahren laufende interne Debatte in der NATO
darüber auf, ob ein neues strategisches Konzept nötig ist. Skeptiker wenden ein,
dass die NATO-Staaten sich auf ein solches neues Konzept kaum einigen können,
der Versuch, ein solches zu entwerfen, würde zu einer Auflistung der
Meinungsverschiedenheiten führen. Johannes Varwick, Politologe an der
Universität Kiel, weist darauf hin, dass es keine Einigung in der Allianz über
die Art und die Intensität der Bedrohungen gibt, und dass Strukturprobleme hinzu
kommen, weil die NATO in den außenpolitischen Erwägungen vieler Mitgliedstaaten
nicht die erste Priorität hat.
"Man hat den Eindruck, dass durch die neuen Aufgaben
der NATO sich der Konsens, was die NATO gemeinsam machen will und machen kann,
etwas aufgelöst hat, und in den einzelnen Einsätzen, die die NATO macht, haben
wir ständig das Problem, dass die gemeinsame Willensbildung unendlich schwierig
zu bewerkstelligen ist."
Das
geopolitische Interesse der NATO an Georgien steht im Zusammenhang mit den
Rohstoffen in der Region und den Pipelines, die durch das Land führen. Damit ist
es für die Energieversorgung des Westens von Bedeutung. Und damit rückt eine
zentrale Frage eines künftigen NATO-Konzeptes in den Fokus, die der
NATO-Generalsekretär auf den Punkt bringt, wenn er sagt:
"Ein Beispiel ist die Verwundbarkeit unserer
Energie-Infrastruktur. Kann die NATO hier unter bestimmten Umständen
Schutzfunktionen übernehmen, und wenn ja, welche?"
Die
Reaktion der NATO auf den Georgien-Krieg macht deutlich, dass sie die
Energieversorgung als schützenswertes Gut im Sinne des NATO-Vertrags ansieht.
Ansätze dafür stehen schon in jenem Konzept, das die NATO 1999, beim 50.
Jahrestag der Gründung, beschlossen hat.
Schon
damals wurden Energiefragen in den Katalog der Interessen aufgenommen. Und
deshalb auch hat die NATO Interesse an Georgien erkennen lassen. Das zeigt sich
an der klaren Position der Allianz zu den Konflikten in Georgien, aber auch an
dem auf dem April-Gipfel in Bukarest beschlossenen Passus, dass Georgien - wie
auch die Ukraine - Mitglied der NATO werden, nicht werden können, sondern
werden! Diesen Satz hat die NATO in den letzten Tagen wiederholt, auch
Bundeskanzlerin Merkel hat diese Position am vergangenen Wochenende in Tiflis
vertreten, immer allerdings ohne eine konkrete Zeitperspektive und ohne die
Antwort auf die Frage nach Beitrittsbedingungen. Und auch Generalsekretär de
Hoop Scheffer hat diese Frage nach den Konditionen für einen Beitritt Georgiens
zur NATO am Dienstag in Brüssel nicht beantwortet.
Die
politische Diskussion geht jedoch deutlich über den Fall Georgien hinaus. Sie
strahlt in die gesamte Kaukasus-Region aus und zwingt die Allianz, ihre
Interessen dort deutlich stärker zu artikulieren, als dies vor dem
Georgien-Krieg nötig war. Vor dem Krieg gehörte Georgien in die Kategorie
Regionalpolitik und wurde in der NATO auf einer niedrigeren Reizebene behandelt.
Die
Allianz hat seit langer Zeit zu den beiden Konflikten in Georgien - den in
Südossetien wie dem in Abchasien - eine Position, die Generalsekretär de Hoop
Scheffer nach der Sondersitzung der NATO-Außenminister am vergangenen Dienstag
nochmals betont hat:
"Die Minister haben die volle Unterstützung für die
territoriale Integrität und Souveränität der Republik Georgien bekräftigt und
wiederholt. Wir haben hier über ein souveränes Land, Georgien, gesprochen, das
sollte man nicht vergessen."
Diese
Position deckt sich mit dem völkerrechtlichen Grundsatz, dass Grenzen nur im
Einvernehmen aller Beteiligten verändert werden können - ein Grundsatz, den die
NATO übrigens im Kosovo nicht beherzigt hat. Die Position zu Georgien hat der
NATO-Rat schon vor den Kampfhandlungen vertreten. Die NATO hat Russland
aufgefordert, den Vorkriegszustand wieder herzustellen. Bis dahin, so die
Außenminister der Allianz, wird der NATO-Russland-Rat nicht mehr tagen.
Generalsekretär de Hoop Scheffer:
"Wir geben den NATO-Russland-Rat nicht auf, aber
solange russische Truppen einen großen Teil Georgiens besetzt halten, kann ich
nicht erkennen, dass der NATO-Russland-Rat zusammentritt, auf welcher Ebene auch
immer. Aber ich will auch deutlich machen, dass wir nicht alle Türen der
Kommunikation mit Russland zuschlagen wollen. Doch das, was in Zukunft
geschieht, hängt davon ab, was die russische Seite nun tut."
Der
NATO-Russland-Rat wurde 1997 gegründet, als die NATO ihre erste
Erweiterungsrunde mit Staaten aus dem ehemaligen Warschauer Pakt beschloss. Mit
Russland sollte damit eine besondere Form der Zusammenarbeit begründet werden,
um Moskaus Protest gegen die Ost-Erweiterung abzumildern. Später wurde dem
zunächst nur als Beratungsgremium gedachten Rat eine Entscheidungsfunktion in
Fragen von gemeinsamen Interessen zugewiesen.
Nun also
soll dieser Rat erst einmal nicht mehr tagen. Russland hat mittlerweile alle
weiteren gemeinsamen Aktionen mit der NATO für dieses Jahr abgesagt. Man könne
jetzt nicht zu "Business as usual" übergehen, meinte NATO-Generalsekretär de
Hoop Scheffer. US-Außenministerin Rice sagt, Russland sei selbst Schuld an der
Lage:
"Die Vereinigen Staaten wollen Russland nicht
isolieren. Die USA haben einen strategischen Rahmen für die Zusammenarbeit mit
Russland, in dem alles enthalten ist: von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
zur politischen Zusammenarbeit, kulturelle Zusammenarbeit, auch Angebote der
Verteidigungszusammenarbeit. Wir wollen Russland nicht isolieren. Durch sein
Verhalten in dieser jüngsten Krise isoliert sich Russland von den Prinzipien der
Zusammenarbeit der Gemeinschaft der Staaten, durch Einmarsch bei kleinen
Nachbarn, Bombardieren von ziviler Infrastruktur, wenn man in Dörfer geht und
dort Zerstörungen herbeiführt, das isoliert Russland."
Die
Situation ist für die NATO prekär. Denn: Russland hat mit diesem Krieg seine
Ziele erreicht: Es hat sich als Macht zurückgemeldet, die militärisch
operationsfähig ist. Es hat deutlich gemacht, dass es seine Einflusssphäre
wieder verteidigt, dass es seine Claims abgesteckt hat. Es hat die NATO in die
Defensive gedrängt, so stark, dass innerhalb der Allianz Fragen der
Glaubwürdigkeit aufgeworfen werden.
In der
NATO sehen das verschiedene Staatengruppen unterschiedlich. Da sind die Staaten
Mittelosteuropas, die der Allianz neu beigetreten sind und die sich in
unterschiedlichem Maße noch im Einflussbereich Russlands fühlen. Diese Gruppe
reagiert alarmiert und will jede freundliche Zusammenarbeit mit Russland erst
einmal einfrieren, erwartet vor allem aber eine klare Unterstützung aus der
Allianz. Die USA sind bereit, diese Unterstützung zu gewähren. Außenministerin
Rice:
"Unser Beschluss ist eine klare Stellungnahme,
dieses Bündnis, die NATO, die so weit gekommen ist nach dem Ende des Kalten
Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion bei dem Bemühen, ein Europa zu
erreichen, das ungeteilt, frei und friedlich ist, wird es nicht erlauben, dass
eine neue Linie gezogen wird in Europa, eine Linie zwischen jenen, die schon das
Glück hatten, in die transatlantischen Strukturen aufgenommen zu werden, und
jenen, die noch hoffen, dorthin zu geraten."
Die alten
NATO-Staaten in Europa, und besonders der deutsche Außenminister, schätzen die
Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit Russland höher ein. Frank-Walter
Steinmeier:
"Wenn der Abzug der russischen Truppen, wie im
Waffenstillstandspapier vorgesehen, stattgefunden hat, dann muss man darüber
nachdenken, ob das nicht auch Zeit für einen NATO-Russland-Rat sein könnte."
Von daher
ist es nur zu verständlich, dass die neuen NATO-Staaten den USA offen Beifall
klatschen: Zum einen sind sie der Garant der erwünschten Sicherheitsgarantie
durch die NATO, zum anderen sind sie - zumindest bei der gegenwärtigen
Administration - am ehesten geeignet, die eigenen Befürchtungen zu zerstreuen.
Wenngleich die NATO dennoch nicht nur nach den Vorgaben aus Washington handelt,
so spielen die USA doch eine starke Rolle innerhalb der Allianz, was der
Politologe Johannes Varwick nicht unbedingt als Nachteil ansieht:
"Man wird sicherlich sagen können, dass gegen die
USA im Bündnis überhaupt nichts geht, weil die USA einfach die politisch und
auch militärisch dominierende Macht in der NATO sind. Ich würde das aber nicht
zwingend als Problem sehen, weil natürlich viele internationale Organisationen
darunter leiden, dass keine klare Führung ausgeübt wird."
Russland
verhält sich - auf seine Art - ähnlich. Es macht unverblümt deutlich, was es als
störend empfindet, sagt aber augenzwinkernd, dass die gegenwärtig agierenden
Politiker eigentlich ganz brauchbar sind. Der russische Außenminister Sergej
Lawrow:
"Natürlich haben wir registriert, dass auf dem
Territorium der neuen NATO-Mitgliedstaaten neue militärische Infrastrukturen
entstehen, sich Patrouillenflüge der Luftstreitkräfte intensivieren, neue
Flugplätze gebaut werden, ausländische Militärbasen entstehen. Zwar hören wir,
dass die NATO-Erweiterung nicht gegen Russland gerichtet sei, und was die
heutigen Politiker im Westen angeht, glauben wir das auch. Aber ich darf an das
Bismarck-Zitat erinnern: Bei der Militärpolitik zählt nicht die Absicht, sondern
das Potential."
Für die
Diskussion um das neue strategische Konzept muss die NATO sich nicht nur
entscheiden, wie sie auf die wieder erwachte geopolitische Debatte und die
Zusammenarbeit mit Russland reagiert, sondern sie muss sich auch darauf
festlegen, welche Themen sie als sicherheitsrelevant ansieht. Dabei muss die
NATO vielleicht "zurückdenken": Die alten Konfliktlinien treten wieder zutage,
wenn auch in einem neuen Gewand. Trotzdem bleiben die Aufgaben, denen sich die
Allianz in den letzten beiden Jahrzehnten zunehmend gewidmet hat. Der Politologe
Johannes Varwick:
"Die NATO ist sicherlich für globale Stabilität
mitverantwortlich. Sie ist eines der wenigen Bündnisse, die überhaupt zu
schlagkräftigen Militäroperationen im vollen Spektrum in der Lage ist."
Die
Tagesordnung für die NATO muss also neu geschrieben, um einige Punkte erweitert
werden. Orientierte sich die sicherheitspolitische Debatte vor 1989 an klaren
Fronten, war sie in den letzten Jahren ausgerichtet an asymmetrischen
Herausforderungen, so könnte jetzt beides zusammen die nächste, die neue
Strategie der NATO prägen. Lord Robertson, der Generalsekretär des Bündnisses um
die Jahrtausendwende, formulierte damals bereits eine Leitlinie für das Handeln
der Weltgemeinschaft, die noch wie ein Vermächtnis von hoher Aktualität klingt:
"Wir haben einen gemeinsamen Feind
irgendwo da draußen - ob in New York oder Moskau, die Menschen wissen das und
fühlen es, und sie erwarten von uns, dass wir handeln. Der 11. September hat den
Tod über Tausende von Menschen gebracht aber auch eine Botschaft an die Führer
der demokratischen Welt, Lösungen zu finden, und zwar gemeinsame Lösungen."
22.08.2008 · 18:40 Uhr
Deutschlandfunk
***
Russland will Georgien teilen
In offiziellen Dokumenten erkennt Moskau die
territoriale Integrität Georgiens an, doch offenbar sind die Würfel zugunsten
einer Aufspaltung des Landes längst gefallen: Russland will die Unabhängigkeit
von Südossetien und Abchasien. Die Europäische Union warnt vor ernsten
Konsequenzen.
Die abtrünnige georgische Region Südossetien will
sich unter Russlands Obhut begeben. "Wir haben die letzte Tragödie unseres
Volkes erlebt, jetzt wollen wir als unabhängige Republik an der Seite Russlands
leben", sagte der selbsterklärte Präsident der Südosseten, Eduard Kokoiti, bei
einer PR-Veranstaltung der russischen Armee in der zerstörten Provinzhauptstadt
Zchinwali. In Abchasien, der zweiten separatistischen Region, forderten 50 000
Demonstranten die internationale Anerkennung ihrer Unabhängigkeit.
De facto sind beide Regionen längst Protektorate
Russlands; jetzt ist Moskau zum nächsten Schritt bereit, will Abchasien die
offizielle Anerkennung gewähren und Südossetien gar mit dem russischen
Nordossetien innerhalb der Russischen Föderation vereinen. Die russische Führung
habe "den Willen, diese Frage jetzt zu klären", sagte der Sprecher des
Föderationsrates, Sergej Mironow.
Damit steht den bereits schwer beschädigten
Beziehungen Russlands zur Nato und zur EU eine weitere Belastungsprobe bevor.
Die Nato hatte bereits den Nato-Russland-Rat ausgesetzt, will aber ebenso wenig
wie die EU den Gesprächsfaden abreißen lassen. Russlands Außenminister Sergej
Lawrow sagte, man wolle die Tür zur Nato nicht "ganz zuwerfen", da beide
aufeinander angewiesen seien. So sei die Zusammenarbeit beim Kampf gegen den
Terror in Afghanistan vom Abbruch der militärischen Kooperation nicht betroffen,
sagte Lawrow.
Gestern äußerte sich die EU besorgt über eine
mögliche Anerkennung der abtrünnigen Regionen. "Das wird den Konflikt ohne
Zweifel vertiefen", sagte eine Sprecherin der französischen
EU-Ratspräsidentschaft. Russland habe mehrere Uno-Resolutionen unterschrieben,
wonach Südossetien und Abchasien Teil Georgiens seien. Zu den möglichen
Reaktionen der EU wollte sich die Sprecherin nicht äußern. Noch sei keine
Entscheidung gefallen, sagte sie. Die EU-Außenminister hatten betont, die Lösung
der Kaukasus-Krise dürfe nicht auf Kosten der territorialen Integrität Georgiens
gehen.
Beunruhigt über die Entwicklung äußerte sich auch
die EU-Kommission. Die völkerrechtliche Anerkennung durch Russland wäre eine
gravierende Verschiebung der internationalen Beziehungen, hieß es in
Kommissionskreisen. Ein Sprecher des französischen Außenministeriums stellte
klar, dass Frankreich für "die Unabhängigkeit, Souveränität und die Integrität
des Territoriums von Georgien" eintritt. Auch Amerikas Präsident George W. Bush
wiederholte die Forderung, dass Georgiens Grenzen nicht angetastet werden
dürften.
Die Einflussmöglichkeiten des Westens seien jedoch
begrenzt, sagt Andrej Piontkowskij, Russland-Experte am konservativen
Hudson-Institut in Washington. "Die Handlungen des Kreml sind getrieben von
Emotionen und von dem Drang, Georgien zu bestrafen." Dabei nehme Moskau auch
eine Eskalation des Verhältnisses zum Westen billigend in Kauf: "Die russische
Politik will den USA eine Lektion erteilen, und da eignet sich das Projekt
Georgien sehr gut."
Tatsächlich will die russische Führung rasch
Fakten schaffen. Das Parlament werde sich den manifestierten Freiheitswünschen
der Regionen nicht verweigern, wenn Präsident Dmitrij Medwedjew dies
unterstütze, sagte Mironow. Der neue Kreml-Chef hatte vor einer Woche
postuliert, dass Russland in dieser Frage der Meinung der betroffenen Menschen
folgen werde.
Bereits morgen wird die Regierung in Moskau zu
einer Sondersitzung der betroffenen Behörden zusammenkommen, um den Weg zu einer
Vereinigung des russischen Nord- mit dem bisher georgischen Südossetien frei zu
machen. Komplizierter wird das Vorgehen gegenüber Abchasien. Obwohl Russland
auch dort Pässe an die Bevölkerung ausgegeben hat, wollen die Abchasen die
Anerkennung ihrer Unabhängigkeit und nicht die Aufnahme. Abchasiens Präsident
Sergej Bagapsch unterstrich dies gestern und betonte, dass nach einer
Anerkennung durch den Kreml sein Gebiet sofort danach die Anerkennung durch die
Uno, die OSZE und die EU suchen werde.
Ein russischer Parlamentsbeschluss ist jedoch
nicht das letzte Wort. Zunächst, so der Duma-Vizeausschusschef für GUS-Fragen,
Konstantin Satulin, müsste Kremlchef Medwedjew das Außenministerium anweisen,
die Unabhängigkeit der beiden Gebiete respektive deren Aufnahme zu vollziehen.
Auch ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin wies darauf hin, dass für eine
Abspaltung der abtrünnigen Regionen ein Parlamentsbeschluss nötig sei.
Die russischen Truppen setzten gestern ihr
Zerstörungswerk fort. Während Kokoiti, umgeben von russischen Panzern und
Hubschraubern, seine Unabhängigkeitserklärung abgab, ertönten im Hintergrund
Explosionen. Dabei wurden die Reste der bereits zerstörten Häuser der geflohenen
Georgier noch einmal gesprengt. Am Abend gab der russische Stardirigent Waleri
Gergijew, der aus einer ossetischen Familie stammt, in den Trümmern von
Zchinwali ein Benefizkonzert. Dazu hatte die Armee westliche Journalisten aus
Moskau eingeflogen.
Mitarbeit: Helmut Hauschild (Brüssel), Tanja
Kuchenbecker (Paris), Markus Ziener (Washington)
22.08.2008 Handelsblatt
***
50.000 Abchasen fordern Rücktritt Saakaschwilis
Großkundgebung in Suchumi: Redner werfen
Regierung "Blitzkrieg" gegen abtrünnige Gebiete vor
Moskau - In der von Georgien abtrünnigen
Region Abchasien haben am Donnerstag mehr als 50.000 Demonstranten
eine internationale Anerkennung der einseitig erklärten Unabhängigkeit
Abchasiens gefordert. Bei der Großveranstaltung in der Hauptstadt
Suchumi warfen Redner der Führung in Tiflis einen "Blitzkrieg" gegen
die abtrünnigen Gebiete vor. In Sprechchören und auf Transparenten
forderten Teilnehmer den Rücktritt des georgischen Präsidenten Michail
Saakaschwili, wie die Agentur Interfax meldete. In der Menge waren
auch zahlreiche russische Flaggen zu sehen.
Nach dem Südkaukasus-Krieg könnten die
Abchasen nicht mehr in einem Staat mit Georgiern leben, sagte der
Parlamentsvorsitzende Nugsar Aschuba. Eine internationale Anerkennung
von Abchasien würde die Region sicherer machen. Die Politologin
Natella Akaba warf der internationalen Gemeinschaft vor, der
Aufrüstung Georgiens tatenlos zugesehen zu haben. "Sogar jetzt, nach
dieser ungeheuren Bankrott-Erklärung des Saakaschwili-Regimes,
unterstützt sie die revanchistischen Bestrebungen eines NATO-Beitritts
Georgiens", kritisierte sie. Der international nicht anerkannte
Präsident von Abchasien, Sergej Bagapsch, dankte Russland für seine
Hilfe.
Am Mittwoch hatte das Parlament in
Suchumi Moskau offiziell aufgefordert, die Unabhängigkeit der Region
anzuerkennen. Am Donnerstag schloss sich die abchasische
Volksversammlung dem Aufruf an. Langfristig wünscht Abchasien eine
Aufnahme in die Russische Föderation. Georgien lehnt dies strikt ab.
Laut Kremlchef Dmitri Medwedew unterstützt Russland grundsätzlich jede
Entscheidung der abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien.
Russische Medien spekulierten, ob das Parlament in Moskau nicht schon
nächste Woche in einer bereits angesetzten Sondersitzung über die
Anerkennung entscheiden wird. (APA/dpa)
21.08.2008
der Standart (Österreich)
***
Sakaschwili kündigt passiven Widerstand an
Das
russische Militär ist immer noch in Georgien präsent. Der Abzug ist für Freitag
angekündigt, allerdings haben die Russen ihr Versprechen bereits zweimal
gebrochen. Russland mache sich über die Welt lustig, so der georgische Präsident
Sakaschwili.
Russische Truppen haben am
Donnerstag trotz einer Rückzugszusage von Präsident Dmitri Medwedew neue
Stellungen vor der georgischen Hafenstadt Poti bezogen. Schützenpanzer und
Truppentransporter blockierten zudem eine Brücke, die die einzige Landverbindung
Potis zum Hauptland ist.
Der stellvertretende russische Generalstabschef Anatoli Nogowizyn
erklärte dennoch, der russische Abzug werde wie angekündigt bis zum Freitagabend
so weit fortgeschritten sein, dass die Einheiten «in den Zonen russischer
Friedensschützer sein werden». Der georgische Präsident Michail Saakaschwili
hatte dies bereits vor der Entwicklung in Poti, dem wichtigsten Ölhafen
Georgiens, bezweifelt.
Sein Land
könne nicht viel gegen die russische Besetzung ausrichten; die Georgier könnten
lediglich passiven Widerstand leisten, sagte er in einem Interview. Die Russen
«machen sich über die Welt lustig», sagte Saakaschwili. Nach dem
Waffenstillstandsplan der EU sollen sich russische und georgische Truppen in die
Positionen zurückziehen, die sie vor Beginn des Konflikts um die aus Georgien
wegstrebende Region Südossetien innehatten.
Sicherheitszone in Georgien
Moskau wurde das Recht eingeräumt, Truppen in einer sieben
Kilometer breiten Sicherheitszone auf georgischem Gebiet um das kleine
Kaukasusgebiet patrouillieren zu lassen. Poti ist allerdings 150 Kilometer von
Südossetien entfernt. Es liegt 30 Kilometer südlich der anderen abtrünnigen
Region Abchasien und damit auch außerhalb der Sicherheitszone um dieses Gebiet.
In Abchasien sind seit 1994 russische Friedenstruppen mit einem UN-Mandat
stationiert.
Um die
georgische Stadt Gori und bei dem 50 Kilometer von Tiflis entfernten Igojeti
hielten russische Panzer und Soldaten am Donnerstag weiterhin Stellungen
besetzt. Nogowizyn sagte, russische Truppen würden einen Sicherheitsring mit 18
Kontrollstellen um Südossetien ziehen. Georgischen Truppen sprach er das
«moralische Recht» ab, wie im Waffenstillstandsplan vorgesehen als
Friedenstruppe in einige Stellungen in Südossetien zurückzukehren.
Versprechen zwei Mal gebrochen
Der französische Außenminister Bernard Kouchner sah unterdessen
den Beginn eines russischen Truppenabzugs aus Georgien. «Wir haben den Abzug
zweier kleiner Kolonnen festgestellt», sagte er. Kouchner wies aber auch darauf
hin, dass Moskau sein Rückzugsversprechen bereits zwei Mal gebrochen habe.
Die
russische Regierung legte unterdessen einen eigenen Entwurf für eine
UN-Resolution zum Konflikt im Kaukasus vor, nachdem sie einen von Frankreich im
Weltsicherheitsrat eingebrachten Entschließungsantrag mit der Aufforderung zum
vollständigen Rückzug abgelehnt hatte. Der russische Entwurf hält sich genau an
den Text des von beiden Konfliktparteien unterzeichneten Sechs-Punkte-Plans der
Europäischen Union. Er erlaubt Russland, vor einem vollständigen Abzug aus
Georgien zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen durchzuführen.
Russland will Zusammenarbeit mit Nato einfrieren
Russland kündigte nach Angaben des norwegischen
Verteidigungsministeriums an, seine militärischen Kontakte zur Nato
einzufrieren. Die Nato hatte am Vortag ihrerseits die Zusammenarbeit mit
Russland auf Eis gelegt und die Wiederaufnahme vom Abzug der russischen Truppen
aus Georgien abhängig gemacht. Auf ihrem Krisentreffen in Brüssel beschlossen
die Außenminister der 26 Nato-Staaten am Dienstag zugleich, die Kooperation mit
Georgien zu vertiefen. (AP)
21.08.2008 Netzeitung
***
Länderberichte | 20.
Aug. 2008
Krieg im Kaukasus
Hintergründe, Bewertung, Perspektiven
von
Katja Christina Plate,
Im
Südkaukasus gerieten Georgien und die Russische Föderation über Südossetien in
einen Krieg. Die Zahl der Todesopfer ist noch unklar, über 100.000 Flüchtlinge
leben unter teilweise schwierigen Bedingungen. Ein brüchiger Waffenstillstand
ist ausgehandelt, aber der Weg zum Frieden bleibt weit.
Schon Tage
vor dem Kriegsausbruch am 8. August 2008 in Georgien spitzte sich die Lage in
der abtrünnigen Region Südossetien zu: Es wurden vermehrt Feuergefechte zwischen
den Stellungen der georgischen Friedenstruppe auf der einen und den
südossetischen, nordossetischen und russischen Friedenstruppen auf der anderen
Seite gemeldet. Die Parteien beschuldigten sich wechselseitig, begonnen zu
haben.
Nach
heftigen Schusswechseln am 7. August 2008 betonte der georgische Präsident
Saakaschwili am Abend in einer Fernsehansprache, dass die Situation in
Südossetien nicht weiter eskalieren dürfe. Saakaschwili verkündete eine
einseitige Waffenruhe, die Berichten zur Folge nach einiger Verzögerung von der
georgischen Seite auch eingehalten wurde. Dieser einseitige Waffenstillstand
soll von südossetischen Kräften zu Angriffen auf die georgischen Stellungen
genutzt worden sein. Es heißt, die georgische Seite habe eine gute Stunde lang
den einseitigen Waffenstillstand durchgehalten.
Dann traf
die Regierung Saakaschwili in der Nacht vom 7. auf den 8. August die
Entscheidung, die Südossetien-Frage militärisch zu lösen. Eine breite
Bevölkerungsmehrheit in Georgien war vor Ausbruch der Kämpfe der Ansicht, dass
eine Lösung der Südossetien-Frage nicht mit Waffengewalt gesucht werden sollte.
Die Entscheidung dies denn doch zu tun, war ein schwerer politischer Fehler von
Präsident Saakaschwili.
Südossetien ist heute völlig zerstört und auch die Basis für eine friedliche
Koexistenz von Südosseten und Georgiern in diesem Gebiet scheint zerstört. Weite
Teile Georgiens wurden von russischen Streitkräften bombardiert; immer noch sind
Landesteile Georgiens von russischen Truppen besetzt. Es ist noch unklar, ob die
territoriale Integrität Georgiens gewahrt bleibt. Infrastruktur, öffentliches
und privates Eigentum wurden in großem Ausmaß vernichtet. Ungezählte Todesopfer
und Flüchtlinge bezeugen eine humanitäre Katastrophe. Wer die Eskalation
provoziert hat oder wer zuerst geschossen hat, ist vorerst nicht zu klären. Zu
vergleichen, welche Soldaten schlimmer gewütet haben, ist zynisch. Eine
Richtschnur zur Beurteilung und Einordnung der Ereignisse bietet jedoch das
Völkerrecht.
Völkerrechtliche Bewertung
Das
georgische Staatsgebiet umfasst Südossetien und Abchasien. Dies hat auch die
Russische Föderation stets bestätigt. Als Südossetien und Abchasien im Zuge des
georgischen Bürgerkriegs Anfang der 1990er Jahre ihre Unabhängigkeit erklärten,
wurde dies international nicht anerkannt.
Alle
Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu den Sezessionskonflikten in Georgien
betonten die Notwendigkeit einer politischen Lösung unter Wahrung der
Souveränität und der territorialen Integrität Georgiens. Diese Resolutionen
waren deutliche Absagen an die Abspaltungsbestrebungen von Abchasien und
Südossetien. Entsprechende internationale Vermittlungsbemühungen scheiterten in
der Folge daran, dass sowohl die abchasische als auch die südossetische Seite
(trotz umfassender Zugeständnisse der georgischen Seite) es ausschlossen, sich
wieder unter georgische Hoheit zu begeben.
2006 wurde
ein Unabhängigkeitsreferendum in Südossetien abgehalten, das südossetischen
Angaben zur Folge, nahezu einstimmig zugunsten einer Loslösung von Georgien
ausgefallen sein soll. Das Resultat auch dieses Referendums wurde international
nicht anerkannt: OSZE und weitere internationale Akteure sprachen sich weiter
für die Erhaltung der politischen Einheit und der territorialen Integrität
Georgiens aus.
Das
Gewaltverbot des Völkerrechts gilt für die Beziehungen zwischen Staaten, nicht
aber für innerstaatliche Konflikte. Wenn Georgien seine territoriale
Souveränität in Abchasien und Südossetien militärisch wiederherstellt, ist dies
als interner Gewaltkonflikt zu betrachten. Jedoch: Georgien hat sich vertraglich
auf einen mit Friedenstruppen abgesicherten Prozess des internationalen
Konfliktmanagements in Südossetien und auch in Abchasien verpflichtet. Der
Versuch, die Südossetien-Frage mit Gewalt zu lösen, widerspricht klar dem Sinn
dieser Verträge. Die georgische Regierung verweist auf massive Angriffe
südossetischer bewaffneter Kräfte gegen georgische Dörfer und gegen Stellungen
der georgischen Friedenstruppe in Südossetien. Zudem verweist die Regierung auf
Informationen, dass eine russische Invasion durch den Roki-Tunnel (der das
georgische Südossetien mit dem russischen Nordossetien verbindet) nach
Südossetien bevorgestanden habe. Die Entscheidung, eine militärische Offensive
auf Südossetien zu starten, habe auf diesen Informationen beruht.
Es bleiben
demnach Zweifel an der Rechtmäßigkeit des militärischen Eingreifens der
georgischen Armee in Südossetien. Es ist anzunehmen, dass diese Frage vor
internationale Institutionen geklärt werden wird. Zudem muss die georgische
Regierung die volle Verantwortung für möglicherweise von der georgischen Armee
in Südossetien begangene Kriegsverbrechen übernehmen. Auch für die in
Südossetien begangene Zerstörung sowie die menschlichen Opfer der
Kriegshandlungen muss die georgische Regierung politisch die Verantwortung
übernehmen.
Wie ist
die Anwendung militärischer Gewalt durch die Russische Föderation zu beurteilen?
Den Schutz der russischen Friedenstruppen, den Schutz eigener Staatsbürger
(nachdem auch die Bewohner Südossetiens mit russischen Pässen ausgestattet
worden waren) sowie humanitäre Gründe führt die Regierung der Russischen
Föderation zur Rechtfertigung des eigenen militärischen Vorgehens gegen Georgien
an.
Das
Völkerrecht ist in dieser Frage klar: Zulässig sind militärische Aktionen nur
zur Selbstverteidigung gegen einen Angriff oder auf der Basis einer Ermächtigung
des Sicherheitsrats. Weder ein Angriff auf die Russische Föderation noch eine
Ermächtigung durch die Vereinten Nationen lag vor. Das militärische Eingreifen
Russlands verletzt das internationale Gewaltverbot und muss somit als Akt der
Aggression gegen Georgien gewertet werden. Durch das militärische Eingreifen der
Russischen Föderation wurde der interne Gewaltkonflikt zwischen dem georgischen
Staat und den abtrünnigen Teilen Südossetiens von einem nationalen zu einem
internationalen Konflikt ausgeweitet. Jede Gewaltanwendung der Russischen
Föderation außerhalb Südossetiens ist nicht mit dem Gebot der
Verhältnismäßigkeit in Einklang zu bringen. Weiterhin setzte die Russische
Föderation ihre Militäraktionen fort, nachdem Georgien bereits einen
Waffenstillstand ausgerufen hatte. Der russische Präsident Medwedew hat mehrfach
bestätigt, dass man Georgien bestrafen wolle. Dies ist völkerrechtlich in keiner
Weise zulässig.
Weltpolitischer Kontext
Die
Russische Föderation hat – ebenso wie auch die Europäische Union und die USA -
Mühe, eine klare Linie für den Umgang mit Sezessionskonflikten zu finden.
Während die Russische Föderation sich den Unabhängigkeitsbestrebungen
Tschetscheniens widersetzt und eine ordnungsgemäße internationale Integration
Kosovos verhindert, fördert sie zugleich faktisch die Loslösung Abchasiens und
Südossetiens von Georgien. Nicht feststehenden Prinzipien oder völkerrechtliche
Erwägungen, sondern spezifische machtpolitische Interessen leiten das Handeln
der Russischen Föderation in diesem Zusammenhang. Dies ist höchst bedenklich.
Von einer Supermacht mit Nuklearpotential muss man im 21. Jahrhundert eine
verantwortungsvollere Rolle fordern.
Der
russisch-georgische Krieg um Südossetien markiert auch einen Tiefpunkt in den
jüngeren russisch-amerikanischen Beziehungen. Die USA konnten weder die Bedenken
der Russischen Föderation bezüglich einer NATO-Expansion in den osteuropäischen
Raum noch gegen die amerikanischen Pläne für eine Raketenabwehr in den
ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten zerstreuen. Nun brüskiert die
Russische Föderation die USA, indem russische Truppen in ein Land
einmarschieren, das mit den USA verbündet ist. Georgien stellte nach den
Vereinigten Staaten und Großbritannien das größte Truppenkontingent im Irak.
Georgien kämpfte auch in Afghanistan an der Seite der USA. Die Vereinigten
Staaten werten das militärische Vorgehen der Russischen Föderation gegen
Georgien als diplomatischen Schlag ins Gesicht.
Der
amerikanische Präsident George W. Bush verurteilte das Verhalten der Russischen
Föderation scharf und entsandte Außenministerin Condoleezza Rice nach Tiflis.
Die USA begannen umgehend mit Lieferungen von Hilfsgütern und machten damit auch
deutlich, dass sie Versuche der Russischen Föderation, einen Regimewechsel in
Georgien herbeizuführen, nicht akzeptieren würden.
Die
Haltung der Europäischen Union ist gespalten. Während die Staatschefs der
Baltischen Länder und Polens deutliche Worte für das russische militärische
Vorgehen gegen Georgien finden, betonen der französische Präsident und auch die
deutsche Regierung eher die Notwendigkeit, gemeinsam mit der Russischen
Föderation eine Lösung zu finden.
Und
dennoch: Bundeskanzlerin Angela Merkel sicherte Georgien bei ihrem Besuch in
Tiflis am 17. August Unterstützung zu. An ihrer Position zur NATO-Mitgliedschaft
Georgiens ändere sich nichts, sagte die Bundeskanzlerin: "Georgien wird, wenn es
das will, und das will es ja, Mitglied der Nato sein." Von Russland verlangte
Merkel den angekündigten Abzug der Armee: "Ich erwarte den schnellen Rückzug der
russischen Truppen, der bis jetzt leider nicht in Gang gekommen ist."
Wie kann es weitergehen?
Am 16.
August unterzeichnete der Russische Präsident ein Waffenstillstandsabkommen.
Allerdings darf nicht vergessen werden, dass der Friede noch weit entfernt ist.
Es gibt weiter Meldungen über Zwischenfälle. In einigen Landesteilen Georgiens
brach die öffentliche Ordnung zusammen, weil keine Polizeikräfte mehr vor Ort
sein konnten. Es gibt Berichte über Plünderungen sowie Racheakte an der
georgischen Zivilbevölkerung in den umkämpften Gebieten. Zudem sollte auch nicht
unterschätzt werden, dass die Kämpfe jederzeit wieder aufflammen können, wenn
die diplomatischen Bemühungen um den Frieden fehlschlagen.
Gegenwärtig sind verschiedene Szenarien für die Nachkriegszeit in Georgien
vorstellbar:
-
Die vom
Westen am häufigsten vorgebrachte, zugleich aber am wenigsten wahrscheinliche
Variante, besteht in der Rückkehr zur Situation vor der georgischen Offensive
in Südossetien: Sowohl russische als auch georgische Streitkräfte müssten sich
aus Südossetien und Abchasien zurückziehen, Friedenssoldaten beider Länder
würden wieder in Stellung gehen. Man wird das Rad der Zeit jedoch nicht
zurückzudrehen können.
-
Eine
zweite Variante wäre die Annektierung Südossetiens und Abchasiens durch die
Russische Föderation, wie es einige russische Parlamentsabgeordnete fordern.
Für Südossetien, das mit Nordossetien zusammengehen könnte, wäre eine
Vereinigung mit Russland denkbar. Abchasien jedoch wird die eigene
Unabhängigkeit nicht mehr zur Disposition stellen.
-
Am
wahrscheinlichsten, wie Medwedew am 12. August auch auf der Pressekonferenz
mit dem französischen Präsidenten Sarkozy deutlich machte, ist jedoch eine
noch stärkere Anbindung von Südossetien und Abchasien an Russland und eine
noch größere militärische Präsenz unter dem Schirm von russischen
Friedenstruppen. Dies würde aber auch bedeuten, dass die jetzt aus Südossetien
wie Abchasien geflüchteten und vertriebenen Georgier ebenso wie die in den
1990er Jahren vertriebenen weiterhin nicht in ihre Heimat zurückkehren können.
Entsprechend setzt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für internationale
Friedenstruppen in dem Krisengebiet aus: "Aus meiner Sicht muss das schnell
geschehen". Die Europäische Union und Deutschland seien bereit, sich daran zu
beteiligen. Südosseten und Abchasen lehnen jedoch sowohl EU- als auch
UN-Friedenstruppen als pro-georgisch ab. Es ist zu befürchten, dass es keine
schnelle Rückkehr zur Normalität für die Menschen in Georgien und in den
Gebieten Abchasien und Südossetien geben wird.
Auch das
Verhältnis zwischen den USA, der EU und der Russischen Föderation muss neu
ausbalanciert werden. Die EU und die Russische Föderation müssen an einem
konstruktiven Verhältnis wechselseitig Interesse haben. Russisches Öl und Gas
ist für die europäische Energiesicherheit wichtig. Die Versorgung der deutschen
Truppen in Afghanistan erfolgt mit Überflug über Russland. Aber auch die
Russische Föderation wickelt 60 Prozent ihres Außenhandels mit Europa ab.
Man
braucht sich auch weiterhin - aber die politischen Spielregeln müssen auf
Grundlage der Prinzipien des internationalen Rechts festgelegt werden.
20.08.2008 Konrad Adenauer Stiftung (www.kas.de)
***
Entwicklung im Georgien-Konflikt
In Georgien gab es erste Zeichen für eine
Entspannung. Im Interview mit Fokus Europa spricht der Georgien-Experten Uwe
Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik darüber, ob der Konflikt
tatsächlich beigelegt ist.
Fokus Europa: Zum ersten
Mal seit Tagen gibt es positive Signale aus der Region am Kaukasus - sind das
die ersten Schritte zur Beilegung des Konflikts?
Halbach: Wir haben schon
früher positive Signale bekommen, die dann doch nicht konsequent umgesetzt
wurden. Also der Truppenrückzug ist schon früher angekündigt worden, die
Umsetzung der Waffenstillstandsvereinbarung, des Sechs-Punkte-Plans, ist schon
von allen Seiten angekündigt worden - es bleibt also abzuwarten, ob sich
Russland jetzt wirklich aus Kern-Georgien zurück zieht und den Eindruck
korrigiert, dass es hier irgendwie Georgien besetzt halten möchte. In den
letzten Tagen zeigte sich so eine Art Zerstückelung Georgiens in mehreren
Dimensionen ab, also die nun endgültige Besetzung der beiden abtrünnigen
Republiken, die Einrichtung von Pufferzonen in ihrem Vorfeld und so weiter. Es
kommt jetzt darauf an, ob Russland wirklich den Eindruck korrigiert, es wolle
Kern-Georgien besetzen und zerstückeln.
Das Problem ist ja jetzt noch nicht
beseitigt. Was passiert denn der Region?
Ja, in der Tat, das Problem ist natürlich nicht
beseitigt. Die territoriale Integrität Georgiens ist nicht hergestellt und es
wird immer schwieriger sich vorzustellen, wie denn jemals diese beiden
abtrünnigen Landesteile Abchasien und Südossetien wieder unter georgische
Staatlichkeit geführt werden sollen - freiwillig, auf friedlichem Wege. Die
Abtrünnigkeit dieser Gebiete hat sich natürlich jetzt noch zusätzlich verhärtet
nach diesen Gewaltauseinandersetzungen. Es wird zwar weltweit die territoriale
Integrität Georgiens beschworen, aber es wird sehr, sehr schwierig sein, sie
dann auch zu realisieren.
Am Dienstag hat die NATO noch einmal bekräftigt,
dass Georgien Mitglied im Verteidigungsbündnis werden soll und hat Tiflis auch
Unterstützung zugesagt. Werden die Georgier als NATO-Mitglieder nennen wir es
mal "sicher" vor Russland?
Sie selbst fühlen das so. Wenn man sich
Meinungsumfragen in Georgien zum NATO-Beitritt anschaut, dann ist das erste, was
gesagt wird, dass man Schutz haben will. Und andere Posten, die bei der
Heranführung Georgiens an die NATO aus NATO-Sicht eine Rolle spielen - etwa die
Demokratisierung der Streitkräfte und dergleichen - spielen eine untergeordnete
Rolle. Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungen in der NATO und in Georgien.
20.08.2008
DW-World
***
Moskau beansprucht Kontrollposten
in georgischem Kernland
Russland will seine Militäreinheiten
vorerst in Pufferzonen um die abtrünnigen georgischen Regionen
Südossetien und Abchasien belassen.
AP
Vizegeneralstabschef Anatoli Nogowizyn erklärte am Mittwoch auf einer
Pressekonferenz in Moskau, das Mandat der russischen Friedenstruppen
erlaube es, acht Kontrollposten im georgischen Kernland in der
Pufferzone zu Südossetien zu errichten. Nach den Worten des Generals
könnten die Posten etwa 40 Kilometer vor der georgischen Stadt Gori
errichtet werden. Die Entfernung zwischen Gori und der südossetischen
Hauptstadt Zchinwal beträgt ebenfalls etwa 40 Kilometer.
Während Russland seinen Truppenabzug aus dem Konfliktgebiet
fortsetze, rüste Georgien seine Streitkräfte wieder auf, sagte
Nogowizyn. "Tiflis nimmt keinen Abstand von seiner aggressiven
Haltung", kritisierte der stellvertretende Generalstabschef. Nach den
Waffenstillstandsvereinbarungen müssen sich die russischen und
georgischen Truppen auf die Positionen zurückziehen, die sie vor
Beginn der Feindseligkeiten gehalten hatten. Der georgische Staatschef
Michail Saakaschwili hat Russland vorgeworfen, den Abzug zu verzögern
und georgische Infrastruktur zu zerstören.
Die russischen Soldaten würden in den Pufferzonen bleiben, solange
die Regierung in Moskau es für nötig halte, sagte Nogowizyn. "Es hängt
davon ab, wie sich der politische Prozess entwickelt." Innerhalb der
Pufferzone um Abchasien liege die georgische Stadt Senaki, wo das
georgische Militär einen großen Stützpunkt habe, so der General. Das
jüngste Bekenntnis der NATO zur Unterstützung Georgiens kritisierte er
scharf: "Die Einrichtung einer ständigen NATO-Georgien-Kommission
wird Tiflis zu einem weiteren Blitzkrieg in den Konfliktgebieten
ermutigen". Die Schaffung des Gremiums war von den Außenministern der
transatlantischen Militärallianz am Dienstag beschlossen worden.
Russische Truppen verließen mit rund 20 georgischen Gefangenen und
vier beschlagnahmten US-Geländefahrzeugen am Dienstag die
Hafenstadt Poti am Schwarzen Meer. Die örtlichen Behörden erklärten,
bei den Gefangenen handle es sich um Soldaten und Polizisten. Sie
sollen zu einem nahe gelegenen, von russischen Truppen kontrollierten
Militärstützpunkt gebracht worden sein.
In New York blieb eine weitere Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats
zum Südkaukasien-Konflikt ergebnislos. Ein von Frankreich
eingebrachter und von den USA unterstützter Resolutionsentwurf, laut
dem Russland zur Einhaltung der Waffenruhe und zum vollständigen
Rückzug seiner Truppen aus Georgien aufgefordert werden sollte, wurde
von der russischen Vetomacht als unangemessen zurückgewiesen. Der
georgische Aggressor werde als Opfer dargestellt, erklärte der
russische Chefdelegierte Witali Tschurkin.
Der durch die georgische Südossetien-Offensive ausgelöste
Krieg hat nach offiziellen Angaben der beteiligten Seiten 1771
Menschen das Leben gekostet. Die meisten von ihnen - 1492 -
starben nach südossetischen Angaben beim Angriff der georgischen
Truppen. Die georgische Regierung bezifferte die Zahl der getöteten
Landsleute auf insgesamt 215, nämlich 146 Soldaten und Polizisten
sowie 69 Zivilisten. Insgesamt 1469 Menschen seien bei den Kämpfen
verletzt worden, gab der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der
georgischen Nationalversammlung, Giwi Targamadse, in Tiflis bekannt.
Auf seiten der russischen Armee, die zur Unterstützung der Südosseten
am 8. August in Georgien einmarschiert war, starben 64 Soldaten.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat Zugang zum
Krisengebiet Südossetien erhalten. Ein Konvoi sei auf dem Weg nach
Zchinwal, sagte IKRK-Präsident Jakob Kellenberger in Genf nach
seiner Rückkehr aus dem Kaukasus. Die sieben Delegierten und zehn
lokalen Mitarbeiter würden sich an Ort und Stelle über die humanitäre
Lage informieren.
20.08.2008 vienna Online
***
Die Luft reicht für alle
GEORGIEN
Im
Konvoi von Tiflis nach Gori
Von Ulrich Heyden
Hätte man die Markthändler von Tiflis gefragt, ob man um
Südossetien Krieg führen soll, wäre es wohl zu keinem Waffengang
gekommen. Mit wem man auch spricht, von patriotischem Feuer ist auf dem
Markt, wo mit Kinderschuhen und Kleidern aus der Türkei sowie Elektronik
aus China gehandelt wird, nichts zu spüren. "Normale Leute wollen keinen
Krieg", meint Gennadij, ein Kurde, der Armbanduhren aus Dubai verkauft.
Spannungen habe man in Georgien schon genug. Um diese Aussage zu
unterstreichen, zieht er den Daumen einmal quer über seinen Hals, was
soviel heißt wie: Es reicht! Tiflis ist eine multinationale Stadt. Hier
leben nicht nur Georgier, auch Armenier, Aserbaidschaner, Kurden und
Russen.
Der Flughafen von Tiflis wurde vor einer Woche bombardiert. "Wozu war
das gut?" Gennadij wohnt direkt daneben und weiß, wovon er spricht. Für
die russischen Kontraktniki - die Vertragssoldaten - und die
paramilitärischen Einheiten, zumeist Kosaken und Osseten, die - wie das
georgische Fernsehen fortwährend berichtet - plündernd durch die Dörfer
zwischen Gori und Zchinwal ziehen, hat er nur Verachtung übrig. Die
würden sogar Kloschüsseln wegschaffen. Das Fernsehen zeigt Videos aus
verlassenen Banken und Kasernen. Ein Plünderer sagt: "Wir leben wie
Obdachlose, und die leben wie Könige". Den Satz kennt inzwischen jeder
Georgier. Russische Barbaren eben.
Es gibt in der Hauptstadt fanatische Anhänger von Präsident Saakaschwili,
aber es gibt auch eine Opposition. Im November brachte sie fast 100.000
Demonstranten auf die Straße. Saakaschwili ließ sie mit Gasgranaten
vertreiben, schloss den einzigen unabhängigen Fernsehsender und
verhängte den Ausnahmezustand. Kakha Kukava, Generalsekretär der
Konservativen Partei, die zur Allianz von neun Oppositionsgruppen
gehört, beklagt sich, dass dieses Bündnis in Europa kaum wahrgenommen
werde. In den USA sei die Aufmerksamkeit viel größer.
Seit es Krieg gibt in Georgien, ist die Opposition verstummt. Solange
russische Truppen im Land stehen, hätten die Oppositionsführer
versprochen, Saakaschwili nicht zu kritisieren, erklärte Kukava. Georgi
Chaindrawa - einst Minister für eine Reintegration der abtrünnigen
Provinzen und von Saakaschwili 2006 gefeuert - tut es trotzdem. Er ist
der Einzige, der es wagt, den Mund aufzumachen. Allerdings kann man
seine Interviews nur in deutschen Medien lesen. Die georgischen stehen
ausnahmslos unter staatlicher Kontrolle. Chaindrawa erklärte, der
Angriff auf Zchinwal sei ein "Verbrechen am eigenen Volk" gewesen.
Damit das in Georgien niemand zu hören bekommt, ließ die Regierung die
russischen Fernsehkanäle abschalten und das gesamte russische Internet
blockieren. Zum Ausgleich tritt der georgische Präsident inzwischen
mehrmals am Tag im Fernsehen auf, manchmal mit einem Flüchtlingskind auf
dem Arm. Er wettert gegen die russischen Okkupanten. Von
Friedenssehnsucht ist nichts zu spüren. Die Rückgewinnung der
abgefallenen Provinzen sei für die Georgier eine Selbstverständlichkeit,
die man nicht weiter zu begründen brauche. Dass Saakaschwili bisher kein
realistisches Konzept präsentiert, um dies zu erreichen, stört kaum
jemanden. "Das ist unsere Erde", hört man in Tiflis immer wieder. Man
hat fast den Eindruck, dass es nur um die Erde geht und nicht um die
Menschen, die darauf wohnen.
Vier Tage im Krieg und Wodka gegen die Angst
Ihr wollt Südossetien und Abchasien also einfach zurückerobern, ohne mit
der Bevölkerung dort zu sprechen?, frage ich Sascha einen jungen Mann
mit polnisch-jüdischen Wurzeln, der in einem Internet-Café arbeitet, das
eine Bildergalerie von Stalin über Saakaschwili bis Mao schmückt. "Mit
der Bevölkerung dort wird es keine Probleme geben, wenn erstmal die
Russen weg sind", glaubt er. Dass Südosseten und Abchasen sich bewusst
für russische Pässe entschieden haben, wird von den meisten Georgiern
schlicht übersehen. So erscheint die Rückführung der abtrünnigen Gebiete
als rein militärische Mission. Dass ihr Land vielleicht nur Spielball
zwischen den USA und Russland ist, weisen die meisten Georgier, mit
denen ich spreche, weit von sich.
In einer Altstadtgasse treffe ich Zura. Der Ökonomie-Student, gerade 18
Jahre alt, war vier Tage als Soldat im Krieg. Am 7. August wurde er
eingezogen, obwohl er nur eine Grundausbildung von 20 Tagen hinter sich
hatte. Er erhielt einen Kampfanzug, Munition und ein Maschinengewehr und
wurde mit einem Bataillon aus lauter Rekruten nach Gori beordert. Zura
empfand es als gefährlich und falsch, kaum ausgebildete Leute in den
Kampf zu schicken. "Aber was sollten wir sonst machen - wir sind vier
Millionen, die Russen sind 150 Millionen." Gekämpft hat er dann aber
nicht, nur ein Gelände und eine Straße bewacht.
"Wir hatten Angst", erzählt Zura weiter, "weil wir nichts tun konnten."
Suchoi-24-Kampfbomber hätten sie mit Raketen beschossen, die Meter tiefe
Krater hinterließen. Nachts sei die Furcht so groß gewesen, dass die
Kommandeure Wodka an die jungen Soldaten verteilt hätten. "Später haben
die sich einfach abgesetzt und uns allein gelassen."
Vier Tage war der 18-Jährige im Krieg, davon vier Stunden im
südossetischen Zchinwal. Auch dort habe er wegen der fehlenden
Kampferfahrung eigentlich nur herum gestanden. Dieses Kriegserlebnis
lässt Zura dennoch nicht entkommen. Schlafen könne er im Augenblick nur
mit Medikamenten. "Wir haben gehofft, dass die Amerikaner kommen", sagt
er noch. "Denn gegen Russland kann man nicht siegen. Man muss mit
Russland irgendwie auskommen. Wir können Georgien schließlich nicht nach
Amerika verlegen."
Pistolen am Gürtel und amerikanische Gewehre im Arm
Wir schreiben den 17. August, an der Peripherie von Tiflis formiert sich
ein Auto-Konvoi mit Journalisten, ihr Ziel ist Gori. In dem Örtchen
Igoeti, 45 Kilometer von der georgischen Hauptstadt entfernt, wird der
Tross von Soldaten gestoppt. Nicht weit davon flattert auf einem
Schützenpanzer die russische Trikolore. Komplettiert wird die Szene
durch eine Gruppe georgischer Polizisten, die sich unter Bäumen einen
schattigen Platz gesucht haben. Sie tragen Pistolen am Gürtel, manche
halten lässig amerikanische Gewehre im Arm und warten auf weitere
Anweisungen, während von georgischer Armee nichts zu sehen ist. Für die
russischen Offiziere an diesem Checkpoint scheint unklar, wie es weiter
gehen soll. Kampfgeist oder Stolz spricht nicht aus ihren müden
Gesichtern. Die Sonne brennt unbarmherzig. Wenn es niemand sieht, nimmt
ein russischer Soldat auch schon einmal einen Schluck Wasser aus der
Flasche eines georgischen Journalisten.
Der Vorstoß nach Igoeti war der bisher weiteste ins georgische Kernland.
Wadim, ein 22jähriger russischer Soldat aus dem nordkaukasischen
Naltschik, der eine viel zu große Militärhose trägt, schimpft: "Wir
laufen hier wie die Affen herum. Wir können uns noch nicht einmal
rasieren." Ein anderer meint: "Wozu brauchen wir Krieg? Wir wollten
auch, dass der Waffenstillstand unterschrieben wird." Ihn störe
allerdings, dass damit nicht gleichzeitig die Unabhängigkeit von
Abchasien und Südossetien anerkannt wurde.
Plötzlich geht einer der georgischen Polizisten zu dem russischen
Kommandeur, der im Schutz eines Hauses die Lage beobachtet, und fragt:
"Haben Ihre Leute die Gegend hier vermint?" Der Major will zunächst
nichts sagen, antwortet dann aber mit einem unwirschen "Njet".
Irgendwann dürfen wir weiterfahren und passieren ausgebrannte georgische
Schützenpanzer und russische Militärfahrzeuge, die in der Gegend
Stellung bezogen haben. An der Stadtgrenze von Gori kommt unsere Kolonne
erneut zum Stehen. Vier russische Panzer sind zu beiden Seiten der
Straße postiert, manche mit Zweigen und Netzen getarnt.
"Ich bin stolz, in Gori zu sein" sagt ein älterer Soldat, der seinen
Namen nicht nennen will. Die Geburtsstadt von Stalin umwehe doch immer
noch etwas Mystisches. "Natürlich wäre es schöner, wenn ich ohne Waffe,
nur mit meiner Frau und meinen beiden Kindern gekommen wäre." Bevor er
Vertragssoldat wurde, habe er als Zimmermann in Dagestan gearbeitet.
"Irgendetwas" ziehe ihn zur Armee, gesteht er.
Die wenigen Georgier, die noch rund um die Stadt leben, versuchen, die
russischen Truppen irgendwie gütlich zu stimmen. Dschemal, ein 67 Jahre
alter Mann, erzählt mir, Georgier und Osseten lebten früher in der
Umgebung von Gori friedlich zusammen. "Die Luft hat stets für alle
gereicht, aber wohl nicht der Verstand." Er unterhält sich ohne Scheu
mit einem russischen Soldaten und verspricht, noch eine Kiste Pfirsiche
vorbei zu bringen. Im Gegenzug, lässt Dschemal einfließen, bekomme er
von den Soldaten Zigaretten. Ein Friedensidyll direkt an der Front.
Plötzlich knattern Schüsse, offenbar aus einem Schützenpanzerwagen. Die
Journalisten zucken erschreckt zusammen, manche laufen und suchen
Deckung. Noch frisch in Erinnerung ist das Bild einer georgischen
Fernseh-Korrespondentin, der einen Tag zuvor eben hier während eines
Live-Berichts offenbar von einem Scharfschützen in den Arm geschossen
wurde. Die Episode läuft ständig auf allen, noch mit einer Sendelizenz
bedachten Fernsehkanälen Georgiens - als Beweis für die Aggressivität
der Russen.
20.08.2008 Freitag
***
Unabhängigkeit - Russland ist
bereit Abchasien und Südossetien anzuerkennen
Das russische Oberhaus stellt sich einer
möglichen Unabhängigkeit der beiden von Georgien abtrünnigen Staaten
nicht in den Weg. Der Präsident des Oberhauses erklärte die
Bereitschaft, falls der Staatschef Medwedew eine entsprechenden
Beschluss fasst. Abchasien und Südossetien wollen Russland zu einer
Anerkennung auffordern.
Der Präsident des russischen
Oberhauses, Sergej Mironow, hat die Zustimmung des Gremiums zur
Anerkennung eines unabhängigen Abchasien und eines unabhängigen
Südossetiens signalisiert. „Der Föderationsrat ist bereit, die
Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien anzuerkennen, wenn es das
ist, was die Menschen dieser Republiken wollen“, sagte Mironow am
Mittwoch laut einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Interfax
im nordossetischen Wladikawkas. Als weitere Vorbedingung für die
Anerkennung der beiden abtrünnigen georgischen Regionen als
unabhängige Staaten nannte der Oberhaus-Präsident eine entsprechende
Entscheidung des russischen Staatschefs Dmitri Medwedew.
Abchasien hatte zuvor angekündigt,
es wolle Moskau zur offiziellen Anerkennung seiner Unabhängigkeit
auffordern. „Das Volk Abchasiens hat die Absicht, die russische Seite
zur Anerkennung Abchasiens aufzufordern“, sagte der abchasische
Vize-Parlamentspräsident Wjatscheslaw Zugba der Nachrichtenagentur
AFP. Das Parlament werde am Mittwochnachmittag über einen
entsprechenden Vorschlag des selbst ernannten abchasischen Präsidenten
Sergej Bagapsch beraten. Sollte es den Vorschlag annehmen, werde am
Donnerstag ein Volkskongress in Suchum mit Vertretern aller
politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen der Region über
das Vorhaben entscheiden, kündigte Zugba an.
20.08.2008
FOCUS ONLINE
***
Ärger auf der
Transitstrecke
Die Staaten des Kaukasus sind für
Deutschland von strategischer Bedeutung im Hinblick auf die
Energieversorgung. Am liebsten hätten es die deutschen Politiker, wenn
in Georgien und seinen Nachbarstaaten weder der russische Einfluss
noch jener der USA wachsen würde.
von Peer Heinelt
»Wer Russland nicht zu weiteren
Abenteuern ermuntern will, muss nun so hart und eindeutig reagieren,
dass es Moskau wehtut«, kommentierte Welt online die gegenwärtigen
kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien. Der Kommentator fühlt
sich an längst vergangen geglaubte Zeiten erinnert: »Das neue Russland
hat ein Antlitz, das in Teilen wieder dem der alten Sowjetunion
gleicht. Es ist an der Zeit, dass Europa Strategien gegen die
hegemonialen Bestrebungen Moskaus entwickelt.« Integraler Bestandteil
einer solchen Strategie sei die Aufnahme Georgiens in die Nato, denn
nur so könne die Bedrohung aus dem Osten pariert werden. Schließlich
führe »durch Georgien die einzige Pipeline aus der gas- und ölreichen
Region am Kaspischen Meer«, die russisches Territorium nicht passiere
und somit sicherstelle, »dass die Russen uns in Energiefragen nicht
gänzlich in der Hand haben«.
Ähnlich äußerte sich
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung. Er sagte der Rheinischen
Post, es dürfe auf keinen Fall der Eindruck entstehen, Georgien sei in
Folge der jüngsten Entwicklung »jetzt auf Dauer von einer
Nato-Mitgliedschaft ausgeschlossen«. Der Vorsitzende des Auswärtigen
Ausschusses im Deutschen Bundestag, Ruprecht Polenz, bezeichnete die
Reaktion Russlands auf die georgischen Angriffe in Südossetien im
Gespräch mit dem Münchner Merkur als »überzogen« und »brutal«; ihn
erinnere das russische Vorgehen an den Krieg in Tschetschenien, wo
Russland »eindeutig gegen das Völkerrecht verstoßen« habe. Die der
russischen Politik zugrunde liegende Motivation kennt Polenz auch:
»Jede Pipeline, die an Russland vorbeiführt, ist dem Kreml ein Dorn
im Auge.« Sein Parteifreund Eckart von Klaeden, der außenpolitische
Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, sieht Russland als den
eigentlichen Verursacher des Konflikts, weil es die abtrünnigen
georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien »de facto anerkannt«
und so die territoriale Integrität Georgiens in Frage gestellt habe.
Dem Koordinator der
Bundesregierung für die deutsch-russische Zusammenarbeit,
Andreas Schockenhoff, ebenfalls CDU-Mitglied, scheint
bei einer solchen Argumentation hingegen nicht ganz wohl zu sein. Im
Deutschlandradio bezeichnete er den russischen Einmarsch in Georgien
als »eine Art Quittung« Russlands dafür, dass der Westen das Kosovo
als unabhängigen Staat anerkannt habe. In der Tat hat Russland
offenbar einiges vom deutschen Umgang mit ethnisch definierten
Minderheiten gelernt. Wie einem Report der Konrad-Adenauer-Stiftung zu
entnehmen ist, stellt Russland den Bewohnern Südossetiens und
Abchasiens »russische Pässe freizügig aus«. Rund 85 Prozent der
Bewohner der georgischen Provinzen verfügen über ein solches Dokument,
das sie unter anderem kostenlos in den Genuss des russischen Bildungs-
und Gesundheitssystems kommen lässt. Ganz ähnlich verfährt Deutschland
etwa mit der deutschstämmigen Minderheit in Polen.
Sofern sie ihre »deutsche
Volkszugehörigkeit« nachweisen können, vergibt die deutsche Botschaft
Reisepässe an polnische Bürger und unterstellt diese damit faktisch
der Hoheit der Bundesregierung. Die Inhaber der Pässe erhalten einen
privilegierten Zugang zum deutschen Gesundheitswesen und zum deutschen
Arbeitsmarkt. Darüber, wie ein solcher »Volkstumsnachweis« zu
erbringen ist, informiert regelmäßig das im polnischen Opole (Oppeln)
erscheinende Schlesische Wochenblatt: Entweder müsse der Vater des
Antragstellers »zwischen 1913 und 1945 im Gebiet des Deutschen
Reiches … in den Grenzen von 1937« geboren oder in die »Deutsche
Volksliste« aufgenommen worden sein. Urheber der so genannten
Volksliste war der Reichsführer SS und Reichskommissar für die
Festigung des Deutschen Volkstums, Heinrich Himmler. Die »Volksliste«
bestimmte die »Volkszugehörigkeit« anhand rassistischer Kriterien und
bildete die Grundlage für die von Deutschland während des Zweiten
Weltkriegs exekutierte Eindeutschungs-, Selektions- und
Vernichtungspolitik. Angeleitet werden Medien wie das Schlesische
Wochenblatt von dem in Berlin und Stuttgart beheimateten Institut für
Auslandsbeziehungen, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird.
Ähnlich wie der Kollege
Schockenhoff von der CDU gefallen sich die
führenden Politiker der SPD und der Grünen offenbar gar nicht in der
Rolle derer, die die völkischen Bestrebungen etwa im Kosovo und in
Polen förderten, aber im Fall Georgiens nicht haben wollen. Sie üben
sich daher lieber in allgemeiner Friedens- und Menschenrechtsrhetorik.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), sprach im
Norddeutschen Rundfunk von einem »sinnlosen« und »blutigen« Krieg,
»der das Problem dieser abtrünnigen Provinz Südossetien mit Sicherheit
nicht lösen wird«. Nach Agenturmeldungen vermied sein Parteifreund und
Chef, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, in seinen zahlreichen
Telefonaten mit Vertretern der Konfliktparteien jegliche
Schuldzuweisung für den Beginn der Kämpfe.
Die Bundesvorsitzenden der Grünen,
Claudia Roth und Reinhard Bütikofer, forderten in einer
Presseerklärung »alle Seiten« auf, »die unerträgliche Gewalt sofort zu
beenden, eine Waffenruhe zu vereinbaren und eine friedliche Lösung zu
suchen«; eine »gewaltsame Eroberung Südossetiens durch Georgien« sei
»ebenso wenig akzeptabel« wie »der Einmarsch russischer Truppen
zugunsten der Separatisten in Südossetien«. Ihre Trauer, sagten
Bütikofer und Roth, gelte den »vielen Menschen, die im Zuge der
Auseinandersetzungen getötet oder verletzt wurden«. Wie zuvor der
außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Gert Weisskirchen,
warnten beide vor einer »weiteren Eskalation« des Konflikts.
Worum es den deutschen
Politikern vor allem geht, können Äußerungen
dieser Art und das deutsche Angebot, zwischen Russland und Georgien zu
vermitteln, jedoch nicht verdecken. Sie wollen die Staaten des
Kaukasus dafür nutzen, die fossilen Brennstoffe aus dem Kaspischen
Becken nach Westen zu transportieren, ohne dabei russisches oder
iranisches Territorium nutzen zu müssen. Die nicht nur von
CDU-Politikern und der Springerpresse in diesem Zusammenhang immer
wieder gerne angeführte Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan transportiert
täglich rund ein Prozent des global produzierten Erdöls vom Kaspischen
Meer über Georgien in die Türkei. Einem Bericht des Internetdienstes
german-foreignpolicy.com zufolge unterstützt das Auswärtige Amt die
Pläne deutscher Unternehmen, die kaspischen Ressourcen stärker zu
nutzen. Insbesondere hat man dabei Kasachstan im Blick, das vom fünft-
zum zweitgrößten Erdöllieferanten Deutschlands aufsteigen soll.
Um solche Pläne zu verwirklichen,
erscheint es notwendig, sowohl den unter anderem über die Nato
ausgeübten Einfluss der USA im Südkaukasus zu begrenzen als auch zu
verhindern, dass Russland seinen Einfluss dort erweitert. Die
Unterstützung des georgischen Staatspräsidenten Michail Saakaschwili,
der als Parteigänger der USA gilt, wäre hierfür ebenso falsch wie das
Befördern völkischer Bestrebungen in den georgischen Provinzen
Südossetien und Abchasien im derzeitigen Konflikt.
21.08.2008 jungle World
***
Autor:
Daniel Neun • 19. August 2008
Von
Klaeden: Russland verfolge eine Politik der “Verbrannten Erde” und
vertrage sich nicht mit der neuen “Friedensordnung für Europa” im
21.Jahrhundert
Berlin:
Der aussenpolitische Sprecher der CDU-CSU-Bundestagsfraktion,
stellv.Mitglied im Verteidigungsausschuss,
Vorstandsmitglied der “Atlantikbrücke”,
Beiratsmitglied der “Atlantischen Initiative”, und
Präsidiumsmitglied des Deutschen Evangelischen Kirchentages,
Eckart von Klaeden, zeigte heute im ARD-ZDF-Morgenmagazin ein
ganz ausserordentliches Gespür für politische Stimmungen.
Er schaffte es in der ihm zugestandenden Fernsehzeit so viele
imperialistische Weisheiten von sich zu geben, dass sich gerade
Christdemokraten mit Grausen von der CDU abwenden mögen.
ARD-ZDF-INTERVIEW MIT V.KLAEDEN
Russland werde von der Lösung für
internationale Probleme immer mehr selbst zum Problem - z.B. im
Kosovo, so von Klaeden heute morgen im ARD-ZDF-Interview.
In Wirklichkeit wurde die
Konfrontation im Kaukasus durch die völkerrechtswidrige Anerkennung
des von der NATO 1999 eroberten Kleinstaates Kosovo durch die EU und
USA dieses Jahr verschärft. Kurz danach ersuchte Abchasien die
offizielle Anerkennung durch Russland, mit der Begründung dass nach
der öffentlichen Beerdigung des Völkerrechtes durch NATO und EU es
keinen Grund mehr gäbe einem Staat die Anerkennung zu verweigern,
der gleichzeitig mit Georgien aus der zerfallenen Sowjetunion
hervorgegangen sei.
Russland hatte daraufhin am 16.April
dieses Jahres angekündigt Abchasien und die ebenfalls von Georgien
beanspruchte Region Südossetien de facto anzuerkennen.
Von Klaeden heute im Interview weiter:
Trotz des gerade einmal mühsam
haltenden Waffenstillstandsabkommen zwischen dem vom Westen
aufgerüsteten Georgien und den russischen Truppen müsse Geogien, wie
geplant, in den atlantischen Militärpakt NATO. Auf die Bemerkung des
Fernsehmoderators, dies bringe eine Reihe von Problemen mit sich
(”Georgien hat sich gerade als Kriegstreiber entpuppt”), antwortet
Klaeden wörtlich:
“Ob dieser Vorwurf zutrifft, er wird
von der russischen Seite erhoben, dass werden internationale
Untersuchungen klären. Sie wissen ja auch nicht, was den
georgischen Militäraktionen vorausgegangen ist.. Deswegen sagt ja
auch die Bundesregierung zu Recht, die konkreten, äh, äh, Vorgänge
können wir nicht aufklären”.
Es habe von russischer Seite in
letzter Zeit immer mehr völkerrechtswidrige Aktionen gegeben, so
Klaeden. Er führt als Beispiele ausgerechnet den Abschuss von
Drohnen (israelischer
Bauart im Spionageflug über Abchasien) auf, sowie die
Anerkennung von “de-facto-Regimen” durch Russland.
Zuerst einmal hat Russland die
Kleinstaaten Südossetien und Abchasien noch nicht anerkannt, sondern
verhängte im Gegenteil im Einklang mit der NATO bis zum Frühjahr
dieses Jahres 15 Jahre lang eine vollständige Blockade gegen
Abchasien. Erst im Vorfeld der anerkannten Unabhängigkeitserklärung
des von der NATO eroberten Kosovo wurde diese aufgehoben.
Zweitens hatten sich sowohl Abchasien,
als auch Südossetien schon vor Georgien von der
Sowjetunion für unabhängig erklärt, wurden aber bisher im Gegensatz
zum “westlich” orientierten Regime in Tbilisi weltweit nicht
anerkannt. Georgien existierte in den letzten 1000 Jahren nicht als
unabhängiges gemeinsames staatliches Gebilde, ausgenommen drei
Jahre, nämlich von 1918-1921. Auf diese drei Jahre begründet sich
nun dessen Anspruch auf Abchasen und Südosseten.
Von Klaeden weiter:
Russland verfolge eine Politik der “verbrannten Erde,
die sich mit “gesprengten Brücken und versenkten
Handelsschiffen fortsetzt, wie wir grade gehört haben”.
Erstens: die versenkten georgischen
“Handelsschiffe” waren Kriegsschiffe.
Zweitens: Die Taktik der “Verbrannten
Erde” wandten die deutschen Truppen bei ihrem Rückzug aus dem Gebiet
der damaligen Sowjetunion an, die sie 1941 in einem Blitzkrieg zu
erobern versuchte. 20 Millionen Bürger der Sowjetunion kamen im
2.Weltkrieg um´s Leben.
Dieser Vorwurf ist also eine nicht zu
überbietende Provokation, Geschichtsfälschung und niedrigste
Behauptung durch den aussenpolitischen Sprecher der sogenannten
“christlich-demokratischen” und “christlich-sozialen”
Bundestagsfraktion.
Auf die Frage was denn mit der
strategischen deutsch-russischen Partnerschaft wäre, auf die man in
Deutschland doch eigentlich angewiesen sei, sagt Klaeden wörtlich
folgendes:
“Wir sind angewiesen? Russland ist
angewiesen. Äh, aber wir müssen eben sehen, dass Russland nicht
nur ein Partner ist, sondern Russland ist zunehmend ein, äh, äh
Konkurrent und Russland ist auch ein Kontrahent.”
Dies hänge mit der inneren Entwicklung
Russlands zusammen, so Klaeden.
“Immer mehr Korruption, immer
weniger Rechtsstaatlichkeit, Journalisten-Morde, eine Justiz die
sich darum nicht kümmert und verbunden damit eine Politik nach
aussen die auf Rollback setzt, auf die Wiederherstellung der alten
Grossmachtvorstellungen in Kategorien des 19.Jahrhunderts und das
verträgt sich nicht mit einer Sicherheitspolitik, einer
Friedensordnung für Europa, die dem 21.jahrhundert angehören
soll.”
Bisher musste weder der russische
Ministerpräsident Putin zurücktreten weil er sich im Zuge eines
Bankenskandals bestechen liess, noch Präsident Medwedew und sein
Justizminister wegen
Vergewaltigung und
sexueller Nötigung. Ebenso überfiel Russland
in Absprache mit den Regierungen in Paris, London und Washington
kein anderes Land, musste sich dann geschlagen von einer Miliz
zurückziehen und ging dann in Deutschland
um Truppen betteln.
Die “Friedensordnung”, von der von
Klaeden da spricht, ist in diesem Kontext zu sehen.
ÄUSSERUNGEN UND BESTREBUNGEN ECKART
V.KLAEDENS UND DER BUNDES-CDU IN DEN LETZTEN JAHREN IM KONTEXT
INTERNATIONALER EREIGNISSE
-
während eines Treffens des deutschen Aussenministers Frank
Steinmeier mit Aussenministerin Condoleeza Rice in Washington am 8.
Dezember 2006 forderte v.Klaeden ein
“stärkeres Engagement Deutschlands” im Irak. Er könne sich
vorstellen, dass Deutschland und die EU sich noch stärker am Aufbau
ziviler Strukturen in Irak beteiligten.
In Washington gab es vom 7.-10. Dezember 2006
einen regelrechten Auflauf von
Entscheidungsträgern des “Westens” der Erde, der ja bekanntlich von
Tokio bis Melbourne über Riad nach Alaska reicht.
Offiziell ging es (nach dem u.a. durch das US-Militär erzwungenen
Rüpcktritt von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld am
8.November 2006) um den gerade in die Öffentlichkeit lancierten
Bericht der Baker-Hamilton-Kommission, sowie über einen
Strategiewechsel in der Irak-Politik.
Dem Ende von Rumsfeld als Militärchef
ging ein erbitterter Machtkampf mit der Baker-Kommission zuvor. Es
kam einer Entmachtung des “Kultes” der Neokonservativen durch die
alte Garde des US-Establishments gleich. Seitdem ist US-Präsident
Bush faktisch entmündigt.
Das Pentagon und damit die
unmittelbare Kontrolle über den Militärapparat übernahm Robert
Gates, Mitglied der Baker-Kommission.
An eben jenem verlängerten Wochenende in Washington vom
7.-10. Dezember 2006 wurde damals (mit der Vorstellung des
Berichtes der Baker-Kommission als offiziellen Grund) im engsten
Kreise der Verbündeten die neue US-Strategie im Nahen und Mittleren
Osten besprochen.
Es kamen Frank Steinmeier, der neben
Aussenministerin Rice auch eine Menge einflussreicher Senatoren
traf. Explizit die Rolle Deutschlands wurde besprochen. Themen waren
der Irak, Nahost, der “westliche Balkan” und das “iranische
Atomprogramm.”
Es kamen der rechtsradikale israelische Minister
Avigdor Lieberman, die israelische Außenministerin Livni, der ex-Aussenminister
von Israel, Shimon Peres, der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes Amos
Yadlin sowie David Welch, US-Sonderbeauftragter für den Nahen Osten, sowie
Hillary und Bill Clinton im SABAN Center zu einem Geheimtreffen zusammen.
Sehr wahrscheinlich waren an diesem Treffen auch
Steinmeier und Rice beteiligt, da Rice am Samstag ihre israelische Amtskollegin
Livni traf. Jedenfalls waren zu dieser Zeit alle wichtigen Vertreter der NATO-
und US-Hegemonie im Regierungsviertel von Washington.
In diesem Kontext sind auch die gleichzeitigen
Äusserungen des aussenpolitischen Sprechers der CDU-CSU-Bundestagsfraktion,
Eckart v.Klaeden, am 8.Dezember 2006 zu sehen.
- im Vorfeld der
Zustimmung des Bundestages zum Kampfeinsatz der deutschen Luftwaffe in
Afghanistan am 9. März 2007 benutzte Eckart von Klaeden den Mord am Deutschen
Dieter Rübling einen Tag zuvor am 8.März in Afghanistan
als Druckmittel. Zuerst war diesbezüglich von einem kriminellen Akt,
dann von einem Terrorakt, nach der
Bundestagsabstimmung wieder von einem “kriminellen Akt” gesprochen worden.
- am 10.April bezeichnete
v.Klaeden den Iran als die derzeit “größte Gefahr für den internationalen
Frieden”.
Es
sei damit zu rechnen, “dass Iran sich nuklear bewaffnet” und “auch bereit
ist, diese Waffen als strategisches Erpressungspotential uns gegenüber
einzusetzten”.
Daher müsse der Atlantikpakt die Debatte über ein neues US-Raketensystem in
Osteuropa “mit größter Entschlossenheit” führen. Die geplanten
Raketenstellungen der USA müssten mit NATO-Systemen verknüpft werden.
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses
des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU) hatte damals verlangt, die “Frage
einer gemeinsamen Abwehr” auf die Tagesordnung des Atlantikpaktes zu
setzen. Der CSU-Politiker Lintner sagte damals wörtlich: “Der
US-Abwehrschirm muss über ganz Europa ausgedehnt werden. Dabei müssen wir
notfalls auch bereit sein, Raketen in Deutschland aufzustellen.” Der
CSU-Außenpolitiker Karl-Theodor zu Guttenberg sprach von einer
“schonungslosen Neubewertung” der Sicherheitslage.
- am 22. Mai warnten
SPD-Fraktionsvize Walter Kolbow sowie Eckart von Klaeden für die
CDU-CSU-Bundestagsfraktion
vor “Terrorgefahr” in der Republik, wenn diese nicht mehr bereit sei sich
beim NATO-Krieg in Afghanistan zu beteiligen.
- am 2. Dezember 2007
forderte der aussenpolitische Sprecher der CDU-CSU-Bundestagsfraktion v.Klaeden
neue Schritte gegen den Iran, auch ohne Vollmachten durch die UNO und gegen
Russland und China.
Wörtlich sagte er:
“Wenn es uns nicht gelingt, Russland und China
an Bord zu holen, müssen wir bereit sein, die Sanktionen notfalls auch
außerhalb des Sicherheitsrates auf europäischer Ebene zu verschärfen.”
Einen Tag später legte er nach und erklärte der
Präsident von Russland, Wladimir Putin, habe die abgehaltenen Parlamentswahlen
massiv gefälscht.
“Angesichts der massiven Manipulationen vor der
Parlamentswahl ist es kein Wunder, dass die demokratische Opposition den
Einzug in die Duma nicht geschafft hat..Das sind keine Wahlen gewesen, sondern
das war eine Ermächtigungsinszenierung.”
Die vom NATO-Block hofierten
National-Bolschewisten der Partei “The Other Russia” (”Anderes Russland”)
von ex-Schachweltmeister Gari Kasparow waren nicht zur Wahl zugelassen worden.
NATO: “HILFSPAKET” FÜR GEORGIEN
Heute wurde auf einem Sondergipfel des
Atlantikpaktes in der EU-Hauptstadt Brüssel
ein nicht definiertes “Hilfspaket” für den designierten
NATO-Beitrittskandidaten Georgien beschlossen. Öffentlich wurde nur der übliche
Konjunktiv als Nebelkerze. (”…Unterstützung beim Wiederaufbau zerstörter
Infrastruktur sowie bei der Räumung verminten Geländes gehören könnte“)
Diesen Sonntag hatte sich Kanzlerin Merkel (CDU)
für einen NATO-Beitritt Georgiens ausgesprochen. Für die SPD sagte
Aussenminister Steinmeier (SPD), die Beschlüsse vom NATO-Gipfel in Bukarest
würden trotz des Kaukasus-Krieges immer noch gelten.
SCHWEIGEN VON “SPD” UND “LINKEN” ZU BEHAUPTUNGEN
V.KLAEDENS
Zu den heute seitens Eckart v.Klaeden gezogenen
Vergleiche zwischen dem Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmachtstruppen
während des 2.Weltkriegs in Russland und der russischen Militäroffensive nach
dem Überfall durch Georgien auf Südossetien
in der Nacht zum 8.August wurden weder von Vertretern der sogenannten “SPD”,
noch von Vertretern der sogenannten “Linken”, noch von Vertretern irgendeiner
anderen sogenannten “Partei” ein Kommentar abgegeben.
Auch der offenen Lüge v.Klaedens bezüglich des
Angriffs der georgischen Streitkräfte auf Südossetien durch den “westlich”
gestützen Machthaber Michail Saakaschwili wurde quer durch alle Parteien
nicht widersprochen. Ebenfalls wagte kein einziger Journalist in
Deutschland eine Gegendarstellung zu den Äusserungen von Klaedens.
Die Deutschen stehen in ihrem Kampf für den Völkerfrieden
gegen sämtliche “Parteien”, sowie ihr Establishment
19.08.2008 radioa utopie
***
Chronik des Krieges in Südossetien
19/08/2008 20:51
MOSKAU, 19. August (). Mehr als 2000 Tote, Zehntausende Flüchtlinge und
ruinierte Städte. So sind die Ergebnisse des jüngsten Kaukasus-Krieges.
Am heutigen Dienstag präsentierte der russische
Generalstab dem US-Botschafter in Moskau, John Byerly, die Chronik des Krieges
in Südossetien. Wie der stellvertretende Generalstabschef Anatoli Nogowizyn
mitteilte, hat der amerikanische Botschafter die Chronik akzeptiert. Diese sei
den amerikanischen Angaben nah.
8. August
00:06 Die in den Grenzsiedlungen Nikosi und
Ergneti stationierten georgischen Verbände nehmen die südossetische Hauptstadt
Zchinwali und weitere Orte unter schweren Beschuss. Vertreter der nicht
anerkannten Republik melden, dass georgische Truppen Zchinwali stürmen.
00:42 Georgien verspricht, „verfassungsmäßige
Ordnung“ in Südossetien herzustellen. Der Befehlshaber der georgischen
Friedenstruppe, die als Teil des multinationalen Kontingents in der Region
stationiert ist, warnt die russischen Friedenssoldaten vor Einmischung.
01:38 Georgische Truppen greifen Zchinwali von
allen Seiten an. Nach südossetischen Angaben wird die Stadt aus flächendeckenden
Mehrfach-Raketenwerfern Grad sowie aus Haubitzen und großkalibrigen Minenwerfern
beschossen.
02:08 Georgien erklärt Südossetien offiziell den
Krieg und benachrichtigt darüber die Friedenstruppen.
02:37 Abchasien schickt 1000 Kriegsfreiwillige
nach Südossetien. Der abchasische Präsident Sergej Bagapsch beruft Sondersitzung
des nationalen Sicherheitsrats ein.
03:46 Georgien startet eine Panzeroffensive auf
südliche Stadtviertel von Zchinwali. Laut Georgiens Staatsminister Temur
Jakobaschwili ist die südossetische Hauptstadt eingekesselt.
04:20 Zchinwali wird von der georgischen
Infanterie gestürmt.
04:33 Russland fordert eine Sondersitzung des
UN-Sicherheitsrats zur Lage in Südossetien.
04:48 In Zchinwali treffen Verstärkungstruppen aus
Nordossetien ein.
06:49 Abchasien verlegt Truppen an die georgische
Grenze.
07:12 In Georgien werden Reservisten eingezogen.
07:23 Georgische Kampfjets fliegen Angriffe auf
Südossetien.
08:56 Die georgische Armee nimmt russische
Friedenssoldaten in der Region unter Beschuss.
09:23 Georgische Medien berichten über eine
endgültige Eroberung von Zchinwali.
11:10 Der georgische Präsident Michail
Saakaschwili kündigt in einer Ansprache an die Nation eine Rekrutierung von
Reservisten an.
11:19 Der georgische Fernsehsender Rustawi-2
berichtet über den Abschuss eines russischen Flugzeugs.
12:37 Das regionale Parlament von Nordossetien (in
Russland) ruft die russische Zentralregierung auf, Südossetien zu helfen.
13:45 Die Straßenkämpfe in Zchinwali gehen weiter.
Zerstört wurden das Krankenhaus und die Gasleitung. Das Universitätsgebäude
steht in Flammen.
16:14 Russische Panzer fahren trotz Warnungen aus
Tiflis in Zchinwali vor.
18:23 Die russische 58. Armee besetzt nördliche
Teile von Zchinwali.
19:23 Russland kündigt Einstellung des
Luftverkehrs mit Georgien ab 9. August an.
19:32 Beim Angriff auf einen georgischen
Luftwaffenstützpunkt werden mehrere Kampfflugzeuge zerstört.
21:23 Rund 200 Kriegsfreiwillige aus Nordossetien
treffen in Südossetien ein.
23:16 Georgien verlegt 20 Laster mit mindestens
200 Soldaten aus Batumi nach Südossetien.
9. August
02:14 Zchinwali steht weiter unter schwerem
Beschuss.
09:17 Eine russische Armee-Einheit kämpft sich zum
Stützpunkt der Friedenstruppe in Zchinwali durch.
11:38 Einheiten der russischen 76.
Luftlandedivision aus Pskow marschieren in Zchinwali ein. Russland verlegt
Einheiten der 98. Luftlandedivision aus Iwanowo sowie Spezialeinheiten des 45.
Aufklärungsregiments nach Südossetien.
12:28 Der russische Generalstab bestätigt
Meldungen über den Abschuss eines Schlachtflugzeugs Su-25 und eines Bombers
Tu22 im Konfliktraum. Ein Pilot sei tot, drei weitere seien in georgischer
Gefangenschaft, hieß es.
12:59 Georgische Soldaten verlassen ihre
Stellungen in Zchinwali.
14:59 Abchasien beginnt mit Verdrängung der
georgischen Truppen aus dem oberen Kodori-Tal.
15:52 Ossetische Milizen vernichten vier
georgische Panzer.
19:02 Die abchasische Armee greift militärische
Einrichtungen in Westgeorgien mit Raketen an.
20:39 Russische Kriegsschiffe gehen in der Nähe
des georgischen Hoheitsgewässers im Schwarzen Meer in Stellung.
21:00 Die 58. Armee verdrängt georgische Truppen
von südlichen Stadtteilen Zchinwalis.
23:50 Nach einem fünfstündigen Gefecht wird der
Artilleriebeschuss von Zchinwali beendet. Die georgische Panzeroffensive ist
abgewehrt: Zwölf angeschossene georgische Panzer stehen am südlichen Stadtrand.
10. August
08:45 Die abchasische Armee nimmt georgische
Stellungen im Kodori-Tal wieder unter schweren Beschuss unter Einsatz von
Luftwaffe und Mehrfachraketenwerfern „Grad“.
10:20 Russland verstärkt seine Schiffsgruppe vor
der abchasischen Küste im Raum der Stadt Otschamtschira.
10:25 Das georgische Innenministerium kündigt den
Truppenrückzug aus Südossetien an.
14:02 Das russische Verteidigungsministerium
bestätigt den Rückzug georgischer Verbände aus Zchinwali.
14:40 Die georgische Stadt Sugdidi (an der Grenze
zu Abchasien) wird aus der Luft angegriffen.
17:13 Abchasische Truppen greifen georgische
Stellungen im Kodori-Tal weiter an.
17:33 Die abchasische Armee geht am Fluss Inguri
entlang der georgischen Grenze in Stellung.
18:39 Aus Zchinwali werden erstmals 50 Verletzte
nach Wladikawkas (Nordossetien) evakuiert.
18:56 Georgien kündigt die Einstellung des Feuers
an. Dem russischen Konsul wird eine entsprechende offizielle Note überreicht.
Georgische Truppen haben laut Erklärung des Außenministeriums in Tiflis
Südossetien verlassen.
20:20 Georgische Medien berichten über einen
russischen Luftangriff auf das Flugzeugwerk Tbilaviastroy in der georgischen
Hauptstadt Tiflis, ohne Angaben über Opfer zu machen.
21:05 Der russische Außenminister Sergej Lawrow
fordert von Georgien einen bedingungslosen Truppenabzug aus Südossetien. In
einem Telefonat mit der georgischen Außenministerin Eka Tkeschelaschwili
verweist Lawrow darauf, dass georgische Truppen trotz Versicherungen aus Tiflis
immer noch im Raum des Konfliktes befinden.
21:40 Zchinwali steht vollständig unter Kontrolle
der russischen Friedenstruppen. Nach Angaben des Sprechers des
Friedenskontingents, Wladimir Iwanow, ziehen sich die georgischen Truppen
allmählich aus Südossetien ab.
22:16 Georgien lässt russische Friedenstruppen in
seinen Kreis Sugdidi. Der Gouverneur des Kreises, Sasa Morochija, akzeptiert
russische Truppen unter der Bedingung der Einstellung der Bombenangriffe.
23:40 Der russische Marinesprecher Igor Dygalo
bestätigt die Vernichtung eines georgischen Raketenschnellbootes. Ihm zufolge
waren vier georgische Kriegsschiffe in die Sicherheitszone eingedrungen, wo
gerade die russische Marine patrouillierte. Erst nachdem ein Raketenboot
versenkt wurde, drehten die drei anderen ab.
11. August
00:17 Russische Fallschirmjäger treffen in
Abchasien ein. Nach russischen Angaben sollen sie eine eventuelle militärische
Aggression Georgiens gegen Abchasien verhindern.
00:23 Zchinwali gerät wieder unter
Artilleriebeschuss.
1:10 In Südossetien werden 19 georgische
Diversanten gefasst. Aus Sorge vor der eventuellen Rache der Ortsbevölkerung
werden sie unter verstärkten Schutz genommen.
1:22 Das georgische Innenministerium berichtet
über einen intensiven Artilleriebeschuss der Stadt Gori durch die russische
Armee.
1:57 Russland und Georgien vereinbaren den
Verzicht auf Luftangriffe im Raum des Konfliktes. Der Befehlshaber der
russischen Friedenstruppe teilte mit, dass die Vereinbarung nicht für Zchinwali
gelte.
2:37 Die Friedenstruppe meldet Ende der
Straßengefechte in Zchinwali.
3:28 Nordossetien schickt 2500 Kriegsfreiwillige
nach Südossetien. Nach Medienberichten trifft in der Region Hilfe aus
Kabardinisch-Balkarien, Tschetschenien und anderen russischen Kaukasus-Regionen
ein.
4:16 Abchasien nimmt das Kodori-Tal wieder unter
Beschuss.
4:24 Frankreich präsentiert einen Plan zur
Beilegung des Südossetien-Konfliktes. Zentrale Punkte sind sofortige Waffenruhe,
medizinische Behandlung von Verletzten und Abzug der georgischen wie der
russischen Truppen.
5:24 Die russische Luftwaffe greift nach Angaben
des georgischen Innenministeriums einen Vorort der Hauptstadt Tiflis an.
7:26 Georgien beschießt die russische
Friedenstruppe in Südossetien weiter. Der Befehlshaber des multinationalen
Friedenskontingents in Südossetien, Marat Kulachmetow, berichtet über weitere
Zusammenstöße zwischen den russischen und georgischen Soldaten in Zchinwali. Die
georgische Luftwaffe greift einen Friedensposten an.
8:24 Eine Fahrzeugkolonne mit russischen
Hilfsgütern trifft in Südossetien ein. Insgesamt 52,5 Tonnen Lebensmittel, zwei
mobile Gesundheitsstationen und ein Zeltlager für 500 Personen sind auf dem Weg
ins zerstörte Zchinwali.
8:51 Georgien dreht nach südossetischen Angaben
einen Bewässerungskanal auf, um die Keller der Wohnhäuser der südossetischen
Hauptstadt Zchinwali, in denen sich Menschen vor Kugeln und Bomben versteckten,
zu überschwemmen.
10:10 Das georgische Außenministerium berichtet
über 50 russische Bomber im Himmel von Tiflis, die die Siedlung Kodschori in der
Nähe der georgischen Hauptstadt bombardiert haben sollen.
10:20 Die abchasische Armee blockiert die
georgischen Truppen im oberen Kodori-Tal.
10:50 Russland fordert die georgischen Truppen im
Kodori-Tal auf, Waffen zu strecken. Der Befehlshaber der kollektiven
Friedenskräfte in Abchasien, Sergej Tschaban, kündigt eine Demilitarisierung des
georgisch-abchasischen Konfliktraums an.
12:24 Der Seeverkehr zwischen Russland und
Georgien wird eingestellt. Der georgische Seehafen Batumi wird gesperrt.
12:43 Der Beschuss der Straße zwischen der
russischen Grenze und Zchinwali wird beendet. Umliegende Ortschaften werden
evakuiert. Russische Panzer und Artillerie bewegen sich gen Zchinwali.
13:02 Das georgische Nachrichtenmagazin „Grusia
Online“ berichtet über russische U-Boote vor der Küste Abchasiens.
13:05 Der russische Präsident Dmitri Medwedew
kündigte an, dass die Friedensoperation im Raum des georgisch-ossetischen
Konfliktes „größtenteils“ beendet sei. Zchinwali stehe unter Kontrolle der
inzwischen verstärkten russischen Friedenstruppe.
13:07 Die georgischen Truppen im Kodori-Tal lehnen
es ab, die Waffen zu strecken.
13:07 Der russische Generalstab bestätigt den
Verlust zweier weiterer Schlachtflugzeuge Su-25. Insgesamt seien in Georgien 18
russische Soldaten getötet worden.
13:10 Der russische Generalstab gibt bekannt, dass
US-Flugzeuge die georgischen Truppen aus dem Irak nach Georgien verlegt haben.
13:31 Westliche Fluggesellschaften sagen Flüge
nach Georgien ab.
13:35 Saakaschwili unterzeichnet das
Waffenstillstandsabkommen, das von den Außenministern von Frankreich und
Finnland konzipiert worden war.
13:52 Der russische Vize-Generalstabschef Anatoli
Nogowizyn weist Saakaschwilis Behauptungen über die Einstellung des Feuers als
Lüge zurück.
Während des dreitägigen Krieges sind im
georgischen Kernland 92 Menschen gestorben. In Südossetien kostete der Krieg
nach russischen Angaben mehr als 2000 Menschen das Leben und führte zu mehr als
30 000 Flüchtlingen.
12. August
00:31 Das georgische Fernsehen berichtet über
einen Einmarsch russischer Truppen in Poti.
00:51 Das russische Verteidigungsministerium
dementiert diese Meldung.
10:15 Die russischen Truppen liefern sich Gefechte
mit der georgischen Armee 20 Kilometter südlich von Zchinwali. Das berichten
Medien unter Verweis auf ossetische Milizen.
11:21 Reuters berichtet über russische
Bombenangriffe auf Gori, bei denen mehrere Menschen verletzt wurden.
11:35 Der russische Inlandsgeheimdienst FSB nimmt
einen hohen Mitarbeiter der georgischen Auslandsaufklärung fest, der Angaben
über die südossetische Armee und den südossetischen Präsidenten gesammelt haben
soll.
13:00 Der russische Präsident Dmitri Medwedew
kündigt die Beendigung der Friedensoperation in Südossetien an. Die Ziele der
Operation seien erreicht und die Sicherheit der Friedenssoldaten und der
Zivilisten gewährleistet worden. Eventuelle „Herde der Aggression“ werden laut
Medwedew vernichtet werden.
13:01 Georgien wirft Russland vor, die Ölleitung
Baku-Tiflis-Ceyhan bombardiert zu haben, durch die aserbaidschanisches Öl über
Georgien in die Türkei fließt. Davor hatte Russland versprochen, die Ölpipeline
nicht anzugreifen.
13:21 Medien berichten über Explosionen im Raum
des Flughafens Tiflis.
13:40 Russische Truppen kontrollieren den
Flughafen Senaki und Siedlungen in der Sicherheitszone Abchasiens.
13:50 Der russische Generalstab dementiert
Berichte über Bombenangriffe auf die Ölpipeline.
14:00 Der russische Generalstab fordert einen
internationalen Beobachtereinsatz im Raum des georgisch-ossetischen Konfliktes.
19.08.2008 RIA Novosti
***
Kosovo im Kaukasus
Peter Mühlbauer
20.08.2008
Abchasien und Südossetien – so ähnlich und doch so
unterschiedlich
Im Windschatten des georgischen-russischen
Konflikts um Südossetien kam es auch zu bewaffneten Handlungen an der Grenze
zwischen Georgien und dem De-Facto-Staat Abchasien. Vom 9. bis zum 12. August
führten abchasische Truppen im Kodori-Tal eine Offensive zur Besetzung von
Oberabchasien durch, einem
gebirgigen Gebiet, das nur etwa 2.000 Menschen beherbergt – keine Abchasen,
sondern Georgier.
Obwohl Südossetien und Abchasien häufig in einem
Atemzug genannt werden, gibt es bedeutende Unterschiede zwischen den beiden
De-Facto-Staaten. Während die Georgier in Südossetien vor Kriegsausbruch nur
etwa ein Drittel der Bevölkerung stellten, machten sie in Abchasien die relative
Mehrheit aus. Und während aus Südossetien bis zum August 2008 deutlich weniger
Georgier abwanderten, als Osseten aus Georgien, kam es in Abchasien 1993 und
1998 zu relativ gut dokumentierten gewaltsamen Vertreibungen des Großteils der
georgischen Bevölkerung durch abchasische Separatisten.
Am Anfang des Konflikts stand der Zusammenbruch
der öffentlichen Ordnung 1990/91. Er hatte zur Folge, dass bewaffnete Gruppen
einen Bürgerkrieg um die Macht ausfochten. Die bedeutendsten von ihnen waren
militante Anhänger Swiad Gamsachurdias, der 1991 mit einem nationalistischen
Programm zum Präsidenten gewählt wurde, der Warlord Tengis Kitowani und seine
"Nationalgarde" sowie der Berufsverbrecher Dschaba Iosseliani und seine
Mchedrioni-Miliz.
Obwohl untereinander zerstritten, einigten sich
diese separatistischen Kräfte darauf, ein Referendum für den Erhalt der
Sowjetunion am 17. März 1991 zu boykottieren. Allerdings reichte ihr Einfluss
nicht bis nach Abchasien, wo sich praktisch alle Nicht-Georgier daran
beteiligten und mit 98,6 Prozent mit "Ja" stimmten. Dafür blieben sie dem am 31.
März 1991 stattfindende Referendum zur Unabhängigkeit Georgiens fern, das
wiederum dort mit großer Mehrheit angenommen wurde und zur
Unabhängigkeitserklärung vom 9. April 1991 führte.
Nachdem die georgische Regierung in antirussischem
Überschwang im Februar 1992 bekannt gab, dass sie zum juristischen Stand des
Jahres 1921 zurückkehren und alle Verträge aus der Sowjetzeit als ungültig
betrachten würde, teilte der Oberste Sowjet Abchasiens seinerseits am 23. Juni
1992 mit, dass er zur Verfassung von 1925 zurückkehren würde, weshalb nur mehr
eine Konföderation zwischen Abchasien und Georgien bestünde. Einen Monat später
folgte die Unabhängigkeitserklärung.
Das rief bei den georgischen Warlords Unmut
hervor. Dass der ehemalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse im
März 1992 den von den Milizenführern im Januar gestürzten und nach
Tschetschenien geflohenen Gamsachurdia formell beerbte, änderte nur sehr bedingt
etwas an dieser Situation. Möglicherweise auch deshalb, weil er faktisch kaum
Befehlsgewalt über die bewaffneten Kräfte ausübte.
Als die Kitovani-Miliz im August 1992 nicht nur in
die georgisch besiedelte Gali-Provinz einmarschierte, um Geiseln aus den Händen
von Gamsachurdia-Anhängern zu befreien, sondern weiter zog und die abchasische
Separatistenregierung in Sochumi angriff, begann ein sechzehn Monate andauernder
Krieg. Geführt wurde er auf beiden Seiten eher von bewaffneten Banden als von
regulären Armeen – entsprechend "irregulär" war auch das Verhalten gegenüber der
Zivilbevölkerung. Was angesichts der heutigen russischen Unterstützung für
Abchasien befremdlich wirkt: auch der tschetschenische Terrorist
Schamil Bassajew, der unter
anderem für das Massaker an ossetischen Kindern in Beslan verantwortlich war,
kämpfte damals auf abchasischer Seite.
Einer ausführlichen
Human-Rights-Watch-Studie
zufolge setzten beide Seiten gezielt Terror ein, um Teile der Bevölkerung zu
vertreiben – allerdings hatten die abchasischen Banden und ihre Verbündeten
dabei weit mehr Erfolg als die Georgier. Vor allem nach der Eroberung Sochumis
wurden gezielt Greuel verübt, die zur Flucht fast aller georgischen
Stadtbewohner führten - viele von ihnen erfroren oder verhungerten in den
Bergen. Im Dezember 1993 kam schließlich ein Waffenstillstand zustande, der im
Jahr darauf durch russische Truppen gesichert wurde. Die konnten oder wollten
vier Jahre später nicht verhindern, dass zurückgekehrte Georgier erneut
gewaltsam vertrieben wurden. Die Verantwortlichen für Terror und Vertreibung
wurden, von Ausnahmen wie Bassajew abgesehen, bis heute nicht zur Rechenschaft
gezogen. Stattdessen konnten sie Karrieren in den eng mit dem Organisierten
Verbrechen verwobenen Bereichen Politik, Militär und Verwaltung machen.
Weil die Abchasen bei der Zählung von 1989
nur 17 Prozent der Bevölkerung ausgemacht hatten, verweigert die abchasische
Regierung bis heute eine Rückkehr der Flüchtlinge, welche die
Mehrheitsverhältnisse in dem De-Facto-Staat grundlegend ändern würde. Nach der
offiziellen
Statistik sank die Zahl der
Einwohner in dem Gebiet zwischen 1989 und 2003 um weit mehr als die Hälfte - von
525.061 auf 215.972. Eine wichtige Rolle dürfte bei dieser Entwicklung die
Vertreibung von ethnischen Georgiern gespielt haben: 1989 stellten sie mit etwa
240.000 Menschen noch knapp die Hälfte der Bevölkerung, 2003 mit 45.953 nur noch
gut 20 Prozent. Bemerkenswert ist, dass in dieser Zeit nicht nur ihre Zahl,
sondern auch die der Griechen, Armenier und sogar die der ethnischen Russen
stark zurückging. Der Anteil letzterer sank zwischen 1989 und 2003 sowohl
absolut als auch relativ von 76.541 Personen (14,6 Prozent) auf 23.420 (10,8
Prozent). Selbst die Abchasen konnten ihre Zahl in dem De-Facto-Staat, dessen
Einwohner offenbar auch mit den Füßen abstimmten, nur leicht von 93.267 auf
94.606 steigern.
20.08.2008 Telepolis
***
Russlands Armee verkündet offiziell den Beginn des
Truppenrückzugs – der Westen bleibt jedoch skeptisch
Abzug aus Georgien – ein russischer Bluff?
Raketen in Südossetien stationiert.
Nato-Krisentreffen soll Tiflis den Rücken stärken.
Tiflis/Moskau. Gebannt wartete der Westen am Montag darauf, ob Russland
seiner offiziellen Bekanntgabe des Truppenrückzugs aus dem georgischen Kernland
auch Taten folgen ließ. Danach sah es zunächst allerdings nicht aus: In der
Stadt Gori nahe der Grenze zu Südossetien würden die Russen ihre Positionen
sogar noch verstärken, teilte das georgische Innenministerium zu Mittag mit.
Bisher lägen "keine Beweise" für einen Abzug vor, sekundierte ein US-Vertreter.
Den Truppenrückzug hatte Präsident Dmitri Medwedew
am Wochenende versprochen, nachdem er das von der EU vermittelte
Waffenstillstands-Abkommen mit Georgien unterzeichnet hatte.
Russland verpflichtete sich darin, seine Armee mit
Ausnahme eines kleinen Friedenskontingents auch aus den abtrünnigen georgischen
Regionen Abchasien und Südossetien zurückzuziehen und damit den Status quo vor
Ausbruch der Kämpfe am 7. August wiederherzustellen. Tatsächlich aber baut
Moskau, das eine Wiedereingliederung der beiden Gebiete in den georgischen Staat
bereits ausgeschlossen hat, seine Militärpräsenz in Südossetien weiter aus – auf
Bitten des selbst ernannten Präsident Südossetiens, Eduard Kokoiti, wie der
Kreml argumentiert. Laut US-Regierng begann Russland bereits damit, auf
südossetischem Territorium Abschussrampen für Raketen aufzustellen, die die
georgische Hauptstadt Tiflis erreichen können. Auch rollten russische
Armeeeinheiten weiter in Richtung Süden vor, berichtete das Blatt. Russland, das
von einer Verstärkung der Friedensmission spricht, hat in Südossetien quasi das
Regime übernommen und bestimmt, wer das Gebiet betreten darf und wer nicht. Dem
Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes, Jacob Kellenberger, der in
Zchinwali südossetische Flüchtlinge besuchen wollte, wurde das Visum verweigert.
Klare Worte Sarkozys
Inzwischen haben auch Frankreich und Deutschland
ihren bisher zurückhaltenden Tonfall gegenüber Moskau deutlich verschärft. Der
derzeitige EU-Ratspräsident und französische Staatschef Nicolas Sarkozy drohte
Moskau mit einem EU-Sondergipfel, sollte Russland nicht "unverzüglich" mit dem
Abzug aus dem gesamten georgischen Territorium beginnen. Dieser Punkt sei "nicht
verhandelbar", zitierte ihn die Zeitung "Figaro".
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die
gemeinsam mit Sarkozy im April verhindert hatte, dass Georgien rasch in die Nato
aufgenommen wird, betonte in Tiflis demonstrativ, die Option für eine
Bündnis-Mitglieschaft sei weiterhin aufrecht. Zudem schlug sie vor, dass beim
Krisentreffen der Nato-Außenminister am Dienstag in Brüssel auch über Hilfe für
den Aufbau von Russland zerstörter militärischer Anlagen in Georgien beraten
werde. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte Moskau vor
negativen Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen.
18.08.2008 Wiener Zeitung
***
Georgien-Konflikt
Russland meldet Beginn des Truppenrückzugs
Die russischen Truppen haben nach Angaben des
stellvertretenden Generalstabschefs mit dem Rückzug aus Georgien begonnen. Das
teilte der stellvertretende Generalstabschef Anatoli Nogowizyn bei einer
Pressekonferenz in Moskau mit.
HB MOSKAU/GORI. Der Abzug war vom französischen
Präsidenten Nicolas Sarkozy in dessen Eigenschaft als EU-Ratsvorsitzendem
zwischen Russland und Georgien vermittelt worden. Beide Länder hatten einen
mehrtägigen Krieg um die von Georgien abtrünnige Region Südossetien geführt. Im
Verlauf der Kampfhandlungen waren russische Truppen ins georgische Kernland
einmarschiert.
Der russische Präsident Dmitri Medwedew hatte am
Wochenende die Verlegung der Truppen aus dem georgischen Kernland nach
Südossetien angekündigt. Der Abzug ist einer der wichtigsten Punkte in dem von
Sarkozy vermittelten Waffenstillstandsabkommen, das von Russland und Georgien
unterzeichnet wurde.
Bis zur Ankündigung des russischen
Generalstabschefs am Mittag war zunächst unklar, wann der von Russland
angekündigte Truppenabzug aus dem georgischen Kernland beginnen würde. Russische
Soldaten hatten sich nach Berichten des georgischen Fernsehens zwar schon am
Morgen aus der Stadt Senaki zurückgezogen, doch blieb zu diesem zeitpunkt offen,
ob dies der Startschuss für einen umfassenden Abzug war. Der Sekretär des
georgischen Sicherheitsrats, Kacha Lomaia, hatte erklärt, der für 10 Uhr
Vormittag zugesagte Abzug sei ausgeblieben.
Die Führung Südossetiens machte am Montag klar,
dass sie eine ständige Präsenz russischer Truppen in der Region anstrebe. Der
selbst ernannte südossetische Präsident Eduard Kokoiti begründete seine
Forderung in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters damit, dass die
Mehrheit der 70 000 Bewohner russische Staatsbürger seien. Er schloss den
Einsatz internationaler Beobachter zur Überwachung des zwischen Georgien und
Russland nach dem Krieg vereinbarten Waffenstillstandes aus.
Am Montag verhängte Kokoiti den Notstand und
entließ seine Regierung, der er Versagen bei der Bewältigung der Kriegsfolgen
vorwarf. "Wir werden die Führung der Russischen Föderation um einen
Militärstützpunkt in Südossetien bitten, weil russische Bürger hier leben",
sagte Kokoiti. Die Entscheidung sei aber Sache der Regierung in Moskau. An die
90 Prozent der Bewohner Südossetiens haben einen russischen Pass. Die Region
hatte sich Anfang der 90er Jahre von Georgien losgesagt, international ist ihre
Unabhängigkeit aber nicht anerkannt.
Georgien unternahm Mitte August den Versuch, mit
einer Offensive die Kontrolle über Südossetien zurückzugewinnen, wurde aber von
einem russischen Großaufgebot zurückgeschlagen. Frankreich vermittelte nach
mehrtägigem Krieg einen Waffenstillstand, der nach dem Willen von Europäischer
Union und USA von internationalen Beobachtern überwacht werden soll. Dies lehnte
Kokoiti jedoch ab. "Wir haben kein Vertrauen in diese internationalen
Beobachter, diese Leute verdrehen die Wahrheit." Bis zum Beginn des Krieges
zwischen Russland und Georgien war die Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit Beobachtern in der Region präsent.
In einem dramatischen Kurswechsel forderte
Präsident Micheil Saakaschwili Russland zu Verhandlungen auf. "Nachdem Ihre
Truppen georgisches Territorium verlassen habe, appelliere ich an Sie, ernsthaft
über weitere Verhandlungen nachzudenken und nach Wegen zu suchen, damit in
unseren Beziehungen kein Zwist herrscht", sagte Saakaschwili in einer Ansprache,
die Reuters vorab übermittelt wurde. In früheren Erklärungen hatte Saakaschwili
die Russen als "Barbaren des 21. Jahrhunderts" verurteilt, die sich ethnischer
Säuberungen schuldig gemacht hätten. Russische Spitzenpolitiker haben den
georgischen Staatschef als gefährlichen Fanatiker dargestellt und Gespräche mit
der Begründung ausgeschlossen, Saakaschwili werde über kurz oder lang von der
Bevölkerung aus dem Amt gejagt.
18.08.2008
Handelsblat
***
Kaukasus-Konflikt: Russland verlegt offenbar
weitere Truppen
Trotz der Einigung auf Waffenruhe halten russische
Soldaten weiterhin ihre Stellungen in Georgien - zusätzliche Truppen und
Raketenwerfer sollen in die Region verlegt worden sein. Der südossetische
Präsident Eduard Kokjty verhängte den Ausnahmezustand.
Der selbsternannte Präsident Südossetiens, Eduard
Kokojty, hat seine Regierung entlassen und in der abtrünnigen georgischen
Provinz den Notstand ausgerufen. Dem russischen Nachrichtensender Westi 24 sagte
er, dass sich zusätzlich zu diesen zwei Maßnahmen ein Gremium mit den
Auswirkungen des "georgischen Angriffs" beschäftigen soll. Er wirft der
südossetischen Regierung vor, nicht schnell genug humanitäre Hilfsgüter in der
Region verteilt zu haben. Ein Beamter müsse für die Menschen arbeiten und nicht
selbst Profit machen, sagte Kokojty.
Unterdessen soll Russland einem Zeitungsbericht
zufolge weitere Waffen und Truppen in die Kaukasus-Region verlegt haben. Wie die
"New York Times" unter Berufung auf US-Geheimdienstberichte auf ihrer Website
berichtet, hat Russland nördlich der südossetischen Hauptstadt Zchinwali
Raketenwerfer stationiert, deren Geschosse Tiflis erreichen könnten. Außerdem
würden weitere Truppen in die Region verlegt. Ein russisches Bataillon sei von
Pskow nach Beslan in Nordossetien verlegt worden. In der Region Kostroma
bereiteten sich mehrere weitere Garnisonen auf eine Verlegung in den Kaukasus
vor, berichtete die Zeitung weiter. Außerdem sollen russische Kriegsflugzeuge
Trainingsflüge über dem Schwarzen Meer absolviert haben.
Russische Streitkräfte halten weiterhin ihre
Stellungen
Trotz der Einigung auf eine Waffenruhe halten die
russischen Truppen ihre Stellungen im georgischen Kernland weiter besetzt. Auf
der Straße von Gori nach Tiflis parkt eine lange Schlange von russischen
Militärfahrzeugen, darunter 25 Panzer und 25 Truppentransporter. Der Konvoi sei
bis 30 Kilometer vor Tiflis vorgerückt. Ein russischer Soldat sagte, die
Einheiten seien Friedenstruppen und würden bleiben.
Der russische Präsident Dmitri Medwedew hatte
zuvor angekündigt, er werde am Montag mit dem Truppenabzug beginnen. Ein von der
EU vermittelter Sechs-Punkte-Plan sieht neben einer Waffenruhe vor, dass die
georgischen Truppen sich in ihre vorherigen Stellungen zurückziehen und die
russische Armee hinter die Grenzen "vor Ausbruch der Feindseligkeiten"
zurückkehrt.
18.08.2008© ZEIT online
***
Merkel in Georgien: Nach vorne schauen
Georgiens Staatspräsident Michail Saakaschwili
liebt Open-Air-Auftritte. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel trat er bei
strahlendem Sonnenschein und über 30 Grad vor die Presse. Doch das sommerliche
Wetter konnte nicht über die dramatisch Lage hinwegtäuschen.
TIFLIS - Blutvergießen und ein verlorener Krieg
liegen hinter Georgien, und das ist nicht spurlos an dem 40-jährigen Präsidenten
vorübergegangen. Er hat an politischem Gewicht verloren. Und trotzdem blieb er
in der Schuldzuweisung Richtung Moskau hart: Russland habe den Konflikt
begonnen. „Georgien wird niemals auch nur einen Quadratmeter seines
Staatsterritoriums abtreten“, sagte er auf der Pressekonferenz mit Merkel.
Unmittelbar vor dem Besuch der Kanzlerin hatte er
deutlich gemacht, dass er auf Abchasien und Südossetien nicht verzichten wird:
„Wir kämpfen bis zum Ende, bis der letzte russische Soldat georgischen Boden
verlassen hat.“
Die Kanzlerin kam Saakaschwili entgegen, so weit
es eben ging. Die von Moskau so heftig kritisierte Nato-Mitgliedschaft Georgiens
bleibe eine Option - wenn das Land es wolle. Und: Georgien bleibe ein souveräner
Staat, Präsident Saakaschwili stehe - ob das Moskau nun gefalle oder nicht - als
legitimer Präsident an dessen Spitze.
In deutschen Diplomatenkreisen hört das
Kopfschütteln über den Konflikt nicht auf. Viele fragen sich, warum die
Weltmacht Russland so unsouverän und ungebremst auf einen kleinen, schwächeren
Nachbarn einschlagen konnte, der sich völlig überschätzte. Andererseits bleibt
schleierhaft, was Saakaschwili zu dem Glauben bewog, er könne es allein mit
Russland aufnehmen.
Aber es gab gestern auch positive Signale. Der
russische Präsident Dmitri Medwedew kündigte in einem Telefonat mit Frankreichs
Staatschef Nicolas Sarkozy den Beginn des Truppenabzugs aus dem Konfliktgebiet
für diesen Montag an. In der russischen Hauptstadt wurde dies als Hinweis
verstanden, dass Moskau den Dialog mit der Europäischen Union und dem Westen
insgesamt nicht abbrechen will. Die USA bleiben allerdings skeptisch: „Ich
hoffe, er hält diesmal sein Wort“, sagte Außenministerin Rice zu Medwedews
Ankündigung.
Andererseits ist Saakaschwili auch für Merkel
alles andere als ein Vorzeigedemokrat. Es ging ihr aber weder jüngst in Sotschi
noch jetzt in Tiflis darum, Ursachenforschung für den fünftägigen blutigen Krieg
zu betreiben - und schon gar nicht darum, Schuldige zu nennen. Dafür ist der
Konflikt zu alt und zu kompliziert, die Atmosphäre zu vergiftet. Auch wenn
Merkel sich nicht als Vermittlerin sieht, will sie mit der Pendeldiplomatie in
der brandgefährlichen Region etwas erreichen: Es geht darum, die fragile
Waffenruhe zu festigen und den Dialog zu ermöglichen.
An den Verhandlungstisch müssen nach der
Überzeugung der Bundesregierung und der EU nicht nur Russen und Georgier. Auch
die hartleibigen Vertreter der von Georgien seit Anfang der 90er Jahre
abtrünnigen Regionen Abchasiens und Südossetiens müssen einbezogen werden. „Wir
müssen jetzt nach vorne schauen. Das ist das Allerwichtigste“, sagt Merkel zum
Abschied aus Georgien. (dpa)
17.08.2008 Kölnische Rundschau
***
'Das Imperium schlägt zurück'
Kaukasus. Südossetien war der Anlass, doch der
kurze Krieg in Georgien hat weiter reichende Folgen: Russland drängt wieder in
die Weltpolitik – mit Bomben und Granaten.
So etwas hatten Josef Stalins metallene Augen lange nicht mehr
gesehen. Starr blickte der sowjetische Diktator auf russische Truppenverbände,
Panzer und Artilleriegeschütze; MiG-29-Kampfflugzeuge donnerten am Himmel über
ihn hinweg. Die georgische Kleinstadt Gori, in deren Nähe Stalin geboren wurde
und in der das Andenken an den einstigen Befehlshaber der Roten Armee bis heute
hochgehalten wird, wurde vergangene Woche Schauplatz einer blutigen
Machtdemonstration. Feindliche georgische Einheiten wurden von russischen
Soldaten verjagt. Gori, das außerhalb des südossetischen Gebiets liegt, nahm
dabei erheblichen Schaden. Fast alle Bewohner der Stadt flüchteten. Nur Stalin
blieb unbeschadet auf dem Hauptplatz zurück.
Das Denkmal des georgischstämmigen Bolschewiken steht für
eine Epoche, als Russland eine Supermacht war: die Sowjet-Ära. Seit dem
Zusammenbruch der UdSSR im Jahr 1991 waren russische Streitkräfte nicht mehr in
ein fremdes Land vorgedrungen, der Tschetschenien-Krieg fand auf dem Gebiet der
Russischen Föderation statt. Plötzlich erlebte die Welt ein in Vergessenheit
geratenes Szenario: Russisches Militär zwang einen Staat demonstrativ in die
Knie. Der georgische Staatspräsident Michail Saakaschwili hatte am 8. August
dafür einen tauglichen Anlass geliefert, als er in einer schlecht geplanten
Nacht-und-Nebel-Aktion seine Soldaten nach Südossetien schickte, um die
abtrünnige georgische Provinz wieder der Zentralregierung in Tiflis zu
unterwerfen.
Das Moskauer Machtduo, Premier Wladimir Putin und
Präsident Dmitri Medwedew, befanden, dass es an der Zeit war, das Image ihres
Landes zu erneuern. Vorbei die Zeiten, als Russland ein Dasein als
postsowjetische Ruine führte, wirtschaftlich am Boden, politisch kaum der Rede
wert, militärisch ein Schrottplatz. Die immensen Öl- und Gasvorräte haben
Russland längst wieder zu ökonomischer Potenz verholfen, politisch ist der Kreml
seit Putin ein Faktor der Weltpolitik – fehlte nur noch ein militärischer Sieg.
Also hagelte es Bomben und Granaten auf Südossetien und Georgien, auch als
Tiflis längst eingelenkt hatte. Ein Georgier russischer Abstammung schrieb von
seiner Wohnung in der Hafenstadt Poti aus in seinem Weblog: „Die Stadt ist
beinahe leer, ich bin geblieben, ich habe meine Haustiere, und Mama will
nirgendwo anders hin. Wir sind zu Hause. Es ist nicht ein Tropfen Benzin in der
ganzen Stadt übrig. Panik. Schiffe tuten oft.“
Zangengriff. So ungläubig und hilflos wie der Mann im
Kriegsgebiet war auch die Welt draußen, von Brüssel bis Washington. Zwar fand
der Krieg ein rasches Ende, am Mittwoch vergangener Woche stimmten die
Präsidenten Russlands und Georgiens einer Waffenruhe zu. Auch die Opferzahlen
wurden vorsichtig nach unten revidiert: Von 2000 Toten und einem „Genozid“ in
Südossetien hatten russische Behörden berichtet, doch das sei „übertrieben“,
befand ein Team der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Immerhin
30.000 Südosseten waren durch den Roki-Tunnel ins russische Nordossetien
geflohen, 70.000 georgische Zivilisten aus Gori und den umliegenden Gebieten in
den Südosten Georgiens.
Nachhaltiger als das Grauen dieses Krieges aber werden die
weltpolitischen Konsequenzen der russischen Blitzaktion sein. Die winzigen
Regionen Südossetien und Abchasien mögen unbedeutend erscheinen, aber mit dem
Georgien-Feldzug wurden vor allem auch die USA getroffen. Aus der Sicht Moskaus
war das längst überfällig: Die NATO ist durch die Beitritte der osteuropäischen
Staaten immer näher an die russische Grenze herangerückt und will mit Georgien
und der Ukraine den Zangengriff verstärken. Die Regierung Bush hat Moskau
schlicht übergangen, als sie die Invasion in den Irak unternahm; mit dem Projekt
eines Raketenschilds in Polen und Tschechien setzten Washington und seine
Verbündeten einen weiteren Akt der Provokation.
Moskau will sich nicht länger herumschubsen lassen,
sondern die politische Karte Eurasiens mitzeichnen, der „Westen“ soll sich nicht
länger ungehindert gen Osten ausbreiten. George Friedman, Chef des
Risiko-Analyse-Unternehmens Stratfor, sagte gegenüber der „New York Times“: „Die
Russen haben das Gefühl, in den vergangenen zwanzig Jahren wie Dreck behandelt
worden zu sein. Jetzt sind sie wieder da.“
Die US-Regierung verlor darob die Contenance. Außenministerin Condoleezza Rice
fuhr schweres verbales Geschütz auf und verglich das heutige Russland mit der
Sowjetunion: „Wir schreiben nicht das Jahr 1968“, russische Truppen könnten
nicht wie damals bei der Invasion in die Tschechoslowakei in ein anderes Land
einfallen, die Hauptstadt besetzen, die Regierung stürzen und „einfach so
davonkommen“. Nicht nur Rice beschwörte die Zeit des Kalten Kriegs herauf. Auch
die französischen Philosophen André Glucksmann und Bernard-Henri Lévy sahen sich
an einen sowjetischen Einmarsch erinnert und fragten in einem Aufruf an den
Westen rhetorisch: „Worauf warten die Europäische Union und die Vereinigten
Staaten, um die Invasion von Georgien, eines befreundeten Landes, zu
verhindern?“
Selbstbewusstsein. Es blieb dennoch bei scharfen Worten
seitens der USA und pragmatischem Vorgehen seitens der EU-Ratspräsidentschaft
von Frankreichs Nicolas Sarkozy. Russland wurde nicht aus den G8 verbannt, wie
in Washington offenbar kurzfristig erwogen wurde. Auch die Bitte Georgiens,
Russland die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi wieder abzuerkennen, blieb
unerfüllt. Und an ein militärisches Eingreifen war ohnehin nicht zu denken. Auch
spontane Demonstrationen gegen den russischen Militärschlag blieben in
Westeuropa aus, wo Kriege ohne Beteiligung der USA keinen Pazifisten aus dem
Strandbad locken.
Die neu erstarkte Großmacht Russland isolieren zu wollen
wäre so aussichtslos wie kontraproduktiv. In praktisch allen wichtigen Belangen
der Weltpolitik ist Moskau unverzichtbar: beim Streit um das iranische
Atomprogramm, als Mitglied des Nahost-Quartetts, in der Energiefrage.
Russland demonstriert mit gutem Grund großes Selbstbewusstsein.
Den EU-Ratspräsidenten Nicolas Sarkozy empfingen Putin und Medwedew durchaus
höflich. Doch noch bevor der französische Präsident Moskauer Boden betreten
hatte, teilte sein russischer Kollege der Welt bereits mit, Russland werde den
EU-Friedensplan akzeptieren. Das russische Kriegsziel war ohnehin schon
erreicht: die läppische georgische Armee geschlagen, der proamerikanische
Saakaschwili gedemütigt. Auch US-Präsident George Bush und sein möglicher
republikanischer Nachfolger John McCain haben eins auf die Mütze bekommen.
McCain, der im Sommer 2006 mit Saakaschwili im Schwarzen Meer Jetski fahren war,
teilt sich mit dem georgischen Präsidenten den außenpolitischen Berater Randy
Scheunemann. Dessen politische Klugheit darf nun ebenso angezweifelt werden wie
die Effizienz des gemeinsamen Trainings von US-Marines mit georgischen Truppen
für einen Ernstfall im vergangenen Juli. „Immediate Response 2008“ (Sofortige
Reaktion 2008) war der optimistische Name der Übung.
Aufbrausend. Der russische Außenminister Sergej Lawrow
fasste vergangenen Donnerstag vor Reportern das Ergebnis des Kriegs zusammen:
„Über die georgische territoriale Integrität brauchen wir nicht einmal mehr zu
reden. Südossetien und Abchasien kann man nicht mehr in den georgischen Staat
zurückzwingen.“ Altmeister Putin und Neopräsident Medwedew konnten mit ihrem
militärischen Abenteuer bei der heimischen Bevölkerung punkten. Nach einer
Umfrage des Levada-Instituts sind praktisch alle Russen mit ihren obersten
Militärführern zufrieden. Der russische Soldat gilt wieder was im Ausland. Die
Angst der Bush-Administration vor einem neuen Kalten Krieg ist dennoch
überzogen. Das Moskauer Machtduo ist daran gar nicht interessiert, nie war an
eine Annexion Georgiens gedacht. Putin ist zwar manchmal aufbrausend, aber sein
Pragmatismus behält die Oberhand. Osteuropa – die baltischen Republiken und
Polen im Speziellen – hat Russland als Einflusszone längst aufgegeben. Putin
setzt gerne ab und zu die Energiekeule zur Züchtigung der ehemaligen
Bruderstaaten ein, wenn die Emotionen zwischen den Ex-Sowjets und den
Neo-EU-Staaten allzu hoch gehen. Undenkbar aber ist, dass die Kremlherren ihre
Panzer etwa durch die estnische Hauptstadt Tallinn rollen lassen, auch wenn die
russische Minderheit von der dortigen Regierung mit antirussischen Gesetzen
gegängelt wird.
Mit dem Südrand des russischen Reiches verhält es sich
anders. Die 70.000 Südosseten im kaukasisch-hinterwälderischen Schmugglerbasar
Zchinwali allein hätten Putin nicht zum Waffengang verleitet. Doch Russlands
Premierminister will Georgien nicht als Einflusszone an die Amerikaner abtreten.
Strategisch ist Georgien das Durchgangsland zwischen Kaspischem und Schwarzem
Meer, zwischen Zentralasien und Europa. Hier verläuft auch die BTC-Pipeline,
durch die Öl von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku über Tiflis zum
türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan transportiert wird. Diese Pipeline durchbricht
als einzige in der Region das Monopol Russlands.
Historisch sind Georgien und Russland eng miteinander verbunden.
Den Kampf um die Vormachtstellung im Kaukasus und in den zentralasiatischen
Republiken wie Usbekistan wird der Kreml weiter betreiben. Wenn nötig
militärisch.
Comeback. Aber auch wenn es nach dem Blitzsieg kurzfristig
so aussieht, als hätte Russland auf ganzer Linie gewonnen, muss dieser Eindruck
nicht stimmen. Eine erholte Großmacht Russland ist im globalen Kräftefeld nur
ein Player, der immer auch auf Verbündete angewiesen ist. Waren Paris, Berlin
und Moskau vor dem Irak-Krieg drei enge Partner gegen Washington, so verbündeten
sich Europa und die USA vergangene Woche in Opposition zu Russland.
US-Außenministerin Rice besuchte erst Frankreichs Präsidenten Sarkozy, ehe sie
nach Tiflis weiterflog. Ein diplomatischer Stop-over, der vor zwei Jahren
undenkbar gewesen wäre.
Nicht nur der Westen betrachtet Moskau nach dem
Militärschlag im Südkaukasus mit neuem Misstrauen. Auch die eigenen Partner
verfolgten den russischen Vorstoß in ein unabhängiges Land mit Sorge. „Der
dreitägige Krieg hat gezeigt: Russland hat keine Verbündeten. Weder die Partner
in der Schanghaier Organisation für die Zusammenarbeit noch ein einziges
GUS-Land; weder der Iran noch Venezuela, nicht einmal unser weißrussischer
Bruder Alexander Lukaschenko hat Unterstützung für Russlands Militäraktion
bekundet“, stellt der russische Politologe Leonid Radsichowski in der
Internet-Zeitung „Jeschednewny Journal“ fest und vergleicht: „Georgien dagegen
hat genügend Verbündete – die USA, die NATO, die G7-Länder, die EU.“
Georgien hat jede Autorität über die beiden
nichtgeorgischen Provinzen verloren. Präsident Michail Saakaschwili rief zwar
vergangenen Mittwoch mit brechender Stimme in einem CNN-Interview: „Wo Russen
sind, dort ist Vernichtung!“ Doch selbst in Washington war man sich zu diesem
Zeitpunkt nicht mehr sicher, ob der zuweilen autoritär regierende Saakaschwili
noch der geeignete Partner im Südkaukasus sei. Für die Südosseten, die in
Zchinwali zwei Tage und Nächte in Kellern saßen, während über ihren Köpfen
georgische Granaten einschlugen, stellt sich diese Frage überhaupt nicht.
Vergangenen Freitag war die Stadt Gori immer noch von russischen Truppen
blockiert – entgegen dem Waffenstillstandsabkommen. Auch in der Hafenstadt Poti
wurden russische Truppen gesichtet. Wie bedeutsam der kurze Krieg im August
tatsächlich war, der Georgien arg gebeutelt hat, kann noch niemand sagen. In
russischen Geschichtsbüchern wird er in jedem Fall prominent abgehandelt werden.
Als großes Comeback.
Mitarbeit: Andrej Iwanowski/Moskau, Gunther Müller, Simone Wiesauer
Von Tessa Szyszkowitz und Robert Treichler
17.08.2008 profil.at (Österreich)
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Russland zögert Truppenabzug offenbar hinaus
Heute reist Angela Merkel in die georgische
Hauptstadt Tiflis, um sich mit Präsident Michael Saakaschwili zu treffen. Trotz
Waffenruhe häufen sich Berichte über Gräueltaten aus der Region. Saakaschwili
gibt sich uneinsichtig. Er will kämpfen, bis der letzte russische Soldat
georgischen Boden verlassen hat
Die Hoffnungen der
Georgier auf einen Rückzug der russischen Truppen haben sich auch nach der
Unterzeichnung des europäischen Friedensplans durch den russischen Präsidenten
Dmitri Medwedjew noch nicht erfüllt. Jetzt hat Medwedjew den Beginn des
Truppenabzugs aus dem Konfliktgebiet im Südkaukasus für Montag angekündigt. Die
Maßnahme betreffe jene Einheiten, die zur Verstärkung der russischen
Friedenstruppen an der Offensive in Georgien teilgenommen hätten, sagte
Medwedjew in einem Telefonat mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, wie die
Agentur Interfax meldete. Augenzeugen berichten am Samstag und Sonntag dagegen,
dass das russische Militär in verschiedenen Teilen des Landes Stellungen aushebt
und sich eingräbt.
Zudem sollen
abchasische Rebellen zusammen mit russischen Einheiten mehr als ein Dutzend
georgische Dörfer besetzt haben. Es gebe Fälle von Plünderungen und
Misshandlungen der örtlichen Bevölkerung, teilte das georgische Außenministerium
mit. Die abchasischen Kämpfer hätten mit Unterstützung regulärer russischer
Einheiten die Grenze der abtrünnigen Region „in Richtung des Enguri-Flusses
verschoben“. Sie sollen zwei Dörfer nahe der georgischen Stadt Sugdidi besetzt
haben, elf weitere Dörfer in der Region Zalendschika, sowie das Wasserkraftwerks
am Enguri-Fluss. Das Ausmaß der abchasischen Militäraktion ist schwer
einzuschätzen, da alleine das Außenministerium in Georgien die Übergriffe
kommentiert.
Berichte über Bombardements
Noch am Samstag, der Tag der Unterzeichnung des
Waffenstillstandes, sollen russische Bomber eine Eisenbahnbrücke bei dem Dorf
Grakatli, rund 50 Kilometer nordwestlich der georgischen Hauptstadt, zerstört
haben. Augenzeugen bestätigen den Bericht der Regierung. Russland dementiert
eine Beteiligung. Durch den „terroristischen Anschlag“, wie die georgische
Regierung die Zerstörung der Brücke nennt, ist die einzige Schienenverbindung
zwischen Tiflis und der Hafenstadt Poti unterbrochen, über die die meisten
Versorgungsgüter, aber auch Hilfslieferungen für die zahlreichen Flüchtlinge in
die Hauptstadt gelangen. Versorgungsengpässe drohen.
Kremlchef Medwedjew soll jedoch den zuständigen
russischen Behörden den Auftrag erteilt haben, die Bedingungen des
Waffenstillstands umzusetzen. Einen konkreten Abzugstermin für den Abzug der
Truppen gibt es bisher nicht. Russland werde sich „so viel Zeit wie nötig“
nehmen, heißt es aus Militärkreisen. Die Truppen würden erst dann abziehen, wenn
die im Abkommen für zulässig erklärten Sicherheitsmaßnahmen verwirklicht seien.
Georgiens Präsident Michail Saakaschwili, der
inzwischen nur noch einen kleinen Teil seines Landes kontrolliert, gab sich in
einem Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ unnachgiebig. Er lehnte
einen Verzicht auf georgische Gebiete strikt ab. „Wir kämpfen bis zum Ende, bis
der letzte russische Soldat georgischen Boden verlassen hat. Wir kapitulieren
nie“, sagte Saakaschwili. Moskaus Außenminister Lawrow kündigte unterdessen an,
dass Russland sein Friedenskontingent in Südossetien stärken werde. Eine
Entspannung der Lage ist nicht in Sicht.
Der Präsident des international nicht anerkannten
Südossetiens, Eduard Kokoity, hatte in der vergangenen Woche angekündigt, dass
er georgische Bürger, die in den Enklaven um Zchinwali gelebt haben und von dort
geflohen sind, die Rückkehr nicht erlauben werde. Der Platz werde für Osseten
gebraucht, die aus Georgien geflohen seien.
Zu den Vorwürfen, dass seine Truppen Gräueltaten
in Georgien verübt haben sollen, sagte Kokoity, es seien georgische Dörfer
„faktisch vernichtet“, worden. In einem Interview der Moskauer Zeitung „Kommersant“
sagte er: „Wir haben dort alles dem Erdboden gleich gemacht.“ Auch Fälle von
Plünderungen räumte er ein. Das seien die „Folgen eines jeden Krieges“.
Laut der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR, die
sich auf Angaben der georgischen Regierung stützt, sind etwa 15.000 Menschen aus
Südossetien geflohen. Weitere 73.000 haben ihre Häuser innerhalb Georgiens
verlassen müssen, die meisten davon stammten aus Gori.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzt ihre
Friedensbemühungen im Kaukasus-Konflikt fort. Nach einem Treffen mit dem
russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew ist sie zu Krisengesprächen in der
georgischen Hauptstadt Tiflis eingetroffen. Sie kam mit Präsident Micheil
Saakashwili zusammen, um über eine möglichst schnelle Umsetzung des
Sechs-Punkte-Planes zur Lösung der Kaukausus-Konflikts zu beraten. Merkel werde
Georgien ihre Unterstützung zusichern und erneut klarstellen, dass die
territoriale Integrität des Landes nicht infrage gestellt werden dürfe, hieß es
in Delegationskreisen. Auch halte die Kanzlerin am Ziel einer
Nato-Mitgliedschaft Georgiens fest. An den Beschlüssen der Nato dazu gebe es
nichts zu rütteln.
Kurzfristig müsse der möglichst schnelle Abzug der
russischen Truppen aus Georgien sichergestellt werden, verlautete weiter aus der
Delegation. Dabei gelte es auch, mit Saakaschwili zu klären, dass das
internationale Rote Kreuz rasch Zugang zu den Flüchtlingslager und den vom Krieg
betroffenen Gebieten in Georgien bekomme. Ebenso sei zu klären, dass zusätzlich
internationale Beobachter in die Krisenregionen entsandt werden könnten.
Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung,
Andreas Schockenhoff, geht trotz der Bemühungen der Bundeskanzlerin nicht von
einer raschen Beilegung der Kaukasus-Krise aus. „Ich fürchte, dass wir nicht mit
einer schnellen Lösung dieses Konfliktes rechnen können“, sagte der
CDU-Außenpolitiker. „Es ist im Moment so viel Misstrauen und Hass zwischen den
Kriegsparteien, dass wir beide zunächst einmal direkt miteinander ins Gespräch
bringen müssen."
Der Außenexperte warnte vor einer dauerhaften
Belastung für das Verhältnis zwischen Russland und den USA. „Man muss nach den
jüngsten Reaktionen auf beiden Seiten verhindern, dass es zu weiteren
Verhärtungen kommt“, sagte Schockenhoff. Es bestehe auch die Gefahr, dass die
Beziehung zwischen Russland und der Europäischen Union Schaden genommen habe.
Merkel und Russlands Präsident Medwedjew hätten bei ihrem Treffen am Freitag in
Sotschi immerhin keine Lösung ausgeschlossen. „Dies kann zumindest ein Ansatz
für einen konstruktiven Dialog sein.“ Medwedjew hatte den Kriegseinsatz in
Georgien verteidigt, während Merkel ihn unverhältnismäßig nannte.
Schockenhoff forderte Russland zum raschen Abzug
seiner Truppen aus der Kernregion von Georgien auf. „Dazu braucht man
vertretbare Zeiträume und verbindliche Zusagen.“ Er warnte vor neuen
Militäraktionen. „Russland möchte eine neue Rolle in der internationalen
Staatengemeinschaft spielen, und die kann es nicht nur auf Öl und Gas
beziehungsweise militärische Machtdemonstrationen bauen."
Medwedjew habe angekündigt, er wolle ein
vertrauensvoller Partner der internationalen Gemeinschaft sein. „Das ist sicher
nicht mit diesen Methoden zu erreichen. Die Bundeskanzlerin hat Medwedjew zu
Recht an sein eigenes Interesse erinnert, sein Land zu einem verlässlichen
Akteur der internationalen Politik zu machen, der die Weltordnung friedlich und
kooperativ mitgestaltet.“
mit AFP/AP/DPA/REUTERS 17.08.2008
WELT ONLINE
***
Im Schockzustand
Vier Tage nachdem Moskau den Krieg für beendet
erklärt hat, versuchen die Georgier eine Rückkehr zum Alltag. Doch die
Ungewissheit darüber, was geschah und was noch kommen mag, macht Normalität
unmöglich
Auf den ersten Blick scheint das Leben
in Georgiens Hauptstadt seinen gewohnten Gang zu nehmen. Auf dem
Rustaweli-Boulevard wird gebaut, Geschäfte und Restaurants sind geöffnet, der
Verkehr fließt wieder an diesem Samstag, wenn auch nicht so hektisch wie sonst
in Tiflis üblich. Erst beim zweiten Hinsehen wird der noch tief sitzenden Schock
erkennbar - aber auch Wut, Trauer, das Gefühl der Hilflosigkeit nach einem
verlorenen Krieg. Und die Frustration, noch immer russische Truppen im Land
stehen zu haben.
"Vandalen, Vandalen des 21. Jahrhunderts",
beschimpft Nugsar Echwiaschwili die Russen. Der 71-Jährige steht auf den Stufen
der Georgischen Akademie der Wissenschaften im Zentrum der Stadt und bietet
selbst gefertigte Holzsouvenirs und von seiner Frau gemalte Bilder an. "Sie
haben unsere Dörfer verbrannt, ermorden Kinder und Frauen, bombardieren
Krankenhäuser."
Vorwürfe, wie sie jetzt vielfach erhoben werden in
Georgien. Unabhängige Organisationen können das tatsächliche Ausmaß der
Übergriffe nicht überprüfen, sie werden noch immer nicht in die ehemaligen
Kampfgebiete gelassen, Journalisten gar von südossetischen Milizen beschossen.
Es scheint, dass für Untaten in erster Linie südossetische Milizen und russische
Kosaken verantwortlich sind. Seit Freitag gibt es auch Fotobelege dafür, dass
das berüchtigte "Wostok"-Bataillon des moskautreuen tschetschenischen
Feldkommandeurs Sulim Jamadajew seine Panzer durch Südossetien rollen lässt.
Dank der Amerikaner und Europäer sei es gelungen, "diese Vandalen" bei Gori zu
stoppen, sagt Nugsar, der dem für heute angekündigten Besuch von Bundeskanzlerin
Angela Merkel mit Hoffnung entgegensieht. Sie werde sich für die territoriale
Integrität seines Landes starkmachen, ist sich der ehemalige Designer sicher.
Und lobt Präsident Michail Saakaschwili in höchsten Tönen. Der sei ein großer
Mann, ein Glücksfall für Georgien.
Timur, ein abgerissen wirkender 50-Jähriger, ist
weniger euphorisch. Sich vorsichtig umschauend, gibt er sich als Flüchtling aus
Zchinwali zu erkennen. Vor fünf Tagen kam er mit seiner Familie nach Tiflis,
seinen Familiennamen behält er für sich. "Ich will, dass die, die für das Elend
der Georgier und Osseten in Zchinwali verantwortlich sind, vor ein
internationales Tribunal kommen", sagt er leise. Über Einzelheiten will er nicht
reden. Nur in einem ist sich Timur sicher: "Die georgischen Truppen haben zuerst
angegriffen, Saakaschwili hat angefangen."
Tatsächlich liegen die Hintergründe des
Fünftagekrieges noch immer weitgehend im Dunkeln. Sicher ist, dass sich die
Situation in Südossetien und auch Abchasien seit dem Frühjahr ständig
verschärfte. Südosseten, Abchasen und Russen auf der einen Seite und die
Georgier auf der andern beschuldigten sich gegenseitig, auf einen Krieg
hinzuwirken. Allerdings konzentrierte sich die allgemeine Aufmerksamkeit
zunächst auf den oberen Teil der zu Abchasien gehörenden Kodori-Schlucht.
"Wir waren völlig überrascht, dass sich die Krise
plötzlich in Südossetien zuspitzte", gab ein Berater der georgischen Regierung
zu. In der Umgebung von Zchinwali waren wie in jedem Jahr Dörfer mit vorwiegend
georgischer Bevölkerung von südossetischen Milizen beschossen worden. Die dabei
eingesetzten Mörser hätten die sogenannten Friedenskräfte der russischen Armee
längst einziehen müssen - aber die Truppen unternahmen nichts dergleichen.
Westliche Diplomaten in Tiflis geben zu, dass
weder sie noch die in Südossetien eingesetzten OSZE-Beobachter genaue
Informationen darüber besitzen, was sich am Abend des 7. August abgespielt hat,
an dem die Tragödie begann. Als gesichert gilt, dass der bis dahin eher
sporadische Beschuss der Dörfer plötzlich sehr intensiv wurde. Gleichzeitig
gingen Tiflis Informationen darüber zu, dass Hunderte "Freiwillige" durch den
Roki-Tunnel, der Nordossetien in Russland mit Südossetien verbindet, unterwegs
seien.
In dieser sich immer mehr zuspitzenden Lage wurde
offenbar beschlossen, Zchinwali zunächst mit Haubitzen und Geschosswerfern vom
Typ "Grad" (Hagel) zu beschießen. Die Stadt wurde weitgehend dem Boden
gleichgemacht. Die Bilder weckten Erinnerungen an Srebrenica und Grosny.
Georgische Einheiten drangen anschließend in Südossetien ein und nahmen große
Teile von Zchinwali im Handstreich. Doch der offenbar geplante Vorstoß zum
Tunnel misslang. Auf diesen verhängnisvollen Vorstoß angesprochen, empörte sich
ein hochrangiger georgischer Offizier: "Wir hatten doch gar keine andere Wahl!
Wir mussten doch unsere Landsleute schützen!"
Die russischen "Friedenstruppen", verstärkt durch
Einheiten der in Wladikawkas stationierten 58. Armee, schlugen brutal zurück und
zerstörten das, was von Zchinwali noch übrig geblieben war. Die Georgier zogen
sich zunächst hinter die Grenze zurück. Präsident Dmitri Medwedjew befahl in
Moskau die Operation "Erzwungener Friede", um "Landsleute" zu retten. Mehr als
80 Prozent der Südosseten besitzen russische Pässe.
Zahlreiche georgische Städte, darunter die
Hauptstadt Tiflis und die Hafenstadt Poti, wurden mehrfach angegriffen. Die
russischen Bomber warfen ihre Last in der Regel gezielt auf das, was sie als
militärisches Objekt ansahen. Die militärische Infrastruktur Georgiens wurde
dabei weitgehend zerstört, russische Truppen besetzten große Teile eines
souveränen Landes. Mehrfach brach in Tiflis Panik aus, weil angeblich russische
Panzer heranrollten. Das von der Kanzlerin geprägte Wort von einer "überzogenen
Reaktion" ist angesichts der Folgen des Krieges eine ausgesprochene
Untertreibung.
Andrej Illarionow, ehemals Wirtschaftsberater des
russischen Präsidenten Wladimir Putin, sieht den Krieg als "exzellente
Provokation, die von den russischen Silowiki (Militärs und Geheimdienstler, d.
Red.) lange vorbereitet und erfolgreich durchgeführt wurde". Allerdings habe die
russische Führung ihr Hauptziel - den Sturz Saakaschwilis und des politischen
Systems in Georgien - nicht erreicht.
Sollte es sich bei dem Krieg tatsächlich um eine
vom russischen Geheimdienst und der Militärführung geschickt aufgebaute Falle
handeln, was überhaupt nicht als gesichert gelten kann, enthebt es Saakaschwili
dennoch nicht der Verantwortung, sehenden Auges hineingetappt zu sein. Westliche
Diplomaten hatten ihm seit Jahren versucht klarzumachen, dass die Unterstützung
des Westens da endet, wo Georgien eine militärische Lösung suchen sollte. Der
ehemaligen georgischen Außenministerin Salome Surabischwili zufolge hat
US-Außenministerin Condoleezza Rice Saakaschwili bei ihrem Besuch vor drei
Wochen noch einmal gewarnt, sich nicht zu einer Militäroperation verleiten zu
lassen.
Dass der Präsident es dennoch tat, beruht auf fatalen
Fehleinschätzungen, gepaart mit kaukasisch-georgischem Manneswahn. Das Ergebnis
für Georgien ist ein Scherbenhaufen. Saakaschwili hat seine Landsleute in
Südossetien nicht nur nicht schützen können, er hat sie den Gefahren von
Plünderung und Mord ausgesetzt. Sein Ziel, Abchasien und Südossetien wieder in
den georgischen Staatsverband einzugliedern, kann er vergessen. Er muss froh
sein, wenn er nach dem von der Europäischen Union vermittelten Waffenstillstand
- den Kremlchef Medwedjew gestern unterschrieben hat - den Status quo von vor
dem Krieg wieder herstellen kann.
17.08.2008 WELT ONLINE
***
"Der Waffenstillstand ist sehr zerbrechlich"
Entgegen anderslautenden Stimmen aus Moskau will
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) an der territorialen Unversehrtheit
Georgiens festhalten. "Das Festhalten an der territorialen Integrität Georgiens
steht für niemanden zur Debatte." Und anders als Ex-Kanzler Gerhard Schröder
will er die Schuld an der militärischen Eskalation nicht einseitig Georgien
anlasten. Seine Botschaft gleichwohl: "Wir brauchen offene Gesprächskanäle -
nach Tiflis und nach Moskau." Mit Steinmeier sprach Ansgar Graw.
Morgenpost: Herr Steinmeier, Ihr russischer
Kollege Lawrow empfiehlt, das "Gerede" über die territoriale Unversehrtheit
Georgiens zu "vergessen". Es sei "unmöglich", Südossetien und Abchasien bei
Georgien zu belassen.
Frank-Walter Steinmeier: Alle Beiträge,
die wir im Namen der internationalen Staatengemeinschaft und im Rahmen der
EU zur Stabilisierung im Kaukasus leisten, orientieren sich am Völkerrecht.
Darum bleibt die territoriale Integrität Georgiens Grundlage unserer
Politik. Das haben wir unseren Gesprächspartnern in Tiflis ebenso wie in
Moskau oder in Abchasien deutlich gemacht. Moskau hat diese Position in der
Vergangenheit wiederholt bestätigt. Ich gehe davon aus, dass sich daran
nichts geändert hat.
Geändert haben sich die Fakten. Die
georgischen Truppen wurden aus Südossetien und Abchasien gedrängt. Ist damit
nicht die territoriale Integrität verloren?
Steinmeier: Kein Zweifel, der Einfluss
Georgiens in den beiden Regionen ist nach der aktuellen Auseinandersetzung
gemindert. Gleichwohl bleibt das Völkerrecht unsere gemeinsame Basis. Und
das heißt: territoriale Integrität. Das bleibt unsere Position, darüber
waren wir uns auch bei der Diskussion im EU-Kreis einig.
Wie stabil ist der Waffenstillstand?
Steinmeier: Der aktuelle Zustand ist
höchst fragil, der Waffenstillstand sehr zerbrechlich. Darum müssen wir -
Bundesregierung wie EU - jetzt alles tun, was zur Stabilität führt und den
Menschen in der Region wieder Sicherheit geben kann. Wir brauchen einen
dauerhaften Waffenstillstand, von dem aus wieder politische Gespräche
aufgenommen werden können. Es ist deshalb ein ermutigendes Zeichen, dass
beide Seiten die Vereinbarung über eine Waffenruhe unterzeichnet haben.
Es gibt unterschiedliche Ansichten über die
Schuld an den Kämpfen. Gerhard Schröder sieht "als auslösendes Moment" den
Einmarsch des "Hasardeurs" Saakaschwili nach Südossetien an. Teilen Sie
seine Sicht?
Steinmeier:
In der jetzigen Situation sehe ich meine
Aufgabe nicht darin, eine Chronologie der Eskalation zu schreiben und daraus
Vorwürfe an die eine oder andere Seite zu abzuleiten. Fest steht, dass der
Konflikt eine lange Vorgeschichte hat. In unseren Gesprächen mit der
russischen Seite haben wir aber auch sehr deutlich darauf hingewiesen, dass
sie nach Ausbruch der Feindseligkeiten mit den Bombardements und dem
Bodeneinsatz auf georgischem Kerngebiet eine Grenze überschritten hat.
Sie selbst haben unlängst in Abchasien Ihren
Friedensplan diskutiert. War die Eskalation absehbar?
Steinmeier: In Abchasien habe ich
erleben müssen, wie kompromisslos und unversöhnlich die Konfliktparteien
übereinander redeten. Darum habe ich mir keine Illusionen gemacht über die
Brisanz des Konflikts, auch wenn der konkrete Ausbruch der Kampfhandlungen
um Südossetien so nicht vorherzusehen war. Wegen der verhärteten Fronten sah
mein Plan für Abchasien vor, die Statusfrage erst in einer dritten Phase
anzugehen. Davor muss Vertrauensbildung stehen. Ich würde mir sehr wünschen,
dass der Waffengang zwischen Georgien und Russland bei den Menschen in der
Region zu der Erkenntnis geführt hat, dass es keine Alternative zur
Verständigung gibt und daher unser Friedensplan nun doch noch eine Chance
bekommt.
Aber Ihr Abchasien-Plan ist doch wohl
gescheitert: In der ersten Stufe sah er das Ende der Gewalt vor. Wir
erlebten das genaue Gegenteil.
Steinmeier: Die Situation ist ungleich
schwieriger geworden, keine Frage. Aber die Elemente des Plans und ihre
Reihenfolge - Gewaltverzicht, Vertrauensbildung und Wiederaufbau,
Statusverhandlungen - bleiben richtig. Ich werde mich auch weiter dafür
einsetzen, die Konfliktparteien zurück an den Verhandlungstisch zu bringen.
In Südossetien wie Abchasien fanden
offenkundig "ethnische Säuberungen" in Form der massenhaften Flucht und
Vertreibung statt.
Steinmeier: Dass die Konfliktparteien
versucht haben, Fakten zu schaffen und politische Lösungen in ihrem
jeweiligen Sinne vorzubereiten, ist offenkundig und für die betroffenen
Menschen schlimm. Darum gehört zu unserem Abchasien-Plan ein Rückkehrrecht
für die Flüchtlinge. Die Kriegsereignisse haben das Problem vergrößert.
Zehntausende sind aus Südossetien nach Nordossetien geflüchtet und leben in
notdürftigen Lagern. Georgische Flüchtlinge sind zum Teil aus Südossetien,
zum größeren Teil aus dem grenznahen Raum geflüchtet, andere aus Abchasien.
Um diese Menschen müssen wir uns kümmern. Darum haben wir uns im Kreis der
EU-Außenminister in einem ersten Schritt zur humanitären Hilfe verpflichtet.
Die Bundesregierung hat zunächst eine Million Euro zur Verfügung gestellt,
die EU-Kommission drei Millionen, andere Mitglieder helfen ebenfalls.
Was kann Europa außerdem tun? Nur Beobachter
schicken? Oder immerhin eine Friedenstruppe?
Steinmeier: Erste Antwort: Europa
kann etwas tun. Die Vermittlung von Präsident Sarkozy und
seinem Außenminister Kouchner, die von anderen EU-Staaten, darunter
Deutschland, unterstützt wurde, hat zur Einstellung der Kampfhandlungen
beigetragen ...
... die EU soll das erwirkt haben? Die
Kampfhandlungen wurden doch wohl gestoppt, weil Russland seine Kriegsziele
erreicht hatte.
Steinmeier: Aus meinen vielen
Telefonaten seit Ausbruch der Kriegshandlungen weiß ich, wie schwierig es
war, die Waffen zum Schweigen zu bringen. Deshalb sollten wir den
Vermittlungserfolg der französischen Ratspräsidentschaft und der EU nicht
klein reden.
17.08.2008 Berliner Morgenpost
***
Angeblich 13 georgische Dörfer besetzt
Georgische Truppen zurückgedrängt
Abchasische Kämpfer haben nach georgischen Angaben
mit Unterstützung russischer Soldaten 13 Dörfer in Georgien unweit der
abchasisch-georgischen Grenze besetzt. Das meldete das Aussenministerium in
Tiflis.
Die abchasischen
Kämpfer hätten mit Unterstützung regulärer russischer Einheiten die Grenze
Abchasiens «in Richtung des Enguri-Flusses verschoben», also in Richtung
Georgien, hiess es.
Besetzt wurden zwei
Dörfer nahe der georgischen Stadt Sugdidi, elf weitere Dörfer in der Region
Zalendschika sowie die Umgebung des Wasserkraftwerks am Enguri-Fluss. Die
Angaben konnten vorerst nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden.
Abchasische Offensive
seit Dienstag
Während russische
Truppen einen Vormarsch der georgischen Armee in der abtrünnigen Provinz
Südossetien zurückschlugen, hatte die abchasische Regierung am Dienstag eine
Offensive gegen die georgischen Soldaten in der Kodori-Schlucht gestartet.
Diese war das
letzte Gebiet in Abchasien, das noch unter georgischer Kontrolle stand. Nach
heftigen Kämpfen zogen sich die georgischen Soldaten schliesslich aus dem oberen
Kodori-Tal zurück.
17.08.2008 SF
Tagesschau (Schweizer Fernsehen)
***
Medwedjew spricht von Georgien ohne Südossetien und Abchasien
TIFLIS. Georgiens Präsident Michail Saakaschwili unterzeichnete
gestern das Waffenstillstandsabkommen mit Russland. Kremlchef Dimitrij Medwedjew
stellte die Grenzen Georgiens in Frage.
Laut dem russischen Militär zogen sich die
georgischen Truppen in ihre Kasernen zurück und erfüllten damit eine Bedingung
Moskaus. Auch im Zentrum der georgischen Stadt Gori waren keine russischen
Soldaten mehr zu sehen. Georgien sprach jedoch von neuerlichem russischen
Raketenbeschuss auf Gori, die Stadt Poti und eine Ölpipeline. Russland selbst
meldete die Zerstörung georgischer Waffenarsenale.
Das Waffenstillstandsabkommen soll ein erster
Schritt zu einem Frieden sein. Doch Russland und der Westen sind uneins, wie
eine Lösung aussehen könnte. Medwedjew dachte gestern öffentlich eine endgültige
Ausgliederung Südossetiens und Abchasiens aus Georgien an. Die USA, aber auch
Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel betonten dagegen das Fortbestehen der
Grenzen Georgiens.
Saakaschwili unterzeichnete das Abkommen unter
Anwesenheit von US-Außenministerin Condoleezza Rice. Sie versicherte ihm, dass
Russlands Führung das Papier auch unterzeichnen werde. Gleichzeitig forderte sie
wie US-Präsident George W. Bush einen sofortigen russischen Truppenabzug aus
Georgien. Bush selbst verstärkte seine Zusicherungen gegenüber Tiflis: „Wir
werden die Georgier nicht im Stich lassen.“ Bush warf Russland „Schikanierung
und Einschüchterung“ Georgiens vor. Die Beziehungen Russlands zu den USA und zur
NATO sind derzeit im Keller. So hat die NATO die Beteiligung eines russischen
Kriegsschiffs an Anti-Terrorismus-Patrouillen im Mittelmeer abgesagt.
Unterdessen hat die Organisation „Human Rights
Watch“ Russland vorgeworfen, Streumunition eingesetzt zu haben. Ein Moskauer
General bezeichnete dies als „sorgsam vorbereitete Lüge“. Eine „unverhohlene
Lüge“ sieht wiederum Saakaschwili in den von russischer und südossetischer Seite
kolportierten Opferzahlen. Russland wirft Georgien Völkermord in Südossetien
vor. Doch unabhängig festgestellte Opferzahlen gibt es nicht.
16.08.2008

***
Südossetien und Abchasien: Zukunft nach
Zypern-Art?
Lothar Deeg, St. Petersburg. Zchinwali, Gori und
Suchumi, Georgien und Saakaschwili sind nicht der Stoff, der einen länger
anhaltenden Kalten Krieg provozieren sollte. Guten Willen vorausgesetzt gibt es
auch Lösungswege.
Einmal angenommen, die russische Armee bekommt
jetzt endgültig die Kurve und zieht ihre Truppen (also ihre angeblich
friedlichen Späher, Ordnungshüter und Waffenlager-Sortierer) wie angekündigt aus
dem georgischen Kernland nach
Südossetien und
Abchasien
zurück: Territorial wäre dann der Status quo wieder einigermaßen hergestellt.
Aber weder die beiden abtrünnigen Provinzen noch
Georgien selbst
sind nach dem einwöchigen Krieg wie vorher.
Russland erlaubt sich US-Methoden
Genauso wenig wie das Verhältnis zwischen Russland
und seinen Nachbarn von Tallinn über Warschau bis Kiew: Die Tatsache, dass die
wiedererwachte Supermacht erstmals seit Afghanistan 1979 ungefragt im Ausland
intervenierte, hat sie mächtig erschreckt. Dabei machte Moskau nur, was sich
Israel und die USA in der Zwischenzeit schon einige Male herausgenommen hatten.
Das fuchst Washington und beunruhigt zu Recht Russlands sonstige unmittelbaren
Anrainer.
Versöhnung und Zwangs-Vereinigung sind
aussichtslos
Die Abschuss- und Opferzahlen auf beiden Seiten
gehen diametral auseinander und sind weniger Information als wesentlicher Teil
ihrer Kriegspropaganda. Tatsache ist: Bei diesem Krieg wurden Zivilisten nicht
geschont, neben den regulären Armeen operierten beiderseits auch Milizen und
Schwadronen, die keine Gefangenen machen und wild brandschatzten.
Eine Versöhnung von Russen, Osseten und Georgiern
macht das unmöglich, selbst wenn alle Seiten orthodoxe Glaubensbrüder sind.
Genauso wenig wie eine Rückkehr der aus Südossetien geflohenen georgischen
Minderheit. Denn diese ethnische Säuberung ist bereits Tatsache – moralisch
beklagenswert, aber wohl leider Bedingung für eine Befriedung des Gebiets.
Südossetien hat sich aus einem armseligen
Staatsgebilde in einen halb verwüsteten russischen Truppenstützpunkt verwandelt.
Schon allein um den Sinn seines Gegenangriffs zu beweisen, wird Moskau jetzt
massiv Wiederaufbauhilfe leisten und – auf ausdrücklichen Wunsch der
Einheimischen – mit einem starken Militärkontingent präsent bleiben.
Sarkozys Sechs-Punkte-Plan hat den Krieg beenden
geholfen, ist aber noch keine Friedenslösung. Beide Seiten sind auch nicht
abgeneigt, dass die EU, die OSZE oder die UN humanitäre Hilfe und später eine
Beobachtermission schickt. Und was wird weiter?
Variante 1: Einseitige Anerkennung - wie im
Kosovo oder Zypern
Russland wird darauf bestehen, dass Südossetien
und Abchasien faktische Unabhängigkeit von Georgien bekommen. Wenn es geht,
international anerkannt – wenn nicht, dann eben nur seitens Russlands. Richtig
schlimm wäre das nicht - auch ein solcher Zustand kann für den Rest der Welt
nämlich dauerhaft erträglich sein: Existiert nicht seit 25 Jahren auf dem Gebiet
des heutigen EU-Staats Zypern die Republik Nordzypern, anerkannt einzig vom
Nato-Staat Türkei?
Hunderttausende Flüchtlinge des Zypern-Kriegs von
1974 konnten dabei auch nie in ihre Häuser zurückkehren. Das ist sicher keine
völkerrechtliche Lehrbuchlösung, aber dafür schießen griechische und türkische
Zyprioten schon eine Generation lang nicht mehr aufeinander. Und ganz langsam
kommen sie sich auch wieder näher.
Abchasien hat profitiert ohne zu leiden
Die eigentlichen Kriegsgewinnler sind die
Abchasen: Im russischen Deckungsfeuer warfen auch sie die Georgier aus dem
letzten nicht selbst kontrollierten Teil ihrer De-facto-Republik, blieben aber
ansonsten vom Krieg verschont. "Seit Zchinwali" wollen auch sie nur noch mit
Tiflis sprechen, wenn man dort ihre Unabhängigkeit akzeptiert.
Saakaschwili wird kaum etwas anderes übrig
bleiben. Georgien ist durch den russischen Militärschlag geschwächt und
verunsichert. Die Solidaritätsbekundungen der EU und der angereisten Osteuropäer
waren und sind rührig, die der USA zu einem guten Teil auch nur republikanische
Wahlkampf-Rhetorik. Real weiterhelfen werden sie dem Land aber kaum – das hehre
Prinzip der territorialen Integrität ist seit der vom Westen (gegen den Willen
Serbiens und Russlands) geradezu provozierten Kosovo-Souveränität schließlich
ein weltpolitisches Auslaufmodell.
Momentan ist das Klima gegenüber Moskau deshalb
wahrlich frostig, aber eine echte Eiszeit (gar ohne russisches Öl und Gas?) wird
„wegen Georgien“ niemand provozieren.
Variante 2: Unabhängigkeit gegen
Nato-Mitgliedschaft
Ein Weg zum Frieden tut sich ohnehin nur mit
schmerzhaften Zugeständnissen auf beiden Seiten auf: Entließe Saakaschwili seine
beiden abtrünnigen Provinzen aus dem Staatsverband, käme dies einer friedlichen
Beilegung der Konflikte gleich. Dafür könnte Georgien mit der jetzt wegen akutem
Fehlverhaltens und notorischer Explosivität in weite Ferne gerückten
Nato-Mitgliedschaft belohnt werden.
Das Ergebnis müsste eigentlich allen gefallen: Die
USA behalten ihren Freund Saakaschwili im Amt und die Kontrolle über „ihre“
Ölpipeline von Baku in die Türkei. Tiflis und Kern-Georgien hätten die
Sicherheitsgarantie der Nato. Und Medwedew hätte für seine „Mitbürger“ jenseits
des Kaukasus die gewünschte Perspektive geschaffen.
Und warum sollte Russland dies nicht akzeptieren
können? Seine Nachbarn im Nordwesten, die drei ehemals sowjetischen
Balten-Staaten, sind ja auch unlängst der Nato beigetreten, ohne dass die
Kreml-Mauern deshalb zitterten.
16.08.2008
Russland-Aktuell
***
Russland stellt Grenzen Georgiens offen in Frage
Russland hat erstmals den Fortbestand Georgiens in
sei-nen völkerrechtlich anerkannten Grenzen offen in Frage gestellt.
Außenminister Sergej Lawrow sagte vor Journalisten in Moskau: "Das Gerede über
die territoriale Unversehrtheit Georgiens kann man vergessen." Es sei seiner
"Ansicht nach unmöglich, Südossetien und Abchasien zu überreden, der Logik
zuzustimmen, dass sie in den georgischen Staat zurück gezwungen werden könnten."
Gegenüber dem französischen Präsidenten Nicolas
Sarkozy hatte Russlands Präsident Dimitrij Medwedjew am Dienstag in Moskau zwar
noch versichert, sein Land achte die Souveränität Georgiens. Eine schriftliche
Festlegung darauf konnte Sarkozy aber schon nicht mehr durchsetzen.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD)
versicherte hingegen gestern, man halte an der territorialen Integrität
Georgiens fest.
In der Vergangenheit hatte Moskau wiederholt
wissen lassen, es wolle weder eine Eigenstaatlichkeit Abchasiens noch eine
Vereinigung Südossetiens mit dem (russischen) Nordossetien. Moskaus Position zu
Abchasien hat sich nach Einschätzung in deutschen Regierungskreisen nicht
verändert, weil eine Loslösung der Provinz beispielsweise von den Tschetschenen
als Ermunterung verstanden werden könnte, sich von Russland abzuspalten. Moskaus
Position zu Ossetien könnte hingegen revidiert worden sein.
Steinmeier sprach sich im Gespräch mit der WELT
indirekt für eine internationale Friedenstruppe für den Kaukasus aus. Ob es
neben der Entsendung zusätzlicher OSZE-Beobachter "zu einem internationalen
Peace-Keeping kommt, hängt nicht so sehr von der Europäischen Union ab, sondern
von der Zustimmung der Konfliktparteien und davon, ob es ein entsprechendes
Mandat der Vereinten Nationen gibt", sagte Steinmeier der WELT. Bei der
Aufstockung der Beobachtermission sollte sich Deutschland einer Beteiligung
"nicht entziehen", fügte er hinzu. Die finnische OSZE-Präsidentschaft will die
Mission von 200 auf 300 Personen verstärken.
Steinmeier wies Forderungen des
CDU-Außenpolitikers Eckart von Klaeden zurück, die EU müsse nach dem Konflikt
zwischen Moskau und Tiflis ihre Russland-Politik "grundsätzlich überdenken". Im
Auswärtigen Ausschuss des Bundestages habe es gestern "parteiübergreifende
Zustimmung für die Linie der Bundesregierung" gegeben, hier "keine
Schnellschüsse abzugeben". Denn klar sei: "Wenn die EU bei der Befriedung eine
Rolle spielen will, braucht sie offene Gesprächskanäle nach Tiflis und nach
Moskau."
Bundeskanzlerin Angela Merkel reist heute nach
Sotschi am Schwarzen Meer, um mit dem russischen Präsidenten Medwedjew über den
Georgien-Konflikt zu sprechen. Am Sonntag besucht die CDU-Politikerin Georgien.
15.08.2008 WELT ONLINE
***
Konflikt im Kaukasus
Tief in der Krise
Nach dem Krieg im Kaukasus wächst der Riss
zwischen Russland und dem Westen. Während Russlands Päsident Medwedjew
Georgiens Einheit infrage stellt, verlangten Kanzlerin Merkel und
US-Präsident Bush eine Garantie der Grenzen. Bush wirft Moskau Schikane vor.
Von Stefan
Kornelius |

Russlands Präsident
Medwedjew und die deutsche Kanzlerin Merkel in Sotschi während ihres
Gesprächs über den Kaukasus-Konflikt.
Foto: dpa |
Wenige Stunden nach dem Ende der Kämpfe in
Südossetien hat Russland den Fortbestand Georgiens in seinen alten Grenzen
in Frage gestellt. Präsident Dmitrij Medwedjew sagte am Freitag, es sei
unwahrscheinlich, dass die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien
jemals wieder Teil Georgiens werden wollten. Der amerikanische Präsident
George W. Bush und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangten hingegen
eine Grenzgarantie von der russischen Regierung und sprachen von "Schikane"
und "Unverhältnismäßigkeit".
Das Klima zwischen Russland und dem Westen
verschlechterte sich rapide, befeuert auch von der Entscheidung Polens, eine
US-Raketenabwehr zu stationieren. Die Stunden nach Ende der Kämpfe waren von
einem erbitterten diplomatischen Ringen um einen Waffenstillstandsplan
gezeichnet, in dem auch eine Aussage über den Bestand des Staates Georgien
getroffen werden sollte. US-Außenministerin Condoleezza Rice verhandelte in
Tiflis über Feinheiten des Plans, der in groben Zügen vom französischen
Präsidenten Nicolas Sarkozy mit den Konfliktparteien verabredet worden war.
US-Präsident Bush wirft Moskau "Schikane und
Einschüchterung" vor
Europa und die USA wollten Russland das Recht
zugestehen, Truppen in Südossetien und Abchasien zu belassen, allerdings
eine Pufferzone von zehn Kilometern auf georgischem Kerngebiet wieder zu
räumen, sobald eine internationale Friedenstruppe in das Gebiet einrückt. Im
Gegenzug sollte Russland die territoriale Integrität Georgiens anerkennen,
also einer Abspaltung von Südossetien und Abchasien abschwören.
Medwedjew machte mit seinen Worten deutlich,
dass er diesem Plan geringe Chancen gibt. Nach einem Treffen mit Merkel in
der Schwarzmeerstadt Sotschi bezeichnete er Russland als Sicherheitsgarant
für Südossetien und Abchasien und erklärte, dass er den Bestand des
georgischen Staates in seinen heutigen Grenzen für unwahrscheinlich halte.
Merkel pochte hingegen auf die souveränen Rechte Georgiens und kritisierte
Medwedjew für die Unverhältnismäßigkeit des russischen Einsatzes. Merkel
verlangte eine nachhaltige Lösung des Kaukasus-Konflikts. "Wir können nicht
wieder 15 Jahre verstreichen lassen, ehe hier stabile Lösungen gefunden
werden", sagte sie.
In Washington wählte Präsident Bush zum
zweiten Mal innerhalb von 48 Stunden harsche Worte und warf Russland
"Schikane und Einschüchterung" vor. Der Kalte Krieg sei vorbei. Auch Bush
forderte den Erhalt des georgischen Staates und den Abzug russischer
Truppen. Er sprach von einem streitsüchtigen Verhalten Moskaus.
Das Klima zwischen den USA und Russland hatte
sich in kürzester Zeit rapide verschlechtert, wobei Washington offenbar nach
Mitteln sucht, Moskau zu isolieren. Verteidigungsminister Robert Gates, der
mehrfach mit Moskau über ein gemeinsames Raketenschild und
Abrüstungsprogramme verhandelt hatte, sagte, das russische Verhalten stelle
"die gesamte Grundlage" der Beziehungen in Frage. In Brüssel wurde von
amerikanischer Seite erwogen, den Nato-Russland-Rat aufzulösen. Ein
gemeinsames Manöver wurde bereits abgesagt.
Die Situation wurde durch die plötzliche
Zustimmung der polnischen Regierung zur Stationierung des amerikanischen
Raketenabwehrsystems verschärft. Warschau willigte nach zweijährigen
Verhandlungen ein, weil "die Erfahrung der jüngsten Tage zeige, dass unser
Territorium im Falle eines Konflikts geschützt werde", wie Ministerpräsident
Donald Tusk sagte. Die Entscheidung löste in Moskau Empörung aus. Ein hoher
General sagte, dieser Schritt "könne "nicht ungestraft bleiben".
16.08.2008 Süddeutsche.de |
***
[Ursula
Pidun] Die Kalaschnikows werden eingepackt, Panzer schalten den
Rückwärtsgang ein und Truppen räumen das Schlachtfeld. Zurück bleiben Fragen,
unbequeme Fragen. Seit der Unabhängigkeitserklärung Georgiens im April 1991
schwelt es zwischen Russland und dem kleinen Georgien. Immer wieder kam es in
der Vergangenheit zu Konflikten mit den beiden, von Russland unterstützten
georgischen Regionen Abchasien und Südossetien.
Verzwickter Konflikt
Seit Mitte der 90er Jahre rückte Georgien durch
seine beachtlichen Ölförderungen in Turkmenistan und Aserbaidschan in den
Blickpunkt des Westens. Mit dem westlich orientierten Präsidenten Michail
Saakaschwili begann Georgien seit 2004 mit einem Feldzug der Rückerorberung
hinsichtlich der beiden Separatisten Abchasien und Südossetien. Georgien, das
kein NATO-Mitglied ist, jedoch eine strategische Partnerschaft mit der NATO
abschloss, Mitglied der UNO ist und im Europarat sitzt, wiegt sich – durchaus
berechtigt - in Sicherheit einer verlässlichen Unterstützung durch Europa und
den USA. Es erklärt allerdings die plötzliche und völlig kopflose Attacke in den
abtrünnigen Regionen Georgiens ebenso wenig, wie die knallharten und völlig
überzogenen Gegenangriffe Russlands, das wiederum fest in der NATO verankert
ist.
Georgien sollte wissen, dass die staatsinterne
Krise nicht mit Gewalt gelöst werden kann. Ein solches Vorgehen verspricht auch
keinesfalls ein Turbo-Billet zum Eintritt in die EU – im Gegenteil! Auch
Russlands Blutspuren tragen nicht dazu bei, die noch immer angespannte Lage
zwischen Ost und West zu entkrampfen. Es türmen sich weitere Spannungsfelder
auf. Denn letztlich gilt es, Georgien weiter zu unterstützen, ohne Moskau
vollends zu verärgern. Keine leichte Aufgabe für den Westen. Sie erfordert
Diplomatie, Fingerspitzengefühl und Umsicht von allen, die sich in
Friedensmission sehen. Und es bedingt Weitsicht, denn der Konflikt könnte
durchaus breiter streuen, auch über regionale Grenzen hinaus.
Humanitärer Scherbenhaufen
Denn dieser Konflikt hat auch bewiesen, auf welch
filigraner Plattform der Frieden steht. Zurück bleiben Tausende Opfer. Sie
mussten die Zeche dieses Blitzkrieges mit dem Leben bezahlen. Unschuldige
Kinder, wehrlose Passanten – sie alle haften für eine inakzeptable Politik.
Verwaiste Kinder und Opfer von Folter und Gewalt sind die traurige Bilanz
unüberlegter Handlungen. Unzählige Menschen, die ihr gesamtes Hab und Gut
verloren, das Leben ein einziger Trümmerhaufen. Nicht für jene, die es
angezettelt haben, sondern für Unbeteiligte des Konflikts. Für Entscheidungen
von Politikern, denen sie – entweder demokratisch gewählt oder diktatorisch
nachgeholfen – vertrauensvoll Entscheidungsbefugnisse erteilten. "Russische,
georgische und südossetische Kräfte haben allesamt die Verpflichtung - das ist
internationales humanitäres Recht - Zivilisten von Angriffen auszunehmen",
äußerte Holly Cartner. Die Direktorin der Organisation Human Rights Watch (HRW)
für den Bereich Europa und Zentralasien prangert zurecht an, dass sich Truppen
angesichts der zivilen Opfer daran nicht gehalten haben.
Wettkampf der schlimmsten Gräueltaten
Im Angesicht verbrannter und verstümmelter Leichen, gebrochener
Existenzen und unendlichem Leid der Zivilbevölkerung kommt es nun auch noch zu
einem Wettkampf der schlimmsten Gräueltaten. Wer wohl die schrecklichsten Taten
zu verantworten habe, fragen beide Seiten und überhäufen sich mit
Schuldzuweisungen. Nichts dazugelernt in Tausenden von Jahren könnte man
antworten. Und mit Blick auf die Verantwortlichen dieser humanitären Katastrophe
fragen: Was ist ein Menschenleben wert?
15.08.2008 spreerauschen
***
Russland
Medwedjew stellt Georgiens Grenzen in Frage
Die Krise zwischen Georgien und Russland belastet
die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Während Bundeskanzlerin
Angela Merkel bei ihrem Russland-Besuch um Schadensbegrenzung bemüht ist, legt
Medwedjew nach. Abchasien und Südossetien könnten nicht mehr an Georgien
zurückfallen.
Sommer, Sonne, Badevergnügen. Auf der Küstenstraße
vom Flughafen zur Residenz des russischen Präsidenten in Sotschi wimmelt es
zwischen Palmen und Luxusvillen von Menschen in Hawai-Hemden und
Britney-Spears-Shorts. Nur dreißig Kilometer von hier beginnt Abchasien – neben
Südossetien die zweite abtrünnige Kaukasus-Republik, um die vor einer Woche der
Krieg zwischen Russland und Georgien begann.
Angela Merkel und dem Präsidenten Dimitri Medwedjew. Dieser wiederholte bekannte
russische Positionen, allerdings in milderer Form. Er wolle gleich klarstellen,
erklärte Medwedjew anschließend: „Die gesamte Verantwortung für die humanitäre
Katastrophe liegt bei Georgien“. Man habe nur ein „Recht auf Selbstverteidigung“
gegen die „brutale Aggression“ der Georgier wahrgenommen. Merkel, die in ihrer
Jugend Abchasien bereiste, entgegnete, sie sei nicht gekommen, um die
Schuldfrage zu klären. Aber „einige der Aktionen Russlands waren
unverhältnismäßig“. Sie forderte einen sofortigen Abzug der Truppen, humanitäre
Hilfe für alle Opfer und die Zulassung internationaler Beobachter.
Der russische Präsident stellte dagegen die Einheit Georgiens nach dem
Kaukasus-Krieg infrage. Nach allem was geschehen sei, könnten die Menschen in
den abtrünnigen georgischen Regionen Südossetien und Abchasien wahrscheinlich
nie mehr mit den Georgiern „in einem Staat“ zusammenleben, erklärte Medwedjew
auf der Pressekonferenz mit Merkel.
Die aktuelle Situation wird im Kanzleramt als die größte Krise der
Regierungszeit Angela Merkels betrachtet. Man hat sie kommen sehen. „Wenn irgend
jemand das im Blick hatte, dann wir“, heißt es aus der Delegation. Nicht nur
Süd-Ossetien und Abchasien, auch Transnistrien habe man ständig im Blick –
überall die gleiche Unsicherheit.
So häufig wie nie wird betont, wie intensiv man in dieser Lage
mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier kooperiert. Der Sechs-Punkte-Plan, den
der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy nun mit Medwedjew ausgehandelt
hat, sei zwar nicht perfekt. Die künftigen Grenzen Georgiens sind dort ebenso
wenig fixiert wie die Frage, wie sich künftige Friedenstruppen zusammensetzen.
„Aber es ist besser als nichts“, ist die Position im Kanzleramt. Man ist auch
froh, dass die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice den Plan
unterstützt und mit Sarkozy nach Tiflis gereist ist. Das wichtigste sei jetzt
der sofortige Abzug der Russen aus „Kern-Georgien“, wie es inzwischen heißt.
Eigentlich hatte die Bundeskanzlerin mit Medwedjew über dessen Wünsche an eine
europäisch-russische Sicherheitsarchitektur sprechen wollen – ein weiteres
Zeichen dafür, dass Russland sich nicht anschickt, vollkommen eigene Wege zu
gehen. Dafür sei es auch, so eine Einschätzung im Kanzleramt, zu schwach, sowohl
militärisch als auch wirtschaftlich. mit Reuters
15.08.2008 WELT ONLINE
***
Russland ist nicht bereit, Südossetien und
Abchasien als integrale Bestandteile Georgiens anzuerkennen
Moskau mischt die Karten in Georgien neu
Moskau gegen internationale Friedenstruppe.
Bush fordert den Abzug russischer Truppen.
Washington. (is) Auch gutes Zureden der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in
Sotschi hat nichts geholfen: Präsident Dmitri Medwedew hat am Freitag
unmissverständlich klargestellt, dass Russland nicht bereit ist, die
Souveränität und territoriale Integrität in seinen bisherigen Grenzen
anzuerkennen.

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Mehr als verbale Rückendeckung konnte Rice
dem US-Verbündeten Saakaschwili in Tiflis nicht anbieten. Foto: epa
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Russische Panzer blockieren bei Gori
weiterhin die Ausfallstraße nach Tiflis. Foto: epa |
"Nach allem was geschehen ist, wird es für
Abchasen und Osseten kaum noch möglich sein, in einem georgischen Staat zu
leben", sagte der 42-jährige Kremlchef bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit
der CDU-Politikerin am Freitag in der Schwarzmeer-Stadt Sotschi unweit des
Krisengebietes. Er warf Georgien neuerlich vor, mit dem Angriff auf Südossetien
Ende vergangener Woche den Anspruch auf die beiden abtrünnigen georgischen
Regionen endgültig verwirkt zu haben. Einen Rückzug der russischen Truppen, die
zu Wochenbeginn einmarschiert waren, lehnt er ab. Damit bleibt Moskau auf
Konfrontationskurs gegenüber dem Westen und insbesondere den USA, die weiterhin
einen vollständigen Abzug der russischen Besatzer aus den beiden
separatistischen Regionen fordert.
"Moskau muss seine Zusage einhalten und seine
Invasionskräfte vom gesamten Territorium Georgiens abziehen", mahnte Präsident
George W. Bush in einem kurzen Presseauftritt vor dem Weißen Haus in Washington.
Russland habe seine Glaubwürdigkeit in der Welt beschädigt, fügte Bush noch
hinzu, bevor er auf sich für einen zweiwöchigen Urlaub auf seine Ranch in Texas
verabschiedete.
Merkel holt sich in
Sotschi kalte Füße
Merkel versuchte in Sotschi, Medwedew zumindest
zur Zusage eines sofortigen Abzugs der Russen aus dem georgischen Kerngebiet zu
bewegen, wie sie der von der EU-ausgearbeitete Sechs-Punkte-Plan vorsieht. Doch
auch hier zeigte die Moskauer Führung wenig Entgegenkommen. Nach wie vor halten
die Russen mehrere Städte am Schwarzen Meer wie Sugdidi oder Poti sowie das
südlich von Südossetien gelegene Gori besetzt und kontrollieren damit die
einzige Verbindungsstraße nach Tiflis, der Hauptstadt Georgiens. Vorerst würden
die russischen Soldaten als "Garanten der Sicherheit" dort bleiben, ließ der
russische Präsident dem Westen ausrichten.
Russland, das sich seit Jahren als selbsternannte
Schutzmacht der Südosseten und Abchasen geriert und dort schon vor
Kriegsausbruch mit Friedenstruppen präsent war, spricht von einem
"Sicherheitskorridor" und fordert von Georgien zunächst eine
Nichtangriffszusage. Merkel, die am Sonntag zu Gesprächen mit dem georgischen
Präsidenten Michail Saakaschwili nach Tiflis reisen wird, warf Medwedew
daraufhin Unverhältnismäßigkeit vor.
Wenige Stunden zuvor war US-Außenministerin
Condoleezza Rice zu einem Solidaritätsbesuch in Tiflis eingetroffen. Dort
äußerte sie zwar grundsätzliche Unterstützung für den von der EU ausgearbeiteten
Sechs-Punkte-Plan, der als Grundlage für Verhandlungen über eine dauerhafte
Friedensregelung zwischen Russland und Georgien dienen soll. Zugleich aber haben
die USA Vorbehalte bei einigen Punkten angemeldet. Denn der Rahmenplan bleibt
hinter dem ursprünglichen Entwurf der EU-Ratspräsidentschaft zurück. So wurde
auf Verlangen Russlands der Passus über die "volle Achtung der Souveränität und
territorialen Integrität Georgiens" wieder gestrichen. Auch von einer
internationalen Friedenstruppe, die im Grenzgebiet zwischen Südossetien,
Abchasien und dem georgischen Kernland stationiert werden soll, ist nun nicht
mehr die Rede. Moskau lehnt eine solche ab.
Rice gab sich angesichts der von Russland
geschaffenen militärischen Fakten letztlich aber pragmatisch: Tiflis hätte schon
"sehr viel erreicht", wenn Moskau den Status quo vor dem Konflikt akzeptieren
würde, meinte sie nach einem Treffen mit Saakaschwili.
Geändert hat sich jedenfalls bereits die
Zusammensetzung der GUS, der von Russland dominierten Gemeinschaft der einstigen
Sowjetrepubliken. Am Donnerstag beschloss das Parlament in Tiflis den Austritt
des Landes.
6-Punkte-Plan
Auf EU-Vermittlung haben Russland und Georgien
einem Sechs-Punkte-Rahmenplan zur Entschärfung des militärischen Konfliktes um
Südossetien zugestimmt. Die Vereinbarung ist keine Friedensregelung, sondern
soll die Grundlage für einen juristisch bindenden Text bilden, um die Kämpfe zu
beenden und eine politische Lösung vorzubereiten. Der UNO-Sicherheitsrat soll
die sechs Prinzipien garantieren. Diese sind:
1. "Kein Rückgriff auf Gewalt zwischen den
Protagonisten".
2. "Definitive Einstellung der Feindseligkeiten".
3. "Gewährung freien Zugangs für humanitäre
Hilfe".
4. "Die georgischen Streitkräfte sollen sich auf
ihre üblichen Stationierungsorte zurückziehen".
5. "Die russischen Streitkräfte sollen sich auf
die Linien vor Beginn der Feindseligkeiten in Südossetien zurückziehen. In
Erwartung eines internationalen Mechanismus werden die russischen
Friedenstruppen vorläufig zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen."
6. "Eine Eröffnung internationaler Diskussionen
über die Modalitäten der Sicherheit und Stabilität in Abchasien und
Südossetien".
15.08.2008 Wiener Zeitung
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Hans-Ulrich Klose zum Kaukasus
"Entweder Feinde oder Vasallen"
SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose über Russlands
Verhältnis zu seinen Nachbarn, die schwierige Mission der Bundeskanzlerin im
Kaukasus-Konflikt und die aktuelle Zerreißprobe für das
russisch-amerikanische Verhältnis.
Interview: Marcel Burkhardt |
Hans-Ulrich Klose (SPD) ist stellvertretender Vorsitzender des
Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages und Vorsitzender der
Deutsch-Amerikanischen Parlamentariergruppe.
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Im Kaukasus-Konflikt fordert Hans-Ulrich Klose von Russland und den USA
ein Ende des verbalen Säbelrasselns und eine Rückkehr zu rationaler
Kooperation.
Foto: dpa |
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Süddeutsche.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel steht am heutigen
Freitag vor einer schwierigen Mission. Was erwarten Sie von ihrem Gespräch
mit Russlands Präsidenten Dmitrij Medwedjew über den Konflikt im Kaukasus?
Hans-Ulrich Klose: Zunächst ist es gut, dass dieses Gespräch
überhaupt stattfindet. Ich gehe davon aus, dass die Kanzlerin die Bemühungen
der EU verstärken wird. Es geht darum, wie die noch unsichere Waffenruhe im
Südkaukasus dauerhaft werden kann, wie die Konflikte in der Region mit allen
Beteiligten langfristig zu lösen sind und wie die dringend nötige Hilfe für
tausende Flüchtlinge vorangebracht wird. Die EU hat in diesem Konflikt
bisher eine angemessene, gute Rolle gespielt.
Süddeutsche.de: Es gibt aber auch kritische Stimmen: Der
EU-Friedensplan sei so schwach wie der Vermittler Sarkozy, der in Moskau
gesagt habe, was Medwedjew hören wollte - und in Tiflis verkündet habe, was
Saakaschwili schmeichelte. Jetzt müsse Merkel zum Nachbessern hinterher
reisen.
Klose: Ich glaube nicht, dass sie zum Nachbessern hinterher reist
und finde im Übrigen die Kritik falsch. Immerhin war es so, dass die
angeblich so schwache Europäische Union diejenige war, die eine Vereinbarung
über eine Waffenruhe zustande gebracht hat. Eine Waffenruhe, die hoffentlich
in einen richtigen Waffenstillstand einmündet. Es hat da eine gute,
arbeitsteilige Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich gegeben. Ich
sehe nicht ein, warum man die Franzosen jetzt rügen sollte.
|
Süddeutsche.de: Frankreichs Staatspräsident Sarkozy hat den
Konfliktparteien in seiner Rolle als amtierender EU-Ratspräsident angeboten,
Schutztruppen der EU nach Georgien und in das abtrünnige Südossetien zu senden
...
Klose: ...Das scheint mir etwas verfrüht zu sein. Dazu bedürfte es
eines Mandates, insbesondere der Vereinten Nationen. Ich höre, dass die
Franzosen dort einen Entschließungsentwurf vorgelegt haben. Was die EU betrifft,
finde ich eine andere Frage wichtiger. Wir haben ja erkennbar die Situation,
dass einige EU-Mitglieder - die Polen und die baltischen Länder, um einige zu
nennen -, in Bezug auf Russland eine andere Bedrohungswahrnehmung haben als
andere. Das ist ein Punkt, den man ernst nehmen muss - und verhindern, dass die
EU in dieser Frage auseinanderfällt. Das würde die Gemeinschaft nachhaltig
schwächen.
Süddeutsche.de: Russland scheint eine Loslösung der abtrünnigen
Provinzen Abchasien und Südossetien vom Staat Georgien anzustreben. Meinen Sie,
dass die Strategen in Moskau dieses Ziel jetzt noch härter verfolgen werden?
Klose: Zunächst haben die Russen das Ansinnen der Georgier akzeptiert,
dass es keine internationale Diskussion über den künftigen Status von
Südossetien und Abchasien geben solle. Einstweilen muss man festhalten, dass die
Völkerrechtslage völlig eindeutig ist: Beide Gebiete - Abchasien und Südossetien
- gehören völkerrechtlich zu Georgien. Dass es im Augenblick völlig undenkbar
ist, über den künftigen Status der Gebiete zu reden, muss man verstehen. Aber
die Frage ist offen.
Süddeutsche.de: Die fünf Kriegstage haben im Südkaukasus schwere
Schäden angerichtet und viele unschuldige Zivilisten das Leben gekostet. Hätte
der Westen Georgien entschlossener verteidigen sollen?
Klose: Was meinen Sie mit dem Wort "verteidigen"?
Süddeutsche.de: Sofort energischer einschreiten und Russland zum
Stopp der militärischen Aktionen in Georgien auffordern. Einige Kommentatoren
sagen, Moskau habe "eine Mücke mit dem Vorschlaghammer erschlagen" ...
Klose: ...Wissen Sie, mein Problem ist - und das haben alle Kollegen,
mit denen ich über den Konflikt spreche, für sich bestätigt -, dass wir wirklich
zu wenig Informationen und ein unklares Bild haben. So können wir die
Schuldfrage im Großen und im Detail nicht beantworten. Es scheint so zu sein,
dass es zunächst in Südossetien Schießereien gegeben hat, die dann auf
georgischer Seite dazu führten, dort massiv einzumarschieren - das hat dann zu
einer Reaktion auf der russischen Seite geführt. Man sollte sich aber nicht auf
der Grundlage von Spekulationen äußern. Das sind keine Fakten. Wir sollten uns
im Augenblick darauf konzentrieren, die humanitäre Situation in dem Krisengebiet
zu verbessern.
Süddeutsche.de: Auch nach der Waffenruhe zwischen Russland und
Georgien gehen "ethnische Säuberungen" in der Provinz Südossetien offenbar
weiter. Die finnische Chefin der OSZE-Mission (Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa) in Tiflis, Terhi Hakala, sagte, sie bekomme "weiter
beunruhigende Berichte von verschiedenen Seiten". Verfügen Sie über genauere
Informationen?
Klose: Das ist angesprochen worden im Auswärtigen Ausschuss. Aber wir
haben keine belastbaren Informationen darüber. Das ist ein großes Problem. Wir
befinden uns im Augenblick in der Phase, dass von beiden Seiten der Versuch
unternommen wird, den Krieg der Worte und Bilder zu gewinnen - aus jeweils
innenpolitischen und internationalen Gründen. Es ist sehr schwierig, zu
durchschauen, was da wirklich vor sich gegangen ist und vor sich geht. Ich
glaube, auch die Bundesregierung hat noch immer kein völlig klares Bild.
Süddeutsche.de: Trotz seines Himmelfahrtskommandos in Südossetien und
des verlorenen Kampfes mit Russland, der Georgien viel Leid gebracht hat,
genießt Georgiens Präsident Saakaschwili bei US-Präsident Bush noch immer hohes
Ansehen. Wie kommt das?
Klose: Saakaschwili hat in den USA studiert und hat von Anfang an
einen guten Draht gehabt zu den Amerikanern. Die haben sich um Georgien sehr
bemüht - und das wiederum in einer Weise, von der einige Beobachter sagen, das
habe eher zum Verstärken der Spannungen als zu deren Minderung beigetragen.
Süddeutsche.de: Vor einigen Monaten wollte US-Präsident Bush sogar
Georgien den Weg zur Nato-Mitgliedschaft bahnen. Ein schwerer politischer
Fehler?
Klose: Es war jedenfalls richtig, im Zuge der Nato-Osterweiterung den
Schritt der Aufnahme Georgiens in das Programm „Membership Actionplan“ nicht zu
machen; unter anderem wegen der ungelösten Konflikte. Stellen Sie sich mal vor:
Georgien wäre heute Mitglied der Nato - dann hätten wir eine unmittelbare
militärische Konfrontation zwischen Russland und der Nato.
Lesen Sie auf Seite drei, wie die USA und Russland miteinander um Respekt
ringen und wie wichtig die Europäer als Vermittler zwischen den beiden
Supermächten sind.
» Wir erleben zwischen Russland und den USA eine Fortsetzung dieses
Ringens um Respekt und Anerkennung, und es wäre sehr gut, wenn auf
beiden Seiten verbal abgerüstet würde. «
Hans-Ulrich Klose |
Süddeutsche.de: Der Konflikt im Südkaukasus hat inzwischen auch
so zu einer ernsthaften Krise zwischen den Supermächten USA und Russland
geführt. Ist das nur ein aktuelles Phänomen oder erwarten Sie einen neuen,
jahrelangen Machtkampf zwischen Amerika und Russland?
Klose: Russland hatte seit längerer Zeit das Bestreben, sich als
ernstzunehmende Großmacht zu etablieren. Das hat es jetzt dank günstiger
Umstände - Stichwort Energiepreise - geschafft und ist jetzt eben
aufgetreten wie eine Großmacht, die ernstgenommen werden will. Die USA leben
seit der Zeitenwende 1989/90 unter der Rubrik "Einzig verbliebene
Supermacht". Nun aber melden sich neben Russland auch die Chinesen und Inder
mit Ansprüchen, Supermacht zu sein. Amerika hat erkennbare Schwierigkeiten,
sich mit dieser Situation abzufinden - und hat deshalb im Verhältnis zu
Russland öffentlich häufig eine Tonlage gebraucht, die aus russischer Sicht
als demütigend empfunden wurde. Wir erleben eine Fortsetzung dieses Ringens
um Respekt und Anerkennung, und es wäre sehr gut, wenn auf beiden Seiten
verbal abgerüstet würde.
Süddeutsche.de: Aus Moskau kommt die Forderung, dass sich die USA
bei ihrer Partnerwahl entscheiden müssten - zwischen Georgien oder Russland
|
Klose: Wenn man so will, hatte die Großmacht Russland - nicht erst
die Sowjetunion - immer eine gewisse Tendenz: Ihre Nachbarn waren entweder
Feinde oder Vasallen. Da gibt es eine historische Tradition, die natürlich
nicht in die heutige Zeit passt.
Richtig ist, dass der Westen insgesamt ein Interesse daran hat, mit
Russland partnerschaftlich zusammenzuarbeiten, weil wichtige politische
Probleme nicht gelöst werden können ohne die konstruktive Mitarbeit der
Russen. Nehmen Sie doch den Iran mit seinen nuklearen Ambitionen. Dazu kommt
noch, dass es zwischen Europa und Russland wechselseitig starke
wirtschaftliche Interessen gibt. Russland ist unser Nachbar, Russland ist
ein großer Markt, Russland liefert in steigendem Umfang Energie. Anderseits
sind die Europäer ein wichtiger Kunde Russlands und wir Deutschen das
einzige Land, das bei der Modernisierung seiner Wirtschaft wirklich hilft.
Diese Interessenlage ist dominant. Das heißt aber nicht, dass man Georgien
fallen lässt. Aber man kann sich auch nicht in Konflikte hineinbegeben,
deren Entstehung und Ausgang schwer einzuschätzen ist.
Süddeutsche.de: Die USA sehen das anders. Außenministerin Rice
spricht von einer möglichen Isolierung Moskaus. Die Dinge lägen nicht mehr so
wie 1968, als die Sowjetunion in der damaligen Tschechoslowakei einmarschierte,
die dortige Regierung stürzte und damit einfach davongekommen sei. Das Vorgehen
Moskaus werfe die Frage auf, ob Russland der passende Partner für eine Reihe von
internationalen Gremien sei. Ist das nur verbales Säbelrasseln oder eine
ernsthafte Drohgebärde?
15.08.2008
Süddeutsche.de
***
Nach dem Krieg die Diplomatie
Staats- und Regierungschefs suchen nach Lösungen
im Georgien-Konflikt
Die
deutsche Bundeskanzlerin Merkel ist am Freitag beim russischen Präsidenten
Medwedew eingetroffen. Gleichzeitig ist die amerikanische Aussenministerin Rice
in Tbilissi empfangen worden.
ubl. Der Konflikt um die abtrünnigen georgischen
Provinzen Südossetien und Abchasien werden gegenwärtig hauptsächlich auf
diplomatischem Parkett fortgesetzt. Dabei sind gleich mehrere westliche Staats-
und Regierungschefs aktiv.
Merkel wirbt für Waffenstillstand
Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel ist zu einem
Treffen mit dem russischen Präsidenten Medwedew in Sotschi eingetroffen. In der
Sommerresidenz von Medwedew soll insbesondere die Möglichkeit eines dauerhaften
Waffenstillstands erörtert werden. Merkel will aber auch die Notwendigkeit
rascher humanitärer Hilfe in den vom Krieg betroffenen Gebieten thematisieren.
Demnächst will das IKRK mit einer Delegation nach
Südossetien reisen, nachdem die Behörden am Donnerstag dazu grünes Licht gaben.
Beim IKRK ist man sich jedoch bewusst, dass die Situation in der Krisenregion
nach wie vor äusserst gefährlich ist. Die Verantwortlichen der Organisation
gehen davon aus, dass mehrere zehntausend Personen auf Hilfe und Schutz
angewiesen sind.
Im eineinhalbstündigen Gespräch zwischen Merkel
und Medwedew will Merkel laut Angaben aus Delegationskreisen die Reaktion
Russlands auf das militärische Vorgehen Georgiens als unverhältnismässig
kritisieren. Medwedew seinerseits wird nach offiziellen russischen Angaben
Beweise für georgische Kriegsverbrechen vorlegen.
Rice nimmt Einfluss in Georgien
Ebenfalls um die Sicherung einer langfristigen
Waffenruhe geht es bei der Mission der amerikanischen Aussenministerin Rice, die
am Freitag in Tbilissi eingetroffen ist. Sie will die georgische Regierung dazu
bewegen, den Friedensplan des französischen Staatschefs und gegenwärtigen
EU-Ratsvorsitzenden Sarkozy anzunehmen. Der Plan verlangt der georgischen
Regierung einige Zugeständnisse gegenüber Russland ab.
Patrouillen über die Grenze
So sollen die russischen Truppen die Erlaubnis
erhalten, über die Grenzen Südossetiens hinaus zehn Kilometer in georgisches
Gebiet hinein Patrouillen durchzuführen. Diese Kontrollgänge könnten so lange
aufrecht erhalten werden, bis eine internationale Friedens- und
Beobachtungstruppe die Situation kontrolliert. Die georgische Regierung
ihrerseits erhofft sich Unterstützung für einen raschen Abzug der russischen
Truppen. Die Aussenministerin betonte, dass die USA Georgien niemals zu einem
Abkommen drängen würden, dass den Interessen des Landes widerspräche, Rice hatte
Russland zuvor aufgefordert, den Waffenstillstand einzuhalten, um nicht in eine
«vertiefte Isolation» abzugleiten.
15. August 2008, 14:02, NZZ Online (Schweiz)
***
Vorwürfe zu Streumunition zurückgewiesen
(sda/dpa) Russland weist die Anschuldigung von Human Rights Watch (HRW)
über einen Einsatz von umstrittener Streumunition zurück. Ein Einsatz sei
nicht nötig gewesen, sagte der stellvertretende Generalstabschef Anatoli
Nogowizyn. Nach Angaben eines ranghohen Sprechers des russischen
Verteidigungsministeriums habe sich die Menschenrechtsorganisation Human
Rights Watch unter anderem auf Berichte georgischer Militärs berufen. Dies
seien aber keine unparteiischen Experten. «Das ist eine weitere
Desinformation, die Georgien in Umlauf gesetzt hat», sagte der Militärsprecher
gemäss der Nachrichtenagentur Interfax. Nach Darstellung von Human Rights
Watch hatten russische Truppen bei Luftangriffen auf die Stadt Gori und die
Ortschaft Ruisi nahe der Grenze zu Südossetien am vergangenen Dienstag
Cluster-Bomben vom Typ RBK-250 abgeworfen. Dabei seien etwa elf Personen
getötet und Dutzende verletzt worden.
Die georgischen Truppen zogen sich unterdessen nach russischen Angaben in
ihre Kasernen zurück. Damit werde eine Bedingung Moskaus für ein Ende der Kämpfe
in Georgien erfüllt, sagte der Vize-Chef des russischen Generalstabs.
Im Zentrum der georgischen Stadt Gori waren am Freitag keine russischen Soldaten
zu sehen. Wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete, waren
allerdings zahlreiche gepanzerte Fahrzeuge der russischen Armee in einem
Stützpunkt wenige Kilometer von der Stadt entfernt stationiert.
Unterschiede in der westlichen Haltung
Der Konflikt um Südossetien und Abchasien hat unter westlichen Staaten zu
unterschiedlichen Stellungnahmen gegenüber Russland geführt. Während Frankreich
und Deutschland auf einen Dialog mit Russland setzen, haben sich die USA und die
osteuropäischen Staaten innerhalb der EU wesentlich dezidierter gegen das
russische Vorgehen ausgesprochen. Der russische Botschafter in Deutschland,
Wladimir Kotenew, sagte dazu vor Merkels Besuch, sein Land wolle keinen Keil in
die EU treiben. Zugleich forderte er die EU dazu auf, die Russland-Politik der
Union nicht von den osteuropäischen Staaten innerhalb der Gemeinschaft diktieren
zu lassen.
15.08.2008 sda/dpa
***
Russland und USA auf Konfrontationskurs |
WASHINGTON/TIFLIS. Russland und die USA bleiben im
Kaukasus-Konflikt auf Konfrontationskurs. Während der russische Präsident
Dmitri Medwedew offen die Grenzen der früheren Sowjetrepublik infrage
stellt, rief US-Präsident George W. Bush Russland am Freitag zum Abzug aus
Georgien auf.
„Moskau muss seine Zusage einhalten und seine Invasionskräfte vom
gesamten Territorium Georgiens abziehen“, sagte Bush am Freitagvormittag
(Ortszeit) in einem kurzen Presseauftritt vor dem Weißen Haus in Washington.
Er fügte jedoch hinzu, dass die USA kein Interesse an einer streitsüchtigen
Beziehung mit Russland hätten.
Rice auf Solidaritätsbesuch in Tiflis
Wenige Stunden zuvor war US-Außenministerin Condoleezza Rice zu einem
Solidaritätsbesuch in Tiflis eingetroffen. Dort äußerte sie Unterstützung
für den EU-Friedensplan, meldete aber zugleich Klärungsbedarf bei einigen
Punkten an. Dieser sieht vor, dass sich die Konfliktparteien auf ihre
Positionen vor dem Ausbruch des fünftägigen Kriegs zurückziehen. Rice sagte
dazu, dass Tiflis „sehr viel erreicht“ hätte, wenn Moskau den Status quo vor
dem Konflikt akzeptieren würde. Russland ist schon seit Jahren in
Südossetien und Abchasien mit „Friedenstruppen“ präsent.
In der russischen Zeitung „Kommersant“ beschuldigte Saakaschwili Russland
erneut, den Einmarsch der georgischen Truppen in der vergangenen Woche in
Südossetien von langer Hand mit Angriffen auf georgische Friedenssoldaten
und die Zivilisten provoziert zu haben. Russische Angaben, wonach bei dem
georgischen Angriff rund 2000 Zivilisten getötet wurden, wies Saakaschwili
als „furchtbare Lüge“ zurück. Er versicherte, Georgien werde sich „niemals
einem Kompromiss“ mit Moskau beugen. Bei den Verhandlungen könne es nur um
einen vollständigen Rückzug der „russischen Besatzungskräfte“ gehen.
Russland soll Streubomben einsetzen
Nach Informationen von Human Rights Watch (HRW) setzte Russland im
Konflikt Streubomben ein. Bomben des Typs RBK-250 seien am 12. August auf
die georgische Stadt Gori und deren Umland abgeworfen worden, berichtete die
Menschenrechtsorganisation unter Hinweis auf Interviews mit Opfern,
Medizinern und der georgischen Armee sowie auf Videos. Dabei wurden laut HRW
mindestens elf Menschen getötet und zahlreiche andere verletzt. Der
russische Vize-Generalstabschef Anatoli Nogowizyn wies die Vorwürfe als
„sorgsam vorbereitete Lüge“ zurück.
Georgische Truppen ziehen sich in Kasernen zurück
In Georgien schien sich die Lage zu entschärfen. Laut Nogowizyn zogen
sich die georgischen Truppen in ihre Kasernen zurück und erfüllten damit
eine Bedingung Moskaus. Auch im Zentrum der georgischen Stadt Gori waren am
Freitag keine russischen Soldaten zu sehen. Die georgischen Behörden
meldeten jedoch neuerlichen russischen Raketenbeschuss auf Gori, die
Hafenstadt Poti und die Ölpipeline nach Supsa. In der zerstörten
südossetischen Hauptstadt Zchinwali trafen indes 190 Tonnen Hilfsgüter aus
Russland ein.
Russische Soldaten fanden in der Nähe der westgeorgischen Stadt Senaki
ein „riesiges Waffenlager“ mit US-Gewehren. Insgesamt seien 1728 Waffen
beschlagnahmt worden, darunter 664 Sturmgewehre und zahlreiche weitere
Scharfschützengewehre amerikanischer Bauart, sagte Nogowizyn.
15.08.2008 apa/nachrichten.at (Österreich)
|
***
Moskau vs. Tiflis
"Vergesst Gerede über Georgiens Souveränität"
Offiziell gilt der Waffenstillstand im Kaukasus,
doch auf Frieden stehen die Zeichen nicht. Russland zerstört nach wie vor
georgische Militärbasen und hält die Separatismusfrage ohnehin schon für
beantwortet.
Die heiße Frage des Krieges im Kaukasus scheint
vorerst beendet, doch an den Feinseligkeiten zwischen Russland und Georgien hat
sich wenig geändert.
Vor allem Moskau kostet seine militärische
Überlegenheit aus. Georgische Medien berichten, dass russische Truppen nach wie
vor im georgischen Kernland operieren.
So seien Soldaten erneut in die Hafenstadt Poti am
Schwarzen Meer eingerückt, um dortige Radaranlagen unbrauchbar zu machen. Aus
der Stadt Senaki vor der Grenze zum abtrünnigen Gebiet Abchasien berichtete der
georgische Rundfunk, dass russische Verbände georgische Munitionslager
ausräumten. In Gori, 60 Kilometer vor der georgischen Hauptstadt Tiflis,
zeichnet sich die Übergabe der Stadt an georgische Behörden ab.
Über den Einsatz der russischen Militäreinheiten
im georgischen Kernland gehen die Ansichten auseinander. Die georgische Führung
sieht darin einen Bruch der am Dienstag vereinbarten
Waffenstillstands-Erklärung. Russland dagegen begründet weitere Einsätze in
Georgien mit der Notwendigkeit, zukünftige Gewalt zu verhindern.
Wie wenig sich Moskau um Tiflis schert, wird auch
an den jüngsten Äußerungen des russischen Außenministers Sergej Lawrow deutlich.
Der stärkte die beiden nach Unabhängigkeit strebenden georgischen Regionen
Südossetien und Abchasien eindeutig den Rücken - auf Kosten von Georgien.
"Das Gerede über die territoriale Unversehrtheit
Georgiens kann man vergessen", sagte Lawrow vor Journalisten. "Denn es ist
meiner Ansicht nach unmöglich, Südossetien und Abchasien zu überreden, der Logik
zuzustimmen, dass sie in den georgischen Staat zurück gezwungen werden können."
Zur gleichen Zeit wurde bekannt gegeben, dass
Präsident Dmitrij Medvedjew die Führer der beiden separatistischen Regionen im
Kreml zu einem Gespräch empfangen hat - und in die selbe Kerbe schlug wie sein
Außenminister.
Russlands Position habe sich nicht geändert, sagte
Präsident Dmitrij Medwedew bei dem Treffen. "Wir werden jede Entscheidung der
Menschen in Südossetien und Abchasien unterstützen", wurde Medwedew von der
russischen Nachrichtenagentur Interfax zitiert.
Die international nicht anerkannten Präsidenten
der Regionen, Eduard Kokojty und Sergej Bagapsch, unterzeichneten in Anwesenheit
des Kremlchefs den ausgehandelten Waffenstillstand.
Der russische Staatschef will es nicht bei diesem
Papier belassen. Medwedjew forderte einen vertraglich fixierten Gewaltverzicht
von Georgien.
Die Regierung in Tiflis müsse sich in einem
Abkommen dazu verpflichten, ihre abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien
nicht anzugreifen. Dies sei wichtiger als Resolutionen oder Erklärungen der UN.
Das in der Krise vermittelnde Frankreich solle
Georgien zu einem solchen Abkommen bewegen. Die international nicht anerkannten
Präsidenten Südossetiens und Abchasiens wollten in Moskau den EU-Friedensplan
unterzeichnen, den Frankreich am Dienstag vorgelegt hatte.
Auf die harte Kritik aus den USA reagierte
Russland auf seine Weise. Washington solle künftig ihre Partner im Kaukasus
sorgfältig auszuwählen. Die US-Regierung müsse sich eines Tages zwischen dem
"virtuellen Projekt" Georgien und einer wirklichen Partnerschaft entscheiden,
sagte Außenminister Sergej Lawrow am Mittwochabend. Das Festhalten an Präsident
Saakaschwili sei ein "gefährliches Spiel".
14.08.2008 Süddeutsche.de
***
USA: Russen unterstützen Abchasien
Die USA haben Russland vorgeworfen, an der Vertreibung
georgischer Truppen aus der Kodori-Schlucht in der abtrünnigen Region Abchasien
beteiligt gewesen zu sein. Die russische Luftwaffe habe abchasische Kämpfer bei
dem Einsatz unterstützt.
TIFLIS - Diesen Vorwurf erhob der US-Beauftragte für die Region, Matthew
Bryza, am Donnerstag im georgischen Fernsehen. Der gemeinsame Einsatz von
abchasischen Einheiten und dort stationierten russischen Friedenstruppen gegen
die georgischen Soldaten sei "geplant" gewesen.
Die georgische Regierung hatte am Dienstag den Rückzug der georgischen
Truppen aus der Kodori-Schlucht bekanntgegeben. Das Gebiet war bis dahin die
einzige Region Abchasiens, die noch von Georgien kontrolliert wurde.
Abchasische Soldaten hatten zuvor nach eigenen Angaben georgische Soldaten in
der hart umkämpften Schlucht eingekesselt. (afp)
14.08.2008 afp
***
Kaukasus-Krise
Russen stärken Separatisten den Rücken
Russland hat den abtrünnigen Regionen der Kaukasus-Republik Georgien
demonstrativ Unterstüzung zugesichert. Außenminister Sergej Lawrow sagte,
das Gerede über die territoriale Unversehrtheit Georgiens könne man
vergessen. Südossetien und Abchasien könnten nicht in den georgischen Staat
zurückgezwungen werden. Im Kreml empfing der russische Präsident Dmitri
Medwedew die selbsternannten Führer der beiden Gebiete. Bei dem Treffen
unterschrieben diese den Friedensplan, der unter Vermittlung der EU zustande
gekommen gekommen war.
Eine Kolonne russischer Panzer unterwegs in Südossetien.
Zweifel an russischem Abzug
Die georgische Regierung dementiert eigene Berichte, wonach russische
Truppen mit dem Rückzug aus der Stadt Gori begonnen haben. Stattdessen
verstärke Moskau seine Einheiten. Georgische Medien berichteten, die
russischen Soldaten würden gezielt Radaranlagen und Munitionslager der
georgischen Armee zerstören. Nach Auskunft der russischen Armeeführung
werden die russischen Soldaten noch zwei Tage in der Region um Gori bleiben,
um die Kontrolle an georgische Behörden zu übergeben. Noch am Mittwoch hatte
Russland erklärt, es habe keine Truppen in der Stadt. Gori liegt im
Grenzgebiet zu Südossetien und etwa 60 Kilometer östlich der Hauptstadt
Tiflis.
USA drohen Russland mit Isolation
Unterdessen hat sich der Ton zwischen Russen und Amerikanern verschärft.
Die USA warnten Russland vor einer weltweiten Isolation, sollte es erneut
Georgien angreifen. US-Verteidigungsministerin Condolezza Rice sagte, die
Dinge lägen nicht mehr so wie 1968, als Russland in der damaligen
Tschechoslowakei einmarschiert sei und die dortige Regierung einfach
gestürzt habe. Dagegen forderte Russland die USA auf, ihren Partner auf dem
Kaukasus künftig sorgfältig auszuwählen. Außenminister Sergej Lawrow sagte,
das Festhalten an Präsident Saakaschwili sei ein "gefährliches Spiel". Am
Freitag trifft Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sotschi mit dem russischen
Präsidenten Medwedew zusammen. US-Außenministerin Rice will sich am Freitag
in Tiflis über die Lage in Georgien informieren.
Karte von Georgien mit den abtrünnigen Provinzen Südossetien und
Abchasien.
15.08.2008 MDR Aktuell
***
Krieg am Kaukasus
Erneut russische Militäraktionen in Georgien
Nach der Verwirrung um den russischen Truppenabzug soll es zu neuen
Militäraktionen in Georgien gekommen sein. Der Generalstab in Moskau
dementiert. US-Verteidigungsminister Robert Gates schließt ein militärisches
Eingreifen der USA in dieser Lage aus.
Nach dem Ende des Blutvergießens im Südkaukasus ist der Waffenstillstand von
neuen russischen Militäraktionen in Georgien überschattet worden. Aus mehreren
Orten gab es am Donnerstag Berichte, wonach Soldaten im georgischen Kernland
Waffenarsenale und Militärbasen zerstörten. Georgische Medien berichteten von
Explosionen unter anderem in der Stadt Gori. Der Generalstab in Moskau
betonte, man führe in der von Flucht und Vertreibung gekennzeichneten Region
keinen Krieg mehr. Die Lage der Flüchtlinge war weiter verheerend. Nach
Angaben der EU- Kommission benötigen etwa 150.000 Menschen rasche Hilfe.
Für Wirbel sorgte Russlands Außenminister Sergej Lawrow mit seinen Bemerkungen
über Georgiens Grenzen. "Das Gerede über die territoriale Unversehrtheit
Georgiens kann man vergessen", sagte Lawrow vor Journalisten in Moskau. "Es
ist meiner Ansicht nach unmöglich, Südossetien und Abchasien zu überreden, der
Logik zuzustimmen, dass sie in den georgischen Staat zurück gezwungen werden
könnten."
Was vom Krieg übrig bleibt
Zugleich empfing der russische Präsident
Dmitri Medwedew die Führer der beiden separatistischen Regionen im Kreml.
Die selbsternannten Regierungen Südossetiens und Abchasiens stimmten dabei der
Vereinbarung für einen Waffenstillstand im Südkaukasus ebenfalls zu. Dabei
äußerte Medwedew Verständnis für die Bestrebungen in beiden Regionen zur
Loslösung von Georgien. "Russland wird jede Entscheidung der Menschen in
Südossetien und Abchasien unterstützen", sagte der Präsident.
Der Kreml gab ferner zu, dass russische Truppen Waffen und Munition von einem
georgischen Militärstützpunkt abtransportieren. Auch am Rand der Hafenstadt
Poti suchten russische Soldaten nach georgischen Waffen.

Unterdessen hat das von der Partei des georgischen Präsidenten
Michail Saakaschwili dominierte Parlament in Tiflis den Austritt des
Landes aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) beschlossen. Die 1991
gegründete Organisation sei von Moskau dominiert, begründete das
Staatsoberhaupt den Schritt. In der GUS hatten sich nach dem Zerfall der UdSSR
alle ehemaligen Sowjetrepubliken außer Estland, Lettland und Litauen
zusammengeschlossen. Praktisch hat die Gemeinschaft nur noch wenig Bedeutung,
der Schritt gilt dennoch als starkes symbolisches Zeichen für eine Abkehr von
Russland.
Aus Washington waren moderatere Töne zu hören als in den letzten Tagen.
Verteidigungsminister Robert Gates erklärte, die USA halten in der derzeitigen
Lage kein militärisches Eingreifen in dem Konflikt für nötig. Washington hätte
45 Jahre lang sehr hart daran gearbeitet, einen militärischen Konflikt mit
Moskau zu vermeiden, und sähen "keinen Grund, diesen Ansatz heute zu ändern".
Er fügte hinzu: "Anscheinend ziehen sich die russischen Kräfte in die
Konfliktzonen zurück." Die Mission von militärischer Seite beschränke sich
derzeit ausschließlich auf humanitäre Hilfe. Russland hatte verärgert auf
Forderungen aus den USA reagiert, Moskau international zu isolieren.
14.08.2008 Stern Online
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Russen werfen Georgiern Völkermord
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Extra: Krieg im Kaukasus
US-Außenministerin
Condoleezza Rice legte auf ihrem Weg nach Tiflis einen Zwischenstopp in
Süd-Frankreich ein, um mit Präsident Nicolas Sarkozy über die Kaukasuskrise zu
beraten. Rice hatte Russland zuvor vor einer "vertieften Isolation" gewarnt,
sollte Moskau den Waffenstillstand in der Region weiter verletzten. Mit ihrem
Besuch in Georgien wolle sie "die Unterstützung für die demokratisch gewählte
Regierung" unterstreichen, betonte Rice.
Frankreich kündigte unterdessen an, seinen Sechspunkteplan für ein Ende der
Feindseligkeiten in Georgien noch diese Woche dem UN-Sicherheitsrat
vorzulegen. Der Resolutionsentwurf basiere auf dem Waffenstillstand, den
Sarkozy zwischen Russland und Georgien vermittelt habe.
Die Lage im Kaukasus bleibt angespannt. Welche
Auswirkungen haben die Konflikte um Abchasien und Südossetien? Und: Was ist zu
tun? Diskutieren Sie das Thema im
Der russische Nato-Botschafter Dmitri Rogosin warnte derweil, Moskaus
Verhältnis zum Militärbündnis werde sich als Folge des Kaukasus-Konflikts
ändern. Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer hatte Russland am Dienstag
übertriebene Gewalt vorgeworfen und Georgien als einen Freund des Bündnisses
und möglichen Beitrittskandidaten bezeichnet.
14.08.2008 Stern Online
***
Abchasien und Südossetien billigen Friedensplan
Langsamer russischer Abzug aus Georgien
Die
Führer der abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien haben in
Moskau dem Friedensplan zugestimmt. Russland sicherte den Separatisten
Unterstützung zu. Die Lage in Georgien bleibt angespannt.
gho. Moskau, 14. August
Russland hat die von Georgien abtrünnig gewordenen
Regionen Südossetien und Abchasien seiner Unterstützung versichert. Der
russische Präsident Medwedew sagte am Donnerstag in Moskau im Beisein der beiden
De-facto-Präsidenten Sergei Bagapsch (Abchasien) und Eduard Kokoity
(Südossetien), dass Russlands Standpunkt unverändert sei. Jede Entscheidung, die
von der Bevölkerung Abchasiens und Südossetiens getroffen werde und im Einklang
mit internationalen Regeln stehe, werde unterstützt. Zudem werde Russland als
Garant für diesen Status fungieren. Zuvor hatten die Vertreter Abchasiens und
Südossetiens den zwischen dem russischen und dem französischen Präsidenten
ausgehandelten Friedensplan unterzeichnet. Die Aussagen des russischen
Präsidenten galten der georgischen Forderung, beim sechsten Punkt den Hinweis
auf Diskussionen über den zukünftigen Status der abtrünnigen Regionen
wegzulassen.
Keine Angst vor Isolierung
Die beiden De-facto-Präsidenten erklärten vor
Journalisten, die Unabhängigkeit anstreben zu wollen. Kokoity sagte aber, dass
kein drittes Referendum über die Unabhängigkeit beabsichtigt sei. In zwei
international nicht anerkannten Abstimmungen hatte die südossetische Bevölkerung
bereits mit grosser Mehrheit für die Unabhängigkeit gestimmt. Der russische
Aussenminister Lawrow goss zusätzlich Öl ins Feuer, als er gegenüber dem
Radiosender Echo Moskwy sagte, dass die territoriale Integrität Georgiens de
facto wegen des Kriegs limitiert sei. Inwiefern Russland tatsächlich an einer
Unabhängigkeit der separatistischen Regionen interessiert ist, sei
dahingestellt. Bisher hatte Moskau die Separatisten zur Destabilisierung
Georgiens eingesetzt.
Lawrow sagte
auch, er befürchte nicht, dass Russland international isoliert werde. Eine
solche Isolierung sei nicht durchführbar. Die Verzögerung der Aufnahme in die
Welthandelsorganisation finde jetzt schon statt. Der Ausschluss Russlands aus
der G-8 werde zurzeit nur von den Vereinigten Staaten verlangt. Medwedew
forderte die Unterzeichnung eines rechtlich verbindlichen Verzichts auf Gewalt,
den alle Seiten unterschreiben und den Russland, die EU und die Organisation für
Sicherheit und Kooperation in Europa garantieren sollten.
Die Lage in Georgien blieb angespannt. Die
georgische Seite berichtete von Zerstörungen von militärischen Anlagen und
Material in Poti und Senaki. Diese Städte liegen ausserhalb der Konfliktzone.
Laut der russischen Agentur Interfax sagte ein Sprecher der russischen
Streitkräfte, diese hielten die Städte nicht besetzt. Es sei aber die Kontrolle
über Militärstützpunkte und Munitionsdepots in der Nähe von Poti, Senaki und
Gori etabliert worden. Unklar ist vor allem die Situation in der Stadt Gori, die
in der Nähe zur südossetischen Grenze liegt und eine strategisch wichtige
Position an der Hauptverkehrslinie zwischen westlichen und östlichen Teilen
Georgiens einnimmt. Am Morgen hiess es noch, dass georgische Polizisten die
Stadt betreten dürften. Laut einem Bericht der Agentur Reuters wurden georgische
Polizisten von der russischen Armee in die Stadt eingeladen. Die russische Seite
habe aber lediglich versprochen, die Stadt in einigen Tagen zu übergeben.
Offenbar soll Gori kontrolliert werden, solange noch Friedensverhandlungen
laufen. Journalisten berichteten von plündernden Banden in der Umgebung der
Stadt. Anatoli Nogowizyn, der stellvertretende Chef des russischen Generalstabs,
sagte, dass er noch nicht sagen könne, wann die russischen Truppen Südossetien
verlassen würden. Der Generalstab habe aber die Verstärkungen aufgehalten, die
auf dem Weg nach Georgien gewesen seien. Er betonte, dass Russland
«Friedenstruppen» in Südossetien belassen werde.
115 000 Flüchtlinge
Laut dem Uno-Flüchtlingshilfswerk müssten rund 115
000 Personen als Flüchtlinge und Vertriebene gelten. In Nordossetien und in
Russland sollen sich 15 000 Flüchtlinge aus Südossetien aufhalten. Insgesamt
halten sich nach russischen Angaben 30 000 Flüchtlinge in Russland auf. Weitere
15 000 Personen aus Südossetien brachten sich laut dem Uno-Flüchtlingshilfswerk
im georgischen Kernland in Sicherheit. Dort gebe es schätzungsweise weitere 68
000 Vertriebene, die meisten stammten aus der Stadt Gori. Es ist noch unklar,
wie viele Todesopfer der Krieg gefordert hat. Die Menschenrechtsorganisation
Human Rights Watch bezweifelt aber die Zahl von 1600 Toten, die von russischer
Seite genannt wird. Bereits am ersten Tag der georgischen Offensive habe die
südossetische Führung von 1400 Opfern gesprochen.
14. 08.2008, Neue Zürcher Zeitung (Schweiz)
***
Das Phantom der Souveränität
Solange Georgien im Nationalismus gefangen bleibt,
wird es sich von Russland nicht lösen können
Selbst für einen Georgier
ist es nicht leicht, die Rationalität des plötzlichen Angriffs auf die von den
Russen protegierte abtrünnige Provinz Südossetien zu erfassen. Der georgische
Nationalismus ist einer der Faktoren, welche politischen Problemlösungen
entgegenstehen.
Von Devi Dumbadze
Nicht einmal eine Woche ist seit dem Befehl
Präsident Saakaschwilis vergangen, in die Hauptstadt Südossetiens
einzumarschieren. Das georgische Militär wurde zurückgeschlagen, es hat kaum
zwei Tage gekämpft. Sobald russische Panzer rollten und Luftangriffe einsetzten,
erklärte Georgien einseitig den Waffenstillstand. Russland nutzte die lang
ersehnte und vielfach provozierte Gelegenheit schnell und umfassend aus.
Südossetien steht nun vollständig unter seiner Kontrolle. Auch in Abchasien
wurden Kämpfe initiiert. Und mehr noch, russisches Militär steht im
mittelgeorgischen Gori, der Geburtsstadt Stalins. Es bleibt Drohpotenzial in den
Verhandlungen über den künftigen Status und die Rolle Georgiens in den
abtrünnigen Gebieten.
Demonstrative Unterstützung
Nur einen Tag nach ihrer eiligen Einberufung
wurden die Reservisten wieder nach Hause geschickt. Die Zahl der Toten bleibt
ungewiss. Georgien spricht offiziell von 200, Russland von über 1500.
Zehntausende sind geflüchtet. Die erste Bilanz ist schockierend: Neben den Toten
und Verwundeten gibt es rund 250 000 georgische Flüchtlinge aus Abchasien und
mehrere zehntausend aus Südossetien. Ihre Chancen, nach über fünfzehn Jahren in
ihre Heimat zurückzukehren, sind kleiner denn je.
Und doch lässt sich die georgische Regierung auf
dem Freiheitsplatz in Tbilissi euphorisch feiern. Die Opposition, vor kurzem
noch Gegner fast aller Aktionen Saakaschwilis, ist verstummt. Statt Kritik
herrscht Zustimmung und demonstrative Unterstützung. Die georgischen Medien
feiern den Präsidenten als Helden der Nation. Der führende Parlamentsabgeordnete
Bokeria ruft der Menge zu, noch tausend und abertausend Jahre werde sich
Georgien nicht in die Knie zwingen lassen. Dabei ist die schwerwiegende
militärische und politische Niederlage offenkundig.
Landesweit trauern Angehörige von verstorbenen
Soldaten, Reservisten und Zivilisten. Viele Georgier begreifen nicht, was
passiert ist, warum diese von Anfang an zum Scheitern verurteilte Aktion
gestartet wurde. Doch öffentliche Kritik ist selten, man fürchtet als Verräter
der Nation abgestempelt zu werden. Der soziale Druck ist gross. Die
Nachrichtensendungen im Fernsehen setzten, nach den üblichen Grussworten, mit
der Phrase ein: «Wir müssen alle zusammenhalten. Seid stark, seid einheitlich.»
Es ist ein Wunsch, zugleich aber auch eine Warnung.
Saakaschwilis Regierung hat sich verrechnet. In
gewissem Sinn denkt und handelt sie immer noch in den überkommenen
stalinistischen, voluntaristischen Kategorien. Diese wurzeln in den Kämpfen
zwischen den Gangs in den georgischen Strassen und spielen heute immer noch eine
grosse Rolle. In den Strassen ist die unbedingte Loyalität gegenüber dem
Schutzpatron die oberste Maxime: Der Untertan erfüllt dessen Forderungen, ohne
sie zu hinterfragen, er erhält im Gegenzug Schutz bei Problemen, gegen die
Polizei, gegen Behörden, gegen andere Gangs. Diese Tauschbeziehung von Loyalität
und Schutz unter Ungleichen scheint die heutige georgische Regierung auf ihr
Verhältnis zu den «befreundeten Staaten» zu übertragen. Dabei verkennt sie die
strukturellen, sachlich vermittelten Herrschaftsverhältnisse zwischen modernen
Staaten.
Gegenüber der Nato, der EU und den USA verhält
sich Georgien wie gegenüber dem Schutzpatron. Der deklarierte Westkurs könnte
deutlicher nicht sein. Mit 2000 Soldaten stellte der georgische Staat das
drittgrösste militärische Kontingent im Irak – ein vergleichsweise hoher Preis
für seine Nato-Mitgliedschafts-Aspirationen. Die ökonomischen Reformen drücken
sich in extremer Liberalisierung aus, ohne dass die rechtsstaatlichen
Institutionen tiefgreifend reformiert und revitalisiert worden wären. Die
Regierung erntet viel internationales Lob, und dies trotz dem gewaltsamen
Vorgehen gegen die Opposition im November 2007, der Einschränkung der
Medienfreiheit, der Beeinflussung der Gerichte und anderen sozialen Problemen.
George Bushs Metapher von Georgien als «Beacon of Liberty», im Mai 2005 auf dem
Freiheitsplatz vorgetragen, wurde zum Gemeinplatz nicht nur in den georgischen
Medien.
Von seinen Schutzpatronen meint der loyale
Schützling Georgien Rückendeckung auch bei seinem abenteuerlichen Unternehmen in
Südossetien erwarten zu können. Zwar antwortete Saakaschwili auf die Frage, ob
er denke, Russland gegenüber militärisch erfolgreich sein zu können, er sei
nicht verrückt. Doch man hätte vor einigen Tagen einen Abgeordneten im Parlament
hören müssen, der mit überschäumender Emotionalität auf die «internationale
Gemeinschaft» schimpfte, die Georgien nun angesichts russischer Aggression im
Stich lasse. Die öffentliche Annahme, im Fall der Fälle würde der Westen
Georgien tatkräftig, also auch militärisch, zur Seite stehen, hatte sich zu
einer unverrückbaren Selbstverständlichkeit verfestigt. Die narzisstische
Selbstliebe und beinahe grössenwahnsinnige Selbstüberschätzung der georgischen
Regierung schien keine Zweifel darüber zuzulassen, dass die Freunde Georgiens
auch einen Krieg gegen Russland riskieren würden. Sie wurde schnell eines
Besseren belehrt.
Es ist schwierig, überhaupt eine einzige Erklärung
für die Gewissheit zu finden, mit der die militärische Lösung gesucht wurde.
Staatlicherseits war im Inneren seit längerem die nationalistische Stimmung und
Propaganda forciert worden. Seit 2008 unterhält das rasant gewachsene georgische
Militär einen eigenen, flächendeckend ausstrahlenden Fernsehsender Sakartwelo.
Zwischen täglichen Militärnachrichten, Dokumentarfilmen zur Kriegsführung und
der Glorifizierung georgischer Soldaten als Nationalhelden lief dort auch eine
Werbekampagne für die georgische Armee. Im Werbespot sah man georgische
Jugendliche bei ihrer Einschreibung in die Armee durch die Tore einer Kaserne
marschieren. Dieses Bild wurde mit einem Zitat überschrieben: «Ein und für alle
Mal müssen wir begreifen, dass wir die verlorenen Territorien niemals
zurückgewinnen werden, weder durch das zur Formalität gewordene Gebet noch durch
die Hoffnung auf die Liga der Nationen, sondern einzig und allein nur durch die
Kraft der Waffe. Adolf Hitler, 1932.»
Militanter Nationalismus
Dieser militante Nationalismus, der jeden Bezug
zur Realität zu verlieren droht, mag sich besonders aus den Kränkungen der
verlorenen Konflikte in Südossetien und Abchasien vor fünfzehn Jahren gespeist
haben. Georgien ist gefangen zwischen seiner Unterlegenheit gegenüber Russland
(als eigentlichem Feind hinter Abchasen und Osseten), seiner Angewiesenheit auf
internationale Hilfe (die jedoch von den Nato-Staaten in militärischer Form
nicht kommen wird) und der Selbstanforderung, den schmerzlichen Verlust der
territorialen Einheit wettzumachen.
Dieser Zwiespalt ist täglich in der Öffentlichkeit
zu spüren. Er lässt auch die Mengen das eigene Selbstbild der Heldennation
bejubeln. Georgien fehlt es an der Souveränität, Probleme politisch zu lösen,
und ebendies ist es, was bewirkt, dass der Konflikt statt in rechtlichen am Ende
bereitwillig in militärischen Kategorien angegangen wird. Es ist die
perpetuierte Erfahrung dieses Mangels, welche selbstzerstörerische militärische
Aktionen auch in Zukunft nicht unwahrscheinlich macht.
Der Georgier Devi Dumbadze, Jahrgang 1978, hat in
Tbilissi und Bochum Philosophie und Film- und Fernsehwissenschaften studiert. Er
promoviert zurzeit in Bochum über Fernsehtheorie und georgische Fernseh- und
Sozialgeschichte.
14. 08.2008, Neue Zürcher Zeitung (Schweiz)
***
Moskau stoppt die Angriffe
Die russische Armee
hat offenbar ihre Ziele im Kaukasus erreicht. Georgien hat die Provinzen
Südossetien und Abchasien verloren.
Moskau, Tiflis (SN, dpa, Reuters, AFP). Fünf Tage
nach Beginn der Kämpfe um Südossetien hat der russische Präsident Dmitrij
Medwedew am Dienstag das Ende des Militäreinsatzes in Georgien befohlen.
Indessen meldete die georgische Regierung, dass russische Kampfflugzeuge trotz
der Ankündigung Medwedews weiterhin georgische Dörfer bombardierten. Medwedew
begründet das Ende der Kampfhandlungen damit, dass "der Aggressor" bestraft
worden sei und "erhebliche Verluste erlitten" habe.
US-Präsident George W. Bush hatte Russland scharf
kritisiert. Russland sei "in einen souveränen Nachbarstaat eingefallen" und
bedrohe eine demokratisch gewählte Regierung, sagte Bush in der Nacht zum
Dienstag. Eine solche Handlung sei im 21. Jahrhundert inakzeptabel. Von Warschau
aus waren am Dienstag die Staatsoberhäupter Polens, Estlands und Litauens nach
Tiflis aufgebrochen, um sich mit Georgien und Präsident Michail Saakaschwili
solidarisch zu zeigen, wie der polnische Präsident Lech Kaczynski kurz vor dem
Abflug erklärte.
Der Generalstab in Moskau erklärte, die russischen
Truppen hielten ihre Stellung in Südossetien bis auf Weiteres bei. Der russische
Präsident machte eine dauerhafte Lösung des am Freitag eskalierten Konflikts von
zwei Bedingungen abhängig: Die georgischen Soldaten müssten sich auf ihre
Ausgangspositionen zurückziehen und sich teilweise entwaffnen lassen. Zudem
müsse es einen bindenden Gewaltverzicht geben. Der russische Außenminister
Sergej Lawrow forderte Saakaschwili zum Rücktritt auf. Saakaschwili könne kein
Verhandlungspartner mehr für Moskau sein.
Georgien hatte am Freitag versucht, mit einer
Militäroffensive die Kontrolle über das seit 1992 abtrünnige Südossetien
zurückzugewinnen. Russland hatte mit einer Gegenoffensive reagiert. Nach
russischer Darstellung wurden in der Region 1600 Zivilisten getötet und Tausende
andere obdachlos. Georgien sprach von 200 Toten und Hunderten Verletzten.
Der russische Generalstab dementierte Berichte
über Angriffe auf die Stadt Gori. Tatsächlich kamen in der Stadt durch russische
Bomben fünf Menschen ums Leben, darunter ein niederländischer Journalist.
Nach georgischen Angaben bombardierten russische
Flugzeuge außerdem erneut die wichtigste Öl-Pipeline des Landes sowie die
Umgebung von Gori südlich der abtrünnigen Provinz Südossetien. In Abchasien, der
zweiten abtrünnigen georgischen Provinz, kesselten abchasische Truppen nach
eigenen Angaben am Dienstag georgische Soldaten in der zwischen beiden Seiten
hart umkämpften Kodori-Schlucht ein. Abchasien hatte kurz zuvor eine
Militäroffensive gegen Georgien in der Schlucht angekündigt. Sie ist das einzige
Gebiet in der Region, das von Georgien kontrolliert wird.
Georgien will als Konsequenz aus dem Krieg im Südkaukasus die im
Dezember 1991 gegründete "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS) verlassen.
Präsident Michail Saakaschwili forderte auch die Ukraine und weitere Länder auf,
aus der "von Russland dominierten" Organisation auszutreten. Der GUS gehören
alle ehemaligen Sowjetrepubliken außer den Staaten Estland, Lettland und Litauen
an.
13.08.2008 Salzburger Nachrichten
(Österreich)
***
Nach dem Krieg
Ein Frieden bringt viele Fragen und wenig Antworten.
Der Fünftagekrieg in Georgien – so
er tatsächlich beendet sein sollte – war der leichte Teil für alle Beteiligten.
Schließlich ist es nicht schwer, wie die Georgier eine Stadt wie Zchinwali
sturmreif zu schießen, oder als übermächtige russische Luftwaffe die
Infrastruktur des georgischen Militärs und vieles andere zu zerstören.
Das größte Problem ist auch nicht der physische
Wiederaufbau. Das Schwierigste ist die Antwort auf die Frage, wie es in Georgien
weitergehen soll.
Einfach ist es noch für Georgien außerhalb
Abchasiens und Südossetiens: Russland muss jeden Quadratmeter wieder räumen.
Doch der Friedensplan, den Sarkozy im Kreml vorstellte, sieht auch in
Südossetien und Abchasien den Rückzug russischer und georgischer Militärs auf
ihre Vorkriegspositionen vor – eine berechtigte, doch angesichts der Realitäten
unrealistische Forderung.
Vor allem Russland wird sein Militär nicht wieder
aus den umstrittenen Regionen abziehen. Doch dann steht Moskau vor schwierigen
Entscheidungen: Soll es die Regionen annektieren und so den Westen weiter gegen
sich aufbringen? Oder soll es die Zwergregionen als unabhängig anerkennen und
damit Separatisten im eigenen Reich ermuntern?
Bevor die internationale Gemeinschaft endgültig
ihre Position für die Nachkriegszeit formuliert, muss sie klären, was genau in
Südossetien passiert ist. Keines der angeblichen georgischen Kriegsverbrechen
ist bewiesen. Treffen die Vorwürfe zu, hat Tiflis den Anspruch auf Südossetien
verwirkt.
Wie geht es mit Südossetien und Abchasien weiter?
Theoretisch wäre ein UN-Mandat, eine internationale Friedenstruppe und später
folgend ein Referendum über die Zukunft das Beste. Nur haben solche Pläne
angesichts des Moskauer Widerstandes gegen Einmischung in seinem Einflussbereich
keinerlei Chancen. Was ist die Alternative?
Und wie reagiert der Westen auf die Zerstörung?
Wie reagieren die USA und Europa auf die flagrante Missachtung internationalen
Rechts durch Russland? Gehen sie einfach zur Tagesordnung über? Ein Ende des
Krieges lässt aufatmen – doch es sorgt für viele Fragen und wenige Antworten.
E-Mail:
f.hassel@nachrichten.at
13.08.2008
(Österreich)
***
Das Völkerrecht fordert Gewaltverzicht von
Russland wie Georgien
Die Uno und die OSZE bemühen sich seit vielen
Jahren vergeblich um eine Lösung der Sezessionskonflikte im Kaukasus
In
den Kämpfen zwischen Russland und Georgien um Südossetien verlangt das
Völkerrecht von allen Seiten Zurückhaltung. Das russische Vorgehen lässt jede
Verhältnismässigkeit vermissen, aber auch Georgien besitzt keinen Freibrief für
die Gewaltanwendung.
Von Urs Saxer*
Die gewaltsamen Auseinandersetzungen in
Südossetien und in Abchasien zeigen erneut, wie explosiv Sezessionskonflikte
sein können – vor allem wenn sich Drittstaaten militärisch einmischen. Die
Situation in diesen Gebieten stellt völkerrechtlich seit dem Ende der
Sowjetunion eine Bedrohung des internationalen Friedens dar. Daher müssen die
internationalen Bemühungen zur Konfliktbeilegung vor allem der Uno und der OSZE
wieder aufgenommen werden. Mit dem Konflikt in Abchasien befasst sich der
Sicherheitsrat bereits seit 1993. In jenem Jahr schuf er eine
Überwachungsmission der Vereinten Nationen, die Unomig, welche die Einhaltung
eines im Jahr 1994 zwischen den Konfliktparteien ausgehandelten
Waffenstillstandes kontrolliert. Zugleich überwacht die Unomig eine von Russland
geführte Friedenstruppe der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und arbeitet
mit dieser im Bereich der Friedenssicherung zusammen. Das Mandat der Unomig ist
seither im Halbjahresrhythmus erneuert worden.
Kompromisslosigkeit auf allen Seiten
Die Resolutionen des Uno-Sicherheitsrats heben die
Notwendigkeit einer politischen Lösung hervor, welche die Souveränität und die
territoriale Integrität Georgiens achtet, was eine deutliche Absage gegenüber
Abspaltungsbestrebungen darstellt. Trotz intensiven Vermittlungsbemühungen der
OSZE, der EU und des Uno-Generalsekretärs scheiterte indes bis jetzt eine
Friedenslösung an unversöhnlichen Positionen der Konfliktsparteien. Es scheint,
dass die abchasische Seite um keinen Preis bereit ist, sich wieder unter
georgische Hoheit zu begeben, nachdem im Jahr 1999 ein Unabhängigkeitsreferendum
ein eindeutiges Resultat zugunsten der Abspaltung von Georgien ergeben und
Russland den meisten Bewohnern Abchasiens Pässe ausgestellt hat.
Bis zu den gegenwärtigen Ereignissen wurde die
Situation in Südossetien vom Sicherheitsrat nie behandelt. Demgegenüber
beschäftigt sich eine OSZE-Mission seit 1992 mit dem Konflikt. Ihr Mandat
besteht vor allem darin, einen Friedensprozess zwischen den Konfliktsparteien in
Gang zu setzen. Zudem übernimmt die Mission militärische Überwachungsaufgaben.
In diesem Rahmen wurden auch Verhandlungsforen geschaffen, in denen Südossetien,
Nordossetien, Russland, Georgien und Vertreter der OSZE-Mission Einsitz haben;
ferner existiert eine Friedenstruppe unter russischem Kommando. Auch in diesem
Konflikt verhindert indessen die Intransigenz der Konfliktsparteien eine
Friedenslösung.
Kein Freibrief für Tbilissi
Namentlich die südossetische Seite versuchte, mit
einem Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2006, das nahezu einstimmig zugunsten
einer Loslösung von Georgien ausgefallen sein soll, ein Fait accompli zu
schaffen. Das Resultat dieses Referendums wurde international allerdings nicht
anerkannt: Die Friedensbemühungen der OSZE sowie die Stellungnahmen wichtiger
internationaler Akteure gehen eindeutig von der Erhaltung der politischen
Einheit und der territorialen Integrität Georgiens aus.
Wenn somit nach Auffassung der internationalen
Gemeinschaft Abchasien und Südossetien völkerrechtlich Teil Georgiens sind,
warum soll dann Georgien nicht auch gewaltsam seine Souveränität in diesen
Territorien wiederherstellen dürfen? Das Gewaltverbot gilt völkerrechtlich
grundsätzlich in den zwischenstaatlichen Beziehungen, nicht in innerstaatlichen
Konflikten. Wenn ein nationaler Konflikt aber Gegenstand eines internationalen
Konfliktmanagements wird, ist auch die innerstaatliche Anwendung militärischer
Gewalt verpönt, denn sie widerspricht dem Ziel einer Verhandlungslösung auf
friedlichem Weg – dem zentralen Anliegen eines jeden Konfliktmanagements. Es
bestehen daher Zweifel an der Rechtmässigkeit der Gewaltanwendung durch die
georgische Seite.
Die georgische Rechtfertigung, die
Selbstverteidigung gegen eine russische Aggression, ist angesichts der
Faktenlage zumindest fragwürdig. Frustrationen über fehlende Perspektiven einer
Verhandlungslösung sind keine Rechtfertigung für ein militärisches Vorgehen,
auch wenn Georgien zuzubilligen ist, dass Russland als Vetomacht eine
Verhandlungslösung ebenso torpedieren kann wie ein effektives Konfliktmanagement
durch den Sicherheitsrat. Völkerrechtswidrig war indessen auch die Anwendung
militärischer Gewalt durch Russland. Zur Rechtfertigung führte dessen Vertreter
im Sicherheitsrat Angriffe gegen die russischen Friedenstruppen, die Verletzung
von Waffenstillstandsvereinbarungen durch Georgien, den Schutz eigener
Staatsbürger (nachdem auch die Bewohner Südossetiens mit russischen Pässen
ausgestattet worden waren) sowie humanitäre Gründe an. Alle diese Gründe halten
einer völkerrechtlichen Analyse nicht stand.
Unproportionale Aktionen Moskaus
Völkerrechtlich zulässig sind militärische
Aktionen nur zur Selbstverteidigung gegen einen Angriff oder auf der Basis einer
Ermächtigung des Sicherheitsrats. Ein Angriff auf Russland lag indessen ebenso
wenig vor wie eine Ermächtigung durch die Vereinten Nationen. Das militärische
Eingreifen Russlands verletzt seinerseits das Gewaltverbot und stellt einen Akt
der Aggression dar. Es weitet überdies in höchst unerwünschter Weise den
Konflikt von einem nationalen zu einem internationalen aus. Ferner ist die
Gewaltanwendung, welche über das Gebiet von Südossetien hinausgeht, in keiner
Weise verhältnismässig. Sie entspricht nicht ansatzweise einer militärischen
Notwendigkeit. Besonders irritierend ist, dass Russland die Militäraktion
fortsetzte, nachdem Georgien bereits einen Waffenstillstand ausgerufen hatte. Es
ist zu vermuten, dass Russland in unzulässiger Weise die Situation für eine
Strafaktion nutzen wollte.
In den Diskussionen im Sicherheitsrat ist die
Notwendigkeit der Einstellung militärischer Gewalt betont worden, damit der
Friedensprozess im Sinne einer multilateral abgestimmten Operation fortgesetzt
werden kann. Hervorgehoben wurde auch der Schutz der territorialen Integrität
und der politischen Einheit Georgiens. All dies steht in Übereinstimmung mit den
etablierten Grundsätzen eines Uno-Konfliktmanagements. Sieht man von einem
gemeinsamen militärischen Vorgehen im Rahmen des Systems der kollektiven
Sicherheit ab, gibt es aus völkerrechtlicher Sicht keine Alternativlösungen zur
friedlichen Streitbeilegung, also zu einem echten Friedensprozess, der in eine
möglichst von den Vereinten Nationen oder der OSZE garantierte Vereinbarung
mündet, welche den Status von Abchasien und Südossetien, aber auch den
Wiederaufbau und die Rückkehr der zahlreichen Flüchtlinge regelt. Dies verlangt
von allen Konfliktparteien Konzessionen.
In diesem Zusammenhang können auch die
Alternativkonzepte zur Eigenstaatlichkeit wie eine Autonomielösung, eine
föderative Lösung, der Ausbau von Demokratie und des Menschenrechtsschutzes und
die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse konkretisiert werden.
Demgegenüber sind unilaterale Handlungen, besonders militärische, Gift für ein
multilaterales Konfliktmanagement. Die Konflikte in Georgien belegen allerdings
die Schwierigkeiten der internationalen Gemeinschaft mit Selbstbestimmungs- und
Sezessionskonflikten. Auch einzelne Staaten haben Mühe, eine klare Linie zu
finden, wie das Beispiel von Russland zeigt, das sich den
Unabhängigkeitsbestrebungen Tschetscheniens widersetzt und eine ordnungsgemässe
internationale Integration Kosovos bis jetzt verhindert hat, zugleich aber
faktisch die Loslösung von Abchasien und Südossetien fördert. Europa und die USA
unterstützten die Unabhängigkeit Kosovos, stehen aber im Übrigen für die
Erhaltung der territorialen Integrität von Staaten ein, welche von
Sezessionskonflikten betroffen sind.
* Der Autor ist Titularprofessor für Völker-,
Staats-, Verwaltungs- und Medienrecht an der Universität Zürich.
13.08.2008 Neue Zürcher Zeitung (Schweiz)
***
Krieg im Kaukasus
Georgien meldet Bombardierung von Gori
Kein Friede im Kaukasus: Nach Angaben Georgiens
wird die Stadt Gori wieder bombardiert, russische Panzer patrouillieren
Flüchtlingen zufolge in der georgischen Stadt. Zudem sollen Kämpfer aus
Abchasien auf georgischem Gebiet Dörfer plündern und Häuser anzünden.
Wie sicher ist das
Friedensabkommen zwischen Georgien und Russland? Die russischen Streitkräfte
haben am Mittwoch nach Angaben der Regierung in Tiflis erneut die im georgischen
Kernland liegende Stadt Gori bombardiert. Moskau habe damit die am Vortag
vereinbarte Waffenstillstandsvereinbarung gebrochen, sagte der Leiter des
georgischen Sicherheitsrats, Alexander Lomaia. Russische Soldaten seien
anschließend plündernd durch die Stadt gezogen. Der Nachrichtenagentur AFP
zufolge soll eine Kolonne russischer Panzer und Panzerfahrzeuge von der
georgischen Stadt Gori aus Richtung Tiflis rollen. Gori ist nur knapp 100
Kilometer von der Hauptstadt Tiflis entfernt.
Kämpfer aus der
abtrünnigen Region Abchasien haben zudem auf georgischem Gebiet ihre Flagge
errichtet und Anspruch auf den Landstrich erhoben. „Das ist abchasisches Land“,
erklärte die Gruppe, die auf eine Brücke über dem Fluss Enguri marschiert war.
Die Grenze sei seit 1000 Jahren entlang des Flusses verlaufen, sagte einer der
Kämpfer, Ruslan Kischmaria. Die Kämpfer hatten zuvor ein von Georgiern bewohntes
Gebiet durchquert.
Ein Reporter der Nachrichtenagentur AP berichtet von plündernden und
brandschatzenden Kämpfern aus Abchasien, die ungehindert auf georgisches Gebiet
vorgedrungen seien. Georgische Dörfer sollen in Brand gesteckt worden sein.
Georgien soll außerdem seinen letzten Stützpunkt in der abtrünnigen Region
verloren haben. Die georgischen Truppen haben Abchasien nach Angaben eines
Kabinettsministers in Tiflis mittlerweile vollständig verlassen. Sie seien von
russischen Soldaten aus dem nördlichen Teil der Kodori-Schlucht vertrieben
worden. Moskau wies dies zurück und erklärte, dafür seien Separatisten
verantwortlich.
Die vorangegangenen Kämpfe im Kaukasus haben
Augenzeugen zufolge Hunderte Menschen das Leben gekostet. Das georgische
Gesundheitsministerium sprach am Mittwoch von 175 getöteten Georgiern. Viele
seien bei russischen Angriffen auf Gori am Dienstag getötet worden, kurz bevor
der russische Präsident Medwedjew ein Ende der Gefechte erklärt hatte. Moskau
macht Georgien für den Tod von mehr als 2000 Menschen in der abtrünnigen Region
Südossetien verantwortlich, die meisten davon Zivilpersonen. Eine unabhängige
Bestätigung für die Zahlen gab es zunächst nicht. Am Dienstag kamen erste
Hilfslieferungen des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR) in der Region an.
Als Folge des Kriegs will Georgien aus der von Russland dominierten Gemeinschaft
Unabhängiger Staaten (GUS) austreten. Außerdem erhob Tiflis Klage gegen Russland
vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Auf einer Kundgebung in Tiflis stellten sich am Dienstagabend die Präsidenten
mehrerer früherer Sowjetrepubliken hinter Georgien. Der ukrainische Präsident
Viktor Juschtschenko sagte: „Es lohnt sich, für die Freiheit zu kämpfen.“ Auch
seine Kollegen aus Litauen, Lettland und Estland nahmen an der Veranstaltung
teil. Der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski sagte, Russland wolle eine
Rückkehr zu „alten Zeiten“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat
angekündigt, in den kommenden Woche in die georgische Hauptstadt Tiflis zu
reisen. Das kündigte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg in
Berlin an. An diesem Freitag trifft Merkel in der russischen Schwarzmeer-Stadt
Sotschi den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew. Auch dabei geht es um den
Konflikt im Kaukasus.
13.08.2008
WELT ONLINE
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Kopf des Tages: Abchasiens "Präsident" Sergej Bagapsch
Abchasiens Führer nutzt die Gunst der Stunde
Er ist einer der
Gewinner des Kaukasus-Kriegs: Sergej Bagapsch, "Präsident" der international
nicht anerkannten Republik Abchasien am Schwarzen Meer, nutzt nun die russische
Invasion, um den Sicherheitsgürtel um sein kleines Reich zu verbreitern; vor
allem aber, um alle Versuche endgültig zu beenden, die ehemals autonome Republik
innerhalb der Sowjetrepublik Georgien zurück unter die Herrschaft von Tiflis zu
bringen.
Der 59-jährige Separatistenchef hat dabei selbst
seine Erfahrungen mit Russlands neuer Machtpolitik gemacht: Moskau wollte seine
Wahl zum Präsidenten nicht. Als Wladimir Putins Favorit Raul Chadschimba im
Oktober 2004 nur dank massiver Manipulationen den Sieg errang, gingen die
Abchasen auf die Straße. Die Separatistenrepublik erlebte ihre "orange
Revolution" - parallel zur Ukraine, wo sich Putins Kandidat am Ende auch nicht
durchsetzen konnte.
Bagapschs Sieg bei der Wahlwiederholung wenige
Monate später, im Jänner 2005, war eine Zäsur für die Republik. Moskau bestrafte
die Abchasen mit Blockaden und Wirtschaftssanktionen, bis Bagapsch einlenkte und
seinen Rivalen Chadschimba, den Kandidaten des Establishments, als Vizepräsident
übernahm.
Das Misstrauen der Abchasen gegenüber Moskau ist
seither gewachsen, der Wunsch nach Unabhängigkeit nur größer geworden. Doch
Bagapsch, ehemals ein Weinbauer, der zu Sowjetzeiten am Georgischen Institut für
Landwirtschaft studiert hatte, war Realpolitiker genug, um die Chance zur
Herstellung von engeren Beziehungen zu ergreifen, die Russland den Abchasen als
Reaktion auf die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo anbot. "Man kann nicht
Abchasien etwas verbieten, was im Kosovo möglich ist", sagte Bagapsch mit Blick
auf die Unterstützung des neuen Balkanstaats durch die EU und die USA.
Ebenso wie Eduard Kokoity - der "Präsident"
Südossetiens, der anderen georgischen Separatistenprovinz -, aber
intellektueller, führte Bagapsch die kommunistische Jugendorganisation Komsomol
in seiner Heimatstadt Suchum, der Hauptstadt Abchasiens. Er stieg in der Partei
auf, vertrat seine Provinz Anfang der 90er-Jahre in Moskau, bis ihn der damalige
abchasische Präsident Wladislaw Ardsinba 1997 zum Premierminister berief.
Bagapsch, der selbst mit einer Georgierin
verheiratet ist, verantwortete damals die Vertreibung von 30.000 Georgiern mit,
die vorübergehend nach Abchasien zurückgekehrt waren. (Markus Bernath)
13.08.2008 DER STANDARD
(Österreich)
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Osseten als Spielball der Weltpolitik
ANALYSE. Machtpolitik schert
sich nicht um das Völkerrecht. Deshalb bekämpft Moskau nach Unabhängigkeit
strebende Tschetschenen, aber unterstützt Osseten und Abchasen.
Der gegenwärtige Konflikt um Südossetien hat
mehrere Dimensionen. Zunächst geht es um die politische und völkerrechtliche
Frage der Zugehörigkeit des kleinen Gebiets. Damit eng verbunden sind die seit
den späten 1980er-Jahren bestehenden Auseinandersetzungen zwischen Georgien und
Russland. Sie vollziehen sich im Kern des Pulverfasses Kaukasus mit seinen
ethno-territorialen Konflikten und internationalen Rivalitäten, die im Gegensatz
zwischen Russland und den USA auch eine globale Dimension haben. Schließlich hat
der Konflikt auch eine historische Dimension. Dazu einige Anmerkungen.
Die Osseten, ein iranischsprachiges, mehrheitlich
christliches Volk, leben im zentralen Kaukasus auf beiden Seiten des Übergangs
von Russland nach Georgien. Die Eroberung des Kaukasus durch Russland in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann im Gebiet der Osseten. Hier wurde die
Festung Wladikawkas („Beherrsche den Kaukasus“) errichtet, die heutige
Hauptstadt Nordossetiens.
Die jenseits des Kaukasus siedelnden Osseten kamen
mit Georgien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenfalls zu Russland. Im
Gegensatz zu den muslimischen Kaukasiern (Tschetschenen, Dagestaner,
Tscherkessen), die Russland jahrzehntelang Widerstand leisteten, gab es bei den
Osseten kaum Widerstand. Seither gelten die Osseten als Russlandfreundlich.
Als das Zarenreich zusammengebrochen war, erklärte
sich Georgien für unabhängig. Die Osseten Georgiens akzeptierten diesen
unabhängigen Staat nicht, sondern orientierten sich auf Sowjetrussland, das
Georgien 1921 militärisch unterwarf.
Die Bolschewiki gliederten die Sowjetunion in
sprachlich-ethnisch definierte Verwaltungsgebiete: Auf der obersten Ebene die
Sowjetrepubliken (z.B. Georgien), dann die Autonomen Republiken innerhalb
einzelner Sowjetrepubliken (z.B. Nordossetien und Tschetschenien in Russland
oder Abchasien in Georgien), auf der dritten Ebene die (kleinen) Autonomen
Gebiete, unter ihnen Südossetien im Rahmen Georgiens. So wurden die Osseten auf
zwei Republiken aufgeteilt, doch hatte diese Tatsache innerhalb der
zentralistisch regierten Sowjetunion keine politische Relevanz.
Erst mit dem Zusammenbruch der UdSSR wurden diese
oft willkürlich abgegrenzten nationalen Territorien zum Anlass heftiger
Konflikte. Das galt nicht für die 15 Sowjetrepubliken, die völkerrechtlich als
unabhängige Staaten anerkannt wurden. Als auch Autonome Republiken wie
Tschetschenien und Abchasien und das Südossetische Autonome Gebiet sich zu
Sowjetrepubliken erklärten und die Unabhängigkeit ausriefen, wurde dies
völkerrechtlich nicht anerkannt.
Die Folge waren bewaffnete Interventionen
Russlands und Georgiens, die ihre abtrünnigen Randgebiete wieder unter Kontrolle
zu bringen suchten: Russland führte gegen die Tschetschenen zwei lange blutige
Kriege, Georgien gelang es nicht, Abchasien und Südossetien, die von Russland
militärisch unterstützt wurden, zu erobern.
Beide Konflikte wurden 1992 mit einem
Waffenstillstand beendet. Seither sind Abchasien und Südossetien de facto von
Georgien getrennt und von Russland abhängig. Nordossetien wurde ebenfalls in
Auseinandersetzungen verwickelt, in einem bewaffneten Konflikt um die Grenze zu
Inguschetien und mit der Besetzung einer Schule im ossetischen Beslan im
Spätsommer 2004 durch tschetschenische Terroristen.
Dass Russland die beiden abtrünnigen Gebiete
Georgiens unterstützt, die Tschetschenen, die sich von Russland lossagen
wollten, aber bekämpft, ist nur dann ein Widerspruch, wenn man daran glaubt,
dass Machtpolitik sich um Völkerrecht schert.
Der gegenwärtige Krieg wird auf dem Rücken der
Osseten ausgetragen, die zahlreiche Opfer zu beklagen haben und die in Massen
über die russisch-georgische Grenze in die Nordossetische Republik flüchten. Das
zeigt, dass sich die Mehrheit der Südosseten von Georgien lösen und ihr Gebiet
mit Nordossetien vereinen will, was, wie ich zu zeigen versucht habe, auch
historische Gründe hat.
Doch das Schicksal des kleinen ossetischen Volkes
interessiert die verantwortlichen Staatsmänner in Moskau und Tiflis wenig. Die
Osseten sind lediglich ein Spielball der Regional- und Weltpolitik.
13.08.2008
"Die Presse" (Österreich)
***
Ein gefährdeter Waffenstillstand
Von Florian Hassel, Nach den Kämpfen stellt
Russland seine Bedingungen für einen weiteren Abzug. Doch immer noch gibt es
Truppenbewegungen und Berichte von russischen Angriffen auf georgisches Gebiet.
MOSKAU - Russlands Präsident Dmitri Medwedew hat
mit einer Ankündigung eines Waffenstillstandes Hoffnungen auf ein Ende des
Krieges in Georgien genährt. Bei einem Treffen mit Russlands
Verteidigungsminister und dem Generalstabschef sagte Medwedew am Dienstagmittag:
„Ich habe die Entscheidung getroffen, die Operation, um die georgischen Führer
zum Frieden zu zwingen, zu beenden. Das Ziel der Operation ist erreicht. Der
Aggressor ist bestraft und hat sehr bedeutende Verluste erlitten.“
Bei einem Treffen mit Frankreichs Staatschef
Nicholas Sarkozy im Kreml einigten sich die beiden Präsidenten auf
Voraussetzungen für einen endgültigen Waffenstillstand und eine weitere
Konfliktlösung. Georgien müsse sämtliche Militäreinheiten auf seine
Vorkriegspositionen zurückziehen, eine Reihe von Armeeeinheiten abrüsten und
eine juristisch verbindliche Erklärung auf Gewaltverzicht gegenüber Südossetien
und Abchasien unterschreiben. Im Gegenzug sei auch Russland bereit, sich auf
Vorkriegspositionen zurückzuziehen. Dies würde bedeuten, dass auch Russland
mindestens 20 000 Soldaten aus Südossetien und Abchasien abziehen müsste.
Optimistischer Sarkozy
Außerdem soll die Sicherheit Südossetiens und
Abchasiens und ihr zukünftiger Status unter internationaler Beteiligung geklärt
werden. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz gab sich der französische
Präsident optimistisch. Russland akzeptiere die territoriale Integrität und
Souveränität Georgiens. Doch Medwedew klang wesentlich skeptischer. „Die Fragen,
in welchem Land sie leben wollen, können nur Abchasen und Südosseten selbst
entscheiden.“ In Tiflis versammelten sich am Dienstag mehrere Zehntausend
Georgier zu einer Demonstration. Motto: „Georgien wird nicht auf die Knie
gehen.“
Medwedews Ankündigung und den Verhandlungen mit
Sarkozy zum Trotz ist ein Waffenstillstand nicht sicher. Medwedew bezeichnete
Georgiens Präsident Michail Saakaschwili als „Verrückten“, der „gelogen“ habe.
Außenminister Sergej Lawrow sagte, Russland vertraue Saakaschwili nicht als
Verhandlungspartner. Es sei am besten, Saakaschwili trete zurück.
Russlands Präsident gab seiner Armee trotz der
Ankündigung über ein Ende der Operationen faktisch eine Carte Blanche für ein
weiteres Fortführen militärischer Aktionen. „Sollten Widerstandsnester
auftauchen oder andere aggressive Absichten auftauchen, treffen Sie die
Entscheidung zur Vernichtung.“ In der Hafenstadt Poti sah ein „New York
Times“-Reporter noch eine Stunde nach Medwedews Ankündigung russische
Bombardierungen. Ein BBC-Reporter in Gori sah, wie russische Kampfhubschrauber
„tief auf georgisches Gebiet flogen und dort Brandgranaten abfeuerten“.
In Georgiens separatistischer Region Abchasien
vertrieben abchasische und russische Soldaten 2500 georgische Einheiten aus der
Kodori-Schlucht. Georgiens Präsident Michail Saakaschwili zufolge waren an
diesem Angriff auch „mehrere Hundert russischer Panzerfahrzeuge und Tausende
russischer Fallschirmspringer beteiligt“. Ein in Abchasien arbeitender
ap-Reporter zählte auf dem Weg in die Kodori-Schlucht 135 russische Panzer,
Schützenpanzer und Artilleriegeschütze. Ein georgischer Sprecher bestätigte am
frühen Abend, alle georgischen Einheiten hätten die Kodori-Schlucht verlassen.
Russische Einheiten machten auch keinerlei Anstalten, sich von georgischem
Territorium zurückzuziehen, das weit von den Grenzen der umstrittenen Regionen
Abchasien und Südossetien entfernt ist.
Entgegen Behauptungen des russischen
Verteidigungsministeriums vom Montagabend kontrollieren russische Einheiten
immer noch eine Militärbasis im 40 Kilometer von Abchasien entfernten Senaki,
gab in Moskau der Vizechef des Generalstabs zu. Ap-Reportern zufolge rückte das
russische Militär von Senaki auf der Georgien von West nach Ost verbindenden
Straße gar bis in die Nähe Goris vor.
12.08.2008, Finanz Journal
***
Die zweite Front im Kaukasus
Abchasien kämpft auf Bitten Moskaus
Von Michael Ludwig und Marco Seliger

Russiche Truppen am Sonntag in Abchasien
2008 Sergej
Schamba, der De-facto-Außenminister der von Georgien abtrünnigen Provinz
Abchasien, hat es offen zugegeben: Die Eröffnung einer zweiten Front in
Abchasien nach Beginn der Kämpfe in Südossetien sei auf Bitten Moskaus
erfolgt. Es geht zum einen darum, georgische Streitkräfte an der
Waffenstillstandslinie am Iguri-Fluss zu binden. Man versprach zwar, die Linie
nicht zu überschreiten. Doch in der UN-Beobachtermission Unomig ist zu hören,
abchasische Milizen hätten genau das getan, zwangsläufig mit Duldung der
russischen „Friedenstruppe“ aus etwa 4000 Soldaten.
Das zweite Ziel der abchasischen Führung
(ebenfalls mit Moskaus Zustimmung) besteht darin, georgisches Militär aus dem
nördlichen Teil des Kodori-Tals hinauszudrängen und Abchasien so vom letzten
Überbleibsel georgischer Herrschaft in Abchasien zu säubern.
Der Räuberhauptmann von Abchasien
Denn dieser nur schwer zugängliche Teil des Tals
ist der einzige Ort in Abchasien, an dem die Tifliser Zentralgewalt nach dem
Bürgerkrieg zu Beginn der neunziger Jahre, der zur faktischen Loslösung
Abchasiens geführt hatte, noch präsent war. Sergej Bagapsch, der De-facto-
Präsident Abchasiens, sagte dieser Zeitung unlängst in Suchumi, dass diese
georgische Präsenz bis vor zwei Jahren keine größeren Probleme bereitet habe. Im
Auftrag von Tiflis übte dort bis vor zwei Jahren der Chef einer Miliz, Emsar
Kwitsijani, die Aufgaben eines Gouverneurs aus, entwickelte sich aber zunehmend
zu einer Art Räuberhauptmann, der sich der Zentrale kaum noch unterordnete.
Russische Truppen am Dienstag in Gali/Abchasien
Im Sommer 2006 beseitigte Georgien in einer
Militäraktion die Herrschaft Kwitsijanis, der nach Russland geflohen sein soll.
Präsident Saakaschwili erklärte den nördlichen Teil des Tals zum Gebiet
„Oberabchasien“. Offenbar war daran gedacht, die neue Struktur zu einer Art
Gegenregierung zu der separatistischen Regierung in Suchumi aufzuwerten. Der
Sicherheitsrat der UN verurteilte die Aktion der Georgier; sowohl Russland als
auch Abchasien sahen darin eine Verletzung des Waffenstillstandsabkommens von
1994 und forderten deshalb den Abzug des georgischen Militärs und der schweren
Waffen aus dem Kodori-Tal. Georgien behauptete dagegen, dass sich im nördlichen
Kodori-Tal nur Polizeikräfte befinden würden.
Zuletzt sollen sich im nördlichen Teil des Tals
aber etwa 3500 georgische Soldaten befunden haben. Artilleriebeschuss und
Bombardements haben in den letzten Tagen die georgischen Kräfte zermürbt.
Abchasische Streitkräfte begannen am Dienstag eine Offensive in dem Tal, in dem
bis zum Ausbruch des Krieges Posten der russischen Friedenstruppe stationiert
waren. Die unbewaffneten UN-Beobachter sollen bereits seit längerem nicht mehr
patrouilliert haben. Die separatistische Führung Abchasiens nutzt die
Gelegenheit des Kriegs in Südossetien, nun die abchasische Provinz von den
Überbleibseln georgischer Herrschaft zu säubern. Das geschieht unter dem Schutz
der Russen. Sie hatten die Zahl ihrer Truppen in Abchasien dieser Tage abermals
erheblich verstärkt – angeblich, um eine Wiederholung der südossetischen
Ereignisse in Abchasien zu verhindern.
Abchasiens Präsident, Sergej Bagapsch
Alkoholmissbrauch unter Milizen
Das Mandat der UN-Beobachtermission muss
turnusgemäß im Oktober vom Sicherheitsrat verlängert werden. Damit ist nun kaum
mehr zu rechnen. Die Beobachter selbst (130 Militärbeobachter, 15 Polizisten und
180 Zivilisten) sehen nicht, wie sie ihren Auftrag noch erfüllen könnten – etwa
den, georgischen Flüchtlingen aus dem Krieg von 1992/93 die Rückkehr nach
Abchasien zu ermöglichen. Die Unomig hat am Dienstag die Patrouillentätigkeit in
ihrem Einsatzgebiet 24 Kilometer dies- und jenseits der Waffenstillstandslinie
an den Standorten Zugdidi (Georgien) und Gali (Abchasien) aus Sicherheitsgründen
weitgehend eingestellt.
In der Mission gelten die in der Region jetzt
vorgehenden abchasischen Milizen als undiszipliniert, schlecht organisiert und
den UN-Patrouillen gegenüber häufig feindselig gesinnt. Nicht zuletzt wegen des
unter den Milizionären weit verbreiteten Alkoholmissbrauchs unter Waffen halten
UN-Beobachter die Milizen für unberechenbar.
Lokale Beschäftigte der UN in der Region
berichteten am Dienstag vom Vorgehen der Milizen gegen Zugdidi, eine Stadt im
georgischen Kernland unweit der Waffenstillstandslinie. Dort und in
Flüchtlingslagern in der Umgebung lebt noch ein Teil der etwa 250 000 während
des Krieges 1992/93 aus Abchasien vertriebenen Georgier. Sie warten seit mehr
als 14 Jahren auf die im Moskauer Abkommen vereinbarte Rückkehr in ihre Heimat.
Ortskräfte der UN sprechen von ethnischer Vertreibung und von Morden. In der
UN-Mission wird davon gesprochen, die Abchasen wollten sich auf diese Weise
endgültig der Flüchtlinge „vor ihrer Haustür“ entledigen, deren Rückkehr in die
Heimat sie seit Jahren blockieren.
12.08.2008 Franfurter Algemeine Zeitung
Bildmaterial: AFP, AP
***
Experten-Analyse zum Kaukasus-Konflikt:
«Russland duldet keine anderen Akteure»
Die russische Führung bestraft Georgien, obwohl
das Land den Kampf eingestellt hat. Die Netzeitung sprach mit dem
Kaukasus-Experten Halbach darüber, ob Russland nach diesem Krieg «wirklich noch
etwas in einem Forum wie der G8 verloren hat».
Netzeitung:
Russland geht mit großer militärischer Härte gegen Georgien vor. Warum
reagiert Moskau so heftig?
Uwe Halbach:
Seit 2006 haben sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern stetig
verschlechtert. In den vergangenen Jahren hat Russland Feindbilder gegenüber
Georgien aufgebaut, vor allem gegenüber der regierenden Machtelite um Präsident
Michail Saakaschwili. Von der Spionagekrise im Herbst 2006 bis zu den aktuellen
Ereignissen erstreckte sich eine dichte Folge gegenseitiger Herausforderungen.
Der Krieg steht am Ende einer sich stetig hoch windenden Spirale gegenseitiger
Provokationen.
Netzeitung: In der abtrünnigen
Provinz Abchasien ist die Lage ähnlich explosiv. Droht ein Flächenbrand in der
Region?
Halbach: Abchasien befindet sich
bereits mitten in dem Konflikt. Die Provinz hat von Anfang an damit gedroht,
sollte Südossetien angegriffen werden, eine zweite Front zu eröffnen. Im Moment
verstärkt Russland seine Truppen in Abchasien weit über das Maß hinaus, welches
das Waffenstillstandsabkommen von 1994 erlaubt.
Netzeitung:
EU und USA haben das russische Vorgehen gegen Georgien
als überzogen kritisiert.
Halbach: Das Vorgehen in Georgien
erinnert an die völlig überzogene Reaktion Russlands in Tschetschenien. Obwohl
Georgien schon kapituliert und die Kämpfe angeblich eingestellt hat, sollen
russische Bodentruppen bis ins Kernland vorgedrungen sein, und vor Abchasien
fährt die russische Schwarzmeerflotte auf. Es drängt sich schon die Frage auf,
ob Moskau das kleine Land abstrafen will, weil es sich nicht willfährig
gegenüber Russland verhalten hat. Aber es geht vor allem auch darum, den
Nato-Beitritt Georgiens zu verhindern.
Netzeitung: Georgiens Präsident
Saakaschwili wirft Russland vor, seine Regierung stürzen zu wollen. Halten Sie
das für denkbar?
Halbach: Russische Politiker haben das
bereits angedeutet. So soll der russische Außenminister Sergej Lawrow in einem
Telefonat mit US-Außenministerin Condoleezza Rice gesagt haben, dass mit
Saakaschwili überhaupt keine Verhandlungen möglich seien. Es sieht in der Tat so
aus, dass Russland in Georgien einen Regimewechsel erzwingen will.
Zweifel an Saakaschwilis Verstand
Netzeitung:
Hat die georgische Regierung Russland in der Südossetien-Frage unterschätzt?
Halbach: Saakaschwili musste wissen,
dass ein militärisches Vorgehen gegen Südossetien ein selbstmörderisches
Unterfangen ist. Er musste wissen, dass er es mit dem russischem Militär zu tun
bekommt. Es ist unklar, wie die militärische Offensive Georgiens zustande kam,
aber wenn sie geplant war, dann frage ich mich, wie man einen solchen Vorstoß
überhaupt starten konnte.
Netzeitung: Hat sich Saakaschwili zu
sehr auf die Unterstützung des Westens – vor allem den USA – verlassen?
Halbach: Wenn er darauf gesetzt hat,
dann muss man wirklich an seinem Verstand zweifeln. Es wurde vom Westen immer
wieder klar gemacht: Wir unterstützen die territoriale Integrität Georgiens,
aber wir sind gegen eine militärische Lösung des Konfliktes. Georgien kann nicht
mit militärischen Mitteln seine abtrünnigen Landesteile zurückgewinnen. Selbst
die USA signalisierte ihm: Vorsicht.
Netzeitung: Glauben Sie, dass die
US-Regierung Georgien mit militärischen Mitteln unterstützen wird?
Halbach: Das halte ich für
unwahrscheinlich. Das wurde auch immer wieder deutlich gemacht. Saakaschwili
musste wissen, dass er für dieses abenteuerliche Vorgehen keine Unterstützung
bekommen wird. Wenn er damit gerechnet hat, hat er sich gründlich getäuscht.
Netzeitung: Welche Konsequenzen hat
das harte Vorgehen Russlands für das Verhältnis zwischen Russland und den USA?
Droht eine diplomatische Eiszeit?
Halbach: Die Amerikaner haben sich
zunächst zurückgehalten. Wenn der Krieg fortgesetzt wird, drohen die Beziehungen
zwischen Russland und den USA erheblich beschädigt zu werden. Im
UN-Sicherheitsrat kam es zwischen dem russischen und amerikanischen Botschafter
bereits zu einem harten Wortwechsel, der an die Rhetorik des Kalten Kriegs
erinnerte. Wenn sich die Berichte über russische Bodenangriffe in Georgien als
richtig herausstellen, dann droht sogar die Gefahr eines kompletten
Zusammenbruchs der diplomatischen Beziehungen.
Ein schreiender Widerspruch
Netzeitung:
Die russische Regierung hat mit aller Kraft versucht, die Abspaltung des Kosovo
zu verhindern. Warum unterstützt Moskau jetzt die abtrünnigen Provinzen
Südossetien und Abchasien?
Halbach: Es geht um die
Aufrechterhaltung einer Machtposition im Kaukasus. Die abtrünnigen Provinzen
sind Russlands außenpolitische Instrumente, um seinen Einfluss in der Region zu
wahren. Russlands Politik ist dabei äußerst zweifelhaft. Seinen eigenen
Sezessionsfall hat das Land brutal niedergeworfen - der tschetschenische
Separatismus wurde schlichtweg zerbombt.
Auf der internationalen Bühne nimmt Russland
zusammen mit China eine klare Haltung gegen Separatismus und Sezession ein – wie
jüngst im Fall des Kosovo. Aber dasselbe Russland unterstützt gegen ein 'nahes
Ausland' wie Georgien und Moldova separatistische Regimes – ein schreiender
Widerspruch und eine überaus fragwürdige Politik des doppelten Standards.
Netzeitung: Was sollten Brüssel und
Berlin tun?
Halbach: Die EU und Deutschland hätten
schon seit langem bei aller Notwendigkeit Russland einzubinden, mit der Frage
konfrontieren müssen: Wie hältst du es mit der Souveränität deiner Nachbarn? Du,
der du soviel Wert auf deine eigene Souveränität und deine eigene territoriale
Integrität legst und jegliche internationale Kritik am Krieg in Tschetschenien
immer mit dem Hinweis darauf zurückgewiesen hat. Leider wurde diese Frage bisher
nicht dringlich genug gestellt.
Netzeitung: Können EU und
Deutschland Druck auf Russland ausüben?
Halbach: Es kommt darauf an, ob man
überhaupt Druck ausüben will. Die Mittel dazu sind sehr begrenzt. Aber eines
kann man tun, nämlich das Bemühen Russlands als gewichtiger internationaler
Akteur aufzutreten, in Frage stellen. Wenn Russland Kieg gegen ein Nachbarland
führt, muss man darüber nachdenken, ob es wirklich noch etwas in einem Forum wie
der G8 verloren hat. Auch das weitere Vorgehen der EU bei der Neuverhandlung des
Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland muss überdacht werden.
Russland will keine Internationalisierung
Netzeitung:
Wie kann der Krieg beendet werden?
Halbach: Man
kann nur hoffen, dass die diplomatischen Bemühungen, die jetzt anlaufen, etwas
bringen und beispielsweise der Plan des französischen Außenministers Bernard
Kouchner Gehör in Russland findet. Der Plan sieht einen Waffenstillstand unter
internationaler Beobachtung vor. Allerdings hat Russland eine
Internationalisierung der Konfliktlösung bisher abgelehnt. Zu einer
internationalen Friedenstruppe in der Region - über das rein russische
Engagement hinaus - hat Moskau bisher immer Njet gesagt.
Russland will keine anderen Akteure im Kaukasus
haben. Das machte auch Medwedew in seiner Erklärung zu dem sich anbahnenden
Krieg am 8. August klar. Da heißt es: Russland war historisch gesehen ein Garant
für die Sicherheit im Kaukasus und wird es auch bleiben. Dieser Satz macht den
Anspruch deutlich, dass einzig Russland die Angelegenheiten im Kaukasus regelt
und niemand anders.
Das Gespräch mit dem Politikwissenschaftler und
Kaukasus-Experten der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP),
Uwe Halbach, führte Michaela Duhr.
12.08.2008 Netzeitung.de
***
"Ich fürchte, dass Russland mit seiner
Militärmaschinerie jetzt Fakten schafft"

Mit seiner enormen Militärmaschinerie schafft
Russland in Georgien jetzt Fakten, fürchtet Ex-UN-Vermittler Dieter Boden. Doch
eine Verhandlungslösung sei noch möglich.
DW-WORLD.DE:
Herr Boden, Sie haben jahrelang für die OSZE in Georgien vermittelt und
versucht, einen neuen Krieg im Kaukasus zu verhindern. Nun ist der Konflikt um
die abtrünnige georgische Provinz Südossetien doch wieder eskaliert. Hat Sie das
überrascht?
Dieter Boden: Überraschen konnte das
zuletzt kaum noch jemanden. Im Grunde hat sich die Situation seit Jahren
verschlechtert, der Verhandlungsprozess stockt schon seit 2004. Und seither
haben beide Seiten militärisch aufgerüstet. Bis es eben zu einem richtigen Krieg
kam.
DW-WORLD.DE:
Der Krieg begann mit der Entscheidung Georgiens, Südossetien zurückzuerobern.
Warum hat Georgien sich zum Krieg entschlossen?
Dieter Boden: Es ist noch strittig, wer
zuerst geschossen hat. Wenn eine solche militärische Drohkulisse erstmal
aufgebaut ist, wird die Situation schnell unberechenbar. Warum der Krieg jetzt
begonnen wurde, darüber kann man nur spekulieren. In der georgischen Regierung
haben bestimmte Politiker schon seit längerem darauf gedrängt. Vielleicht hat
man gedacht, im Windschatten der Olympischen Spiele könne man so etwas machen.
Aber auch auf russischer Seite gibt es genug Scharfmacher.
DW-WORLD.DE:
Sie waren Leiter der UN-Beobachtermission in Georgien. Woran sind die bisherigen
Vermittlungs- und Friedensmissionen gescheitert?
Dieter Boden: Die sind gescheitert an der
Unvereinbarkeit der Positionen: Georgien will die abtrünnigen Gebiete wieder in
den Staatsverband zurückholen, Südossetien und Abchasien wollen die
Unabhängigkeit. Es wurde zwar verhandelt, und es gab zum Beispiel
vertrauensbildende Maßnahmen und kleinere wirtschaftliche Projekte, die von der
EU mitfinanziert wurden. Wir hatten Ansätze für einen Weg, der zur
Konfliktregelung hätte führen können. Aber es hat auf beiden Seiten an Geduld
und Konsequenz im Verhandlungsprozess gefehlt. Auch Russland hat diese Ansätze
nicht genug unterstützt. Und der Westen hat das Konfliktpotenzial im Kaukasus zu
lange unterschätzt und die Verhandlungsbemühungen nicht genug unterstützt. Das
habe ich immer wieder selbst bemerkt: Wir haben eigentlich keinen richtigen
Rückhalt für unsere Arbeit in westlichen Hauptstädten erfahren.
DW-WORLD.DE:
Vor wenigen Wochen ist Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nach Georgien
gereist, um zu vermitteln. Kam diese Initiative zu spät?
Dieter Boden: Diesen Vermittlungsversuch
sollte man durchaus würdigen. Aber er ist sehr spät gekommen und zu einem
Zeitpunkt, als bei den Verhandlungen schon längst Stillstand herrschte.
DW-WORLD.DE:
Wenn Sie Bilanz ziehen: Was haben Sie als Diplomat in Georgien erreicht?
Dieter Boden: Ich war in einer Zeit da, als
man an einzelnen Projekten wie der Rückkehr von Flüchtlingen konstruktiv
arbeiten konnte. Damals wurden auch Konzepte für eine Konfliktregelung
entwickelt, die man heute noch anwenden kann. Was gefehlt hat, war der
politische Wille auf allen Seiten, das umzusetzen. Aber ich selbst habe schon
das Gefühl, versagt zu haben: Denn wenn ein Krieg ausbricht, war alles
vergebens, was man bis dahin unternommen hat.
DW-WORLD.DE:
Wie sieht so ein Konzept für die Beilegung des Konflikts aus?
Dieter Boden: Für den Abchasien-Konflikt
gibt es einen Vorschlag, wie man beide Seiten zu Verhandlungen bringen kann.
Grundlage ist dabei, dass Georgien als Staat unangetastet bleibt. Ich habe ein
solches Konzept 2001 selbst entworfen. Und es ist immer noch gültig – wenn man
am Prinzip der territorialen Integrität festhält.
DW-WORLD.DE:
Georgien besteht auf seine territoriale Integrität, die abtrünnigen Provinzen
wollen sich abspalten. Das schließt sich doch grundsätzlich aus.
Dieter Boden: Das sind Maximalpositionen,
die aber verhandelbar sein sollten. Bei Verhandlungen geht man immer von der
Annahme aus, dass es eine Bereitschaft zu Kompromissen gibt. Deshalb kommt es
auf den politischen Willen der Beteiligten wie auch auf die Unterstützung der
internationalen Staatengemeinschaft an. Auch Russland kann kein Interesse an
einem instabilen Georgien haben. Und es kann kein Interesse daran haben, dass
man das Prinzip der territorialen Integrität aufgibt. Sonst steht sofort der
Status von Tschetschenien als Teil Russlands infrage. Es sollte also
Kompromissmöglichkeiten geben.
DW-WORLD.DE:
Unter welchen Bedingungen könnte denn Südossetien bereit sein, Teil von Georgien
zu bleiben?
Dieter Boden: Das muss man natürlich die
Osseten fragen. Dieser Krieg hat ungeheuren Schaden angerichtet, wir wissen noch
nicht, was alles an Brutalitäten begangen wurde in Zchinwali. Durch den Krieg
wird alles noch schwieriger. Aber das Verhältnis von Osseten und Georgiern ist
grundsätzlich weniger zerrüttet als das zwischen Georgiern und Abchasen, das
habe ich vor Ort immer wieder gespürt. Wenn man das voraussetzt, sollte eine
Lösung möglich sein, indem man den abtrünnigen Gebieten weitgehende Autonomie
gibt. Und zwar nicht nur eine folkloristische Autonomie wie in der Sowjetzeit,
sondern eine mit politischen Rechten. Dafür gibt es Modelle, und darüber müsste
man ernsthaft reden.
DW-WORLD.DE:
Welche Rolle könnten internationale Organisationen wie UNO oder OSZE bei einer
Beilegung des Konflikts spielen?
Dieter Boden: Beide haben eine enorme
Verantwortung. Die OSZE hat ein festes Mandat für Südossetien, die UNO für
Abchasien. Das sollte man meiner Meinung nach so lassen. Aber man muss diese
Organisationen auch entsprechend unterstützen.
DW-WORLD.DE:
Die UNO ist aber handlungsunfähig, weil die USA im Sicherheitsrat an der Seite
Georgiens stehen und Russland Südossetien unterstützt.
Dieter Boden: Ich kenne diese Konfrontation
– ich war ja etliche Male zum Abchasien-Konflikt im Sicherheitsrat. Bedingt
durch die militärische Auseinandersetzung hat das sehr krasse Formen angenommen.
Aber weder Russland noch die USA haben ein Interesse an einer größeren
Konfrontation. Schließlich haben sie noch genügend andere Probleme, bei denen
sie zusammenarbeiten müssen – zum Beispiel Iran, zum Beispiel Terrorismus.
Deswegen ist das meines Erachtens nicht das letzte Wort, das wir im
Sicherheitsrat gehört haben.
DW-WORLD.DE:
Georgien ist dabei, den Krieg zu verlieren. Spaltet sich Südossetien jetzt ab,
und vielleicht danach Abchasien?
Dieter Boden: Ich befürchte, dass Russland
mit seiner enormen Militärmaschinerie jetzt Fakten schafft, um seine bisherige
Position zu verbessern. Südossetien wird sicher militärisch besser gesichert
werden als bisher, Abchasien wahrscheinlich auch. Für die Zukunft würde das aber
keine Besserung bringen, sondern bestehende antirussische Ressentiments in der
georgischen Bevölkerung verstärken. Es kann nur schlimmer werden, deswegen muss
ein Waffenstillstand absolute Priorität haben.
DW-WORLD.DE:
Georgien strebt die Aufnahme in die NATO an. Hätte der Krieg verhindert werden
können, wenn die NATO Georgien bei ihrem Gipfel im April 2008 in Bukarest
aufgenommen hätte, wie die USA das wollten?
Dieter Boden: Da habe ich erhebliche
Zweifel. Georgien wäre ja nicht in einem Handstreich Mitglied der NATO geworden.
Um Vollmitglied der NATO zu werden, hätte Georgien in jedem Fall noch etliche
Jahre gebraucht. Außerdem nimmt die NATO aus gutem Grund keine Staaten mit
offenen Konflikten auf. Sonst sind wir alle Geisel von Artikel 15 des
NATO-Vertrages, wonach bei einem Angriff auf ein Mitglied alle anderen zum
Beistand verpflichtet sind. Wenn man sich das bei Georgien vorstellt, kann es
einem nur kalt den Rücken runterlaufen.
Dieter Boden, Botschafter a.D., war nach
1995/96 Leiter der OSZE-Mission in Georgien, später Sondergesandter des
UN-Generalsekretärs für Abchasien und von 1999 bis 2002 Leiter der
Beobachtermission der Vereinten Nationen in Georgien (United Nations Observer
Mission in Georgia – UNOMIG).
Das Interview führte Dirk Eckert
12.08.2008 Deutsche Welle
***
Georgien im Schnittpunkt der Geopolitik
Erdöl, Macht und Militär im südlichen Kaukasus
Seit fast zwei Jahrzehnten unterminiert Russland die Souveränität Georgiens,
auch mit militärischen Mitteln. Tbilissi spielt im Gegenzug seinen Trumpf als
Transitland für Energielieferungen aus Zentralasien aus und lehnte sich früh an
den Westen, vor allem die USA, an.
eg. Was sich gegenwärtig im südlichen Kaukasus
ereignet, hätte sich der russische Geheimdienst nicht besser ausdenken können.
Die zum Krieg eskalierten Scharmützel um Südossetien bieten Moskau die Chance zu
einem geostrategischen Rollback: Das im letzten Jahrzehnt der Kontrolle
entglittene Georgien soll wieder in den russischen Machtbereich eingegliedert
werden. Von den drei unabhängigen Republiken des Südkaukasus hat sich Georgien
nach dem Zerfall der Sowjetunion am energischsten dem Einfluss des Kreml
entzogen. Während sich Armenien eng an seine Schutzmacht Russland anlehnte und
Aserbeidschan eine Schaukelpolitik zwischen den Machtblöcken betrieb, suchte
Tbilissi Hilfe im Westen.
Verbündeter der USA
Die USA machten Georgien früh zum Eckpfeiler ihrer
Kaukasus-Politik. Zum einem kam die politische Kultur des Landes den westlichen
Vorstellungen von Demokratie am nächsten. Saakaschwili wie sein Vorgänger
Schewardnadse erwiesen sich zwar als autokratische Herrscher, doch geniessen
Opposition und Medien eine im Kaukasus sonst unbekannte Freiheit. Georgien
erhält deutlich mehr finanzielle Hilfe aus Washington als die anderen
Kaukasusstaaten. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 begannen die USA,
die georgischen Sicherheitskräfte in der Terrorbekämpfung zu schulen. Die
amerikanische Militärpräsenz wurde zur Ausbildung der georgischen Streitkräfte
nochmals ausgeweitet.
General Jones, damals Oberbefehlshaber der
amerikanischen Streitkräfte in Europa, hob im Jahr 2005 die Bedeutung der Region
für die USA hervor: «Der Kaukasus wird für uns immer wichtiger. Sein
Luftkorridor ist die Lebensader zwischen den Streitkräften in Afghanistan und
unseren Nachschubbasen in Europa. Kaspisches Erdöl, das durch den Kaukasus
fliesst, kann bis zu einem Viertel des zusätzlichen Bedarfs an Öl decken.» Im
benachbarten Zentralasien schlugen hingegen die amerikanischen Versuche,
dauerhaft Militärstützpunkte zu errichten, weitgehend fehl. Militär und Energie
sind gute Gründe für das Interesse an Georgien. Es ist als Transportroute für
kaspisches Öl und Gas unerlässlich, solange man nicht auf Pipelines über
russisches oder iranisches Gebiet zurückgreifen will.
Langfristige russische Vorbereitungen
Die erste Erdölleitung, die Russland umging, wurde
in den neunziger Jahren von Baku zum georgischen Terminal Supsa am Schwarzen
Meer gebaut. Bald folgte eine leistungsstärkere Ölpipeline, die von
Aserbeidschan über Georgien in den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan verläuft –
sowie eine Gasleitung, die einmal als Zubringer für das Nabucco-Projekt der EU
fungieren soll. Russland unternimmt im Gegenzug alles, um den Kaukasus unter
Kontrolle zu halten. Moskau trifft seit langem Vorbereitungen für den Tag, an
dem die Spannungen um die abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und
Abchasien eskalieren würden. So stattete man Südosseten und Abchasier mit
russischen Pässen aus, um sich im Konfliktfall auf den Schutz der eigenen
Staatsbürger berufen zu können. Damit rechtfertigte nun der Kreml, dass seine
Truppen – ohne Uno-Mandat oder auch nur den Versuch, dieses zu erlangen – die
Grenze zu Georgien überschritten und in die Kämpfe eingriffen. Wie dünn der
Vorwand ist, zeigt der Umstand, dass die russische Luftwaffe Ziele im
georgischen Kernland bombardierte: Gori, den Geburtsort Stalins, sowie den
Schwarzmeerhafen Poti, in dessen Nähe sich der Erdöl-Terminal Supsa befindet.
Letzteres war eine Warnung, dass sich auch die Alternativrouten für den
Energieexport in den Westen nicht dem Zugriff Russlands entziehen können.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion untergräbt Moskau
die georgische Souveränität. Als in den frühen neunziger Jahren der
Abchasien-Krieg ausbrach, schickte der Kreml Waffen, schliesslich beteiligte
sich die russische Luftwaffe mit Flugzeugen ohne Hoheitszeichen an den Kämpfen.
In Abchasien wie Südossetien setzte Moskau die Stationierung von
«Friedenstruppen» durch, die sich in den alltäglichen Auseinandersetzungen an
den Waffenstillstandslinien stets parteiisch verhalten. Auch den Abzug aus den
drei Militärbasen aus sowjetischer Zeit im georgischen Kernland verzögert Moskau
seit 1991 – erst in diesem Herbst soll er abgeschlossen sein.
Ohne politische und finanzielle Hilfe Russlands
wären die beiden abtrünnigen Gebiete nicht lebensfähig. In Südossetien zahlt
Moskau einen Teil des «Staatsbudgets» und der Renten, ferner sollen russische
Experten in der Verwaltung tätig sein. Als Reaktion auf die westliche
Anerkennung Kosovos intensivierte Russland die Unterstützung Ossetiens und
Abchasiens ostentativ, verzichtete allerdings darauf, einseitig die
Unabhängigkeit der Gebiete auszurufen. Offenkundig hofft man jedoch, dieses Ziel
als Folge des derzeitigen Krieges erreichen zu können. So sagte
Ministerpräsident Putin am Wochenende, Georgien habe seiner territorialen
Integrität den Todesstoss versetzt und werde die Souveränität über Südossetien
nicht wiedererlangen.
Goliath gegen David
Schon Saakaschwilis Vorgänger Schewardnadse, der
letzte sowjetische Aussenminister, bemühte sich um Unabhängigkeit von der
imperialen Vormacht. Dessen Sturz in der «Rosen-Revolution» im Jahr 2003 empfand
Moskau aber gleichwohl als Niederlage, weil man fürchtete, das Heft des Handelns
an die USA verloren zu haben. Den in Amerika ausgebildeten Saakaschwili sah man
als Erfüllungsgehilfen Washingtons. Die Befürchtungen waren insofern berechtigt,
als Saakaschwili dazu überging, die russische Taktik der konstanten Provokation
gegen Moskau zu richten.
Präsident Putin antwortete darauf, indem er die
Vorteile Goliaths gegen David ausspielte und die wirtschaftliche Abhängigkeit
des südlichen Nachbarn ausnützte. Georgien bezog bis vor kurzem fast sein
gesamtes Gas und die Hälfte des Stroms aus Russland. Deren Lieferung wurde
zeitweise gekappt, der Erdölpreis verdoppelt, sämtliche Verkehrs-, Post- und
Bankverbindungen unterbrochen. Georgier erhielten vorübergehend keine Visa mehr,
während man zugleich über tausend Georgier aus Russland deportierte. Die
Sanktionen verfehlten allerdings ihr Ziel, da Georgien seine Aussenmärkte
diversifizierte und im Jahr 2006 ein Wirtschaftswachstum von neun Prozent
erreichte. Nun ist Moskau wieder zu offenem militärischem Druck übergegangen.
***
Die Großmacht-Offensive
Von Johannes
Voswinkel
Russlands Verhältnis zum Westen hat durch den
südossetischen Krieg einen weiteren Schlag erhalten. Der Feldzug gegen
Saakaschwili gerät zum internationalen Politikum
Der
menschenverachtende Kriegszug des georgischen Präsidenten Michail
Saakaschwili, der die südossetische Bevölkerung mit Granatwerfern in sein
Staatsgebiet zurückholen wollte, endete in einer militärischen Niederlage.
Seitdem widmet sich Tiflis einer neuen Strategie: der Selbstdarstellung als
Opfer einer russischen Aggression. Der Plan hat Erfolgsaussichten – dank des
Vorgehens der russischen Führung.
Eine russische Seeblockade auf dem Schwarzen Meer
vor dem georgischen Hafen Poti, die
Truppenmobilisierung in Abchasien, das Versenken mehrerer georgischer
Kriegsschiffe und die Bombardements georgischer Städte und Militärflugplätze
auch nach Saakaschwilis Verkündung eines einseitigen Waffenstillstands
verschieben den Blick der Weltöffentlichkeit auf Russland.
Großmacht und Hasardeur: Russland
will seine Macht sichern, Georgien noch während der Amtszeit Bushs den Konflikt
internationalisieren. Europa sollte sich geschlossen auf harte Zeiten
einstellen. »
Moskau vermag es anscheinend einmal mehr nicht,
seine Großmachts-Reflexe und Revanchegelüste zu beherrschen. Der Schutz der
Südosseten und Abchasier vor den georgischen Truppen verwandelt sich in einen
Feldzug gegen Saakaschwili und wird zum internationalen Politikum mit
hohem russisch-amerikanischem Konfliktpotenzial.
Seit Jahren folgte die Konfrontation
südossetischer Milizen und georgischer Militärs demselben Schema: Die eine Seite
beschoss die andere mit allem möglichen Kriegsgerät und duckte sich beim
Antwortfeuer in ihre Stellungen weg. Hernach wurden die Toten, nicht selten
Zivilisten, beklagt
Doch seit dem 1. August eskalierten die
Scharmützel bis zum georgischen Sturm auf Südossetien. Das Ziel dieses Angriffs
bleibt unklar. Denn selbst im Fall eines militärischen Sieges riskierte
Saakaschwili eine zerstörte Republik und einen südossetischen Partisanenkrieg
mit nordkaukasischer Unterstützung, einen russischen Waffengang, den endgültigen
Verlust Abchasiens und eine Bedrohung seiner Nato-Beitrittspläne.
Womöglich wollte Saakaschwili, der mit dem
Versprechen der Wiederherstellung der georgischen Einheit gewählt wurde, durch
einen kleinen, siegreichen Blitzkrieg sein mattes Image aufpolieren. Einiges
spricht dafür, dass sein freundschaftliches Verhältnis mit dem US-Präsidenten
George Bush zu einem Realitätsverlust und der Annahme geführt hat, die
Amerikaner würden massiv zu seinen Gunsten eingreifen und den eingefrorenen
Konflikt um Südossetien internationalisiert auftauen.
Das Ergebnis ist
katastrophal für alle: Südosseten, Georgier und Russen haben den Krieg mit
einem hohen Blutzoll begleichen müssen. Georgien kann alle Hoffnung aufgeben,
Südossetien und Abchasien wieder in sein Staatsgebiet einzugliedern.
Saakaschwili, der sich so gerne mit der aufstrebenden Demokratie in Georgien
brüstete, hat sein Land nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem
politisch-moralisch um Jahre zurückgeworfen. Wer Zweifel an der
Nato-Tauglichkeit der georgischen Politik hegte, muss sich aufs Schlimmste
bestätigt fühlen.
Die sensible Balance der kaukasischen Völker, die
einander oft in Abneigung oder gar Blutrache verbunden sind, muss sich neu
einpendeln. Russland fürchtet zu Recht eine weitere Destabilisierung des nur
oberflächlich befriedeten Nordkaukasus. Doch zugleich hat Moskau die
innergeorgischen und armenisch-aserbaidschanischen Konflikte 15 Jahre lang nach
Belieben geschürt, um die südkaukasischen Nachbarländer mit ihren
Energieressourcen oder strategischen Transportwegen zu schwächen.
Diese Großmachtpolitik à la 19. Jahrhundert rächt
sich nun insofern, als Russland nicht weiß, was es mit den Schutz suchenden
Südosseten und Abchasiern anfangen soll. Ihre Unabhängigkeit in russischer Obhut
bahnt sich an, aber sie schreckt Moskau zugleich als Präzedenzfall für andere in
Russland lebende Völker. Sie droht, einen feindseligen Konflikt mit Georgien zu
verewigen, und beschwert automatisch das Verhältnis zu den USA, die auch den
Kaukasus und das Kaspische Meer geopolitisch bearbeiten.
Russlands Verhältnis zum Westen, das zuletzt eher
von Spannung als von Kooperation geprägt war, hat durch den südossetischen Krieg
einen weiteren Schlag erhalten. Außenpolitisch blieb der neue russische
Präsident Dmitrij Medwedjew bisher ein unbeschriebenes Blatt, aber westliche
Politiker und liberale russische Experten verbanden mit ihm Hoffnungen auf eine
Entspannung. In den letzten Tagen hat die außenpolitische Linie seines
Vorgängers Wladimir Putin unter dem Motto eines verschärften „Weiter so!“
gesiegt. Falls Medwedjew überhaupt ein anderes Vorgehen mit einem begrenzten
Militäreinsatz und einem Angebot der internationalen Kooperation zur Lösung der
Kaukasuskrise bevorzugt hätte, durchsetzen konnte er sich nicht.
Seine Darstellung im russischen Fernsehen als
statischer Kreml-Insasse, während Putin das Krisengebiet bereiste und präsidiale
Kampfreden hielt, kam einer Demütigung gleich. Putin erteilte ihm im direkten
Zusammentreffen befehlsartige Handlungsvorschläge, denen Medwedjew beflissen
nachkam. Der Westen muss sich auf weitere Auseinandersetzungen mit Russland
einstellen.
Auch für Russlands innere Verfassung hat der
Südossetienkonflikt verderbliche Folgen. Nicht eine Öffnung der Gesellschaft,
sondern vielmehr ihre weitere Abkapselung in Schönmalerei hie und Feindbildern
da zeichnet sich ab. Der Propagandafeldzug vor allem im russischen
Staatsfernsehen verwandelte die Journalisten in Kämpfer an der zweiten Front mit
dem Ziel, die Zuschauer gegen georgische „Aggressoren“, ihre ukrainischen
Sympathisanten und die vor allem angelsächsischen Medien zu mobilisieren, die in
eine „antirussische Hysterie“ verfallen seien.
Die teils zweifelhaften Verlautbarungen der
militärischen und politischen Führung Russlands wurden brav verkündet und
ähnliche Statements der georgischen Regierung als Propaganda verhöhnt. Den
Berichten aus dem Kriegsgebiet über Gräueltaten und zivile Opfer wurde kaum
Analyse zur Seite gestellt. Gestern verfügte das russische Militär in
Südossetien zudem ohne Rechtsgrundlage auf fremdem Staatsgebiet eine
Akkreditierungspflicht für Journalisten. Sie hat bereits in Tschetschenien jede
freie Berichterstattung verhindert.
Putins Ausführungen über die angeblich
jahrhundertelange positive Rolle Russlands im Kaukasus als Garant für
„Sicherheit, Zusammenarbeit und Fortschritt“ blieben unkommentiert, obwohl
Russland im 19. und 20. Jahrhundert die Befriedung dieser Region vor allem mit
Feuer und Schwert erzwang. Russische Forderungen nach der Einrichtung eines
internationalen Kriegsverbrechertribunals wurden ausgiebig zitiert, aber ihre
Heuchelei angesichts des kollektiven Vertuschens und Verdrängens der russischen
Verbrechen an der Zivilbevölkerung im zweiten Tschetschenienkrieg bleibt
Tabuthema. So ist die sowieso geschundene Pressefreiheit in Russland weiteres
Opfer eines sinnlosen, verderblichen Kriegs mit noch unübersehbaren Folgen
Zum Thema
Russland will seine Macht sichern,
Georgien noch während der Amtszeit Bushs den Konflikt
internationalisieren. Europa sollte sich geschlossen auf harte Zeiten
einstellen.
[...]»
Trotz des georgischen
Waffenstillstandangebots gingen die Kämpfe auch in der Nacht weiter.
Russische Kampflugzeuge beschossen einen Militärstützpunkt und eine
Radaranlage
[...]»
Der Konflikt um Südossetien ist tief
verankert in der russischen und georgischen Geschichte. Nun ist er erneut
ausgebrochen - mit blutigen Folgen. Bilder des Kriegs
[...]»
Nach Drängen der EU stimmte
Saakaschwili in die einseitige Verpflichtung zur Waffenruhe ein. Dennoch
warnt die internationale Diplomatie vor der Eskalation des Konflikts
[...]»
11.08.2008 © ZEIT
ONLINE
***
Wie der Krieg begann
Saakaschwilis
Version
Im
Konflikt mit Russland setzt der georgische Präsident Michail Saakaschwili auf
deutsche Vermittlung. "Die Deutschen haben ja einen guten Draht zu Russland",
sagte Saakaschwili der "Rhein-Zeitung" in Tiflis. Außenminister Frank-Walter
Steinmeier (SPD) sei "einer von mehreren Vermittlern, die versuchen, mit
Russland zu reden". Für Georgien gehe es ums Überleben. "Das letzte, was wir
wollen, ist dieses Spiel fortzusetzen", sagte der georgische Präsident.
Saakaschwili schilderte in dem Interview seine Sicht der Ereignisse, die zur
Eskalation des Konflikts um die abtrünnige Provinz Südossetien führten. Am 6.
oder 7. August habe er "etwas Übles gerochen", sagte er der "Rhein-Zeitung". Er
habe versucht, mit der russischen Seite zu reden, aber keine Antwort bekommen.
Danach habe er sich an NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und an mehrere
europäische Staatschefs gewandt. Als er plötzlich die Information erhalten habe,
dass russische Schützenpanzer durch den Roki-Tunnel unterwegs seien, der Süd-
und Nordossetien verbindet, habe er nur eine Möglichkeit gesehen, den Konvoi zu
stoppen, nämlich durch Artilleriefeuer.
Der
georgische Präsident warf der russischen Regierung vor, sie wolle die Macht in
Georgien übernehmen. Mit US-Präsident George W. Bush sei er sich einig, dass es
dabei "nicht so sehr um Georgien geht, sondern dass dies in gewisser Weise auch
eine Aggression gegen die Amerikaner ist".
10.08.2008 n-tv
***
Kaukasus-Konflikt
- Die Eskalation begann im Frühjahr in Abchasien
Von Reinhard Veser, Tiflis
Noch lange keine Ruhe: die abchasische Führung
ist nicht mehr zu Gesprächen bereit
10. August 2008 Am
Freitag noch zeigte das russische Fernsehen, wie russische Friedenstruppen
in Abchasien die Streitkräfte der abchasischen Separatisten aufhielten, die
an die Waffenstillstandslinie vorrücken wollten. Man werde das nicht
zulassen, sagte ein russischer Offizier, denn das sei gegen das
Waffenstillstandsabkommen von 1994, und die Friedenstruppen müssten jeden
Verstoß gegen diese Vereinbarung unterbinden. Dann durfte der abchasische
Präsident Sergej Bagapsch sprechen, der an den Ort des Geschehens geeilt
war: Er hoffe, dass die russischen Friedenstruppen ihre Aufgaben richtig
verstünden. Die abchasischen Kämpfer würden ihren Weg auf jeden Fall
fortsetzen, um den Südosseten beizustehen.
Am Sonntagmorgen haben sie es nach eigenen
Angaben geschafft, nachdem abchasische Truppen schon am Samstag mit heftigem
Artilleriebeschuss auf Stellungen der georgischen Armee eine zweite Front im
Krieg in Georgien eröffnet hatten. Im Dreieckskonflikt zwischen Georgien,
seinen beiden abtrünnigen Gebieten und Russland ist damit die Gewalt auch
dort ausgebrochen, wo eine Eskalation im Frühjahr dieses Jahres näher schien
als in Südossetien.
Russland schoss georgische Drohne ab
Ihren vorläufigen Höhepunkt hatten die
Spannungen um Abchasien erreicht, nachdem dort Ende April ein russisches
Kampfflugzeug eine georgische Drohne abgeschossen hatte. Russland bestritt
diese Verletzung der Waffenstillstandsvereinbarungen zwar, doch der
EU-Außenbeauftragte Solana ging mit der Äußerung, er werde seine Krawatte
essen, wenn es nicht die Russen gewesen seien, kein Risiko ein: Eine
Untersuchung der UN-Mission in Georgien (Unomig) bestätigte die georgische
Darstellung. Kurz nach diesem Zwischenfall verstärkte Russland seine
Friedenstruppen in Abchasien, da es - so die Begründung - immer öfter
„Provokationen“ durch georgische Kräfte gebe. Die georgische Regierung
sprach von einer „militärischen Aggression“ - obwohl sich Moskau im Rahmen
der vereinbarten Obergrenze hielt.
Den militärischen Muskelspielen waren einige
politische Schritte Moskaus vorausgegangen, die in Georgien als offene
Schritte in Richtung einer Anerkennung oder Einverleibung Abchasiens
angesehen wurden. Zunächst kündigte Russland am 6. März „wegen veränderter
Umstände“ einen Vertrag aus dem Jahr 1996, in dem die Mitglieder der
Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) Wirtschaftssanktionen gegen das
abtrünnige Gebiet vereinbart hatten. Für Georgien war das eine Ohrfeige.
Russland hatte die Vereinbarung in Wirklichkeit zwar schon lange nicht mehr
eingehalten, aber was bis dahin wenigstens den Buchstaben nach illegal war,
war nun erlaubt.
Zwei Ereignisse für eine härtere Position
Mit seinem nächsten Schritt führte Russland
diese Entscheidung logisch weiter: In einer seiner letzten Amtshandlungen
als Präsident ordnete Wladimir Putin Mitte April an, dass die russische
Regierung offiziell mit den international nicht anerkannten Behörden in
Abchasien und Südossetien zusammenarbeiten solle. Nicht nur mit dem Inhalt
des Erlasses, der nur knapp unterhalb der Aufnahme formeller Beziehungen
blieb, war eine neue Eskalationsstufe erreicht; bis dahin hatte Putin es
vorgezogen, die Georgier von anderen reizen zu lassen. Dass Putin kurz vor
seinem Wechsel in den Sessel des Ministerpräsidenten eine solche
Entscheidung selbst verkündete, war als Signal zu verstehen, dass er die
Georgien-Politik weiter kontrollieren wollte - und dass er eine weichere
Linie nicht zulassen würde.
Zwei Ereignisse waren für Russland der Anlass,
gegenüber Georgien eine härtere Position zu vertreten: die vom Westen
unterstützte Unabhängigkeitserklärung des Kosovos am 17. Februar und die
Zusage der Nato auf ihrem Gipfel in Bukarest Anfang April, dass Georgien und
die Ukraine der Allianz in Zukunft beitreten dürften. Vor beiden
Entscheidungen hatte Moskau mit der Begründung gewarnt, sie würden zu
wachsenden Spannungen führen und könnten zu neuen Konflikten führen - und
diese Vorhersage erfüllte sich auf diese Weise.
Die Nervosität der Georgier
Was für Moskau vermutlich in erster Linie ein
geopolitisches Spiel war, führte im Kaukasus zu einer hochexplosiven Lage,
die in jedem Moment eine nicht mehr kontrollierbare Eigendynamik entwickeln
konnte. Die georgische Regierung musste fürchten, dass ihr die abtrünnigen
Regionen bald ganz entgleiten würden. Das gab den Scharfmachern, die eine
gewaltsame Lösung wollten, neue Argumente. Zudem wurden laut einem Bericht
der International Crisis Group inoffizielle georgische Partisanengruppen
wieder aktiv, die in den Jahren zuvor von der Regierung Präsident
Saakaschwilis weitgehend entwaffnet worden waren.
Die Nervosität der Georgier, die sich in immer
schärferen Worten und wohl auch Truppenbewegungen äußerte, steigerte die
Gereiztheit der anderen. Ein zufälliges Ereignis hätte unter diesen
Umständen zum zündenden Funken werden können: Mitte Mai erreichten die
Spannungen einen weiteren Höhepunkt, nachdem georgische Sicherheitskräfte
mehrere russische Friedenssoldaten festgenommen hatten, die in betrunkenem
Zustand einen Verkehrsunfall verursacht haben sollen.
Im Windschatten Abchasiens
Die Vereinigten Staaten und die EU haben auf
die Spannungen um Abchasien mit deutlichen Bekenntnissen zur territorialen
Integrität und Souveränität Georgiens sowie unmissverständlicher Kritik an
Russland reagiert. Die Sorge, dass die sogenannten eingefrorenen Konflikte
in Georgien bald zum Kochen kommen könnten, führte schließlich auch zur
Friedensinitiative von Außenminister Steinmeier, der Mitte Juli in Georgien
und in Abchasien war, um die Konfliktparteien für Verhandlungen über eine
friedliche Lösung zu gewinnen.
Im Windschatten Abchasiens war allerdings seit
Mitte Juni auch in Südossetien die Lage immer schlechter geworden. Nachdem
in der Nacht vom 2. auf den 3. August bei Schüssen auf Zchinwali sechs
Personen getötet worden waren, teilte die abchasische Führung mit, sie sei
nicht mehr zu Gesprächen bereit. Stattdessen gab sie bekannt, auf das
kleinste Signal hin werde sie den südossetischen Freunden mit allen Mitteln
beistehen. Die zweite Front ist eröffnet.
10.08.2008
Text: F.A.Z. Bildmaterial: AFP
***
Hintergrund: Die bröckelnde
Ex-Sowjetunion
Hamburg (dpa) - Seit dem Zerfall der
Sowjetunion Ende 1991 sind auf dem riesigen Gebiet immer wieder bewaffnete
Konflikte ausgebrochen. Keiner hat die Region insgesamt destabilisiert, aber
es ist auch noch keiner dauerhaft gelöst worden.
Oft rächte sich nach Jahrzehnten die
sowjetische Nationalitätenpolitik, die Völker willkürlich trennte oder
zusammenspannte. Beispiel: Das derzeit umkämpfte Südossetien. In den letzten
Jahren hat der islamische Extremismus die Konflikte im Süden der
Ex-Sowjetunion verschärft. Die Krisenherde von West nach Ost:
- Transnistrien: Der schmale Landstreifen am
Fluss Dnjestr mit russischer und ukrainischer Bevölkerung spaltete sich 1990
von Moldawien ab. Man befürchtete einen Anschluss Moldawiens an das
benachbarte Rumänien. In einem Bürgerkrieg 1992 konnte Moldawien das Gebiet
nicht erobern. Russland behält über Friedenstruppen und ein großes
Munitionsdepot im Dnjestr-Hauptort Tiraspol militärisch einen Fuß in dem
Konflikt.
- Abchasien: Im nationalistischen Überschwang
der Unabhängigkeit schaffte Georgien 1992 die Autonomierechte der
Teilrepublik Abchasien am Schwarzen Meer und des jetzt umkämpften
Südossetiens ab. Mit russischer Hilfe wehrte Abchasien 1992 bis 1994 mehrere
Angriffe Georgiens ab. Seitdem überwachen die Vereinten Nationen die
Waffenstillstandslinie, Russland ist an Friedenstruppen beteiligt.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) legte vor kurzem einen
Plan zur Konfliktlösung vor, der aber angesichts der Eskalation in
Südossetien keine Chance mehr haben dürfte.
- Tschetschenien: Russland ging 1994
militärisch gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Teilrepublik
Tschetschenien im Nordkaukasus vor, musste jedoch 1996 einen
Waffenstillstand akzeptieren. Nach einer zweiten militärischen Eroberung
2000 wehrten sich die Tschetschenen jahrelang mit Guerilla-Attacken.
Terroristen trugen den Kampf immer wieder nach außen, so bei den
Geiselnahmen in einem Moskauer Musical-Theater 2002 und in einer Schule in
der nordossetischen Stadt Beslan 2004.
- Berg-Karabach: Der Streit um das von
Armeniern besiedelte, aber zu Aserbaidschan gehörende Gebiet begann schon
1988 und weitete sich 1992 zu einem Krieg der beiden Staaten aus. Armenien
eroberte Berg-Karabach und weite Teile im Süden Aserbaidschans. Seit 1994
gilt ein brüchiger Waffenstillstand. Durch den Ölboom wird Aserbaidschan
finanziell und militärisch stärker und könnte versucht sein, seine Gebiete
zurückzuerobern.
- Usbekistan: Der zentralasiatische Staat gilt
als das härteste Polizeiregime der Region, gleichzeitig ist das dicht
besiedelte Fergana-Tal im Osten eine Brutstätte für Islamisten. 2005 schlug
das Militär mit Gewalt einen Aufstand in der Stadt Andischan nieder, dabei
wurden mehrere hundert Menschen getötet.
- Tadschikistan: In der ärmsten
Ex-Sowjetrepublik lieferten sich muslimische Fundamentalisten und
Ex-Kommunisten 1992 bis 1994 einen Bürgerkrieg mit zehntausenden Toten. Das
Hochgebirgsland an der Grenze zu Afghanistan war bis zum Sturz der Taliban
Durchzugsgebiet für Islamisten, es bleibt eine wichtige Route des
Heroinschmuggels.
10.08.2008
© Süddeutsche.de
***
Russisches Exempel
Indem Moskau auch das georgische Kernland
angreift und Abchasien in die Krise hineinzieht, will es ein Exempel
statuieren: Die Region ist und bleibt russisches Einflussgebiet.
Im Kampf um
Georgiens abtrünnige Provinz Südossetien gehen die Russen militärisch weit
über das hinaus, was zur Wiederherstellung des Status quo ante notwendig
gewesen wäre. Der "Krieg", von dem Premier Wladimir Putin gesprochen hat,
verfolgt ganz offenkundig nicht nur das Ziel, den versuchten Einmarsch der
georgischen Armee in Südossetien zurückzuschlagen - das war schnell
gelungen.
Indem Moskau auch das georgische Kernland
massiv angreift und die zweite abtrünnige Provinz, Abchasien, in die Krise
hineinzieht, will es ein Exempel statuieren: Die Region ist und bleibt
russisches Einflussgebiet, Georgiens konsequente Hinwendung zu den USA und
Europa wird nicht geduldet.
Der Westen muss jetzt nicht nur darauf
dringen, dass die Kämpfe schnellstmöglich enden. Er muss auch eine Strategie
entwickeln, die verhindert, dass die Regionalkonflikte im Kaukasus immer
wieder als Hebel großrussischer Machtpolitik missbraucht werden.
Zweifellos hat der georgische Präsident
Michail Saakaschwili mutwillig mit dem Feuer gespielt, als er seinen
Soldaten befahl, das faktisch von Russland abhängige Südossetien
zurückzuerobern. Mit einer heftigen Gegenreaktion Moskaus, das die
Südosseten mit einer sogenannten Friedenstruppe unterstützt, war in jedem
Fall zu rechnen.
Saakaschwili, der sein Land schnellstmöglich
in die Nato führen will, steckt jedoch spätestens seit dem Bukarester Gipfel
des Bündnisses in einem Dilemma. Die Allianz hat Georgien eine
Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, einzelne Nato-Staaten verbanden dies
aber mit sehr problematischen Bedingungen: Sowohl die ungelösten Konflikte
mit den Separatisten als auch der Widerstand Russlands, so gab man Tiflis zu
verstehen, seien Hindernisse für den Beitritt.
Saakaschwili schloss daraus offenbar, er müsse
die Probleme selbst offensiv angehen. Russland zeigt jetzt, dass es das
Vetorecht zu nutzen gedenkt, das ihm vor allem Frankreich und der deutsche
Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Vorfeld des Bukarest-Gipfels
indirekt zugebilligt hatten.
Diese Signale an Moskau waren ein fataler
Fehler. Steinmeier ist immerhin zugute zuhalten, dass
er zuletzt als einer der wenigen erkannte, wie heiß der Streit im Kaukasus
zu laufen drohte. Mitte Juli begann er eine Friedensinitiative für
Abchasien, die aber an der abchasischen Führung scheiterte.
Nun ist es höchste Zeit für einen größeren
Friedensplan, an dem sich EU, USA und Russland beteiligen müssen. Die
Georgier bitten seit Langem um internationale Vermittlung in dem Konflikt.
Man sollte sie beim Wort nehmen.
10.08.2008 Financial
Times Deutschland
***
Krieg im Kaukasus: Russland greift Georgien an
zwei Fronten an
Georgiens Präsident Michail Saakaschwili hat sich
verrechnet. Er wollte Südossetien mit Gewalt wieder eingliedern. Doch damit
lieferte er Russland nur einen willkommenen Vorwand, um im Kaukasus neue Fakten
zu schaffen. Es geht um die Kontrolle über Rohstoffe und Pipelines:
Am Tag zwei des
neuen Krieges im Kaukasus hat Russland zurückgeschlagen.
Russische Kampfjets haben selbst Ziele im georgischen Kernland angegriffen.
Moskau beordert die Schwarzmeerflotte in die ebenfalls abtrünnige Republik
Abchasien. Dort wurden am Samstag schon von Georgien gehaltene Gebiete
angegriffen, auch abchasische Separatisten attackierten georgische Stellungen.
Russen und Abchasen eröffnen also gemeinsam eine zweite Front gegen Georgien.
Und einen Tag nachdem die Georgier die südossetische Hauptstadt Zchinwali
eingenommen haben, werden sie von den Russen dort schwer beschossen.
Das hatte sich Georgiens Präsident Michail
Saakaschwili sicher anders vorgestellt, als er der georgischen Armee den Befehl
gab, nach Südossetien vorzurücken. Nun sah er sich genötigt, den Kriegszustand
auszurufen, und bot den Russen zugleich einen Waffenstillstand an.
Um den Georgiern zu helfen, kündigte der britische
Verteidigungsminister Des Browne an, dass Nato, EU und die Vereinigten Staaten
von Amerika eine Delegation entsenden wollen, die einen Waffenstillstand
verhandeln soll. US-Präsident George W. Bush sprach in Peking von einer
gefährlichen Eskalation und rief Russland zur sofortigen Beendigung der Angriffe
auf Gori auf.
Unabhängig davon, wer den aktuellen Konflikt
tatsächlich ausgelöst hat - nach dem brutalen Bombardement der südossetischen
Hauptstadt Zchinwali, bei dem nach russischen Angaben 2000 Menschen gestorben
sein sollen, steht die politische Zukunft des georgischen Präsidenten auf dem
Spiel. Auf der anderen Seite schwindet für Russland, das die Okkupation
georgischen Territoriums betreibt und die Grenzen seiner ohnehin zweifelhaften
"Friedensmission" in Südossetien weit überschreitet, mit jedem Kriegstag die
internationale Reputation. Angriffe auf Ziele in Georgien selbst, auf Poti oder
Gori etwa, lassen sich nicht rechtfertigen.
In Georgien treffen die Interessen der beiden
Großmächte USA und Russland aufeinander. Das macht die Situation so brisant.
Präsident Saakaschwili setzt völlig auf die Unterstützung der USA und der EU,
die ihn beim Aufbau der Demokratie unterstützen und halfen, die georgische Armee
auszubilden und aufzurüsten. Im Westen besteht zudem weitgehende Übereinstimmung
darüber, dass das Land im Südkaukasus eine Beitrittsperspektive für die Nato
hat.
Nicht weniger wichtig für den Westen ist die
Erdölpipeline, die von Baku über georgisches Territorium in die Türkei führt und
dabei Russland umgeht. Sehr zum Ärger Moskaus, das den gesamten Kaukasus und vor
allem das christliche Georgien als untrennbaren Teil seines Einflussgebietes
betrachtet, seit Ostgeorgien 1783 einen Schutzvertrag mit Russland abschloss.
Allerdings wehrten sich die anderen georgischen Provinzen sehr lange gegen die
russische Vorherrschaft. Das Land kam erst 1864 mit der Annexion des Fürstentums
Abchasien völlig unter Moskaus Herrschaft.
Dem läuft freilich die Tatsache zuwider, dass die
Georgier es nach der Oktoberrevolution 1917 recht eilig hatten, sich im Frühjahr
1918 für unabhängig zu erklären. Die Freiheit währte nur drei Jahre. Die Rote
Armee eroberte das Land und gliederte es in die Sowjetunion ein. Die Russen
reisten gern zum Urlaub in die südlichen Gefilde an der Schwarzmeerküste und
genossen Früchte und Wein aus Sakartwelo, wie die Georgier ihr Land nennen. Umso
stärker traf es sie, dass die Kaukasier 1991, nach dem Zerfall der Sowjetunion,
die Unabhängigkeit ausriefen. Mehrfach bescheinigten russische Politiker ihrem
südlichen Nachbarn daraufhin in Herrenmenschenart, nicht fähig zur
Staatenbildung oder zur Verwaltung des Landes zu sein. Die Georgier selbst
hatten in ihrem Unabhängigkeitswillen nicht bedacht, dass auch sie in einem
problematischen Vielvölkerstaat lebten. Neben Abchasen und Adschariern kündigten
auch die Südosseten nach dem Ende der Sowjetunion ihr Zusammenleben mit dem
georgischen Mutterland auf. Von Georgien sahen sie sich unterdrückt, vom Norden
angezogen, lebte doch ein Teil ihres Volkes schon lange unter russischer
Verwaltung. Historisch wurden die Osseten bereits im 5. Jahrhundert durch den
georgischen König Wachtang I. getrennt. Er riegelte den strategisch wichtigen
Dariel-Pass ab - heute ersetzt durch den Roki-Tunnel - und brachte die südlich
gelegenen Gebiete, in die bereits Osseten eingesickert waren, unter georgische
Herrschaft. Die setzte sich auch nach Gründung der Sowjetunion fort. Die
nördlich des Passes lebenden Osseten, wie ihre südlichen Brüder Muslime,
schlossen sich bereits 1774 dem Russischen Reich an.
1991 forderten die Südosseten eine autonome
Republik. Die Führung in Tiflis unter dem nationalistischen Präsidenten Swiad
Gamsachurdia schickte Tausende Freischärler, die sich nach den nun folgenden
anderthalb Jahren blutiger Kämpfe zurückziehen mussten. 2000 Menschen starben
damals. Seitdem fordert Südossetien mit der Hauptstadt Zchinwali eine
Unabhängigkeit, die - im Gegensatz zu Abchasien, das ein eigener Staat sein will
- in einem Anschluss an Russland münden soll.
Nach Jahren der relativen Ruhe brach der Konflikt
2004 erneut auf, als Saakaschwili den "kaukasischen Fuchs" Eduard Schewardnadse
aus dem Präsidentenamt jagte und selbst das Staatsruder in die Hand nahm.
Saakaschwili, damals ob seiner westlichen Art mit Vorschusslorbeeren bedacht,
erhob die "Wiederherstellung der territorialen Integrität Georgiens" zur
obersten Priorität seiner Politik. Doch was ihm mit Adscharien, einer einst
ebenfalls abtrünnigen Provinz an der türkischen Grenze, ohne einen einzigen
Schuss abzugeben gelang, hat nun gänzlich andere Dimensionen angenommen.
Unter anderem auch deshalb, weil sich in
Südossetien, wie auch in Abchasien, russische Truppen befinden, die mit dem
Mandat der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und georgischer Zustimmung den
Frieden in der Konfliktzone sichern sollen. Doch von Beginn des Mandats an, das
1993 erteilt worden war, nutzte Moskau seine Sonderstellung, um seinen
geschwundenen Einfluss in der Region zurückzugewinnen.
Je mehr sich Georgien dem Westen zuwandte, desto
mehr Unterstützung fanden die Separatistenregimes in den abtrünnigen Provinzen.
Verhandlungen über eine gewaltfreie Wiedereingliederung von Abchasien und
Südossetien ins Mutterland wurden hintertrieben. Angebote Saakaschwilis an
Abchasen und Südosseten, ihnen "weitestgehende" Autonomie zuzugestehen, lehnten
sowohl die Separatisten als auch Moskau ab.
Selbst ein eifriger Verfechter der territorialen
Integrität, entdeckte Russland plötzlich das Völkerrechtsprinzip der nationalen
Selbstbestimmung für sich. Das durfte zwar auf Tschetschenien nicht angewandt
werden, kam aber in der russischen Diplomatie nach der Unabhängigkeit des Kosovo
zu neuen Ehren. Die Entwicklung dort wurde als Präzedenzfall herangezogen, um
Georgien und den Westen unter Druck zu setzen.
Die "stille Annexion" Abchasiens und Südossetiens
durch Moskau war weit fortgeschritten. Russische Pässe, auf die ein Bürger der
Russischen Föderation wochen- oder gar monatelang warten muss, wurden in
Abchasien und Südossetien freigiebig verteilt. Mit dem Ergebnis, dass 80 bis 90
Prozent der Einwohner russische Staatsbürger wurden und Präsident Medwedjew nun
vollmundig den Schutz seiner Landsleute vor georgischen Angriffen verlangen
kann.
Dieses aktiv unterstützte Abdriften der eigentlich
zu seinem Land gehörenden Regionen versetzte den wenig geduldigen Saakaschwili
zunehmend in Panik. Sein strategisches Programm zur Reintegration der
Abtrünnigen drohte endgültig zu scheitern. Zudem wuchs auch die Aggressivität
auf südossetischer Seite. Der Beschuss georgischer Dörfer, angeblich auch mit
schweren Waffen, und Berichte über Hunderte aus Russland herangekarrte
"Freiwillige" mögen ihn zur militärischen Lösung eines Problems gedrängt haben,
für das es allerdings keine militärische Lösung gibt. Dass er dazu, wie in
Moskau kolportiert wird, den Segen der Amerikaner bekommen haben soll, als
Außenministerin Condoleezza Rice dieser Tage Tiflis besuchte, scheint
unglaubwürdig. Für Washington ist Stabilität in der Region das oberste Gebot. Wo
Öl fließt, zündelt man nicht. Und eine Konfrontation mit Russland will ohnehin
niemand.
Saakaschwili könnte allerdings gehofft haben,
Zchinwali mit einem Handstreich zu nehmen und vollendete Tatsachen zu schaffen,
ehe die politische Führung in Moskau wach wird, die derzeit gebannt nach Peking
schaut. Und wenn es schiefläuft, so mag Saakaschwili gedacht haben, gibt es ja
noch die Verbündeten. Er hätte nach den vielen Warnungen aus Moskau jedoch
wissen müssen, dass die Reaktion schnell und nachhaltig sein würde.
Die brutale Antwort der Russen, die mit ihren
Angriffen auch vor georgischem Gebiet nicht haltmachen, hat diesen Plan
zunichtegemacht. Georgien kann trotz einer modernen Armee keine Konfrontation
mit Russland bestehen. Vor dem "Backfire"-Bomber Tu-22, der Berichten zufolge
eingesetzt wurde, hat sogar die Nato Respekt.
Auch wenn die russische Armee nicht nach Tiflis
marschiert - was wegen der dortigen US-Präsenz höchst unwahrscheinlich ist -,
wird das russische Militär auch nach den Kampfhandlungen deutlich verstärkt im
Südkaukasus aufgestellt bleiben. Und zwar auf lange Sicht. Die Aussichten
Georgiens, die abtrünnigen Gebiete je wieder in den Staatsverband
einzugemeinden, haben sich damit in Rauch aufgelöst.
Wenn selbiger sich verzogen hat, wird sich jedoch
der georgische Präsident im eigenen Land verantworten müssen. Die Opposition
dürfte sich diese Gelegenheit wohl kaum entgehen lassen.
Bilder und Analysen zum Krieg in Südossetien:
welt.de/georgien
10.08.2008 WELT ONLINE
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Hilflosen Heißsporne, halbseidene Krieger
Ein Kommentar von Christian Neef
Der eskalierende Krieg im Kaukasus ist ein
Beispiel für politischen Starrsinn auf allen Seiten. Die Diplomatie ist hilflos
und kann außer warmen Worten nichts liefern. Auch der Westen hat versagt - klare
Worte gegenüber Russland sind schon lange nicht mehr en vogue.
"Krieg in Südossetien", "Generalmobilmachung in
Georgien", "Russland marschiert ein": Das sind die Schlagzeilen eines
Wochenendes, von dem die Zeitungsmacher gedacht hatten, allein die Spiele in
Peking schafften es auf Seite eins. Die Verblüffung, sprich: Verärgerung über
diesen plötzlich ins Rampenlicht drängenden Konflikt ist so groß, dass selbst
das Internationale Olympische Komitee – das, wie man weiß, politisch besonders
feinfühlig ist – die Eskalation der Kämpfe kritisiert: "Das ist nichts, was die
Welt jetzt sehen möchte."
Da hat das IOC ausnahmsweise einmal recht.
Südossetien – bitte wo? Zchinwali? – Nie gehört! Ein Gebirgsländchen,
anderthalbmal so groß wie das Saarland und das alles nicht mal 3000 Kilometer
von Berlin entfernt? Und dort rollen nun russische und georgische Panzer,
fliegen russische Kampfjäger Angriffe im georgischen Hinterland? Es ist
verrückt, aber jetzt rächt sich, dass niemand – und das fast 20 Jahre lang –
diese kleinen köchelnden Krisenherde im ach so unverständlichen Kaukasus
wahrhaben wollte: Berg-Karabach, Abchasien, Südossetien…
Micheil Saakaschwili, der junge Heißsporn auf dem
Präsidentenstuhl in Tiflis, will zwei seiner Provinzen zurückholen ins Land, die
in den blutigen Sezessionskriegen Anfang der neunziger Jahre verlorengegangen
sind – damals mussten Hunderttausende seiner Landsleute über Nacht ihre Heimat
verlassen. Ihnen irgendwann einmal die Rückkehr in ihre angestammte Heimat zu
ermöglichen war eines seiner wichtigsten Wahlversprechen – kein georgischer
Präsident könnte diesen verständlichen Wunsch ignorieren, bei Strafe seines
Untergangs. Man muss sich das so vorstellen, als hätten die Sorben einen Teil
Brandenburgs privatisiert und den Rest der Bevölkerung von dort vertrieben –
oder als ob die Bayern… Aber lassen wir die Vergleiche.
Das vergebliche Streben gen Nato
Für die Logik Saakaschwilis spricht zudem, dass
ihm die (westliche) internationale Gemeinschaft seit Jahren zu verstehen gegeben
hat, mit seinen ungelösten Konflikten in Abchasien und Südossetien komme er
nicht in Nato oder EU. Das aber natürlich will er, und zwar aus ganzem Herzen,
um endlich dem Gravitationsfeld des erdrückenden Nachbarn Russland zu
entfliehen.
Und, auch das sollte man dem gelernten Juristen
zugute halten, wenn es um Soll und Haben geht: Die halbseidene Führung im
Separatistensprengel Südossetien, deren sogenannter Präsident im Hauptberuf
Freistilringer war, hat die angebotenen Autonomiegespräche in der Regel
boykottiert. Was die Vermutung nahelegt, sie sei an einer ernsthaften
politischen Lösung nie wirklich interessiert gewesen, weil sie genügend
russische Rückendeckung für ihren Kurs besitzt. Schon Trotzki hat über die
Osseten gesagt, sie seien ein grobes und gewalttätiges Volk, was natürlich
polemisch gemeint und eher auf seinen Erzrivalen Stalin gemünzt war.
Daraus folgt: Saakaschwili mag gedacht haben, dass
mit Diplomatie am Kaukasus überhaupt nichts mehr zu erreichen ist, der Konflikt
also nur militärisch zu regeln sei – jetzt, wo sein stärkster Gönner George W.
Bush noch im Amte ist. Die Aufrufe des Westens, die Gewalt sofort einzustellen,
kaschieren nur die eigene Hilflosigkeit. Auch der Plan des deutschen
Außenministers Frank-Walter Steinmeier, die georgischen Flüchtlinge in die alte
Heimat zurückzubringen und irgendwann später die Statusfrage der umstrittenen
Gebiete zu regeln, erscheint naiv.
Stalins willkürliche Grenzen
Aber wer bitte hat an alledem nun Schuld? Stalin
natürlich: Der hat seinerzeit die Grenzen der Sowjetrepubliken willkürlich
gezogen, damit der Vielvölkerstaat handhabbarer für den Kreml wird. Die Osseten
traf das insofern, dass sie in einen nördlichen und einen südlichen Teil
gespalten wurden. Der eine gehörte zur "Russischen Sozialistischen Föderativen
Sowjetrepublik", der andere zur Sowjetrepublik Georgien - was damals nichts
ausmachte, weil ja eh alles zum selben Land gehörte. Erst als die Sowjetunion
dahinschied und Georgien die Gunst der Stunde nutzte, wieder unabhängig zu
werden, waren die Osseten plötzlich wirklich geteilt – denn nun war der
Kaukasuskamm mitten in ihrem Sprengel zur Staatsgrenze geworden.
"Schuld" haben natürlich auch die Separatisten
selbst. Nord- und Südosseten sind nun mal ein Volk. Eines, das immer schon eher
in Richtung Moskau blickte, weshalb die cholerischen Georgier gern von den
"Russenknechten" sprachen. So begannen die Südosseten sehr früh schon den Kampf
um ihre eigene Unabhängigkeit. Bei den Abchasen war es etwas anders, sie waren
nie geteilt und hatten früher sogar mal ein eigenes Königreich. Stalin aber
assimilierte sie mit Zuckerbrot und Peitsche und verordnete ihnen dann sogar das
georgische Alphabet. Die ersten Staatschefs des postsowjetischen Georgiens –
Swiad Gamsachurdia und Eduard Schewardnadse – führten diesen Kurs leider fort.
Damit sind die nächsten Schuldigen genannt: Im
Überschwang des neu erwachten Nationalgefühls Anfang der neunziger Jahre
glaubten die früher so weltoffenen Georgier auf einen strengen Einheitsstaat
setzen zu müssen, statt den anderen Völkern auf ihrem Territorium neue Formen
der Autonomie anzubieten. Schewardnadse kostete das im Abchasien-Krieg fast
selbst das Leben. Immerhin war der Ex-Sowjet-Außenminister noch eine eher
ausgleichende Natur, was man von seinem Nachfolger Saakaschwili nun wirklich
nicht sagen kann.
Das alles hätte sich Mitte der neunziger Jahre,
als vorübergehend liberalere Kräfte nicht nur in Tiflis, sondern sogar in
Zchinwali und Suchumi regierten, vielleicht noch lösen lassen. Aber dann kam das
neue Russland ins Spiel, diese verletzte Großmacht, Leute wie Putin, die
ihrerseits nie mit dem Verlust Georgiens fertig geworden waren. In den
abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien erkannten sie ein wunderbares
Instrument, um den Staat am Südrand des Kaukasus in Aufruhr zu halten. Als dann
auch noch der Westen – und hier zuallererst die USA – Geschmack an der
strategischen Lage Georgiens bekam, war es mit der Ruhe in Tiflis endgültig
vorbei. Er werde alles tun, um die Aufnahme Georgiens in die Nato zu verhindern,
hat Putin immer wieder gesagt – und was eignete sich besser dazu, als all die
köchelnden Konflikte künstlich am Leben zu halten.
Wie der Konflikt zu lösen ist? Im Moment wohl gar
nicht, müsste man aus heutiger Sicht sagen, wenn man denn ehrlich ist. Später
vielleicht dadurch, dass die Südosseten nach Russland übersiedeln, was natürlich
den bitteren Beigeschmack einer Deportation hätte und an Stalins Vertreibungen
während der vierziger Jahre erinnern würde. Die Abchasen aber brauchen eine
weitgehende Autonomie.
Der Westen zaudert
Und der Westen? Er hat, man ist es ja nun fast
schon gewohnt, durch seine Zweideutigkeiten die Lage verschärft. Er ist für
Georgiens "territoriale Integrität", aber wie der arme Saakaschwili die nun
herstellen soll, das sagt er nicht. Diplomatisch scheint es nicht zu
funktionieren, der militärische Weg aber ist zu Recht verpönt. Das Hauptproblem
aber ist die westliche Haltung zu Russland, seit nahezu 20 Jahren schon.
Deutliche Worte mit Moskau zu reden, ist schon lange nicht mehr en vogue, was
die Russen stets als Schwäche auslegen. Klare Worte dagegen nehmen sie durchaus
ernst. Man müsse Russland "einbinden" und auf Moskaus Empfindlichkeiten
Rücksicht nehmen, lautet seit dem ersten Tschetschenien-Krieg 1994 die Parole.
Diese Politik hat weder Russlands brutales Vorgehen in Grosny verhindern können,
noch den Krieg um Berg-Karabach oder die Massaker von Suchumi und Zchinwali.
Selbsttäuschung, Angst vor einer schwer
berechenbaren Großmacht, Unkenntnis der ethnischen Probleme in der Region und
heillose Zerstrittenheit im eigenen Haus EU – so bleibt man einflusslos am
Kaukasus.
09.08.2008 SPIEGEL ONLINE
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Georgien verhängt Kriegsrecht
Für die kommenden 15 Tage befindet sich sein
Land im Krieg gegen Russland, erklärte der georgische Präsident
Saakaschwili. Die EU und die USA wollen vermitteln.
In
Georgien – dessen Militär eine Großoffensive in der abtrünnigen
Teilrepublik Südossetien gestartet hat – ist nach schweren russischen
Luftangriffen am Samstag das Kriegsrecht für zunächst 15 Tage verhängt
worden. Das Parlament in Tiflis bestätigte das entsprechende Dekret von
Präsident Michail Saakaschwili.
US-Präsident George W. Bush hat Russland aufgerufen, eine internationale
Mediation zu akzeptieren. Von Peking aus forderte er Moskau auf, die
Bombenangriffe unverzüglich einzustellen und die territoriale Integrität
der ehemaligen Sowjetrepublik zu respektieren. Der russische Außenminister
Sergej Lawrow hatte zuvor den USA, ohne diese beim Namen zu nennen,
vorgeworfen, Georgien massiv aufgerüstet zu haben.
Bomben auf Abchasien
Russland hat nach georgischen
Medienberichten auch damit begonnen, einen von der georgischen
Zentralregierung kontrollierten Teil der abtrünnigen Teilrepublik
Abchasien zu bombardieren. Betroffen sei das obere Kodori-Tal, sagte der
Sekretär des georgischen Sicherheitsrats, Kakha Lomaia, am Samstag in
einer Telefonkonferenz. Es gebe Tote und Verletzte. Die abchasische
Führung bestätigte die Angriffe; es handle sich aber um abchasische und
nicht um russische Flugzeuge, hieß es. Ein abchasischer
Regierungsvertreter hatte Georgien beschuldigt, seine Truppen an der
Grenze zu Abchasien deutlich zu erhöhen. Nach der Offensive in Südossetien
rechne auch Abchasien mit "Provokationen von der georgischen Seite".
1600 Tote
Seit dem Ausbruch des Konflikts seien auf
georgischer Seite etwa 100 Menschen getötet worden, sagte Lomaia. Moskau
hatte die Zahl der getöteten Zivilisten bei der georgischen Offensive in
Südossetien mit 1500 angegeben. Die südossetische Regierung unter
Präsident Eduard Kokoity sprach von 1600 Toten. Sie verlangt nach
Kosovo-Vorbild eine international anerkannte Unabhängigkeit, um sich
anschließend freiwillig mit der russischen Teilrepublik Nordossetien
vereinigen zu können.
Medwedew verteidigt Vorgehen
Die russische Armee hat nach eigenen Angaben
die südossetische Hauptstadt Zchinwali vollständig unter Kontrolle.
Russische Soldaten hätten die Stadt "völlig befreit", berichteten am
Samstag russische Medien unter Berufung auf das Militär. Der russische
Präsident Dmitri Medwedew verteidigte die Militärschläge. Die russischen
Soldaten hätten die Aufgabe, "unsere Bevölkerung zu schützen". Etwa 90
Prozent der Einwohner Südossetiens haben russische Pässe.
Sarkozy soll vermitteln
Georgien könne sich den französischen
Präsidenten Nicolas Sarkozy, dessen Land den EU-Ratsvorsitz innehat, als
Vermittler vorstellen, sagte Lomaia. "Wie hoffen immer noch, dass
westlicher Druck auf Moskau sobald wie möglich zu einem Rückzug russischer
Truppen aus Georgien führt." Georgien habe zehn russische Kampfflugzeuge
abgeschossen und einen russischen Piloten festgenommen. Auch 30 russische
Panzer seien in georgischer Gewalt, sagte Lomaia.
Moskau sucht Lösung
Nach Angaben des Vorsitzenden des
außenpolitischen Ausschusses des Europäischen Parlaments, des deutschen
Christdemokraten Elmar Brok, strebt Russland bilaterale Verhandlungen mit
Georgien an. Bedingung sei, dass beide Seiten ihre Truppen wieder abzögen
und ein Waffenstillstand vereinbart werde, so Brok. Russland und Georgien
werfen sich nach seinen Worten gegenseitig vor, überreagiert zu haben. Er
berief sich auf höchste Quellen in Moskau und Tiflis, die ihn angerufen
hätten. Georgien hoffe stark auf eine deutsche Vermittlung in dem
Konflikt, weil nach georgischer Auffassung Berlin in Moskau ein hohes Maß
an Glaubwürdigkeit habe, betonte Brok. Der deutsche Außenminister
Frank-Walter Steinmeier hatte die Konfliktparteien am Freitag zu
sofortigen Gesprächen aufgefordert.
09.08.2008 KURIER
(Österreich)
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Russland schlägt georgische Offensive zurück
Pressestimmen zur Südossetien-Krise
Mit der blutigen Eskalation der
Südossetien-Krise befasste sich am Samstag die internationale Presse.
The Times, London:
"Russland betrachtet immer noch benachbarte Gebiete als seine
Einflussgebiete, wobei Gewinne für den Westen zwangsläufig Verluste für
Russland bedeuten. In diesem Kontext mag das Angebot der NATO an die
Ukraine und Georgien empörend erscheinen."
Le Figaro, Paris:
"Der georgische Präsident Saakaschwili stemmt sich gegen die
Einschüchterungsversuche der Russen und setzt auf die Hilfe westlicher
Länder. Doch er macht sich Illusionen. Die NATO wird kaum einen Krieg
gegen Russland riskieren, um Georgien zu retten."
Tages-Anzeiger, Zürich:
"Zu lange haben die beteiligten Akteure am Pulverfass Kaukasus gezündelt.
Jetzt ist es explodiert. Irgendwann hätte ein kluger Kopf 'Stopp' sagen
müssen. Aber keiner tat es: Die Russen verhinderten störrisch jede Lösung
des Konflikts. Die USA ihrerseits haben den georgischen Präsidenten
bedenkenlos unterstützt - mit Waffen, mit Experten und mit internationaler
Rückendeckung. "
Der Tagesspiegel, Berlin:
"Saakaschwili ist vielleicht ein Heißsporn, ein Selbstmörder ist er nicht.
Völkerrechtlich hat er ohnehin alle Argumente auf seiner Seite. Der
Landstrich gehört nun einmal zu Georgien. (…) Russland kann an einer
weiteren Eskalation des Konflikts nicht gelegen sein, vor allem dann
nicht, wenn es dafür von Georgien und dem Westen freie Hand für Abchasien
bekommt."
Süddeutsche Zeitung, München:
"Kriege habe eine innere Logik, die sich selten nach der Frage richtet,
was es zu gewinnen oder verlieren gibt, oder ob der Gewinn den Blutzoll
lohnt. Die Konflikte um separatistische Kaukasus-Republiken sind dafür ein
Beispiel. Lange Zeit galt es im Westen als ausgemacht, dass Moskau nicht
an einer Eskalation gelegen sein kann. Diese Einschätzung war offenbar
falsch. Russische Panzer sind auf dem Weg. Tiflis hat die USA um Hilfe
gebeten. Nun findet sich Washington in einer ungewohnten Rolle: Es muss
verhindern, dass aus dem Kampf um eine lächerlich kleine Provinz ein
Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West wird."
Frankfurter Rundschau:
"Der georgische Krieg ist gefährlich weit über die Region hinaus. Wird er
zum Stellvertreterkonflikt zwischen Ost und West, bedeutet das eine
globale Konfrontation. Für Europa hat das erhebliche Konsequenzen vor
allem wirtschaftlicher Art. Stichwort: Erdöl und Erdgas."
Neues Deutschland, Berlin:
"Die Konflikte, ob nun um Berg-Karabach, Tschetschenien, Abchasien oder
Südossetien, wurden eingefroren, aber nicht gelöst. Zumindest im Falle
Südossetiens geht es der 'westlich orientierten' Zentralregierung in
Georgien, die mit der versprochenen NATO-Mitgliedschaft über eine
Trumpfkarte verfügt, auch um den Machtkampf mit Moskau."
Gazeta Wyborcza, Warschau:
"Mit seiner Entscheidung, Südossetien zu 'befreien' oder, wie er sagte,
die 'Verfassungsordnung wiederherzustellen', hat der georgische Präsident
einen riesigen Fehler begangen. Wie früher Slobodan Milosevic hat er nicht
begriffen, dass sein Land nur zwischen dem Abschied von den abtrünnigen
Republiken Abchasien und Südossetien und dem Zerfall des Landes infolge
blutiger Konflikte wählen kann. (...) Wahrscheinlich hat Georgiens
Präsident listig darauf gesetzt, dass am Freitag, als die Olympischen
Spiele begannen, Russland neutral bleiben würde. Das erwies sich als
naiv."
09.08.2008
KURIER
(Österreich)
***
Ein Desaster
In dem Krieg werden alle verlieren, allen
voran die Georgier.
Überraschend am neuen Konflikt ist nur der Standort. Die meisten
Warnungen deuteten zuletzt darauf hin, dass ein Krieg um die nominell
zu Georgien gehörende, doch von Russland kontrollierte
Schwarzmeerregion Abchasien entbrennen würde. Stattdessen ist nun das
Pulverfass Südossetien in die Luft geflogen: eine arme Region, die
Moskau als Faustpfand gegenüber der nach Westen strebenden Republik
Georgien nutzte.
Zwar fehlen bisher unabhängige Berichte. Doch die Indizien deuten
darauf hin, dass Georgien bewusst einen lang geplanten Krieg
entfesselt hat.
Entscheidend für den Fortgang des Konflikts ist das Verhalten
Moskaus. Präsident Medwedjew schickte umgehend Panzer nach
Südossetien. Das war zu erwarten von einem Russland, das sich
zusehends nationalistisch gibt.
Wenn Georgiens Präsident Saakaschwili seine Ankündigung wahrmacht
und tatsächlich zehntausende Reservisten mobilisiert, steht der
Kaukasus vor einem neuen, blutigen Krieg. In dem werden alle
verlieren: in erster Linie Georgier und Osseten, die möglicherweise zu
Tausenden sterben. Eine hohe Zeche werden auch hunderttausende
Georgier zahlen, die bisher ihr Geld in Russland verdienten und denen
nun verschärfte Repressionen bevorstehen.
International wird der Konflikt die Atmosphäre selbst dann
vergiften, wenn er sich nicht zum langen Krieg entwickelt. Daran
tragen alle Beteiligten die Schuld: Russland, das die eingefrorenen
Konflikte in Südossetien und Abchasien zynisch für seine Interessen
genutzt hat. Washington, das Georgien wegen seiner Bedeutung als
Transitland für Öl und Gas, möglicherweise auch als militärischen
Brückenkopf für einen Angriff auf den Iran aufgebaut hat. Und vor
allem Saakaschwili, der Georgien nun in ein desaströses Abenteuer
führt.
E-Mail:
f.hassel@nachrichten.at
vom 09.08.2008 (Österreich)
***
Kaukasus
Das deutsche
Engagement in Georgien
Die Konflikte in Abchasien und Südossetien schwelen seit Jahren, das
Engagement der internationalen Gemeinschaft konnte die Krise bislang nicht
entschärfen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier appellierte an Russland und
Georgien, aus der Gewaltspirale auszubrechen und einen Dialog zu
beginnen

Deutschland hat während seiner deutschen EU-Ratspräsidentschaft im
vergangenen Jahr die Initiative für eine vertiefte Zusammenarbeit mit der
Schwarzmeer-Region ergriffen. Die Hoffnung: Mehr Kooperation führt zu mehr
Vertrauen und erleichtert die Lösung der regionalen Konflikte. Wie
unberechenbar und explosiv die Lage ist, zeigt jedoch am Freitag die
Eskalation der Gewalt um die abtrünnige Kaukasusregion Südossetien, die
Georgien in einen Krieg gegen Russland führt.
Wie mühsam die Vertrauensbildung ist, musste Außenminister Frank-Walter
Steinmeier (SPD) bereits im Juli bei seiner Vermittlungsmission in Georgien
feststellen, das einer der Partner der Schwarzmeer-Initiative ist. Sein
Friedensplan für die ebenfalls nach Unabhängigkeit strebende georgische
Region Abchasien wurde von beiden Seiten zunächst abgelehnt. Erst nach einer
Intervention Russlands wurde vereinbart, dass Gesandte aus Georgien und
Abchasien demnächst in Berlin zu Gesprächen zusammenkommen sollen.
Steinmeier war als Vertreter der „UN-Freundesgruppe für Georgien“ in die
Region gereist, deren Vorsitz Deutschland derzeit inne hat. Der Gruppe
gehören außerdem die USA, Großbritannien und Russland an. Sie soll sich im
Auftrag der UN für eine Beilegung der Krise einsetzen, die seit der
einseitigen Unabhängigkeitserklärung Abchasiens 1992 währt. An der
UN-Beobachtermission in Georgien zur Entschärfung des Abchasien-Konflikts
beteiligen sich zurzeit zwölf Bundeswehrsoldaten.
Keine deutschen Militärbeobachter in Südossetien
Während sich die UN vorrangig in dem wirtschaftlich und geostrategisch
bedeutsameren Abchasien engagiert, ist in Südossetien die Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) federführend. Die
OSZE-Mission in Georgien wurde Ende 1992 gestartet. Zu ihren Aufgaben zählt
unter anderem, Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien in Südossetien zu
fördern, Wahlen zu beobachten und den Aufbau der Infrastruktur zu begleiten.
Anfang des Jahres waren insgesamt 142 OSZE-Kräfte vor Ort, davon 106
nationale und 36 internationale Mitarbeiter. Im Zuge der jetzigen Eskalation
des Konflikts mit Russland und der Mobilmachung in Georgien mussten sich
allerdings auch alle nationalen OSZE-Kräfte beim georgischen Militär melden.
In Südossetien direkt sind derzeit keine deutschen Militärbeobachter der
OSZE tätig.
Der finnische OSZE-Vorsitz bemühte sich am Freitag darum, dass Georgien und
Russland in direkte Gespräche über Südossetien eintreten. Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier (SPD) hob angesichts der Lage in Südossetien die
Notwendigkeit hervor, auch im Abchasien-Konflikt die Parteien baldmöglichst an
einen Tisch zu bringen.
ZUM THEMA
Südossetien:
Vom Säbelrasseln zum Krieg
Georgien:
Besatzung, Widerstand und zwei Konfliktherde
Kaukasus-Konflikt:
Russen marschieren in Südossetien ein
Hintergrund:
Südossetien und Abchasien
09.08.2008 FOCUS Online
***
Krieg um Südossetien - Machtkampf im Kaukasus
Eine Analyse von Tomasz Konicz
Die derzeit eskalierende Krise um die abtrünnige georgische Provinz
Südossetien birgt aufgrund ihres historischen und geopolitischen Kontextes ein
enormes, möglicherweise auf die gesamte kaukasische Region ausstrahlendes
Konfliktpotential.
Generell gilt Russland als eine Schutzmacht nicht nur der Südosseten, sondern
auch der Abchasier - einer weiteren abtrünnigen Republik auf georgischem
Territorium. Es verwundert somit kaum, dass die abchasische Führung in Sochumi
den bedrängten Südossetiern umgehend militärische Unterstützung zusagte.
Georgien richtete am 8. August umgehend eine Aufforderung an Abchasien, sich aus
dem Konflikt herauszuhalten. Abchasien errang seine Abspaltung von Georgien in
einem blutigen Sezessionskrieg, der zwischen 1992 und 1993 zehntausende Menschen
das Leben kostete und 250.000 georgische Flüchtlinge zur Folge hatte.
Mit ihrem historischen Charakter als "eingefrorene Konflikte", die im Gefolge
des Zusammenbruchs der Sowjetunion ausbrachen und keineswegs befriedet sind,
stehen Südossetien und Abchasien aber keinesfalls alleine dar. Während der
Implosion der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre brachen in viele Regionen längst
vergessen geglaubte, nationale Konflikte auf. Zu den politisch ungelösten
Konfliktherden gehören das von Armeniern bewohnte Bergkarabach, das sich während
eines Bürgerkrieges (1992-1994) von Aserbaidschan abspaltete, sowie
Transnistrien, dessen Bewohner sich nach mehrmonatigen Kämpfen 1992 von
Moldawien abspalteten.
Bollwerk Russlands
All diese faktisch unabhängigen, aber formell von
dem meisten Staaten nicht anerkannten Republiken dürften nun aufmerksam den Gang
der Ereignisse in der südossetischen Hauptstadt Zchinwal verfolgen - wie auch
die Regierungen in Baku und Kischinau. Besonders das durch reichlich sprudelnde
Erdöleinnahmen in Devisen schwimmende Aserbaidschan könnte der Verführung
erlegen, ebenfalls nach georgischem Vorbild einen „kurzen Prozess“ mit der
armenischen Enklave Bergkarabach zu machen. So konnte Aserbaidschan seine
Militärausgaben bereits 2006 auf 650 Millionen US-Dollar steigern, während das
mit Bergkarabach verbündete Armenien gerade mal 150 Millionen US-Dollar
aufwenden konnte. Armenien ist wiederum ein wichtiger Verbündeter Russlands.
Zusätzliche Sprengkraft erhalten diese "eingefrorenen Konflikte"
dadurch, dass die nationalen Spannungen längst in das geopolitische Kräftemessen
der Großmächte im postsowjetischen Raum eingebunden sind. Alle genannten
abtrünnigen Republiken sehen Moskau als ihre Schutzmacht an und erhalten
teilweise umfangreich Unterstützung. Russland stellt großzügig russische Pässe
in Abchasien oder Südossetien aus, so dass die meisten Abchasen und Südosseten
inzwischen über einen russischen Pass verfügen, de facto russische Bürger sind.
Der Kreml sieht in diesen abtrünnigen Republiken ein Bollwerk gegen die
Expansion westlichen Einflusses in dem traditionell als eine russische
Interessensphäre wahrgenommenen Raum.
Garantie- und Schutzmacht
Für den Kreml steht bei diesem Konflikt somit
seine Rolle als Garantie- und Schutzmacht all dieser abtrünnigen Regionen und
des ebenfalls eng verbündeten Armenien auf dem Spiel. Sollte Tiflis die
Offensive nicht einstellen, wird Moskau weiterhin militärisch intervenieren
müssen, will es seine dominierende, machtpolitische Stellung in der Region nicht
gefährden. Über die taktischen Erwägungen der georgischen Führung um Präsident
Michail Saakaschwili kann derzeit nur spekuliert werden. Möglich ist, dass
die militärische Führung in Tiflis den Beginn der Olympischen Spiele als einen
günstigen Zeitpunkt zum derzeitigen Losschlagen bestimmte, zumal Russland Ende
Juli seine Eisenbahntruppen aus dem unweit gelegenen Abchasien abgezogen hat,
die dort Wartungsarbeiten verrichteten. Es ist aber gewiss, dass Saakaschwili
mit der nun eingeleiteten Militäroperation auch seine politische Zukunft in die
Waagschale wirft. Der im Zuge der "Rosenrevolution" 2003 an die Macht gespülte
Saakaschwili sah sich seit den letzten Wahlen im November 2007 mit einer
erstarkenden Opposition und fallenden Umfragewerten konfrontiert. Eine
Rückgewinnung der abtrünnigen Provinzen würde die Stellung des georgischen
Präsidenten sicherlich langfristig verbessern - eine Niederlage bedeutet für
Saakaschwili das sichere politische Aus.
USA als Fürsprecher Georgiens
Sowohl Georgien als auch Aserbaidschan streben
zudem eine Integration in westliche Militär- und Wirtschaftsbündnisse an.
Insbesondere in Tiflis ist man bemüht, möglichst bald der Nato beitreten zu
können. Das südkaukasische Land nimmt am Nato-Programm "Partnerschaft für den
Frieden" teil, in dessen Rahmen im Juli 2007 auf georgischem Territorium ein
umfangreiches Nato-Luftwaffenmanöver stattfand, und stellt ein 900 Mann starkes
Militärkontingent im Irak. Noch im April dieses Jahres konnte nur aufgrund
massiver russischer Kritik und deutsch-französischer Vorbehalte eine Aufnahme
Georgiens und der Ukraine in den "Membership Action Plan (map) der Nato
verhindert werden. Auf diesem Nato-Gipfel in Bukarest traten vor allem die
Vereinigten Staaten als Fürsprecher Georgiens und der Ukraine auf. Zudem sind
bereits jetzt amerikanische Militärberater an der Ausbildung der georgischen
Streitkräfte beteiligt.
Auch Aserbaidschan kooperiert bereits eng mit der
Nato - und in den russischen Medien wollen die Gerüchte über eine von Baku
angestrebte Vollmitgliedschaft mit dem westlichen Militärbündnis nicht
verstummen. Dabei bilden Aserbaidschan und Georgien bereits einen wichtigen
energiepolitischen Brückenkopf des Westens in die rohstoffreiche,
zentralasiatische Region.
Die hauptsächlich von amerikanischen und
westeuropäischen Ölkonzernen errichtete Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (btc-pipeline)
befördert seit 2005 aserbaidschanisches Rohöl über Georgien - und somit unter
südlicher Umgehung Russlands - bis in den türkischen Mittelmeerhafen von Ceyhan.
Dies ist bislang das einzige erfolgreiche Projekt des Westens rund um das
Kaspische Meer, dessen energieträger nahezu vollständig über russischen Transit
nach Westeuropa fließen. Wobei sowohl die europäische Union wie auch die USA
weiterhin bestrebt sind, eben diese Monopolstellung Russlands zu brechen. Die
nationalen Konflikte der Region spielen sich somit vor dem Hintergrund einer
Neuauflage des "great game" um die Rohstoffe Zentralasiens ab.
08.08.2008 Stern
***
Kaukasus
Neue Angriffe im alten Krieg
VON FLORIAN HASSEL
Eigentlich sollte am Donnerstag verhandelt werden.
In Zchinwal, Zentrum der zu Georgien gehörenden, doch von Russland
kontrollierten Region Südossetien wollten Unterhändler beraten, wie ein sich
rasant verschärfender Konflikt entschärft werden kann.
Doch statt Gespräche gab es im Kaukasus neue Kämpfe. Südosseten beschießen seit
Mittwochabend georgische Dörfer und Stellungen mit Artillerie, Georgier nehmen
südossetische Dörfer ins Visier. Wer zuerst schoss, ist umstritten. Nach
Mitteilungen beider Seiten gibt es mindestens 20 Verletzte, möglicherweise auch
Tote. Schon am 2. August starben mindestens sechs Südosseten bei Gefechten.
Neuer Stellvertreterkonflikt
Bisher ist unklar, wie eine weitere Zuspitzung des Konflikts verhindert werden
kann. Es ist ein Konflikt ähnlich dem zwischen Georgien und der nominell zu
Georgien gehörenden Schwarzmeerregion Abchasien. Und wie jener Konflikt sieht
auch der Streit um Südossetien wie ein Stellvertreterstreit zwischen Moskau und
dem Westen aus.
Seine Wurzeln
liegen in der Sowjetzeit und zur Zeit deren Zerfalls: Als die Georgier 1991 die
Unabhängigkeit ausriefen, forderten die Osseten eine autonome Republik. Georgien
antwortete mit Tausenden Freischärlern. In eineinhalb Jahren Krieg starben fast
2000 Menschen. Seit der Zeit lehnt sich Südossetien an Russland an. Russland
finanziert den Haushalt, bestimmt den Präsidenten, stellt den Premier,
Geheimdienstchef und Militärs.
Militärisch blieb es seit den blutigen Kämpfen zwischen den Nachbarn in den
90ern lange ruhig. Doch als 2004 in Georgien Michail Saakaschwili an die Macht
kam, gab der junge Präsident der "Wiederherstellung der territorialen Integrität
Georgiens" Priorität. Hätte Saakaschwili eine Rückkehr unter Moskaus
Oberherrschaft akzeptiert, hätte der Kreml vielleicht seine Schutzherrschaft
über Südossetien und Abchasien aufgegeben. Saakaschwili jedoch will Georgien in
die Nato führen und als Transitland für Öl und Gas unter Umgehung Russlands
etablieren. Er lässt sich einen Großteil seines Haushalts von Washington
bezahlen und erklärte im April 2007, er wolle im nur gut vier Millionen Menschen
starken Georgien eine 100 000 Mann starke Armee aufbauen. In der Nähe
Südossetiens bauen die Georgier eine neue Militärbasis.
Georgiens Innenminister Wano Merabischwili, ein enger Vertrauter des
Präsidenten, nannte Südossetiens Führer kürzlich "Banditen", deren Regime
hoffentlich "seine Existenz beenden wird". Quellen der FR und der International
Crisis Group zufolge sollen georgische "Falken" auf schnelle Kriege zur
Rückeroberung Abchasiens, möglicherweise auch Südossetiens drängen.
US-Marines
trainieren Georgier
Der Kreml verstärkte seinerseits die Unterstützung Südossetiens und Abchasiens.
Fast alle Südosseten haben mittlerweile einen russischen Pass. Für Moskau wäre
das der Vorwand, im Kriegsfall zum "Schutz russischer Staatsbürger"
einzugreifen.
Verhandlungsversuche blieben bisher erfolglos. Am 14. Juli scheiterte auch ein
neuer Vermittlungsversuch der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE). Russen und Südosseten misstrauen der OSZE schon wegen des dort
großen Einfluss der USA, die Georgien als Klientelstaat adoptiert haben.
Vom 15. bis zum 31. Juli trainierten auf der ehemals sowjetischen Militärbasis
Wasiani östlich von Tiflis mehr als 1000 US-Marines 600 georgische Soldaten.
Russland konterte mit der Übung "Kaukasus 2008": Bei der übten Mitte Juli 8000
Fallschirmspringer und andere Eliteeinheiten in Südrussland einen möglichen
Einsatz in Abchasien oder Südossetien.
Russlands Außenministerium warnt nun vor einem neuen Krieg. Georgiens Präsident
Michail Saakaschwili rief "alle auf, die Konfrontation unverzüglich zu beenden".
Doch die Schuld für die Krise gab er Russland. "Wir werden maximale
Zurückhaltung zeigen", sagte Saakaschwili. "Doch wir empfehlen niemandem, mit
Provokationen fortzufahren."
07.08.2008 Frankfurter Rundschau Online
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Gefechte im Kaukasus
Separatisten-Republiken im
Ausnahmezustand
VON KARL GROBE
Nach heftigen Feuergefechten spitzt sich der
Konflikt zwischen Georgien und seinen beiden abtrünnigen Regionen zu. Die
Behörden Südossetiens haben seit dem Wochenende über tausend Frauen und Kinder
nach Russland evakuiert und die Mobilmachung angekündigt. In Abchasien wurde der
Ausnahmezustand ausgerufen und das Militär in Alarmzustand versetzt.
Bei Schießereien zwischen georgischen und
südossetischen Militäreinheiten wurden am Wochenende sechs Personen getötet und
rund 15 verletzt. Das melden russische und georgische Nachrichtenmedien
übereinstimmend. Die georgische Regierung sagt, ihre Soldaten hätten einen
Angriff auf georgische Dörfer beantwortet. Die südossetische Seite erklärt
hingegen, georgische Freischärler hätten Zchinwali, die Hauptstadt der
abtrünnigen Republik, unter Feuer genommen. Einig sind sich beide Seite darin,
dass dies der schwerste Zwischenfall seit der einseitigen
Unabhängigkeitserklärung Südossetiens vor rund 15 Jahren war. An einigen
Zwischenfällen war Russland beteiligt.
Die Maßnahmen der Behörden in Abchasien, das
gleichfalls von Georgien abgefallen war, stehen im Zusammenhang mit der
Eskalation in Südossetien. Wie der Tifliser Fernsehsender Rustavi 2 meldet,
wolle Abchasien auf Seiten Südossetiens militärisch eingreifen, falls Georgien
dort angreife.
Die Teilnahme an den Friedensverhandlungen für
Abchasien hat dessen Führer Sergej Bagapsch abgesagt. Diese für den laufenden
Monat nach Berlin anberaumten Gespräche stehen im Zusammenhang mit dem
Friedensplan, den der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit nur
geringem Erfolg kürzlich den Konfliktparteien vorgelegt hatte.
Nordossetien will beistehen
Südossetiens Separatistenführer Eduard Kokoity
versichert unterdessen, das zu Russland gehörende Nordossetien werde seiner
Seite Beistand leisten. Ob ein Treffen des georgischen Integrationsministers
Temur Iakobaschwili mit Vertretern Russlands und Südossetiens stattfinden wird,
ist unklar.
Russlands Sonderbotschafter Juri Popow sagte am
Dienstag, bei einer Zuspitzung werde Russland "nicht gleichgültig bleiben".
Südossetien und Abchasien sind von Russland abhängig, das dort Friedenstruppen
unterhält, deren Neutralität Georgien bezweifelt.
05.08.2008 Frankfurter
Rundschau Online
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Kriegsgefahr im Kaukasus
Von Carmen Eller, Moskau
Nach heftigen Gefechten mit Georgien haben
die Behörden in Südossetien mehr als tausend Kinder evakuiert. Im Kaukasus droht
ein Krieg - und das gleich an zwei Fronten.
Moskau - Busse mit südossetischen Kindern rollen
nach den Kämpfen über die Grenze - hinaus aus einem Staat, den das Ausland als
solchen nicht anerkennt, hinein in das Nachbarland, das Rückendeckung gibt.
Mehr als tausend Menschen hat Südossetien nach
eigenen Angaben aus der russischen Region Nordossetien in Sicherheit gebracht,
nachdem es in der abtrünnigen Republik am Wochenende zu Feuergefechten zwischen
georgischen und südossetischen Streitkräften gekommen war. Bei den Kämpfen
wurden sechs Menschen getötet, weitere 15 verletzt, es sind die schwersten
Auseinandersetzungen, seit sich Südossetien Mitte der neunziger Jahre von
Georgien losgesagt hat.
Die Regierung in Tiflis erklärte, die Streitkräfte
hätten am Wochenende lediglich auf einen Angriff georgischer Dörfer reagiert.
Südossetien dagegen beschuldigte Heckenschützen, die Hauptstadt Zchinwali unter
Beschuss genommen zu haben.
Nur heimliche Kontakte zwischen russischen und
georgischen Diplomaten hätten bislang den Ausbruch eines Krieges verhindert,
schrieb am Montag die angesehene russische Tageszeitung "Nesawissimaja Gaseta"
in ihrer Titelgeschichte. Wie das Blatt erfahren haben will, sei die Initiative
zu dem Treffen von Tiflis ausgegangen.
Nach wie vor kollidieren im Kaukasus die
Interessen: Der Wunsch des südossetischen Volkes nach Selbstbestimmung steht dem
Anspruch Georgiens nach territorialer Integrität entgegen.
Krieg an zwei Fronten
Im vorrevolutionären Russland galten die Osseten
als loyale Bürger. Auch als die Bolschewiken Georgien in den zwanziger Jahren
besetzten, schlugen sie sich auf die Seite des Kremls. Die südkaukasische Region
besaß dann in der Sowjetunion Autonomie innerhalb der Sozialistischen
Georgischen Republik. Während des georgisch-ossetischen Konfliktes in den frühen
neunziger Jahren erklärte sich Südossetien schließlich zu einem eigenständigen
Staat. Hunderte Menschen starben im Unabhängigkeitskrieg, Tausende flüchteten.
Daneben verließen auch über 100.000 der in Südossetien angesiedelten Georgier
die Region.
In Referenden, die Südossetien in den Jahren 1992
und 2006 durchführte, stimmten die Bürger mit überwältigender Mehrheit für ihre
Unabhängigkeit. Aus Rücksicht auf die Regierung in Tiflis erkennt die
internationale Gemeinschaft die selbst erklärte Eigenständigkeit jedoch nicht
an. Völkerrechtlich gehört Südossetien deshalb immer noch zu georgischem Gebiet.
Der georgische Präsident Michail Saakaschwili erklärte es gar zur Priorität
seiner Amtszeit, die territoriale Einheit Georgiens zu sichern. Um den eigenen
Anspruch auf das abtrünnige Südossetien zu legitimieren, führt Tiflis bis heute
das Argument an, in der zur Disposition stehenden Region hätten noch vor hundert
Jahren kaum Osseten gelebt.
Während Südossetien auf Selbstbestimmung setzt,
treibt Georgien die Angst um, an den Autonomieansprüchen zu zerbrechen.
Schließlich sieht sich auch das als Urlaubsregion beliebte Abchasien als
unabhängige Republik. Völkerrechtlich allerdings zählt das Land am Schwarzen
Meer ebenfalls zum georgischen Staat. Dabei besitzt es längst eine eigene
Regierung, Verfassung und Armee.
In Südossetien wie in Abchasien stehen russische
"Friedenstruppen", die Moskaus Einfluss sichern. Der russische Einsatz in den
abtrünnigen Regionen ist Georgien nicht zuletzt deshalb umstritten, weil
ungelöste Konflikte im eigenen Land einem Nato-Beitritt im Wege stehen und die
Republiken stärker an Russland binden. Seit der Anerkennung des Kosovo hat der
Kreml sein Engagement noch verstärkt. Russland warnte Georgien am Sonntag vor
einer Eskalation der Lage in Südossetien: "Moskau ist sehr besorgt über die
Eskalation der Spannungen in der Region, die auf eine unverhältnismäßige
Anwendung von Gewalt auf georgischer Seite zurückzuführen ist", sagte Russlands
Außenminister Grigori Karasin.
Schon jetzt besitzt die Mehrheit der Bürger in
Südossetien und Abchasien einen russischen Pass und tätigt ihre Geschäfte in
Rubeln. Auch wirtschaftlich hängen die beiden De-facto-Staaten von russischer
Hilfe ab.
Zudem verhalten sich Südossetien und Abchasien
solidarisch zueinander: Die Kaukasusrepubliken verstehen sich in der
territorialen Frage als Bündnispartner gegen Georgien. So hat der abchasische
Präsident Sergej Bagapsch aufgrund der Kämpfe in Südossetien seine Teilnahme an
den für Mitte August geplanten Vermittlungsgesprächen in Berlin bereits
abgesagt.
Sollte Tiflis einen Krieg gegen Südossetien
beginnen, will Abchasien auf seinem Territorium eine zweite Front eröffnen. Die
neue Gewalt in Südossetien ist ein Warnsignal. Denn punktuelle Kampfhandlungen
in dieser Region haben das Potential, sich jederzeit zu einem Krieg
auszuwachsen. Zumindest so lange, bis es in den zentralen Streitfragen einen
Schritt vorwärts geht.
05.08.2008 SPIEGEL ONLINE
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UN:
Anschlag am Wahltag in Georgien wahrscheinlich Inszenierung
Die
UN stützt die These mehrerer Journalisten aus Georgien, dass der Anschlag
auf zwei Busse am Tag der Parlamentswahlen in der abtrünnigen georgischen
Teilrepublik Abchasien eine Inszenierung der Regierung war. Ein von der UN
veröffentlichter Bericht stellt Zweifel an der Darstellung der Regierung
Saakaschwili dar, dass der Anschlag von abchasischen Separatisten verübt
worden war.
Am 21. Mai, dem Tag der Wahl, waren zwei Reisebusse beschossen worden. Dabei
wurden vier Menschen verletzt. Der Anschlag wurde von mehreren georgischen
Fernsehsendern aufgezeichnet und als Anschlag von Separatisten dargestellt.
An diesen Aufnahmen störten sich bereits die Journalisten, die am 25. Juni
einen Dokumentation dazu der Öffentlichkeit vorstellten. Sie hatten mehrere
Zeugen interviewt. Eigenartig erschien schon die Tatsache, dass der Anschlag
in ausgezeichneter Qualität und ohne jegliche Bewegung der Kamera gefilmt
war. Dies führte zu der Schlussfolgerung, dass die Busse bereits zuvor vor
Ort aufgestellt und die Kameras auf Stativen auf diese ausgerichtet worden
waren.
Zudem berichteten Zeugen, dass Mitarbeiter der Behörden sie vor dem Anschlag
dazu veranlasst hatte, für Aufnahmen als Statisten zu arbeiten.
Der Bericht der UN schreibt nun, dass sich Bewohner aus der Region Gali auf
einem Fußballplatz in Churtscha versammeln mussten. Sie flohen von dort,
nachdem sie aus kleinkalibrigen Waffen beschossen worden waren. Anschließend
wurden die beiden Reisebusse mit raketengetriebenen Lenkwaffen in die Luft
gesprengt. Dieser Beschuss erfolgte, so fand die UN heraus, von dem Teil der
Verwaltungsgrenze zu Abchasien, der von der Zentralregierung kontrolliert
wird. Der Abstand zwischen Abschuss und Zielen (den Bussen) lag dabei bei
nur rund 100 Metern.
Die UN berichtet weiter, dass man die Identität der Schützen nicht
feststellen konnte. Die Art der Filmaufnahmen lege aber nahe, dass die UN
den Angriff weiter untersuchen werde.
Ein Grund für die UN ist dabei, dass dieser Angriff von der UN offiziell als
einer der schwersten der letzten Jahre eingestuft worden war.
Der Bericht stellt zudem dar, dass drei Menschen bei dem Angriff verletzt
worden sind und ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Eine der Personen
wurde schwer verletzt.
In dem Bericht heißt es zudem, dass die Darstellung der georgische Regierung
falsch sei, nach der die georgischen Bewohner der Konfliktzone in der
abtrünnigen Teilrepublik daran gehindert worden seien, die Verwaltungsgrenze
zu übertreten, um ihre Stimme abzugeben. (Civil Georgia / Georgian Times)
30.07.2008 Georgien Nachrichten
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Ein bisschen Frieden aus Berlin
Harald Neuber
04.08.2008
Der Konflikt um die Kaukasus-Republik Abchasien soll in Deutschland
verhandelt werden. Doch ihr Schicksal hängt von Moskau ab
Nun scheinen Georgien und Abchasien doch zu Verhandlungen bereit. Noch Mitte
Juli hatten die beiden verfeindeten Kaukasus-Staaten einen Friedensplan des
deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier abgelehnt. Der SPD-Politiker
war während einer zweitägigen Reise in die Region mit den Konfliktparteien
zusammengekommen. Doch sowohl die georgische Regierung in Tiflis als auch die
Führung der
Autonomen Republik Abchasien
hatten den Vorstoß Steinmeiers abgelehnt. Erst die Intervention des russischen
Außenminister Sergej Lawrow brachte die Kehrtwende. Moskaus Chefdiplomat machte
damit deutlich: Ohne Russland wird einer der großen Konflikte im Kaukasus nicht
beizulegen sein.
Steinmeier war mit dem Mandat der "UN-Freundesgruppe für
Georgien" in die Krisenregion gereist. Das Bündnis aus den USA, Großbritannien
und Russland soll sich im Auftrag der UNO für eine Beilegung der Krise
einsetzen, die seit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Abchasiens 1992
währt. Deutschland hat derzeit den Vorsitz der Gruppe inne. In der abchasischen
Hauptstadt Sochumi kam Steinmeier deswegen mit dortigen Politikern ebenso
zusammen wie in Tiflis und Moskau (Gescheiterte
Friedensmission von Außenminister Steinmeier).
Sein Anliegen ist nicht einfach: Seit dem
abchasisch-georgischen Krieg 1992 sind die Fronten verhärtet. Obwohl die
"Autonome Republik Abchasien" international nicht anerkannt ist, konnte ihre
Führung mit russischer Hilfe de facto eine staatliche Struktur errichten, mit
der heute umgegangen werden muss. Die Krise um Abchasien ist damit ebenso wie
die Auseinandersetzung um die von Georgien beanspruchte Republik Südossetien ein
Erbe des Zerfalls der Sowjetunion. Erschwert wird eine Lösung dadurch, dass die
Region knapp zwei Jahrzehnte später ebenso im Visier Russlands als auch der
NATO, also der USA, steht. Es darf deswegen bezweifelt werden, ob es Deutschland
gelingt, das Problem im allseitigen Einverständnis zu lösen.
Unübersichtliche Positionen
Zunächst aber überwiegt die Zuversicht. Denn zunächst hatte
alles nach einem Scheitern der Steinmeier-Reise ausgesehen. Nach Berichten von
Nachrichtenagenturen hatte auch die Führung Südossetiens den Vorschlag des
deutschen Außenministers als "ungeeignet" abgelehnt. Der stellvertretende
Ministerpräsident des von Georgien beanspruchten Landes kritisierte vor allem,
dass die Situation der allein in dieser Region rund 80.000 Vertriebenen nicht
hinreichend berücksichtigt wurde. Aber auch in Abchasien traf der Plan auf
Ablehnung. Georgiens Präsident Michail Saakaschwili lehnte zentrale Elemente des
Vorhabens ebenso ab.
Abchasien fordert vor der Aufnahme jedweder Gespräche den
vollständigen Rückzug georgischer Truppen vom eigenen Territorium. Georgien
besteht zunächst auf die Rückkehr der Flüchtlinge, deren Zahl auf 250.000
geschätzt wird. Im Verlauf des Krieges waren alleine 200.000 Georgier vertrieben
worden. In Anbetracht der jüngsten Spannungen besteht Russland als Schutzmacht
indes auf ein Abkommen zum Gewaltverzicht. Eine schwierige Gemengelage für eine
diplomatische Lösung.
Dass nach
Lawrows Intervention zumindest
im Konflikt zwischen Abchasien und Georgien die Konfliktparteien bereit sind,
sich an einen Tisch zu setzen, zeigt den großen Einfluss Russlands in der
Region. Nach einem Treffen mit Steinmeier in Moskau bezeichnete der russische
Außenminister den deutschen Plan als "sehr hilfreich" und "umfassend". Ende
August bereits könnten in Berlin die Gesandten aus Sochumi und Tiflis
zusammenkommen, um über einen Drei-Punkte-Plan zu verhandeln. Zunächst sollen
dabei die militärischen Konflikte beigelegt und das Flüchtlingsproblem gelöst
werden. In weiteren Schritten sind Wiederaufbauprojekte vorgesehen. Und
schließlich sieht die Initiative Steinmeiers Gespräche über den
völkerrechtlichen Status Abchasiens vor - das wohl schwierigste aller
Unterfangen.
Kosovo im Kaukasus
In der Region wird das Projekt mit einer Mischung aus Hoffnung
und Skepsis verfolgt. "Viele in Moskau und Tiflis trauern heute den versäumten
Möglichkeiten für eine Lösung des Problems nach", schrieb unlängst der
georgische Journalist Arno Chidirbegischwili in einem
Kommentar für die russische
Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Auch Chidirbegischwili weist auf die
Polarisierung zwischen Russland und dem Westen hin. Moskau betreibe heute in
Abchasien Aufbauhilfe, als ob es sich um eine russische Region wie
Tschetschenien handelte, während die Führung in Sochumi offen auf einen
Anschluss an Russland orientiere. Georgien hingegen beziehe Abchasien in die
NATO-Beitrittspläne ein - ohne Rücksprache mit der Regionalführung gehalten zu
haben und vor allem: ohne aus der
Gemeinschaft unabhängiger Staaten
(GUS) ausgetreten zu sein. Es ist nicht der einzige Punkt, den Chidirbegischwili
an der Politik von Tiflis kritisiert: Wenn sich die Krise zwischen den USA und
Iran entspanne - dafür gebe es derzeit immerhin vage Anzeichen, könnte das
Interesse Washingtons an der Partnerschaft mit Georgien schlagartig erlöschen.
Und dann stehe Tiflis alleine da.
Trotz der Ablehnung durch die georgische Regierung ist
Russland derzeit auf internationalem Parkett gestärkt. Paradox ist, dass dies
nicht einmal den eigenen Leistungen, sondern der westlichen Balkan-Politik zu
verdanken ist. Denn nach der international nach wie vor höchst umstrittenen
Anerkennung der südserbischen Provinz Kosovo durch die EU und die USA kann sich
Moskau auf dieses Beispiel berufen. Wenn sich das Kosovo von Serbien lossagen
konnte, weshalb soll Abchasien und Südossetien ihre Eigenstaatlichkeit
verweigert werden? Russlands Außenminister und die Führung Abchasiens können den
Verhandlungen in Berlin vor diesem Hintergrund also gelassen entgegensehen. Man
darf gespannt sein, wie die deutschen Gastgeber und die Vertreter aus den USA
sowie Großbritannien sich aus dieser Zwickmühle zu befreien versuchen.
04.08.2008 www.heise.de
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Georgiens Separatisten
gesprächsbereit -Fordern eigenen Zeitplan
Suchum (Reuters) - Die Rebellen der abtrünnigen
georgischen Region Abchasien haben sich zu Gesprächen unter deutscher
Vermittlung grundsätzlich bereiterklärt.
Man bestehe aber auf einen eigenen Zeitplan, erklärte der für die
Außenpolitik verantwortliche Separatistenführer Sergej Schamba nach Gesprächen
mit US-Vertretern am Freitag. Die von Außenminister Frank-Walter Steinmeier
vorgeschlagenen Gesprächstermine kommende Woche in Berlin lehnte er ab. "Wir
werden prüfen, wann es günstig sein kann und werden bekanntgeben, wann wir an
dem Treffen teilnehmen können", sagte Schamba. Gegenüber Reuters erklärte er,
ein Gesprächstermin innerhalb eines Monats sei möglich.
Steinmeier hatte den Separatisten, der georgischen Regierung und Russland
zuletzt einen Drei-Stufen-Plan zur Beilegung des Konflikts vorgelegt. Dieser
sieht einen Waffenstillstand sowie Wiederaufbau-Projekte vor, die schließlich
das nötige Vertrauen für Gespräche über den endgültigen Status Abchasiens
schaffen sollen. Die Rebellen lehnten den Friedensplan umgehend ab. Abchasien
hatte sich 1992 für unabhängig erklärt. Seit Russland im April eine Aufwertung
der Beziehungen zu den Separatisten ankündigte, hat sie die Lage zusehends
zugespitzt.
Auch die US-Regierung hat sich aktiv in die deutschen Vermittlungsbemühungen
eingeschaltet. Der Vize-Staatssekretär im US-Außenministerium Matthew Bryza warb
am Freitag in Gesprächen mit Schamba für eine Teilnahme an den Gesprächen. "Wir
wollen einfach, dass die Verhandlungsprozess in Bewegung kommt", sagte Bryza. Er
hoffe weiterhin, dass die Gespräche kommende Woche stattfinden würden.
25.07.2008 Reuters
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Schleichender Krieg im Nord-Kaukasus
Russische Truppen angeblich bereits in Kodor-Tal, Georgische Soldaten in
Ossetien festgenommen
Von Natalia Schmidt
Trotz einer gewissen Mäßigung des verbalen
Säbelrasselns scheint die Kriegsgefahr im nördlichen Kaukasus nicht gebannt.
Medienberichten zu Folge sind russische Truppen in den vergangenen Tagen auf
georgisch besetztes Gebiet in Abchasien vorgedrungen, andere verletzten den
georgischen Luftraum. Zugleich bauen die „nichtanerkannten“ Republiken selbst
ihre Beistandsabkommen offenbar aus.
Wie lokale Medien unter Berufung auf eine nicht
namentlich genannte Quelle im Gali-Distrikt melden, sind russische Truppen in
der vergangenen Woche in das Kodor-Tal vorgedrungen. Dabei soll es sich um
mehrere hundert Mann voll ausgerüstete Paramilitärs gehandelt haben. Zugleich
besetzten russische Truppen neue Stellungen an der eigenen Grenze zu Georgien.
Zu Zusammenstößen mit georgischen Truppen kam es offenbar nicht. Keine der
beiden Seiten wollte die Meldung bislang bestätigen.
Allerdings räumte Rußland in den vergangenen Tagen
erstmals die Verletzung des georgischen Luftraumes durch seine Luftwaffen am 8.
Juli ein. UN-Botschafter Witaly Tschurkin zu Folge sei man damit einem
georgischen Angriff zuvorgekommen. Tiflis weist diese Darstellung zurück. Der
Kreml habe sich nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo entschlossen, die
bislang als „eingefroren“ betrachteten Konflikte der „nichtanerkannten“ Staaten
quasi aufzutauen, heißt es in Kommentaren regierungsnaher russischer Medien..
Tatsächlich schien sich der Konflikt zwischen
Georgien, sowie Abchasien, Süd-Ossetien und deren Garantiemacht Rußland in den
vergangenen Wochen zuzuspitzen. Höhepunkte waren mehrere Bombenanschläge in der
abchasischen Hauptstadt Kodor, für welche die abchasische Seite Georgien die
Schuld zuweist, sowie der Beschuß der süd-ossetischen Hauptstadt Zinchwali von
georgischem Gebiet. Auch in diesem Fall wird der georgischen Seite vorgeworfen,
im Vorfeld über den Angriff zumindest informiert gewesen zu sein und die eigenen
Soldaten zuvor abgezogen zu haben.
Zudem bestätigen ausländische Militärs nach
Informationen österreichischer Zeitungen, daß Georgien auf seiner südlich der
Grenze gelegenen Basis Senaki 12.000 Mann zusammengezogen hat. Kommentatoren
sprechen von einer heimlichen Mobilmachung, was jedoch wohl als übertrieben
anzusehen ist. Immerhin: die georgische Armee, vor Jahren den damaligen
abchasischen Rebellen hoffnungslos unterlegen und vor allem völlig
desorientiert, ist in den vergangenen Jahren mit US-Hilfe aufgebaut worden. Im
Gegenzug werden die abchasischen Truppen von Rußland ausgebildet, die Luftwaffe
angeblich direkt im Nachbarland.
Zwar war die Kriegsrethorik beider Seiten in den
vergangenen Tagen etwas abgeflaut, jedoch bereiten sich die beteiligten Staaten
offenbar weiter auf den Ernstfall vor. Erst am vergangenen Wochenende
verhandelten Abchasien und Transnistrien erneut über den Aufbau von sog.
Friedenserhaltenen Bataillonen, die beide Staaten bereits in einem Vertrag im
vergangenen Jahr vereinbart hatten. "Im Falle von Komplikationen in der
militärischen Lage, übernimmt jede Partei die Verpflichtungen welche aus dem
Protokoll resultieren", so die bürokratische Formulierung des stellvertretenden
abchasischen Verteidigungsministers Garri Kupalba bei dessen Besuch in Tiraspol.
Mißzuverstehen ist der Satz nicht; zumindest nicht seine beabsichtigte Wirkung.
Bereits zuvor hatte Abchasien Süd-Ossetien im
Falle einer militärischen Eskalation Beistand angeboten. Süd-Ossetiens Präsident
Eduard Kokoity hatte dies kamerawirksam mit den Worten quitiert, man bitte das „abchasische
Schwestervolk“, sich zunächst noch zurück zu halten, da man die Lage selbst im
Griff und die Generalmobilmachung angeordnet hat. Grundsätzlich scheinen sich
die „Nichtanerkannten“ jedoch darüber einig, sich nicht einzeln besiegen zu
lassen. Zumindest betrifft dies die von Rußland garantierten sowjetischen
Nachfolgestaaten, die Führung Bergkarabachs hielt sich in dem aktuell
aufgeflammten Konflikt auffallend zurück.
Gespräche zwischen den Konfliktparteien sind
derweil nicht zu erwarten. Zumindest schloß Abchasiens Präsident Sergej Bagapsch
diese am Wochenende kategorisch aus. Zugleich wies das offizielle Kodor den Plan
von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zurück, in dem dieser praktisch
den georgischen Standpunkt übernommen und Abchasien eine weitreichende Autonomie
innerhalb Georgiens angeboten hatte.
Ablehnung für weitere Gespräche kam am Montag auch
aus Zinchwali. Laut dem georgischen Fernsehsender Rustawi 2 wird die
süd-ossetische Regierung nicht an von der EU vermittelten Gesprächen teilnehmen.
Offizieller Grund ist die nicht erfolgte Einladung von Vertretern aus
Nord-Ossetien. Zugleich warf die Regierung Georgien die Vorbereitung eines
Anschlages auf ein Hotel in Süd-Ossetien vor. Die Polizei hätte mehrere Menschen
festgenommen, darunter georgische Soldaten. Eine Bestätigung dafür liegt nicht
vor.
Auch eine für den gestrigen einberufene Sitzung
des UN-Sicherheitsrates über den Konflikt brachte keine Fortschritte. Dies war
jedoch auch nicht zu erwarten. Rußland steht fest auf der Seite Abchasiens und
Süd-Ossetiens, die USA weichen keinen Millimeter von der offiziellen Position
Georgiens ab. So gewinnt der Unabhängigkeitskampf der Abchasen und Osseten gegen
die georgischen Annexionsgelüste stillschweigend den Charakter eines
Stellvertreterkonfliktes zwischen Moskau und Washington.
Ein Problem ist dies auch für viele Abchasen. Zwar
verfügen rund 90 Prozent über einen russischen Paß, doch im Gegensatz zu
Süd-Ossetien wünscht die Mehrheit eine Unabhängigkeit des Landes, nicht einen
schleichenden Anschluß an Rußland. Dessen umfangreiche Hilfe erfolgt jedoch kaum
aus altruistischen Motiven. Doch gegenwärtig scheint die Frage lediglich darin
zu bestehen, welche ausländische Macht in Zweifel zu militärischer Garantie
bereit ist. Veröffentlicht:
23.07.2008 Berliner
Umschau
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Deutscher Friedensplan - Kaukasische Mission
Von Oliver Hoischen, Es war ein Ritt über
den kaukasischen Vulkan, den Außenminister Steinmeier da unternommen hat. Sein
Ziel: einen Prozess in Gang zu bringen, mit dem der Konflikt um die von Georgien
abtrünnige Region Abchasien entschärft, ja am Ende vielleicht sogar gelöst
werden kann. Man muss nicht Spezialist für kleine Bergvölker mit schwierigen
Namen sein, um zu erkennen, dass es keine ganz gewöhnliche Reise war.
So etwas hatte es bisher noch nicht gegeben: dass
ein deutscher Außenminister auf postsowjetischem Gebiet unterwegs ist, also
gleichsam in Russlands einstigem Unterleib, und Moskau nicht sofort Zeter und
Mordio schreit, sondern das sogar wohlwollend hinnimmt. Neu ist auch, dass
Deutschland in einem internationalen Konflikt die Initiative ergreift, einen
regelrechten Friedensplan entwirft und dafür bei allen Parteien wirbt.
Selbst die Diplomaten im Auswärtigen Amt müssen
sich daran noch gewöhnen. Man merkt es auch daran, dass sie das Wort
„Vermittler“ tunlichst zu vermeiden suchen. Andererseits ist Deutschland schon
seit Jahren Koordinator der „Freundesgruppe des UN-Generalsekretärs zu
Georgien“. Da wurde es Zeit, aktiv zu werden.
Denn Handeln ist geboten, wenn die Gewalt im
südlichen Kaukasus nicht weiter eskalieren soll. Die Lage hat sich schon
gefährlich zugespitzt: Pikiert sowohl über die Anerkennung eines unabhängigen
Kosovo als auch über die Pläne der Nato, eines Tages die Ukraine und Georgien in
ihre Reihen aufzunehmen, hat Moskau die militärische und wirtschaftliche
Unterstützung für Abchasien verstärkt. Es hat zusätzliche Soldaten geschickt,
eine Formalisierung der Beziehungen zu der international nicht anerkannten
Regierung in Suchum angekündigt und schließlich ein unbemanntes georgisches
Aufklärungsflugzeug abschießen lassen.
So soll Druck auf die Regierung in Tiflis ausgeübt
werden - damit sie ihre Politik der Annäherung an den Westen überdenke. Doch
Tiflis schert sich einen Teufel darum. In der Umgebung des ungestümen
Präsidenten Saakaschwili soll es sogar einige Falken geben, die mit Waffengewalt
die territoriale Integrität Georgiens wiederherstellen wollen. Und die
georgische Armee wird unter amerikanischer Anleitung immer selbstbewusster.
Abchasien - ein „eingefrorener Konflikt“? Das war einmal.
Nicht von der Hand zu weisen sind Befürchtungen,
Deutschland könne sich in diesem großen Spiel übernehmen. Der dreistufige
Friedensplan wäre in Berlin aber nicht entworfen worden, wenn man nicht gemeint
hätte, es sei zumindest einen Versuch wert. Das hat mehrere Gründe: So sind die
Beziehungen der Georgier zu den Deutschen traditionell enger als zu anderen
Europäern, nicht erst seit Genscher und Schewardnadse.
Außerdem will Georgien den Konflikt schon lange
internationalisieren. Hinzu kommt, dass Steinmeier vor allem in Moskau auf
offene Ohren hoffen darf. Man kennt und vertraut sich: Präsident Medwedjew war
unter Putin Leiter der Präsidialverwaltung, als Steinmeier bei Schröder
Kanzleramtsminister war. Jetzt wurde der Außenminister auf der letzten Station
seiner Reise von Medwedjew zum Mitternachtstee empfangen.
Aufmerksam verfolgte man in Berlin die Rede, die
der Präsident in der vergangenen Woche vor dem diplomatischen Korps der
Russischen Föderation gehalten hatte. Dabei will man herausgehört haben, Moskau
wolle künftig in seiner Außenpolitik größere Spielräume nutzen und seine
Interessen weniger konfrontativ als bisher verfolgen. Abchasien, so hofft man in
Berlin, könne dafür ein Beispiel werden. Ein wenig klingt das zu schön, um wahr
zu sein.
Allerdings scheint es Moskau inzwischen zu
dämmern, dass Georgien trotz der ungelösten Konflikte um die beiden abtrünnigen
Regionen eines nicht allzu fernen Tages den Beitrittsprozess zur Nato beginnen
könnte. Der Westen will sich nicht erpressen lassen. Und was hätte Russland dann
gewonnen?
Überdies mag man fürchten, der abchasische
Schwelbrand könnte 2014 einen dunklen Schatten auf die Olympischen Winterspiele
im nahen Sotschi werfen. Und die Abchasen? Die ahnen, dass auch Moskau sie trotz
aller Rhetorik kaum je als eigenen Staat anerkennen wird - wegen Tschetschenien.
Und als eine von vielen Völkerschaften im großen Russland untergehen mögen sie
auch nicht. Freilich wollen sie erst dann direkten Gesprächen mit Tiflis
zustimmen, wenn die georgischen Truppen aus der Kodor-Schlucht an der Grenze
abgezogen sind. Die Georgier wiederum machen zur Bedingung, zuerst müssten die
Flüchtlinge nach Abchasien zurückkehren können.
Von solchem Wortgeklingel lassen sich die
Berliner Diplomaten vorerst nicht verunsichern. Sie sind schon zufrieden, dass
durch die Reise des Außenministers eine gewisse Dynamik entstanden ist.
Schließlich gehört es dazu, dass beide Seiten zunächst äußerste Positionen
einnehmen, die sie später räumen können. Klar ist allerdings auch: Die größte
Hürde dürfte der Einstieg in Gespräche sein. Dass der deutsche Plan vorsieht,
über die schwierige Statusfrage erst ganz zum Schluss zu verhandeln, scheint
jedenfalls vernünftig zu sein. Das Werben für gemeinsame Projekte für den
Wiederaufbau kann ein wichtiger Anreiz sein. Allerdings muss man so weit erst
einmal kommen.
22.07.2008 FAZ
***
Steinmeier im Kaukasus -Ritt über
den abchasischen Vulkan
Von Oliver Hoischen, Batumi, An Selbstironie
mangelt es dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili wahrlich nicht:
Eigentlich müsse man ihn "King Fountain I." nennen, witzelte er am
Donnerstagabend gegenüber seinem deutschen Gast, Außenminister Frank-Walter
Steinmeier (SPD) - das sei doch auf alle Fälle besser als "Caligula". Denn die
allergrößte Leidenschaft des für seinen Machismo bekannten Präsidenten sind
nicht Frauen, Autos oder das Nationalgericht Chatschapuri, sondern:
Springbrunnen. Überall im Land lässt er sie errichten, natürlich auch in der
Schwarzmeerstadt Batumi, wo er eine Residenz gleich hinter dem Strand geerbt
hat.
Gegen Mitternacht, nach schwierigen Gesprächen
über die Lösung des Konflikts um die abtrünnige Region Abchasien, führte er
Steinmeier sein bunt angestrahltes Prachtstück an der Uferpromenade eigens vor,
auch ein Orchester war da und Sängerinnen und Sänger, die Arien wie Puccinis "Nessun
dorma" trällerten - und dabei sprang der Brunnen im Takt, so kitschig es eben
nur ging. Sogar eine deutsche und eine georgische Flagge wurden in das Wasser
projiziert. Ganz begeistert musste Steinmeier sein und durfte auch danach noch
nicht ins Bett, weil der Präsident mit ihm unbedingt jetzt und überhaupt noch
einen speziellen kaukasischen Kaffee trinken wollte.
So war es wohl nicht dem Zufall, sondern dem
Geschick des obersten deutschen Diplomaten geschuldet, dass Saakaschwili am Tag
darauf irgendwie viel freundlicher wirkte, engagierter und geradezu offen
gegenüber dem Berliner Ansinnen, die Gespräche zwischen der Regierung in Tiflis
und den abtrünnigen Abchasen wieder in Gang zu bringen. Als Steinmeier nach
seinem mehrstündigen Ausflug nach Abchasien am Freitagnachmittag nach Batumi
zurückkehrte, ließ es sich Saakaschwili jedenfalls nicht nehmen, ihn fröhlich an
die deutsche Regierungsmaschine zu begleiten, bevor Steinmeier zur nächsten
Station dieser ungewöhnlichen Reise weiterfliegen konnte: in die russische
Hauptstadt Moskau. Von dort werden die Abchasen militärisch und wirtschaftlich
unterstützt, seitdem sie sich nach dem Zerfall der Sowjetunion in blutigen
Kämpfen von dem neuen georgischen Staat losgesagt hatten. Und ohne Moskau, das
Georgien, Abchasien und den ganzen Kaukasus mehr oder weniger seit den Tagen
Katharinas der Großen beherrschte, lässt sich in dem gefährlichen Streit bis
heute nichts ausrichten.
Dabei wird es höchste Zeit. Denn gerade in den
vergangenen Wochen schien dieser "eingefrorene Konflikt", wie ihn die Diplomaten
nennen, wieder gefährlich aufzutauen, als ein unbekanntes georgisches
Aufklärungsflugzeug durch russische Raketen abgeschossen wurde und Moskau zudem
in einer Drohgebärde Kampfflugzeuge über Süd-Ossetien fliegen ließ, das andere
von Georgien abtrünnige Gebiet. Bei Feuergefechten und Bombenanschlägen starben
sechs Menschen, Dutzende wurden verletzt. Da nahm die Regierung in Berlin, in
einer für sie ganz neuen Rolle und mit einem nicht selbstverständlichen Gefühl
von gewachsener weltpolitischer Verantwortung, das Heft das Handelns in die Hand
und aktivierte die "Freundesgruppe des UN-Generalsekretärs für Georgien", deren
Koordinator Deutschland ist und zu der auch Großbritannien und Frankreich, vor
allem aber Amerika und Russland gehören, die beide um Einfluss in der Region
ringen.
Und alle diese Mächte ließen Berlin gewähren,
ließen es einen Friedensplan entwerfen, mit dem der Konflikt in mehreren
Schritten entschärft, gegenseitiges Vertrauen aufgebaut und vor allem ein
gemeinsamer Weg zum Wiederaufbau beschritten werden soll. Und sie ließen
Außenminister Steinmeier in einer zweitägigen Tour de Force für diesen Plan
werben. Als er am Samstagmorgen wieder in Berlin-Tegel landete, schien er mit
dem Ergebnis seines Ritts über diesen kaukasischen Vulkan durchaus zufrieden zu
sein: Zwar hatten ihm die Konfliktparteien zunächst einmal ihre
Maximalforderungen entgegengeschmettert, doch stimmten sie alle seinem Vorschlag
zu, über den künftigen Status Abchasiens zuallerletzt und über die Frage des
Gewaltverzichts zuallererst zu sprechen. Dabei wurde deutlich, dass die
Deutschen gerade in Tiflis und Moskau einiges Vertrauen genießen. Sie haben, das
darf man feststellen, Bewegung in die Sache gebracht. Nun müssen sie sehen, wie
sie weiter vorgehen.
Steinmeier hatte dabei gelassene Entschlossenheit
an den Tag gelegt. Als er am Freitagmorgen im strömenden Regen am Flughafen von
Batumi ankam und man ihm erklärte, dass der Hubschrauber der
UN-Beobachtermission doch nicht in die abchasische Hauptstadt Suchum starten
könne, das Wetter erlaube es einfach nicht, da zögerte er nicht lange und ließ
sich im Auto nach Abchasien bringen, mitten durch eine urwaldgrüne, fruchtbare
Landschaft, von der es heißt, man müsse hier nur einen Besenstiel in die Erde
stecken, schon werde ein Feigenbaum daraus. An diesen schwarzen Stränden und in
den duftenden Gärten haben gerade die Russen schon immer gerne Urlaub gemacht,
und während Schweine, Kühe und Gänse von der Fahrbahnmitte in die Gräben
flüchteten, konnte sich Steinmeier ausmalen, wie das wohl alles wäre, wenn es
hier nicht immer so latent kriegerisch zuginge. So lautet ein wichtiges
Argument, mit dem er Georgier und Abchasen zu locken versucht: das
wirtschaftliche und touristische Potential dieser Region gemeinsam zu
entwickeln.
Hinter dem Inguri-Fluss, vorbei an einer von
deutschen Kriegsgefangenen aufgebauten Burg, musste Steinmeier dann an der
Demarkationslinie verschiedene schwarz-weiß bemalte Schlagbäumchen überwinden.
Die jungen Soldaten der russischen Friedenstruppe schauten grimmig, die
Schlaglöcher wurden immer zahlreicher, an den Straßenrändern waren zerstörte
Häuser zu sehen, bis Steinmeier endlich in Gali war, wo er auf dem Gelände der
UN-Mission den sogenannten Präsidenten Abchasiens traf, Sergej Bagapsch, einen
auch von Russland nicht unbedingt immer geschätzten ehemaligen
Basketballspieler.
Der sprach, solange Steinmeier neben ihm stand,
ganz vernünftig, verschärfte seinen Ton aber, kaum hatte sich der deutsche
Außenminister von ihm abgewandt. So meinte er, es drohe ein neuer Krieg, wenn
die georgischen Flüchtlinge denn nach Abchasien zurückkehren dürften. Georgien
will das natürlich unbedingt, und auch in Moskau kann man sich inzwischen
vorstellen, über dieses Thema zu sprechen, wenn vielleicht auch nicht gleich zu
Beginn der Verhandlungen. Jedenfalls gab das der russische Außenminister Sergej
Lawrow am späten Freitagabend zu erkennen, nachdem er mit Steinmeier gesprochen
hatte. "Dear Sergej" nannte ihn Steinmeier.
Die Sonne über der Wolga war fast
untergegangen, da wartete auf den Deutschen, der das Wort Vermittler übrigens
vermeidet, schon der nächste Gesprächspartner: Dmitrij Medwedjew, der neue
russische Präsident. Beide kennen sich gut und schon seit Jahren - nicht die
schlechteste Voraussetzung für die Lösung des Abchasien-Konflikts.
20.07.2008 FAZ
***
Weiße Stadt am Meer Schwarzen
Palmen, Strände, Zitronenbäume: Suchum war der
Luxus-Badeort des Sowjetreichs. Doch Abchasiens Weg in die Unabhängigkeit
brachte seiner Hauptstadt Krieg und Isolation. Nun ist Suchum Zentrum eines
neuen Ost-West-Konflikts. Ein Besuch.
Von Jürgen Gottschlich, Immer wenn Ritsa im Ausland war, schrieb ihre Mutter ihr in
langen E-Mails, wie sehr sich alles wandele, wie viel besser es nun in Suchum
sei, ihrer Heimat. Und immer wenn Ritsa zurückkam aus New York oder aus dem
Sudan, suchte sie diese Veränderung vergebens. Meistens fand sie nicht mehr als
den frisch gestrichenen Fensterrahmen eines Nachbarhauses.
Ritsa, 30 Jahre, eine kleine temperamentvolle Frau aus dem Logistikteam der UN
in Suchum, steht an der Strandpromenade und blinzelt in die Sonne. Früher, sagt
sie, sah man die weißen Fassaden der Stadt noch weit draußen auf dem Meer. Heute
sieht Ritsa ein marodes Anlegeterminal, rostige Landungsbrücken, rußige
Fassaden. Vor dem ausgebrannten „Grand Hotel Abchasien“, einer Mischung aus
stalinistischem Zuckerbäckerstil und Klassizismus, recken Palmen die verkohlten
Stämme in den Himmel.
Suchum war einst Mittelpunkt der „Côte d’Azur der Sowjetunion“, gerühmt als
schönste Stadt am Schwarzen Meer. Schachbrettartig legten die Planer des Zaren
die Stadt an, die meisten Häuser sind kleine Gartenvillen. Stalin,
Chruschtschow, Gorbatschow und die sowjetische Prominenz hatten hier ihre
Sommerresidenzen. Stalin, in Georgien geboren, soll allein fünf Datschen in
Abchasien gehabt haben. Eine der größten steht in Suchum, mitten in einem Park
direkt am Strand. Wie damals ist die Villa auch heute schwer bewacht: An den
drei Zufahrten stehen Posten mit Maschinengewehren, weil jetzt der abchasische
Präsident dort seinen Privathaushalt eingerichtet hat. Fotografieren streng
verboten.
Suchum ist das Opfer eines Bruderkrieges, der in den Wirren der Auflösung der
UdSSR zwischen Georgiern und Abchasen stattfand. Und der bis heute, 15 Jahre
später, das Leben in Suchum bestimmt. Die Stadt wirkt ausgestorben, auf dem
Markt und der Promenade fehlt das Gedrängel, das an diesen Plätzen zu erwarten
wäre. Vor dem Grand-Hotel, unter einem Triumphbogen, der den einstigen
Prachtboulevard Suchums architektonisch vollendete, spielen alte Männer Schach.
In ihrer Ruhe, die gleichzeitig eine gewisse Resignation ausstrahlt, sind sie
ein Sinnbild der Melancholie, die von Suchum heute ausgeht.
Ritsa kann sich gut an den Ausbruch des Krieges erinnern. Es war mitten im Juli
1992, als georgische Kampfhubschrauber auftauchten und ohne Vorwarnung begannen,
auf die Menschen zu feuern, die am Strand lagen. Schon zwei Jahre lang, seit
Georgien sich nach dem Zerfall der Sowjetunion zu einem unabhängigen Staat
erklärt hatte, gärte es zwischen Abchasen und Georgiern: Denn Abchasien wollte
ebenfalls die Gelegenheit nutzen, um sich von georgischer Vorherrschaft zu
befreien. Als das abchasische Parlament im Juni 1992 offiziell für eine
Loslösung von Georgien votierte, ließ der damalige georgische Präsident Eduard
Schewardnadse die Nationalgarde einmarschieren. „Es waren viele Touristen da,
die Strände waren voll“, sagt Ritsa. Nur mit Badehosen bekleidet seien die Leute
in Panik oder bereits verletzt in die Häuser hinter dem Strand gerannt, um
Schutz zu finden.
Zwölf Monate später war der Krieg vorbei, mit Unterstützung von Russland und
Milizverbänden aus dem Nordkaukasus hatten die Abchasen gesiegt. Und wurden mit
einer Blockade bestraft: 15 Jahre, davon fünf in totaler Isolation, weil auch
die Russen die Grenze geschlossen hielten. Vor ihnen das Meer, hinter ihnen der
Hohe Kaukasus, rechts und links alles dicht – viele seien depressiv geworden,
erzählt Ritsa. Da sie häufig im Ausland ist, hat sie nicht den Tunnelblick
vieler Abchasen, die sich zu Unrecht beschuldigt fühlen. Doch auch sie
registriert immer wieder, dass der Westen auf Abchasien durch die georgische
Brille schaut. „Ständig werde ich gefragt, was mit den georgischen Flüchtlingen
sei, die aus Abchasien vertrieben wurden.“ sagt sie, „aber niemand fragt, wer
den Krieg begonnen hat.“
Die Blockade und die ethnische Säuberung der georgischen Bevölkerung, die
immerhin die Hälfte der Bewohner ausmachte, haben Suchum in eine Geisterstadt
verwandelt. Wunderschön ist sie immer noch: Der Hohe Kaukasus schützt den
schmalen Küstenstreifen vor Nordwinden, das subtropische Klima lässt die Stadt
wie einen verwilderten Garten aussehen. Palmen säumen die verlassenen
Boulevards, aus Fensterhöhlen wachsen Feigenbäume, in den Hügeln über der Stadt
überwuchern violette Bougainvillea und Bambussträucher die Villen der früheren
sowjetischen Bourgeoisie.
Am schönsten Boulevard, der vom Meer bis zu den Ausläufern der Berge Suchum
teilt, im Mittelpunkt der Stadt, liegt der Botanische Garten. Ihm schadet die
mangelnde Pflege wenig, vom kalifornischen Riesenbaum Sequoia Taxodiaceae bis zu
japanischen Orchideen findet hier alles einen Platz. Und wenn auch in der Stadt
die Stromversorgung immer mal wieder zusammenbricht, der öffentliche Nahverkehr
kaum funktioniert – der Ticketschalter des Botanischen Gartens ist besetzt.
Selbst an einem Wochentag passieren Großfamilien das Tor zu ihrem Stadtgarten.
15 Jahre Isolation bedeuteten für Suchum 15 Jahre Stagnation. Der Konflikt war
eingefroren, wie die Diplomaten sagen. Als Spielball einer neuen geopolitischen
Entwicklung wird er nun wieder aufgetaut: Abchasien ist zur Pufferzone zwischen
den USA und Russland geworden. Die USA haben Georgien aufgerüstet und wollen das
Land in die Nato holen. Russland hat dagegen seine Truppen in Abchasien
aufgestockt und die De-facto-Regierung der früheren georgischen Provinz
aufgewertet, indem sie ihr eine engere Zusammenarbeit angeboten hat. Damit wurde
die Waffenstillstandslinie zwischen Abchasien und Georgien, die von der UN und
russischen Friedenstruppen überwacht wird, plötzlich wieder zu einer Grenze, die
an die ehemalige Demarkationslinie des Kalten Krieges erinnert.
In Suchum sind russische Truppen überall präsent. Mit ihren tellerförmigen
Uniformmützen unterscheiden sie sich von den abchasischen Truppen, die mit ihren
Transportern auch ständig durch die Stadt donnern. Die Russen wirken nicht wie
eine Besatzungsarmee, sondern als gehörten sie selbstverständlich dazu: Sie
schlendern über den Markt, sitzen im Café an der Promenade und belegen das
einzig intakt gebliebene ehemalige Hotel San Remo samt Park, der allerdings auch
für Abchasen mit guten Kontakten zugänglich ist. Wo immer man in Suchum
hinkommt, die Russen sind schon da. Sie reparieren Eisenbahnlinien und Straßen,
und an den wenigen Plätzen, an denen gebaut wird, kann man sich sicher sein,
dass russische Investoren ihre Hand im Spiel haben.
Einer von ihnen ist Andrej Zajtsew, russischer „Buisnesmeni“ mit schwarzem Hemd,
schwarzer Jeans und einem japanischen Luxus-SUV vor der Tür. Vor der Ruine eines
ehemaligen Kaufhauses, die er demnächst an einen Investor aus Moskau verkaufen
will, analysiert er kühl die Zukunftsperspektive Abchasiens. Statt Verfall sieht
er in Suchum Potenzial. Vor ein paar Jahren habe man die Autos in den Straßen
an einer Hand abzählen können, „jetzt gibt es hier fast Verkehrsstaus“. Zurzeit
verhandelt er mit der Regierung über ein mehrere hundert Hektar großes Stück
Land etwas außerhalb direkt am Strand. In ein paar Jahren sei Suchum wieder ein
großes Ferienparadies, „vielleicht noch besser als zu Sowjetzeiten“. Er ist sich
sicher, dass Abchasien nicht mehr unter georgische Kontrolle kommen wird. „Die
Zeit dafür ist vorbei“. Was die neue Zeit bringen könnte, das sagt Andrej
Zajtsew nicht. Aber viele Abchasen fürchten, dass ihr Unabhängigkeitskrieg gegen
Georgien darauf hinauslaufen könnte, vom Großen Bruder einverleibt zu werden.
Es wäre eine fast zynische Ironie der Geschichte, wenn der Bruderkrieg dazu
führen würde, die sowjetische Zustände wiederherzustellen. Denn wie in
Tschetschenien oder Bergkarabach wurde der abchasische Sezessionskrieg mit einer
unglaublichen Brutalität geführt. Nachbarn gingen sich gegenseitig an die
Gurgel, georgische Kriminelle zogen mordend und brandschatzend durch das Land,
abchasische und tschetschenische Milizen verübten ein Massaker an den Georgiern
in Suchum mit dem Ziel, die Georgier vollständig zu vertreiben.
Marina, eine dunkelhaarige Frau um die 40, steht in einer weißen Kittelschürze
auf dem Markt und verkauft selbst gebackene Brötchen. Die süßlichen Fladen
schmecken köstlich, doch Marina wird heute nicht viele los. Sie spricht ein
bisschen Deutsch, als Flüchtling lebte sie einige Jahre in Flensburg. Vor 20
Jahren heiratete die Abchasin einen Georgier. Als Familie hier in Suchum zu
leben, Marina schüttelt den Kopf, nein, das ginge nicht mehr. „Sie würden ihn
umbringen“, sagt sie leise. In Deutschland wäre sie gern geblieben, aber ihr
Asylantrag wurde abgelehnt. Mann und Sohn leben jetzt in Moskau, Zufluchtsort
für viele Abchasier und Georgier, um irgendwie Geld zu verdienen. Doch auch in
Moskau ist es angesichts des stetig wachsenden Rassismus gegen Kaukasier nicht
gerade leicht, deshalb ist sie zurück und im Haus ihres Bruders untergekommen.
Jeden Tag steht sie auf dem Markt, gemeinsam mit anderen Frauen, die hier die
Produkte ihres Gartens anbieten, karge Rationen, die wackelige Tische bedecken,
Kartoffeln, Tomaten, Kräuter, Nüsse. Von der Großproduktion von Zitrusfrüchten,
mit denen einst die ganze Sowjetunion versorgt wurde, ist nicht viel übrig
geblieben. Die wenigen Rubel, die die Marktfrauen hier einnehmen, dürften kaum
reichen, die Stromrechnung zu zahlen. Früher zählte die Region durch den
Tourismus zu den wohlhabendsten des Sowjetimperiums, heute leben die meisten
Abchasen am Rande des Existenzminimums.
Doch es gibt auch Gewinner. Direkt an den ärmlichen Lebensmittelständen vorbei,
auf einer Straße, die mehr Schlaglöcher als Asphalt aufweist, rumpelt eine weiße
Stretch-Limousine, die aus Los Angeles nach Suchum gebeamt worden zu sein
scheint. 200 Meter weiter biegt sie, gefolgt von hupenden Mercedes und BMW, in
eine Gasse ein, an deren Ende sich der Hochzeitssaal für die Reichen und Schönen
befindet. Eine große Holzterrasse führt in eine Halle mit holzgetäfelter Decke,
vor den Fenstern schließen schwere Stores aus Goldbrokat das Tageslicht aus.
Das Brautpaar gehört zu zwei Großclans, die mit der Regierung eng liiert sind
und auch während der Blockade gut verdient haben. Bezeichnenderweise ist der
Bräutigam eine führende Persönlichkeit „vom Zoll“, wie ein Gast erzählt. Die
Braut arbeitet als Juristin bei der Staatsbank, offenbar eine nützliche
Kombination. Da Abchasien international nicht anerkannt ist und Georgien
rechtlich keinen Zugriff mehr hat, ist Suchum ein Schwarzgelddepot für reiche
Russen geworden.
Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, rund 500 Gäste, auf den langen
Tischen stehen kaukasische Gerichte, eine Paste aus Nüssen und Trauben,
Fleischplatten, mehrstöckige Torten. Es gibt abchasischen Wein, der wie Heuriger
schmeckt, und jede Menge Wodka. An den Tafeln wird die kaukasische Kultur der
Trinksprüche gepflegt: Überall halten meist Männer kleine Reden, bevor mit Wodka
nachgespült wird. Ein DJ und eine Sängerin wechseln sich ab, erst schallt
überwiegend amerikanischer Pop aus den Lautsprechern, bis der Brautvater darauf
besteht, dass traditionelle abchasische Folklore erklingen soll. Die Sängerin
legt los, die Jungen tanzen.
Nur das Brautpaar nicht: Die Braut, platinblond, schulterfreies weißes Kleid,
Perlenkette, steht gemeinsam mit dem Bräutigam während des gesamten Festes auf
einem Podium. Damit soll den Gästen Respekt erwiesen werden, erklärt Ailina,
Cousine der Braut. An Ailina glänzt alles: das schwarze Kleid, die braunen
Haare, der Goldschmuck an Ohren, Fingern, Handgelenk und Hals. Vor wenigen
Wochen ist sie aus den USA zurückgekommen, nach einem Jahr College. Aus dem
Abchasien, von wo andere Mühe haben, auch nur ins Ausland zu telefonieren, mal
eben an eine US-Uni? Nun ja, sie habe natürlich einen russischen Pass. Da
abchasische Pässe nirgendwo akzeptiert werden, tauscht man seinen alten
sowjetischen Pass in einen russischen ein. Wenn man dann noch reich genug ist,
um im benachbarten russischen Badeort Sotschi eine Zweitwohnung zu unterhalten,
bekommt man zusätzlich einen Pass für Auslandsreisen. Das Brautpaar wird seine
Flitterwochen romantisch in Frankreich verbringen.
Ailina sagt, in den USA hätten ihre Kommilitonen gedacht, als Russin müsse sie
doch aus dem kalten Sibirien kommen – Palmen und Zitronen passten da nicht ins
Bild. Oder sie hätten gemeint, sie sei aus Georgia, wo die Erdnüsse wachsen.
Später, sagt Ailina, bevor sie wieder auf die Tanzfläche geht, will sie
Botschafterin werden. Botschafterin eines unabhängigen Abchasien, um die Welt
aufklären zu können über das kleine Land zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer.
20.07.2008
Tagesspiegel
***
Steinmeier spricht mit Medwedew über
Abchasien-Konflikt
Moskau (AFP) — Im Bemühen um die Beilegung des
Konflikts um die abtrünnige georgische Provinz Abchasien ist Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier (SPD) mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew
zusammengekommen. Während des Treffens in Moskau sei betont worden, "dass der
einzige Ausweg aus dieser Lage die gegenseitige Verpflichtung zu Gewaltverzicht,
Sicherheitsgarantien und der Abzug der georgischen Truppen aus der
Kodor-Schlucht ist", erklärte der Kreml. Zwischen Georgien und Russland schwelt
seit langem ein Konflikt um den Status von Abchasien, das sich von Georgien
losgesagt hatte.
Tiflis wirft Moskau vor, die Teilrepubliken
Abchasien und Südossetien in die Russische Föderation eingliedern zu wollen. Der
georgische Parlamentspräsident David Bakradse bezeichnete Russlands Verhalten
bei den Vermittlungsgesprächen als "ausschlaggebend". "Achasiens Ablehnung oder
Annahme des Plans ist nur ein politisches Spiel, und wir alle wissen sehr gut,
dass in Wirklichkeit Russland hinter den Abchasiern steht", sagte er am
Freitagabend vor Journalisten. "Deswegen werden diese Gespräche entscheidend
sein, und ich hoffe, das die russischen Behörden etwas konstruktiver sein
werden," fügte Bakradse hinzu.
Vor seiner Reise nach Moskau hatte Steinmeier nach
Georgien auch in Abchasien eine Niederlage für die deutsche Initiative
einstecken müssen. Der Friedensplan sei "inakzeptabel", sagte der Führer
Abchasiens, Sergej Bagapsch, nach Gesprächen mit Steinmeier. Der russische
Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete den deutschen Friedensplan nach einem
Treffen mit Steinmeier jedoch als "sehr hilfreich für die Suche nach
Kompromissen und einem Weg aus der Krise". Deutschland steht der sogenannten
UN-Freundesgruppe für Georgien vor und legte einen Friedensplan zur Überwindung
des Abchasien-Konflikts vor.
19.07.2008

***
Steinmeier

Vermittler in Abchasien abgeblitzt
VON KARL GROBE
Auf wenig Gegenliebe ist Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier bei seinem Vermittlungsversuch im Abchasien-Konflikt
gestoßen. Der Präsident der von Georgien abgespaltenen Region, Sergej Bagapsch,
lehnte seinen Dreistufenplan glatt ab. In Georgien und Russland hebelten
Spitzenpolitiker wichtige Elemente des Steinmeier-Vorschlags aus. Steinmeier
hatte Georgien und Abchasien besucht und war anschließend nach Moskau gereist.
Der Plan der UN-Gruppe für Georgien (Russland,
USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich) sieht in Stufe eins ein
Gewaltverzichtabkommen, weitere vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Georgien
und Abchasien sowie die Rückkehr georgischer Flüchtlinge vor. In Stufe zwei soll
der Wiederaufbau der Region beginnen; Deutschland will eine Geberkonferenz
einberufen. In Stufe drei soll der Status Abchasiens festgelegt werden.
Bagapsch, den Steinmeier in der Sicherheitszone
zwischen Georgien und Abchasien auf einem UN-Stützpunkt in Gali traf, forderte
vorrangig den Abzug der georgischen Truppen aus dem von beiden Seiten
beanspruchten Kodor-Tal. Dies sei die Bedingung, um weitere Fragen zu klären.
Der Status Abchasiens sei nicht verhandelbar. Die Rückkehr der Flüchtlinge sei
erst nach der Beilegung des Konflikts denkbar. Steinmeier wies in dem rund
einstündigen Gespräch auf die Risiken einer weiteren Eskalation hin.
Die abchasische Führung befürchtet, die etwa 70
000 Abchasen könnten von georgischen Rückkehrern überstimmt werden, falls etwa
ein Plebiszit nach deren Wiederansiedlung den Status der Region zu entscheiden
hätte.
Auch Georgiens Präsident Michail Saakaschwili
hatte sich vorher unbeugsam gezeigt. Er nannte Bagapsch vor der Presse einen
Separatisten, der nicht einmal gesprächsbereit sei. Georgien werde angesichts
der "unaufhörlichen russischen Provokationen" keinen Gewaltverzicht erklären,
sagte er vor Journalisten. Die "Militarisierung Abchasiens" nehme täglich zu.
Daher sei es extrem schwer, über jegliche Art von Lösung zu sprechen. Georgiens
Außenministerin Eka Tkeschelaschwili hatte den Plan zuvor als interessant
bezeichnet; über viele Details müsse aber noch gesprochen werden.
Auch Russland sperrt sich
Steinmeier räumte ein, dass seine Gespräche mit
den Separatisten kaum Fortschritte gebracht hätten. Die Positionen beider Seiten
lägen noch weit auseinander.
Schon vor seinen Gesprächen in Moskau am Freitag
hatte auch der russische Außenminister Sergej Lawrow einem wichtigen Teil des
Dreistufenplans eine Absage erteilt, wonach die Vereinbarung eines
Gewaltverzichts mit der Rückkehr der Flüchtlinge verknüpft werden soll. Eine
Heimkehr sei derzeit "völlig unrealistisch", sagte Lawrow am Donnerstag. Es
denke ja auch niemand an die Lösung des palästinensischen Flüchtlinsgproblems
oder an Kosovo. Für Russland habe zunächst die Einstellung jeglicher
Aggressionsakte sowie eine Entspannung in der Region Priorität. Saakaschwili
nannte diese Äußerungen postwendend unverschämt.
19.07.2008 Frankfurter Rundschau
***
Russen loben Steinmeiers Plan - Abchasischer Präsident lehnt ab
Der von Deutschland entworfene Drei-Stufen-Plan zur Beilegung der
Abchasien-Krise ist in Russland auf ein geteiltes Echo gestoßen.
Außenminister Sergej Lawrow begrüßte den Plan nach einem Treffen mit seinem
Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier in Moskau und sagte: "Wir glauben, dass
die Logik des Plans absolut korrekt ist." Dagegen kritisierte der russische
NATO-Botschafter Dmitri Rogosin, Steinmeier versuche mit dem Plan das
"Unvereinbare zusammenzubringen". Die Führung der von Georgien abtrünnigen
Region Abchasien hatte den Plan zuvor abgelehnt, und auch in Georgien
stießen die Vorschläge auf Skepsis.
Steinmeier, der auch mit Russlands Präsident Dmitri Medwedew zusammentraf,
würdigte die wichtige Rolle Russlands bei der Lösung des Konflikts. "Wir
wissen, dass es bei der festgefahrenen Konfliktsituation keine Lösung über
Nacht geben kann." Lawrow betonte, in der UN-"Freundesgruppe für Georgien"
(Deutschland, Großbritannien, Frankreich, USA und Russland) solle die Arbeit
intensiviert werden, damit der Plan auf Grundlage der deutschen Vorschläge
von beiden Konfliktparteien akzeptiert werde und direkte Verhandlungen
zwischen ihnen beginnen könnten.
Zunächst Gewaltverzicht
Der Plan sieht zunächst einen Gewaltverzicht vor und soll dann auch die
Frage der Rückkehr der im Bürgerkrieg Anfang der 90er Jahre vertriebenen
rund 250.000 Flüchtlinge von Georgien nach Abchasien regeln. Anschließend
soll der Wiederaufbau vorangetrieben und erst ganz zum Schluss die
Statusfrage Abchasiens geklärt werden. Russlands NATO-Botschafter Rogosin
sagte dem Radiosender "Echo Moskwy": "Die Deutschen sind einfach zu weit weg
von der Region. Sie begreifen nicht die vielen Feinheiten dessen, was dort
wirklich passiert."
Bei Steinmeiers Gesprächen in Georgien und Abchasien wurde deutlich, dass
die Gegensätze zwischen beiden Konfliktparteien unüberbrückbar zu sein
scheinen. Der international nicht anerkannte abchasische Präsident Sergej
Bagapsch wies den Drei-Stufen-Plan als "inakzeptabel" zurück. Den Plan
bezeichnete Bagapsch als "Projekt", in das noch viele Fragen eingearbeitet
werden müssten. Er kündigte die Ausarbeitung eines eigenen Plans zur Lösung
des Konflikts an.
Flüchtlingsfrage als Kernproblem
Bagapsch warnte eindringlich vor einer Rückkehr der Flüchtlinge. "Dies würde
sicher zu einem neuen Krieg führen." Georgiens Staatschef Michail
Saakaschwili hatte auf die Rückkehr der hunderttausenden Flüchtlinge
gepocht. Diese seien von der abchasischen Führung vertrieben worden und
hätten ein Recht darauf zurückzugehen.
Bagapsch, den Steinmeier in der Sicherheitszone zwischen Georgien und
Abchasien auf einem UN-Stützpunkt in Gali traf, forderte vorrangig den Abzug
der georgischen Truppen aus dem von beiden Seiten beanspruchten Kodor-Tal.
Dies sei die Bedingung für die Klärung weiterer Fragen. Lawrow betonte,
"absolute Priorität" habe die Nichtanwendung von Gewalt im Kodor-Tal.
Zugleich verwies er darauf, dass der Plan umfassend sei und auch die
Flüchtlingsfrage einschließe.
Brüchiger Waffenstillstand
Steinmeier, der wegen schlechten Wetters auf dem Landweg und nicht wie
geplant mit dem Hubschrauber von Georgien nach Abchasien reiste, sagte: "Ich
mache keinen Hehl daraus, dass die Positionen der Gesprächspartner noch sehr
weit auseinander liegen." Allerdings sei es angesichts der eskalierenden
Situation die Pflicht aller Beteiligten, zur Entschärfung der Lage
beizutragen. Aus Teilnehmerkreisen hieß es, es bestehe weiter die Chance,
dass auch mit der abchasischen Seite auf Grundlage des Drei-Stufen-Plans
weiter gearbeitet werden könne.
Das von Russland unterstützte Abchasien hatte sich Anfang der 1990er Jahre
in einem Krieg mit mehreren tausend Toten von Georgien gelöst. Seit 1994
herrscht ein brüchiger Waffenstillstand in der Schwarzmeerregion. Nach
mehreren Bombenanschlägen in Abchasien hatte sich der Konflikt mit Georgien
zuletzt deutlich verschärft.
Freitag, 18. Juli 2008 n-tv |
Für Sergej Bagapsch ist Steinmeier Plan nicht annehmbar.
In Georgien musste sich Steinmeier deutliche Worte seiner Kollegin
Tkeschelaschwili anhören.
Georgien setzt derzeit lieber auf Zeichen der Stärke als
Friedensangebote.
Ebenso russische Truppen in Abchasien (Foto von
Mai 2008).
|
***

Abchasien-Konflikt: Steinmeier besucht Georgien und Russland
Vor einem Tag (17.07.2008)
Berlin (AFP) — Im Bemühen um eine Lösung des Konflikts um Abchasien reist
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) heute für zwei Tage nach
Georgien und Russland. Der Außenminister wird nach Angaben des Auswärtigen Amtes
zunächst in der georgischen Hauptstadt Tiflis Gespräche mit Regierungsvertretern
führen. Danach wird er mit Verantwortlichen in Abchasien sprechen. In Moskau
soll Steinmeier mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow zusammentreffen.
Abchasien hatte sich wie Südossetien nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
Anfang der 90er Jahre von Georgien gelöst. Völkerrechtlich gehören die Regionen
zwar zu Georgien, wirtschaftlich sind sie aber von Russland abhängig.
Deutschland steht derzeit der sogenannten Freundesgruppe der Vereinten Nationen
vor, die Vorschläge für die Beilegung der Krise vorgelegt hat.
Die Gruppe hat bereits Vorschläge für eine Beilegung der Abchasien-Krise
vorgelegt. Russischen Medienberichten zufolge lehnte der selbsternannte
abchasische Präsident Sergej Bagapsch sie jedoch ab.
Tiflis wirft Moskau vor, die Regierungen der georgischen Teilrepubliken
Abchasien und Südossetien massiv zu unterstützen und sie in die Russische
Föderation eingliedern zu wollen. Die russische Regierung lehnt den von Tiflis
angestrebten Beitritt Georgiens in die NATO-Militärallianz ab.
17.07.2008
AFP
***
Steinmeier reist wegen Abchasien-Konflikt nach Georgien und Russland
Vor dem Hintergrund des Konfliktes um Abchasien startet
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag zu einer Reise nach
Georgien und Russland. Steinmeier habe sich wiederholt besorgt über die Lage in
der Region geäußert, sagte der Vize-Sprecher des Auswärtigen Amtes, Andreas
Peschke, am Mittwoch in Berlin. Der Außenminister wird den Angaben zufolge
zunächst in der georgischen Hauptstadt Tiflis Gespräche mit Regierungsvertretern
führen.
Dann wird er weiter nach Abchasien reisen und dort mit örtlichen
Verantwortlichen sprechen. Anschließend wird Steinmeier in Moskau mit seinem
russischen Kollegen Sergej Lawrow zusammentreffen. Am Samstagmorgen kehrt er
nach Berlin zurück.
Die Reise des Außenministers ist dem Sprecher zufolge Teil der internationalen
Bemühungen um eine Entschärfung des Konflikts. Ziel sei eine Lösung, die für
alle Beteiligten akzeptabel sei. Deutschland steht derzeit der sogenannten
Freundesgruppe der Vereinten Nationen vor, der auch Großbritannien, Russland und
die USA angehören. Die Gruppe hat bereits Vorschläge für eine Beilegung der
Krise zwischen Georgien und Abchasien vorgelegt. Russischen Medienberichten
zufolge lehnte der selbsternannte abchasische Präsident Sergej Bagapsch sie
jedoch ab.
Steinmeier hatte am Dienstag UN-Generalsekretär Ban Ki Moon getroffen und zur
Vorbereitung der Reise auch mit US-Außenminmisterin Condoleezza Rice sowie mit
Lawrow telefoniert. Nach Angaben des russischen Außenministeriums sagte Lawrow
bei dem Telefonat, Moskau wolle erreichen, dass beide Seiten einem
Gewaltverzicht zustimmten. Außerdem verlangte er den Abzug georgischer Truppen
aus der strategisch wichtigen Kodor-Schlucht in Abchasien.
Berlin fordert Tiflis zum Abwarten auf
In Europa sind die Menschen darüber besorgt, dass der Krieg in Abchasien
Wirklichkeit werden kann, schreibt der Politologe Alexander Rahr, Direktor der
Russland- und GUS-Programme der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik,
in seinem Artikel, für die "Nesawissimaja Gaseta".
Georgiens Präsident Michail Saakaschwili setzt hauptsächlich auf die USA in der
Hoffnung, sie würden ihm die Rückkehr der Separatisten unter die Kontrolle der
Zentralmacht sichern. Deutschland schlägt einen weniger harten Handlungsplan,
den so genannten dreiseitigen Plan von Bundesaußenminister Frank-Walter
Steinmeier, vor.
Laut dem Plan sollen zuerst alle Seiten fest entschlossen erklären, unter keinen
Umständen militärische Gewalt gegeneinander anzuwenden. Als Saakaschwili vor
kurzem in Berlin war, forderten ihn einige deutsche Gesprächspartner auf, sich
mit den Erfahrungen der Wiedervereinigung Deutschlands genauer bekannt zu
machen. Die BRD habe jahrzehntelang friedlich gewartet, bis die DDR herangereift
war und sich die politische Konjunktur verändert hatte, und dann konnte sich das
Land vereinigen.
Die BRD wartete nicht einfach ab, sie schuf Formen der Wirtschaftszusammenarbeit
mit der DDR. Und als das BRD-Modell wirklich attraktiv und so stark wurde, dass
die DDR-Einwohner darauf um keinen Preis verzichten wollten, kam die
Wiedervereinigung zustande.
Gewiss, historische Parallelen sind nicht immer angebracht. Doch nachdenkenswert
sind sie allemal. Die Frage ist nur, ob Saakaschwili mit einem solchen deutschen
Beispiel einverstanden sein wird. Wohl kaum. Die zweite Stufe des deutschen
Plans ist der wirtschaftliche Wiederaufbau Abchasiens. Deutschland ist bereit,
in Berlin eine internationale Konferenz zur Organisation einer Spenderbewegung
zur Sammlung hoher Geldbeträge im Westen als Wirtschaftshilfe für Abchasien
durchzuführen. Natürlich wird den abchasischen Behörden die harte Bedingung
gestellt, jenem Teil der georgischen Bevölkerung, der aus der Region gewaltsam
vertrieben wurde, die Möglichkeit der Rückkehr in die Republik zu gewähren.
Und erst in der dritten Etappe sollen sich Abchasien und Georgien unter
Vermittlung Russlands und der EU endgültig an den Verhandlungstisch setzen, um
über den weiteren Status von Abchasien zu entscheiden. Damit Steinmeiers Plan
Erfolg bringt, müssen ihm alle am Prozess Beteiligten vertrauen.
Möglicherweise könnten in der zweiten Etappe der Umsetzung des Plans die
russischen Friedenskräfte teilweise durch Kräfte der EU oder der GUS-Länder
ersetzt werden, zum Beispiel durch die ukrainischen "Blauhelme", worauf Georgien
eingehen würde.
In der dritten Etappe kann völlig offen die Frage nach der Parallele zwischen
der abchasischen Situation und dem Modell der Kosovo-Unabhängigkeit aufgeworfen
werden. Das wird durch Georgien und den Westen abgelehnt werden. Doch damit im
Prozess der Konfliktregelung von Anfang an Vertrauen herrscht, muss diese Frage
auf der Tagesordnung der Verhandlungen auftauchen.
Möglicherweise werden alle Seiten letzten Endes die Annahme eines Kompromisses
vereinbaren, der die Umwandlung Georgiens in eine wahre Föderation vorsieht.
Denn Russland selbst hat seinerzeit Moldawien den so genannten Kosak-Plan
angeboten, der darin bestand, das Land zu einer dreiseitigen Föderation - das
eigentliche Moldawien, Transnistrien und Gagausien (autonome Struktur im Süden
der Republik) - zu vereinigen.
Übrigens dachte Russland damals ebenfalls, dass sich das moldawische Modell auf
Georgien übertragen ließe. Bei der Realisierung eines solchen Modells, laut dem
Abchasien in die georgische Föderation eintreten wird, kann Moskau zu Suchum
genau solche Beziehungen wie auch zu Tiflis unterhalten. Es ist nicht
ausgeschlosssen, dass die Seiten in diesem Fall zu einer Einigung kommen würden.
In den nächsten Tagen beginnt Deutschland seine Ostdiplomatie zu aktivieren.
Bundeskanzlerin Angela Merkel reist am Montag nach Kiew, um eine Abkühlung der
Leidenschaften in der ukrainischen Elite - eine Folge des Verzichts
Deutschlands, der Ukraine die Möglichkeit eines raschen Nato-Beitritts zu
gewähren - zu versuchen.
Steinmeier und sein Team begeben sich nach Georgien, um Tiflis und Suchum zur
Annahme des deutschen Vorschlages zur Lösung der Abchasien-Frage zu bewegen. Die
Schwierigkeit liegt darin, dass in Europa das Abchasien-Problem selbst und die
Wege zu seiner Lösung unterschiedlich gesehen werden. Innerhalb Europas haben
sich Kräfte aktiviert, die sich um der Energiesicherheit willen für die
Schaffung eines Kartells der Transitländer einsetzen. In den Plänen dieses
Kartells spielt Südkaukasien eine strategische Rolle.
Deutschland seinerseits sucht im Westen nach Verbündeten, um weit pragmatischere
Positionen zu behaupten, die Russland nicht von der gesamteuropäischen Politik
ausschließen, sondern es darin aufnehmen.
Jahrelanger Streit zwischen Russland und Georgien
Am 6. März dieses Jahres hatte Russland die von den Ländern der Gemeinschaft
Unabhängiger Staaten (GUS) 1996 verhängten Sanktionen gegen Abchasien einseitig
aufgehoben. Zudem rief Moskau andere GUS-Mitgliedsländer auf, seinem Beispiel zu
folgen. Am 16. April beauftragte Präsident Wladimir Putin die Regierung in
Moskau, konkrete Hilfe für die Bevölkerung von Abchasien und Südossetien zu
erweisen und direkte Kontakte zu deren faktischen Machtorganen aufzunehmen.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte sich Abchasien für unabhängig von
Georgien erklärt. Im August 1992 verlegte Tiflis seine Truppen nach Abchasien,
die aber auf einen erbitterten bewaffneten Widerstand stießen. Der blutige
Konflikt endete am 30. August 1993 mit dem faktischen Verlust Abchasiens durch
Georgien. Seitdem arbeitet Suchum beharrlich auf die Anerkennung seiner
Unabhängigkeit hin, die bislang von keinem einzigen Staat akzeptiert wurde.
Tiflis betrachtet Suchum weiterhin als Teil des Landes und bietet Abchasien
umfassende Autonomierechte im Staatsverband Georgiens an. Der Frieden in der
georgisch-abchasischen Konfliktzone wird von der GUS-Friedensmacht erhalten, zu
der hauptsächlich russische Militärs gehören. Die Verhandlungen über die
Beilegung des Konflikts wurden 2006 abgebrochen.
Vor dem Zerfall der Sowjetunion hatte Südossetien den Status eines autonomen
Gebietes im Staatsverband Georgiens. 1991 schaffte der erste georgische
Präsident Swiad Gamsachurdia die Autonomie ab. Die südossetischen Behörden
leisteten erbitterten bewaffneten Widerstand. Der Konlikt ging 1992 zu Ende,
ebenfalls mit dem Verlust der Region für Tiflis.
Südossetien will seine Anerkennung durch andere Länder durchsetzen, während
Georgien es weiterhin als sein Gebiet betrachtet. Der Frieden in der
georgisch-ossetischen Konfliktzone wird von einem gemischten Friedenskontingent
erhalten, zu dem ein russisches, ein georgisches und ein nordossetisches
Bataillon gehören, jeweils 500 Mann. Das Hauptorgan für die Beilegung des
Konflikts ist die so genannte Gemischte Kontrollkommission mit den
Kovorsitzenden von Russland, Georgien, Nord- und Südossetien. In letzter Zeit
bekundet Tiflis den Wunsch, aus diesem Format auszusteigen. Die anderen
Teilnehmer der Verhandlungen sind dagegen.
Völkerrechtlich gehören die Regionen zwar weiter zu Georgien, wirtschaftlich
sind sie jedoch von Russland abhängig.
***
Steinmeier
Lösung im Streit um
Abchasien vorgeschlagen
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat die Parteien in der
Krise zwischen Georgien und der Region Abchasien zu direkten Gesprächen
aufgefordert. Und einen Drei-Stufen-Plan vorgestellt.
Auf einer zweitägigen Reise traf Steimeier am Donnerstag zu
ersten Gesprächen in Georgien ein. „Mein Appell lautet: Brechen Sie aus der
Spirale von Gewalt und Gegengewalt aus“, sagte Steinmeier am Donnerstag in der
georgischen Hauptstadt Tiflis. Der SPD-Politiker legte seiner georgischen
Amtskollegin Eka Tkeschelaschwili einen von Deutschland erarbeiten
Drei-Phasen-Plan zu Lösung des jahrelangen Territorialstreits vor.
Dieser sieht vor, dass in einem ersten Schritt alle Seiten auf Gewalt
verzichten und über die Rückkehr von etwa 250 000 georgischen Flüchtlingen nach
Abchasien verhandeln. In weiteren Schritten sind dann Wiederaufbau-Projekte und
letztlich Verhandlungen über den endgültigen Status Abchasiens vorgesehen. Der
Vorschlag ist auch im Kreise der von Deutschland koordinierten UN-Freundesgruppe
Georgiens (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, USA und Russland) bekannt.
Die georgische Außenministerin Tkeschelaschwili bezeichnete die Pläne als
„interessant“, sie müssten aber noch überarbeitet werden. Steinmeier sagte, alle
Parteien müssten gemeinsam zu einer Entschärfung der Lage beitragen.
Russland und Abchasien gegen Steinmeiers Plan
Am Freitag will Steinmeier auch in Russland und Abchasien für die Pläne werben.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow erteilte ihnen bereits vor dem Treffen
eine Absage. Die Vereinbarung eines Gewaltverzichts mit der Rückkehr der
Flüchtlinge zu verknüpfen, sei zum jetzigen Zeitpunkt „völlig unrealistisch“,
sagte er in Moskau. Bevor die Flüchtlinge in die Region zurückkehren könnten,
müsse sich zunächst die Situation beruhigen und das Vertrauen wiederhergestellt
werden. Für Russland habe daher zunächst der Gewaltverzicht Priorität. Der
Westen „blockiere“ jedoch eine entsprechende russische Initiative im
UN-Sicherheitsrat.
Der Außenminister der international nicht anerkannten Republik Abchasien, Sergej
Schamba, sagte am Donnerstag, man wolle mit Steinmeier nicht über den
völkerrechtlichen Status sprechen. Abchasien sieht sich selbst als unabhängigen
Staat. Voraussetzung für jegliche Verhandlungen sei ein Abzug der georgischen
Truppen aus dem Kodor-Tal, das die Grenze zu Georgien bildet.
Nicht anerkannte Unabhängigkeit
Georgien und Russland streiten seit langem um den Status von Abchasien, das sich
nach dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre nach einem blutigen
Bürgerkrieg mit rund 8000 Toten von Georgien abgespalten und für unabhängig
erklärt hatte. Es kam seitdem zwischen der georgischen Armee und den
Separatisten immer wieder zu schweren Auseinandersetzungen mit Toten und
Verletzten. In den vergangenen zehn Wochen hatte sich die Lage deutlich
zugespitzt.
Russland unterstützt Abchasien zwar ökonomisch und politisch. Allerdings ist
auch die russische Regierung bislang nicht so weit gegangen, Abchasien
anzuerkennen. Das Land hat im Auftrag der GUS-Staaten eine Friedenstruppe mit
mehr als 2000 Soldaten in Abchasien stationiert, deren Abzug von Georgien
gefordert wird.
17.07.2008 FOCUS Online
***
Steinmeiers Friedensmission
Harte Worte aus Georgien
Mit harten Schuldzuweisungen gegen Russland und die Führung der abtrünnigen
Region Abchasien hat Georgiens Präsident Michail Saakaschwili auf
Vermittlungsbemühungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier reagiert. Zwar
dankte Saakaschwili Steinmeier in der Schwarzmeerstadt Batumi ausdrücklich für
das verstärkte deutsche Engagement zur Beilegung der Krise. Zugleich gab er aber
Russland die Schuld an der Eskalation, weil Moskau aufgehört habe, die Grenzen
Georgiens zu respektieren. Er machte zudem die "sezessionistische" abchasische
Führung verantwortlich für die Vertreibung hunderttausender Flüchtlingen aus
Abchasien, die ein Recht auf Rückkehr hätten.
Der Vize-Kanzler hatte Saakaschwili und zuvor der georgischen Außenministerin
Eka Tkeschelaschwili einen von Deutschland erarbeiten Drei-Phasen-Plan zu Lösung
des jahrelangen Territorialstreits vorgelegt. Steinmeiers Amtskollegin würdigte
den Vorschlag und sagte: "Der Plan hat sehr großes Potenzial für einen Erfolg."
Das Schwierigste werde aber sein, Russland zu überzeugen, eine konstruktive
Rolle einzunehmen. Aus Abchasien, wo Steinmeier am Freitag erwartet wurde, kam
Widerstand gegen den Plan auf.
Kein Weg aus der Sackgasse
Steinmeier warnte nach dem Treffen, es bestehe weiter die Gefahr, dass die
Spannungen eskalierten. " Mein Appell lautet: Brechen Sie aus der Spirale von
Gewalt und Gegengewalt aus. Die anhaltende Sprachlosigkeit kann keine Option für
die Zukunft sein." Steinmeier bekräftigte zugleich: "Wir stehen zur
territorialen Integrität Georgiens." Aus Delegationskreisen war nach dem Treffen
in Saakaschwilis Sommerresidenz von "schwierigen Gesprächen" die Rede. Es sei
erneut deutlich geworden, dass die Positionen der Parteien noch deutlich
auseinander lägen.
Der auch im Kreis der von Deutschland koordinierten UN-"Freundesgruppe
Georgiens" (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, USA und Russland) bekannte
Plan soll den Rahmen für Direktgespräche abstecken. Er sieht zunächst einen
Gewaltverzicht vor. Zudem soll der Weg für die Rückkehr der rund 250.000
Flüchtlinge von Georgien nach Abchasien frei gemacht und der wirtschaftliche
Wiederaufbau angegangen werden. Am Schluss steht die Klärung der Statusfrage
Abchasiens.
Abchasien stellt sich quer
Der Außenminister der international nicht anerkannten Republik Abchasien, Sergej
Schamba, sagte in Suchum, man wolle mit Steinmeier nicht über den
völkerrechtlichen Status sprechen. Abchasien sieht sich selbst als unabhängigen
Staat. Voraussetzung für jegliche Verhandlungen sei ein Abzug der georgischen
Truppen aus dem Kodor-Tal, das die Grenze zu Georgien bildet, sagte Schamba.
Georgier und die Separatisten werfen sich gegenseitig eine gezielte Eskalation
der Lage vor. Saakaschwili ist der Auffassung, dass die jüngste Eskalation
darauf zurückzuführen ist, dass die NATO Georgien eine konkrete
Beitrittsperspektive wegen der ungeklärten Territorialfrage bis auf weiteres
verweigert hat. Dieses Argument habe die Separatisten angestachelt, die
Spannungen weiter zu schüren.
Gespräche in Suchum und Moskau
Am Freitag ist in der abchasischen Hauptstadt
Suchum ein Treffen Steinmeiers
mit dem selbst ernannten Präsidenten Sergej Bagapsch geplant; Steinmeier fliegt
auf ausdrücklichen Wunsch Georgiens und mit Duldung Moskaus in die
Konfliktregion. Die abchasische Führung hatte schon vorab sehr deutlich ihre
Skepsis zum Ausdruck gebracht und dem Plan eine Abfuhr erteilt. "Der Plan in
seiner derzeitigen Form ist für uns inakzeptabel", sagte Bagapsch. Er machte
zugleich klar, dass er mit niemandem über einen Autonomiestatus seines Gebietes
zu verhandeln gedenke. "Wir bauen einen unabhängigen, demokratischen Staat auf",
verkündete er.
Noch am selben Tag fliegt der deutsche Außenminister nach Moskau weiter, um dort
mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zusammenzukommen. Unmittelbar vor
der Steinmeier-Reise erörterte Lawrow den Kaukasus-Konflikt mit seiner
US-amerikanischen Amtskollegin Condoleezza Rice. Bei einem Telefonat zwischen
Lawrow und Rice am Mittwoch sei besonders auch der Streit um Abchasien zur
Sprache gekommen, meldete die Agentur Interfax unter Berufung auf das
Außenministerium in Moskau.
In Moskau kritisierte Lawrow die westliche Herangehensweise an den
Abchasien-Konflikt. Die Rückkehr georgischer Flüchtlinge nach Abchasien sei ein
äußerst schwieriges Problem und dürfe nicht zur Voraussetzung für eine Einigung
zwischen den zerstrittenen Seiten gemacht werden, sagte er. Abchasien muss
fürchten, dass mit einer Rückkehr der Flüchtlinge vielerorts wieder Georgier die
Bevölkerungsmehrheit bilden.
Gefechte und Bomben seit Wochen
Nach Ansicht des russischen Politologen Wladislaw Below ist der deutsche
Außenminister der richtige Mann zur rechten Zeit im Kaukasus. "Steinmeier
genießt in der Region den Ruf eines ausgewogenen Politikers", sagt der Direktor
des Zentrums für Deutschlandforschung am Europainstitut der Russischen Akademie
der Wissenschaften. Das Verhältnis zwischen Georgiern und Separatisten sei
zerrüttet. "Steinmeiers Rolle wird sein, die Kontrahenten überhaupt erst wieder
zu Verhandlungen zu bewegen", meint Below. Für die EU wächst die Bedeutung
Georgiens als Transitland für Öl und Gas aus dem Kaspischen Meer, mit deren
Hilfe man die Abhängigkeit von russischer Energie reduzieren will.
Abchasien hatte sich 1992 für unabhängig erklärt. Wirtschaftlich ist die Region
von Russland abhängig, das eine 3000 Soldaten starke Friedenstruppe in Abchasien
unterhält. Der Sekretär des georgischen Sicherheitsrats, Kacha Loma, forderte
den Abzug der Russen aus zwei abchasischen Bezirken und ihre Ablösung durch
europäische Polizisten.
Auch die Region Südossetien spaltete sich nach dem Zerfall der Sowjetunion
Anfang der 90er Jahre in Bürgerkriegen von Georgien ab. Russland unterstützt die
Unabhängigkeitsbemühungen beider Regionen zum großen Unmut Georgiens. Es kommt
immer wieder zu Scharmützeln mit Toten und Verletzten zwischen der georgischen
Armee und Separatisten. Abchasien und Südossetien sind international nicht
anerkannt.
17. Juli 2008 n-tv
***
Zerschmetterter Traum
Von Klussmann, Uwe
Unveröffentlichte Dokumente der
EU-Untersuchungskommission zum Konflikt zwischen Georgien und Moskau belasten
zuallererst Präsident Saakaschwili, aber auch den Kreml und ossetische Milizen.
Von ihrem Büro an der Avenue de la Paix blickt
die Schweizer Diplomatin auf den Botanischen Garten mitten im friedlichen
Genf. Das tut ihr gut, denn auf dem Schreibtisch von Heidi Tagliavini, 58,
stapeln sich Dokumente, in denen es ausschließlich um Krieg und Kriegsschuld
geht. Da finden sich die Antworten der Konfliktparteien Russland, Georgien,
Südossetien und Abchasien auf Anfragen der europäischen
Untersuchungskommission zum Fünftagekrieg im vergangenen August. Dazu kommen
die Protokolle der Kommissionsreisen nach Moskau, Tiflis und in die
Hauptstädte Abchasiens und Südossetiens. Ferner Experten-Dossiers sowie die
Transkripte der Befragungen von Diplomaten, Militärs und zivilen Kriegsopfern.
Die Kaukasus-Kennerin, in ihrer Heimat als
"Madame Courage" ("Neue Zürcher Zeitung") bekannt, gilt als Spezialistin für
heikle diplomatische Aufgaben. Die, die sie jetzt zu lösen hat, ist ihre
bislang schwerste. Ende Juli soll sie dem Ministerrat der Europäischen Union
den Abschlussbericht der von ihr geleiteten Kommission vorlegen. Darin soll
sie klären, wie ein lange schwelender regionaler Konflikt um die abtrünnige
georgische Provinz Südossetien im August 2008 plötzlich zu einem Krieg
Georgiens mit der Großmacht Russland eskalieren konnte. Wer trägt die Schuld
an der schärfsten Konfrontation zwischen Ost und West seit dem Ende des Kalten
Kriegs?
Der Diplomatin stehen zwei Stellvertreter zur
Seite, dazu zehn weitere Spezialisten, Militärs, Politologen, Historiker und
Völkerrechtler sowie ein Budget von 1,6 Millionen Euro.
Von den Schlussfolgerungen, die Tagliavinis
Kommission zieht, hängt viel ab. Ist die ehemalige Sowjetrepublik Georgien
nach 18 Jahren Unabhängigkeit ein seriöser Anwärter für eine Mitgliedschaft in
der Nato, oder befindet sich das Land in den Händen eines Hasardeurs? Haben
die Herrscher in Russland das befreundete, nach Unabhängigkeit von Georgien
strebende Südossetien bloß gegen einen georgischen Angriff verteidigt? Oder
hat Russland eine Weltkrise entfacht, als seine Soldaten vorübergehend auch
georgisches Kernland besetzten?
Die unter Verschluss gehaltenen Unterlagen der
Kommission, die dem SPIEGEL vorliegen, zeigen, dass sich die Mitglieder der
Kommission bei der Bewertung der Kriegsschuldfrage ähnlich schwertun wie die
Staatengemeinschaft insgesamt. Mehrheitlich neigen die Mitglieder jedoch der
Einschätzung zu, dass Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili den Krieg mit
dem Angriff auf Südossetien am 7. August begonnen hat. Eine Faktensammlung auf
Tagliavinis Schreibtisch widerlegt Saakaschwilis Version, sein Land sei an
jenem Tag schuldlos das Opfer einer "russischen Aggression" geworden.
So bilanziert Kommissionsmitglied Christopher
Langton, ein Oberst a. D. der britischen Armee, das Fiasko des militärischen
Abenteuers: "Georgiens Traum ist zerschmettert, und das Land kann sich nur
selbst dafür verantwortlich machen."
Kommissionskollege Bruno Coppieters, ein
Politologe aus Brüssel, fragt sich sogar, ob die georgische Regierung bei
ihrem Unternehmen nicht Helfer gehabt habe: "Die Unterstützung von
Saakaschwili durch den Westen, insbesondere auf militärischem Wege", habe
"ungewollt Georgiens Konfrontationskurs gefördert".
Ganz anders dagegen der Berliner Publizist Jörg
Himmelreich, der auch ein Mitglied des German Marshall Fund of the United
States ist. Er plädiert für eine Aufnahme Georgiens in die Nato und
entschuldigt die "kurzzeitige georgische Besetzung der südossetischen
Hauptstadt Zchinwali" damit, dass Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili "in
der eigenen Bevölkerung unter großem Erfolgsdruck" gestanden habe.
Saakaschwili hatte mehrfach die "Wiedervereinigung" mit den abtrünnigen
Republiken versprochen.
Himmelreich verurteilt Russlands Vorgehen
deshalb ganz klar als "Aggression" und "Völkerrechtsbruch".
Kommissionsmitglied Otto Luchterhandt, ein Hamburger Völkerrechtler, gelangt
zu einer differenzierteren Bewertung: Weil die Georgier den Stützpunkt der
russischen Friedenstruppen in der südossetischen Landeshauptstadt Zchinwali
angegriffen hätten, könne sich Russland auf das Selbstverteidigungsrecht nach
Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen berufen.
Die russischen Truppen waren aufgrund einer
völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarung von 1992 zwischen Russland und
Georgien in Südossetien stationiert. Georgiens Angriff, argumentiert
Luchterhandt, sei ein Bruch des Abkommens und habe Russland das Recht zum
Eingreifen gegeben. Mit seiner übermächtigen Intervention in Westgeorgien sei
dem Kreml gleichwohl ein "Verstoß gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit"
vorzuwerfen.
Für die Behauptung des georgischen Staatschefs,
die er auch in einem Interview mit dem SPIEGEL (34/2008) vorbrachte, am Abend
des 7. August sei eine russische Kolonne mit 150 Panzern in Südossetien
eingedrungen, fanden die Experten keine Belege. Nach ihren Erkenntnissen kam
die russische Armee erst am 8. August.
Kommissionsmitglieder vermerken, dass
Saakaschwili dagegen schon am Morgen des 7. August 12 000 Soldaten und 75
Panzer an der Grenze zu Südossetien zusammengezogen hatte. Bei den Recherchen
stießen sie auf Äußerungen des georgischen Präsidenten, die belegen, dass er
schon seit langem mit einer militärischen Lösung für die Ossetien-Frage
liebäugelte: "Wenn man irgendeinen georgischen Soldaten fragt, warum er in den
Streitkräften diene, dann wird jeder von ihnen antworten: ,Um Georgiens
territoriale Integrität wiederherzustellen'", hatte Saakaschwili bereits am
25. Mai 2004 in einer Fernsehansprache betont.
Leitende Beamte des Auswärtigen Amts in Berlin
wissen, dass der damalige deutsche Botschafter Uwe Schramm in seinen Berichten
vor Saakaschwilis Neigung zum Krieg warnte. Jetzt ist Schramm Tagliavinis
Stellvertreter in der Kommission.
Zu Kriegsbeginn lieferte der georgische General
Mamuka Kuraschwili im Fernsehen die Begründung, sein Land werde "in der
gesamten Region die verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellen".
Kuraschwili zitierte womöglich aus einem
georgischen Befehl Nr. 2 vom 7. August. Dieses Schlüsseldokument, von der
Kommission angefordert, haben die Georgier dem Tagliavini-Team bis heute nicht
übergeben, ebenso wenig wie weitere Befehle - was in der Kommission als eine
Art Offenbarungseid gewertet wird.
Weitgehend einig sind sich die
Kommissionsmitglieder dagegen, dass Georgier wie Russen die Genfer Konvention
zum Schutz von Zivilpersonen im Krieg verletzt haben. Beide Armeen setzten
beispielsweise Streubomben ein, die breitflächig Sprengsätze abwerfen und die
mehrere Zivilisten töteten und viele verletzten. Georgien räumt den Einsatz
der Waffen ein, Russland leugnet ihre Verwendung.
Als schwerwiegend wertet die Kommission aber
auch die zahlreichen Übergriffe südossetischer Milizen gegen georgische
Zivilisten. Der Schweizer Jurist Théo Boutruche hat für die Kommission
dokumentiert, dass Freischärler, meist junge Männer, mehrere von Georgiern
bewohnte Dörfer plünderten und niederbrannten, Zivilisten schlugen und mehr
als ein Dutzend Georgier ermordeten. Die russische Besatzungsmacht war nach
der Haager Landkriegsordnung zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung
verpflichtet. Doch sie unternahm fast nichts, um die Greuel zu verhindern, die
ein Kommissionsdossier als "Kriegsverbrechen" einstuft.
Die Endfassung des Kommissionsberichts muss nun
die Schweizer Diplomatin allein erstellen, Minderheitenvoten sind darin nicht
vorgesehen. Frau Tagliavini ist allerdings bekannt dafür, allzu schroffe
Urteile gegen eine Konfliktseite zu vermeiden. Sie werde wohl, prophezeien
Kommissionsmitglieder, in den Endbericht auch Himmelreichs Position
integrieren, Georgien den Weg in die westliche Verteidigungsallianz offen zu
halten, trotz seines hitzköpfigen Präsidenten. Der sprach bereits Anfang Juni
wieder vollmundig davon, sein Land befinde sich immer noch im Krieg mit dem
russischen "Feind".
Eine weitere Frage wird allerdings wohl
unbeantwortet bleiben: Welche Rolle spielte die Weltmacht USA im
Georgien-Konflikt? Die Regierung von George W. Bush hatte Georgien jahrelang
umfangreiche Militärhilfe zukommen lassen und etwa 150 Truppenausbilder
geschickt.
Dennoch sind mehrere Kommissionsmitglieder
neugierig darauf, zu erfahren, was etwa John Tefft, US-Botschafter in Tiflis
und zuvor Berater am National War College in Washington, von Saakaschwilis
Marschbefehlen wusste. Gern würden sie fragen, warum bei Kriegsbeginn in der
Nacht zum 8. August - in Amerika war es da erst Nachmittag - im Washingtoner
State Department niemand den Hörer abnahm, als Russlands Vizeaußenminister
Grigorij Karassin seine amerikanischen Partner zu erreichen versuchte.
Spannend fänden andere Kommissionsmitglieder
auch ein Gespräch mit Daniel Fried, dem für Georgien damals zuständigen
Staatssekretär im Außenministerium. Der verriet kürzlich einem deutschen
Außenpolitiker vertraulich, Saakaschwili sei im August "außer Kontrolle
geraten".
Doch Tagliavinis Team wird keine Amerikaner
befragen. Dazu, sagt ein Mitglied ihrer Kommission, "fehlt unserer Leiterin
und der EU wohl die Courage".
UWE KLUSSMANN
* Mit dem damaligen Verteidigungsminister David
Keseraschwili in Zchinwali im August 2008.
***
Abchasien: „Kein Zusammenleben mit den
Georgiern“
Suchum. Sergej Bagapsch,
der Präsident der abtrünnigen Provinz Abchasien, will die „Unabhängigkeit, weil
wir sie uns verdient haben“ – und nicht als russische Retourkutsche für die
Souveränität des Kosovo. Ein Interview.
Sergej Bagapsch ist Präsident Abchasiens. Der 59
Jahre alte ehemalige Sowchosen-Direktor wurde 2005 ins Präsidentenamt gewählt.
Das Gespräch führte Ulrich Heyden für Russland-Aktuell in der
Präsidenten-Residenz in Suchum.
Russland-Aktuell: Die
UNO-Beobachtermission in Georgien hat einen Bericht vorgelegt, nach dem ein
unbemanntes georgisches Aufklärungsflugzeug über Abchasien von einem russischen
Kampfflugzeug abgeschossen wurde.
Bagapsch: Ich kenne diesen
Bericht. Nichtsdestotrotz erkläre ich: Alle sieben georgischen Drohnen wurden
von der abchasischen Luftabwehr abgeschossen.
Russland-Aktuell: Wie
werden sie in Zukunft auf georgische Drohnen reagieren?
Bagapsch: Wir werden sie
abschießen, egal ob sie bemannt oder unbemannt sind. Wir haben Georgien und die
UNO-Mission vorgewarnt. Das sind keine einfachen Apparate.
Russland-Aktuell: Der
georgische Präsident Michail Saakaschwili kritisiert, dass zur russischen
Friedenstruppe Fallschirmspringer und schwere Technik gehören. Wozu braucht die
russische Friedenstruppe so was?
Bagapsch: Die Russen
brauchen gepanzerte Fahrzeuge. In den Bergen sind die Wege schlecht. Schon viele
russische Soldaten sind bei der Ausübung ihres Friedensdienstes gestorben.
Russland-Aktuell: In den
letzten Wochen gab es zwischen Tiflis und Suchum Gespräche über eine
Friedensregelung. Was waren die Resultate?
Bagapsch: In Suchum war
der US-Außenstaatssekretär Matthew Bryza und der Vertreter Georgiens in der UNO,
Irakli Alasania. Wir führten Gespräche über eine Friedensregelung. Wir haben
vorgeschlagen, dass in einer ersten Etappe Georgien seine Streitkräfte aus dem
oberen Teil des Kodor-Tals abzieht. Die Stationierung georgischer Truppen dort
widerspricht der Moskauer Vereinbarung von 1994. Nach dem Abzug können Georgien
und Abchasien eine Friedensvereinbarung unterzeichnen.
Unser Vorschlag wurde von der georgischen Seite
normal aufgenommen, aber wir wissen nicht, welche Entscheidung Georgien gefällt
hat. Wie uns Herr Bryza erklärte, sorgt man sich in den USA um die Situation,
die sich zwischen uns und Georgien entwickelt. In den letzten Jahren hat sie
sich immer mehr verschlechtert. 1993 bis 2003 gab es einen Gesprächsprozess
zwischen Tiflis und Suchum. Doch seit dem Machtantritt von Michail Saakaschwili
in Georgien gibt es nur noch eine Sprachregelung, nämlich dass Georgien stark
ist, von der ganzen Welt unterstützt wird und von überall her Waffen bekommt.
Russland-Aktuell: Der
georgische Präsident Saakschwili will nur auf die Anwendung von Gewalt
verzichten, wenn die georgischen Flüchtlinge nach Abchasien zurückkehren können.
Die Abchasen lehnen die Rückkehr der Georgier aber ab.
Bagapsch: An keinem
Krisenherd der Welt, wo es einen Krieg gab, sind so viele Flüchtlinge
zurückgekehrt wie in Abchasien. In den Kreis Gali kehrten 60.000 georgische
Flüchtlinge zurück. Die internationale Gemeinschaft müsste den georgischen
Flüchtlingen in Georgien finanziell helfen, damit sie sich dort integrieren. Es
ist nicht unsere Schuld, dass diese Menschen jetzt in Georgien sind. Georgien
ist 1992 mit Truppen in Abchasien einmarschiert. Als wir unser Territorium
befreit haben, haben sie Angst gekriegt und sind nach Georgien geflüchtet.
Russland-Aktuell: In
Europa gibt es den Grundsatz, dass man das friedliche Zusammenlieben
verschiedener Nationalitäten in einem Staat organisieren muss.
Bagapsch: In Abchasien
sind sehr viele Menschen gestorben. Sie können heute jeden in Abchasien fragen.
Niemand will mit den Georgiern in einem Staat leben.
Russland-Aktuell: In
Europa haben viele damit gerechnet, dass Russland nach der Anerkennung des
Kosovo Abchasien anerkennt. Warum ist das nicht passiert?
Bagapasch: Wir wussten,
das Russland uns nicht sofort anerkennt. Putin hat erklärt, Moskau wolle den
Westen nicht nachäffen. Wir wollen nicht, dass man uns nur deswegen anerkennt,
weil die USA den Kosovo anerkennt. Wir wollen die Unabhängigkeit, weil wir sie
uns verdient haben.
Russland-Aktuell: Finden
sich die abchasische Geschäftswelt damit ab, dass die russischen Unternehmer in
Abchasien Sanatorien und Hotels aufkaufen?
Bagapsch: Die Russen haben
nicht alle Sanatorien gekauft. Außerdem gehörten die gekauften Sanatorien schon
früher russischen Behörden. Es war richtig, dass wir Sanatorien verkauft haben.
Wir brauchen Investitionen für den Wiederaufbau der Hotels, die im Bürgerkrieg
ausgebrannt sind.
Russland-Aktuell: Mehr als
die Hälfte der Abchasen hat einen russischen Pass. Jetzt hat Putin angeordnet,
die Beziehungen zu Abchasien zu intensivieren. Russische Konsularbeamte sollen
sich um Abchasen mit russischem Pass kümmern. Werden die Spannungen zwischen
Suchum und Tiflis dadurch nicht verstärkt?
Bagapsch: Die USA haben
einen militärischen Beistandspakt mit Taiwan. Man kann nicht Abchasien etwas
verbieten, was im Kosovo möglich ist. Ich möchte wissen, warum der Kosovo mehr
Unabhängigkeit verdient als Abchasien. Der Westen schwieg, als 1992 georgische
Truppen in Abchasien einmarschierten. Dem kleinen Volk der Abchasen drohte die
Vernichtung. Niemand protestierte, außer Russland.
Russland-Aktuell: Wie kann
Deutschland den Friedensprozess zwischen Tiflis und Suchum unterstützen?
Bagapsch: Deutschland kann
die Unterzeichnung einer Friedensvereinbarung unterstützten und darauf drängen,
dass Georgien seine Truppen aus dem Kodor-Tal abzieht. Deutschland könnte ein
Garant eines Friedensprozesses sein. Deutschland ist in der ganzen Welt
anerkannt. Die deutsche Botschafterin in Tiflis war schon mehrmals in Suchum.
Russland-Aktuell: Können
sie sich vorstellen, dass die Friedenstruppe in Abchasien von Russen und
Europäern gemeinsam gestellt wird?
Bagapsch: Wir werden hier
keine europäische Friedenstruppe zulassen, weil die Europäer gegen die Abchasen
eingestellt sind. Die russische Friedenstruppe kam nach Abchasien, um die
Abchasen zu beschützten. 106 russische Soldaten haben hier während ihres
Dienstes ihr Leben gelassen. Wenn hier keine russische Friedenstruppe
stationiert ist, tritt Georgien in die Nato ein. Nach einem Nato-Beitritt
Georgiens würde eine europäische Friedenstruppe aus Abchasien abziehen und dann
würde Georgien einen neuen Krieg gegen Abchasien führen.
Russland-Aktuell: In den
russischen Medien wird berichtet, dass in Abchasien der Bau von Zementfabriken
für die Winterolympiade 2014 in Sotschi geplant ist.
Bagapsch: Wir werden hier
Zement-, Beton- und Asphalt-Fabriken bauen und Baumaterial für die Olympiade
verkaufen. Geschäftsleute aus Südkorea, Singapur, Österreich und Tschechien
waren bereits hier. Sie interessierten sich für den Bau der Fabriken. Auch
Chinesen und Griechen interessieren sich für Investitionen bei uns. Türken bauen
ein Hotel und fangen Fische in unseren Gewässern. Viele Leute wollen in
Abchasien Geschäfte machen.
(Ulrich Heyden/Suchum/.rufo)
04.06.2008
Russland-Aktuell
***
Abchasien: Drohnen und Drohungen über Badestränden
Suchum. Das einstige Urlaubsparadies Abchasien
will von Georgien unabhängig sein. Russland assistiert mit Truppen am Boden,
Georgien lässt Aufklärer kreisen und die Abchasen zeigen sich – trotz Armut –
stur.
Einst war Abchasien ein sowjetisches
Urlaubsparadies am Schwarzen Meer – und verwöhnte seine Gäste mit Südfrüchten
und mildem subtropischem Klima. Dann kam es Anfang der 1990er Jahre zu einem
blutigen Bürgerkrieg: Georgische Truppen marschierten zunächst in der Hauptstadt
Suchum ein, mussten sich dann aber nach einer militärischen Niederlage ganz aus
der Schwarzmeer-Provinz zurückziehen.
Der Landstrich mit ungeklärtem Status und seinen
heute etwa 200.000 Einwohnern geriet international ziemlich in Vergessenheit.
Das änderte sich, als der Kosovo anerkannt wurde.
Kosovo-Unabhängigkeit lockt und lockert Abchasien
Der Kreml hatte gedroht, nun seinerseits auch
Abchasien als Staat anzuerkennen. Die Mehrheit der Bewohner von Abchasien hat
bereits einen russischen Pass. Alle Angebote in den georgischen Staatsverband
zurückzukehren, schlägt Suchum in den Wind. Zu frisch sind die Erinnerungen an
den Bürgerkrieg und die permanenten Anschlussdrohungen des georgischen
Präsidenten Michail Saakaschwili, die oft mit militärischen Drohgebärden
untermalt wurden.
In diesem Jahr schickte Tiflis dann reihenweise
unbemannte Aufklärungsdrohnen, von denen mehrere abgeschossen wurden. Einmal
feuerte dabei auch ein russisches Kampfflugzeug, wie die UNO-Mission in Georgien
nach einer Untersuchung erklärte. Russland weist diesen Vorwurf jedoch zurück.
Moskauer Schritte in Richtung Anerkennung
Wladimir Putin ordnete im April an, die
wirtschaftlichen und humanitären Beziehungen zu verstärken. In der letzten
Maiwoche schickte Moskau dann 400 unbewaffnete Eisenbahn-Soldaten nach
Abchasien, was erneut scharfen Protest in Tiflis aber auch in Washington
auslöste. Die Eisenbahn-Soldaten sollen in der Schwarzmeer-Provinz die im Krieg
zerstörte Bahn-Infrastruktur reparieren.
Die Arbeiten seien nötig, um den Transport der
russischen Friedenstruppe zu gewährleisten, die im Auftrag der GUS seit 1994 in
Abchasien stationiert ist, erklärte Sergej Schamba, der Außenminister von
Abchasien. Außerdem sei die Wiederherstellung der Eisenbahnstrecke nötig, um
Baumaterial für die Winterolympiade 2014 ins nahe russische Sotschi zu schaffen.
Schon die Aufstockung der in Abchasien
stationierten russischen Friedenstruppe auf 2.500 Mann Anfang Mai war auf
scharfen Protest aus Tiflis gestoßen. Georgien will in die Nato, was Russland
seinerseits mit allen Mitteln verhindern will, indem es sich in Abchasien
festsetzt. Laut GUS-Vereinbarung über die Friedenstruppen kann Russland in
Abchasien jedoch eine Friedenstruppe von bis zu 3.000 Soldaten stationieren.
Könnte die EU Russland als Schutzmacht ablösen?
Georgien möchte seine in den 90er Jahren in
Abchasien (und Südossetien) ausgefransten Grenzen wieder selbst kontrollieren.
Russland möchte den ebenso schönen wie strategisch günstig gelegenen Landstrich
nicht an Georgien und die Nato verlieren. Und die Abchasen träumen von einer
Unabhängigkeit mit Russland als Schutzmacht.
Inzwischen gibt es auch verstärkte Kontakte
zwischen Abchasien und der EU. In den russischen Medien tauchten sogar schon
Spekulationen auf, die EU könnte Russland als Schutzmacht für Abchasien ablösen.
Doch bisher misstraut Suchum den Europäern. Brüssel und Washington hätten bisher
immer nur Tiflis unterstützt, hört man auf den Straßen von Suchum.
Die Spuren des Krieges - noch immer offensichtlich
Die Erinnerungen an den Bürgerkrieg vor 15 Jahren
sind dort immer noch allgegenwärtig. An den Fassaden vieler Häuser in Suchum
sind Einschusslöcher zu sehen.
Die zahlreichen Pensionate und Sanatorien sind
stumme Zeugen einer Zeit, als in Abchasien noch hunderttausende Touristen aus
dem gesamten Ostblock Urlaub machten. Heute herrscht in der Provinz Armut. Wären
nicht die russischen Touristen, die jeden Sommer ungeachtet der Spannungen mit
Tiflis an den herrlichen Schwarzmeer-Stränden Urlaub machen - in Abchasien würde
überhaupt nichts mehr funktionieren.
Aus Russland kommen Renten und Touristen
Die Rentner bekommen von der abchasischen
Verwaltung eine Rente von drei Euro. Doch Russland hilft: Moskau zahlt den
abchasischen Rentnern zusätzlich eine Pension von 80 Euro. Zu den Bewohnern
Abchasiens gehören heute nicht nur Abchasen, Armenier, Russen und Griechen,
sondern auch 50.000 Georgier, die in ihre alten Häuser im südöstlichen
Gali-Bezirk zurückgekehrt sind.
Dank der russischen Touristen und wagemutigen
abchasischen und russischen Geschäftsleuten wird in Abchasien jetzt auch wieder
verstärkt gebaut. In Suchum strahlt das Rizz-Hotel mit einer neuer weißen
Fassade. Doch am Stadtrand sieht man noch die Ruinen des Krieges und die
ausgebrannten Häuser der Georgier, die geflüchtet sind.
„Nicht alle Flüchtlinge sollen zurückkehren“
Wenn man die Bewohner Abchasiens auf der Straße
fragt, wie lange sie sich noch der Wiedereingliederung in den georgischen Staat
widersetzen wollen, reagieren die Befragten erstaunt. „Wir werden uns nie mit
Georgien vereinigen“, meint Tingis, ein Tierarzt, der selbst im Bürgerkrieg
gekämpft hat und heute Zimmer an russische Touristen vermietet. Der Bürgerkrieg
habe zu viele Opfer gekostet.
Außerdem seien die Georgier in Abchasien
zwangsweise von Stalin angesiedelt worden. Von den 200.000 georgischen
Flüchtlingen dürften nur die zurückkommen, „die nicht gekämpft haben“, meint
Tingis. Das heißt faktisch, die Rückkehr der Georgier ist unerwünscht, denn
gekämpft haben in dem blutigen Bürgerkrieg praktisch alle Männer, auf beiden
Seiten.
Abchasiens Armee demonstriert Stärke
Die Abchasen geben sich äußerst selbstbewusst. Der
Staatshaushalt hat zwar nur einen Umfang von 1,3 Milliarden Euro, doch man
leistet sich eine eigene Armee. Bei Manövern, zu der auch Beobachter der
UNO-Mission in Georgien eingeladen werden, knattern alte T-55-Panzer durchs
Gebüsch, Flak-Geschütze schießen scharf. An Munition besteht angeblich kein
Mangel.
Man habe noch „Millionen von Patronen“ aus alten
Sowjet-Beständen, erklärt der stellvertretende Verteidigungsminister, Garri
Kupalba. Auf die abchasische Luftwaffe, die angeblich schon sieben unbemannte
georgische Aufklärer abgeschossen hat, ist Kupalba besonders stolz. Zur
„Luftwaffe“ gehören ein paar tschechische L-39-Trainingsflugzeuge und russische
Hubschrauber.
Der Präsident Abchasiens, Sergej Bagapsch, steht
seinem Gegenspieler Michail Saakaschwili in Kriegs-Rhetorik in Nichts nach. „Wir
werden alle georgischen Flugzeuge über unserem Territorium abschießen, ob
bemannt oder unbenannt“, erklärt er in einem Interview in seiner Residenz in
Sotschi.
(Ulrich Heyden/.rufo/Suchum-Sotschi)
04.06.2008 Russland-Aktuell