Moskau, (Polens Ex-Premier Leszek Miller für RIA Novosti). Am Tag der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking hat sich Georgiens Präsident Michail Saakaschwili dazu entschieden, ein Held zu werden.
Um das hundertprozentig hinzukriegen, hat er hunderttausend Reservisten einberufen lassen, um sich eine Schlacht zu liefern mit der Republik, deren Einwohnerzahl sich höchstens auf siebzigtausend beläuft.
Anstatt den Weg einer friedlichen Beilegung des Konfliktes mit den abtrünnigen und widerspenstigen Republiken Abchasien und Südossetien zu suchen, hat er einen blutigen Krieg vom Zaun gebrochen, dem Hunderte von Zivilisten zum Opfer fielen. Um die eigene Position im eigenen Land zu stärken, hat Saakaschwili einen Krieg nichts ahnend angefangen, dass gerade er das Hauptopfer dieses Krieges sein wird. Doch er hätte es kommen sehen können! In Südossetien machen die Georgier nur 25 Prozent der Bevölkerung aus, alle anderen sind Russen, die sogar mit den russischen Pässen ausgestattet sind. Es ist immer noch die Erinnerung daran lebendig, wie nach dem Zusammenbruch der UdSSR die Georgier mit Gewalt dieses Territorium besetzt hatten. Infolge der damaligen kriegerischen Auseinandersetzung wurden ca. dreitausend Osseten getötet.
Der Stützpunkt der russischen Friedenstruppen geriet ebenfalls unter Beschuss. Die Friedenstruppen hat Moskau gemäß dem im Jahr 1992 unterschriebenen Abkommen von Sotschi dort stationiert, demnach wurde gegen das Völkerrecht ebenfalls verstoßen. Die Panzer und Infanterie haben sich eingeschaltet. Die georgischen Einheiten, die eine Großoffensive gestartet hatten, wollten die Osseten fertig machen, ihre Häuser dem Erdboden gleichmachen, und das in der Stadt, wo lediglich 15 Prozent der Häuser zu dem Zeitpunkt (nach dem Artilleriebeschuss) mehr oder weniger unversehrt blieben. Der Blitzkrieg verlief reibungslos und es schien, als ob der Südossetien-Konflikt seine finale Lösung gefunden hätte.
So fing der Krieg an, der vom polnischen Präsidenten Lech Kaczynski sowie von denjenigen, für die polnischer Patriotismus dasselbe ist wie die gegen Russland gerichteten Ansichten, als Krieg Russlands gegen Georgien bezeichnet wird.
Saakaschwili, der in eigenem Land beschuldigt wird, die Demokratie mit den Füßen getreten und die Wahlen gefälscht zu haben, fing den Krieg an, ohne dabei an die Welle der Gewalt und das Blutvergießen gedacht zu haben, die vom Krieg unweigerlich ausgelöst werden würden. Er hat einen ethnischen Konflikt schüren lassen, dessen Ausmaße noch schwer einzuschätzen sind. Er hat auf Chauvinismus und Nationalismus gesetzt und das georgische Volk dazu aufgerufen, mit einem „äußeren Feind“ zu kämpfen, um seine eigene Lage zu verstärken. Solche Politiker sind nicht nur für das eigene Volk gefährlich.
Als er diesen sinnlosen Krieg entfesselte, woran dachte er? Hoffte er auf einen blitzartigen und leichten Sieg? Auf die Gelegenheit, die eigene wacklige Lage in den Griff zu bekommen? Darauf, dass Russland neutral bleiben würde? Auf die militärische Unterstützung der Vereinigten Staaten? Auf die Welt, die sich in den Anblick des Olympischen Feuers vertieft hat? Auf die Zusagen, die von verantwortungslosen Politikern (dazu muss man auch polnischen Präsidenten zählen) gegeben worden waren? Das alles spielt in letzter Konsequenz keine Rolle, denn Saakaschwili hat alles verloren, was nur verloren werden konnte.
Zunächst einmal hat er seine Ansprüche auf die abtrünnigen Republiken vergeudet. Der Versuch, Südossetien unter Gewaltanwendung zurückzuerobern, hat nur zu dessen endgültiger Loslösung von Georgien geführt. Auch wenn die Russen diese Gebiete ebenfalls für immer verlassen würden - es gibt nun keine Möglichkeit mehr für eine friedliche Koexistenz. Zu groß sind die Opfer des Krieges, der voll mit Gräueltaten gewesen ist. Man stelle sich nur vor - die auf dem Rückzug befindlichen georgischen Soldaten warfen Handgranaten in die Häuserkeller, um sich zu vergewissern, dass dort keine ossetischen Familien Schutz suchten.
Georgien hat ebenfalls seine Hoffnung verspielt, einmal doch NATO-Mitglied zu werden. Tiflis hat ohnehin mit einer starken Opposition in Europa rechnen müssen, denn Deutschland und Frankreich wollen nicht, in den kaukasischen Hexenkessel hineingezogen werden. Nun aber wurden alle diese Befürchtungen erneut bestätigt. Kein Land möchte in den von einem kampflustigen Räuberhäuptling entfesselten Konflikt mit Russland hineingeraten.
Die penibel aufgebaute Image des georgischen Präsidenten ging ebenfalls vor die Hunde. Die georgische Opposition, die bekanntlich nicht besonders zimperlich ist, aber auch alle Opfer dieses Krieges, werden ihm später oder früher eine saftige Rechnung präsentieren. Die Siegesposaunen werden verstummen.
In Russland weiß man darüber Bescheid. Daher braucht Moskau nicht weiterkämpfen. Alle Ziele Russlands wurden von Saakaschwili umgesetzt. Die Russen haben gewonnen und alle Trümpfe in der Hand: Georgien griff zuerst an. Man sieht es mit bloßem Auge, es sei denn natürlich, man will es sehen. Wie die britische Tageszeitung „The Guardian“ schrieb, würde Saakaschwili nun Schwierigkeiten haben, seine Stellung zu behalten, denn die Europäer, die in ihren Einschätzungen des Kriegs längst gespalten seien, neigen dazu, sich passiv zu verhalten. Die Meinungsdifferenzen in Bezug auf die eventuelle NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine nehmen ebenfalls zu. Die US-Politik in der Kaukasus-Region erleidet im Moment eine herbe Niederlage. Es sieht danach aus, als ob die Energiepolitik des Westens aus allen Fugen krachen würde.
Zusammen mit Saakaschwili musste auch der polnische Präsident Lech Kaczynski eine Niederlage hinnehmen. Und es geht nicht einfach darum, dass er sich mehr für die persönlichen Interessen Saakaschwilis als für die von ganz Georgien eingesetzt hat. Und nicht darum, dass er während einer ernsthaften Krise für einen Abenteurer und Hochstapler Partei ergriffen hat, anstatt sich als Vermittler in die Geschehnisse einzumischen. Es geht vielmehr darum, dass die eigentliche Idee einer Warschau-Kiew-Tiflis-Achse obsolet geworden ist. Die Idee einer Achse, die geschaffen wurde, um allen Beteiligten mehr politisches Gewicht und mehr Energiesicherheit zu verschaffen. In der wirklichen Welt aber haben wir eine deutlich, infolge ihrer Einseitigkeit geschwächte politische Position Polens. Dieser Krieg hat die Pläne Warschaus, die durch Georgien und die Ukraine nach Polen führenden Pipelines zu bauen, in weite Ferne gerückt.
Kaczynski musste noch eine Erniedrigung erleben. Unmittelbar vor seinem Treffen mit dem französischen Staatschef Nicolas Sarkozy, der im Auftrag der EU als Vermittler zwischen Georgien und Russland fungierte, kündigte Russlands Präsident Dmitri Medwedew die Einstellung der russischen Operation in Südossetien an. Diese Ankündigung brachte Paris und Brüssel einige Pluspunkte ein. Was Polen, die Ukraine und die baltischen Staaten betrifft, die bereit waren, Georgien auf Leben und Tod vor den Russen zu verteidigen, so mussten sie danach ziemlich dumm aus der Wäsche gucken. Medwedew und Sarkozy einigten sich auf einen „Sechs-Punkte-Plan“ , ohne jemals daran gedacht zu haben, die Meinung Warschaus, Kiews und der baltischen Metropolen zu berücksichtigen. Die Stippvisite der Staatschefs aus Polen, der Ukraine und dem Baltikum in Tiflis sah in dieser Situation als ein Wochenendausflug und als eine erneute Demonstration ihrer gegen Russland gerichteten Politik aus. Im Rahmen seiner ziemlich komisch wirkenden Rede in Tiflis bestätigte Kaczynski erneut seine politische Verantwortungslosigkeit, indem er, wohl oder übel, ein Bildnis des Frieden stiftenden Präsidenten Sarkozy schuf und gleichzeitig sich selbst als einen Kriegstreiber präsentierte.
Ein polnischer Blogger hat geschrieben, Lech Kaczynski, wie auch jeder Politiker, hätte Recht, seine eigene Meinung zu haben, sei es eine gegen Russland gerichtete Meinung, oder gegen den Kommunismus insgesamt, doch er sei als Präsident gewählt worden, um die Interessen Polens zu wahren, und nicht die Interessen Georgiens oder die der USA. Es sei nicht seine Aufgabe gewesen, die Positionen Washingtons in dieser Region, sowie seine eigene aus der Luft gegriffene Visionen, zu verteidigen.
Die Ankündigungen Polens und der baltischen Staaten sind obsolet geworden. Kein einziges Land des „alten Europas“ sowie der „alten“ NATO hat diesen Worten beipflichten wollen. Der Staatsminister im deutschen Außenamt, Gernot Erler, beschuldigte sogar Georgien, mit seinem Angriff auf Südossetien gegen das Völkerrecht verstoßen zu haben. Erler fügte ebenfalls hinzu, er verstehe die russische Reaktion, denn es seien die Georgier gewesen, die die russischen Friedenstruppen angegriffen haben. Und nicht umgekehrt.
Georgien hat seine Truppen aus Südossetien abgezogen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, die vom Ende eines sinnlosen Krieges zeugt. Ein wunderbares Beispiel kam ebenfalls aus Peking - zwei Sportlerinnen, eine Russin und eine Georgierin, haben sich auf dem Siegerpodest weinend umarmt. Die Versöhnung ist schwer zu erreichen, doch sie ist möglich. Die Streifzüge von Kaczynski aber schaden Europa, Georgien und - was besonders wichtig ist - Polen.
Leszek Miller (polnischer Regierungschef vom Oktober 2001 bis Mai 2004) war von 2003 bis 2004 als polnischer Ministerpräsident für den Beitritt seines Landes in die EU zuständig. Unmittelbar nach dem EU-Beitritt trat Miller infolge einer Regierungskrise am 2. Mai 2004 zurück.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.
19.08.2008 RIA Novosti